D A S M A G A Z I N D E R F H S T . P Ö L T E N
Ausgabe 11 · November 2019
ELDORADO DER BITS UND BYTES Big Data, Blockchain und künstliche Intelligenz verändern die Gesellschaft. Ein kritischer Blick auf Möglichkeiten und Risiken einer Technik, die derzeit viele in Goldgräberstimmung versetzt. Neue FH-Geschäftsführung · Feuerwerk digitaler Initiativen · Zu Gast in Singapur
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AKTUELL Neuigkeiten aus der Welt der FH St. Pölten
WEITER RICHTUNG ZUKUNFT Die neue Geschäftsführung der FH St. Pölten stellt sich vor
BESTE KARRIERECHANCEN Neue Studiengänge an der FH St. Pölten
FORSCHUNG & PRAXIS Datenübertragung per Ultraschall / Gesunde Gelenke für übergewichtige Kinder
FEUERWERK DIGITALER INITIATIVEN Die FH St. Pölten beteiligt sich an neuen Forschungs- und Transferzentren
DIE KRITISCHE FREUNDIN FH-Absolventin Dunja Gharwal ist neue Kinder- und Jugendanwältin der Stadt Wien
HELLE KÖPFE Dissertationen, Preise und die Alumna des Jahres
ZU GAST IN ... ... Singapur: Eine FH-Studentin besucht die Summer School der Nanyang Technological University
BLITZLICHTER Future Tech Bootcamp / Science Academy NÖ / Fördervereinsvortrag: Megatrends / Grundsteinlegung Campus St. Pölten / Forschungsfest NÖ und European Researchers’ Night / Forschungskooperation
ST. PÖLTEN UND DIE WELT Professor Lalit Johri über „Kindness in Leadership“
AUCH DA STECKT FH DRIN
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Dossier
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ELDORADO DER BITS UND BYTES
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WÖRTLICH GENOMMEN
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LEGAL TECHNOLOGY
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IT UND GESUNDHEIT
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IHRE MEINUNG
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NEUE PROJEKTE
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BLICK VON AUSSEN
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Big Data, Blockchain und künstliche Intelligenz: Risiken und Potenziale
Internet of Things und KI: Chance oder Gefahr?
Roboter-Anwälte und der Nutzen der künstlichen Intelligenz im Rechtswesen
Intelligente Schuhsohlen / „Exergames“ im Center for Digital Health Innovation
Wie gehen Sie mit Ihren Daten um?
Soziale Arbeit 4.0 / Stoctopus
Daten für mehr Demokratie: Der Chaos Computer Club Wien
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Impressum Herausgeberin: Fachhochschule St. Pölten GmbH, Matthias Corvinus-Straße 15, 3100 St. Pölten · Chefredaktion: Mag. Daniela Kaser, MAS · Redaktion: Mag. Mark Hammer, Jakob Leissing, MA · Fotos und Illustrationen: Martin Lifka Photography (S. 3, 8, 22), FH St. Pölten/Carola Berger (S. 3, 22, 23, 28), FH St. Pölten (S. 3, 12, 16, 19, 21), Foto Kraus (S. 3, 5), Claudia P. Kaufmann (S. 4), FH St. Pölten/Mark Hammer (S. 4), BMBWF/Martin Lusser (S. 4), Klaus Ranger (S. 5), FH St. Pölten/Florian Kibler (S. 6, 28), PID/Votava Martin (S. 10), Ronald Vrablicz (S. 12), Christian Zehetner mfg (S. 12), A. Topf (S. 12), Martina Luh (S. 12), Luiza Puiu (S. 19), Tritremmel (S. 19), Christian Dirschl (S. 20), Capgemini Consulting Österreich AG (S. 23), DDM (S. 23), Sulaiman Abdul Rahman (S. 26), Huang Chen (S. 27), Peshori (S 27), NLK Pfeiffer (S. 28), Laura Breban (S. 28), Josef Vorlaufer (S. 29), Horsak (S. 29), Marlene Hochreiter (S. 30), Fabian Altphart (S. 31); Shutterstock: SkillUp (S. 1, 13–24), Yuravector (S. 1) · Grafik und Produktion: Egger & Lerch Ges.m.b.H., 1030 Wien · Druck: Gugler GmbH, 3390 Melk/Donau
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Edi to r i a l
DATEN: DER ROHSTOFF DES DIGITALEN WANDELS Alle Lebensbereiche werden von der Verwendung von Daten beeinflusst. Als Hochschule nehmen wir unsere Verantwortung wahr und leisten in zahl reichen Themenbereichen einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung neuer Technologien und zu Anwendungsfeldern der Digitalisierung, sei es in der Medizin, der Wirtschaft, der Sozialen Arbeit oder der IT-Sicherheit. Forschung und Wirtschaft benötigen dringend Expertinnen und Experten, die in ihren jeweiligen Fachbereichen die Digitalisierung und damit den sinnvollen Umgang mit Daten vorantreiben können. Die FH St. Pölten bietet mit ihrem zukunftsweisenden Studienangebot den Studierenden beste Karrierechancen in den digital geprägten Branchen. Lesen Sie in der neuen Ausgabe von „future“ über aktuelle Projekte, innovative Forschung und Neuigkeiten an der FH St. Pölten. In gewohnter Qualität, aber mit neuem Layout, mehr Raum für Fotos und besserer Lesbarkeit. Wir freuen uns über Ihr Interesse an unserem Magazin und wünschen eine spannende Lektüre! Dipl.-Ing Gernot Kohl, MSc FH-Prof. Dipl.-Ing. Hannes Raffaseder FH-Prof. Dipl.-Ing. Johann Haag
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So geht Employer Branding
Neue Department leiterInnen Informatik und Gesundheit. Helmut Kaufmann leitet seit September 2019 das Department Informatik und Security und das Bachelor studium IT Security. Kaufmann war bereits von 2007 bis 2012 als FH-Professor und stellvertretender Studiengangsleiter am Department beschäftigt. Zuletzt arbeitete er als Chief Information Security Officer bei der BAWAG P.S.K., davor im IT-Sicherheitsbereich für die Airbus Group, Raiffeisen Banking Group und Frequentis AG. Die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky leitet seit 1. November das Department Gesundheit. Kdolsky ist Ärztin und Gesundheitsökonomin und hat am AKH Wien gelehrt und geforscht. Sie ist Inhaberin und Geschäftsführerin der „Andrea Kdolsky Consulting Unternehmensberatung und -organisation für Gesundheitswirtschaft“, war in den Jahren 2007 und 2008 Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend und davor CEO der NÖ Landeskliniken Holding.
Best Practice Award des PRVA. Die Fachhochschule St. Pölten zählt zu den wichtigsten Arbeitgebern der Region. Im Jahr 2018 entwickelte sie gemeinsam mit der Agentur Identifire im Employer-Branding- Projekt „Inside out“ eine neue Arbeitgebermarke, die die Werte der FH als Arbeitgeberin noch besser spürbar und erlebbar machen soll. In einem mehrschichtigen und partizipativ angelegten Prozess entstanden neben dem Claim „Gemeinsam gestalten, individuell entfalten“ drei neue Arbeitgeberwerte: Wege finden, Wissen teilen, Werte schaffen. 2019 hat der Public Relations Verband Austria (PRVA) das Projekt mit dem Best Practice Award für innovative Kommunikationskonzepte ausgezeichnet.
Bootcamp für das Digitale Data Science. Die FH St. Pölten leitet ab Jänner 2020 das „Data Science Bootcamp“. Es wird MitarbeiterInnen von acht Partnerunternehmen zu Digital Professionals machen und zu Data Scientists ausbilden. Dazu gehören die Fähigkeiten der Datensammlung sowie der Datenverarbeitung. Die zu künftigen Data Scientists sind in der Lage abzuwägen, ob und welche Verfahren der künstlichen Intelligenz eingesetzt werden, um die besten Modelle und somit Ergebnisse zu erzielen.
Innovatives Wahlmodul „Ars Docendi“-Staatspreis. Das Interdisciplinary Lab (iLab) der FH St. Pölten wurde heuer beim „Ars Docendi“-Staatspreis für exzellente Lehre an Österreichs öffentlichen Universitäten, Fachhochschulen, Privatuniversitäten und Pädagogischen Hochschulen ausgezeichnet. Es gewann den ersten Preis in der Kategorie „Kooperative Lehr- und Arbeitsformen“. Das Lehrformat fördert die fachlichen und überfachlichen Qualifikationen von Studierenden. Seit dem Wintersemester 2018/19 bietet die FH St. Pölten dieses innovative Wahlmodul an. Im iLab setzen sich Studierende in interdis ziplinären und internationalen Teams ein Semester lang intensiv mit einem praxisrelevanten Projekt auseinander – von der Idee bis zur Umsetzung. ilab.fhstp.ac.at
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Studierende der FH St. Pölten ausgezeichnet
Der „Ars Docendi“Staatspreis für das iLab der FH St. Pölten
Wissenschaftspreis NÖ. Seit über 50 Jahren werden mit dem Wissenschaftspreis Niederösterreich heraus ragende Leistungen in Wissenschaft und Forschung gewürdigt. Für das „hervorragende Konzept zur Wissen schaftsvermittlung an Schulen“ erhielt die Arbeitsgruppe KARLI den Wissen schaf[f]t Zukunft Preis. KARLI (Kindgerechtes Augmented Reality Lern-Interface) ist eine Applikation, die Kindern im Volksschulalter spielerisch die menschliche Anatomie näherbringt und damit beim Aufbau von Gesundheitskompetenz hilft. Die App wurde von den Digital-Health care-Studierenden Mariella Seel, Michael Andorfer, Patrick Knogler, Anna Maria Lienhart und Johannes Panzenböck mit Unterstützung des IC\M/T (Institut für Creative Media Technologies) entwickelt.
Veranstaltungen Projektvernissage Studierende der FH St. Pölten stellen ihre Projekte vor 14.01.2020 Security Day Veranstaltung für SchülerInnen zum Thema IT-Sicherheit 28.01.2020 EVENTcon Veranstaltung für SchülerInnen zum Thema Eventmanagement 22.01.2020 MEDIAcon Fachevent rund um aktuelle Entwicklungen in der Mediaplanung 19.02.2020 open.day Informationsveranstaltung zum Ausbildungsangebot der FH St. Pölten 13.03.2020 Social Work Science Day 07.05.2020 Lange Nacht der Forschung 08.05.2020
Kryptografie via Satellit
Der NÖ Innovationspreis 2019 für ein Projekt am Institut für IT Sicherheitsforschung der FH St. Pölten
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NÖ Innovationspreis. Den ersten Preis in der Kategorie Forschung holte die FH St. Pölten beim diesjährigen NÖ Innovationspreis mit einem Projekt zum sicheren Datenaustausch mittels Satelliten kryptografie. Das Projekt am Institut für IT Sicherheitsforschung der FH St. Pölten unter der Leitung von Ernst Piller entwickelt ein Verfahren, das Funkkanaleigenschaften zum Erzeugen und Verteilen von Schlüsseln nutzt. Die Arbeit gewann heuer auch schon den „riz up GENIUS“-Preis 2019 in der Kategorie „geniale Forschung“.
