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Wenn sich Digitales und Reales vermischen Augmented Reality
from Denkraum 4
Wenn sich Digitales und Reales vermischen
Augmented Reality
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von Björn Schwerdtfeger
// Fast 15 Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal den Prototypen einer „digitalen“ Augmented-Reality-Brille aufsetzen durfte. Das Faszinierende an der Brille war, dass sie nicht versuchte, meine Sehschwäche auszugleichen, sondern mir einen kleinen, vom Computer berechneten bunten Würfel in meine Umgebung gezaubert hat. Dieser virtuelle Würfel erschien auf dem Tisch vor mir, und wenn ich meinen Kopf bewegte, blieb er einfach auf dem Tisch liegen. Ich konnte um den Tisch herumgehen, der Würfel blieb unverändert da und verschmolz nahtlos mit meiner realen Umwelt.
Das war nicht nur ein Moment maximaler Faszination für mich, so etwas kannte man bis dato nur aus dem Kino von „Roger Rabbit“ oder „Star Wars“, es war zugleich der Augenblick, der meine berufliche Laufbahn entscheidend prägen sollte. Wow, dachte ich – meine erste Begegnung mit Augmented Reality, diese Technologie wird vieles verändern. Dass die Technologie damals schon mehr als 30 Jahre alt war, aber trotzdem noch in den Kinderschuhen steckte, sollte mir erst später bewusst werden.
Wie funktioniert es? Mit Augmented Reality – gern eingedeutscht als erweiterte Realität/Wirklichkeit – kann man durch eine digitalisierte Sonnenbrille schauen und zusätzliche Informationen dreidimensional um sich herum wahrnehmen oder sogar selbst anordnen. Die Brille erkennt dafür mit diversen Sensoren, wie Kameras, die Umgebung – so ähnlich, wie es die autonom fahrenden Fahrzeuge machen. Man kann sogar Informationen mit realen Gegenständen verankern. Gedächtnistrainer haben uns in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass wir uns Informationen am besten merken können, wenn wir
sie „räumlich“ abspeichern und sie dafür mental in einem bekannten Raum ablegen.
Mit Augmented Reality können wir genau dies machen: Informationen räumlich, mit dem Bezug zu unserer richtigen Welt, platzieren. Informationen lassen sich sogar mit den Fingern be rühren und dahin verschieben, wo sie uns am geeignetsten erscheinen. Die computergenerierten Informationen vermischen sich also mit unserer Umwelt, wodurch der Computer „natür lich“ wird und sich viel einfacher benutzen lässt. Zum Beispiel finden wir jetzt Informationen wesentlich schneller.
Wann sind wir so weit? Unsere Erde hat 4,6 Milliarden Jahre für ihre Entwicklung benötigt. Das war ein langer und iterativer Prozess. Unsere „erweiterte“ Realität benötigt darum auch etwas Zeit für ihre Entwicklung. Wir wollen immerhin ein ziemlich gutes Ergebnis erzielen und „unsere Realität“ noch verbessern. Dafür sind Experten aus allen Bereichen nötig. Augmented Reality ist in all ihren technischen und ergonomischen Aspekten vermutlich um ein Vielfaches schwerer zu durchschauen als etwa die Relativitätstheorie. Darum sind bei Weitem auch noch nicht alle Herausforderungen gelöst.
Hie und da hakt es also noch ein wenig. Zukünftig wird jedoch die Industrie gar nicht mehr ohne Augmented Reality auskommen. Die komplexen Informationen der Industrie 4.0 werden sich bald nur noch über diese Techniken visualisieren lassen. Augmented Reality wird zur zentralen und exklusiven Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, und wir können uns bald gar nicht mehr vorstellen, wie kompliziert es einmal gewesen ist, mit einem Computer umzugehen. So wie wir heute auch nicht mehr auf Steintafeln schreiben!
Das klingt nach viel Zukunftsmusik, doch schaut man sich die rasanten Entwicklungen der letzten zehn Jahre an und betrachtet dazu die Prognose, dass in diesem Jahrhundert circa
Virtuelle Realitäten gab es auch schon in der analogen Ära. Ein herausragendes Beispiel sind da die
Comics um Little Nemo, einem kleinen Jungen, der im Schlaf die verrücktesten Abenteuer erlebt.
Kaum eingeschlafen, verwandelt sich sein Bett und entführt ihn zum König des Schlummerlands, der einen Spielgefährten für seine Tochter sucht.
Die fantastischen Bildgeschichten von Winsor McCay (1871–1934) in New Yorker Tageszeitungen waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Sensation und faszinieren bis heute. Mit großer Sorgfalt entwarf der Autor und Illustrator ganze Stadtlandschaften oder wilde Dschungelregionen, ganz exakt und doch völlig surreal. Eine
Traumwelt, deren Unwirklichkeit noch durch den frühen Zeitungsfarbdruck gesteigert wurde. Die Gesamtausgabe aller 220 „Little Nemo“-Folgen von 1905 bis 1909 erscheint jetzt beim Kölner Taschen Verlag: Alexander Braun (Hrsg.)
Winsor McCays Little Nemo – Gesamtausgabe 1905–1909. 368 Seiten; Hardcover; 34,4 x 44 cm (!); ISBN 978-3-8365-6308-6; 59,99 Euro
tausendmal mehr passiert wie im letzten Jahrhundert, scheint nichts mehr unmöglich. Verlief unsere technologische Entwicklung in den letzten 4,6 Milliarden Jahren weitgehend linear, so ist sie seit Kurzem dabei, mit exponentieller Geschwindigkeit unser Leben zu verändern.
Wer benötigt es? Viele Businessmodelle haben sich zunächst auf den Endkunden gestürzt. Sie glaubten an die schnelle Fortsetzung der Geschichte Großrechner, Desktop PC, Laptop, Smartphone, Augmented Reality. Womit sie allerdings nicht gerechnet haben, ist, dass diese einnehmende und immersive Technologie mit Vorsicht unter die Menschen gebracht werden muss. Googles groß angelegtes Projekt Google Glass scheiterte im ersten Anlauf, weil Ihre Träger gerne als „Glassholes“ verspottet wurden.
Viele Businessmodelle konzentrieren sich deshalb derzeit auf industrielle Anwendungsfelder, in denen zum einen ein direkter Nutzen darstellbar ist, zum anderen der technologische Reifegrad schon einen praktischen Einsatz ermöglicht. Dabei bieten sich zunächst Anwendungsfelder, bei denen der Nutzer die Brille nur ein bis zwei Stunden am Tag trägt. Wir wissen nämlich noch gar nicht, wie die Brille so zu gestalten ist, dass sie bei einem achtstündigen Arbeitstag keine ergonomische Belastung provoziert.
Wir werden jedoch dieses Jahr noch einige sehr erfolgreiche Projekte im Bereich Remote-Experte oder Mitarbeitertraining sehen. Doch aufgrund der rasanten technologischen Entwicklung in allen Bereichen wird Augmented Reality schon 2018 nicht mehr aus dem industriellen Alltag wegzudenken sein. //
Dr. Björn Schwerdtfeger berät mit seiner Firma AR-Experts.de DAX-Konzerne und innovative Mittelständler, wie und wofür man Augmented Reality einsetzen kann.