FROH! 4: ERNTE

Page 1

FROH!

Magazin für DIE SCHÖNEN TAGE DES JAHRES nummer 4 · ISSN 1869-1528 · 10 EURO

ERNTE



„Wer den Acker im herbst nicht stürzt, hat seine ernte zur hälfte gekürzt“, so will es eine alte Bauernweisheit. Was das heißt, wissen wir auch nicht so genau. Und da fängt es schon an, unser Heft. Denn wir sind keine Bauern, sondern Stadtmenschen. Wenn die Luft abkühlt, legen wir nicht den Kopf in den Nacken, kneifen die Augen zusammen und lesen den Himmel. Wie morgen das Wetter ist, kann uns egal sein. Zur Not fahren wir mit der Bahn zur Arbeit. Wahrscheinlich können wir nicht mal Weizen und Gerste voneinander unterscheiden. Die sind auch überhaupt nicht gut für unseren Heuschnupfen. Dachten wir. Aber bei der Auseinandersetzung mit dem Thema wurde uns klar, dass wir uns in den letzten 200 Jahren, auf dem Weg von der Agrargesellschaft ins Informationszeitalter, so weit gar nicht bewegt haben. Je weiter wir gruben, desto mehr zeigte sich, dass wir tiefe Wurzeln geschlagen haben. Das Bild, etwas auszusäen und dafür den Ertrag zu bekommen, ist uns vertraut. Es erinnert an unsere Anpassungsfähigkeit und Abhängigkeit. Es steht für den Wert unserer Arbeit und berührt unser Gerechtigkeitsempfinden. Auch wenn unsere Hände nicht mehr in der Erde wühlen, schlägt unser Herz höher, wenn wir etwas wachsen sehen. Wir bepflanzen Balkone oder Verkehrsinseln, und in unseren freien Momenten träumen wir vom Häuschen im Grünen. Denn seit wir unsere Arbeitsorte nach drinnen verlegt haben, werden wir das Gefühl nicht los, wir und die Natur sollten mehr Zeit miteinander verbringen. Man kann unser Ernte-Heft als Spurensuche verstehen. Sie beginnt auf dem cover. Das Kornfeld ist dem Buch Asper entnommen. Das Bild des Dorfes, das die Fotografin Karianne Bueno darin zeichnet, hat die Unschärfe eines Traumes. Eine Erinnerung, der man folgen kann wie die Kinder, die der verwehten Spreu des Heuwagens nachlaufen. Auf dem Weg begegnen wir Menschen, die ebenfalls suchen: christian Sauer etwa, der die zurückliegenden 30 Jahre seines politischen Lebens resümiert hat. Seine Wurzelbehandlung reicht von Konrad Adenauer bis Joschka Fischer und erfolgt unter der angenehmen Betäubung

durch spanischen Rotwein (Seite 74). oder König Rainer, der seiner Freundin eigentlich nur den Wunsch erfüllen wollte, einmal Schützenkönigin zu sein. Und auf einmal war er eingereiht, in eine 400 Jahre alte Tradition (Seite 60). Die Menschen des interkulturellen Kleingartenvereins in Berlin-Köpenick kultivieren ihre Erinnerung an das Heimatland in kleinen Parzellen (Seite 10). Nur die Zäune zwischen den Ländergrenzen haben sie weggelassen. Auch Frederic Lezmi ist seinen libanesischen Wurzeln nachgegangen (Seite 64). Seiner Fotostrecke hat er die Erklärung nachgereicht, dass er Melonen etwa zur gleichen Zeit kennen gelernt hat wie Muttermilch. Da war es zu unserer eigenen Kindheit nicht mehr weit. Wir sind ihr in der Sommerlandschaft von Ali Mitgutschs Kinderbuch-Klassiker begegnet. Man kann die Hitze förmlich spüren, den Geschmack von Brause und Wurstbrot auf der Zunge. Schließlich sind wir im Hier und Jetzt angekommen. Die eigentliche Ernte will in Deutschland niemand mehr machen. Wir nehmen uns stattdessen Bauern aus Polen, die sind billiger. Für ihre eigenen Felder nehmen diese dann Erntehelfer aus Bulgarien. Die sind noch billiger. Spreu und Weizen trennen wir lieber auf den Arbeits- und Bildungsmärkten. Hier hat sich die Theologin und Sozialethikerin Veronika Drews-Galle umgeschaut (Seite 50). Ihr Blick zeigt, dass man die Ernte nicht auf den Ertrag verkürzen darf. Wer das Ernten vielmehr als „soziale Kunst“ versteht, weiß, dass der Mensch seinen Eigenwert immer auch aus der Teilhabe am großen Ganzen zieht. Prior Marian verortet den Einzelnen etwa in der klaren Struktur von Zeit und Raum (Seite 30). Sein Text ist ein Plädoyer für den Freiraum, der an der Schnittstelle von Ungezwungenheit und ordnung entsteht. Den modernen Menschen in derartigen Abhängigkeiten zu sehen, ist selten. Denn in aller Regel sind wir es ja, die den Rhythmus bestimmen wollen. Nicht immer gelingt uns das. Als im Jahr 1816 der Sommer ausgefallen ist, weil ein Vulkanausbruch ganz Europa in dunkle Aschewolken hüllte, hatte das Hungersnöte und Epidemien zur Folge (Seite 27). Im Jahr 2010 zwingt uns Eyjafjallajökull immerhin, statt des Flugzeugs die Bahn zu benutzen. Was so schlecht nicht ist. Am Schluss wollten wir dann doch noch wissen, wie das Wetter wird. Das und einiges mehr sagt uns die Trendmap, die die Zukunftsforscher von Z_punkt gemeinsam mit der Agentur großgestalten für uns erstellt haben (Seite 90). Ihre Antwort ist auch ein schöner Kalenderspruch: Die Entscheidung, wie die Zukunft wird, fällt in der Gegenwart. Haben wir uns ja gleich gedacht. Denn sagt man nicht: „Wo man häcksel sät, wird kein Korn geerntet“? eure FROh!-Redaktion


glück ist der freunde sommer und ernte

wER winD SäT, wiRD STuRM ERnTEn

4·5


Bei uns im dorf editorial impressum volksgärten

Ali Mitgutsch malt die Erntebilder unserer Kindheit

heimaterde hejo, spann den wagen an ein tisch im kornfeld ich war noch nie verschollen sommerloch herzrhythmus

Zu Besuch im Garten Wer erntet eigentlich unseren Spargel? Essen zum Mitnehmen Ein Gespräch mit Rüdiger Nehberg 1816 war kein gutes Jahr für Europa Ein Plädoyer für den Freiraum

8 14 20 24 27 30

bauernschläue waidmanns welt jagen sammeln alle guten gaben blatt-laus der kleine sparer speisekarte schützenhilfe melonenpublikum

Wir sind nicht auf den Volksmund gefallen Eine Fotostrecke von Friederike Brandenburg Das Warten auf den richtigen Moment Das Glück des Findens Ernten als soziale Kunst Die Schrift und ihr Fressfeind Eine Erinnerung Globale Ernte Kein Sommer ohne Schützenfest Eine Fotostrecke von Frederic Lezmi

38 40 48 49 50 52 57 58 60 64

SpäTlESE zEiTuMSTEllung KlEinbauERn bilDER, DiE waCHSEn zuRüCK in DiE zuKunFT

Eine Wurzelbehandlung Früher tickten die Uhren anders Kleines mit großer Wirkung Ali Mitgutsch im Gespräch Eine Trendmap

74 79 77 86 90

ERnTEDanK laSS FROH! waCHSEn

Unsere Feldarbeiter In eigener Sache

96 98

Unser Hof und Fuhrpark Urbane Bauern in Nordkorea

2/99 3 6 7


VERlEgER

HERzliCHER DanK

Michael Schmidt michael.schmidt@frohmagazin.de

Andere Zeiten e.V., Eva Drick (Ravensburger), Jean-Marie Dumaine, christian Fahrenbach, Susanne Frank, Ines Glowania, Ingmar Gregorzewski, Tobias Groß, Dr. Thomas Gutschker, Thomas Josek, Dunja Karabaic, Helmut Kizele, Tim Leimbach, Krista Lemke, Silke Loh (Z_punkt), Anneke Lohr, Andreas Mass, Anke Mattern (Welthungerhilfe), Ali Mitgutsch, motoki-Kollektiv, Sabine Lydia Müller, Annette und Rüdiger Nehberg (Target), Hanns-Josef ortheil, caroline Schumann, Inge Schürmann, Gerhard Uhrmacher (Welthungerhilfe), Giuseppe Vitucci

FROH! Magazin

c/o motoki-Wohnzimmer Stammstr. 32–34, 50823 Köln www.frohmagazin.de hallo@frohmagazin.de HERauSgEbER

Dirk Brall dirk.brall@frohmagazin.de CHEFREDaKTEuR

Dr. Sebastian Pranz sebastian.pranz@frohmagazin.de

TYpOgRaFiE aRTDiREKTOR

Klaus Neuburg klaus.neuburg@frohmagazin.de

Adobe Garamond Pro, House Industries Chalet in fünf Wachstumsphasen DRuCK

gESTalTung

Moritz Altreuther, servus@moritz-altreuther.de Mona Garde, hello@monagarde.de Julia Vukovic, letter@juliavukovic.de COVER

Die Fotografin Karianne Bueno dachte, sie hätte mit Asper das Idyll eines belgischen Dorfes eingefangen. Doch unter der oberfläche ihrer Bilder lauert überall die Sehnsucht und die Einsamkeit des dörflichen Lebens. Der Fotoband Asper ist bei Schaden.com erschienen.

Universitätsdruckerei H. Schmidt, Mainz Diese Broschüre wurde mit Druckfarben und Strom aus nachhaltiger Produktion gedruckt. Als verantwortungsbewusstes Unternehmen trägt die Universitätsdruckerei durch eine Wärmerückgewinnung zum Schutz der Umwelt bei. Das verwendete Papier ist nach den Vorgaben des FSc zertifiziert. Die Universitätsdruckerei wurde im September 2009 nach den Umweltmanagementstandards der EMAS -Verordnung (Register-Nr.: DE -152-00018) validiert und nach den Regeln der ISo 14001 zertifiziert.

FOTOgRaFiSCHE bERaTung:

Nina Poppe FSc LoGo wird von Druckerei eingefügt

VORSaTz

Die Umschlaginnenseiten sind dem Bilderbuch Bei uns im Dorf von Ali Mitgutsch entnommen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Ravensburger Verlages. papiER SCHluSSlEKTORaT

Thomas Donga-Durach

Druckfein von Römerturm vereint die Haptik eines Naturpapiers mit der Druckbrillanz eines gestrichenen Papiers.

lEKTORaT

Mirja Wagner

übER FROH! FRoH! ist ein Gesellschaftsmagazin, das

besondere Ereignisse des Jahres aufgreift und sich neugierig auf die Themen und Fragen dahinter einläßt. Die Beitragenden schenken dem Magazin nicht nur ihre Texte und Bilder, sondern den Leserinnen und Lesern auch neue und überraschende Blickwinkel. Durch die sorgfältige Komposition von Beiträgen aus Kultur, Gesellschaft, christlicher Spiritualität und nachhaltigen Lebenskonzepten entsteht ein hochwertig gestaltetes Magazin, das nicht nur FRoH! heißt, sondern auch froh macht. HinTER FROH! Das FRoH! Magazin ist ein Projekt der

Nonprofit-organisation mateno e.V.

Wir träumen heute eine bessere Welt von morgen. Eine Gesellschaft, in der man sich nicht um sich selber dreht, sondern die Verantwortung für sich und sein Umfeld wahrnimmt. mateno möchte Menschen motivieren, diese Miteinander-Gesellschaft in die Tat umzusetzen. Unsere Projektideen sind vielfältig. Wir entwickeln und gestalten verschiedene Medien, Veranstaltungen, Kampagnen, Denkmodelle und Lebenskonzepte. Unsere Projekte bewegen sich im Kontext von christlicher Spiritualität, Kultur, ökologischer Nachhaltigkeit, Sozialem und Wirtschaft. Als gemeinnütziger Verein arbeiten wir nicht gewinnorientiert. Auch Produkte, die wir zum Kauf anbieten, decken nur einen geringen Teil der Kosten ab. Darum sind wir auf die Unterstützung von Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen und Vereinen angewiesen, die sich gemeinsam mit uns für eine Miteinander-Gesellschaft engagieren möchten. Das Wort mateno ist der Sprache Esperanto entnommen und bedeutet »früher Morgen«. Die Nacht mag lang sein. Bis die Träume greifbar werden, ist es noch ein weiter Weg. Wir sind schon mal losgegangen.

ÖFFEnTliCHKEiTSaRbEiT

Stefan Vetter stefan.vetter@frohmagazin.de inTERnET-auFTRiTT

christian Kunz www.designammain.de 6·7

SCHuTzFaKTOR Das FRoH! Magazin und alle darin veröf-

fentlichten Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung oder Verwertung bedarf der schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.

www.mateno.org


Weil die staatliche Versorgung mit Lebensmitteln nicht ausreicht, werden immer mehr Bewohner in Nordkoreas Städten zu urbanen Kleinbauern FoTo: Thomas Gutschker/Welthungerhilfe

Nordkorea ist kein Agrarland. Nur etwa 20 Prozent der Staatsfläche kann landwirtschaftlich genutzt werden. Schuld daran sind die schlecht zugänglichen Berge und Hügel. Zusätzlich erschweren die heißfeuchten Sommer und langen, kalten Winter den Anbau der Hauptnahrungsmittel Nassreis, Mais und Gemüse. Unter diesen Bedingungen reichen die Erträge nicht aus, um die rund 23 Millionen Bewohner des Landes zu ernähren. Jedes Jahr zwischen Frühlingsanfang und der ersten Ernte im Mai oder Juni leiden viele Menschen an Hunger. Unter dieser Unterversorgung leiden vor allem die Menschen in den Städten. Sie sind auf das lückenhafte Versorgungssystem durch den Staat angewiesen und müssen oft auf die überteuerten Lebensmittel ausweichen, die auf den Märkten verkauft werden. Seit dem Ende der 90er Jahre hat sich deshalb eine private urbane Landwirtschaft gebildet: Immer mehr Menschen nutzen die innerstädtischen Freiflächen für den Gartenbau und die Kleintierhaltung. Das Projekt der Welthungerhilfe unterstützt die Eigeninitiative dieser Familien. In den Vororten der Großstädte Pjöngjang und Sunchon wurden 30 große Gewächshäuser und mehr als 200 Kleinsysteme für Familien mit eigenem Bewässerungssystem gebaut. Diese Produktion bietet viele Vorteile: In Treibhäusern werden deutlich höhere

Erträge erzielt als auf den Feldern. Die Gebäude müssen auch im Winter nur für eine kurze Periode beheizt werden, da die Wärme der Sonne in den gut isolierten Gebäuden problemlos gespeichert werden kann. Die vitaminreichen Tomaten, Gurken, Auberginen und Erdbeeren lassen sich für einen guten Preis auf den Märkten verkaufen. Die Gärtner können sich also nicht nur von den Erträgen selbst ernähren, sondern auch ein Einkommen erwirtschaften. Auch direkt in den Städten, wo es kaum verfügbare Grünflächen gibt, ist Unterstützung möglich. Gemeinsam mit der Massey Universität in Neuseeland und der nordkoreanischen Landwirtschaftsakademie wird ein flexibles Anbausystem entwickelt, das an jede Umgebung angepasst werden kann. Die urbane Landwirtschaft entsteht also in den Gärten der Hinterhöfe, auf den Balkonen und Häuserdächern der Stadt. Insgesamt lassen sich so etwa 500.000 kg Gemüse pro Jahr produzieren. 50 Cent pro verkaufter Ausgabe spenden wir für die Arbeit der Welthungerhilfe in Nordkorea. Auch darüber kann gerne gespendet werden: Spendenkonto Deutsche Welthungerhilfe e.V. Sparkasse KölnBonn, Kontonummer: 1115, Bankleitzahl: 370 501 Spendenstichwort: „FrohMagazin hilft“. Weitere Informationen zur Arbeit der Welthungerhilfe findet man unter www.welthungerhilfe.de.



