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Sport- und Bewegungsunterricht für alle
Rückblick auf ein Lehrinnovationsseminar zum reflexiven Umgang mit Vielfalt und Heterogenität
Von Susanne Störch Mehring und Karolin Heckemeyer
Ein Ziel schulischer Unterrichtspraxis ist der produktive und wertschätzende Umgang mit Heterogenität. Lehrpersonen sollen und wollen Schüler*innen in all ihrer Vielfalt gerecht werden und sie individuell und bestmöglich fördern. Dieses genuin (sport-)pädagogische Anliegen wurde auch im Rahmen des Projekts «Lehrinnovationen zu Diversität» der PH FHNW in einem Projektseminar der Professur für Bewegungsförderung und Sportdidaktik aufgegriffen. Die Leitfrage war: Wie lässt sich Sport- und Bewegungsunterricht differenziert und inklusiv gestalten?
Die Auseinandersetzung mit dieser Frage erfolgte im Seminar in Form einer Projektarbeit, die theoretische und unterrichtspraktische Perspektiven eng miteinander verknüpft. Ziel war die Planung, Durchführung und Auswertung eines inklusiven und heterogenitätsgerechten Sport- und Bewegungstages an einer Primarschule. Im Frühlingssemester 2019 konnte dies mit grossem Erfolg an der Primarschule Bünzmatt in Wohlen umgesetzt werden, im Frühlingssemester 2020 erforderte die Covid19-Situation eine alternative Umsetzung. Die Seminarteilnehmenden entwickelten schliesslich ein umfassendes Dokument mit «Sport- und Bewegungschallenges für Zuhause», das an die Schule weitergeleitet wurde.
Körpernormierungen reflektieren und didaktische Konsequenzen ziehen
Die Lehrveranstaltung setzte sich aus drei Teilen zusammen: Die ersten Seminartermine zielten auf eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit Fragen der (motorischen) Leistungsfähigkeit im Sport- und Bewegungsunterricht und im Zuge dessen mit dem eigenen Körper- und Selbstkonzept. Was bedeutet es für mich als Lehrperson, motorisch leistungsfähig zu sein und welche individuellen Vorstellungen, Erfahrungen und Selbstverständlichkeiten sind damit verbunden? Die Diskussion dieser und ähnlicher Fragen bildete die Basis für den zweiten Teil des Seminars, der den Studierenden einen Einblick in sozialwissenschaftlich-theoretische Debatten zum Thema Umgang mit Vielfalt und Differenz(en) gab. Er zeigte auf, dass und wie Körper- und Selbstkonzepte sowie Annahmen über (motorische) Leistungsfähigkeit mit gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen beispielsweise über Geschlecht
LEHRENTWICKLUNGSPROJEKT UND AUDIOPODCAST Unter dem Titel «Lehrinnovationen zu Diversität» wurde an der PH FHNW in den letzten Jahren ein Projekt mit der Zielsetzung realisiert, sowohl inhaltlich als auch auf der Vermittlungsebene neue Impulse für die Hochschullehre zu setzen. Die beteiligten Dozierenden arbeiteten eine ihrer regulären Lehrveranstaltungen dahingehend weiter aus, dass diese neu ein relevantes Thema im Kontext von Diversität, Antidiskriminierung und Bildungsgerechtigkeit aufnahm und vertiefte. Mit Start ab Herbstsemester 2018 wurden 13 Lehrveranstaltungen entwickelt und zweimal durchgeführt, dies unter Beteiligung der Studiengänge Kindergarten-/Unterstufe, Primarstufe, Sekundarstufe 1 und Logopädie.
Ein Grossteil der Veranstaltungen setzte einen fachdidaktischen Fokus. Vertreten waren die Bereiche Mathematikdidaktik, Bewegung und Sport, Sachunterricht, Englisch, Deutsch und Musikdidaktik. In vielen Fällen verfolgten die Veranstaltungen eine interdisziplinäre Perspektive und wurden in professur- respektive institutsübergreifender Zusammenarbeit umgesetzt. Thematisch beleuchteten die Lehrveranstaltungen etwa Fragen zur inklusiven und differenzierenden Unterrichtsgestaltung, setzten sich mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit
und Behinderung verbunden sind. Was und wer gilt im Sport- und Bewegungsunterricht als «normal»? Vor diesem Hintergrund ging es im dritten Schritt um die sportdidaktisch fundierte Planung und Durchführung des inklusiven Sport- und Bewegungstages respektive der «Sport- und Bewegungschallenges für Zuhause». Wie lässt sich eine Veranstaltung gestalten, die allen Kindern positive Bewegungserfahrungen und Erfolgserlebnisse ermöglicht? In besonderer Weise gewinnbringend war es, diese Frage im Rahmen des Projektseminars in unmittelbarem Bezug zur Schul- und Unterrichtspraxis zu diskutieren und die Ergebnisse anhand der didaktischen Umsetzungen gemeinsam auswerten zu können.
Theoretisch-didaktische Reflexionen unterrichtspraktisch greifbar machen
Ohne Zweifel war die Verknüpfung theoretisch-didaktischer Reflexionen mit unterrichts- und schulpraktischen Umsetzungen ein wesentlicher Gewinn des Seminars. Abstrakte Auseinandersetzungen mit sport- und körperbezogenen Normalitätsvorstellungen wurden so greifbar(er) und ihre Relevanz im Berufsfeld Schule und insbesondere im Sport- und Bewegungsunterricht konnte verdeutlicht werden. Dazu trugen auch die positiven Rückmeldungen der Lehrpersonen und vor allem der Schüler*innen bei. Denn sie verdeutlichten den Studierenden unter anderem, dass ein Sporttag auch dann ein Erfolg sein kann, wenn nicht allein der Wettkampf gegeneinander, sondern das gemeinsame Bewältigen von Herausforderungen im Fokus steht.
Aus hochschuldidaktischer Perspektive bleibt anzumerken, dass der in nur 28 Semesterwochenstunden aufgespannte Bogen von der theoretisch-didaktischen Fundierung zur unterrichtspraktischen Umsetzung eine Herausforderung ist. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Diversitätsdimensionen und deren Verschränkungen ist in diesem Zeitrahmen nur bedingt möglich. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Verzahnung mit der Schulpraxis und die Struktur des Team-Teaching ein produktives, gemeinsames Arbeiten von Studierenden und Dozierenden ermöglicht, das die Lehrpersonenbildung generell bereichert.