Report 1 / 2016

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Report – April 2016

Zuhause auf Zeit

Kinderleben woanders

Schwerpunkt-Thema

friedensdorf.de


DAS DORF

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedensdorfes

INHALT •

Kinder für Kinder Junge Unterstützer

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Kinderleben woanders Schwerpunktthema

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Friedensdorf Interladen

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Friedensdorf Wirtschaftbetriebe

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Hilfseinsätze

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Vor Ort in Gambia

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Projektarbeit

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5 Jahre Fukushima

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IMPRESSUM Aktion Friedensdorf e.V. Postfach 14 01 62 46131 Oberhausen Vereinsregister Duisburg: 40770 Zentralstelle: Lanterstr. 21 46539 Dinslaken Tel: +49 2064 4974-0 Fax: +49 2064 4974-999 Info: info@friedensdorf.de Leitung und V.i.S.d.P.: Thomas Jacobs stellv. Leitung: Kevin Dahlbruch, Wolfgang Mertens Öffentlichkeitsarbeit: Jasmin Peters

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s ist nicht leicht in diesen Tagen, Optimismus zu bewahren. Mit jedem Blick auf die aktuelle Nachrichtenlage wird schmerzlich bewußt, wie weit wir von einer friedlichen, einer menschlichen und fairen Welt entfernt sind. Doch bei aller Fassungslosigkeit über das, was in den Kriegs- und Krisengebieten, was an den europäischen Grenzen und auch an der politischen Front innerhalb Deutschlands geschieht, glauben wir fest daran, dass es auch anders geht. Nicht zuletzt dank Ihnen! Das Engagement unserer Unterstützer macht es möglich, jenen zu helfen, die vollkommen unschuldig sind. Dank Ihnen erleben die Kinder im Friedensdorf erfüllende Momente und kehren als Friedensbotschafter zurück in ihre Heimat.

5.000 Pakete konnten wir dank unserer Freunde nach Tadschikistan und in den Kaukasus ausliefern. Dringende Winterhilfe für bedürftige Familien. Über viele andere Beispiele Ihrer Aktionen und Ihres Einsatzes berichten wir auf den folgenden Seiten. Vielleicht regen einige der Informationen über das „Kinderleben woanders“ Sie zum Nachdenken an. Der Artikel zum Friedensdorf Interladen in Oberhausen erscheint anläßlich des 20jährigen Jubiläums. Er gibt zusammen mit dem Bericht zu den Friedensdorf Wirtschaftsbetrieben einen Einblick, welchen Wert Altkleider und andere Gebrauchsgegenstände als „Second-Hand-Ressourcen“ für unsere Arbeit haben. Natürlich finden Sie in diesem Report wieder Neuigkeiten zu den aktuellen Hilfseinsätzen und dem Fortgang der Projektarbeit des Friedensdorfes. Besonders hinweisen möchten wir Sie auf die Eindrücke, die Dr. Tobias Bexten bei seinem Besuch in Gambia gesammelt hat. Und nicht weniger beeindruckend sind die Erinnerungen der beiden ehemaligen japanischen Friedensdorf-Freiwilligen Kanakao und Michiru anläßlich des 5. Jahrestages der Fukushima-Katastrophe. Auch dies ein Beispiel dafür, wie klein unsere Welt geworden ist, welche Auswirkungen schlimme Ereignisse in fernen Ländern auch hier – wir dürfen das so formulieren: im Wohlstands-Paradies haben.

Vielen Dank im Namen aller, denen wir mit Ihrer Hilfe helfen können!

Fotos: FI, Torsten Silz, Jakob Studnar, Uli Preuss, Barbara Siewer –Titelbild: T. Sitz

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UNTERSTÜTZER

Abrollern Da ging’s rund im Friedensdorf! Der Vespa-Club „Altblech Vespa Ruhrgebiet“ kam im vergangenen Jahr gleich zweimal in Oberhausen vorbei: Im Mai 2015 zum „Anrollern“ und dann nochmal zum Saisonende am 24. Oktober mit dem… genau: „Abrollern“. Und zwischendrin haben sie mächtig die Unterstützer-Trommel gerührt – mit viel Erfolg! Gemeinsam mit vier weiteren Clubs wurde der „Pott Roller supporting Friedensdorf“ gegründet und damit ein echtes „Charity Event“ auf die Beine gestellt. Ein Riesenspaß für Klein und Groß! Über 2.000 Euro und viele Sachspenden kamen dabei am Ende zusammen.

„Run 4 help“ Der New York Marathon startete vor 45 Jahren mit gerade einmal 55 Teilnehmern im Central Park – im November 2015 waren es fast 50.000 Läufer! Einer von ihnen: Björn Vieten, Mitglied des Lions Club Mönchengladbach St. Vitus und Mitarbeiter von Valensina. Was bewegt einen deutschen Freizeitjogger nach New York zu reisen, um für das Friedensdorf an den Start zu gehen? „Vor ungefähr 6 Jahren habe ich das Laufen für mich entdeckt. Es hilft mir, den Kopf frei zu kriegen und Gedanken neu zu sortieren. Außerdem fordert es mich heraus, mir Ziele zu setzen und diese auch

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zu erreichen. Wenn ich etwas mache, dann richtig und mit Sinn und nicht ohne Grund. Den New York Marathon möchte ich nutzen, um Geld für einen guten Zweck zu sammeln und Kindern zu helfen“, erzählt der ambitionierte Sportler vor dem Lauf. Das Ergebnis: fast 7.000 Euro!

Santa Maria von WBO 1.585 Euro Spendenerlös vom WBO-Sommerfest überreichten Mitarbeiter der WBO (Wirtschaftsbetriebe Oberhausen GmbH) bei ihrem Besuch im Friedensdorf. Aber sie hatten noch eine ganz besondere Überraschung parat! Tischlermeister Michael Böhm hatte eigens für das Sommerfest ein kleines Deko-Schiff gebaut, das die WBO’ler jetzt dem Friedensdorf spendeten. Sie setzten noch eins drauf und krempelten

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im Hausflur des Friedensdorf Erstaufnahmehauses die Ärmel hoch. Jetzt schmücken heimatnahe Motiven aus den Heimatländern der Kinder die Wände. Firmeninhaber Haydar Bayram von HB-Bedachungen aus Oberhausen spendete die dafür benötigten Farben.

Kronkorken-Aktion „Seit 2011 haben unsere Freunde rund 110 Kubikmeter Kronkorken und damit etwa 5.500 Euro für das Friedensdorf gesammelt“, resümiert Erwin Arts aus Voerde. Gemeinsam mit den Dinslakener Eheleuten Hoffmann hat er die Sammel-Aktion vor gut fünf Jahren ins Leben gerufen und schnell viele Mitstreiter gefunden. Leider sind die Preise für Altmetall inzwischen drastisch gesunken. Zuletzt überstiegen die Kosten sogar die Einnahmen – klar, dass die Initiatoren

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UNTERSTÜTZER sich genötigt sahen aufzuhören. Danke für die Kornkorken-Jahre! Den „letzten Container“ sehen Sie unten auf dem Foto.

STARLIGHT EXPRESS Ensemble und Mitarbeiter des STARLIGHT EXPRESS Theaters machten zahlreiche Überstunden, um nach den Vorstellungen beim Publikum für den guten Zweck zu sammeln. Stolze 121.721 Euro kamen durch die Zuschauerspenden sowie durch verschiedene Events für das Friedensdorf zusammen. Unser Foto rechts zeigt (v.l.n.r.): Trina Hill (Erste-Klasse-Wagen Pearl), Thomas Jacobs, Leiter Friedensdorf International, Claudia Peppmüller, Mitarbeiterin Friedensdorf International und

Jeffrey Socia (Dampflok Rusty). Text: Starlight Express, Foto: Jens Hauer.