Lebe wie du Ernte hast Menschen im Garten, Menschen beim Arbeiten, Improvisation und ein Jahr ohne Sommer



heimaterde Der Mensch ist da zu Hause, wo sein Gemüse wächst. Zu Besuch in einem interkulturellen Kleingarten TExT: Stefanie Müller-Frank FoToS: Katja Sonnewend

Der Schrebergarten ist eine urdeutsche Erfindung. Wie der Gartenzwerg und die Vorschrift zur Heckenhöhe. In ordentlichen Kleingartenvereinen, so hört man, wird der Rasen auch schon mal mit der Nagelschere zurechtgestutzt. Das Bundeskleingartengesetz schrieb lange vor, in welchem Verhältnis Gemüse angepflanzt werden muss – schließlich sollte der Schrebergarten der Selbstversorgung dienen. Noch heute ist in der jeweiligen Kleingartenordnung genau festgelegt, wann kein Rasen gemäht werden darf – und wann er gemäht werden muss. Dass diese Vorschriften für alle gleichermaßen gelten, mag bei so manchen Laubenpiepern ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Trotz all der Hecken und Zäune. Auch der Interkulturelle Garten in Köpenick wird von Kleingärtnern betrieben, aber von der Schreberkolonie nebenan scheint er nicht nur ein paar Schritte durchs Gras entfernt: Keine Zäune, keine Hecken, kein einziges Verbotsschild findet sich hier. Stattdessen leuchten einem schon von Weitem die wuchernden Sonnenblumen entgegen. Friedlich liegt der Wuhlegarten an einem Kanal unter hohen, ausladenden Pappeln, deren Blätter leise im Wind klappern. Inmitten der Laubenpieperkolonien und adretten Einfamilienhäuser wirkt er wie eine bunte, unordentlich geknüpfte Patchworkdecke aus Blumenstauden, Gemüseranken, Erdhügeln, Unkraut – und ein paar Gießkannen dazwischen. 4.000 Quadrat-

meter ist der Wuhlegarten groß, das ist kein halber Hektar. Trotzdem wirkt er großzügig, alle Parzellen fügen sich zu einem großen, offenen Garten. Ganz ohne Datschen. Bis auf eine Gemeinschaftslaube mit großer Terrasse und einem großen Lehmofen davor. Jeder Gärtner darf seine Parzelle so nutzen, wie er es für richtig hält. ob er Blumen anpflanzt, Gemüse anbaut oder einen Komposthaufen anlegt. Einzige Regel: Nichts züchten, was der Nachbarparzelle die Sonne klaut. So wachsen im Wuhlegarten heimische Kräuter neben ungarischen Sonnenblumen und argentinischen Zucchini. Für viele Migranten ist die Parzelle zu einem Stück Heimat in der Fremde geworden. Wer in der Erde gräbt, erzählen die Gärtner, der schlägt irgendwann auch Wurzeln. Und wenn die Samen von thailändischen Kürbissen, armenischen Bohnen oder Kartoffeln aus Kasachstan im märkischen Sand aufgehen und Früchte tragen, dann wird auch schon mal gemeinsam gekocht. oder die Ernte aus aller Welt getauscht. Und in einem so bunten Biotop wirkt selbst der urdeutsche Gartenzwerg nicht fehl am Platz.


1

KASAChSTAN

1

Auf dem Beet von Irina Tschernow wachsen Kartoffeln, Zwiebeln, Tomaten, Gurken und Sauerampfer – so wie im Garten ihrer Kindheit

1

ARGeNTINIeN

1

Die Parzelle von Luis Bernhard ist überwuchert von grünen Ranken, an denen pralle, dunkelgrüne Früchte hängen: Argentinische Zucchini „Ich komme jeden Tag hierher. Noch vor acht. Meine Frau geht jeden Morgen früh zur Arbeit – und ich komme hierher. Dann gieße ich, entferne Unkraut oder unterhalte mich mit einem der Gärtner, die da sind. Und dann komme ich meist noch mal am Spätnachmittag, ernte Zucchini und bereite sie zu, bevor meine Frau nach Hause kommt. Die Erde hier beruhigt mich, dabei hatte ich in Buenos Aires gar keinen Garten – noch nicht mal einen Balkon. Ich bin in Schlesien geboren und habe 55 Jahre in Argentinien gelebt. Dann habe ich meinen Job als Wirtschaftsprüfer verloren und wollte in Deutschland noch mal neu anfangen. Mein Sohn schickt mir die Samen für die großen argentinischen Zucchini. Ab und zu tausche ich sie auch mal gegen exotische Samen der anderen. Hauptsache, niemand ist gezwungen, sich an ein Schema zu halten. Wir haben hier zum Beispiel eine Gärtnerin, die hat nur Blumen. Jeder kann sich das gestalten, wie er will. Es gibt nur eine Höflichkeitshöhe: Alles ist erlaubt, solange es der benachbarten Parzelle nicht die Sonne stiehlt.“

12 · 13

„In Kasachstan hatte jeder einen Garten. Auf dem Markt einzukaufen, konnten wir uns schließlich nicht leisten. In dem Garten war vom Frühjahr bis zur Ernte zu tun: säen, gießen, Unkraut jäten, Kartoffeln ernten, Kirschen pflücken. Da mussten alle Kinder helfen. Am liebsten war mir immer der Herbst, wenn es ans Einmachen ging. Wir hatten große Fässer und Gläser. Und natürlich einen Keller, in dem die Äpfel und Kartoffeln in Regalen bis zur Decke lagerten. Beim Einmachen hatte jede Familie ihr eigenes Rezept. Manche Familien haben das Gemüse zusammen eingemacht. Wir nie. Bei uns wurden Zwiebeln, Tomaten, Gurken und Weißkohl immer einzeln eingelegt. Und nicht, wie man es hier kennt, mit Essig! Wir haben Dill, Petersilie, Knoblauch, schwarzen Pfeffer und Nelken in Salzwasser gekocht und damit die Tomaten übergossen. Das waren ganz süße, große Herztomaten, die vermisse ich schon. Die haben vollkommen anders geschmeckt als die sauren Tomaten, die man hier bekommt. Als Mädchen konnte ich ein ganzes Glas mit eingelegten Tomaten auf einmal aufessen. Als ich den Garten vor einem Jahr übernommen habe, wusste ich gar nicht mehr, wie man das alles macht. Ich habe ja lange in der Stadt gelebt und als Bibliothekarin gearbeitet. Und als wir im Herbst 1994 als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen sind, war anfangs keine Zeit für Nostalgie. Aber wenn meine Bekannte Svetlana zu mir sagt: So und so muss man das machen, dann denke ich: Stimmt, so hat das meine Mutter auch immer gesagt. Svetlana hat die Parzelle neben mir, sie hat mir auch von dem Garten hier erzählt. Letzten Sommer war ich nur ab und zu hier, wusste nicht so recht, was ich anpflanzen sollte und wie ich es richtig mache. Aber langsam kommt es zurück, immer wieder fällt mir was ein. Zu Hause sage ich, dass ich nur für ein paar Stunden in den Garten gehe, aber dann bleibe ich doch meist länger. Beim Pflanzen denke ich an meine Eltern, an die Heimat. Und letztens hat mein Sohn gesagt, dass er gerne auf dem Dorf gelebt hätte – mit einem Garten, so wie bei den Großeltern.“


1

ARMeNIeN

1

Familie hurutunjan verbringt fast jedes schöne Wochenende draußen im Garten. Meist wird dann der Lehmofen angefeuert. Mit holz, nicht mit Kohle. Aus dem Schornstein qualmt es, während Tamara hurutunjan den ausgerollten, papierdünnen Teig auf dem heißen Stein ausbreitet. Ihr Mann sitzt daneben, raucht eine selbst gedrehte Zigarette und schickt den Sohn zum Wässern der Bohnen. „Das Brot und das Fleisch schmecken ganz anders, wenn sie über’m Holz gegrillt sind. Aber die Bohnen sind leider noch nicht reif. Ich habe sie hier so angepflanzt, wie ich das von zu Hause kenne: leicht erhöht, in länglichen Erdhügeln. So kann man das Wasser in die Rinnen dazwischen leiten, ohne dass die Sonne die Blätter versengt. Das Wasser kann in der Erde versickern und gelangt sofort an die Wurzeln. Ich pflanze hier auch ein armenisches Kraut an, Rehan, den deutschen Namen kenne ich nicht. Damit würzt man Salate und Schaschlik. Aber am wichtigsten sind mir die Bohnen. Jeden Herbst trockne ich einen Teil von ihnen, damit ich wieder Samen fürs nächste Jahr habe. Ich bin viel hier draußen im Garten: Zum Wässern, Unkraut jäten und um auf die Bohnen zu warten. Der Garten ist meine zweite Frau.“

1

VIeTNAM

1

Der Garten von Do Ngan ist der einzige mit einem ungefähr hüfthohen Zaun. Der schützt die säuberlich angelegten Gemüsebeete. Kein Blatt Unkraut sprießt hier aus der erde. Rund um die eingangspforte rankt sich ein kunstvolles Gestänge aus Bambus wie ein Baldachin, an dem Vy Nguyen Kürbisse zieht. „Das sind dieselben Kürbisse wie in Vietnam. Die Samen bringen mir meine Verwandten mit, wenn sie nach Deutschland zu Besuch kommen. In Vietnam steht vor fast jeder Hütte so ein Stangengerüst, an dem die Kürbisse mit ihren großen, grünen Blättern wachsen. So können die Kinder vor der Hütte im Schatten spielen. Aber auch hier wachsen die Kürbisse, die Erde ist gut. Zum Düngen nehme ich Pferdeäpfel. Die Wuhlheide ist ja hier in der Nähe und da sind im Sommer immer Pferde. Den Zaun habe ich gebaut, damit die kleinen Kinder nicht einfach in die Beete laufen können und mein Gemüse zertrampeln. Außerdem sieht es auch schön aus, da kann ich zum Beispiel einen Eimer dranhängen. In meinem Beet pflanze ich nur Gemüse an. Wir essen ja viel Gemüse zu Hause: Kohl, Kohlrabi, Weißkohl, Zwiebeln, Knoblauch, Koriander. Das hält gesund. Und der Garten hält mich fit. Meinem Freund, der ist Deutscher, dem ist das leider zu anstrengend. Mein Mann und meine Kinder sind nach der Wende zurückgegangen nach Vietnam. Ich habe keine Arbeit und wohne alleine. Da ist es schön, hier mit den Leuten zusammen im Garten zu arbeiten. Ich kann vielen helfen und auch mal erklären, wie man was anpflanzt. Wenn ich nur in meiner Wohnung sitzen müsste, würde ich verrückt werden.“



hejo, spann den wagen an Jeden Sommer ernten etwa 300.000 Saisonarbeiter aus Polen, Bulgarien oder Rum채nien unseren Spargel. Eine Feldstudie. FoToS: Sebastian Pranz






ein tisch im kornfeld Draußen schmeckt es irgendwie besser! Fünf Gerichte zum Mitnehmen TExT: oliver Schneider ILLUSTR ATIoN: Franca Neuburg

20 : 21


KuCHEn iM glaS

4 Sturzgläser (z.B. von Weck) 4 El Semmelbrösel 200 g getrocknete Aprikosen 250 g weiche Butter 200 g Zucker Mark einer Vanilleschote abgeriebene Schale einer Bio-orange 4 Eier (Kl. M) 200 g Mehl 1 El Semmelbröseln 50 g Speisestärke 2 gestr. Tl Backpulver 125 ml orangensaft Sturzgläser fetten und dünn mit je 1 EL Semmelbröseln ausstreuen. Der Glasrand muss frei bleiben. Gläser kalt stellen. Die getrockneten Aprikosen würfeln und mit dem EL Mehl mischen. Die weiche Butter cremig schlagen, Zucker, Vanille und orangenschale unterrühren. Nacheinander die Eier jeweils 30 Sekunden unterrühren. 200 g Mehl, Speisestärke und Backpulver mischen und zusammen mit dem orangensaft dazugeben. Aprikosen unterheben. Teig so auf die Gläser verteilen, dass diese zu ⅔ gefüllt sind. ohne Deckel im vorgeheizten ofen bei 180 Grad (Umluft 160 Grad) auf der zweiten Schiene von unten 35–40 Minuten backen. Inzwischen vier passende Gummiringe in kaltem Wasser einweichen. Auf die Deckel legen, heiße Gläser sofort damit verschließen und mit Klammern fixieren. Kuchen im geschlossenen Glas auf einem Gitter abkühlen lassen. Zum Servieren stürzen.

SiRup

2–3 Bio-Zitronen 2–3 Bio-Limetten 1 Stück Ingwer 3 – 4 cm 300 g Zucker Zitronen und Limetten waschen und von je einer Frucht die Schale abreiben. Alle Früchte auspressen. Den Ingwer samt Schale reiben oder fein hacken. Alles zusammen mit 400 ml Wasser und dem Zucker zum Kochen bringen. Hitze reduzieren und ca. 10 Minuten köcheln lassen. Vom Herd nehmen, und durch ein feines Sieb in sterilisierte Flaschen abfüllen und gut verschließen. Mit Sprudelwasser verdünnt, ergibt der Sirup eine leckere Limonade.


MaKi

500 g Rinderhack oder Thunfisch 1 Gurke 500 g Möhren eingelegter Rettich Nori Seetangblätter Sushi Reis Weißwein Sesamkörner Sesamöl Koreanisches Ei (Rezept siehe rechts) Salz Pfeffer Zucker Sojasauce Ingwer gerieben Knoblauch gerieben

Den eingelegten Rettich in Streifen schneiden. Die Gurken in Essig, Zucker und Salz einlegen. Die Möhren in feine Streifen schneiden und mit Salz, Pfeffer, Sesamkörnern und Sesamöl anbraten. Danach alles zur Seite stellen. Das Rinderhack oder, wer mag, auch Thunfisch anbraten und dazu Sojasauce, Zucker, Pfeffer und Weißwein geben. Alles ordentlich vermischen. Danach eine Paste aus Knoblauch und Ingwer, Sesam und Sesamöl hinzugeben. Alles zur Seite stellen. KoREANIScHER REIS

Zum gekochten Reis wird Salz, Sesam, Sesamöl und Speiseöl gegeben. Alles gut vermischen. Dann Maki zubereiten und rollen. Seetangblatt auf die Rollmatte legen und Reis gleichmäßig verteilen. Gurke, Möhre, Rindfleisch, Ei und den eingelegten Rettich darauf legen. Dann alles einrollen und zusammendrücken. Die fertige Rolle in Scheiben schneiden.


KOREaniSCHES Ei

TORTilla

5 Eier Salz Pfeffer Weißwein Zucker

150 ml olivenöl 800 g Kartoffel 1 Zwiebel 2 Tl Salz 6 Eier

Die Eier in einer Schüssel zerschlagen. Danach Salz, Pfeffer, Weißwein und Zucker dazugeben. Alles gut verrühren. Nun Öl in eine Pfanne geben und mit einem Küchentuch verteilen. Am besten eignet sich eine eckige Pfanne. Ein Viertel des Eies in die Pfanne geben, die Kanten ablösen und aufwickeln. Ein weiteres Viertel Ei hinzugeben und wieder aufwickeln. Mit dem restlichen Ei genauso verfahren, bis eine Eirolle aus mehreren Schichten entstanden ist. Nun müssen noch die Kanten angebraten werden, bis das Ei schön trocken und schnittfest ist.