Symposium Medienethik supported by c-tv-Konferenz Das Symposium wird vom Campusfernsehen c-tv begleitet 13.05.2020 Weitere Infos auf fhstp.ac.at/events
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Die neue Geschäfts führung v. l. n. r.: Hannes Raffaseder, Gernot Kohl, Johann Haag
WEITER RICHTUNG ZUKUNFT Die FH St. Pölten hat seit September 2019 eine neue Geschäftsführung. Gernot Kohl, Hannes Raffaseder und Johann Haag wollen eine Erfolgsgeschichte fortschreiben. V O N
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Über zwölf Jahre führten Gabriela Fernandes und Gernot Kohl die Fachhochschule St. Pölten gemeinsam. Mit der Pensionierung von Gabriela Fernandes im August 2019 wurden eine neue Geschäftsführung bestellt und die Aufgaben bereiche neu verteilt. „Die FH St. Pölten hat sich durch Gabriela Fernandes’ unermüdlichen Einsatz zu einer der forschungsstärksten Fachhochschulen in Österreich entwickelt. Dafür und für die tolle Zusammenarbeit über die vergangenen Jahre möchte ich mich bedanken“, betont Gernot Kohl. Gernot Kohl, der bereits seit 2004 als Geschäfts führer der FH St. Pölten tätig ist, übernimmt den Vorsitz und die Gesamtverantwortung als Chief Executive Officer (CEO). Hannes Raffas eder ist für die Bereiche Forschung, Innovation und Wissenstransfer als Chief Research & Innovation Officer (CRO & CIO) verantwortlich. Johann Haag ist als Chief Operation Officer (COO) für den Lehrbetrieb und die Organisations entwicklung zuständig. VIELE NEUERUNGEN, NOCH MEHR S TUDIERENDE Meilensteine der gemeinsamen Geschäfts führung von Fernandes und Kohl waren etwa die Gründung des Start-up-Programms Creative
Pre-Incubator sowie eines Josef Ressel For schungszentrums. Zudem war sie federführend an der Etablierung des weltweit größten Blockchain-Kompetenzzentrums (Austrian Blockchain Center) beteiligt. Der Studienbereich der FH ist in den letzten zwölf Jahren stark gewachsen: Das Angebot wurde laufend erweitert und die Zahl der Studierenden hat sich mehr als verdoppelt. „Unsere Fachhochschule ist in einer sehr erfolgreichen Phase, und bald wird mit dem FH-Zubau ein großer Wunsch für die weitere Entwicklung Realität werden. Wir haben in den letzten zwölf Jahren gemeinsam sehr viel geschaffen, und so verlasse ich die Fachhoch schule in dem Wissen, dass sie mit viel Kraft und Qualität ihren Weg erfolgreich weitergehen wird“, so Gabriela Fernandes. RAFFASEDER: TRIEBFEDER DER FORSCHUNG Hannes Raffaseder ist seit dem Jahr 2004 an der FH St. Pölten tätig, zuletzt als Hauptverantwort licher für die Bereiche Forschung und Wissens transfer. „Interdisziplinäre Forschung und ein enger Austausch mit der Wirtschaft haben die
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NEUE STUDIEN, BESTE KARRIERE CHANCEN International und innovativ: Die FH St. Pölten erweitert 2020 ihr Studienangebot.
FH St. Pölten zu einer der forschungsstärksten Fachhochschulen Österreichs gemacht. Diesen Weg gilt es fortzusetzen. Außerdem wollen wir verstärkt in internationalen Forschungs projekten aktiv werden“, betont Raffaseder. Der Fokus liegt dabei auf den beiden Forschungs schwerpunkten der FH St. Pölten „Cyber Security & IT Security“ und „Data Analytics & Visual Computing“.
„Zukunftsweisend und praxisnah – wir bereiten die Studierenden bestmöglich auf die Arbeitswelt vor.“ FH-Prof. Dipl.-Ing. Johann Haag, Chief Operation Officer
HAAG: IMPULSGEBER FÜR DIE LEHRE Seit fast 20 Jahren ist Johann Haag an der FH St. Pölten tätig. Als Studiengangsleiter im Bachelor IT Security und Leiter des Departments Informatik und Security kennt Haag die Bedeutung eines innovativen Lehrbetriebs. „Die FH St. Pölten bietet ein zukunftsweisendes Studienangebot und praxisnahe Curricula: Moderne didaktische Methoden und Lehrkon zepte sind fest im Unterricht verankert und bereiten die Studierenden bestmöglich auf die Arbeitswelt vor“, betont Haag. · November 2019
Mit dem Studiengang Management & Digital Business* und den beiden englischsprachigen Studiengängen Creative Computing* und Cyber Security and Resilience* erweitert die Fachhochschule St. Pölten ihr Studienangebot. „Mit den zusätzlichen Bachelor und Master Studiengängen reagieren wir auf die spezifi schen Ansprüche des modernen Arbeitsmarktes, damit unsere Absolventinnen und Absolventen auch weiterhin hervorragende Karrierechancen vorfinden“, betont Gernot Kohl, Geschäftsführer der FH St. Pölten. „Zudem stärken wir mit den beiden englischsprachigen Studiengängen die internationale Positionierung der FH St. Pölten.“ DIGITALE HERAUSFORDERUNGEN Das Bachelorstudium Management & Digital Business verknüpft ein betriebswirtschaftliches Grundstudium mit Aspekten der Unternehmens führung und bereitet die Studierenden auf die digitalen Herausforderungen der modernen Wirtschaft vor. Der englischsprachige Bachelor Studiengang Creative Computing vermittelt technisches Know-how in der Programmierung und zeigt, wie dieses Wissen in kreativen Bereichen, wie User Experience Design, Game Design oder Web Design angewandt wird. Das Masterstudium Cyber Security and Resilience bietet eine praxisnahe Ausbildung im von der Wirtschaft stark nachgefragten Bereich der Cyber Security. Neben umfassenden technischen und organisatorischen Sicherheitskompetenzen vermittelt das Studium Fachwissen über neue Technologien wie künstliche Intelligenz.
fhstp.ac.at
* vorbehaltlich der Akkreditierung durch die AQ Austria
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WENN GERÄTE PER ULTRASCHALL KOMMUNIZIEREN Forscher der FH St. Pölten fanden eine neue Methode zur sicheren Datenübertragung mit Ultraschall – und stellen sie allen Interessierten frei zur Verfügung. Durch das Internet of Things (IoT) kommunizieren zunehmend mehr Geräte miteinander. Ultraschallkommunikation ist eine neue Methode für den Datenaustausch zwischen IoT-Geräten sowie Mobiltelefonen. Die Kommunikation ist unhörbar und benötigt nur ein Minimum an Hardware, nämlich Mikrofon und Lautsprecher. Forscher der FH St. Pölten haben ein erstes offenes Kommuni kationsprotokoll samt Open-Source-Entwicklungs- Kit für Ultraschallkommunikation mit dem Namen SoniTalk entwickelt. Die Technik ist frei verfügbar und setzt im Gegensatz zu ähnlichen Technologien ihren Schwerpunkt auf Sicherheit und Datenschutz. So ermöglicht SoniTalk den Nutzerinnen und Nutzern, frei zu entscheiden, in welchen Fällen welche Apps und Geräte mit Ultraschall kommunizieren dürfen.
Ansätze zur Ultraschallkommunikation wurden bereits von einzelnen Firmen entwickelt, die Technik ist aber im Copyright der Firmen und wirft teilweise Fragen bezüglich des Schutzes der Privatsphäre der Userinnen und User auf. Das entwickelte offene Protokoll gewährleistet sichere Kommunikation und den Schutz der Privatsphäre. Da es sich bei der neuen Entwicklung um Open-Source-Technologie handelt, kann sie von Interessierten, Entwicklerinnen, Entwicklern und Firmen adaptiert und verbessert werden. Auch die ForscherInnen der FH St. Pölten wollen SoniTalk technisch weiterentwickeln und suchen derzeit nach Unternehmen, die an den Vorteilen der neuen Technologie interessiert sind. sonitalk.fhstp.ac.at Das Projekt SoniTalk wurde unterstützt von der Förderinitiative netidee.
GESUNDE GELENKE TROTZ ÜBERGEWICHT Die FH St. Pölten entwickelte ein Training, das übergewichtigen Kindern und Jugendlichen das Leben erleichtert. Circa 17 Prozent der Kinder in Österreich sind übergewichtig, sieben Prozent leiden unter Adipositas, also besonders starkem Übergewicht – Tendenz steigend. Weltweit hat sich die Zahl der Menschen mit Adipositas in den letzten drei Jahrzehnten nahezu verdreifacht, circa 340 Millionen Erwachsene und Kinder sind davon betroffen. Übergewicht kann Gelenke schädigen und erhöht das Risiko, frühzeitig eine Gelenksarthrose zu entwickeln, also unter Gelenksverschleiß zu leiden. Die FH St. Pölten hat gemeinsam mit Partnerinstitutionen im Projekt „Children’s KNEEs“ die Auswirkungen von Übergewicht auf die Gelenke von Kindern und Jugendlichen untersucht, ein physiotherapeutisches Trainingsprogramm erarbeitet und dieses aus klinischer und biomechanischer Sicht evaluiert. Dabei hat sich gezeigt, dass das Training die Hüftmuskulatur der Kinder und Jugendlichen stärken konnte, wodurch ihnen das Gehen und Stiegensteigen wieder leichter fiel und sich ihr Gangbild normalisierte. Das „Children’s KNEEs“-Projekt ist eine der ersten randomisiert-kontrollierten klinischen Studien, die
Effekte eines speziellen Beinachsentrainings für adipöse Kinder und Jugendliche aus vorwiegend biomechanischer und klinischer Sicht evaluiert hat. fhstp.ac.at/childrensknees Das Projekt „Children’s KNEEs Study“ wurde vom Land Niederösterreich im Zuge des Life Science Calls der NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H. (NFB) gefördert. PartnerInnen im Projekt waren das Zentrum für regenerative Medizin und Orthopädie der Donau-Universität Krems, die Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin und die Universitätsklinik für Kinderund Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien, das Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien und das Gang- und Bewegungsanalyselabor des Orthopädischen Spitals Speising in Wien.
