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Einfach mal offline – geht das?
from Denkraum 4
Zugegeben, ich bin sehr aufgeschlossen für alle Neuigkeiten im digitalen Bereich, wahrscheinlich mehr als die meisten Zeitgenossen. Gerade deshalb sehe ich wohl den immer häufigeren Ruf nach „unplug!“ und Online-Fasten vielleicht etwas neutraler?
von Christine Klein
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// Was bedeutet heute „einfach mal offline“ tatsächlich? Sicherlich können mittlerweile nur noch wenige Menschen beruflich völlig offline arbeiten, deshalb soll es hier nur um die privat zur Verfügung stehende Zeit gehen. Drei Szenarien sind zu unterscheiden:
1. zwei/drei Wochen Urlaub, 2. ein oder mehrere Wochenenden, 3. ein oder mehrere Abende an Arbeitstagen
„Online“ bedeutet für mich, in einer gewissen Zeit eine Tätigkeit über das Internet auszuüben. Wenn ich offline bin, dann kann ich generell diese Zeit ...
1. mit dolce far niente verbringen, 2. mit Offline-Tätigkeiten verbringen, die online gar nicht möglich sind, 3. mit Offline-Tätigkeiten verbringen, die ich auch online erledigen könnte.
Prinzipiell ist ein Leben komplett offline in allen drei Szenarien möglich. Sinnvoll ist es sicher, genug Zeit für Müßiggang und Tätigkeiten zu haben, die online gar nicht möglich sind. Unsinnig ist es aber, Aufgaben, die offline deutlich schwieriger oder zeitaufwendiger zu bewältigen sind, nicht online zu erledigen. Dazu zähle ich u.a. Onlinebanking, Reisebuchungen, Kommunikation und Planung in Gruppen. Ebenso Tätigkeiten, deren Ergebnisse online deutlich besser sind, etwa Navigation, Fahrplanauskunft o.Ä.
SZENARIO 1: zwei/drei Wochen Urlaub offline
Für mich geht das! Ich praktiziere es seit langer Zeit jedes Jahr in einem abgelegenen Ferienhaus in Mittelitalien. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Familie und Freunde sind dabei. Der Tagesablauf besteht aus Kochen, Essen, Einkaufen, Faulenzen am See, Segeln, Gartenarbeit, Reparaturarbeiten am Haus und an den Geräten. Umgebung, Wege, Restaurants sind alle bekannt. Wetter ist so, wie man aus dem Fenster schaut, und Nachrichten kann ich, wenn ich will, in der Tageszeitung vom Vortag lesen. Nutzen von Online-Tätigkeiten in diesem Umfeld wären gering. Es ist sehr erholsam, für eine Weile so zu leben, aber nach zwei Wochen wird es auch langweilig.
Für mich geht das nicht! Ich fahre jährlich wechselnd zum Kitesurfen und/oder mache Städtetripps nach z.B. Griechenland, Andalusien. Ich benötige den aktuellen Windbericht, ich muss online einchecken, ich kenne mich nicht aus und muss navigieren, möchte Öffnungszeiten wissen. Offline geht also gar nicht, ist einfach unpraktisch und raubt mir Zeit. Bei der Auswahl von Restaurants nutze ich Bewertungen, die letzte Entscheidung fälle ich selbst. Und wenn ich etwas Nettes einfach so entdecke, werde ich nicht erst das Internet konsultieren. Der Nutzen der Online-Tätigkeiten ist sehr groß. Auf einer Reise gibt es so viele Dinge zu sehen, zu machen und zu entdecken, dass ich kaum im Internet hängen bleiben werde, nur um die Zeit totzuschlagen.
SZENARIO 2: Wochenende offline
Für mich geht das nicht! Egal welches Wetter, am Wochenende verabrede und treffe ich mich mit Freunden. Den Kommunikationskanal dazu kann ich nicht selbst bestimmen. WhatsApp ist in meinem Umfeld der meistgenutzte Kanal. Es macht für mich keinen Sinn, offline zu sein.
Für mich geht das! Tagsüber, das Wetter ist gut, ich bin draußen. Fahre Rad, segle, fahre Ski, gehe Baden, bin im Garten, spiele Tennis oder mache einfach gar nichts. Oder aber ich gehe spazieren – und spiele online Pokémon Go! Warum nicht? Wunderbares Internet!
Geht es wirklich? Am Abend oder tagsüber bei miserablem Wetter. Ich bin daheim und erledige erforderliche Dinge online, Überweisungen, Buchhaltung. Danach habe ich freie Zeit, die ich online oder offline nutzen könnte. Was ist besser?