In einer schweren Eisenpfanne das Öl erhitzen. Die Kartoffeln würfeln und in die Pfanne geben. Nach zwei Minuten die klein gewürfelte Zwiebel dazugeben und bei reduzierter Hitze braten, bis sie weich und gebräunt sind. Die Eier mit dem Salz verrühren, die Kartoffeln unterziehen und einige Minuten stehen lassen. Öl in einer Pfanne erhitzen und die Mischung aus Ei und Kartoffen hineingeben. Bei mittlerer Hitze garen, bis die Unterseite gestockt und leicht gebräunt ist.Die Tortilla auf einen Teller stürzen. Wieder zurück in die Pfanne gleiten lassen und von der anderen Seite ebenfalls goldbraun braten. Dabei gelegentlich an der Pfanne rütteln.


ich war noch nie verschollen Als Überlebenskünstler besitzt Rüdiger Nehberg die Fähigkeit, sich wie ein Tier seiner Umwelt anzupassen. Im Einsatz für Menschenrechte tritt er aber durchaus auch mal unangepasst auf. Ein Gespräch über die Kunst der Improvisation INTERVIEW: Sebastian Pranz PoRTR AIT: Uli Knörzer

herr Nehberg, Sie haben den Blauen Nil mit ei- Angenommen, ich würde mich für eine Ihrer expeditionen als Partner nem Floß befahren und den Ozean in einem Tret- bewerben. Wie sähe unser Bewerbungsgespräch aus? boot und mit einem massiven Baumstamm überquert. Sie sind durch ganz Deutschland ohne Nah- Sie sollten schon eine gewisse Bereitschaft zum Risiko mitbringen. Ich rung gewandert und haben sich ohne Ausrüstung hatte Bewerber, deren erste Frage es war, wer uns bei der Expedition im Amazonas vom hubschrauber absetzen lassen. versichert. Mit solchen Leuten kann ich nicht fahren – die beste VerGanz allgemein gefragt: Wie entwickelt man eine sicherung ist das eigene Wissen. Und Sie sollten Erfahrungen damit haben, wie Sie in Extremsituationen reagieren. Außerdem würde ich Überlebensstrategie? natürlich ein längeres Gespräch mit Ihnen führen, über Ihre VerganIch habe mir immer sehr genau überlegt, welche genheit und Ihre Einstellungen. Einige Bewerber habe ich auch in meiProbleme auftreten können. Für jedes dieser Pro- nem Schlangenraum übernachten lassen. In meiner Wohnung gab es bleme wollte ich ein Ass im Ärmel haben und ja einen großen tropischen Raum mit Riesenschlangen und einer Hängematte. Ich lag natürlich vor der Tür und hätte eingreifen können, darüber hinaus noch einen Plan B und c. Vor meiner Expedition am Blauen Nil in wenn eine Riesenschlange den Bewerber gewürgt hätte. Äthiopien habe ich die deutsche Botschaft angeschrieben, um herauszufinden, ob der Fluss wirk- Nach der Vorbereitungszeit kommt dann irgendwann die Realität. Nehlich unbefahren ist. Man antwortete mir mit ei- men wir Ihre letzte große expedition. Im Jahr 2003, mit 68 Jahren, ernem entsetzten Schreiben, in dem stand, dass füllten Sie sich einen Lebenstraum und ließen sich mitten im Amazonas schon zehn Versuche gescheitert seien: einige, weil aussetzen. Wie kann man den Moment beschreiben, in dem der hubschraudie Boote in der Strömung zerbrochen sind, ei- ber hinter dem Blätterdach des Dschungels verschwindet? nige weil die Abenteurer von Krokodilen gefressen oder von Jägern erschossen worden sind. Also Er ist unglaublich aufregend, viel aufregender als die Fantasie vorher. habe ich mir ein Boot aus Hartschaum, Glasfaser Plötzlich ist kein Laut mehr zu hören, nur noch das Summen der Inund Polyester gebaut und es zum Test aus meiner sekten, die über meinen Körper herfallen. Ich bin eins mit diesen vieWohnung im ersten Stock geworfen. Mit meinen len Tierlein und weiß, dass es ab jetzt nur noch auf mich ankommt. Partnern habe ich trainiert, wie man in unbe- Der nächste Gedanke ist: Wo war noch mal dieser verdammte Fluss, kanntem Gelände, ohne Karte und Kompass den ich vom Hubschrauber aus gesehen hatte? Denn mein Plan war es nach Hause kommt, wenn man nach einem ja, den Flussläufen zurück in die Zivilisation zu folgen. Außerdem Überfall versprengt ist. Eigentlich waren die Vor- musste ich etwas trinken, um die Transpiration auszugleichen. Und die Lianen, die innen voll mit Wasser sind, konnte ich mit Händen bereitungen genauso spannend wie die Reise.

24 · 25


und Zähnen nicht öffnen. Ich habe mich dann ganz bewusst beruhigt und mir gesagt, dass es im Urwald alles gibt, was ich zum Leben brauche. Denn die Indianer überleben hier ja auch und die Tiere erst recht. Und dann greifen schließlich die ganzen Gedanken, die man sich vorher gemacht hat: Ich muss sehen, dass ich in den Schatten komme. Ich muss mir einen Knüppel als Waffe suchen, ich brauche Steine, um mir eine Axt als Werkzeug zu bauen.

Bei einer solchen Begegnung hängt sicher alles davon ab, dass man seine friedlichen Absichten signalisieren kann. Wie sah denn Ihre kommunikative Überlebensstrategie aus?

Wenn ich draußen bin, fühle ich mich wie ein Mosaikstein im riesigen Gefüge des Universums. Ich weiß, dass eine Mücke manchmal mehr Kraft hat als ich, etwa wenn sie mich mit Malaria infiziert. Aber in der Natur steckt auch viel positive Kraft, sie ist nicht nur eine Bedrohung, sondern auch ein Freund. Ich habe die Tiere auf meinen Touren immer sehr genau beobachtet: das Wildschwein, den Papagei, den Jaguar, die Mücke. Alle kommen ohne Rucksack, Zelt oder Isomatte aus. Für mich hat es lange Jahre des Trainings gebraucht, mich wie ein Tier meiner Umwelt anzupassen.

Als Sie dann schließlich nach etwa einem Monat wieder nach hause kamen, hat man Sie sicher sehr erleichtert empfangen. Immerhin galten Sie zwischenzeitlich als verschollen …

Bei früheren Reisen hatte ich immer eine Mundharmonika dabei, auf der ich alle 15 Minuten gespielt habe. Dieses Mal hatte ich ein fröhliches Lied auf den Lippen und habe gelacht. Außerdem war ich nackt bis auf eine Badehose und unbewaffnet: Ich habe die Hände und auch Wie nehmen Sie sich in dieser Situation selbst wahr. Als Mensch? Als Tier, meinen Rücken gezeigt, habe mich verneigt, um zu zeigen, dass ich ohne Waffen gekommen bin. oder als etwas anderes?

Die Leute denken immer, da ist überall ein Briefkasten und man meldet sich jeden Tag. Ich hatte zwar ein Telefon mit – das war das Zugeständnis an meine Frau. Aber ich hatte die Solarplatte zum Aufladen des Akkus verloren, als ich mit meinem Floß gekentert bin. Für meine Frau war es kein Grund zur Unruhe, dass ich mich einige Zeit nicht gemeldet habe. Aber die deutsche Presse nahm es natürlich als AufDie Idee, ohne Ausrüstung im Amazonas zu überleben, gab Ihnen ein hänger. Mir ist das peinlich. Ich war noch nie verschollen. Ich wusste Kind, richtig? Was kann man von Kindern lernen, wenn es ums Überle- immer, wo ich war. ben geht? Ihre besondere Anpassungsfähigkeit ist ja nur die eine Seite Ihrer PersönVor über 20 Jahren hatte mich ein kleiner Yanomami-Indianer über lichkeit. Wenn man Ihr politisches engagement betrachtet, sieht man, dass sechs Stunden durch den Dschungel geführt. Seitdem geisterte dieser Sie durchaus auch sehr unangepasst auftreten können. Traum durch meinen Kopf, irgendwann mal so perfekt zu sein wie dieser kleine Bengel, der vor mir herlief und sich zurechtfand, wo ich Die Natur und die Gesellschaft sind zwei sehr unterschiedliche Bereinoch nicht mal einen Pfad sah. Davon habe ich immer geträumt und che, die unterschiedliche Strategien erfordern. Im Übrigen könnte ich es mir nie zugetraut. Mit 68 Jahren wusste ich dann: Wenn ich es jetzt nie in die Politik gehen, weil ich mich nicht verbiegen kann. Ich könnte mich nicht in diesen Hierarchien hochdienen, diese Anpassungsfähignicht wage, bin ich zu alt, um es körperlich noch zu schaffen. keit fehlt mir. Ich wollte immer unabhängig sein. Was kann man von Kindern lernen, wenn es ums Überleben geht? Kommen wir in diesem Zusammenhang auf eines Ihrer wichtigsten ProDie Kinder der Yanomami sind natürlich in den Urwald hineingebo- jekte zu sprechen: Ihr engagement gegen die Weibliche Genitalverstümmeren. Sie sind an diese Umwelt genauso gut angepasst wie ein Tier. Sie lung mit der von Ihnen und Ihrer Frau gegründeten Menschenrechtsorgakönnen den Urwald lesen: Warum zwitschern die Vögel plötzlich so nisation TARGeT. Können Sie kurz den Inhalt Ihrer Arbeit schildern? aufgeregt? Kommt da vielleicht gerade eine Katze? Sie beobachten die Affen und fragen sich, wo diese ihre Nahrung finden. Denn was ein Ich bin dem Thema schon vor 35 Jahren bei einer WüstendurchqueAffe essen kann, kann ein Mensch auch essen. Garantiert hat man über- rung begegnet, als mir eine Frau aus Äthiopien ziemlich offen erzählte, all Insekten. Sie sind das Steak des kleinen Mannes. was man ihr angetan hatte. Sie hatte die pharaonische Beschneidung erlitten, also die vollständige Amputation von Schamlippen und KliWie war denn der Moment, in dem Sie wieder einem Menschen begegne- toris, das Verschließen der Scheide mit Akaziendornen. Der Eingriff ten? Die Überraschung muss ja sehr groß gewesen sein. wurde mit einer Glasscherbe und ohne Betäubung durchgeführt. Diese Begegnung war sehr eindrücklich für mich und ist auch zu einem Noch bevor ich auf Menschen traf, habe ich ihre Spuren entdeckt. Ich Kapitel meines Buches „Überleben in der Wüste Danakil“ geworden. bin schon Tage vorher an einem frisch bestellten Feld vorbeigekom- Ich bin dann erst im Jahr 2000 wieder an dieses Drama erinnert wormen. Bei der ersten Begegnung fuhr ich gerade mit meinem selbst den, als ich das Buch „Wüstenblume“ von Waris Dirie las. Gerechtgebauten Floß auf dem Fluss entlang und entdeckte plötzlich ein In- fertigt wurden diese Schandtaten mit der heiligen Schrift des Korans. dianerdorf und Menschen, die am Ufer standen und mich fassungs- Ich habe mich gefragt, wie sich Weltreligionen wie der Islam und das los anstarrten. christentum diese Verbrechen in die Schuhe schieben lassen können,


ohne zu widersprechen. Für mich ist es der größte Bürgerkrieg aller Zeiten: Die Gesellschaft gegen die Frauen, seit 5000 Jahren, mit immer noch 8000 opfern und vielen Todesopfern pro Tag. Und weil die meisten opfer Muslimas sind, habe ich mich für die Kooperation mit dem Islam entschieden. Meine Strategie war von Anfang an, die geistlichen Führer des Islam zu gewinnen. Sie sollten erklären, dass diese Verbrechen eine Beleidigung der höchsten Werte dieser Religion seien. Außerdem hatte ich noch eine alte Dankesschuld abzutragen: Auf meinen Reisen haben sich meine islamischen Wüstenführer zweimal mit ihrem Körper als lebende Schilde vor bewaffnete Feinde gestellt.

Nur noch das Ziel Mekka. Ich habe mich über verschiedene Beziehungen um ein Gespräch mit dem saudischen König beworben. Eines meiner Schreiben ist gestern im Palast übergeben worden. Das heißt nicht, dass er es persönlich zu lesen bekommt, aber ich hoffe es natürlich. Mein Traum wäre es, in Mekka dabei zu sein, wenn der ganzen Welt ein Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung verkündet wird. herr Nehberg, ich habe abschließend noch eine ganz banale Frage. Sie sind ja bekannt für Ihren erfindungsreichtum. Sagen Sie mir doch mal eine einfache Übung, mit der ich hier in Köln meinen horizont erweitern kann.

Versuchen Sie mal, ein oder zwei Tage ganz ohne Geld und Besitz auszukommen. Beobachten Sie Menschen ohne obdach und versuchen Sie, von ihnen zu lernen. Man kann von jedem Menschen etwas lernen. Suchen Sie sich eine warme Unterkunft unter einer Brücke oder einer der ersten, die Sie für Ihr Projekt gewinnen in einem Papiercontainer, mogeln Sie sich in einen Empfang oder eine konnten, war Sultan Ali Mirah, das geistliche Ober- Premiere und versuchen Sie, etwas vom Buffet zu ergattern. Plündern Sie die Mülleimer hinter Restaurants und Supermärkten. Da finden haupt des Afar-Volkes in Äthiopien. sich oft überraschende Delikatessen. Sie werden ein neues Gefühl für Ich hatte diese Verbindung noch aus meiner Ka- die Not anderer bekommen. Dieses Abenteuer können Sie selbst in rawanen-Expedition vor 35 Jahren. Er hörte sich Köln erleben. die Idee an und erteilte uns die Befugnis, seine rund 60 Stammesführer zu einer Stammeskonferenz zusammenzutrommeln. Diese erklärten als Erste den Brauch zur Sünde. Das war für uns ein Jubeltag, der uns in unserem Engagement bestätigte. Wir merkten, dass man mit dem Islam sehr gut zusammenarbeiten kann, wenn man mit der richtigen Haltung kommt. ein wunderschöner Aspekt dieser Geschichte ist es, dass Sie im Jahr 2004 diese Botschaft selbst mit einer Karawane den Wüstenvölkern überbringen durften.

Ich kam mir vor, als erlebe ich ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Sie müssen sich diese Situation so vorstellen: Ein Ex-Vorstadtbäcker und seine Frau, eine Ex-Sprechstundenhilfe, laufen mit Hunderten von Fahnen durch die Wüste. Auf diesen Fahnen steht eine neue Botschaft: „Frauenverstümmelung ist Sünde“. Wir treffen auf offene Arme und Herzen: Menschen, die ihren Hammel für uns schlachten und ihre Datteln mit uns teilen. Es war fantastisch. Inzwischen haben Sie unter der Schirmherrschaft des höchsten sunnitisch-islamischen Rechtsgelehrten eine Internationale Gelehrtenkonferenz einberufen, die erklärt hat: Die weibliche Genitalverstümmelung ist ein strafbares Verbrechen, das gegen die höchsten Werte des Islam verstößt. Welche Ziele bleiben Ihnen noch?