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EIN FEUERWERK DIGITALER INITIATIVEN Von Blockchain bis Quantencomputer: Eine ganze Reihe an neuen Forschungs- und Transferzentren ist hierzulande im Entstehen – und die FH St. Pölten ist bei den wichtigsten mittendrin statt nur dabei. V O N
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In Österreich entstehen derzeit drei Digital Innovation Hubs. Sie sind Plattformen für digitale Innovation, die Klein- und Mittelunter nehmen bei der Digitalisierung unterstützen und eine digitale Kultur fördern sollen. Die FH St. Pölten ist bei zwei Hubs federführend: dem Digital Makers Hub, der auch von ihr geleitet wird, und dem Digital Innovation Hub Ostösterreich der niederösterreichischen Wirtschaftsagentur ecoplus. Beteiligt ist die FH St. Pölten auch am neu gegründeten Wissenstransferzentrum (WTZ) Ost. Der Zusammenschluss von mehreren Universitäten und Fachhochschulen macht Forschungsergebnisse, neue Technologien, Erfindungen und Know-how für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zugänglich. Im November wurde das neue Josef Ressel entrum für Blockchain-Technologien & Z Sicherheitsmanagement an der FH St. Pölten vorgestellt. Im Rahmen dieses Zentrums werden die benötigten Grundlagen erforscht, um Blockchains fit für den Einsatz in klassischen IT-Systemen zu machen und damit neue Anwendungsfelder zu ermöglichen. Diese Grundlagen umfassen Themen des Sicherheits managements, der Sicherstellung von Trust sowie zukunftssichere Zugriffskontrolle für Blockchain-basierte Systeme.
Zudem ist die FH St. Pölten am weltweit größten Blockchain-Kompetenzzentrum beteiligt, dem Austrian Blockchain Center (ABC). Es widmet sich unter Leitung der Wirtschaftsuniversität Wien der wissenschaft lich fundierten Weiterentwicklung der Technik und deren Anwendung in verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Die FH St. Pölten leitet einen von fünf Zentrumsbereichen, jenen zum Thema „Emerging Industries & Blockchain in der Industrie 4.0“.
Die FH St. Pölten bringt bei den Hubs und Zentren ihre umfassende Expertise zum digitalen Wandel und zu zukunftsträchtigen Technologien ein und baut diese weiter aus. FH-Prof. Dipl.-Ing. Hannes Raffaseder, Chief Research & Innovation Officer
Mehr zu den Projekten: research.fhstp.ac.at Blockchain-Summit: Die Blockchain-Projekte werden im Frühjahr 2020 an der FH St. Pölten bei einem Blockchain-Summit öffentlich vorgestellt. Details: www.fhstp.ac.at/events Die Digital Innovation Hubs werden vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort finanziert, das Ressel Zentrum von der Christian Doppler Forschungsgesellschaft (CDG) sowie den beteiligten Unternehmen SEC Consult, Capacity Blockchain Solutions und CPB Software (Austria). Das Austrian Blockchain Center erhält Mittel vom Bundes ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, dem Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort sowie den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Vor arlberg. Das WTZ Ost wird von der aws sowie aus Mitteln der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung (Österreich-Fonds) gefördert.
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DIE KRITISCHE FREUNDIN Sozialarbeiterin, Dozentin und seit Juli 2019 Kinder- und Jugendanwältin der Stadt Wien: FH-Absolventin Dunja Gharwal kennt alle Facetten der Sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. V O N
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Sei es bei Problemen in der Familie, in der Schule, am Ausbildungsplatz, in Betreuungs einrichtungen oder in der Politik: Überall dort, wo die Rechte von Kindern und Jugendlichen verletzt werden, beginnt die Arbeit von Dunja Gharwal. „Wir sind immer parteiisch. Das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen sicherzustellen, hat für uns Priorität“, betont die 48-Jährige. WAHRUNG VON KINDER- UND J UGENDRECHTEN Die Kinder- und Jugendanwaltschaft als Ombudsstelle steht dabei nicht nur jungen Menschen bis zum 21. Lebensjahr für Beratung offen, sondern bietet auch Institutionen, Vereinen und Behörden Hilfe an. „Als Kinderund Jugendanwältin bin ich in der Rolle einer kritischen Freundin und berate Institutionen beim Umgang mit jungen Menschen.“ Die Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) nimmt dabei eine Vermittlungsfunktion bei Konflikten ein, prüft aber auch von sich aus, ob Kinderund Jugendrechte gewahrt werden. Gharwal sieht hier eine positive Entwicklung: „Immer mehr Menschen, aber auch Institutionen melden sich und bitten um Hilfe.“
Dunja Gharwal – hier gemeinsam mit KJA-Kollegen Ercan Nik Nafs – war jahrelang Sozial arbeiterin, dann BildungsgrätzelBeauftragte der Stadt Wien und Dozentin an der FH St. Pölten. Als Kinder- und Jugendanwältin berät sie auch Behörden und Vereine beim Umgang mit jungen Menschen.
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KOMMUNIKATION ALS SCHLÜSSEL Für den Erfolg eines neuen Kinderschutz konzeptes ist die enge Abstimmung mit der betreffenden Organisation entscheidend. „Jede Organisation hat ihre Eigenheiten, und auf die gilt es auch bei der Erarbeitung von gemeinsamen Maßnahmen Rücksicht zu nehmen“, betont Gharwal, die im Juli ihre fünfjährige Amtszeit angetreten hat. Sie leitet die KJA gemeinsam mit Ercan Nik Nafs und ist innerhalb der Organisation für die Bereiche Sozialarbeit und sozialpädagogische Wohn gemeinschaften zuständig. Nik Nafs ist für den Bereich Bildung verantwortlich. „Eine enge Abstimmung zwischen uns beiden ist entscheidend, denn viele Fälle betreffen mehrere Zuständigkeitsbereiche“, so Gharwal. „Wenn eine Organisation dual geführt wird, ist eine gut funktionierende Kommunikation zwischen den Leitern wichtig. Deshalb haben wir gleich von Anfang an professionelle Hilfe für die interne Kommunikation hinzugezogen.“ ENGER AUSTAUSCH MIT FORSCHUNG UND LEHRE Ihre Karriere als Sozialarbeiterin hat Gharwal in den 1990er-Jahren an der ehemaligen Akademie für Sozialarbeit in St. Pölten gestartet. Nach jahrelanger Tätigkeit als Sozialarbeiterin in der Kinder- und Jugendhilfe, unter anderem im Magistrat für Jugend und Familie in Wien (MA 11), entschloss sie sich 2014, ihr umfang reiches Praxiswissen mit einem Masterstudium an der FH St. Pölten zu ergänzen. „Rückblickend war das eine goldrichtige Entscheidung, denn so konnte ich meine praktische Erfahrung mit dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnis stand zusammenführen und mein Wissen auffrischen“, so Gharwal, die auch in ihrer aktuellen Rolle sehr von ihrer Weiterbildung profitiert. „Gerade die präzise schriftliche Begründung von Entscheidungen, das Argu mentieren auf Basis von wissenschaftlicher Erkenntnis, ist für meinen aktuellen Aufgaben bereich extrem hilfreich.“ Den wissenschaftli chen Austausch mit Dozentinnen und Dozenten sowie Studierenden genießt Gharwal noch heute. Seit 2015 ist sie als Dozentin an der · November 2019
FH St. Pölten tätig und unterrichtet in den Fächern Ethik und Menschenrechte sowie Kinder- und Jugendhilfe. „Der Unterricht an der FH St. Pölten ist wie eine weitere Form der Fortbildung für mich. Der rege Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, aber auch die Notwendigkeit, stets auf dem neuesten Stand der Forschung zu sein, helfen mir ungemein in meinem Job“, betont Gharwal. EINE FAMILIENENTSCHEIDUNG Nach dem Masterstudium war Gharwal Bil dungsgrätzel-Beauftragte der Stadt Wien. Ziel der Initiative ist es, innerhalb eines Grätzels Institutionen zusammenzubringen und bei möglichen Kooperationen im Bildungsbereich zu beraten. „Kleinräumige Zusammenarbeit stärkt das Vertrauen der Menschen untereinan der und trägt zu einer lebenswerten Gestaltung der Stadt bei.“
Wir sind immer parteiisch. Das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen hat oberste Priorität. Dunja Gharwal, Kinder- und Jugendanwältin der Stadt Wien
Sich für die Stelle als Kinder- und Jugendanwäl tin zu bewerben, war für die vierfache Mutter keine leichte Entscheidung. Sowohl ihr Mann als auch die Kinder haben sie aber ermutigt, diesen Schritt zu wagen: „Um einen so an spruchsvollen Job ausüben zu können, muss man die ganze Familie an Bord haben.“ Bei der Bestellung zur Kinder- und Jugendanwältin im Rathaus war die Familie von Dunja Gharwal dann natürlich an ihrer Seite.
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Preis beim Data Science Hackathon Bernward Asprion und Jan Vrablicz, Studenten des Studiengangs Data Science und Business Analytics, gewannen einen der vier Hauptpreise beim 2. Data Science Hackathon, einem Wettbewerb zur Analyse von Wirtschaftsdaten. Die TeilnehmerInnen des Hackathons mussten sich in Programmier- und/oder Datenanalysekenntnissen messen, indem sie anonymisiert bereitgestellte Datensätze analysierten, Vorhersagemodelle entwickelten oder Zusammen hänge zwischen den Daten erkannten und visualisierten. D E N I S E
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Werbepreis für Alkoholkampagne Eine der diesjährigen Auszeichnungen beim niederösterreichischen Werbepreis „Goldener Hahn“ ging an die St. Pöltener Agentur #agenturamteich mgf // Marketing & Kommunikation für ihr Projekt „Sicherer Umgang mit Alkohol“. Die Kampagne soll Jugendliche motivieren, ihr Konsumverhalten zu reflektieren und einen sicheren Umgang mit Alkohol zu entwickeln. Maßgeblich mitgestaltet hat das Projekt Agenturmitarbeiterin Denise Hebenstreit, Alumna der Studiengänge Medientechnik und Digitale Medientechnologien der FH St. Pölten. K A T H A R I N A
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Alumna des Jahres Bei der Alumni-Nacht 2019 der FH St. Pölten wurde Katharina Heller als TopAlumna gekürt. Alle sechs Departments nominierten einen Absolventen oder eine Absolventin, die bei der Alumni-Nacht mittels Elevator-Pitches ihren Werde gang und ein spannendes Projekt vorstellten, das sie nach ihrem FH-Abschluss verfolgt hatten. Die Absolventin des Bachelor Studiengangs Soziale Arbeit überzeugte die Jury mit ihrer Leidenschaft für das Projekt „Wellentäler“, einem Dokumentarfilm über die Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen. Heller arbeitet als Sozialarbeiterin im Universitätsklinikum Tulln in der Abteilung Erwachsenenpsychiatrie. R O B E R T
Bernward Asprion, Jan Vrablicz, Denise Hebenstreit, Katharina Heller und Robert Luh
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Dissertation und Lehrspiel IT-Sicherheitsforscher Robert Luh hat seine Dissertation im Bereich Cyber Security an der De Montfort University in Leicester abgeschlossen. Die Arbeit mit dem Titel „Advanced Threat Intelligence: Interpretation of Anomalous Behaviour in Ubiquitous Kernel Processes“ hatte zum Ziel, Angriffe anhand des Betriebssystem-Verhaltens ohne Wissen über eingesetzte Schadsoftware zu erkennen und zu interpretieren. Mit den Erkenntnissen entwickelt Luh am Josef Ressel Zentrum TARGET der FH St. Pölten neue Abwehrmaßnahmen, zudem wendet er die Ergebnisse im Lehrspiel „PenQuest“ an, das er aktuell an der FH St. Pölten entwickelt.
