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» Der jüdische Witz in den Medien von Michael Haas

Schon mal etwas von einem „jiddischen Witz“ oder einem „jüdischen Cartoon“ gehört? SUMO ist dieser besonderen Erzählform des Witzes und der Frage: Gibt es einen Unterschied zwischen dem jiddischen und jüdischen Witz, nachgegangen und im Gespräch mit Soziologin und Kulturvermittlerin Kathrin Ruth Lauppert-Scholz und Verlegerin sowie Kinderbuchautorin Myriam Halberstam auf interessante Ergebnisse gestoßen.

Der Unterschied zwischen jüdisch und jiddisch liegt darin, dass Jiddisch eine Sprache ist. Diese Sprache setzt sich zum Großteil aus dem Althochdeutschen zusammen. Gesprochen wird sie je nach geografischer Lage leicht unterschiedlich. So klingt Jiddisch in England anders, als wenn es in Deutschland gesprochen wird, da man Wörter aus dem Alltäglichen in Englisch mit in die Sprachkultur des Jiddischen integriert. So kann man sich das auch im Jiddischen vorstellen. Besonders ist die Sprache aber deshalb, da sie mit hebräischen Buchstaben geschrieben wird. Bezogen auf die Witzkultur kann man sagen, dass es den „jiddischen Witz“ so nicht gibt, da es sich bei Jiddisch nur um eine Sprache handelt.

Wo es aber einen Unterschied in der kulturellen Auffassung gibt, ist der Unterschied zwischen „jüdischen Witz“ und „Judenwitz“. Ein „jüdischer Witz“ bezieht sich auf den Kulturkreis der Aschkenasim, die vor allem in Nord-, Mittel- und Osteuropa die größte ethnoreligiöse Gruppe im heutigen Judentum bilden. Der Judenwitz hingegen spiegelt eine antisemitische Haltung gegenüber der jüdischen Minderheit wider und hat mit dem kulturellen Sprachgebrauch der Juden/Jüdinnen und der jüdischen Religion nichts zu tun.

Die Merkmale eines jüdischen Witzes

Wenn man die jüdische Witzkultur mittels eines einzigen Wortes beschreiben müsste, dann würde „Selbstironie“ sie am besten treffen. Eine jüdische Witzkultur findet man schon im Mittelalter, wo es immer wieder Verordnungen und Regeln gab, die besagten, dass sich Juden nach außen hin durch Merkmale unterscheiden lassen müssen. So etwa trugen sie Armbinden oder „Judenhüte“, die wiederum nicht mit dem traditionellen und sehr ausladenden schwarzen Schtreimel (jüdische Kopfbedeckung) verwechselt werden darf, der unterschiedliche Erscheinungsformen haben kann und innerkulturell ein Merkmal der traditionellen Herkunft der chassidischen Juden/Jüdinnen ist. Juden/Jüdinnen lachten über Juden/ Jüdinnen, und das kann man wohl als Selbstironie verstehen. Sie fiel leichter, wenn es andere Juden/Jüdinnen waren, über die man lachte.

Die jüdische Witzkultur wird aber auch als psychologische Überwindungshilfe wahrgenommen, da der Humor sehr selbstkritisch ist und versucht, gewisse Situationen zu entschärfen und Erleichterung zu bringen, aufgrund dessen, da das Judentum von geschichtsträchtigen Ereignissen geprägt ist und eine Minderheit repräsentiert, die über 2.000 Jahre hinweg eine Geschichte der Verfolgung erlitten hat. Aufgrund der Minderheit, die das Judentum über die Jahrhunderte darstellte, litten ihre Angehörigen unter kontinuierlicher Ausgrenzung und Verfolgung. Unter diesen war der Holocaust der brutalste und opferreichste und somit hat das Judentum ein sehr prägendes Element, das einerseits die Diasporageschichte und andererseits die Opfergeschichte zu verarbeiten hat. Für die Verarbeitung dient auch der Effekt eines Witzes, um mithilfe des Humors die vergangenen und bestehenden Wunden zu heilen und prägende Ereignisse anderwärtig zu verarbeiten. So versucht er, das Machtverhältnis zwischen Täter und Opfer wieder auszugleichen, da er den Opfern wieder eine gewisse Macht zuspricht.

Dass dieser geschichtliche Hintergrund auch missbraucht werden kann, liegt somit auch auf der Hand und hat aber mit dem jüdischen Witz nichts zu tun. Dies ist auch der Grund, weshalb es oftmals der Fall ist, dass jüdische Witze nur gut vertretbar sind, wenn sie von Juden und Jüdinnen selbst erzählt werden. Der gleiche Witz kann, wenn er von einem Nichtjuden erzählt wird, sogar eine antisemitische Ausstrahlung haben, da ein Witz eine eigene Erzählform ist und durch die Auffassung und Verarbeitung der erzählenden Person geformt wird. Abgesehen davon, dass der gleiche Witz, wenn man ihn als Nichtjude einer Gruppe von Juden bzw. Jüdinnen erzählt, vom Inhalt her anderes erzählt werden würde und damit der Selbstironie des Judentums einmal mehr oder weniger entspricht. Abgesehen davon spricht man innerkulturell doch von einem tieferen Humor untereinander, wenn es um Witze geht, die beispielsweise an der Grenze zum Antisemitischen liegen, da man sich innerhalb der jüdischen Kultur versteht und schätzt.