26 · 27

Rüdiger Nehberg, Jahrgang 1935, ist einer der bekanntesten deutschen experten für Survival. Seine Touren führten ihn u. a. an den Blauen Nil, in die Danakilwüste und den Amazonas. Seine Reiseberichte sind bei Piper erschienen. Darüber hinaus ist Nehberg als Menschenrechtler tätig. Im Jahr 2000 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Anette die Menschenrechtsorganisation TARGeT, die sich seitdem mit großem internationalen erfolg gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) einsetzt. Für sein engagement wurde er u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.


sommerloch Im Jahr 1816 fiel der Sommer in Europa aus. TExT: Justina Schreiber

Es muss ein faszinierender Anblick gewesen sein, der sich dem Schweizer Textilfabrikanten Johann Heinrich Mayr bot, als er eines Nachts im Sommer 1816 aus seinem Schlafzimmerfenster schaute. Im Mondlicht lag eine „versunkene Landschaft“, aus der sich „als Buschwerk die Waldung junger versäufter Bäume“ erhob, wie er später einem Freund beschrieb. Der Bodensee war über die Ufer getreten und hatte die Mauern seines Hauses in Arbon umspült. In der Zeugdruckerei im Erdgeschoss stand das Wasser hüfthoch. Trotzdem erschienen, so berichtete Mayr in seinem Brief überrascht, am nächsten Morgen die Arbeiter wie gewohnt. Den Einwand, dass sie sich in der morastigen Bracke Krankheiten holen könnten, wischten sie mit den Worten beiseite: „Nichts verdienen, nichts essen und verhungern ist auch eine Krankheit!“ Das Schicksal meinte es nicht besonders gut mit denen, die die schwerste Klimaschwankung in der Geschichte der Menschheit miterleben mussten. Auf einen bitterkalten Winter folgten damals weder ein Frühjahr noch ein Sommer, die diese Bezeichnung verdient hätten. Die Ernte fiel in weiten Landstrichen aus. Im „Jahr ohne Sommer“, wie man das Jahr 1816 nachher verharmlosend nannte, ereignete sich in Mitteleuropa und Teilen Nordamerikas eine Naturkatastrophe nie gekannten Ausmaßes, die sich hier und dort zur Hungerkatastrophe auswuchs. Die Schmelze der ungewohnt hohen winterlichen Schneedecke hatte Flüsse anschwellen lassen. Dämme brachen, Brücken schwammen davon. Zusätzlich öffnete der Himmel alle Schleusen.

Den ganzen Sommer über regnete es fast ohne Unterlass. Eisige Winde wehten von Nordost. Die Schweiz, Süddeutschland und Österreich traf es am härtesten. In einigen Vierteln Genfs etwa konnte man nur noch per Schiff verkehren. Auch in Paris, London oder Mailand lagen die Temperaturen zwei bis vier Grad unter dem Jahresmittel. Das arktische Eis vor der isländischen Küste taute erst im August langsam auf, um gleich darauf wieder zuzufrieren. In den schwer betroffenen Gebieten missriet der gesamte Sommerweizen; spätere Getreidesorten und Kartoffeln reiften nicht, weil bereits im Herbst der nächste Winter einsetzte. Für das kommende Jahr, dessen Wetter nicht viel besser werden sollte, fehlte nun auch das Saatgut. Die Armen konnten es sich sparen, auf den überschwemmten Feldern und Wiesen nach abgeknickten Ähren oder Fallobst zu suchen; denn es gedieh schlichtweg nichts. Der ohnehin hohe Brotpreis verdreifachte sich innerhalb weniger Monate. In der Schweiz, wo es im Juli noch bis in die Täler hinabschneite, kam es in Tagelöhner- und Kleinstbauernfamilien zu dramatischen Szenen. Ein St. Gallener Pfarrer, der auf einigen Höfen nach dem Rechten gesehen hatte, berichtete entsetzt: „Jeglicher hausrat fehlte. Möbel und Geräte waren gegen Nahrung eingetauscht worden. In einer Stube schüttete die Mutter den hungernden Kindern in Wasser gesottenes Gras mit einer Prise Salz als einziger Zutat auf den blanken Tisch und die Kinder griffen ohne Löffel und Gabel mit den händen danach.“ Was war passiert? Warum spielte das Wetter so verrückt? Damals zogen zeitgenössische Wissenschaftler in Erwägung, dass die Erde aus ihrer Umlaufbahn geraten sei oder Meteoriten die Schuld an den heftigen Regengüssen und ungewöhnlichen Nachtfrösten trugen. Letztlich stocherten alle jedoch im Nebel. Vielleicht war die große Sintflut ja eine Strafe Gottes? Im Volk kursierten Prophezeiungen, die den Weltuntergang für den 18. Juli 1816 voraussagten. Dass ausnahmsweise an diesem Tag vielerorts die Sonne schien, beruhigte die zermürbten Gemüter nicht. Die Preise für Holz waren in astronomische Höhen geklettert. Nur Reiche konnten es sich leisten, einen ganzen Sommer lang durchzuheizen. Die anderen mussten frieren.


Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählten Forscher dann eins und eins zusammen und klärten die Ursache des apokalyptischen Klimasturzes. Am 10. April 1815 hatte sich nämlich auf der anderen Seite der Erdkugel, in der niederländisch-britischen Kolonie ostindien, ein Vulkanausbruch ereignet, der an Heftigkeit bis heute nicht übertroffen wurde. Der Tambora auf der „Gewürzinsel“ Sumbawa büßte dabei ein Drittel seiner Höhe ein. Die Sprengkraft der Eruption, deren Detonationen bis ins 2600 Kilometer entfernte Sumatra zu hören waren, entsprach der von 170.000 Hiroshima-Bomben. Mit ungeheurer Wucht spie der Berg insgesamt etwa 50 Kubikkilometer Pyroklastika, also Gesteinsbrocken, Schuttstoffe und Magma aus. Nachfolgende Wirbelstürme und Tsunamis radierten ganze Landstriche aus. 70.000 Menschen starben. Wer nicht gleich ertrunken oder erstickt war, ging in den folgenden Monaten an Hunger oder Seuchen zugrunde. Das lokale Ereignis hatte tief greifende, globale Folgen. Die säurehaltigen Aerosole der gigantischen Asche-Emissionen bildeten Dunstschleier, die das Sonnenlicht absorbierten. Winde trieben das über den Wolken liegende, vulkanische Material mehrere Jahre lang rund um die Erde. Schlechtes Wetter, Angst und den Tod im Gefolge. In Indien kam es während des Sommermonsuns 1815 zu riesigen Überschwemmungen, die dazu führten, dass dort die cholera ausbrach; sie verbreitete sich in den folgenden Jahrzehnten bis nach Europa. Zunächst aber herrschten hierzulande Typhus und Tuberkulose. Denn die Bevölkerung war bereits arg geschwächt. Die lange

28 · 29

Epoche der Napoleonischen Kriege von 1792 bis 1815 hatte sämtliche Ressourcen erschöpft. Immer wieder Truppendurchzüge, immer wieder marodierende Soldaten. Als sich der Himmel verdunkelte und die Ernte ausfiel, standen die meisten Magazine sowieso schon leer. Die wenigen verbliebenen Zugtiere versanken nun im Morast oder verhungerten elendiglich. obwohl endlich Frieden herrschte, verdüsterte sich die allgemeine Stimmung grundlegend. Mehr Menschen als je zuvor machten sich auf den Weg, um nach Amerika auszuwandern. Nicht jeder kam dort an. In den überschwemmten Gebieten häuften sich Selbstmorde. Etlichen drängte sich die Frage auf, ob die Natur wirklich eine göttliche, zum Wohl des Menschen geschaffene ordnung sei. Unter der hungernden Bevölkerung wuchs der Unmut. ohne dem Tambora alle Schuld in den Feuer speienden Krater schieben zu wollen, aber das miese Wetter ließ den deutschen Staatenbund, den Fürst Metternich nach der Niederlage Napoleons auf dem Wiener Kongress 1815 geschmiedet hatte, einen denkbar ungünstigen Anfang nehmen. Keinerlei Fürsorgevereine oder ähnliche karitative Einrichtungen linderten die Not. Viele Gemeinden richteten zwar Suppenküchen ein, die die sogenannte Rumfordsche Suppe ausschenkten. Der glibberige Getreideschleim war jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Letztlich versagte die große Politik, weil die Hoffnung, dass sich das Wetter doch noch bessern würde, so manche Regierung viel zu lange davon abhielt, aus nicht betroffenen Gebieten, wie ostpreußen etwa, Getreide einzukaufen. In Bayern verlor der nüchtern kalkulierende Minister Max Joseph Graf von Montgelas deshalb im Februar 1817 seinen Posten; auch weil er der verzagten Bevölkerung Wallfahrten und Bittgottesdienste verboten hatte. Eine unkluge Entscheidung, bot doch Religion den einzigen Trost in trüben Zeiten. Dass sich das gesellschaftliche Klima bis zur Revolution von 1848 stetig verschlechterte, lag allerdings weniger am meteorlogischen Klima als an den repressiven Maßnahmen, die die Herrscher ergriffen, um Ausschreitungen zu verhindern. Aber nur in Frankreich und England kam es zu richtiggehenden Hungerrevolten. In der klimatisch stärker gebeutelten Schweiz waren die unterbezahlten Baumwollspinner und


Viertelbauern viel zu schwach, als dass sie auf die Barrikaden hätten gehen können. Dennoch setzte man hier ebenfalls Militär ein. In Deutschland zwangen Spitzeltum und Zensur die Leute in die Knie. Während des Vormärzes wehte auch politisch ein rauer Wind durch die Lande. Die Hungerjahre 1816/1817 gingen als die letzte große Versorgungskrise der westlichen Welt in die Geschichte ein, weil man dann doch einige Lehren aus dem Schlamassel zog. offensichtlich erhöhten die dramatischen Auswirkungen der Vulkankatastrophe den Druck, bis dato schleppende Entwicklungen voranzutreiben. Viele Bauern stellten von der Dreifelderwirtschaft auf das wesentlich ertragreichere Fruchtfolgeprinzip um. Außerdem setzte man jetzt verstärkt auf den Braun- oder Steinkohleabbau, um sich vom Holz als einzigem Energielieferanten verabschieden zu können. Da der Transport zunächst noch große Probleme machte, waren befestigte, breitere chausseen mit einheitlichen Spurbreiten eine beinahe zwangsläufige Konsequenz. Notwendige Fortschritte also. Durch die verbesserten Infrastrukturen konnten in Zukunft eklatante Versorgungsengpässe vermieden werden. Wahrscheinlich verdankt sich auch die Erfindung des Velozipedes dem abnormen Klima 1816. Schließlich kann es kein Zufall gewesen sein, dass Karl Freiherr von Drais exakt im Jahr danach der Öffentlichkeit ein pferdeloses Fahrzeug präsentierte, das seinen Halter von Haferpreisen unabhängig machte. Last but not least: Neben all den praktischen Errungenschaften bescherte der eruptive Tambora der europäischen Kultur zudem ein echtes Monster. Bei schönem Wetter hätte Mary Shelley im Sommer 1816 wohl nicht das Sitzfleisch gehabt, das Konzept für ihren Roman „Frankenstein“ niederzuschreiben. So aber verbrachten sie und ihre Freunde, darunter der Dichter Lord Byron, die verhagelte Ferienzeit am Genfer See mit dem Erfinden von Gruselgeschichten. Im Gegensatz zum Drama um Frankensteins Furcht einflößende Kreatur hat man das schaurige Wettergeschehen, das es hervorbrachte, heute längst aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt.


Herzrhythmus In einem benediktinischen Kloster geht das Leben seinen eigenen Gang. Prior Marian über Freiräume Text: Prior Marian ILLUSTR ATION: Auf der Basis des St. Galler Idealplans (um 800)

30 · 31



Die Lebensskizze des heiligen Benedikt ist mit wenigen Strichen gezeichnet. Er wird in Nursia geboren und hält sich als junger Mann für eine kurze Zeit zum Studium in Rom auf. Dann zieht er sich als Einsiedler in die Sabiner Berge zurück, wo er in einer Höhle bei Subiaco lebt. Benedikt unterbricht sein Eremitendasein, als ihn die Mönche des benachbarten Klosters Vicovaro als ihren Abt bestellen. Ein Reformprojekt, das scheitert. Wieder zurück in seiner Einsiedelei lässt er zu, dass sich in der Nähe von Subiaco Mönche in kleinen Gruppen niederlassen, um von ihm Weisung und Unterstützung auf ihrem Weg der Gottsuche zu erhalten. Aus dieser Erfahrung entwickelt sich der Impuls zur Gründung eines Klosters ganz neuen Stils, die Benedikt mit „seinen“ Mönchen auf dem Monte cassino verwirklicht. – Mehr weiß die Geschichtsforschung nicht. Auch der zeitliche Rahmen von Benedikts Leben ist unsicher. Überlieferungsgemäß wird er zwischen 480 und 547 angesetzt, wobei die Klostergründung auf dem Monte cassino südlich von Rom auf 529 und die Niederschrift der Klosterregel um 534 datiert werden. Möglicherweise waren es auch 20 bis 30 Jahre später. Historisch gesichert ist jedoch, dass Benedikt von Nursia um die Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert in der näheren und weiteren Umgebung von Rom gelebt, ein Kloster gegründet und eine Mönchsregel geschrieben hat. – Wer seitdem über das Leben in einer benediktinischen Gemeinschaft nachsinnt, vernimmt bald die Weisung: Zurück zu den Quellen! Zurück zu der Quelle, muss es genau heißen. Gemeint ist die Benediktsregel. Von ihr geht die Wirkungsgeschichte des heiligen Benedikt aus, der sich selbst als historische Person nahezu ganz dem rückwärts gerichteten Blick entzieht. – Der heilige Benedikt ordnet das Leben im Kloster nach Raum und Zeit. Indem sich die einzelnen Mönche an den Tageslauf des Klosters halten, sind sie dort gemeinsam zur gleichen Zeit unterwegs, weil den bestimmten Zeiten mit den verschiedenen Vollzügen des klösterlichen Lebens bestimmte Räume zugeordnet sind. – Das Wort Zeit-Raum ist ein wunderbares Wort unserer Sprache. Es hat einen besonderen Klang. Zeit-Raum, geraume Zeit. Die Spannung, die

32 · 33


darin steckt, ist deutlich zu spüren, aber ebenso die Spannkraft und Spannweite. Zeit, das klingt knapp, entschieden, drängend wie das Wort ‚Jetzt’. Raum, das klingt weit, bergend und beruhigend. ZeitRaum - das ist ein sozusagen benediktinisches Wort, ein Gutes sagendes (bene dicere) Wort, heilsam, gerade in seiner Spannung, die auch die Spannung des Vorworts der Benediktsregel ist: brennende Geduld. – Siebenmal am Tag und zur Nacht legt die Benediktsregel eine Zeit des Gottesdienstes fest, ergänzt durch die Zeiten für geistliche Lesung (Studium) und (Hand-)Arbeit. Diesen Hauptelementen der zeitlichen Struktur des Klosterlebens entspricht die räumliche. In einem klassischen Kloster liegen alle Räume des gemeinsamen Lebens am Kreuzgang, dem zentralen Wandelgang, oder sind von ihm her zugänglich: die Kirche, das Refektorium (Speisesaal), der Kapitelsaal (Versammlungsraum), das Oratorium (Gebetsraum), das Dormitorium (Schlafsaal), Bibliothek, Skriptorium (Schreibstube). Werkstätten und Felder liegen meist ein wenig abseits davon. – Das Zusammenspiel von Raum und Zeit bringt die Erfahrung des Weges und des Gehens ins Kloster. Das wird deutlich, wenn beispielsweise die Mönche nach dem Mittags- oder Abendgebet aus der Kirche zum Essen ins Refektorium hinüberziehen, weil sich an die Zeit des Gottesdienstes die Mahlzeit anschließt. Man geht eher gemessenen Schrittes miteinander in gesammeltem Schweigen, wie überhaupt die Stille zu hüten und keine Hektik zu verbreiten ein Grundanliegen klösterlichen Lebens ist. – Solche von Zeit und Raum immer wieder in Gang gesetzten Prozessionen gehören zumindest in rudimentären Formen auch heute zum klösterlichen Alltag, ob man es wahrnimmt oder nicht. Die Wortverwandtschaft von Prozession und Prozess unterstreicht dies.

– Eines der benediktinischen Gelübde ist die conversatio, die den klösterlichen Lebenswandel beschreibt, der eine stete Bereitschaft zur Umkehr meint. Es geht um die geistig-seelische Entwicklung als Mensch auf der Suche nach dem Geheimnis des Lebens, das wir Gott nennen. Das äußert sich auch körperlich durch die treue Präsenz des Mönchs im klösterlichen Alltag, der ihn konkret fordert und hoffentlich fördert.