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Big Data, Blockchain und künstliche Intelligenz: Risiken und Potenziale
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Daten für mehr Demokratie: Der Chaos Computer Club Wien
Big Data – Mehr ist nicht gleich mehr Big Data ist in aller Munde. Vom neuen Gold ist die Rede. Und tatsächlich lässt sich mit der neuen Verfügbarkeit von großen Datenmengen – Stichwort Big Data – viel anfangen: So ermöglicht sie beispielsweise präzisere wissenschaftliche Prognosen oder bessere Diagnosen und Therapien in der Medizin. Doch einfach nur mehr Daten zur Verfügung zu haben oder auswerten zu können, ist zu wenig. Daten sind nicht per se gut, und ein Mehr an Daten ist nicht per se besser. Es kommt immer darauf an, in welchem Kontext sie erhoben wurden und was man aus ihnen macht: Sind die Daten überhaupt richtig? Werden sie sinnvoll verwendet? Bringen sie die Menschheit voran und verbessern unser Leben? Oder lassen Algorithmen aus ihnen Filterblasen entstehen, in denen Fake News gedeihen? Dienen unsere leichtfertig preisgegebenen persönlichen Daten letztlich der Manipulation? Das Dossier dieser Ausgabe betrachtet Big Data differenziert: vom sinnvollen Einsatz in U nternehmen, der Industrie 4.0 und Medizin über moderne Analysemethoden, um bessere Erkenntnisse aus Daten ziehen zu können, bis zu gesellschaftlichen, politischen und ethischen Fragen der Digitalisierung. FH-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Aigner, MSc Leiter des Instituts für Creative\Media/Technologies FH-Prof. Mag. Dr. Tassilo Pellegrini FH-Dozent am Department Medien und Wirtschaft FH-Prof. Dipl.-Ing. Mag. Marlies Temper, Bakk. Leiterin des Studiengangs Data Science and Business Analytics
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ELDORADO DER BITS UND BYTES Big Data, Blockchain und künstliche Intelligenz verändern die Gesellschaft und öffnen ganz neue Chancen für Wirtschaft, Kommunikation und Forschung. Ein kritischer Blick auf Möglichkeiten und Risiken einer Technik, die derzeit viele in Goldgräberstimmung versetzt. V O N
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Neue Technologien erlauben den Zugriff auf immer größere Datenmengen, die ausgewertet werden können: Big Data, Internet of Things und Blockchain besitzen das Potenzial, Alltag und Handel komplett zu revolutionieren. Firmen könnten zukünftig effizienter produzie ren und die Wissenschaft dank besserer Daten völlig neue Erkenntnisse gewinnen – heißt es. Doch was ist dran am Hype? Glänzt tatsächlich alles im Eldorado der Bits und Bytes? Vor Kurzem warnte etwa der deutsche Mathematiker Gerd Antes in einem Interview in der Tageszeitung
„Digitale Medientechnologien beeinflussen nahezu jeden Bereich unseres täglichen Lebens.“ FH-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Aigner, MSc, Leiter des Instituts für Creative\ Media/Technologies der FH St. Pölten
„Der Standard“, dass uns Big Data in eine Falle führen könne. Er spricht von einem „Big Data Paradox“: Mehr Daten seien mitunter irre führend, und gut ausgewählte Stichproben könnten mitunter ebenso gute Ergebnisse liefern. Big Data führe nicht (automatisch) zu
mehr Wissen. Als Beispiel nennt Antes absurde Zusammenhänge, die sich in großen Daten mengen entdecken ließen, wie die Korrelation zwischen dem täglichen Käsekonsum mit der Anzahl jener Menschen, die sich mit dem eigenen Bettleintuch erdrosseln. KÜNSTLICHE INTELLIGENZ TRIFFT N ATÜRLICHE DUMMHEIT Analog warnte die deutsche Philosophin Lisa Herzog in ihrem Blog „Besser arbeiten“ auf „Zeit online“ unlängst vor einer gefährlichen Kombination aus künstlicher Intelligenz und natürlicher Dummheit: Statt die Probleme der Menschheit zu lösen, arbeite künstliche Intelligenz vielmehr der Kommerzialisierung zu. Sie filtere Nachrichten von Menschen gleicher Meinung, führe diese zusammen und schaffe so Echokammern. „Digitale Medientechnologien beeinflussen nahezu jeden Bereich unseres täglichen Lebens. Aber es geht nicht nur um Technologie, sondern darum, was Menschen mit Technologie tun“, sagt Wolfgang Aigner, Leiter des Instituts für Creative\Media/Technologies der FH St. Pölten. Fortsetzung auf Seite 16
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Fast 4 Milliarden Passagierinnen und Passagiere waren im Jahr 2017 mit dem Flugzeug unterwegs, circa doppelt so viele wie zehn Jahre davor. Der zunehmende Flugverkehr erhöht die Anforderungen an Fluglotsinnen und -lotsen. Im Projekt VAST – Virtual Airspace and Tower entwickelt die FH St. Pölten neue visuelle und akustische Darstellungs formen zur Flugverkehrskontrolle mit.
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Mal haben ForscherInnen der FH St. Pölten die Bodenreaktionskraft von 2.392 gehenden Patientinnen und Patienten ausgewertet. Mit den Daten erforschen und entwerfen sie im Projekt IntelliGait Methoden zur Visualisierung und Analyse von klinischen Ganganalysedaten.
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Satellitenfotos werten ForscherInnen der FH St. Pölten in den Projekten infraBASE und ImmBild aus und entwickeln automatische Methoden zur Bestimmung der Lage und des Werts von Immobilien sowie zur Segmentierung von Gebäuden in den Bildern.
MEHR INFO ZU ALLEN PROJEKTEN:
research.fhstp.ac.at Finanzierungen der Projekte: VAST (FFG – FTI-Initiative Take Off) IntelliGait (Land NÖ / NFB) InfraBASE/ImmBild (FFG COIN Aufbau)
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Aigner beschäftigt sich in seiner Forschung vor allem mit der Visualisierung großer Datenmen gen, um sie anschaulicher und besser verständ lich zu machen und leichter Erkenntnisse daraus zu ziehen. Laut Aigner ist Big Data sowohl Hype als auch Chance. Ein Buzzword, das für alles und jedes verwendet wird. Aber auch eine Realität, die Herausforderungen mit sich bringt.
s ist wichtig, Daten zu teilen E und zusammenzutragen. Aber viele wollen auf ihren Daten sitzen bleiben und sie nicht hergeben. FH-Prof. Dipl.-Ing. Mag. Marlies Temper, Bakk., Leiterin des Studiengangs Data Science and Business Analytics an der FH St. Pölten
DATENGESTÜTZTE VORHERSAGEN UND DIAGNOSEN „Obwohl die Datenfülle völlig neue Möglichkei ten für den technischen Fortschritt und den wirtschaftlichen Erfolg eröffnet, halten die Methoden, um Daten zu analysieren und Entscheidungsprozesse zu unterstützen, oft nicht Schritt. Forschungsdisziplinen wie Data Science, Big Data Analytics, Visual Analytics oder Machine Learning versuchen die Lücke zu schließen“, erklärt Aigner. Sinnvolle Einsätze
563.272 roße Datenmengen sind G nur durch Vereinfachungen automatisch bearbeitbar. Dabei fehlen oft Hintergrund information und -wissen. FH-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Aigner, MSc, Leiter des Instituts für Creative\Media/Technologies der FH St. Pölten
YouTube-Kommentare zu Videos österreichischer Musikerinnen und Musiker umfasst die Datenbank des Projekts SAMBA – Smart Data for Music Business Administration. In ihm untersuchen ForscherInnen der FH St. Pölten, wie die Musikindustrie aus der Fülle an Information Trends ablesen kann.
Circa 2.500 Open-Source-Lizenzen existieren weltweit. Wenn Unternehmen Daten aus dem Internet nutzen, müssen sie die Rechte abklären. Das Projekt DALICC – Data Licenses Clearance Center der FH St. Pölten entwickelt eine Software, die dies automatisch kann und damit den Aufwand von drei menschlichen Arbeitstagen auf drei Minuten reduziert.
MEHR INFO ZU ALLEN PROJEKTEN:
research.fhstp.ac.at Finanzierungen der Projekte: DALICC (FFG – IKT of the Future) SAMBA (FFG COIN Aufbau)
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Buchtipp seien etwa Diagnosen in der Medizin mithilfe von maschinellem Lernen oder Vorhersage modelle in der Klimaforschung. Große Datenmengen allein sind Aigner zufolge jedoch kein Allheilmittel. Die richtigen Fragen müsse man immer noch selber stellen – erst dann könne Big Data möglicherweise helfen, Antworten zu finden: „Große Datenmengen sind nur durch Vereinfachungen automatisch bearbeitbar. Dann fehlen oft Hintergrundinfor mation und -wissen. Daher liegt das größte Potenzial in sogenannten Human-in-the-LoopSystemen, bei denen der Mensch zentrales Element im Wissensgewinnungsprozess bleibt, um jene Bereiche abzudecken, die nicht sinnvoll automatisiert werden können“, so Aigner.