In meiner Vorstellung macht es keinerlei Unterschied, ob ich einen billigen Roman lese und darin versinke oder ein Online-Spiel zocke und dort versinke. Ich kann auch ein intelligentes Online-Strategiespiel spielen oder ein gutes Buch lesen. Kann sinnfreie Sendungen im Fernsehen anschauen oder mich von einem interessanten Wikipedia-Artikel zum nächsten lesen …
Die Qualität der Tätigkeiten hängt also nicht von der Frage online oder offline, sondern von den Inhalten ab. Die Entscheidungshoheit habe ich selbst.
SZENARIO 3: Abende offline
Für mich geht es nicht! Nach der Arbeit, ich komme heim. Bin zunächst allein, etwas erschöpft. Ruhe mich aus und entspanne mich, höre Musik (Online-Streaming) oder daddle an irgendeinem Spiel rum, lese Nachrichten, Facebook, Wetter. Kommuniziere mit Freunden und Familie, plane den Abend.
Ich lasse den Tag Revue passieren und es kann passieren, dass noch die eine oder andere berufliche Mail ankommt. Manchmal habe ich Lust, das zu lesen, manchmal auch nicht. Manchmal fällt mir erst am Abend die Lösung eines Problems ein und ich muss es unbedingt ausprobieren, weil ich neugierig bin und es mir keine Ruhe lässt. Ich finde das nicht schlimm. Belastend wäre es, wenn ich an dem Thema kein Interesse
Unplugged unterwegs
„Es prüfen vier Amerikanerinnen, ob Cook auch recht hat und hier Bäume stehn. Paris von außen und Paris von innen: sie sehen nichts und müssen alles sehn.“
Kurt Tucholsky: Park Monceau (1924)
Unplugged – unter diesem Motto stehen die Blankobücher des Verlags Wanderlust aus Barcelona. Sie laden zur ganz persönlichen Entdeckungsreise ein. „In unserer heutigen Welt, in der wir nur Augen für unser Smartphone haben, brauchen wir ein Instrument, das hilft, uns aufs wirkliche Leben zu konzentrieren.“ Statt nur den digitalen Empfehlungen und Geheimtipps zu folgen, soll man besser mit offenen Augen reisen und die eigenen Erlebnisse niederschreiben. Dazu dienen diese liebevoll gestalteten Journale. Mehr als die Hälfte der Seiten sind unbedruckt, auch sonst beschränken sich die Herausgeber auf wenige Informationen. „Unsere Journale geben den Raum, Gefühle auszudrücken, und die Zeit, sie noch einmal nachzuerleben.“ Das Design und die Vielfalt der angebotenen Destinationen verlocken dazu, sich einmal auf die eigenen Erfahrungen zu konzentrieren, sie niederzuschreiben und vielleicht mit entsprechenden Erinnerungsstücken anzureichern. Denn, so die Initiatoren: „Lesen heißt, sich mit anderen zu verbinden, Schreiben bedeutet, sich mit sich selbst zu verbinden.“ www.wanderlust-journals.com
hätte und gezwungen wäre, es zu erledigen. Dann müsste ich mir einen neuen Job suchen.
Für mich geht das Bleibt die Ablenkung, das Suchtpotenzial. Führen Online-Tätigkeiten zu Abhängigkeit? Wann und wie einfach kann ich mich davon lösen? Werde ich davon getrieben und bin nicht mehr Herr meiner Zeiteinteilung? Mit meiner „Online-Sucht“ komme ich recht einfach klar – sobald ich nicht allein im Haus bin, ist genug Ablenkung vorhanden.
Die Frage nach offline oder online ist vor allem die des Zeitnutzens Offline gewinne ich Zeit für Tätigkeiten, die online nicht möglich wären (z.B. Sport) oder online möglich wären (Telefonieren statt WhatsApp) oder auch für Nichtstun.
Online gewinne ich dagegen Zeit durch Tätigkeiten, die sich im Internet deutlich schneller erledigen lassen als ohne Verwendung des Internets. (Bankgeschäfte, Reisebuchungen, Navigation). Ein Aspekt der Beurteilung ist also eine Gewinn-undVerlust-Rechnung der verfügbaren Freizeit.
Allerdings ist „Zeit“ nicht nur quantitativ zu sehen, sondern ebenso qualitativ: Wie und wann sind der Genuss, das Vergnügen, das Erfolgsgefühl und die Emotionen größer? Das lässt sich sicher nicht kategorisch festlegen, es hängt vielmehr vom Einzelnen und der jeweiligen Situation ab.
Mein Fazit Ein derart dogmatischer Vorschlag wie „Internet-Fasten“ ist ebenso problematisch wie ein unreflektiertes „Always on“. Die Basis der persönlichen Zufriedenheit wird nicht durch die Mittel (online/offline) bestimmt, sondern durch Inhalt und Resultat. Man sollte mit diesem Thema weitaus gelassener umgehen! //