Seelisch bewegt zu sein, kann sich in körperlicher Bewegung zeigen. Bin ich freudig bewegt, fühle ich mich froh, dann gehe ich schwungvoll, tanze vielleicht, springe … Umgekehrt ist körperliche Bewegung dazu angetan, unser inneres Bewegtsein zu stimmen, das heißt gegebenenfalls auch umzustimmen oder überhaupt erst anzustimmen. Manchmal setze ich mich zunächst nur äußerlich in Bewegung, wenn das Zeichen zum Gottesdienst ertönt, ohne innerlich dazu bewegt, also motiviert zu sein. Aber mit der Bewegung wächst die Motivation, also auch innerlich bewegt zu sein, das zu tun, was dran ist. – Im Vorwort der Benediktsregel ist ausdrücklich auch von der klösterlichen Gangart die Rede. „Lauft, solange ihr das Licht des Lebens habt“, heißt es genauso wie „Weißt du nicht, dass Gottes Langmut dich zur Umkehr führt?“. Das lässt sich treffend mit der paradoxen Redensart „eile mit Weile“ zusammenfassen. – Gemeint ist ein achtsames Gehen, das auch miteinander und mit den Dingen achtsam umgehen bedeutet. In der Benediktsregel gibt es die bemerkenswerte Weisung an den cellerar, der das Kloster verwaltet: „Alle Geräte und den ganzen Besitz des Klosters betrachte er als heiliges Altargerät“ (RB 31,10). Eine außergewöhnliche Begründung für die Achtsamkeitspraxis im gewöhnlichen Alltag. Alles ist Gottesdienst. Achtsames Gehen ist eine Übung solchen Bewusstseins. Es lässt sich in den Wandelgängen des Klosters nicht nur gemeinsam, sondern auch als spirituelle Übung des Einzelnen praktizieren. Viele entdecken diese Art der Meditation ganz neu in den Spuren des Buddhismus. Sie hat, wie man sieht, auch im Westen Tradition. – Der Weg durch ein Raumgefüge führt über Schwellen und macht deutlich: Hier ist nicht dort, und wenn ich hier bin, kann ich nicht gleichzeitig dort sein. Die Schwelle ist wichtig, die Erfahrung der überschreitbaren Grenze, die unterscheidet, ohne zu trennen. Das ordnet. Die Benediktsregel will einerseits unseren Spürsinn für die Qualität des Raumes, die Bedeutung des jeweiligen ortes wecken. – In der Benediktsregel geht es andererseits um den Spürsinn für die Stimmigkeit der Zeit. Sind die bestimmten Zeiten unserer Tagesordnung auch die stimmigen Zeiten? Stimmt unsere Tagesordnung? Das

34 · 35


ist mehr als eine Frage bloßer organisation oder einer mehrheitlichen Abstimmung. Sie lässt sich auch nicht von unseren wechselnden Stimmungen her beantworten, sondern bringt eine weitere Frage ins Spiel: Bin ich bereit, mich von den bestimmten Zeiten stimmen zu lassen, indem ich mich darauf einstimme? – Ist das angesichts unserer urbanen Lebenswelten bloße Romantik? Immerhin wird in den Hymnen der mönchischen Stundengebete gerade die Ambivalenz der Tageszeiten eindrucksvoll besungen. Die aktuelle Attraktivität der Klöster als gastfreundliche orte, an denen man zumindest auf Spuren der beschriebenen Phänomene stoßen kann, könnte auf ein tiefes zeitgenössisches Manko hinweisen. Unsere Gesellschaft ist an den grundlegenden Lebensdimensionen Raum und Zeit erkrankt, das heißt an der Basis der Geschöpflichkeit. Es braucht ein Bewusstsein für solche Zusammenhänge, um mit Fantasie und kreativer Kraft wenigstens kleine Elemente von Rhythmus und Qualität in der Gestaltung persönlicher Zeiten und Räume zu entwickeln. – Rituale und Rhythmen haben gleichsam die Funktion musikalischen Stimmens, wie man ein Instrument stimmt, damit es gut schwingt. Ein Beispiel dafür ist das Kirchenjahr. Man kann es aus benediktinischer Perspektive verstehen als einen Weg, der zu gehen ist – im Begehen der Festkreise und des Jahreskreises. Das ursprünglich raumbezogene Verb „begehen“ wird in diesem Zusammenhang zum Zeitwort im eigentlichen Sinn. Man begeht nicht länger nur heilige Räume, sondern auch heilige Zeiten. Im Begehen von Zeiten wird Zeit gleichsam zum Raum, zum Zeitraum. – Auf den ersten Blick und in der Theorie erscheint es verwunderlich, dass Benedikt, der vor fast 1500 Jahren in einem abgelegenen Dorf in Italien gelebt hat, noch heute inspiriert. Wer jedoch in dessen Gedanken hineintaucht, erfährt, dass sie aus etwas entstanden sind, das über ihn hinausging.



glück ist der freuNde sommer und ernte Jagen und Sammeln, Gerechtigkeit, Läuse und die Suche nach dem König


bauernschläue Die schönsten Bauernweisheiten. oder zumindest alle, die wir verstanden haben ILLUSTR ATIoN: Sarah Wiesmann



waidmanns welt Die Jagd ist eine eigene Form des Erntens. Friederike Brandenburg hat den Jäger in seinem natürlichen Lebensraum aufgesucht. FoToS: Friederike Brandenburg

40 · 41









jagen Inge Schürmann über das Warten auf den richtigen Moment PRoToKoLL: Dirk Brall PoRTR ÄT: Uli Knörzer

Das Schießen macht bei mir fünf Prozent aus. Eine Waffe ist Mittel zum Zweck und keine Selbstdarstellung. Einen Bock zu schießen, wird nur durch wenige Voraussetzungen gerechtfertigt: Der Bock ist krank oder er soll gegessen werden. Dabei steht die Frage nach dem Bestand immer an erster Stelle. Wie viel gibt das Revier her? Welche Tiere braucht es, um im Gleichgewicht zu bleiben? Was muss raus, damit eine gesunde Population bestehen bleibt? Erfolgreiches Jagen ist bei mir mit Revierverantwortlichkeit verbunden. Wir haben eine Waldwiesenmischung gesät, Zäune gesetzt und Müll weggeräumt. Nichts ist schlimmer als ein leer geschossenes Revier. In meinem Revier stimmt es, wenn ich Hasen, Rehe, Karnickel und Fasane sehe. Ein Jäger hat ein Verantwortungsbewusstsein. Das ist keine Spielerei. Ich gehe auch raus, wenn es hagelt. Das ist kein Sport. Und auch kein Hobby. Es hat mich nicht zu interessieren, ob es gerade minus vier Grad ist. Das geht nicht nach Befindlichkeit. Die Natur gibt mir die Quittung. Deshalb habe ich Schwierigkeiten mit Jagdreisen. Wer gibt mir die Garantie, dass es wirklich ausreichende Bestände sind. Der Jagderfolg des Jägers ist dann wichtiger, als die Fläche, wo der Eingriff passiert. Abends gegen halb acht geht es los. Dann merke ich, wie die Welt ruhiger wird. Die Spaziergänger verschwinden. Die Vögel fangen an zu zwitschern. Ich selbst werde ruhiger, fange an zu reflektieren. Vielleicht über ein Problem, dass ich im Büro hatte. Und auf einmal geht es los. Wenn ich plötzlich einen Bock sehe, bin ich wie

48 · 49

elektrisiert. Dann habe ich ihn nicht kommen sehen. Der ist einfach da. Ich weiß nicht, woher er gekommen ist. Ich höre ihn auch nicht, denn er ist absolut leise. Und dann kommt so ein Frieden. Und da hinein schieße ich. oder auch nicht. Es ist meine Entscheidung. Das regelt jeder mit seinem Gewissen und in Anbetracht der biologischen Notwendigkeit. Vor zehn Jahren habe ich meinen Jagschein gemacht. Wir haben mit 40 Leuten angefangen. Das war wie ein achtmonatiges Studium. Die älteste Frau war über 60. Die hat den Schein gemacht, weil ihr Mann sonntags immer unterwegs war. Die war es satt, dass sie sonntags immer alleine zu Hause saß. Der jüngste von uns war 15. Manche von denen hörten erst zu, als Waffenkunde dran war. Es gibt verschieden Waffen wie eine 45er, an die kommen sie sonst nicht. Aber die Ausbilder und Prüfer haben das durchschaut. Die meisten von denen sind durchgefallen oder wurden schon vorher „weggegrault“. Im Sperrfach wie Wildtierkunde zum Beispiel. Bei meinem zweiten Ansitz nach der Prüfung habe ich Wildschweine in der Eifel gejagt. Bei einem Nachtansitz schläft man gerne ein. Und es gibt ein Jägersprichwort, das heißt: „Ein Jungjäger sieht jeden Ginsterbusch als Wildschwein“. Den habe ich eingetrichtert bekommen. Gerade als Frau. Ich setze mich also hin und habe Bammel. Und dann sehe ich weit hinten, dass dort ein Schwein steht. Aber ich sage mir, das ist ein Ginsterbusch. Also sitze weiter. Immer einen riesigen Ginsterbusch vor Augen. Aber dann geht irgendwann der Ginsterbusch weg. Ein riesiger Busch. Es wäre wahrscheinlich mein größter Keiler geworden, bei dem jeder Jäger die Augen verdreht. Der ist in aller Ruhe weggegangen, und ich hatte ihn über eine halbe Stunde vor mir.

Inge Schürmann, Jahrgang 1955, ist Jägerin und stellvertretende Pressesprecherin der Stadt Köln.


sammeln Jean-Marie Dumaine über das Glück des Findens PRoToKoLL: Dirk Brall PoRTR ÄT: Uli Knörzer

Ende oktober 2002 habe ich mich mit französischen Experten auf die Suche nach Trüffeln gemacht. Deutschland galt nicht mehr als Trüffelland, aber ich wusste aus Zeitungen, dass hier früher Trüffel gefunden worden waren. Als ich dann einen Professor aus Nancy traf, fragte ich ihn, wo die Trüffel wachsen würden. Er meinte, dass diese kalkhaltige Böden bräuchten, so wie in der champagne und in Lothringen – und wie im Ahrtal bei mir. Also lud ich ihn und einen Kollegen mit dem Trüffelhund zu mir ein. Ich habe ein schönes Restaurant, sagte ich. Kommen Sie mich besuchen. Wir bereiteten eine geologische Karte vor, auf der die lößhaltigen Stellen eingezeichnet waren. Mit ihr konnten sich die Experten orientieren. Sie bewegten sich sicherer in diesem Gelände als ich, sie hatten darüber hinaus einen Riecher, einen intuitiven Sinn für die Naturgegebenheiten. Schon an der ersten Station fanden wir 200 Gramm Trüffel. Es war erst neun Uhr morgens, die Sonne war gerade aufgegangen. Dann gingen wir weiter in Richtung Bad Neuenahr. Und am frühen Nachmittag hatten wir 45 Trüffel, ungefähr 850 Gramm, gefunden. Das war ein hoher Wert, aber das war mir nicht wichtig. Ich wollte beweisen, dass es hier Trüffel gibt. Und wir haben mehr als ins Schwarze getroffen. Schon als Kind hat mich meine Mutter rausgeschickt, um Löwenzahn für einen Salat oder Sauerampfer für eine Suppe zu sammeln. Wir waren neun Kinder, und ich war der Älteste. Sie wollte mich beschäftigen, damit ich die Geschwister nicht ärgere. Ich komme aus der Normandie,

und wir lebten mitten in der Natur. Aber dass ich ein Kräuterkoch werden würde, hätte ich nie gedacht. Erst die goldene Meile des AhrDeltas hat mich darauf gebracht. Hier ist es sehr mild und fruchtbar, und viele Pflanzen wachsen auf engem Raum. Dieses Gebiet ist von der Natur bevorzugt. So wie die Nahemündung, wo Hildegard von Bingen gelebt hat. Ich sehe mich sozusagen als ihren kulinarischen Nachfolger. Unsere Vorfahren waren alle Jäger und Sammler. Aber durch die Auswahl von Pflanzen, die man gut anbauen kann, hat der Mensch sich ausreichend versorgen können. Seitdem hat er Zeit für’s Schreiben oder Philosophieren. Das war der Beginn der Zivilisation. Ich sammle, was kein Mensch kultiviert hat. Brennnesseln sind genauso nährstoffreich wie Spinat. Aber sie kann man nicht anbauen, man muss sie sammeln. Löwenzahn schmeckt bitter, aber mit milden Sachen wie Kartoffeln, einer Senfvinaigrette, Eiern und etwas geräuchertem Bauchspeck schmeckt er wunderbar. Insgesamt habe ich über 300 Rezepte mit Wildpflanzen entwickelt. Weltweit hat das noch nie ein Koch getan. Wenn ich in den Wald gehe, sehe ich alles, was man essen kann. Das ist wie eine riesige Speisekammer. Ich sehe die Blätter, Tannenspitzen und Wurzeln. Die einen schmecken nach Erdnuss, die anderen nach Haselnuss. Ich organisiere mittlerweile Touren durch die Natur. Und die Menschen entdecken ein riesiges Potenzial. Sie lernen, anders zu denken. Alles aus der Beobachtung heraus. Die Leute spüren meine Leidenschaft. Einmal habe ich im central Park in New York Kräuter gesammelt. Wilden Schnittlauch habe ich gefunden. Der Park war voll davon. Kein Mensch hat sich danach gebückt. Der Spitzenkoch Jean-Marie Dumaine, Jahrgang 1954, ist der Sohn eines nomannischen Bauern. er hat sich auf das Kochen mit Wildpflanzen spezialisiert und dafür schon zahlreiche Preise erhalten. Seit über 18 Jahren organisiert er Wildkräuterwanderungen und Kochkurse für seine Gäste. Sein Restaurant Vieux Sinzig ist in jedem Gastroführer vertreten (www.vieux-sinzig.de).


alle guten gaben Bei Ernte denkt unsere Gesellschaft nur an den Ertrag. So war das eigentlich nicht gemeint. Eine Kritik der Sozialethikerin und Theologin Veronika Drews-Galle TExT: Veronika Drews-Galle

Um diese Jahreszeit ist er meist schon beim ersten Morgengrauen auf dem Feld und kehrt erst spät abends heim. Die Ernte muss eingeholt werden, ehe das Wetter umschlägt und die Herbststürme beginnen. Jetzt muss die ganze Familie mit anpacken. Spielen, lernen, Freunde treffen? Keine Zeit. Erst wenn die Felder leer und die Speicher gefüllt sind, können alle wieder entspannen. Erst muss sich zeigen, was in den letzten Monaten auf den Feldern gereift ist. Wenn er der Morgensonne entgegenblickt, dann spürt er: Er genießt diese arbeitsame Zeit ebenso wie die Ruhe danach – und das beruhigende Wissen, dass bald darauf der jährliche Kreislauf wieder von vorn beginnt. Wie lange geht das schon so? Jahre, Jahrzehnte, er kann es nicht sagen. Er ist groß geworden mit dem Rhythmus von Saat und Ernte, ebenso wie sein Vater und dessen Vorväter. Schon zu biblischen Zeiten verlief landwirtschaftliches Leben in diesem Takt. Manches jedoch hat sich seitdem geändert. Heute beispielsweise gibt es Erntemaschinen – vollautomatische Riesen, die die Kräfte der Menschen um ein vielfaches übersteigen und die zu lenken nur noch drei Finger bedürfen. Drei Finger und jede Menge Know-How. ohne seinen Techniker und Anlagenprogrammierer wäre er so manches Mal aufgeschmissen gewesen, ebenso wie ohne seinen Finanzbuchhalter. Die Risiken in der Landwirtschaft haben sich verschoben: vom Arbeitskräftemangel hin zum Maschinenschaden, von der Regenarmut zum Investitionsrückstand, von der biblischen hin zur münteferingschen Heuschreckenplage. Wie das Leben der meisten Menschen in unserer westlichen Gesellschaft wird auch seines zunehmend bestimmt durch neue, andere Rhythmen. Und trotzdem ist und bleibt die Ernte eines der entscheidenden Themen menschlichen Lebens.