Marlies Temper, Leiterin des Studiengangs Data Science and Business Analytics an der FH St. Pölten, sieht es ähnlich: „Big Data und künstliche Intelligenz sind hilfreich, aber man muss aufpassen. Modelle zum Unterstützen von Entscheidungen müssen gut trainiert sein und auf umfangreichen Daten basieren. Dazu ist es wichtig, Daten zu teilen und zusammenzutra gen. Aber viele Unternehmen wollen auf ihren Daten sitzen bleiben und sie nicht hergeben.“ So entstünden etwa Analysen zur Gesellschaft, die mitunter nur auf Informationen zu einer eingeschränkten Gruppe basieren – zum Beispiel weiße Männer zwischen 30 und 40, die in sozialen Medien gewisse Dinge kommentieren. Die wissenschaftlichen Grundlagen hinter Daten, Modellen und Vorhersagen sollten gut beherrscht werden. „Nicht jeder, der Zugang zu einer großen Datenbank hat und damit was machen kann, ist ein Data Scientist“, sagt Temper. BIG DATA, BLOCKCHAIN & CO. AN DER FH ST. PÖLTEN MitarbeiterInnen der FH St. Pölten forschen und unterrichten interdisziplinär zu vielen Aspekten von Digitalisierung, Big Data, künstlicher Intelligenz und dem Internet of Things. Wer dezidiert eine Ausbildung mit Datenschwer punkt machen möchte, kann etwa das Bachelor studium Data Science and Business Analytics wählen. Aber auch viele andere Studiengänge aus allen Fachbereichen behandeln den Umgang mit Daten aus unterschiedlichen – gesellschaft lichen und wirtschaftlichen – Perspektiven.
Anleitung zum Datenjournalismus Analysewerkzeug und Handbuch für die Praxis In großen Datenmengen verstecken sich mitunter spannende Geschichten, doch die Storys müssen erst aufgespürt und interpretiert werden. Daten journalismus extrahiert komplexe Informationen aus einer großen Menge an Daten und präsentiert sie anschaulich. Oft fehlen jedoch geeignete Analysemethoden. Das von der Fachhochschule St. Pölten koordinierte Forschungsprojekt „VALiD – Visual Analytics in Data-Driven Journalism“ analysierte und entwickelte Methoden für den Datenjournalismus und zur Datenvisualisierung, die Journalistinnen und Journalisten unterstützen sollen. Als Ergebnis des mehrjährigen Projekts entstand ein Handbuch für Journalistinnen, Journalisten und alle Interessierten. Es beschreibt Arbeitsabläufe im Datenjournalismus und stellt Ausbildungen zum Thema sowie Tools für die Praxis vor. Das Projektteam hat auch ein eigenes Open-Source-Analysetool namens „Netflower“ entwickelt, mit dem dynamische Netzwerkdaten wie beispielsweise Geldflüsse zwischen Organisationen oder Migrations bewegungen zwischen Ländern einfach visualisiert werden können. Das Forschungsprojekt „VALiD – Visual Analytics in Data-Driven Journalism“ wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) über das Förderprogramm „IKT der Zukunft“ der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG finanziert (Projekt 845598). Partner im Projekt waren die Universität Wien (Department of Computer Science, Visualization and Data Analysis research group), die Landsiedl, Popper OG – drahtwarenhandlung film & animation und die FH JOANNEUM (Institut für Journalismus und Public Relations).
www.validproject.at
In der Forschung setzt die FH St. Pölten vor allem mit ihren beiden Schwerpunkten „Cyber Security & IT Security“ sowie „Data Analytics & Visual Computing“ Akzente und baut mit Kooperationspartnerinnen und -partnern Know-how und Ressourcen für eine digitale Gesellschaft aus. Die FH St. Pölten beteiligt sich etwa federführend an Digital Innovation Hubs, die Unternehmen bei der digitalen Transforma tion unterstützen, oder startet derzeit zwei neue Forschungszentren zum Thema Blockchain (siehe S. 9). Basierend auf der Blockchain-Tech nologie entstanden in den letzten Jahrzehnten Fortsetzung auf Seite 18
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unzählige Anwendungen etwa zur Absicherung von Datenbanken und Serversystemen. Bekannt ist diese Datensatz-Technik vor allem, weil mit ihr Kryptowährungen generiert werden. Doch für die Wirtschaft bietet sie auch andere praktische Anwendungen. „Durch ihre hohe Fälschungssicherheit ermöglicht die Technik den Entwurf stark dezentraler Systeme, bei denen die teilnehmenden Partnerinnen und Partner einander nicht unbedingt vertrauen. Dezentral bedeutet, dass Daten über viele Computer verteilt sind und von niemandem zentral verwaltet werden“, erklärt Peter Kiese berg, Leiter des Instituts für IT Sicherheitsfor schung an der FH St. Pölten sowie des hier ebenfalls angesiedelten Josef Ressel Zentrums, zum Thema Blockchain. „Blockchains sind Strukturen zur Daten speicherung, die es ermöglichen, Daten quasi fälschungssicher abzulegen: Mit modernen kryptografischen Verfahren werden Datenblöcke so verbunden, dass jede nachträgliche Ände rung erkannt werden kann“, erklärt Franz Fidler, stellvertretender Leiter des Departments Medien und Digitale Technologien an der
Linktipps Wissenschaftsjahr 2019 des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Schwerpunkt künstliche Intelligenz www.wissenschaftsjahr.de/2019 Data Intelligence Offensive Verein zur Förderung der Datenwirtschaft und der Optimierung von Datentechnologien https://dataintelligence.at FlipFeed Mit der Chrome-Browser-Extension können TwitterNutzerinnen und -Nutzer den eigenen Feed durch den anderer NutzerInnen tauschen – und damit ihre eigene Filterblase vorübergehend durch eine andere ersetzen. www.media.mit.edu/projects/flipfeed/overview
FH St. Pölten, das am Austrian Blockchain Center ABC beteiligt ist. „Jeder neue Datensatz (Block) in der Datenkette (Chain) enthält einen kryptografisch sicheren ‚Fingerabdruck‘ (Hash) des vorhergehenden Blocks, einen Zeitstempel und Transaktionsdaten. Nachträgliche Verände rungen alter Datensätze in der Kette werden so für alle sichtbar, weil der ‚Fingerabdruck‘ der Daten nicht mehr stimmt.“
Der Schutz von IT-Infrastrukturen und sensiblen Daten stellt Unternehmen jeden Tag vor neue technische und organisatorische Herausforderungen. FH-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Sebastian Schrittwieser, Bakk., Leiter Josef Ressel Zentrum für konsolidierte Erkennung gezielter Angriffe
SICHERE DATEN UND VERNETZTE DINGE Auch das Institut für IT Sicherheitsforschung der FH St. Pölten beschäftigt sich mit einem Thema, das untrennbar mit dem Nutzen und Einsatz von Daten verbunden ist. „IT ist heute in den meisten Unternehmen eng mit dem Geschäftserfolg verknüpft und damit ist IT-Sicherheit ein geschäftsrelevanter Aspekt geworden. Der Schutz von IT-Infrastrukturen und sensiblen Daten stellt Unternehmen jeden Tag vor neue technische und organisatorische Herausforderungen“, sagt Sebastian Schritt wieser, Leiter des Instituts sowie des Josef Ressel Zentrums für konsolidierte Erkennung gezielter Angriffe (TARGET) an der FH St. Pölten. Im Alltag betrifft die IT-Sicherheit Menschen zunehmend durch das Internet der Dinge, also durch Geräte, die mit dem Internet verbunden sind: vom Fernseher über den selbst nach bestellenden Kühlschrank bis zur Smartwatch. Diese Geräte sammeln immer mehr Daten: „Sinkende Preise bei den Sensoren der Daten erfassung und -speicherung treiben die Ver netzung intelligenter Geräte immer schneller voran“, erklärt Aigner. Umkehrbar scheint dieser Trend zu Big Data jedenfalls nicht. „Daten sind einfach die Zukunft. Gesellschaften wollen immer innovativer werden – mit Daten geht das“, sagt Temper.
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Internet of Things und künstliche Intelligenz im Alltag: große Chance oder Gefahr?
Künstliche Intelligenz wird als neue Universaltechnologie gehandelt, die so wie der elektrische Strom oder das Internet alle Bereiche unseres Lebens verändern wird. Damit diese Veränderungen für die Menschen positiv sind, bedarf es aber noch einiger Anstrengung! Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, aber auch die Zivilgesellschaft sind gefordert, eine menschenzentrierte KITechnologie durch eine verantwortungsvolle Entwicklung, Regulierung und Nutzung sicherzustellen. Univ.-Prof. Dr. Sabine Theresia Köszegi ist Professorin für Arbeitswissenschaft und Organisation am Institut für Managementwissenschaften der TU Wien, Vorsitzende des Österreichischen Rats für Robotik und künstliche Intelligenz und Mitglied der High Level Expert Group für künstliche Intelligenz der Europäischen Kommission.
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Die Frage nach Chance oder Gefahr stellt sich für mich erst gar nicht! Die Digitalisierung ist ein globales Ereignis. Der Prozess hin zum vernetzten Alltag ist bereits angestoßen, in vollem Gange und quasi irreversibel. Dement sprechend sollten wir unsere Energien für die Ausnutzung der einher gehenden Chancen aufwenden, da sich die prophezeiten Gefahren schon allein durch das globale Ausmaß der Entwicklungen weder politisch noch gesellschaftlich abwenden lassen. Dipl.-Ing. Fabian Platzer hat an der FH St. Pölten das Masterstudium Bahntechnologie und Management von Bahnsystemen studiert und seine Diplomarbeit zum Thema „B³ – BIM, Bau, Bahn. Die Digitalisierung der Bauindustrie und deren Auswirkungen auf die Bahnbranche“ geschrieben. Er arbeitet im Innsbrucker Ingenieurbüro „IKV Beratende Ingenieure“.
Das Internet der Dinge ist ja schon längst ubiquitär. Jeder von uns trägt es in der Jackentasche als Smartphone mit sich herum, womit neben Sensoren und Aktoren auch über das Internet verbunden unendlich viel Rechenkapazität bereitsteht. Ich persönlich kann mir gut vorstellen, dass künstliche Intelligenz an einem Punkt anlangt, wo sie unvorhersehbare Entscheidungen trifft – und auch autonom umsetzt –, die aus der eigenen Ratio als beste Wahl erscheinen, aus Sicht von Ethik und Moral jedoch falsch sind. Dann bitte Reset-Knopf drücken oder ausstecken. DI (FH) Thomas Tritremmel ist Mitgründer und Geschäftsführer des Unternehmens TeDaLoS, das auf IoT-Lösungen mittels mobiler Sensorik in Lager und Warenwirtschaft spezialisiert ist. Die Firma und die FH St. Pölten sind Partnerinnen in Forschungsprojekten.