Aus der „Witzkiste“ heraus

Als Beispiel für einen vertretbaren Witz, der in diesem Fall unter die Kategorie „psychologische Überwindungshilfe“ fällt, erzählt Lauppert-Scholz mir jene Geschichte: „Treffen sich zwei emigrierte Juden 1942 in London. Sagt der eine ganz empört, warum hängt in deinem Wohnzimmer ein Bild von Hitler? Jetzt bin ich erfolgreich in der Emigration und dann komme ich zu dir in einen jüdischen Haushalt und sehe das. Daraufhin meint der andere, ja ich weiß, es ist schrecklich, aber es hilft gegen Heimweh.“

Anders wiederum ist der nachfolgende „Witz“, auf den der Verfasser bei einer Recherche im Internet gestoßen ist, bei dem es um ein Größenverhältnis bei Juden geht. Zitat: „Wie groß war der größte Jude? – Vier Meter Stichflamme. Wie groß war der Kleinste?– Fünf Zentimeter Aschehaufen.“

Kathrin Ruth Lauppert-Scholz / Copyright: privat

Diese Metapher hat definitiv nichts mit der Selbstironie und dem eigentlichen Humor des Judentums und dessen Witzkultur zu tun. Hier handelt es sich klar um eine diskriminierende Aussage mit antisemitischem Hintergrund, die Bezug nimmt auf die Ermordung der Juden, diese in Lächerliche zieht und so den Holocaust verharmlost. In dieser Form findet er nur in rechtsradikalen Gruppen Verwendung. SUMO stellt hiermit klar, dass das Zitat rein zur Veranschaulichung dient und wendet sich von jener Aussage klar ab. Auch die Interviewten wurden mit diesem konfrontiert und wenden sich von solch einer Aussage ab.

Der schmale Grat zum Antisemitismus

Es stellt sich hier nun die Frage, ob es typische Merkmale gibt, woran man echte jüdische Witze, basierend auf Selbstironie und psychologischem Hintergrund, von Aussagen mit antisemitischem Hintergrund unterscheiden kann.

Ein entscheidendes Merkmal zur Unterscheidung des Judenwitzes zum jüdischen Witz dient zum einen die Wortwahl in der Aussage sowie natürlich der Inhalt der Aussage oder des „Witzes“ selbst. Ein Judenwitz ist eine bösartige Form der Erzählung. Die Intention steht nicht auf der Seite des Judentums. Er ist zum einen zutiefst herablassend und verletzend Juden/Jüdinnen gegenüber und hat zum anderen geistige Tötungsabsichten. Der markanteste Unterschied der jüdischen Witzkultur ist jedoch, wenn man sie mit anderen Witzkulturen vergleicht, die Tatsache, dass sich jüdische Witze nur innerhalb des eigenen Kulturkreises und dessen Traditionen richten, also sich selbst zur Zielscheibe machen. Außerdem macht sich der jüdische Witz nicht über Schwächere und andere Minderheiten lustig und zielt nicht auf bösartige Aussage anderen gegenüber ab. In anderen Witzkulturen ist dies nicht immer der Fall, wie dieses Beispiel zeigt: „In Österreich gibt es viele dumme Menschen. Zum Glück fahren die alle nach dem Urlaub wieder zurück nach Deutschland.“

Cartoons und ihr Beitrag zur jüdischen Witzkultur

Bei Recherchen über die jüdische Witzkultur ist SUMO nicht nur auf diverse Portale im Internet gestoßen, die sich dieser Erzählform widmen, sondern es wurde auch im Gespräch mit Lauppert-Scholz ans Herz gelegt, sich einmal mit der Thematik des jüdischen Cartoons und dem im Ariella Verlag erschienenen Buch „#Antisemitismus für Anfänger“ zu beschäftigen, da es eine Erweiterung des jüdischen Witzes ist und zu dieser Witzkultur einen entscheidenden Beitrag liefert. Myriam Halberstam, die Herausgeberin dieses Buches, klärte dann vor allem auch den Unterschied zwischen dem jüdischen Witz und dem jüdischen Cartoon auf und verriet, wie sie zu ihrem Buchtitel „#Antisemitismus für Anfänger“ gekommen ist.

Festzuhalten ist, dass sich ein Cartoon vom reinen Witz vor allem darin unterscheidet, dass die Erzählform durch eine bildliche Darstellung nochmals verstärkt wird. Somit lassen sich nicht nur jüngere Personen leichter davon begeistern, sondern auch jene Personengruppen, denen es an Zeit oder auch an Verständnis zum intellektuellen Gut fehlt. Im Zusammenhang mit dem Buchtitel weist Halberstam darauf hin, dass das Buch durch den Hashtag auf den ersten Blick auf eine jüngere Zielgruppe abziele. Es solle aber auch aufzeigen, dass man mit gesellschaftskritischen Themen auch Spaß haben kann, nicht nur, was deren mediale Aufarbeitung angeht, sondern auch Zugang für Personengruppen schafft, die dem Thema „Antisemitismus“ Zuneigung zeigen oder sich nie wirklich damit auseinandergesetzt haben. Denn es werde nicht nur selbstironisch die jüdische Witzkultur vermittelt, sondern auch die antisemitische Haltung bildlich zum Ausdruck gebracht und gegenübergestellt.

Das Wichtigste beim Erzählen von Witzen ist, ein Verständnis dafür zu haben, dass nicht jeder Mensch denselben Humor hat und dass Witze in ihrem Inhalt auch verletzend gegenüber anderen Menschen und Kulturen sein kann. Witze dienen aber nicht nur dazu, sich zu amüsieren, sondern auch, wie es bei jüdischen Witzen der Fall ist, gesellschaftliche Missstände anzusprechen und eine sprachliche Möglichkeit darzustellen, um diese Missstände humorvoll zu verarbeiten und sie mit einem anderen Auge zu betrachten. Witze dienen schlussendlich dazu, Freude zu verbreiten und den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Myriam Halberstam / Copyright: Heike Steinweg

von Michael Haas

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