50 · 51

Erntezeit ist Rechenschaftszeit, vor sich selbst, vor anderen, auch vor Gott. Im Handlungsstrom des Lebens fungiert der Abschluss einer Ernte als Zäsur. Wir halten inne, bewerten das Gewesene und denken zugleich weiter. Was haben wir eingefahren, was bleibt noch zu erreichen, und was sind wir gewillt, dafür zu tun? Der Ertrag unserer Arbeit hat viel mit uns selbst zu tun: Mit unseren Erwartungen, unserem Einsatz und natürlich unserer Leistung. Im gesellschaftlichen Vergleich von Input und output stellt sich dabei oftmals die Frage: Was ist der gerechte Lohn für all die Mühe? Sollte nur jeder von den Früchten seiner Arbeit satt werden können? oder leisten manche einfach so wenig, dass sie zwangsläufig auf Almosen angewiesen bleiben? Und was ist mit denen, die kaum etwas aufwenden und dann an der Börse die Millionen einfahren? Während wir erhitzt diese Fragen diskutieren, findet sich in vielen biblischen Geschichten eine ganz andere Wendung: Das handelnde Subjekt wechselt, auf die Saat des Menschen folgt der Segen Gottes – für den Return on Investment ist alleine er verantwortlich. Die Bilder unserer Leistungsgesellschaft davon, was eine gute Ernte ausmacht, schmeißt diese Erzählstruktur gehörig über den Haufen. Denn Ernten bedeutet so gesehen vor allem eines: Teilhabe am Segen Gottes. Er ist es, der es regnen lässt in Palästina, wo es, anders als in Ägypten oder im Zweistromland, keine großen Flussläufe gibt, mit Hilfe derer man seine Felder bewässern könnte. Er ist es, der entscheidet, ob Einsatz belohnt wird. Er schickt Sonne und Regen, Fruchtbarkeit, aber auch Heuschrecken, unfähige Vorgesetzte und andere Naturkatastrophen. Längst nicht alles liegt in unserer Hand – daran erinnern derartige Geschichten selbst den, der nicht an eine solche höhere Macht glauben mag. Und diese Unberechenbarkeit trägt im Kern eine positive Botschaft: Wir können und müssen nicht alles selbst verantworten. Stattdessen können wir nur hoffen, dass es einmal mehr gut geht, oder in der Sprache eines bekannten christlichen Abendgebets bitten: „Gott, verwandle Du was war in Segen“. Doch wer ernten will, muss erst einmal säen. Das ist oft mühsam und anstrengend, aber auch ein Privileg. Studien über die psychische Situation von Arbeitslosen belegen, dass es nicht fehlendes Haben ist, das den betroffenen Menschen am meisten zusetzt, sondern das fehlende Geben. Sich einbringen zu können und dafür Wertschätzung zu erfahren, scheint – dafür sprechen auch Belege aus der Motivationsforschung – ein psychisches Grundbedürfnis von Menschen zu sein. Einige Sozialethiker halten genau deswegen den Gedanken eines bedin-


gungslosen Grundeinkommens für das absolut falsche Signal in einer Arbeitsgesellschaft, in der die meisten Menschen ihren Platz in erster Linie über ihre Erwerbstätigkeit finden. Der Ertrag unseres Tuns bündelt sich zu einem Gesamtbild, dem Bild eines geschätzten Mitglieds der menschlichen Gemeinschaft, geachtet und geliebt durch sein Wirken in der Welt – als Kollege oder chef, als Mutter oder Vater, kreative Gestalterin oder gewissenhafter Verwalter, Macher oder Ruhepol, liebenswert und auf die ganz eigene Art irgendwie erfolgreich. Ein Gesamtkunstwerk, das wiederum eingebettet ist in einen komplexen, gesamtgesellschaftlichen Erntezyklus. Ernten in der postmodernen Arbeitsgesellschaft ist eine mühsame, eine soziale Kunst. Kooperationsökonomie nennt der Wirtschaftsethiker Josef Wieland die Wirtschaftsform, der wir in einer immer stärker global verflochtenen Weltwirtschaft entgegensteuern. Kaum jemand kann hier noch etwas alleine erreichen, Arbeitsteilung heißt das Zauberwort. Längst nicht immer bedeutet das Gemeinschaft und Geselligkeit. Noch immer arbeiten viele Menschen auch in Deutschland (wie) am Fließband, obwohl bereits seit den 60er Jahren bekannt ist, dass derart entfremdete und stupide Tätigkeiten zwar wirtschaftlich effizient sind, aber die Beschäftigten auch recht zuverlässig krank und unglücklich machen. Ernteglück entdeckten die Initiatoren der gegenläufigen human-Relations-Bewegung in der demokratisch und mitbestimmt organisierten Zusammenarbeit weitgehend autonomer Teams. Vieles von dem, was damals revolutionär war, hat unsere moderne Arbeitsgesellschaft leider wieder vergessen. Gerne werden Artikel geschrieben über die flachen Hierarchien und begeisternden Arbeitsbedingungen bei weitweit führenden IT-Konzernen – doch jenseits dieser Inseln der Glückseeligkeit ist der Arbeitsalltag oft nicht nur trist, sondern regelrecht verzehrend. Denn in einem globalen Wirtschaftsfluss, über dem niemals die Sonne untergeht, bleibt keine Zeit zum Verschnaufen. Nicht nur die Sonntagsruhe gerät unter Druck, wenn der Wettbewerb zu stark wird. Ernte erscheint auf einmal existenziell – für Unternehmen als (neue) Großakteure beinah noch mehr als für

die Menschen in ihnen – und der Rhythmus ihrer Erarbeitung wird beständig schneller. Ein konzertiertes Ritardando hat die Weltgesellschaft noch nicht eingeübt, das zeigt die ebenso wortreiche wie folgenlose Diskussion um die Steuerung der Finanzmärkte deutlich. Doch wozu ernten wir, wenn wir keine Zeit mehr haben, das Brot zu brechen? Worin liegt am Ende der Segen: Im reinen Haben oder nicht doch erst im gemeinschaftlichen Fühlen, Schmecken und Genießen des Vorhandenen? Das Jahr 2010 wurde zum Europäischen Jahr gegen Armut und Ausgrenzung erklärt. Zu diesem Anlass erinnern Veranstaltungen und Initiativen daran, dass auch in unserer Gesellschaft längst nicht alle Menschen die chance auf eine Teilhabe am gesellschaftlichen Erntekreislauf bekommen. Armut wird dort konkret, wo Menschen vom Prozess des Tausches von Arbeitsleistung gegen Geld und Anerkennung abgeschnitten sind. Sich in einer solchen Situation noch selbst zu helfen fällt vielen schwer. So zeigte sich bei einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland über Armut auf dem Land, dass den wirklich Armen im ländlichen Raum heute des Öfteren die Fähigkeit fehlt, selbst etwas anzubauen, von dem man satt werden kann. Zum Nichtwissen hinzu kommt soziale Isolation. Mit der Dorfgemeinschaft, die weiß, wie man Landwirtschaft betreibt, haben diese Menschen wenig zu tun: Zu groß ist die Scham angesichts der eigenen Situation und zu teuer die Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben, an Hochzeiten, Kindergeburtstagen und Kneipentratsch. Kein Grund zu feiern und auch keine Möglichkeit dazu. Wieder ein Rhythmusgeber weniger, stattdessen Eintönigkeit. Sie ist arbeitslos. Seit drei Jahren nun schon. Das Desinteresse ihrer Arbeitsvermittlerin an all ihren Bemühungen spiegelt nur zu deutlich, was sie längst weiß: Eine Frau über 50 hat kaum chancen auf dem Arbeitsmarkt. Jeden Morgen türmt sich ein Berg an Vorurteilen vor ihrem Bett auf und macht das Aufstehen zum Kraftakt. Wie gerne würde sie ihnen zeigen, was in ihr steckt. Doch keiner fragt, keiner lädt sie ein, keiner wünscht ihre Arbeitskraft und Lebenserfahrung. Das ist wohl die schlimmste Erfahrung. Ein paar Häuser weiter drohen die Mitglieder der Arbeitsgesellschaft in den Fluten des Alltags unterzugehen. Die enge Taktung ihres Lebens führt manche erst beim Scheidungsanwalt wieder zusammen. Kollektive Selbstvergessenheit angesichts der kollektiven Ertragsziele – die Erntekraft ist aus dem Blick geraten. Für eine gemeinsame Zukunft müssen wir einen Schritt zurückgehen und den Rhythmus des Säens und Erntens neu erlernen. Dann wird auch uns im Hier und Heute Segen zuteil. So sicher wie Sommer und Winter, Tag und Nacht.


blatt-laus Nach einem feucht-warmen Frühling ist die gedruckte Schrift dieses Jahr besonders gefährdet BUcHPRoJEKT: Ricarda Löser

52 · 53





56 路 57


der kleine sparer Am 30. oktober feiern wir Weltspartag TExT: Sebastian Pranz

Als ich noch klein war, war der 30. oktober für mich ein ganz besonderer Tag. Denn am 30. oktober ging ich mit meiner Familie zum Weltspartag. Am Morgen schließt meine Mutter die braune Schublade ihres Schreibtisches auf und verteilt unsere Sparbücher. Ich bekomme meins und mein Vater seins. Dann holt sie ihr Portemonaie und gibt mir ein Fünfmarkstück. Nur für den Fall, dass ich nichts gespart hätte. Mein Vater mault, denn er hat ebenfalls nichts gespart. Wir steigen in seinen zerbeulten Mitsubishi und fahren aus unserem Dorf in die Kleinstadt, wo die Sparkassenzentrale ist. Das Wetter muss gut gewesen sein, am Weltspartag, denn ich erinnere mich an kurze Hosen. Der Eingangsbereich unserer kleinen Sparkassenfiliale ist mit Luftballons geschmückt. Es riecht nach den blauen Stoffteppichen an den Wänden und nach Geld. Ich stelle mich in die Reihe des Kinderschalters, der extra für diesen Tag eingerichtet worden ist. Meine Hände umschließen fest das schwere Porzellan meines Sparschweins, den Schlüssel hat mir meine Mutter an einem Stück Paketband um den Hals gehängt. Als ich dran bin, übergebe ich stolz mein Schwein und schaue zu, wie die Bankangestellte das Geld in einen Sortierkasten einlegt. Ich stelle mir vor, wie sie mein Geld am Ende des Tages in einer kleinen Kiste in den Tresorraum des Kellers bringt. Hier lagert das ganze Geld, das die Welt an diesem Tag gespart hat. Und genau in einem Jahr wird der Raum wieder leer sein, damit Platz für neues Geld ist. Die Frau schenkt mir einen Kuli, der in vier Farben malt und auf dem ein Sparkassenlogo abgebildet ist. In meinem kleinen roten Sparbuch steht auf der letzten Seite eine neue Zahl

in Schreibmaschinenschrift. Sie sagt mir, wie viel Geld ich jetzt ausgeben kann. Nach dem Weltspartag schlägt mein Vater vor, ins café zu fahren. Das ist in der Nähe und jetzt sei man schon mal in der Stadt. Ich finde den Vorschlag gut, denn neben dem café ist ein Spielzeuggeschäft. Dort verliebe ich mich in einen Stoffhund mit traurigen Augen. Auf dem Preisschild steht eine Zahl, die genau so hoch ist wie die in meinem roten Buch. Meine Mutter ist bereit, in Vorkasse zu gehen. Immerhin habe ich Sicherheiten. Im café spendiert sie uns noch ein Eis. Wir lehnen uns zurück, genießen die oktobersonne und finden, das war ein schöner Weltspartag. Komischerweise ist aus mir nie ein großer Sparer geworden. Ich bin vielmehr immer noch ein Kleinsparer. Ich spare projektbezogen. Das heißt, ich halte es durchaus mal für einige Zeit aus, sparsam zu leben. Aber in regelmäßigen Abständen habe ich das starke Bedürfnis, mich für mein eisernes Sparen zu belohnen, indem ich Geld ausgebe. Es ist der intuitive Reflex meiner Kindheit, Raum für neue Einsparungen zu schaffen.


Speisekarte Unser Essen ist auf der ganzen Welt zuhause. Eine Orientierungshilfe

1

01

12

0

2

1

INFOGR AFIK: Hendrik Wünsche (designwünsche)

10

03

10 09 8

10 09

07

06

0

8

5

1

1

0

5

06

07

0

1

1

0

2

09 8

07

0

1

10 09

10 0

10 09 8

06

07

0

1

10 09 8

10 09

0

5

8

0

07

5

1

04

07

0

0

06

10

03

09

0

2

04

0

03 5

8

01

0

04

2

BRASILIEN SÜD AMERIKA

1

03

0

2

01

01

12

06

07

0 0

12

12

1

5

09

1

8

07

06

8

06

8

06

5

1

10 09

5

5

1

07

0

1

10 0

0 0

04

1

0

04

0

03

1

06

07

0

09 8

07

8

10 09

07

10

06

06

8

06

1

5

09

04

0

03

01

01

2

12

12

2

1

1

0

03

0

0

MAROKKO

MITTELAMERKIA

06

07

0

Getreide Mais Grünfutter Raps Reis Zuckerrohr Sojabohnen

01

12

2

04

5

5

1

ITALIEN 1

5

1

03

10

SPANIEN/ PORTUGAL 0

2

09

01

0

04

0

8

0 04

0

03

04

TEXAS

1

01

2

03

KALIFORNIEN

12

12

03

0

07

0

06

01

5

12

2

0

SOUTH CAROLINA

1

0

NORTH DAKOTA

04

01

FRANKREICH

04

1

10

03

03

12

07

01

0

12

0

0

2

1

ENGLAND

04

04

01

06

03

03

12

DEUTSCHLAND

0

2

1

5

0

0

8

09

04

01

12

2

01

2

QUEBEC

1

12

1

SAMBIA


1

10 09

04

5

06

0

07

0

RUSSLAND

0

8

03

1

0

2

01

12

2

1

01

12

1

10

03 0

01

0

2 0

10

09

01

12

03

0

07

0

8

1

2

04

1

10

03

IRAN/ IRAK

5

06

0

07

06

1

10 09 8

06

07

0

1

0

10

04

09

10

01

04

09

12

03

03

0

8

0

5

5

06

07

0

8

1

2

8

2

1

10

0

0

0

07

1

10 8

09 8

10

5

09

01

07

5

1

0

12

0

06

07

0

NEUSEELAND

04

AUSTRALIEN 12

01

10 09

04 0

5

06

07

0

8

03

06

07

0

Daten: www.claas.de/countries/generator/cl-pw/de/services/erntekalender

0

2

1

0

1

5

10

07

0

1

0

09

06

04

INDONESIEN/ THAILAND

03

8

5

0

03

04

1

09

1

0

01

2

0

03

01

07

12

2

12

06

0

INDIEN 1

2

SÜDAFRIKA

1

5

04

01

0

03

12

0

04

0

KENIA 1

01

CHINA

2

1

12

03

01

12

1

2

SAUDI ARABIEN

0

8

09

04

JAPAN

06

06

1

12

1

5

5

8

09

04

ÖSTERREICH/ SCHWEIZ


60 路 61


schützenhilfe Beinahe wäre diesen Sommer in Elmpt das Schützenfest ausgefallen. Ein Dorf sucht seinen König TExT: Sebastian Polmans FoToS: Archiv Schützenverein Elmpt