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„MIT KI SUCHT DER ANWALT NUR HALB SO LANGE“ Legal Technology: Tassilo Pellegrini von der FH St. Pölten und Christian Dirschl von Wolters Kluwer im „future“-Gespräch über Roboter-Anwälte und den Nutzen künstlicher Intelligenz im Rechtswesen. V O N
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Bei Digitalisierung und Big Data denkt man nicht als Erstes an das Rechtswesen. Was tut sich hinsichtlich Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsprozessen in der Branche? Dirschl: Der Rechtsmarkt ist definitiv nicht der Vorreiter in der Digitalisierung. Anwälte und Rechtsprofis leben davon, ihre Expertise und den Aufwand für eine Tätigkeit zu verrechnen. Je erfahrener die Person, desto besser der Stundensatz. Daran hat sich zwar nichts geändert, allerdings entsteht Druck von zwei Seiten: Zum einen ist die Masse der Daten in großen Fällen manuell oft nicht mehr bewältig bar. Zum anderen macht auch der Kunde Druck, weil er beim Erstgespräch nicht mehr 500 Euro bezahlen will, ohne eine adäquate Gegenleis tung wahrnehmen zu können.
Christian Dirschl ist Chief Content Architect im Innovation & UX Team bei der Wolters Kluwer Deutschland GmbH.
Pellegrini: Mit der Entwicklung elaborierter technischer Systeme wie der künstlichen Intelligenz wird es möglich, Wissen von Expertinnen und Experten auch maschinell zu repräsentieren. Hinzu kommt, dass sich Rechtsberufe immer mehr ausdifferenzieren. Paralegals, Personen ohne formaljuristische Ausbildung, nehmen eine Vermittlerrolle zwischen dem Verbraucher oder der Verbrauche rin und den ursprünglichen Legal Experts ein und verlangen nach IT-Anwendungen, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen. Dieser Exklusivi tätsverlust beim Wissen durch die künstliche Intelligenz auf der einen und die neuen Berufs bilder auf der anderen Seite sind Treiber und Effekt der Digitalisierung im Rechtsbereich.
Legal Technology versucht juristische Arbeitsprozesse zu automatisieren. Was waren die Entwicklungsschritte hin zu Legal Tech 3.0? Pellegrini: Legal Tech 1.0 beinhaltet einfache Aktenverwaltungssysteme, Legal Tech 2.0 sind sogenannte Wiki-Systeme, durch die Akten kollaborativ kommentiert und editiert werden können. Legal Tech 3.0 beinhaltet ein Akten analysesystem, das auf Basis der inhaltlichen Analyse durch künstliche Intelligenz und Machine Learning über Informationen und Sachverhalte Auskunft gibt, die sich nicht unmittelbar erschließen. Dirschl: Ein Beispiel für Legal Tech 3.0 ist Predictive Analytics. Auf Basis abgeschlossener Prozesse werden Aussagen über zukünftige Gerichtsprozesse gemacht. So kann etwa die
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Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, mit der ein Richter oder eine Richterin zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten Sache entscheiden wird.
Tassilo Pellegrini ist Dozent am Department Medien und Wirtschaft der FH St. Pölten und leitet u. a. das Forschungsprojekt DALICC.
Was kann die Digitalisierung im Rechtswesen nicht leisten? Dirschl: Der „Robot-Lawyer“ wird in nächster Zeit nicht kommen. Die Informationsextraktion und Darbietung dient dazu, dass ein Mensch am Ende die Auswahl und Prioritätensetzung trifft. Es wird eher so sein, dass die technische Durchdringung der Gesellschaft zu einer intensiveren Nutzung von Rechtsinformation führt. Da werden Werkzeuge geschaffen, um diese Komplexität ein Stück weit abzufedern. Pellegrini: Ich glaube nicht, dass die Technologie den Legal Expert ersetzen wird. Nicht weil die Technologie nicht dasselbe Abstraktionsniveau oder dieselbe analytische Präzision an den Tag legen kann. Es geht zum einen um Vertrauen, zum anderen um gesetzliche Bestimmungen: So vertraue ich bei einer Rechtsberatung tendenziell eher einem menschlichen Experten als einer Maschine. Oftmals gibt es gesetzliche Bestim mungen, die einen menschlichen Experten bei der Abwicklung von Rechtsgeschäften einfor dern, wie etwa einen Notar beim Hauskauf. Die juristische Entscheidung darf in diesem Kontext nicht von einer Maschine kommen.
Der „Robot Lawyer“ wird in nächster Zeit nicht kommen. Christian Dirschl, Chief Content Architect im Innovation & UX Team bei der Wolters Kluwer Deutschland GmbH
Welches Potenzial sehen Sie in der verstärkten Nutzung von Daten im Rechtswesen? Dirschl: Generell geht man davon aus, dass ein Anwalt ungefähr 30 Prozent seiner Zeit mit Suchen verbringt. Wir sagen, dass es mit bestimmten KI-Technologien kein Problem sein sollte, das zu halbieren. Das bedeutet eine enorm hohe Effizienzsteigerung.
Pellegrini: Ein plakatives Beispiel kann ich aus meinem Forschungsprojekt DALICC (Data Licenses Clearing Center) berichten. Es handelt sich um eine künstliche Intelligenz, die unterschiedlichste Verfahren nutzt, um den schwierigen Prozess der Rechteklärung bei Lizenzen zu vereinfachen. Angenommen, es stellt sich heraus, dass ein Unternehmen in einem Softwareprojekt 30 verschiedene Lizenzen nutzt. Der Arbeitsaufwand für ein Rechtsan waltsbüro liegt bei drei Tagen: Zusammentra gen der Lizenzen, die Analyse der Lizenzen und die Erstellung eines Gutachtens. DALICC erledigt dieselbe Arbeit in drei Minuten. Anhand dieses Werts sehen wir schon, wie disruptiv der Einsatz eines funktionierenden Systems in diesem Kontext sein kann. Für den Rechtsdienstleister wäre das eine unglaubliche Produktivitätssteigerung. Für den Nachfrager bedeutet es im Idealfall eine massive Senkung der Kosten durch die Anwendung.
Welcher Bereich im Rechtswesen wird am stärksten betroffen sein? Pellegrini: Es wäre nicht seriös zu beantworten, welcher Bereich „the next big thing“ sein wird. Wir werden aber immer leistungsfähigere Spezialanwendungen sehen, die dann mit der Zeit immer stärker zusammenwachsen. Das wird die Rechtsbranche in den kommenden zehn bis 15 Jahren ähnlich massiv verändern, wie etwa die autonome Mobilität den Personenund Güterverkehr. Dirschl: Ich denke auch, dass der Trend von den Massenanwendungen kommen wird. Weil Algorithmen immer präziser werden und auch die Anbieter dazulernen, werden in nächster Zeit immer größere Bereiche des Wissens und der spezifischen Rechtsinformation abgedeckt werden.
Weiterführende Infos: research.fhstp.ac.at/dalicc wolterskluwer.de
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22 „Exergames“: Bewegungsund Ganganalysen als Basis maßgeschneiderter Reha-Programme
analyse für Physiotherapeutinnen und -thera peuten und eine intelligente Schuhsohle, die Gangstörungen hörbar macht.
SO MACHT UNS DIE IT GESUND Von intelligenten Schuhsohlen bis zu „Exergames“: Im Center for Digital Health Innovation macht die FH St. Pölten die Informations- und Kommunikationstechnologie für das Gesundheitswesen fruchtbar. V O N
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Rehabilitation, Bewegungsanalyse, Visual Analytics, Machine Learning und Augmented und Virtual Reality (AR/VR): Im Center for Digital Health Innovation (CDHI) forschen Expertinnen und Experten aus Gesundheits berufen und der Technik an digitalen Innovatio nen für das Gesundheitswesen. „Wir vereinen dort unsere vielfältigen Kompetenzen und nutzen diese interdisziplinär“, erklärt Brian Horsak, Senior Researcher am Institut für Gesundheitswissenschaften der FH St. Pölten. Eine Vorreiterrolle im Bereich der Gang- und Bewegungsanalyse nimmt das „ReMoCap-Lab“ (Laboratory for Capturing Motion and Augmen ting Environment in Motor Rehabilitation) ein. In mehreren Forschungsprojekten untersuchten ForscherInnen etwa intelligente Gangmuster analysen für das Erkennen von Gangstörungen, entwickelten eine Lernsoftware zur Gang
MITTELS „EXERGAMES“ ZUM THERAPIEZIEL Ausgehend von Frage- und Problemstellungen, die sich aus der Gang- und Bewegungsrehabilita tion ergeben, sucht die FH St. Pölten mittels Machine Learning, AR/VR sowie Visual Analytics nach Lösungen. Die Erkenntnisse aus den Bewegungs- und Ganganalysen werden für Entwicklungen im therapeutischen Bereich genutzt. Ein Beispiel dafür ist die Umsetzung von Rehabilitationsprogrammen mittels sogenannter „Exergames“: „Aus den gewonnenen Daten werden spielerische Virtual-Reality-Anwendungen programmiert. Die Bewegungen des Patienten werden dort zeitgleich von einem Bewegungs analysesystem ausgewertet, um Feedback und Korrekturen beim Durchführen der Übungspro gramme zu geben“, erklärt Horsak. DAS BLACK-BOX-PROBLEM DER KI Seit die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft getreten ist, müssen Entscheidungen, die ein Algorithmus trifft, in ihren Einzelschrit ten nachvollziehbar sein. Das stellt vor allem den Bereich der künstlichen Intelligenz vor Probleme. Denn hier überwiegen Methoden, die einen „Black-Box-Charakter“ aufweisen: Der Mensch kann nicht nachprüfen, warum ein Algorithmus zu einer bestimmten Entscheidung kommt. Diese fehlende „Explainability“ ist eine große Herausforderung für Forscher und Entwickler. „Algorithmen aus der künstlichen Intelligenz bedienen sich ähnlicher Strukturen, wie sie in unserem Gehirn zu finden sind, zum Beispiel neuronaler Netze. Dieses Wissen rund um Explainability wenden wir momentan verstärkt in der Gang- und Bewegungsanalyse an und nehmen damit eine Vorreiterrolle in der For schungscommunity ein“, betont Horsak.
Brian Horsak, Senior Researcher am Institut für Gesundheits wissenschaften
Ihre Meinung
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Wie gehen Sie mit Ihren Daten um? „future“ hat bei einer Absolventin, einem Lektor und der Datenschutzkoordinatorin der FH St. Pölten nachgefragt, wie sehr sie der Schutz ihrer persönlichen Daten beschäftigt, wie sie ihre Daten schützen und wie leichtfertig sie (manchmal) damit umgehen.