Mathekalender ade Mathematik unterstützt das Friedensdorf – vielleicht etwas ungewöhnlich, aber zu Heinz Klaus Strick passt das. „Es war schon immer mein Anliegen als Mathematiklehrer, meine Schüler/ innen für mein Fach zu begeistern.“ Seit seiner Pensionierung im Jahr 2007 ist Heinz Klaus Strick einer unser Botschafter und vertrieb jährlich bundesweit seine Mathematik-Kalender in unterschiedlichen Fassungen und für verschiedene Altersstufen. „Auch nach Beendigung meiner Kalenderproduktion habe ich noch genügend Exemplare, um Bestellungen auch 2016 noch erfüllen zu können“, garantiert Strick. 21 Jahre lang war Strick Schulleiter des Landrat-Lucas-Gymnasi-

Der letzte Container: Klaus Hoffmann und Anna Seidel (hinten), Erwin Arts, Gertrud Schlagregen, Birgit Tepaß-Küsters und Ingelore Hoffmann (vorne v.l.n.r.

ums in Leverkusen (LLG). Seine Schule verbindet seit fast 25 Jahren eine enge Partnerschaft mit dem Friedensdorf. Nach der Pensionierung von Heinz Klaus Strick führt Michael Bramhoff als neuer LLG Schulleiter die Tradition und Partnerschaft fort. Für dutzende Schulklassen war und ist das Friedensdorf Bildungswerk ein wichtiger Lernort außerhalb der Schule. Hier nehmen die Schülerinnen und Schüler an Tagesseminaren teil, begegnen den kleinen Patienten im „Dorf“ und sammeln fleißig Sachspenden. Des Weiteren führt das Landrat-Lucas-Gymnasium in Opladen seit 1997 alle zwei Jahre sogenannte „Sponsored Walks“ (Benefizläufe) durch. Erfinder dieser tollen Veranstaltung war John Ecker, ein ebenfalls engagierter, nun pensionierter Lehrer des LLG.

Holtener Nachtwächter Zehn randvolle Spendendosen sammelten die Holtener Nachtwächter Norbert Schmitz, Thorsten Rohmert und Dennis Herrmann mit Unterstützern von ihren MItbürgern im Advent zu Gunsten des Friedensdorfes. Das Zählen der Münzen und Scheine ergab eine krumme Zahl knapp unter 5.000 Euro, die vom Stadtverordneten Helmut Brodrick kurzerhand auf die runde Summe aufgestockt wurde.

Bürger-Paketaktion Rund 5.000 Pakete konnte Friedensdorf International am 16. Dezember 2015 nach Tadschikistan und in den Kaukasus ausliefern – haltbare Lebensmittel und Winter-

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Mächtig Dampf für‘s Friedensdorf: Das Team von STARLIGHT EXPRESS sammelte Riesenspende kleidung für bedürftige Familien. Mitarbeiter der Friedensdorf-Partnerorganisationen verteilten die Päckchen. Mit der direkten Hilfe vor Ort bemüht sich das Friedensdorf, Not dort zu lindern, wo sie

entsteht. Neben der ganz praktischen Unterstützung haben die Pakete noch einen symbolischen Wert. Sie sagen den Menschen: Wir denken an euch und lassen euch nicht allein. Die Winterhilfe

Holtener Nachtwächter beim Geldzählen

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des Friedensdorfes ermöglichen Bürger, Schulklassen, Kindergärten, Kirchengemeinden und andere private Paketpacker – herzlichen Dank dafür! Auch dem Düsseldorfer Flughafen, der Groundhandling GmbH und der CCS-DUS Cargo GmbH gilt Dank. Dass alle gepackten Pakete bei den Spendern abgeholt und anschließend zum Flughafen gebracht werden konnten, haben wir der Spedition Hillert aus Bocholt, der Spedition Timmerhaus aus Oberhausen, der Fahrschule Großkinsky aus Miltenberg und dem Verein „Die Transportbotschafter“ zu verdanken.

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Kinder für Kinder

UNTERSTÜTZER

Hilfe von jungen Unterstützern

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um wiederholten Mal trafen sich Jugendliche auf Initiative von Johanna Marie aus Xanten, um mit selbst gebastelten Kleinigkeiten, Keksen und selbst gekochter Marmelade Spenden für das Friedensdorf zu sammeln. Am zweiten Adventssamstag standen die Jugendlichen aus der 5. bis 8. Klasse auf dem Gelände des EDEKA-Marktes von Pascal Lurvink und konnten dort ihre in vielen Stunden liebevoll hergestellten Artikel anbieten. Nach gut sieben Stunden war zur Freude aller acht Mädchen eine Spendensumme von 628,55 Euro zu verzeichnen.

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uch Finn Filip war wieder „am Start“, denn an Silvester rannte er in Bocholt erneut für das Friedensdorf. Seitdem er im Herbst 2014 zum ersten Mal vom Friedensdorf gehört hatte, engagiert er sich für uns. Seine Leidenschaft ist das Laufen: Mit Sponsorenläufen sammelt er Spenden für die Friedensdorf-Kinder. Dafür hat er sogar eine eigene Facebook-Seite eingerichtet.

dabei heraus, die sie selbst im Friedensdorf abgab.

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riedenssongkontest: Rapper „Sbu“ spendet Preisgeld. „Musik für den Frieden“ hieß das Motto in der Bonner Harmonie. Mit dabei war Helmut Dahlhaus alias „Sbu“ (Foto unten). Mit dem Schulchor des Pascalgymnasium und

Rap-Kollegin Ronja Maltzahn performte er das Lied „Wann sind wir bereit?“. Mit ihrem Auftritt erreichten sie den 3. Platz von insgesamt 111 Teilnehmern und entschieden sich, das Preisgeld von 1.000 Euro an das Friedensdorf zu spenden. In seinem Lied geht „Sbu“ auch auf die Kinder ein, die weltweit unter Krisen und Krieg leiden.

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ie kleine Mia aus Voerde sammelte ebenfalls fleißig. Sie hörte über ihre Mutter vom Friedensdorf und „opferte“ ihre Spardose für die Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten. Immer, wenn mal ein Euro übrig war, kam dieser in die Dose, die sich stetig weiter füllte. Auch ihre Mama, Papa, Großeltern, Tanten und Onkels motivierte sie, ein bisschen Geld in ihre Dose zu werfen. Zum Schluss kamen 151,34 Euro

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Kunst gegen den Krieg

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udwiggalerie Oberhausen zeigt Bilder von Brigitte Kraemer – auch aus dem Friedensdorf… „Die Kuh“ nannte Balbina aus Angola sich selbst, weil die nachwachsende pigmentfreie Haut weiße Flecken auf ihre Stirn zeichnete. Brigitte Kraemer hat sie fotografiert und viele andere Kinder im Friedensdorf ebenso (kleines Foto). Das ist inzwischen einige Jahre her. Die Ludwiggalerie Oberhausen zeigt vom 6. März bis zum 12. Juni 2016 einen musealen Überblick über das Werk der in Herne lebenden Fotografin. Auch einige Bilder aus dem Friedensdorf sind dabei. Über einen Zeitraum von neun Monaten hatte Brigitte Kraemer immer wieder tageweise das Friedensdorf besucht und mit ihrer Kamera das Leben eingefangen, das die Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten dort bis zu ihrer Heimkehr führten. Balbina ist heute übrigens eine selbstbewusste junge Frau, die zur Schule geht. Beim Angola-Hilfseinsatz im Mai 2014 besuchte sie das Friedensdorf-Team in Angola (großes Foto oben).

einen tatkräftigen Helfer an ihre Seite geholt. Zum ersten Mal war der Direktor der Düsseldorfer Rheinoper, Stephen Harrison, ins Friedensdorf gekommen. Und er half tatkräftig mit bei der Gestaltung der Kunstwerke. „Es sind wunderschöne Bilder entstanden, fröhlich und farbenfroh“, zeigte sich Nadja Zikes am Ende der Aktion begeistert. Sie bescheinigt

den sechs fünf- bis achtjährigen Mädchen aus Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan, Angola oder Zentralasien durchaus künstlerisches Talent. Auch der Operndirektor war angetan von den Erlebnissen mit den Kindern. Zikes: „Er hat seine Unterstützung fürs Friedensdorf auch in Zukunft zugesichert, will beispielsweise beim Dorffest mithelfen.“

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it Rosen malen – Die Rosen in den Händen einiger Friedensdorf-Kinder sollten nicht zu einem Blumenstrauß gebunden werden, sondern als ungewöhnliche Pinsel zu bunten Kunstwerken führen. Die internationale Malerin Nadja Zikes, die seit einigen Jahren ehrenamtlich für uns aktiv ist, hatte die Idee – und sich

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Kinder spielen am Abwasser im Slum von Luanda, Angola

Kinderleben woanders

Spurensuche in den Heimatländern unserer Schützlinge Wie leben Kinder in Zentralasien oder Angola? Was ist eigentlich Familie? Welche Werte vermitteln Eltern dort ihren Kindern?

