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Kommentar: «Als man Zeugnisse machen musste, vergass man den Vorteil der Mehrsprachigkeit, glaube ich» von Sandra Bucheli

«Als man Zeugnisse machen musste, vergass man den Vorteil der Mehrsprachigkeit, glaube ich»

In einer Studie wurden Erfahrungen von mehrsprachigen Studierenden in ihren Praktika untersucht.

Von Sandra Bucheli und Katrin Tovote

Weltweit gibt es mehr mehrsprachige als einsprachige Menschen. Als mehrsprachig gilt, wer in einem natürlichen Kontext mindestens eine weitere Kommunikationssprache erworben hat und diese sprechen, verstehen, schreiben und/oder lesen kann. Anstatt Mehrsprachigkeit als Regelfall zu betrachten, wird sie aber im Bildungskontext häufig noch problematisiert und unterbunden. Bereits in den 1990er-Jahren kam die Forderung auf, dass die Schulen anerkennen, dass ihre monolinguale Ausrichtung in Bezug auf die mehrsprachige Schülerschaft dysfunktional geworden ist. Ingrid Gogolin propagierte etwa bereits 1994, dass sich die Schulen an ihre mehrsprachige Schülerschaft anpassen und dass Schüler*innen verschiedenen Sprachen zur Wissensaneignung nutzen dürfen sollen.

In einer Studie behandelten wir deshalb die Frage, welche Erfahrungen mehrsprachige Studierende des Studiengangs Primarstufe der PH FHNW mit ihrer Mehrsprachigkeit im Deutschschweizer Kontext in der eigenen Schullaufbahn, an der Hochschule und in den Praktika gemacht haben. Die Daten wurden durch leitfadengestützte Interviews erhoben und mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Die weiteren Ausführungen fokussieren zunächst auf die Erfahrungen in den Praktika.

Grenzen der Wertschätzung

Die Studierenden berichteten, dass sie in den Praktika auf Lehrpersonen trafen, die sich entweder vereinzelt für ihre Mehrsprachigkeit interessierten oder diese neutral zur Kenntnis nahmen. Von einer Ermunterung, die sprachlichen Fähigkeiten systematisch im Unterricht einzubringen, wurde jedoch nicht berichtet. Die Studierenden erlebten in den Schulen keine direkte Diskriminierung bezüglich ihrer Mehrsprachigkeit. Im Lehrerzimmer hörten sie allerdings vereinzelt abwertende Äusserungen gegenüber Schüler*innen mit noch geringen Deutschkenntnissen und deren Eltern.

Dabei ging es etwa darum, dass man eine*n Übersetzer*in für die Kontaktaufnahme mit den Eltern brauchte und nicht einfach kurz anrufen konnte. Oder man äusserte sich dahingehend, dass die Eltern nach rund zehn Jahren in der Schweiz schon langsam Deutsch sprechen können sollten. Eine Studierende berichtete von der Zusammenarbeit mit einer Lehrperson, welche die Mehrsprachigkeit ihrer Schüler*innen grundsätzlich wertschätzte und unterstützte. Dennoch hatte diese Wertschätzung ihre Grenzen, wie sie lachend sagte: «Ende Jahr als man Zeugnisse machen musste, vergass man den Vorteil der Mehrsprachigkeit, glaube ich.»

Ressource in der Elternarbeit

Solche und andere Bemerkungen zeigen, dass zumindest an einigen Schulen, die Mehrsprachigkeit als Belastung erlebt wurde. Befragte man die Studierenden zu ihren Einstellungen und Erfahrungen in der Elternarbeit, berichteten diese von einer hohen Bereitschaft ihre nicht-deutschen Sprachkenntnisse einzubringen. Wenn die nicht-deutschen Sprachkenntnisse im Praktikum verwendet wurden, erfuhren sie von den Eltern viel Wertschätzung und Vertrauen. Allerdings waren solche Begegnungen eher zufälliger Natur. Die vorhandene Mehrsprachigkeit der Praktikant*innen blieb für die Zusammenarbeit mit den Eltern vorwiegend ungenutzt.

Beim Blick auf die Interaktionen der mehrsprachigen Studierenden mit den Schüler*innen, zeigte sich folgendes Bild: Schüler*innen mit denselben nicht-deutschen Sprachkenntnissen wie die Studierenden, reagierten sehr unterschiedlich auf diesen Umstand. Einige freuten sich, waren stolz, andere reagierten schüchtern bis

schamhaft. Der Nachname der Studierenden führte zu Diskussionen in Bezug auf die Aussprache und diente auch vereinzelt für Verunglimpfungen von Seiten der Schüler*innen. Die Studierenden schätzten es, einzelnen Kindern etwas auch in einer anderen Sprache als Deutsch erklären zu können, um dadurch das Verständnis zu erhöhen. Sie zeigten aber auch deutliche Unsicherheiten, ob und wann sie eine andere Sprache als das Deutsche einsetzen durften.

Alle Befragten erlebten an ihren Schulen die Pflicht, die deutsche Standardsprache zu sprechen. Sie wurde jedoch mit unterschiedlicher Konsequenz eingefordert. Generell bestand bei den Studierenden eine grosse Akzeptanz gegenüber diesem Obligatorium, wodurch sie selbst zur Reproduktion der eingangs erwähnten Einsprachigkeit der Schule beitrugen.

Themenfelder verknüpfen

Insgesamt zeigen unsere Daten, dass die Mehrsprachigkeit der Schülerschaft und die Mehrsprachigkeit der Lehrpersonen zwei bisher noch wenig miteinander gedachte und verknüpfte Themenfelder darstellen und nicht selten mit Unsicherheiten verbunden sind. Dieses Phänomen zeigt sich keineswegs nur im Berufsfeld, sondern auch an der Hochschule. So berichteten die Studierenden, dass sie vereinzelt, aber nicht systematisch, im Rahmen ihrer Lehrveranstaltungen an der PH FHNW mit der Thematik mehrsprachiges Lernen in Berührung gekommen sind. Ähnlich wie in der Schule ist an der Hochschule bisher das Bewusstsein für die mehrsprachige Studierendenschaft noch nicht ausgeprägt.

Zukünftig sollte vermehrt bereits im Studium die sprachliche Heterogenität der angehenden Lehrpersonen berücksichtigt, als Ressource erfasst und in didaktische Diskussionen einbezogen werden. Zukünftigen Lehrpersonen, egal ob ein- oder mehrsprachig, sollten in den Lehrveranstaltungen und in ihren Praktika Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sie Schüler*innen Wissensaneignung in allen Sprachen zugestehen können.

SANDRA BUCHELI ist Dozentin in der Professur für Kommunikationspartizipation und Sprachtherapie am Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie der PH FHNW. KATRIN TOVOTE ist Dozentin in der Professur Entwicklungspsychologie am Institut Primarstufe der PH FHNW.

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