Beschäftigung mit Daten: Beruflich bin ich sehr damit beschäftigt und kann nicht vermeiden, dass ich dies ins Privatleben mitnehme. Ich bin eine der wenigen, die Datenschutzerklärungen bewusst lesen. Schutz der eigenen Daten: Auf Formularen gebe ich nur die notwendigen Daten an und achte darauf, dass ich nicht zustimme, dass meine Daten für Marketingzwecke genutzt werden. Wenn ich Daten online eingebe, achte ich auf eine sichere Verbindung. (Freizügiger) Umgang mit eigenen Daten: Ich nutze WhatsApp und Facebook. Über Facebook poste ich selten Beiträge, und nur Freunde können diese lesen. Bei WhatsApp ist mir klar, dass die Daten auf einem ausländischen Server gespeichert werden und somit das Risiko besteht, dass diese von Dritten gelesen werden. Mag. Kathrin Kogler arbeitet als Juristin in der Abteilung Personal und Recht an der FH St. Pölten und ist deren Datenschutzkoordinatorin.
Beschäftigung mit Daten: Für meine Firma beschäftige ich mich oft mit dem Schutz von Kundendaten. Privat limitiere ich, was ich auf Social Media platziere. Mitgliedschaften und Kundenkarten lehne ich meist ab. Schutz der eigenen Daten: Ich nutze temporäre E-MailAdressen für Online-Anmeldungen und versuche, immer nur Pflichtfelder auszufüllen. Meine Privatdaten speichere ich nur auf meinem Privatrechner, Daten in der Cloud nur verschlüsselt. Ich versuche wenig interessante Sachen online zu stellen. Das nennt man „Security by Obscurity“. (Freizügiger) Umgang mit eigenen Daten: Manchmal geht es nicht anders: Meine Telefonnummer und E-Mail-Adresse liegen bei vielen Firmen und Websites. Ich teile Name und Foto für dieses Interview. Ich sollte meinen Facebook-Account löschen, wenn ich Sachen aus meiner Studentenzeit nicht offenlegen möchte. Ich sollte das auch nicht in diesem Interview erwähnen. Aber man will ja auch leben. Thomas Delissen, MSc ist Experte für Artificial Intelligence bei Capgemini Consulting Österreich und FH-Lektor im Studiengang Data Science and Business Analytics der FH St. Pölten.
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Beschäftigung mit Daten und (freizügiger) Umgang: Früher ging ich mit meinen Daten sehr freizügig um, gab meine E-Mail-Adresse oft an, ohne nachzudenken, wie diese genutzt wird und was mit meinen Daten danach geschieht. Erst mit Inkrafttreten der DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) und der darauffolgenden Herstellung der DSGVO-Konformität unserer Agentur DDM erlangte ich ein Bewusstsein über den tatsächlichen Wert meiner persönlichen Daten. Seitdem lege ich großen Wert darauf, meine Daten und die unserer Kundinnen und Kunden zu schützen. Schutz der eigenen Daten: Für die Nutzung eines Services gebe ich lediglich jene Daten preis, die absolut notwendig sind. Beachten Unternehmen simple Vorschriften der DSGVO nicht, haben keine Datenschutzerklärung auf der Website etc., so bin ich auch bei der Weitergabe von Daten an diese eher skeptisch. Anna Steinacher, BA hat an der FH St. Pölten Media- und Kommunikationsberatung studiert und studiert derzeit hier Medienmanagement. Sie war Mitgründerin des Travel-Tech-Start-ups insight.trips und ist derzeit Gesellschafterin der BrandingAgentur DDM.
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SOZIALE ARBEIT IN DIGITALEN LEBENSWELTEN Im Projekt „Soziale Arbeit 4.0“ untersuchen Studierende, was Big Data und Algorithmen für die Sozialwirtschaft bedeuten. Ein Blog fasst die Ergebnisse zusammen. Die Digitalisierung betrifft nahezu alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft. Damit einher gehen nicht nur grundlegende Veränderungen in der wirtschaftlichen Wertschöpfung, auch alltägliche Lebens- und Arbeitsweisen wandeln sich. Soziologisch gesehen entstehen zunehmend digitale Lebenswelten. Das Forschungsfeld der Sozialen Arbeit hat diese Aspekte bisher aber nur punktuell untersucht. Um dies zu ändern, beschäftigen sich Studierende der Sozialen Arbeit an der FH St. Pölten im Projekt „Soziale Arbeit 4.0“ mit gesellschaftlichen, politischen und ethischen Fragestellungen, die sich durch eine digitalisierte Welt ergeben. Algorithmen und Big Data sind keine reinen Begriffe der Informatik, sondern gehören bereits zur Grundarchitektur
von Gesellschaften. Das Projekt setzt sich mit grundsätzlichen Fragen im Feld der Sozialen Arbeit in Bezug auf Themen wie Gerechtigkeit und Partizipation auseinander und leistet einen Forschungsbeitrag dazu, inwieweit die Sozialwirtschaft mit dem Thema Digitalisierung verbunden ist und in welcher Weise die Digitalisierung Einfluss auf die Entwicklung der Sozialen Arbeit hat bzw. haben sollte. Ihre Ergebnisse fassen die Studierenden in einem Blog zusammen. Forschungsprojekt und Blog: www.fhstp.ac.at/sozialearbeit40
BESSERER ÜBERBLICK IM LAGER Mit „Stoctopus“ haben Studierende in der Masterklasse Industrie 4.0 ein intelligentes Lagerverwaltungs-Tool entwickelt. Die Studierenden Lukas Bachschwell, Lionel Koller, Mathias Mayrhofer und Maria Mußner aus dem Master Studiengang Interactive Technologies erstellten in der Masterklasse Industrie 4.0 ein Lagerverwaltungs-Tool für kleine bis mittelgroße Unternehmen. Die Plattform mit dem Namen „Stoctopus“ liefert Daten über die Anzahl der Produkte im Lager und vereinfacht das Nachbestellen. Das Programm kann auf Browsern oder als App in iOS und Android genutzt werden: Wenn ein Unternehmen eine Lieferung erhält, wird der Barcode der Produkte mit einem Smartphone oder Laptop gescannt. Ebenso bei Verarbeitungsschritten oder beim Verkauf. Grafisch dargestellt wird der Bestand mit „Waterbubbles“, Punkten in verschiedenen Farben. Die „Waterbubbles“ befinden sich zunächst am unteren Rand der Übersichtsgrafik und steigen,
je weniger Produkte vorhanden sind, weiter nach oben und verändern dabei ihre Farbe. Dadurch kann einfach ermittelt werden, wie viele Materialien benötigt wurden und wie viele man nachbestellen muss. Zudem nutzt das System sogenannte RFIDSender-Empfänger, um Produkte und Werkstücke in der Firma zu orten.
Blick von außen
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Daten für mehr Demokratie Der Chaos Computer Club ist weltweit eine der größten Hackervereinigungen. Wir wollen dabei nicht nur Spaß mit unseren Geräten haben, wir stehen auch für den verantwortungsbewussten Umgang mit Daten. Denn wir sind überzeugt: Wer in unserer postindustriellen Welt die Daten beherrscht, hat auch die Macht.
Der Chaos Computer Club Wien ist Teil des internationalen Netzwerks des Chaos Computer Club, der 1981 in Hamburg gegründet wurde und heute rund 8.000 Mitglieder zählt: https://c3w.at https://ccc.de Es gibt auch noch andere NGOs, die in Österreich für Datenschutz und Datensicherheit eintreten: https://epicenter.works/ https://digisociety.at/ https://noyb.eu/ Mehr Info zu netzpolitischen Themen findet man auch hier: https://netzpolitik.org/
In einem demokratischen Land ist Macht demokratisch legitimiert und muss daher auch demokratisch kontrollierbar sein. Daher treten wir dafür ein, dass überall, wo Daten gesammelt, gespeichert und verarbeitet werden, klar, transparent und für alle nachvollziehbar ersichtlich ist, was genau gesammelt wird, wie und wie lange die Daten gespeichert sind, wer darauf zugreifen kann und wie und zu welchem Zweck die Daten verarbeitet werden. Schon jetzt hat uns die digitale Revolution eine fast unüberschaubare Datenflut gebracht. Das sich immer mehr ausbreitende Internet of Things (IoT) wird diese Datenflut noch einmal vervielfachen. Wenn wir als demokratische Gesellschaft die Kontrolle darüber verlieren, werden wir die demokratische Kontrolle über unseren Staat verlieren. Wir setzen uns daher für einen offenen Diskurs über den Umgang mit Daten in unserer Gesellschaft ein. Wir müssen öffentlich und mit allen Betroffenen und Beteiligten darüber reden, wann und wozu welche Daten gesammelt werden dürfen – respektive wer wann was mit diesen Daten machen soll und darf. Und was nicht. Wenn das nicht geschieht – und zwar zeitnah, denn die Entwicklung geht schneller voran, als uns lieb sein kann –, ist unsere Demokratie in reeller Gefahr. André Igler, CCC Wien
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Zu Ga st in …
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Wow-Erlebnisse in Singapur: InteractiveTechnologies-Studentin Huang Chen
SUMMER SCHOOL IN DER OASE DER ORDNUNG Als erste Studentin der FH St. Pölten besuchte Huang Chen die Summer School der Nanyang Technological University in Singapur. V O N
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Sauber, futuristisch und effizient. So beschreibt Huang Chen, Interactive-Technologies-Studentin an der FH St. Pölten, den asiatischen Stadtstaat Singapur. „Es war von Tag eins an ein Wow- Gefühl: Alleine der Campus war beeindruckend groß, eine eigene Stadt in der Stadt“, erzählt die 23-Jährige. 24 Wohnheime, Swimmingpools und Tennisplätze, ein eigener Shuttleservice für den Campus und unzählige Möglichkeiten, sich zu verpflegen. „Am Anfang war es gar nicht so leicht, sich hier zurechtzufinden. Während des Semesters studieren hier um die 33.000 Studen
tinnen und Studenten, während des Sommers war es natürlich deutlich ruhiger.“ FEILEN AN DEN SOFT SKILLS Einen Monat lang besuchte Chen die „GEM TRAILBLAZER Summer School“ der Nanyang Technological University (NTU). Dank der Partnerschaft zwischen der FH St. Pölten und der NTU entfielen dabei sämtliche Kurskosten für die Studentin. Als Ergänzung zum techni schen Masterstudium Interactive Technologies besuchte sie die Kurse „Entrepreneurship &
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Marketing for New Ventures“ und „Communica tion Management Strategies“. Neben den Inhalten selbst stand dabei auch die Arbeit an ihren Soft Skills im Vordergrund: „Die Professorinnen und Professoren haben extrem viel Wert auf aktive Mitarbeit gelegt und betont, dass wir jede Gelegenheit zum Networking nutzen sollen.“ Die TeilnehmerInnen der Summer School kamen aus aller Welt – eine Gelegenheit zum Netzwerken und Sich-vertraut- Machen mit unterschiedlichen kulturellen Gepflogenheiten. „In einer internationalen Arbeitswelt ist es wichtig, auf Unterschiede eingehen zu können. Gerade im asiatischen Raum darf man im Umgang mit anderen Menschen nicht so direkt sein, wie es beispiels weise in Europa der Fall ist.“ AUGMENTED UND VIRTUAL REALITY ALS LEIDENSCHAFT Im Ausland zu arbeiten, gerade auch im asiatischen Raum, reizt Chen sehr: „Ich möchte zwar nicht dauerhaft im Ausland leben, aber projektbasiert in einem anderen Land tätig zu sein, würde mich sehr interessieren.“ Gerade in Singapur wird viel Geld in die Gestaltung von öffentlichen Plätzen, in Projektionen und Lichtshows investiert. Deutlich mehr finan zielle Mittel fließen auch in die Umsetzung von Augmented Reality und Virtual Reality – das Fachgebiet von Huang Chen. Bereits im Bache lorstudium Medientechnik an der FH St. Pölten hat sie sich auf den Bereich Medieninformatik spezialisiert. „ECHTE WELT MIT DIGITALEN MITTELN ERWEITERN“ Gemeinsam mit Christian Jandl, Junior Researcher am Institut für Creative\Media/ Technologies der FH St. Pölten, hat Huang Chen ein Projekt zur virtuellen Planung von Häusern umgesetzt: Darin kann man diese durchwan dern, Böden und Oberflächenmaterialien und -farben beliebig planen und sich von einem Raum zum anderen beamen lassen. Das Projekt „MC Cube VR“ wurde von der Österreichischen · November 2019
Forschungsförderungsgesellschaft FFG ge fördert. Die Verbindung von Augmented und Virtual Reality mit der greifbaren Welt fas ziniert Chen: „Die echte Welt mit digitalen Hilfsmitteln zu erweitern ist spannend. Dazu kommt, dass man mit vielen verschiedenen Bereichen in Berührung kommt: Architektur, Tourismus, Bildung.“ ZIEL: UNTERNEHMENSGRÜNDUNG Neben dem Studium arbeitet Chen beim Bauunternehmen Swietelsky im Bereich der Entwicklung von AR- und VR-Applikationen. Wie es nach dem Studienabschluss kommendes Jahr genau weitergeht, weiß sie noch nicht. Eine Option wäre, ein eigenes Unternehmen zu gründen: „Mein Vater und meine Mutter sind selbstständig. Da konnte ich mitverfolgen, wie bereichernd es sein kann, als Unternehmerin tätig zu sein.“
„Alleine der Campus war beeindruckend groß, eine eigene Stadt in der Stadt“ (oben); Huang Chen mit TeilnehmerInnen der „GEM TRAILBLAZER Summer School“ an der NTU Singapur
Nanyang Technological University Die Universität gilt als eine der führenden im asiatischen Raum. Neben Ingenieurs wissenschaften, Naturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften bietet sie eine Ausbildung in den Bereichen Medizin, Geistes wissenschaft, Kunst und Pädagogik an.