Elmpt ist eines der westlichsten Dörfer Deutschlands. Die meisten Häuser haben rote Klinkerfassaden. Schaut man zwischen den Spitzdächern hindurch, geht der Blick fast immer auf eins der umliegenden Felder am Horizont. Außer im Süden, da türmen sich hinter den Äckern die Lärmschutzwälle der A52 auf. Vor einem Jahr wurde die Autobahnstrecke eröffnet und verbindet seitdem als sogenannter Lückenschluss Elmpt mit der niederländischen Stadt Roermond. Wie in den anderen Dörfern im Umkreis, die Heyen, oberkrüchten oder overhetfeld heißen, wirbeln hier zur Erntezeit Korn, Maiskörner und Gemüsereste über die Straßen und Feldwege, die von voll beladenen Treckerfuhren und Mähdreschern fliegen. Neben vielen Bauern und Alteingesessenen leben in Elmpt auch etliche junge Familien, zugezogene aus den Großstädten an Rhein und Ruhr. Aber Kinder sieht man auf den Straßen nur wenige. obwohl heute einer dieser Junisamstage ist, an dem die Sonne ziemlich warm scheint. Im Mai war es in Elmpt weniger still, als die jährliche Frühjahrskirmes der Schützenbruderschaft vom heiligen Laurentius und Hubertus e.V. stattfand. An vier Tagen liefen die 180 Schützen durch ihr Dorf, in 14 verschiedenen Einzelzügen, die sich Blaue Dragoner, Rote Husaren, Wachbataillon oder Schluffenzug nennen. Auch ein Kinderzug war mit dabei. Mitten in der Kolonne ging der Schützenkönig Rainer Monix mit seinen beiden Ministern. Und zwei Marschmusikkapellen begleiteten in ihrem links-links-linksrechts-links-Rhythmus die dazu im Gleichschritt

marschierenden Gruppen. Rechnet man die Zugwege zusammen, zogen die Elmpter Schützen an den vier Kirmestagen rund 15 Kilometer über die Straßen ihres Dorfes, einem Gebiet, das gerade mal drei Kilometer lang und zwei breit ist. Das Schützenfest ist eines der wenigen Feste, bei dem sich die Elmpter in einem Festzelt auf dem Kirmesmarkt mitten im ort treffen. 5520 Menschen leben hier. Im Schnitt kamen 900 Leute am Tag, um mit den Schützen zu feiern. Heute ist die fußballplatzgroße Fläche leer, bis auf ein Mädchen in pinkem overall, das mit einem Tretroller auf dem sauberen Betonboden ein paar Runden dreht. Im Mai stand hier ein weißes Riesenzelt, das tausend Menschen fasst, auch ein Autoskooter, ein Kinderkarussell und eine Schießbude gab es. Das Gründungsjahr der Elmpter Schützenbruderschaft liegt im Jahr 1625. Hauptzweck war damals der Schutz des Allerheiligsten bei Prozessionen und in der Kirche. Auch bei Ausbrüchen von Seuchen oder Katastrophen, wie Bränden im Dorf, stellte sie sich als Bürgerwehr – vor dem Hintergrund christlicher Nächstenliebe – in den Dienst der Dorfgemeinschaft. Heute liegen solche Aufgaben bei den ordnungsämtern und Polizeistationen der Region. Aber auch vor vier Jahrhunderten gab es bereits Feste, zu denen die Bruderschaft das ganze Dorf einlud. Die Tradition hat Bestand. „Wenn Kirmes ist, dann putzt sich ganz elmpt raus“, erklärt Sabine Feger. Die 45-Jährige ist Elmpter Schützenkönigin 2010 und die Freundin von König Rainer. Straßen und Gärten waren geschmückt und die gelbblaue Dorffahne wehte an Stangen, die einzig für diesen Anlass an Häusern und in Vorgärten installiert sind. Für Sabine ging mit dem Ereignis ein Kindheitswunsch in Erfüllung: „Ich wollte einmal in meinem Leben Schützenkönigin sein.“ Schon als Kind war sie dabei, hat in jägergrüner Uniform prallgefüllte Blumenhörnchen getragen. Dass der Verein sich Schützenbruderschaft nennt, dass nur selten Frauen mitmarschieren – höchstens an bestimmten Terminen als Hof- oder Ehrendamen –, dass es in Deutschland immer noch etliche Schützengemeinschaften gibt, die in ihrer Vereinssatzung die Mitgliedschaft für Frauen ausschließen, macht


ihr nichts aus. „Ich war immer schon ein Kirmesmännken. Das habe ich wahrscheinlich von meinen eltern, die haben mich von klein auf zum Schützenfest mitgeschleppt“, sagt Sabine und lacht. Rainer hat Sabines Wunsch erfüllt, indem er eine hölzerne Vogelattrappe von einer 15 Meter hohen Stange geschossen hat. Das war am 31. oktober 2009 beim Vogelschuss der Schützen, an einem Sonntagnachmittag. Rainer hat aber nicht nur Sabine glücklich gemacht. Gleichzeitig hat der 42-Jährige das Schützenfest 2010 gerettet. Denn wenn sich kein Anwärter zum Vogelschuss meldet, gibt es im nächsten Jahr auch kein Schützenfest. So besagen es die Statuten des Vereins. Die Schießstelle liegt am Rand des Dorfes, ein kreisrunder Sandplatz, umringt von ein paar hohen Buchen und Birken. Jetzt, an diesem Junisamstag pfeifen und fliegen hier viele echte Vögel. Überwiegend Amseln. Das Loch für die Vogelstange in der Mitte des Platzes ist von Unkraut und Grasbüscheln überwachsen. Ein paar Löwenzahnköpfe blühen gelb. Der ort grenzt direkt an das Naturschutzgebiet des Elmpter Waldes und an den Stützpunkt der britischen Armee. Beim Vogelschuss in Elmpt gibt es normalerweise mehrere Bewerber, die dann um die Wette schießen. Im Jahr 2009 wollte keiner beim ersten Termin. „Als wir vom Schießplatz wieder abgezogen sind, ohne Musikbegleitung – das war eine düstere Stimmung“, erinnert sich Rainer, und Sabine fügt hinzu: „elmpt ohne Kirmes, haben alle gesagt, das geht doch nicht.“ Nicht für jeden ist die Rolle des Schützenkönigs erstrebenswert. Es braucht eine Reihe von Helfern: eine Nachbarschaft, die bereit ist den Schützenkönig zu unterstützen, eine Frau, die als Schützenkönigin mitmarschiert, aber auch eine finanzielle Rücklage, um das Fest mitzufinanzieren. Das ist gerade für die jungen Schützen nicht leicht. Rainer und Sabine haben viel mit Sponsorengeldern bezahlen können. „hier und da kriegt man auch mal was zugesteckt“, sagt Rainer. Mit der Nachbarschaft hatte er im Vorfeld gesprochen und ein okay bekommen. „Sonst hätte ich das nicht gemacht“, erklärt er. Vom Kirmesmarkt, etwa 300 Meter Luftlinie entfernt, liegt der Rathausplatz. Hier gab es in der Freitagnacht, wie es im Programmheft heißt: „Kranzniederlegung und Großer Zapfenstreich am ehrenmal“. Das sogenannte Ehrenmal ist ein fast drei Meter hoher in Stein gehauener Soldat. Er trägt eine Art Stahlhelm. Mit hängendem Kopf und in ziemlich schiefer Bücke lehnt die Figur auf einem Trümmerhaufen. In der linken Hand hält er eine Stielgranate, wie sie die Wehrmacht im zweiten Weltkrieg verwendete. Die Unterzeile in der Stehle lautet: „Fürs Vaterland“.

62 · 63

Elmpt ist ein friedliches Dorf. Auch die Menschen, denen man begegnet sind herzlich und redefroh. „Das sieht nicht aus, der muss da mal weg“, nuschelt etwa ein freundlicher alter Mann, als er das verdorrte Blumengebinde vor dem Denkmal sieht. Mit einer Hand stützt er sich auf dem Griff seines Gehstocks ab. Seine freie Hand zittert ein bisschen neben seinem Körper. „Das ganze Denkmal ist mir zu gewaltig“, sagt er. Er erzählt, dass er als deutscher Soldat nach 1945 noch drei Jahre lang Kriegsgefangener in einem Lager am Suezkanal in Ägypten war, bevor er wieder nach Elmpt, in seinen Heimatort, kam. Lange war er im Schützenzug, aber nach einer Herz-oP in den Neunzigern konnte er nicht mehr mitmarschieren. Mitglied ist er aber immer noch. Für ihn ist die Tradition des Schützenfestes auch ein Gedenken an seine im Krieg gefallenen Freunde. Dass die jungen Leute eher aus Freude im Schützenzug dabei sind, sieht er positiv. „es ist schön, dass die Jugend von heute keinen Krieg miterleben muss und deshalb mehr ans Feiern als an gefallene Soldaten denken kann“, meint er. Rainer und Sabine sind erst seit einem guten halben Jahr ein Paar. Ihr erstes gemeinsames Zuhause ist eine kleine Wohnung über einem Friseursalon. Im Esszimmer steht ein runder Tisch. Sie sitzen sich gegenüber und lächeln sich durch ein buntes Blumengesteck hindurch

„RAINeR hAT UNSeRe KIRMeS GeReTTeT.“

immer wieder an. Ein kleiner roter Zettel klebt an einem Efeublatt. Das Bukett ist ein Geschenk der Hubertus-Schützen aus Heyen. Die Kirmes hat den 45-jährigen Lkw-Fahrer und die Marktfrau zusammengeschweißt. Gefunkt hat es auf einem Dorffest im Nachbardorf, in oberkrüchten, wo Sabine in einer Imbissbude gejobbt hat. Rainer, der auch Jugendbeauftragter der Freiwilligen Feuerwehr in Elmpt ist, hat Sabine nach einer Übung in voller Montur und mit dem schweren Helm auf dem Kopf abgeholt. „Das war der Moment, wo ich wusste: Der ist es“, erzählt Sabine und haut dabei mit einer Hand auf den Tisch. Rainer schmunzelt und nickt.


Stolz zeigen Rainer und Sabine Fotos vom Silberputzen. Eine alte Tradition, bei der der zukünftige König vor dem Fest die aktuelle Königsplakette mit Zahnbürste und Zigarrenasche putzt und diese anschließend an ein Silbergehänge montiert, das er während der Kirmestage trägt. Auf den Fotos sieht man strahlende Gesichter in einem dunstigen, kleinen Partyzelt, meistens mit einem Glas Bier und einer Zigarre in der Hand. „Ja“, sagt Sabine, „das war ein schöner Abend.“ Aus dem Schlafzimmer holt Rainer die drei Kilo schwere Kutte, die einem großen Mobile ähnelt. Vorn und hinten hängen jeweils neun Plaketten an dünnen Eisenketten. Das sind die Medaillen der Könige der letzten Jahre. Das Silber klirrt. Rainer zeigt auf seine Plakette: drei Hüte und drei Spazierstöcke, die Signa des Vorstands, in dem er als Zeugwart für die Ausrüstung der 180 Schützen in Elmpt verantwortlich ist. Später ruft Sabine aus dem Nachbarzimmer. Sie zeigt auf einen breiten computerbildschirm. Der steinerne Soldat ist zu sehen, hinter dem ein bengalisches Feuer in hellrot qualmt. Links und rechts des Denkmals stehen zwei Männer aus dem Zug der Königsjäger. Sie tragen Gamsbärte an ihren Filzhüten und salutieren mit weißen Handschuhen. Rainer steht mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf davor. Zwischen ihm und dem Denkmal liegt der Trauerkranz. Man sieht blühende Germini, ein paar weiße kleine Blüten und das Grün der Zweige am Kranz. „Das war beim großen Zapfenstreich“, erklärt Rainer. Aber er schüttelt den Kopf, unterbricht sich und nennt das Ereignis lieber „ehrung der Toten“. Um welche Toten es sich da handelt? Es gehe um alle in den Kriegen gefallenen Schützen seit 1625, sagt Rainer. Ein Hobbyfotograf aus dem Dorf wurde engagiert und hat Fotos und Videos gemacht, die nicht nur für das Dorf, sondern potenziell für die ganze Welt aufrufbar sind. Sabine findet auch ein Youtube-Video von der Totenehrung, das sie noch nicht kannte. Eine Kapelle, der Musikverein aus oberkrüchten, spielt das Lied „Ich bete an die Macht der Liebe“. Ein ukrainisches Volkslied. Sabine legt den Arm um Rainer: „Man musste da doch mal eine Träne vergießen, bei dieser tollen Atmosphäre auf dem Rathausplatz.“

Das Königspaar steht bei den Feierlichkeiten der Kirmes im Mittelpunkt. Sie sitzen an einer Ehrentafel im Zelt und werden jeden Morgen an ihrem Königsdomizil vom Schützenzug abgeholt. Das haben Rainer und Sabine bei Rainers Mutter eingerichtet. Einem Haus mit rotem Klinker und einem Garten, wie ihre Wohnung direkt an der Hauptstraße, nur rund einen Kilometer weiter. Nebenan ist eine große Wiese mit weißen Stieren. „Die Tiere gehören zum Bauernhof Mevissen“, sagt Rainer und zeigt auf einen großen Bauernhof, der an das Feld grenzt. In der Scheune, dort wo im Sommer die Erntehelfer aus

„eINMAL KöNIG SeIN, DAS WÜNSChe ICh JeDeM!“

Polen wohnen, haben Rainer und Sabine mit der Nachbarschaft drei Monate lang im Winter aus Krepppapier und Draht Röschen für den Königsbogen gedreht, jeden Mittwochabend, 5000 Stück, rote und weiße. An den zwei niedrigen Lebensbäumen neben dem Königsheim verbleichen ein paar letzte Exemplare. Im Vorgarten sieht man ein paar dicke Steine zwischen dunklem Kies. Wüchsen hier nicht Tulpen und Stiefmütterchen, könnte man meinen, in einem japanischen Zen-Garten zu stehen. Rainer und Sabine halten Händchen. Im Hintergrund hört man das stete Rauschen der A 52. Die Schutzwälle sind in Sichtweite. Rainer und Sabine stehen dort, wo der königliche Torbogen gestanden hat. Ein riesiges R und S seien darauf zu lesen gewesen. Die Hauptstraße war in Königsallee umgetauft worden. Sabine treten Tränen in die Augen. Was macht den Reiz aus, König oder Königin zu sein? Beide schweigen. Dann Wieder im Esszimmer, geht Rainers Blick an Sabines linker Schulter ruft Sabine: „einmal im Leben eine Schützenkönigin oder ein König sein, vorbei auf einen Bilderrahmen an der Wand. Zwei dunkle Holzstücke das wünsche ich einfach jedem.“ Wer in diesem Herbst den Vogel abschießt und Elmpter Schütpappen auf einer hellen Leinwand. Ein bisschen sehen sie aus wie alte Fußballschuhe. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man zwei bis drei zenkönig 2011 wird? Rainer: „Die Jungen sollen sich ruhig mal trauen. Dutzend kleiner Einschusslöcher in den mit schwarzem Lack bepin- Dass es auch ohne das große Geld geht, haben wir ja vorgemacht. Die selten Klötzen. „Beim 59. Schuss war der Vogel unten, und meine Bewerber brauchen jetzt nur noch eine Nachbarschaft, die mitmacht, und eine Freundin, die gerne mal Schützenkönigin wäre.“ Schulter schön blau“, sagt Rainer.


