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Kolumne von Amina Abdulkadir

Alles nur im Kopf

Autorin Amina Abdulkadir schreibt über Beobachtungen im Zug und die Zeit, die wir im eigenen Kopf verbringen.

Von Amina Abdulkadir

Wir verbringen die meiste Zeit im eigenen Kopf. Da bietet sich Zugfahren ganz fantastisch an, um mit der Gesellschaft in Kontakt zu kommen. Da ist die Chefin, die per Headset ihre Praktikantin mikromanaget; der Jugendliche, der seine Musik halt unbedingt braucht, «sorry, d’Chofhörer händ ke Pfuus meh»; der Vater, der zu den vier wippenden Rädern blickt; der zweite Jugendliche, der seine Musik halt auch unbedingt braucht und sicher nicht die von dem anderen, «wenigschtens händ mini Chopfhörer no Strom»; die Auszubildende, die während der Arbeit kaum Zeit hatte, um bei den Notifications recht nachzukommen und deshalb ein Update per Telefon braucht; die Frau mit dem Buch in der Hand; der Mann mit dem Podcast in den Ohren; und Sie. Ja, Sie sind auch da! Irgendwann waren auch Sie mal in einem Zug. Sie waren in einem Zug und Sie waren in Ihrem Kopf. Und während Sie in Ihrem Kopf waren, waren die Leute um Sie herum in ihrem eigenen Kopf und haben Sie betrachtet, und eingestuft. Nach Kleidung. Nach Beschäftigung. Nach Begleitung.

Was die sich wohl gedacht haben? Wahrscheinlich etwas, das Sie selbst nicht gelten lassen würden. So, wie mir das einmal sehr deutlich passierte. Da sass ich im Unterricht und habe geweint. Und die Leute um mich herum haben sich gewundert. Wenn sie gewusst hätten, dass grad meine Grossmutter gestorben ist, hätten sie sich vielleicht gar nicht erst gewundert. Sie hätten vielleicht an ihre eigene Grossmutter gedacht. Sie hätten mich vielleicht getröstet. Aber sie wussten’s halt nicht und so blieb ihnen nur das Wundern. Wir wissen sowieso ganz selten etwas über die Leute, die mit uns zur Schule gehen. Oder mit uns einkaufen. Oder mit uns arbeiten. Oder mit uns Zug fahren. Weil wir mit diesen Menschen erstmal nichts gemein haben. Weil wir sie erstmal nicht kennen. Wir haben zwar dasselbe Ziel: Wir wollen wo hin kommen. Aber dass das am selben Ort passiert, ist reiner Zufall.

Und wenn dann jemand auf einem Stuhl sitzt und mitten in der Heimatkunde weint, dann ist das erstmal einfach nur zum Wundern. Und dieses Wundern hat viel mehr mit den Betrachtenden zu tun als mit der weinenden Person. Weil der Mensch nun mal immer zuerst im eigenen Kopf ist. Und im eigenen Kopf wird selten gefragt.

Das können wir nicht ändern, aber vielleicht ein bisschen abschwächen. Deshalb frage ich meine ehemaligen Schulfreund*innen jetzt, was ich damals verpasst habe, weil ich zu sehr im eigenen Kopf war: Als du begonnen hast, deine Homosexualität zu zeigen, war ich dir da eine gute Kollegin? Hat es dich verletzt, dass ich dich als Italienerin nie ganz so ausländisch gesehen habe, wie mich selbst? Hast du dir gewünscht, dass ich deine nonbinäre Geschlechtsidentität so wirklich richtig verstehe? Hat dich mein Ärger genervt, wenn du deine Privilegien nicht sehen konntest? Hattest du das Gefühl, du müsstest mit mir irgendwie vorsichtiger umgehen? Denkst du, wir schaffen das?

AMINA ABDULKADIR ist Autorin, Bühnenküstlerin und Beraterin bso

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