Das Heft – Ausgabe Nr. 3 (2020) – Motivation in der Schule

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KOLUMNE

Die Wasserratte

Spoken-Word-Künstler Simon Libsig schreibt über die eigenartige Motivationsverkettung, die ihn bis ins Schwimmbad treibt und wieder hinaus ... Von Simon Libsig

Ich traf mich also vor zwei Wochen in dieser Pizzeria, mit einem ehemaligen Studienkollegen. Er klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und begrüsste mich mit dem schönen Satz: «Läck! Du hesch aber au gfeisset, du!» Klar, dass ich die Pizza dann nicht mehr geniessen konnte. Tammi! Aber er hat ja recht. Ich habe zu viel Fleisch am Körper und das quillt mir über den Hosenbund und ich fasse es die ganze Zeit an. Immer wieder drücke und ziehe ich daran herum und kontrolliere, ob es wohl schon wieder mehr geworden ist. Es ist ein Wahnsinn. Und es macht mich traurig. Denn früher war das mal nicht so. Da hatte ich noch einen Bewegungsdrang. Da musste ich Tennisspielen oder Volleyball oder Badminton oder Basketball oder sonst was. Wenn ich mich nicht bewegte, war ich unglücklich. Heute werde ich unglücklich, wenn ich Hunger habe. Es ist ein Wahnsinn. Und dem wollte

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ich nach diesem Pizzaabend entgegenwirken. Ich fasste einen Entschluss. Schwimmen. Oh ja! Gelenkschonend. Macht schöne Muskeln. Und ich kann die Trainingszeiten selber bestimmen. Ausserdem war ich früher einmal eine Wasserratte. An der Kasse verlangte ich keinen Einzeleintritt, keine Zehnerkarte, nein, ich liess mir selbstverständlich einen Saisonpass geben. Ja klar! Wenn schon, denn schon. Ich war derart motiviert, ich sah mich schon wieder wie ein junges Reh daherhüpfen, wie aus dem Ei gepellt, und so kaufte ich gleich noch Badekappe und Schwimmbrille dazu. Zehnmal schwimmen, dann wäre der ganze Plunder amortisiert. Super Sache! Hui, ich freute mich. Bis ich aus der Garderobe in die Schwimmhalle trat. Was da los war! Sie können es sich nicht vorstellen. Dieses Gewusel und Geplansche und Gespritze auf alle Seiten. All diese Köpfe im Wasser. Und dieser Lärm. Nein. Erst als ich in dieser Schwimmhalle stand, merkte ich, dass ich auf all das eigentlich überhaupt keinen Bock hatte. Null! Ich setzte mich also auf das Steinbänklein am Rand und beobachtete das Treiben und zupfte immer mal wieder an meinem überschüssigen Fett herum. Na gut, würde ich halt noch etwas warten. Bestimmt würde der Andrang bald nachlassen. Und dann käme ich schon noch zum Fettverbrennen. Dachte ich. Aber was meinen Sie, was da los war? Da kamen immer noch mehr und noch mehr Leute an, und die hüpften einfach ins Wasser, obwohl es gar keinen Platz mehr gab. Dachten wohl, sie hätten bezahlt, und deshalb ein Anrecht auf die Schwimmbahn, auch wenn schon Millionen andere ihre Runden zogen! Und dann dämmerte es mir. Ich hatte auch bezahlt! Aber klar! Und dann stand ich auf. Erhob mich von diesem kalten Stein. Und marschierte zielstrebig und voll motiviert – zu den Duschen. Und ich muss Ihnen sagen, ich duschte, wie ich noch nie im Leben geduscht habe. Heiss. Heiss habe ich geduscht. Und lang! Ich hab’s ja gezählt! Ich hab’s ja gezählt! 36 Mal habe ich gedrückt. Immer wieder. Immer wieder. Ich sage Ihnen, ich habe diesen ganzen Saisonpass rausgeduscht! Und beim Rausgehen, bei der Kasse, da kaufte ich mir dann noch ein Salamisandwich für auf den Weg. Und seither habe ich nie mehr einen Fuss in dieses Schwimmbad gesetzt. Und meinen Studienkollegen habe ich auch nicht mehr getroffen.

SIMON LIBSIG, Slampoet und Autor, hat mit über 5000 Schülerinnen und Schülern Geschichten geschrieben.


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