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Was wünschen sich Eltern für die Zukunft ihrer Kinder?

mmer wieder ist es für Besucher des Friedensdorfes, das Pflegepersonal in Krankenhäusern und auch für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter verblüffend, zu sehen, wie schnell sich viele Friedensdorfkinder tausende Kilometer fern

ihrer Familien und ihrer Heimat an neue Gegebenheiten in einem ihnen völlig fremden Land anpassen. Sie strahlen trotz häufig schwerer Verletzungen und Erkrankungen eine kaum nachvollziehbare Lebensfreude aus, schenken uns ihr

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vollstes Vertrauen und fügen sich meist in kürzester Zeit in den Krankenhaus- und/oder Friedensdorfalltag ein. Diese Phänomene wollen wir versuchen, zu begreifen, und begeben uns auf eine Reise in die Heimatländer unserer Schützlinge.

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Familie in Tadschikistan: Quelle und Sinn des Lebens Familie ist die Quelle des Lebens, aus ihr schöpfen die Kinder von Beginn an. Sie ist der Anfang und das Ende eines jeden Lebens. So beschreibt unser Partner aus Tadschikistan die Bedeutung der Familien:

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ir denken nicht in einzelnen Personen, wir denken in Familien. Wird ein Kind über Friedensdorf International in Deutschland behandelt und kehrt geheilt nach Hause zurück, dann ist die ganze Familie glücklich und geheilt, denn Gesundheit ist für die Familie das höchste Gut.“ Der Familienbegriff umfasst in den Ländern der Friedensdorf-Kinder meist mehrere Generationen. Chef der Großfamilie ist der älteste Mann, manchmal auch derjenige, der die Familie ernährt. Er trägt die Verantwortung für das Wohlergehen aller Familienmitglieder. Unser Kollege lebt in in seiner Familie mit neun Personen. Mit seiner Frau, einem Sohn und dessen Frau sowie deren drei Kindern und noch seinem zweiten Sohn bewohnt er eine etwa 80qm große Wohnung mit vier Zimmern. Täglich sitzt die Familie beim gemeinsamen Abendessen zusammen. Das dauert dann mindestens zwei Stunden. Die Kleinste erzählt von ihren Erlebnissen, die Größeren berichten Neues aus der Schule, anfallenden Arbeiten werden besprochen: Man redet miteinander und nimmt sich viel Zeit. Bei schwierigen Entscheidungen

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werden Lösungen angestrebt, die alle mittragen können. Gelingt das nicht entscheidet der Familienälteste. Doch gibt es eine klare Trennung zwischen Kinder- und Erwachsenenwelten. So sind Kinder bei tiefgreifenden oder auch politischen Gesprächen zwischen Erwachsenen nicht anwesend.

Afghanistan

Auf engstem Raum zusammen wohnt auch die Familie der zwölfjährigen Kubra aus Afghanistan. Sie besteht aus 15 Personen, denen sechs Räume zur Verfügung stehen. Vier werden als Schlaf-

SCHWERPUNKT zimmer genutzt, eines als Wohnzimmer, eines als Gästezimmer, denn oft kommen Verwandte zu Besuch. Gekocht wird im Freien. Kubra hat eine Schwester und fünf Brüder, von denen zwei ebenfalls mit ihren Familien hier leben. Und natürlich wohnen auch die Großeltern mit im Haus. Der Vater verkauft Süßigkeiten auf der Straße. Sie erzählt:

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ei uns gibt es eigentlich zwei Chefs, manchmal Opa, manchmal Papa. Doch in ganz Afghanistan ist so: Was die Älteren sagen, machen wir. Die Älteren wissen doch schon wie geht das Leben.“

Kinderspielplatz in Kabul

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Generationsübergreifend: Solidargemeinschaft Großfamilie

SCHWERPUNKT

Mithelfen ist selbstverständlich - Szene aus dem Essensraum im Friedensdorf Oberhausen

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n den Ländern der Friedensdorfkinder gibt es wie in den meisten Ländern dieser Welt keine tragfähigen oder überhaupt keine existierenden Sozialversicherungssysteme. Ganz zu schweigen von staatlichen Zusatzleistungen wie Kindergeld, Elterngeld, oder Wohngeld. Auch anderweitige Hilfsangebote wie „die Tafel“, Kleiderkammern oder Ähnliches such man vergebens. Der Zusammenhalt und die Solidarität aller Familienmitglieder untereinander ist daher der Garant für das Überleben und die Existenz eines jeden Einzelnen. Viele Kinder zu haben, ist daher eine Absicherung für‘s Alter, wenn man nicht mehr für sich selbst sorgen kann.

Armenien

Umgekehrt bedeuten viele Kinder aber auch viele Betten, die gewärmt werden wollen, obwohl

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keine Heizung vorhanden ist – so eine Kindheitserinnerung aus Armenien. Dort legte die Mutter sich jeden Abend im Winter zuerst eine Weile ins Bett ihrer Kinder, um es anzuwärmen. Die tiefe Verbundenheit einer Familie besteht auch über große Entfernungen hinweg. Das erleichtert im Übrigen auch die medizinische Einzelfallhilfe des Friedensdorfes fernab der Familie.

Angola

So verbrachte z.B. Angelina aus Angola ihre ersten 10 Lebensjahre bei der Großmutter und Verwandten weitab der Hauptstadt Luanda. Ihre Mutter war sehr krank und sich nicht um sie kümmern konnte.

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eine Oma, meine Tante lieben mich wie Mama, das

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ist gleich, ich habe viele Mamas“, so beschreibt sie das Verhältnis zu ihrer Familie. Erst nach ihrem Unfall zog sie zu den Eltern und inzwischen vier Geschwistern in die Hauptstadt, da der Vater hoffte, dass sie dort geheilt werden könnte.

Kirgistan

In Kirgistan wachsen zunehmend mehr ältere Kinder bei ihren Verwandten auf, da viele junge Eltern aufgrund fehlender Arbeitsmöglichkeiten in Nachbarländer emigrieren, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen und die Familie zu Hause zu ernähren. In diese selbstverständliche familiäre Solidarität wachsen die Friedensdorf-Kinder hinein, schon früh lernen sie je nach Entwicklungsstand Verantwortung für die Familie zu übernehmen.

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Mitzuhelfen ist für die Kinder eine Selbstverständlichkeit

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ei uns werden Kinder nicht gefragt, ob sie helfen wollen, das gehört zum Leben dazu. Die Kinder lernen von uns, wir sind ihre Vorbilder und sie machen es einfach nach, die Kinder sind stolz, wenn sie mithelfen können. Die Familie ist eine Schule für´s Leben.“ So beschreiben unsere Kollegen und Kolleginnen der Partnerorganisationen das Verhalten der Eltern in den Heimatländern der Kinder. Esma, 11 Jahre aus Afghanistan unterstreicht dies. Seine siebenköpfige Familie besitzt eine Kuh, ein Kalb und einen Esel. Schon als Siebenjähriger holte er fast täglich mit seinem Esel fri-

sches Gras, um damit die Kuh zu füttern. Auch Angelina aus Angola ist stolz darauf bereits im Alter von acht Jahren regelmäßig für die Großfamilie gekocht zu haben. Bis heute liebt sie es, zu kochen und auf kleine Kinder aufzupassen. Und so eigenartig es zunächst dem Pflegepersonal und den ehrenamtlichen Betreuerinnen einer Klinik erschien, dass eine angolanische siebenjährige Patientin Plastikflaschen in großen Mengen unter dem Krankenhausbett bunkerte und ihre gesammelten Schätze mit Argusaugen bewachte, so nachvollziehbar ist dies aus dem Blickwinkel der dortigen Familienverhältnisse. Die Mutter verkauft auf der Straße Wasser in

SCHWERPUNKT Plastikflaschen, um die Familie zu ernähren und das kleine Mädchen beabsichtigte, alle Flaschen mit nach Hause zu nehmen, um die Mutter bei der Arbeit zu unterstützen. Kinder sind selbstverständlich in den Arbeitsalltag der Erwachsenen integriert. Nur so kann das Leben und teils auch Überleben der Familie gesichert werden. Sie helfen bei der Gartenarbeit und im Haushalt, tragen Sorge für die jüngeren Kinder in der Familie, lernen schon bald mit Werkzeug umzugehen, Fahrräder zu reparieren, Wasser aus Brunnen mehrere Kilometer weit zu tragen, Ziegen und Schafe zu hüten, Produkte auf dem Markt feil zu bieten und vieles mehr.