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Wissenschaft für neugierige Teenager
Ein Camp für Zukunftsideen Future Tech Bootcamp. Die FH St. Pölten war Mitorganisatorin und Austragungsort des ersten österreichischen „Future Tech Bootcamp“. Kreative „Makers“ und VertreterInnen aus der Industrie entwickelten in diesem experimentellen Format gemeinsam Ideen und Projekte rund um das Internet of Things (IoT), künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain. Beim öffentlichen Future Tech Forum konnten sich Interessierte mit den Bootcamp-Teilnehmerinnen und -teilnehmern austauschen und sich über niederösterreichische Start-upInitiativen und das Haus der Digitalisierung informieren. Organisiert wurde das Future Tech Bootcamp von Industry Meets Makers und der FH St. Pölten in Kooperation mit der St. Pöltener Start-up-Initiative SMARTUP, der Industriellenvereinigung Niederösterreich und weiteren Partnerinnen und Partnern.
Science Academy Niederösterreich. Die FH St. Pölten beteiligt sich an der Science Academy Niederösterreich. Sie bietet in außerschulischen Lehrgängen Jugendlichen ab 14 Jahren die Möglichkeit, sich mit wissenschaft lichen Themen zu beschäftigen, und ist eine Plattform zur per sönlichen Weiterentwicklung und zum Austausch. Bei der Auftakt veranstaltung im St. Pöltener Regierungsviertel eröffnete Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die Academy in Anwesenheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ihrer Familien und der Lehrgangs leiterinnen und Lehrgangsleiter.
Welt der Megatrends Fördervereinsvortrag. Ende September lud der Förderverein der FH St. Pölten zu einem Vortrag mit Trendforscherin, Beraterin und Autorin Oona Horx-Strathern, CEO des Zukunftsinstitut Horx. Sie entführte die ZuhörerInnen in die Welt der Megatrends und warf einen Blick in das Leben in der Zukunft – etwa mit Robotern und smartem Wohnen.
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Grundstein für Campus St. Pölten Campus St. Pölten. Zahlreiche Ehrengäste feierten im August die Grundsteinlegung für den neuen Campus St. Pölten. Unter ihnen: der St. Pöltener Bürgermeister Matthias Stadler, Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, FH-Geschäftsführer Gernot Kohl, Elmar Pichl, Sektionschef im Bildungsministerium (BMBWF), Silvia Weigl, Geschäftsführerin der Bertha von Suttner Privatuniversität, FH-Kollegiums leiterin Monika Vyslouzil, Peter Hackl-Lehner (ÖH), Sascha Bradic (NMPB Architekten), Patrick Ritz (Granit GmbH), Manfred Simmet (Caverion GmbH) und Martin Medek (Ingenos Gobiet GmbH).
Ein Fest, eine Nacht, viel Forschung Forschungsfest NÖ und European Researchers’ Night. Ende Sep tember stellten ForscherInnen der FH St. Pölten ihre Arbeiten bei zwei großen Veranstaltungen in Wien vor: dem Forschungsfest Niederösterreich im Palais Niederösterreich und der European Researchers’ Night an der Universität für angewandte Kunst. Sie boten einen Einblick in aktuelle Forschung zu Medien, Medientechnik, IT-Security, Gesundheit und Sozialem. · November 2019
Fühlende Prothesen Forschungskooperation. Die Firma Saphenus Medical Technology ent wickelt eine fühlende Beinprothese. Dafür muss Wissen aus den Bereichen Medizin, Physiotherapie, Sensortechnik und Mechanik kombiniert werden. Saphenus, die Allgemeine Unfall versicherungsanstalt (AUVA) und die FH St. Pölten haben eine Interessenbekundung für die Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung in der motorischen Rehabilitation und dem Nutzbarmachen innovativer Technologien abgeschlossen.
St . Pö lt e n und die We lt
30 Helmut Kammerzelt, Lalit Johri, Anita Bruckschlögl, Josef Bruckschlögl and Christian Kieslinger at the presentation of “Kindness in Leadership” (from left to right).
KINDNESS AS THE KEY TO CORPORATE SUCCESS At the invitation of the “Society for the Promotion of the St. Pölten UAS” Professor Lalit Johri presented his latest book “Kindness in Leadership”. In an interview with “future” he describes the importance of friendliness in the business world. B Y
J A K O B
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St. Pölten UAS: Kindness in leadership is rarely mentioned in the corporate world or in executive programmes. Why is that? Prof. Lalit Johri: First of all, kindness is embedded in the human character and kindness is an aspect of our conscience. You see the evidence of kindness in everyday life. But what has happened is that in the way the industrial revolution has evolved, the focus has shifted away from people and towards profit. In this journey of transition, from a people-focus to a profit-focus, we seem to have forgotten many fundamental aspects of what good leadership is.
Professor Lalit Johri is a Senior Fellow in International Business at Saïd Business School and Director of the Oxford Advanced Management and Leadership Programme. His areas of expertise include strategy and leadership in inter national businesses, alliances including public-private partnerships, public policy and institutional reforms and emerging markets.
For your book “Kindness in Leadership”, you and your co-authors Gay Haskins and Michael Thomas conducted extensive research. What were your findings? We started our work on the book in 2017 and had a look at about 200 different companies. Only in the case of two, we found the explicit mention of the word kindness. That was pretty intriguing: why do corporate templates, policies, value and vision statements never mention kindness? When we dug deeper, we realised that although the word kindness was not mentioned in the corporate documents, it was definitely practised by the leaders.
What does kind leadership entail? Our research has identified nine behavioural manifestations of kindness, ranging from being respectful to being a good listener. We also identified certain barriers in terms of incorpo rating kindness in leadership. For example, kindness is often seen as a weakness on the part of the leader, rather than a strength. Even more so, it is very important to look at kindness in leadership in relation to the performance of the company.
What is the main benefit of incorporating kindness into leadership? We have discovered that acts of kindness create a cycle. When you are respectful, which is an act of kindness, it creates trust within people. Trust will promote collaboration and collaboration will encourage inclusive decision-making. Inclusive decision-making will involve multiple stake holders who trust each other. This will result in a superior performance of the organisations.
What is the most important piece of advice you can give aspiring leaders? People are the centre of success of a corporation. If you focus on the people, if you create a culture of kindness that leads to trust, you will be successful. Money is not at the centre of success of a corporation, technology is not at the centre of success of a corporation. It is the people.
A uch da st e c k t
dr in
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· November 2019
Bis Herbst 2021 wird die Fachhochschule St. Pölten zum Campus St. Pölten erweitert. Im Verbund mit dem bestehenden Gebäude entsteht ein moderner Vorzeigecampus für die Hochschule der Zukunft. Am 26. August 2019 fand die Grundsteinlegungsfeier statt. Dem Grundstein wurde eine Zeitkapsel beigelegt, in der sich eine Urkunde sowie Glückwünsche der FH-MitarbeiterInnen und Feiergäste befinden.
„Die Digitalisierung ist ein globales Ereignis – und irreversibel.“ Seite 19
„Generell geht man davon aus, dass ein Anwalt ungefähr 30 Prozent seiner Zeit mit Suchen verbringt. Wir sagen, dass es mit bestimmten KI-Technologien kein Problem sein sollte, das zu halbieren.“ Seite 20
„Wenn wir als demokratische Gesellschaft die Kontrolle ü ber unsere Daten verlieren, werden wir die demokratische Kontrolle über unseren Staat verlieren.“ Seite 25
„Kindness is embedded in the human character. You see the evidence of kindness in everyday life. But what has happened is that in the way the industrial revolution has evolved, the focus has shifted away from people and towards profit.“ Seite 30
www.fhstp.ac.at