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Vom Verschwinden der Dinge Wie vertraute Gebrauchsgegenstände zu Artefakten einer vergangenen Epoche werden
from Denkraum 4
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Vom Verschwinden der Dinge
Im Museum bestaunen wir die seltsamen Gebrauchsgegenstände und Artefakte vergangener Epochen und rätseln über ihre Funktion. Wird es unseren Enkeln mit heute selbstverständlichen Instrumenten ähnlich ergehen? Werden sie sich wundern, was die Alten im Alltag alles benötigten?
von Herbert Lechner
// Sie kennen sicher „Q“, den genialen Tüftler und Konstrukteur, der James Bond immer wieder mit fantastischen Hilfsmitteln ausstattet. Nun, wenn Sie ein Smartphone besitzen, können Sie sich ähnlich wie Geheimagent 007 fühlen, denn dieses handliche Gerät ist ein echtes Multitool – mit unabsehbaren Folgen für unsere alte Welt.
In den zehn Jahren seit Erscheinen des ersten iPhones ist es für die meisten bereits zu einem selbstverständlichen, ja unerlässlichen Gegenstand geworden, an den man höchstens noch denkt, wenn wieder ein neues Modell mit noch mehr Funktionen erscheint – oder der Akku leer ist. Tatsächlich vereint das moderne Smartphone schon in der Standardausführung so viele Geräte und Instrumente in sich, dass sie kaum jemand alle benutzt: Telefon, Fotoapparat, Videokamera, Tonbandgerät, Diktafon, aber auch Wecker, Taschenlampe oder Kompass … ganz zu schweigen von zahllosen Apps für jeden Zweck. All dies vereint ein kleines Wunderkästchen, nicht viel größer als eine Zigarettenschachtel.
Doch der digitale Alleskönner in der Tasche ist nicht nur unersetzlicher Assistent, sondern verändert allmählich unsere analoge Warenwelt. Mir fiel das erstmals auf, als immer mehr Freunde und Bekannte das Handy als Uhr benutzten (lange vor Erfindung der Apple Watch!). Dann ertappte ich mich dabei, keinen Wecker mehr zu stellen, sondern dafür stattdessen das Smartphone zu benutzen. Das Nächste war die Taschenlampenfunktion, dann verwendete ich häufiger den eingebauten Taschenrechner. Dass die Aufgaben klassischer Büroutensilien wie Kalender oder Adressbuch längst ins Mobiltelefon gewandert sind, wird Ihnen wohl ähnlich gehen.
Als mir dann ein Freund gestand, er könne sich im Urlaub eigentlich gar nicht mehr ohne den Navigator seines Smartphones zurechtfinden, wurde endgültig deutlich, dass durch dieses ursprünglich als mobiler Telefonersatz gedachte Gerät auch immer mehr andere Alltagsgegenstände obsolet werden.
Diese Beobachtung hat auch Florian Hufnagel gemacht, 30 Jahre Leiter der Neuen Sammlung in München, einer der größten Design-Sammlungen der Welt. Er ist wie kein Zweiter Kenner der Formenvielfalt industrieller Warenproduktion. Für ihn hat die Allgegenwart und Multifunktionalität der digitalen Geräte auch etwas Erschreckendes. Werden früher oder später nicht ganze Produktgruppen verschwunden sein? Werden unsere Enkel – oder vielleicht auch schon wir? – Alltagsgegenstände wie eben Wecker, Taschenrechner, Audio- und Videoaufnahmegeräte und Kompass nur noch im Museum betrachten können? Staunend über die unterschiedliche Gestaltung, die diese Geräte je nach Hersteller, Produktionszeit und Moden erhalten hatten.
Wir haben diesen Produkt-Darwinismus in den letzten Jahren doch schon erlebt. Erinnern Sie sich noch an den Rechenschieber, das Telefax, an Sonys legendären Walkman oder auch das Netbook? Und denken Sie an das fast völlige Verschwinden der analogen Fotografie. Interessant auch, dass viele Piktogramme sich noch an den überkommenen Produktformen orientieren, etwa ein Telefon mit Hörer, eine Uhr mit Ziffernblatt oder eine Taschenlampe – so zu sehen ausgerechnet auf dem Display Ihres Smartphones!
Für Fritz Frenkler, Designprofessor an der Münchner TU und lange am Design der Apple-Produkte beteiligt, auch ein Zeichen dafür, dass Produkte zunehmend ihre Identität verlieren. Ein Trinkglas oder Besteck sei noch eindeutig und in allen Kulturkreisen bestimmten Funktionen zuzuordnen, aber was verbirgt sich in dem kleinen, schwarzen Kasten, der da am Tisch liegt? Ein Mobiltelefon, ein Diktiergerät, ein MiniScanner, eine Kamera? „Muss denn ein Smartphone wirklich aussehen, wie der alte Taschenrechner von Dieter Rams?“ Frenkler sieht hier durchaus ein Versäumnis seiner Branche: „Wir haben bei vielen Produkten die Chance verpasst, neue Identitäten zu kreieren.“
Auffällig, dass eine gewisse Sehnsucht nach den alten Formen zu entstehen scheint, dass manche der analogen Relikte wiederentdeckt werden und dann Trend sind, etwa die Vinylschallplatte oder nostalgische Telefone mit Wählscheibe (und digitalem Innenleben). Also werfen Sie Ihren alten mechanischen Wecker noch nicht weg, vielleicht wird er bald Kult. //