Friedensdorf-Mitarbeiterin Maria Tinnefeld mit unseren Partnern Dr. Marouf Niazi aus Afghanistan (links) und Safar Erov aus Tadschikistan (rechts).

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SCHWERPUNKT Seilspringen Murmeln Drachen steigen lassen

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ablets, Notebooks, Playstations und Smartphones spielen in der Freizeitgestaltung der Friedensdorfkinder keine Rolle. Sie verbringen ihre Freizeit zu Hause meist im Freien. Fußball steht bei den Jungen überall hoch im Kurs, in Afghanistan lernt man schon frühzeitig Volleyball zu spielen und Drachen steigen zu lassen. In Angola ist Basketball neben dem Fußball die wichtigste Sportart, denn das Land hatte über Jahre die führende Basketball-Mannschaft Afrikas.

Kinder in Kabul Abfall- und Naturmaterialien einfallen – sogar Bälle werden aus Stoffresten genäht. Auffallend für europäische Betrachter ist auch die gelebte Musikalität der Friedensdorfkinder, die sich auf den Dorf- und Abschiedsfesten immer wieder bewundern lässt. Ob mit oder ohne Rollstuhl und Gehhilfen: Es wird getanzt, gesungen

und getrommelt! Nicht selten kreieren die Kinder auch ihre eigenen Songs und betätigen sich als Choreografen. Kein Wunder, denn zu Musizieren, was bei uns häufig in außerfamiliären Institutionen wie Sing- und Musikschulen ausgelagert wird, ist in den meisten Ländern Zentralasiens und Afrikas familiäre Alltagskultur.

Einfallsreich und musikalisch

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iele Bewegungsspiele, die früher auch hierzulande üblich waren wie Seilspringen, Hüpfkästchen, Klatschspiele, Ball an die Wand, Gummitwist sind überwiegend bei den Mädchen beliebt. Besonders faszinierend sind für uns die oft stundenlangen, variantenreichen Murmelspiele der afghanischen Kinder. Dieses Spiel funktioniert auf fast jedem Untergrund. Doch auch Brettspiele wie Dame werden aus Steinen, Nüssen und Ästen zusammengebaut. Da selten vorgefertigtes Material vorhanden ist, lassen sich die Kinder kreative Lösungen aus

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Spiel mit Murmeln: Das geht auch im Friedensdorf stundenlang

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Was sich die Familien für ihre Kinder wünschen?

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ie Wünsche der Familien für ihre Kinder fallen im Verhältnis zu unseren Gegebenheiten eher bescheiden aus: Ausreichende Ernährung, Gesundheit und medizinische Versorgung, Bildung und berufliche Perspektiven, Gerechtigkeit und Frieden. Das sind für uns seit Jahrzehnten Selbstverständlichkeiten, über die wir erst durch die Ankunft der zahlreichen Flüchtlinge wieder begonnen haben, nachzudenken. Unsere Kolleginnen und Kollegen wünschen sich

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vor Allem, dass der Zusammenhalt in den Familien erhalten bleibt und sich die Regierungen und die Menschen in ihren Ländern für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Von ausländischen Regierungen und Investoren erwarten sie, das Wohl der Einheimischen im Blick zu haben, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen und nicht nur eigene wirtschaftliche und strategischen Interessen im Blick zu haben.

Reintegrationsfähigkeit und gesundes Heimweh

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issen um die Lebensumstände der in der Heimat und Respekt vor den Familien bilden die pädagogische Grundlage für den Umgang mit den kleinen Patienten während ihres Aufenthalts bei uns. Neben der medizinischen Versorgung ist es unsere Aufgabe den Kindern die Reintegrationsfähigkeit in ihre Familien zu erhalten. Während ihres Krankenhausaufenthalts stehen sie im Mittelpunkt. Alles dreht sich um ihr Wohlergehen. Das genießen sie natürlich ebenso wie all die Geschenke. Der Alltag in der Heimeinrichtung des Friedensdorfes dagegen orientiert sich am Familienleben der Kinder. Die Schlafräume sind bewußt einfach ausgestattet und es gibt wenig vorgefertigtes Spielmaterial, keine für jeden allzeit verfügbare Computerspiele und TV-Geräte. Das dient genauso der Reintegra-

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tion der Kinder, wie die vielen Möglichkeiten, sich kreativ und lebenspraktisch zu betätigen z.B. in der Nähstube, der Holzwerkstatt, der Kinderküche und den Bastelräumen im Lernhaus. Die Freiflächen im Friedensdorf sind großzügig angelegt, denn die Kinder haben viel Bewegungsdrang und wir wollen ihre Mobilität fördern. Das Mithelfen im Friedensdorf (Aufräumen, Tische abputzen, kleineren Kindern beim Anziehen und Essen helfen usw.) ist wie zu Hause in den Großfamilien keine Frage des Wollens, sondern Bestandteil des alltäglichen Zusammenlebens, das nur in gegenseitiger Verantwortung gelingt. Im Übrigen bieten viele Kinder ihre Mithilfe von sich aus an. So ist „Tischtisch“ in der „Friedensdorfsprache“ ein geflügeltes Wort. Gemeint ist damit nicht nur der Tischdienst im Spei-

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sesaal, sondern jegliche Art von alltäglichen Arbeiten, bei denen Kinder den Mitarbeitern helfen können. So meinte ein Junge mit seinem „Tischtisch“-Angebot im Wohnhaus, dass er freiwillig den Flur fegen wolle. Reintegration kann nur dann gelingen, wenn alle am Wohl der Kinder in Deutschland Beteiligten versuchen, sich in die Lebenswelten der Familien der uns anvertrauten Schützlinge hinein zu denken. Das Aufwachsen der Kinder in westlichen Kulturen orientiert sich meist am Individuum: der oder die Einzelne und seine ganz eigene Entwicklung stehen im Vordergrund. In unseren Partnerländern geht es nie ausschließlich um den Einzelnen, sondern immer um die Familie als Ganzes, denn nur durch gegenseitige Unterstützung kann eine Existenz für alle gesichert werden.

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Viel mehr als nur ein „Laden“

Familiäre Stimmung im Friedensdorf-Interladen Oberhausen

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leidung und Schuhe für Erwachsene, Haushalts-, Bett, Nacht- und Unterwäsche, Tischdecken, Gardinen, Handtücher, Socken, Deko-Artikel, Porzellan, Spielzeug, Fahrräder und Möbel… Fast alles, was für’s tägliche Leben nützlich ist, gibt’s im Friedensdorf-Interladen! Im Januar 1996 wurde der erste Interladen gegründet und in den 20 Jahren seither haben die ehrenamtlichen Unterstützer unserer Kinderhilfsorganisation kein bißchen von ihrem Engagement und ihrer freundlichen Hilfsbereitschaft verloren. Liebevoll ordnen und verkaufen sie alles, was im Oberhausener „Dorf“ für die Friedensdorf-Schützlinge nicht direkt verwendet werden

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kann. Der Erlös aus dem Verkauf fließt dann komplett zurück in unsere Arbeit für Kinder aus Kriegsund Krisengebieten.

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inige der ehrenamtlichen Helfer des Interladens sind schon seit der ersten Stunde dabei. Sie sortieren, räumen ein und aus, verkaufen natürlich und sind vor allem mächtig stolz auf „ihren“ Laden in der Lothringer Straße in Alt-Oberhausen.

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ehr gemütlich ist es hier und immer wieder äußern sich neue und alte Kunden erstaunt über das umfangreiche Angebot. „Mehr als Dreiviertel unserer Kunden kommen regelmäßig in

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den Laden, schätze ich. Bei uns herrscht schon fast eine familiäre Stimmung“, erzählt Isabella Nao, die sich seit 1996 für Friedensdorf Oberhausen engagiert.

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as Publikum ist bunt gemischt. Alle Altersstufen, soziale Schichten und auch Herkunftsländer treffen sich hier, denn in den Interläden gibt’s nicht nur gut erhaltene Second-Hand Kleidung zu günstigen Preisen… Sehr viele Kunden und Unterstützer schätzen sie auch als Kommunikations- und Kontaktzentren.

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llerdings: Damit die Interläden auch in Zukunft ein so tolles Sortiment anbieten können, sind

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SCHWERPUNKT wir auf Menschen angewiesen, die die Arbeit des Friedensdorfes unterstützen wollen. Gut erhaltene Kleidung, Haushaltwaren und Wäscheartikel aber auch Trödel und Dekoration können sie in den Interläden in Oberhausen-Stadtmitte und Sterkrade oder an der Friedensdorf-Zentrale im Gewerbegebiet-Süd in Dinslaken abgeben.

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er Lust hat, mit anzupacken, Spaß daran hat, Kunden zu beraten, Ware zu sichten, zu sortieren, zu bewerten, auszuzeichnen und einzusortieren, ist im Team der Ehrenämter herzlich willkommen! Rufen Sie an unter der Telefonnummer 02064 4974 0 oder schreiben Sie eine Email an kleidung@friedensdorf.de.

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Oben: Nao (li.) und Isabella –Praktikantinnen im Interladen. Unten: Jaqueline Hochmuth, Mitarbeiterin der Wirtschaftsbetriebe, im Sortierwerk in Dinslaken.

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Bunte Mischung ist bewährt Die Aufgaben der Friedensdorf Wirtschaftsbetriebe „Ach, Sie nehmen auch Erwachsenenkleidung?“ Viele Menschen sind erstaunt, wenn Friedensdorf-Mitarbeiter diese Frage bejahen. Schließlich ist das Friedensdorf doch eine Kinderhilfsorganisation. „Der Bedarf ist vielfältig“, erklärt Angelika Zenkner, die die inzwischen gemeinnützigen Wirtschaftsbetriebe leitet. Tochter Sarah Beckmann ist seit 14 Jahren dabei. Zentrale Aufgabe der Wirtschaftsbetriebe ist die Altkleider-Sammlung und die Verwertung von weiteren Gebrauchtgegenständen. Sarah Beckmann: „Priorität haben die eigenen Belange, d.h. der Heimbetrieb und die Projektländer. Wenn wir eine bunt gemischte Tüte mit Kleiderspenden bekommen, dann sortieren wir erstmal. Gut erhaltene Kinderkleidung geht an die Mädchen und Jungen im Friedensdorf, Erwachsenenkleidung schicken wir oft als Hilfsgüter mit in unsere Projektländer. Dort profitieren die Familien der Kinder und andere bedürftige Menschen davon. Wofür wir selbst keine Verwendung haben, was sich aber zum Verkauf eignet, wandert an unsere Interläden in Alt-Oberhausen und Sterkrade.“ Angelika Zenkner: „Die Interläden sind ein wichtiger Baustein der Friedensdorf Wirtschaftsbetriebe. Oberhausener Bürger finden hier ein breites Warensortiment zu günstigen Preisen vor, zum anderen tragen die Erlöse zur Finanzierung bei.“ Ein „breites Warensortiment“ klingt so, als gäbe es in den Interläden nicht nur Kleidung zu kaufen… A. Zenkner: „Das stimmt und

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ist sehr wichtig. Wir bieten dort auch Haushaltsgegenstände, jahreszeitliche Dekoartikel, Trödel, Spielwaren und vieles mehr an. Unsere Kunden schätzen die Vielfalt und stöbern gern durch die gesamte Angebotspalette. Dass sich die bunte Mischung

bewährt zeigt unser Interladen auf der Lothringer Straße in Alt-Oberhausen. Er hat kürzlich sein 20jähriges Bestehen gefeiert.“ (Anm.d.Red.: Bitte lesen Sie dazu auch den Artikel auf Seite 14.) S. Beckmann: „Und der Interladen in Sterkrade ist immerhin auch schon im 15. Jahr. Einen großen und wichtigen Anteil am Erfolg der Läden haben natürlich die vielen ehrenamtlichen Helfer, die die Läden führen. Insgesamt sind das über 50 Personen und es können nie zu viele sein. An der einen oder anderen Stelle können wir immer wieder Unterstützung

Erfahrener Blick: Angelika Zenkner begutachtet Spenden.

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SCHWERPUNKT

gebrauchen. Wichtig ist, dass die Freiwilligen anpacken können und kommunikativ sind. Die Interläden sind nicht nur ein Verkaufsraum, sondern für viele Bürger auch ein sozialer Treffpunkt.“ Gibt es etwas, das ihr gar nicht gebrauchen könnt? A. Zenkner: „Ja, zum Beispiel Bücher, Gesellschaftsspiele und nicht funktionsfähige Elektrogeräte. Wir haben keine Werkstatt, um defekte Sachen zu reparieren. Manches müssen wir dann kostenpflichtig entsorgen und das ist ärgerlich. Wer sich also nicht sicher ist, ob seine Spende hier wirklich sinnvoll gebraucht werden kann, sollte sich vorher informieren. Wir beraten gerne – einfach anrufen unter 02064 4974-0! Auf der Homepage des Friedensdorfes ist außerdem eine Liste veröffentlicht, wo aufgeführt ist, was wir gut und was wir gar nicht gebrauchen können. Es ist besser, vorher die Dinge zu klären, als dass es nachher auf beiden Seiten zu Frustration oder Enttäuschung kommt. Das klappt aber im Großen und Ganzen gut. Immer wieder werden wir auch gefragt, ob wir Sachspenden abholen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten und im Nahbereich tun wir das gern, wenn jemand z.B. aus Krankheits- oder Altersgründen keine Möglichkeit hat, die Sachen selbst zu bringen. Unsere Kapazitäten sind allerdings begrenzt

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und letztlich müssen Aufwand und Nutzen im Verhältnis stehen.“ Ihr seid beide nun schon eine ganze Weile dabei. Könnt ihr eine Entwicklung oder Veränderung im Bereich der Sachspenden feststellen? A. Zenkner: „Ja, seit einigen Jahren haben wir leider einen Rückgang sowohl was die Menge der Sachspenden angeht als auch deren Qualität. Dieser Trend hat sich seit dem letzten Herbst verstärkt, was sicher auch mit der Flüchtlingsthematik zusammenhängt. Natürlich haben wir volles Verständnis dafür, wenn Spender sich entscheiden, ihre Sachen Flüchtlingen zu geben. Umso

mehr freuen wir uns aber auch über alle diejenigen, die dem Friedensdorf treu bleiben, denn unser Bedarf ist ja nicht gesunken.“ Welchen Stellenwert nimmt der Kontakt zu den Spenderinnen und Spendern ein? S. Beckmann: „Der Kontakt zu unseren Spendern ist uns sehr wichtig. Manche Menschen kennen wir schon seit vielen Jahren. Sie begleiten unsere Arbeit und durch Gespräche nehmen wir auch ein bisschen an ihrem Leben teil. Da gibt es schöne und traurige Geschichten. Wenn Nachwuchs kommt und dieser irgendwann aus den Baby- und Kindersachen herauswächst, bringen die Eltern uns

Auch für die Friedensdorf-Kinder wird viel Kleidung benötigt.

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die Kleidung. Das passiert aber auch, wenn jemand verstorben ist und die Hinterbliebenen irgendwann den Kleiderschrank aufräumen oder sogar die Wohnung auflösen und das Friedensdorf dabei bedenken.“ Die gemeinnützigen Wirtschaftsbetriebe bzw. die gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung der Aktion Friedensdorf mbH (wie sie richtigerweise heißt) hat noch einen weiteren Arbeitsbereich, richtig? A. Zenkner: „Ja, das stimmt. Die komplette Haustechnik für das Friedensdorf wird mit abgedeckt. Das schließt die Pflege der Außenanlagen und Gebäudeinstandhaltung im Oberhausener Friedensdorf und der Dinslakener Zentralstelle sowie alles rund um Technik mit ein. Diese Dienstleistungen im Handwerksbereich bieten wir in begrenztem Umfang auch außerhalb des Friedensdorfes an.“ Was ist aktuell zu tun? S. Beckmann: „Gerade haben wir die Bekleidung für den kommenden Afghanistan-Hilfseinsatz bereitgestellt. Unsere Partner im Ausland stehen im Kontakt mit den Kolleginnen der Projektabteilung, die die Zusammenstellung, Verpackung und den Versand der Hilfsgüter organisieren. Neben medizinischem Gerät und Verbandsmaterial ist eben immer auch Kleidung dabei. Das ist unsere Aufgabe. Sobald ein Hilfseinsatz vorbei ist, sortieren und sammeln wir schon für den nächsten. Ansonsten wird das Sortiment in unseren Interläden der Saison entsprechend geändert und die di-

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Fleissiger Helfer: Taschen packen für den Hilfseinsatz. cken Wintermäntel bald von Frühjahrsmode abgelöst. Einfach mal vorbeischauen!“ Sachspenden können in den Interläden oder direkt an der Friedensdorf Zentrale in Dinslaken abgegeben werden.

Friedensdorf Zentrale Lanterstraße 21 46539 Dinslaken Tel.: 02064/4974-0 Öffnungszeiten: Montag bis Samstag: 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr Sonntag/Feiertag: 07:00 Uhr bis 22:00 Uhr

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Öffnungszeiten der Interläden Alt-Oberhausen Lothringer Straße 2: Montag-Freitag 10:00 - 18:00 Uhr Samstag 10:00 – 14:00 Uhr

Sterkrade Bahnhofstraße 53-54: Mo/Di/Do/Fr 9:30 - 18:00 Uhr Mittwoch 9:00 - 18:00 Uhr Samstag 9:00 - 14:00 Uhr

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Hier findet fast jeder etwas: Trรถdel- und Altkleider-Verkauf beim Dorffest. Foto oben: Barbara Siewer

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Ein kleines Wunder

HILFSEINSÄTZE

Angola: Isaias kam auf Vakuummatratze

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saias war im Mai 2015 mit dem Charterflug nach Deutschland gekommen. Die Diagnose lautete bei ihm: großflächige Verbrennungen an 70 Prozent der Körperoberfläche mit offenen Wundflächen an 46 Prozent. Bei einer Gasexplosion im Februar desselben Jahres hatte sich der Junge schwer verletzt. Sein schlechter Ernährungs- und Allgemeinzustand verhinderten fast seine Chance auf Heilung in Deutschland. s musste sichergestellt sein, dass der Junge direkt in einem Krankenhaus unterkommt – er hätte nicht länger warten können“, unterstrich das Einsatzteam damals die Dramatik der Situation. Glücklicherweise kam tatsächlich die Zusage eines deutschen Kran-

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kenhauses, den Jungen direkt und kostenlos zu behandeln. Der Friedensdorf-Schützling musste auf einer Vakuummatratze transportiert werden, so schwer und schmerzhaft waren die Verletzungen. Ein halbes Jahr später war das Unglaubliche dann wahr geworden: Nach zahlreichen Operationen hatte Isaias alles überstanden und durfte zusammen mit 58 weiteren genesenen Kindern mit dem Charterflug im November zurück zu den sehnsüchtig wartenden Familien fliegen.

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er genannte Angola-Hilfseinsatz fiel übrigens in die Zeit des 40. Unabhängigkeitstages Angolas, der jährlich am 11.11. begangen wird und in der portugiesischen Landessprache „Dia da Independência

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Nacional“ heißt. Dabei stellt sich die Frage, wie viele Angolaner diesen Tag tatsächlich feiern können. Inzwischen ist es mehr als 40 Jahre her, seit die portugiesischen Besatzer das Land verlassen haben und doch herrscht immer noch große Armut. Erst im Februar berichteten Medien darüber, dass der Verfall des Ölpreises und der Landeswährung Kwanza Angola hart trifft. Erdöl und Ölderivate sind bislang das wichtigste Exportgut, während Lebensmittel zu einem großen Teil importiert werden müssen. eringere Einnahmen und die Angst vor weiterer Verschuldung haben zur Folge, dass weniger importiert wird. So werden vielerorts Lebensmittel knapp – und Erinnerungen an die Zeit des angolanischen Bürgerkriegs wach.

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Mehr Kinder aus Afghanistan Die Hoffnungslosigkeit in der Bevölkerung wächst „11.002 Zivilisten sind von den unterschiedlichen Konfliktparteien in 2015 getötet und verletzt worden - ein neuer Höchststand und vier Prozent mehr als in 2014“, so das Fazit eines kürzlich erschienenen UN-Berichtes über Afghanistan. Unter den Zivilisten befinden sich Frauen und Kinder. Sogar jedes vierte Opfer in Afghanistan soll ein Kind sein – da liegt es nahe, dass darunter auch kleine Patienten sind, die vom Friedensdorf behandelt werden.

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m Februar kamen dann auch über 100 schwer kranke und verletzte Kinder, davon allein über 80 aus Afghanistan, mit dem Charterflugzeug nach Deutschland. Deutlich mehr als beim letzten Hilfseinsatz. Aus Sicht des Friedensdorfes und der afghanischen Partner ist es schwierig, daran eine Veränderung der Versorgungsmöglichkeiten vor Ort ablesen zu wollen. Vielmehr spielt die Frage eine Rolle, inwiefern die Sicherheits- und auch die Wetterlage im Land es zulassen, dass Angehörige ihre verletzten Kinder aus den Provinzen nach Kabul bringen können. Diesmal standen die Zeichen gut und viele haben es geschafft. In diesem Sinne war es ein „erfolgreicher“ Hilfseinsatz – mit bitterem Beigeschmack. Es ist kaum zu leugnen, dass die militärischen Aktivitäten in Afghanistan in den vergangenen Jahren kein stabiles Land zurückgelassen haben und

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Endlich gelandet: Ankunft aus Kabul am Flughafen Düsseldorf. besser Geld und Energie in soziale Projekte, die Infrastruktur und vor allem in die Gesundheitsversorgung investiert worden wäre. er in Afghanistan lebt, braucht einen starken Durchhaltewillen. Dieser wird jedoch durch zunehmende Hoffnungslosigkeit geschmälert, wie unsere Mitarbeiter besorgt zur Kenntnis nahmen. Wie gewohnt wurden beim Afghanistan-Kombinations-Hilfseinsatz auch wieder Kinder aus Zentralasien und dem Kaukasus berücksich-

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tigt. Sie leiden nicht unter akuten Verletzungen, sondern beispielsweise an komplexen angeborenen Erkrankungen, die in ihren Heimatländern nicht behandelt werden können. Deutsche Ärzte und Krankenhausträger haben ihre Einwilligung zu kostenlosen Operationen gegeben. in Dank geht wieder einmal an die „Sternstunden“. Die Benefizaktion des Bayerischen Rundfunks hat auch die letzten Hilfseinsätze wieder in großem Maß mitfinanziert.

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Ein Land am Abgrund: Kein Entwicklungpotential Vor-Ort-Besuch zeigt dramatische Zustände in Gambia Dr. Tobias Bexten – Ex-Friedensdorf-Zivildienstleistender und heutiger Assistenzarzt der Chirurgie, der immer wieder ehrenamtlich Hilfseinsätze begleitet – und Maria Tinnefeld vom Friedensdorf waren in Gambia, um fünf ehemalige Patienten heimzubringen und sieben neue verletzte oder erkrankte Kinder nach Deutschland zu holen. Vor Ort hatten sie auch die Gelegenheit, sich ein aktuelles Bild von den Versorgungsmöglichkeiten zu machen. Dr. Tobias Bexten schildert seine Eindrücke.

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ir sind in einer überregionalen Basisgesundheitsstation etwas außerhalb der Stadt, welche für die Versorgung von ca. 100.000 Menschen ausgelegt ist. In einem ansonsten leeren Raum, bemalt mit der so typischen grau-braunen Lackfarbe stehen in der Ecke etwa 20 Rollatoren. Sie fallen ins Auge, da sie hier nicht hin passen. Auch scheinen sie in den Augen der Mitarbeiter für keine Funktion in Betracht zu kommen, ihrem äußeren

Anschein nach stehen sie schon lange dort, wo sie einst abgestellt wurden.

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as Krankenhaus besteht aus 4 Gebäuden von je gut 100 qm Grundfläche. Wir sehen drei dieser Gebäude. Es gibt in der Geburtenabteilung 14 funktionierende Betten, diese sind saisonal bedingt nicht alle belegt, uns wird jedoch berichtet, dass häufig 3 bis 4 Patienten in nur einem Bett Platz finden. Das Dach wurde ge-

rade erneuert, bis dahin habe man in der Nacht die Sterne gesehen. Es wird das behandelt, was diagnostiziert werden kann. Hierbei stehen die Sinne des Personals im Vordergrund. Eine radiologische Abteilung gibt es nicht, auch kein Ultraschallgerät. An Labormöglichkeiten zeigt man uns ein Testgerät für den HB Wert. Ebenso gibt es einen Schnelltest für Malaria, ausreichend für die häufigste Malariaform, nicht für alle. Weiterhin gibt es einen gynäkologischen OP Saal. Hier arbeiten zweitweise eine britische Gynäkologin sowie zwei kubanische Ärzte. Ein junger, ca. 30 jähriger gambischer Arzt verrichtet als Allgemeinmediziner seine Tätigkeit im Krankenhaus. Er verdient etwa 150 Euro im Monat und ist zu Gunsten seiner staatlich geförderten Ausbildung zu 10 Jahren verpflichtet.

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Ganz normaler Alltag: Straßenszene in Gambia.

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weite Einrichtung, ein staatlicher Grundversorger, Einzugsgebiet 30.000 bis 40.000 Menschen. Ähnliches Bild, hier sind die meisten Betten jedoch unbrauchbar, Matratzen seien seit Monaten bestellt aber nicht zu bekommen. Die Apotheke besticht durch ihre Klarheit, die Regale sind in etwa zehn verschiedene Medikamentenklassen eingeteilt, unter anderem gegen Infektionen, Diabetes und Bluthochdruck (ca.

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30% der Bevölkerung haben diese Erkrankungen), Malaria, Augeninfektionen und HIV Medikamente. Um die Behandlungsentscheidung zu vereinfachen fehlen 80 Prozent dieser Medikamente, es gibt noch letzte Reste von Antibiotika und zwei unterschiedliche Pakete HIV Medikamente. In einem kleinen Abstellraum fällt mir ein sicherlich nicht mehr funktionsfähiger OPTisch der Firma Maquet auf, welcher gespendet wurde, absurd in Anbetracht der Tatsache, dass es weder einen OP noch einen Chirurgen gibt.

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niklinik – Hierhin begleitet uns ein Hochschullehrer der Klinik und Chirurgie. Leider sind wir nicht angemeldet, erhaschen jedoch einen guten Eindruck bevor wir vom Sicherheitspersonal nach draußen eskortiert werden. Ohne Diskussion wird dies von Seiten des Hochschullehrers akzeptiert.

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Wir befinden uns schließlich in einer Diktatur. Auf der Intensivstation gibt es 8 Betten, 5 sind belegt. Neben jedem Patienten steht eine Sauerstoffflasche, über eine Nasensonde wird etwas Sauerstoff verabreicht. Der Raum ist auf ca. 20 Grad herabgekühlt, allein der Geruch erinnert etwas an Intensivstation, mehr nicht.

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m Eingangsbereich stehen einige Gerätespenden aus Europa, hierunter mache ich alleine 4 Narkosetürme aus, zum Teil aber mit Aufklebern versehen: defekt, keine Freigabe. Abgesehen davon, dass auch diese Geräte bereits eine mehrmonatige Staubschicht gesammelt haben, frage ich mich, wer die Geräte hier reparieren soll. Es ist absurd, was für ein Müll nach Gambia gespendet wird.“

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oweit die authentischen Eindrücke von Dr. Tobias Bex-

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ten. Anders als Angola ist Gambia nicht nur kein aktuelles Kriegsgebiet, sondern nicht einmal ein ehemaliges. Beide Länder sind jedoch Krisenregionen, in denen sich in jüngster Zeit das politisch-soziale Konfliktpotential enorm verschärft. Bei Gambia kommt hinzu, dass es aufgrund mangelnder Ressourcen weit weniger Entwicklungspotential hat.

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twa Dreiviertel der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, vor allem vom Reisanbau. Da viele Familien jedoch nicht genügend Reis zur Selbstversorgung kultivieren können, sind zusätzliche Nahrungsimporte notwendig. Einziges relevantes Exportgut des Landes sind Erdnüsse. Devisen kommen sonst fast ausschließlich durch den Tourismus ins Land, welcher jedoch nach der Ebola-Epidemie in den Nachbarländern dramatisch eingebrochen ist.

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PROJEKTE

Neuigkeiten von Kambodscha-Projekten

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n der Entbindungsklinik in Rameas Hek (Bild oben), die als Ergänzung zum Provinzkrankenhaus letztes Jahr in Betrieb genommen werden konnte, erblickten im vergangenen Jahr 538 Kinder das Licht der Welt. Werdenden Müttern aus der Umgebung dient sie zudem als Anlaufstelle bei Fragen und Problemen während der Schwangerschaft.

Ebenso können sie ihre Kinder unter hygienischen Bedingungen und unter Aufsicht medizinisch geschulten Personals zur Welt bringen. Dadurch verringern sich die Risiken der Geburt für Mütter und Kinder. Des Weiteren konnten insgesamt 130 erkrankte Frauen stationär behandelt werden. Aber auch 855 Kinder bekamen die Chance auf eine medizinische

Therapie und Unterbringung im Provinzkrankenhaus. benso gibt es Neuigkeiten zu den Basisgesundheitsstationen (BGS). Im vergangenen Jahr konnte das Friedensdorf gleich drei solcher Stationen errichten (BGS 23 und 24, der Bau der BGS 25 wurde von Solinger Bürgern finanziert). An der 26. Station wird gerade gearbeitet (Bild unten) und sie soll bis zum Beginn der Hochwasserzeit betriebsbereit sein. Außerdem ist BGS 27 in der konkreten Planung und für die BGS 28 liegt bereits der Antrag unseres Projektpartners vor. lle Stationen bieten Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen und Krankheitsaufklärungen an. Schwangere können sich untersuchen lassen und entbinden. Damit diese Hilfe auch wirklich für jeden zugänglich ist, werden die Kosten an das Einkommen der Patienten angepasst.

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achdem die japanische Friedensdorf-Botschafterin Chizuru Azuma im Sommer 2015 zu Besuch an der Rua Hiroshima war, folgten Friedensdorf-Leiter Thomas Jacobs und Mitarbeiterin Maki Nakaoka im Oktober der Einladung nach Fernost. Ein Programmpunkt dort war das Treffen mit dem japanischen Versandhaus „Catalog House“, das seit 13 Jahren Berichte über das Friedensdorf in seinen Katalogen platziert, die eine sehr große Leserschaft haben. An der Gesprächsrunde nahmen Chizuru Azuma, Thomas Jacobs und Dr.

Friedensdörfler zu Besuch in Japan Yukihisa Yagura teil (Foto oben). Dr. Yagura arbeitet in einer Klinik im nordjapanischen Hokkaido als Orthopäde und fliegt regelmäßig für die Friedensdorf Hilfseinsätze nach Deutschland, um freiwillig bei der Erstversorgung der kleinen Patienten zu helfen. Neben der Friedensdorfarbeit wurden auch weitere friedenspolitische Themen erörtert. Viele Japaner, die sich ehrenamtlich im Friedensdorf engagieren, sehen ihr humanitäres Jahr im Dorf als Bestätigung ihrer pazifistischen Einstellung und als große persönliche Bereicherung.

schnitt verschiedener „Ururun“Sendungen der letzten 16 Jahre handelte. Thomas Jacobs war sehr beeindruckt vom Engagement und der Hilfsbereitschaft der japanischen Freunde: „Diese

japanische Friedensdorfgemeinschaft hat familiären Charakter. Man kennt sich untereinander und niemand ist sich fremd. Die Herzlichkeit, die uns hier begegnet, ist unbeschreiblich!“.

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in weiteres Highlight der Japan-Reise war ein Treffen von rund 70 ehemaligen Friedensdorf-Volontären und zahlreichen anderen potentiell Interessierten, das von „Chi“ und Dr. Yagura vorbereitet worden war. Zu dem Anlass gab es einen Sonderbeitrag von Tsuyoshi Kawahara, bei dem es sich um einen Zusammen-

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Tokio bei Nacht – Foto: Sean Pavone / Shutterstock.com

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ie enge Verbindung zu Japan entstand in den 1990er Jahren und ist seitdem ungebrochen. Auch die Katastrophe von Fukushima im März 2011 hat daran nichts geändert. Anlässlich des fünften Jahrestags der Katastrophe am 11.3.16 erinnerten sich zwei ehemalige japanische Friedensdorf-Freiwillige an das Unglück.

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anako, ehemalige Freiwillige im Friedensdorf und heute ehrenamtliche Mitarbeiterin des Friedensdorf-Unterstützerkreises in München befand sich am Tag der Katastrophe an ihrem Arbeitsplatz in Tokio. Noch einmal lässt sie die Bilder dieses Tages an sich vorüberziehen:

5 Jahre nach der Ehemalige Friedensdorf-Freiwillige

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ch war damals im Krankenhaus, weil ich 3 Tage vor dem Erdbeben ein Kind bekommen habe. Direkt nach dem großen Erdbeben habe ich fast keine Informationen über Erdbeben, Tsunami und Fukushima-Katastrophe bekommen. Ich hatte ein neugeborenes Kind und konnte nicht richtig darüber nachdenken, was passiert war.

FUKU

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ch dachte erst an meine Familie. Damals wusste ich nicht, wo der Erdbebenherd war. Und niemand hatte den unvermuteten Tsunami gesehen. Fernsehen funktionierte nicht, weil auch in Tokio die Erde sehr stark bebte. Alles war chaotisch, der Verkehr und das Telefonnetz funktionierten nicht. Ich konnte nicht nach Hause, da ich außerhalb von Tokio gewohnt habe. Viele konnten nicht nach Hause. Ein Kollege von mir ist drei Stunden nach Hause gelaufen, andere mussten auf der Arbeitsstelle übernachten wie ich. Als Japanerin sollte man immer an das Risiko von Naturkatastrophen denken, denn Japan hatte schon immer schwere Erdbeben.“ Auch Michiru ist eine ehemalige Friedensdorf-Freiwillige und kann sich noch sehr genau an das Unglück erinnern.

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Damals gab es Schnee bei uns. Wir konnten keine Heizung nutzen. Für mein Kind habe ich viele Decken besorgt. Duschen konnte man auch nicht. Windeln, Milch und Feuchttücher konnte ich kaum besorgen. Meine Verwandten, die nicht direkt im Katastrophengebiet wohnten, haben mit dem Auto Pflegesachen für mein Kind gebracht. Das war eine große Hilfe.

Fukushima im Sommer 2014.

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Katastrophe aus Japan erinnern sich Jetzt wohne ich in Yokohama, ca. 400 km weg von Tohoku Sendai. Die Trümmer sind mittlerweile weg, aber viele wohnen noch in Notunterkünften. Ich wünsche ihnen, die direkt diese Katastrophe erlebt haben, dass sie wieder ein normales Leben haben können. Ich werde nie diese Katastrophe vergessen und unterstütze weiter, wo ich kann.“

2011

hatten sich alle freiwilligen Helfer aus Japan entschieden, trotz des Unglücks in ihrer Heimat im Friedensdorf zu bleiben. Sie leisteten weiter wertvolle Unterstützung für die Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten. Bis heute fühlt sich das Friedensdorf den japanischen Freunden (hier in Deutschland und in Fernost) eng verbunden. Auch

SHIMA

Foto: Attila JANDI / Shutterstock.com

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wenn sich die gesundheitlichen Folgeschäden des Reaktorunglücks kaum eindämmen lassen, ist zumindest zu hoffen, dass sich die Wohn- und Lebenssituation vieler Japanerinnen und Japaner möglichst bald wieder verbessert.

Hintergrund Am 11. März 2011 um 14.46 Uhr hatte sich vor der Ostküste Japans, 130 Kilometer östlich von Sendai, ein schweres Seebeben ereignet. Massive Erdstöße sorgten für gravierende Schäden im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. Der darauffolgende Tsunami verschlimmerte die Situation. Stromversorgung und Kühlung aller sechs Reaktoren sowie der sieben Abklingbecken mit hochradioaktiven Brennelementen fielen aus. In drei Reaktoren kam es zur Kernschmelze und somit zum Super-GAU. Noch wochenlang zogen immer wieder radioaktive Wolken über Japan und/oder den Pazifik. Laut einer Studie der Fukushima Medical University wurde bei über 100 Kindern inzwischen Schilddrüsenkrebs diagnostiziert, ca. 100.000 Menschen leben noch in Unterkünften und bei Verwandten, verstrahlte Lebensmittel und über einen nicht vorhersehbaren Zeitraum verseuchte Böden sind nur einige der Konsequenzen mit denen die japanische Bevölkerung heute leben muss.

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Besser als jede Konsole

Ein Seminar beim Friedensdorf Bildungswerk

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ugendlichen, der mit seiner Klasse am Seminar für friedenspädagogische Bildung teilnahm. Diesen Satz kann man wohl als großes Kompliment werten, denn vieles dreht sich im Alltag der heutigen Jugend um die digitale Welt. Kaum zu glauben, dass Murmel-Spiele oder Fangen und Verstecken mit den Friedensdorf-Kindern so viel Freude bereiten können.

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ie Tages- und Wochenendseminare des Bildungswerks sollen die Teilnehmer an andere Lebenssituationen und Kulturen heranführen und ihnen verdeutlichen, dass Anderssein kein Nachteil sein muss. Neben Vorträgen, Diskussionen und einem Rundgang durch die Heim- und Pflege-

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einrichtung gehört eine Spiel- und Lerneinheit mit den Friedensdorf-Kindern fest zum Programm. „Was ich mitnehme, ist Lebensenergie, da ich gesehen habe, dass kein Schicksal so schlimm ist, dass es einen daran hindern könnte zu lächeln“, erzählte eine Teilnehmerin.

2015

gab es (wie schon im Vorjahr) 100 ein- und mehrtägige Seminare mit Unterbringung in der Begegnungsstätte des Friedensdorfes. In der Familien- und Erwachsenenbildung wurden an die 1.400 Unterrichtsstunden durchgeführt.

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n diesem Jahr wird das Bildungswerk 30 Jahre alt. Am 24. Mai 1986 wurde es auf Beschluss der damaligen Mitgliederversamm-

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lung gegründet. Im Oktober 1987 folgte dann die Anerkennung als Einrichtung der Weiterbildung und Familienbildung.

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eute können und wollen wir Friedensdorf International gar nicht mehr ohne diesen wichtigen Arbeitsbereich denken; er gehört untrennbar dazu. Noch einige Statements von jungen Besuchern der Begegnungsstätte: „Dieser Tag war einer der schönsten, die ich jemals hatte und hat mir die Augen geöffnet.“ „Sprache ist nicht das wichtigste Kommunikationsmittel.“ „Wir sind eine Welt. Niemand ist allein. Jeder ist für jeden verantwortlich.“

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