64 路 65


melonenpublikum Wer in den Libanon will, muss an der Wassermelone vorbei. Eine Kostprobe FoToS: Frederic Lezmi









wer wind sät, wird sturm ernten Aufwachsen und Wurzeln schlagen, kleine Dinge mit groĂ&#x;er Wirkung und die Zukunft


SpäTlESE Was soll man machen, wenn die politischen Wurzeln auf einmal Früchte tragen? TExT: christian Sauer ILLUSTR ATIoN: André Gottschalk

Heute Abend tue ich, was ich noch nie getan habe. Ich denke über Politik nach. Genauer: Über mich und die Politik. Ich mache eine Flasche Tempranillo auf, und dann soll sich zeigen, ob 30 Jahre – von 17 bis 47 – eine Linie finden. Ich glaube, das könnte klappen. Dann gibt es ein Happy End. Klar habe ich immer schon über Politik geredet, sogar viele Jahre darüber geschrieben. Aber nachgedacht? Politik hat mich immer interessiert, aber selten berührt, bewegt. Analysiert habe ich sie, erklärt, immer aus kühler Distanz. In meinen stillen Momenten kamen kein Kohl und kein Joschka vor, nicht mal ein Gorbi. „Ich und die Politik“ – das war ein 30 Jahre dauernder Fernsehfußballabend ohne Tore. Aber seit Kurzem ändert sich das. Ich lese Politiker-Interviews und bin gerührt. Ich verstöre meine Freunde, weil ich beim Abendessen Wahlkampfreden halte. Der Eisblock meiner Ironie schmilzt dahin. Kann es sein, dass

74 · 75

ich trotz aller Distanz ein politischer Mensch bin? Der anti-politische Affekt gefiel mir so lange so gut, dass ich nie genau hingesehen habe. Heute hole ich das nach. Also: Prost! Prost oder cheers oder cheerio? Da geht es schon los. „ein Prosit der Gemütlichkeit“, singen meine Eltern mit ihren Freunden. „Prösterchen“, ruft die Nachbarin, bevor sie das dritte Glas Kellergeister stürzt. Katholisches Kleinstadtmilieu in Westfalen, Reihenhäuser am Rande des Ruhrgebiets. Am Gartengrill erlebt die früh erschöpfte Kriegsgeneration ihre besten Jahre. Adenauer ist eben erst abgetreten, Willy Brandt auch schon wieder weg. Ich bin 17 und Helmut Schmidt kämpft gegen Franz-Josef Strauß. Auswandern klingt interessant. „Du hast keine Chance, aber nutze sie“, steht auf einer Hauswand, weil das Paradoxe damals noch bedeutsam scheint. Statt Tempranillo trinken wir Lambrusco aus der Zweiliterflasche, und der schmeckt nach Unrast. Wer heute 17 ist, kann sich die umfassende Langeweile kaum vorstellen, die damals über jeder politischen Diskussion liegt. An der Kleidung, am Haarschnitt, an tausend Details erkennt man auf 50 Meter, wo einer politisch steht. Man redet nur mit denen, die so aussehen wie man selbst. Der sauber gescheitelte Vorsitzende der Schüler-Union wirbt für den Kapitalismus und es klatschen Dandys in Lacoste, die nichts wollen, als so zu leben wie ihre Apotheker-Väter. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend for-


dert vor langhaarigen Latzhosenträgern die Abschaffung des Krieges durch die Abschaffung des Kapitalismus. Kein Klischee ist zu platt, um nicht von den späten Siebzigern erfüllt zu werden. Dazwischen darben wir (Klein-)Bürgerkinder. Eine sozialdemokratische Reform hat uns mit Bildung gesegnet, die wir nicht zu benutzen wissen, außer um rechts wie links zu verspotten. Wir sind anders, haben aber keine Ahnung, was das heißen könnte. Anders könnte so etwas sein wie ein neuer Stil. Aber diesen Stil gibt es noch nicht. Und dann plötzlich doch. Neue Gesichter tauchen auf: eine Engelsfrau, ein General, ein wütendes Weib. Petra Kelly, Gert Bastian, Jutta Ditfurth. Die wirken so wunderbar deplatziert in der Rechts-linksWelt. Ein Schwall hoch moralischer Rhetorik ergießt sich in die Politik. Kein Wort zu groß: Leben, Natur, Schöpfung, Frieden. Keine Kreatur zu klein, um sie nicht gegen die Wirtschaft und die Bombe schützen zu wollen. Dieses Anders bekommt dann einen Namen, der so revolutionär normal klingt: Die Grünen. Eine Partei ohne Kürzel und ohne Ismus. Man muss dafür sein! Nicht, dass das Leben einfacher würde durch die Grünen. Man kann jetzt nicht mehr bloß dagegen sein, man soll was tun. Bei meinem ersten Uni-Besuch sprengt noch eine altlinke Splittergruppe die Vorlesung eines altlinken Faschismusforschers. (Für Jüngere: Sprengen heißt Mikrofon erobern, das Podium mit Transparenten abschirmen, Parolen brüllen.) Soll man sich das bieten lassen? Soll man andererseits vor altväterlichen Professoren erstarren, weil sie einem die Welt so stimmig erklären? Nein, man soll jetzt selber denken, eigene, neue Wor-

te finden, sich Raum nehmen. Und man kann das, ohne gleich Grünen-Mitglied zu werden. Dass es sie gibt, ist schon an sich ein Signal zur Bewegung. Zwischen Reagan und Lenin ist reichlich Platz dafür. Man bewegt sich nach Bonn, um gegen die Nachrüstung zu demonstrieren. Man ist bewegt von lauter Sorgen – um die Welt an sich. Man geht auf die Straße, verteilt Flugblätter für die Armen und hofft, die Unbeweglichen zu bewegen. Man lacht über Helmut Kohl und spürt deutlich, dass sich etwas ändern muss, ändern wird. Morgen, spätestens nächste Woche. Es bewegt sich nichts. Die achtziger Jahre liegen wie Blei über dem Land. Sicher, die Grünen kommen in Parlamenten und Regierungen an, Fronten lockern sich auf, sogar Volkswirte warnen nun vor den Kosten der Umweltzerstörung, ein neuer Pragmatismus zeichnet sich ab – aber wie langsam, ach so langsam, geht das alles voran! Wenn da vorübergehend so etwas wie Engagement in mir aufkeimt, verkümmert das Pflänzchen bald vor lauter Ungeduld. Anders sein wird normal, aber alles bleibt wie immer. Das zweite Glas Tempranillo trinke ich auf die Einheit. Damals habe ich sie verpennt. Irgendwann zwischen Uni-Examen und Zivildienst, zwischen Partynächten und Afrikareisen fällt die Mauer, und ich reagiere so engstirnig, dass ich mich heute dafür schäme. Ich sitze in Paris auf dem Pantheon und schaue über die Stadt, als ob in Berlin nichts Großes geschähe. Mir missfällt das Getue um Nation, Volk und Einheit. Ich will plötzlich das Alte retten, meine Bonner Käseglocken-


republik. Und Helmut Kohl, ausgerechnet der, schafft das Neue. Weil er an das Alte glaubt. Als mir das dämmert, kommt alles ein bisschen durcheinander in meinem Kopf. Gefühle jenseits eines kurzen Ärgers oder eines Anflugs von Erstaunen kann die Politik bei mir fortan nicht mehr auslösen. Als junger Tageszeitungsjournalist gerate ich mitten hinein in die Nachwendewirren, und mein hübsches Weltbild – rechts, links und meine bewegte Generation dazwischen – verschüttelt sich bis zur Unkenntlichkeit. Es geht mir wie allen politischen Konvertiten: Nach ganz viel A kommt ganz viel B. Bei mir kommt nach ganz viel Moral ganz viel Pragmatismus, eine überirdische Abgeklärtheit stellt sich ein. Keine Sorgen mehr, keine Euphorie, kaum noch Wünsche. Binnen zwei Jahren nach dem Mauerfall ist die innere Verstummung da. Ich werde einer von diesen 89ern, die Politik nur noch als Feinmechanik verstehen und keine Veränderung mehr denken können, weil sich alles ein bisschen zu gründlich verändert hat. Das dritte Glas Rotwein will jetzt getrunken werden. Ich und die Politik, das ist kein ausschließlich schönes Thema. Meine innere Erstarrung hält fast 20 Jahre an. Jetzt, wo ich es mir klar mache,

76 · 77

kann ich nur staunen. Ich bleibe der Politik fern, dabei bin ich als Politikredakteur mittendrin. Ich diskutiere mit, schreibe Kommentare, führe Interviews. Aber wie kühl bin ich dabei! Das einzige, was mich auf die Palme bringt, sind Kollegen, die für ihre Überzeugungen kämpfen. Das passt mir nicht. Vor allem die Linken, die Sozis und die Wirtschaftsliberalen stören dauernd die Lösungsfindung – weil sie ihre Grundsätze wie Götzen vor sich her tragen. Für mich als Extrempragmatiker steht fest: Der Mensch sei edel, sachlich und konstruktiv. Ende der Durchsage. Wie borniert, wie lebensfremd mir das heute vorkommt. Politik ist mehr als Lösungsfindung. Es geht um Überzeugungen, um Werte. Menschen, die für Herzensdinge kämpfen, erweisen allen einen Dienst. Gut, sie nerven auch, sie blamieren sich, richten manchmal Schaden an. Aber möchte man wirklich in einer Republik der Experten und Berater leben? Wie kam ich zu dem Glauben, es gebe nur einen zulässigen Politikstil: den auf- und abgeklärten? Als dann Rotgrün in Berlin übernimmt, 1998, müsste mein Herz höher schlagen. Die Zeitungen schreiben vom langen Marsch, der angekommen sei, und vom Generationenprojekt. Ich spüre keine Erfüllung. Im Gegenteil: Die Distanz vergrößert sich noch. Erst unter Schröder und Fischer entfaltet die Berliner Republik ihre ganze Lust an der medialen Inszenierung von Politik. Wer die Rezepte kennt, solche Aufund Abregung zu steuern, hat keine Freude an diesem Schauspiel. All die Siege und Niederlagen, die Tops und Flops – sie lassen mich nur weiter abstumpfen gegen politische Gefühle. Die Anderen, die Bewegten, sind jetzt an der Macht, aber ich suche weiter nach dem Anderen. In Bonn, Mitte der Neunziger, hatten sich doch mal ein paar schwarze und grüne Jungpolitiker in einer Pizzeria getroffen. Wenn man sie danach reden hörte, wusste man nicht mehr, welche Partei sie gerade vertraten. Das hatte mich damals elektrisiert, und nun, in der Schröder-Fischer-Republik, frage ich alle: Wann kommt Schwarzgrün – auf Landes-, auf Bundesebene? Anfangs klingen die Dementis empört, dann verschmitzt, schließlich genervt. Das scheint mir ein gutes Zeichen: Es tut sich also was im Hintergrund. In ihrem Erfurter Lieblingscafé schaut mich die Grünen-Politikerin Katrin GöringEckardt 2004 streng an und zählt die himmelweiten Unterschiede auf: Atompolitik! Einwanderung! Familie! Ich höre: Auf anderen Politikfeldern ist die Nähe längst da. Schwarzgrün kommt, scheint ihr Blick zu sagen, aber bloß kein falsches Wort dazu. Der Wein schmeckt jetzt nach Versöhnungsfeier. Vielleicht habe ich ja doch die Welt verändert – sogar verbessert. Ich mit meinem Moralismus und Pragmatismus. Ich wollte immer, dass es vorangeht, und seit Kurzem geht mal was voran. Im Frühjahr 2008 übernimmt in Hamburg eine schwarzgrüne Koalition die Geschäfte, die erste in einem Bundesland. Wir, die Kleinbürgerkinder, die Lambrusco-Trinker, die Politikverächter, wir haben das Andere geschaffen, das jetzt unser Herkunftsmilieu durchlüftet. Politik buchstabiert sich neu, jetzt, nach 30 Jahren. Meine schwarzgrüne Koalition in Hamburg hat es tatsächlich gewagt, ein Tabu anzugehen: Bildungschancen. Das Unrecht des frühen Sortierens in Haupt-, Real- und oberschüler – die tun was dagegen. Seit Brandts Zeiten hat es niemand mehr so entschlossen versucht. Dabei war schon vor PISA klar, dass Kinder aus ärmeren Familien im Bildungssystem versacken, dass Reichtum sich in Deutschland über Bildung reproduziert – unab-


hängig von der Begabung. Und das ist eine ScHANDE , jawohl (Verzeihung, der Wein). Es bewegt mich, dass begabten Kindern das verwehrt bleibt, was mir zugestanden wurde, der Aufstieg durch Bildung. Jetzt will Schwarzgrün in Hamburg eine Primarschule einführen, sechs Jahre gemeinsames Lernen für alle, Schluss mit dem allzu frühen Aussieben, Schluss mit der Hauptschule, dieser Stigmatisierungsanstalt. Eine Stadtteilschule soll – neben dem Gymnasium – jeden zum Abitur führen, der das Zeug dazu hat, in 13 statt 12 Jahren. Das ist mal eine Politik, die was bewegt. Und das gibt Ärger. Der cDU läuft die eigene Basis aus dem Ruder. Sozial gerecht, ja schön, denken sich viele, stimmt schon. Aber lernen dann meine Kinder langsamer, weil Migrantenkinder bessere chancen haben? Die alten Eliten machen mobil, die FDP wirft sich rein, Teile der cDU gehen auf die Barrikaden – und als alle erwarten, dass Bürgermeister ole von Beust (cDU !) einknickt, bemerkt der in einem Interview: „Wenn die Politik sagt, wir lassen es laufen und bedienen von Fall zu Fall Klientelinteressen, kriegen Sie nichts gestaltet.“ Und: „Sie müssen auch gegen eigeninteressen führen.“ Das war die Stelle, bei der mir am helllichten Tag, in der U-Bahn, die Tränen kamen. Ein ehemaliger Schülerunionsvorsitzender und Spross der Bildungselite will chancen für die chancenarmen durchsetzen – gegen seine Wähler und große Teile seiner Partei. Selbst wenn man taktisches Kalkül in seiner Grundsatztreue erkennt: Er hat sich doch bewegt und riskiert was. Das tut übrigens auch die grüne Schulsenatorin christa Goetsch, denn ihr laufen die Stammwähler genauso davon. Die finden auch, dass Multikulti irgendwie zu weit geht, wenn es die Topchancen ihrer frühestgeförderten Kinder schmälert. Ein Teil der grünen Basis wechselt politisch zur FDP, wo Liberalismus weniger sozial buchstabiert wird. Darüber kann ich mich aufregen, als ginge es um etwas richtig Großes. Aber das tut es ja auch. Wenn die Schichtengrenzen nicht mehr


durchlässig sind (nach oben, aber auch nach unten), fliegt uns der Laden um die ohren. Ein Land, in dem Mahmud und Yasmin schon mit 15 wissen, dass sie von der Stütze oder von 5,70 Euro die Stunde leben werden, hortet doch sozialen Sprengstoff. Bildungschancen sind der Kitt unserer Gesellschaft, mehr als Moral und Nächstenliebe, mehr als Solidarität und Umverteilung. Und weil die jüngeren, die agilen Unionsleute das verstehen, sind sie echte Kumpels. Das vierte Glas widme ich unserer Kanzlerin. Jetzt kann ich es ja sagen: Ich finde Angie gut. Wie sie sich so durchmerkelt, Verzeihung: wie sie pragmatisch entscheidet und – das sei den nörgeligen Hauptstadtjournalisten mal gesagt – am Ende doch eine klare Linie zieht. Eine Linie, die von der „Keine experimente“-cDU Adenauers zur diskursfähigen Volkspartei führt und von der Rechts-links-Republik Kohls in eine offene Gesellschaft. Angie hat konservatives Denken beweglich gemacht und den Torso-Liberalismus à la Westerwelle elegant ausgebremst. okay, streichen wir „elegant“. Sie kriegt es halt irgendwie hin, und sie geht dabei nicht unter. Ich mag Angie, weil sie mit ihrem betonharten Pragmatismus etwas verändert. Sie ist die Kanzlerin, die ich verdiene, auch wenn ich mir manchmal vielleicht ein flammendes Wort wünsche, eine Geste, die das Meer teilt, na ja, ein Quäntchen Vision wenigstens. Bei allen Abstrichen kann ich doch sagen: Angie, Du hast mich ankommen lassen. Ich darf mich erstmals ganz zu Hause fühlen in diesem Land. Nein, wählen würde ich Angela Merkel natürlich nie. Ich bleibe so ein Grünen-Stammwähler, der nicht anders kann, als sich für an-

78 · 79

ders zu halten. Ich freue mich trotzdem schon jetzt auf Schwarzgrün in Berlin. Irgendwie werden wir das auch im Fünf-Parteien-System hinkriegen. 30 Jahre dürfen nicht umsonst gewesen sein. Jetzt kommt die Erntezeit. Ich bin immer noch ganz anders und doch ein Kindeskind der Nachkriegswelt, das seine Herkunft ehrt. Jetzt ist nur noch eine Neige in der Flasche. Es muss noch gesagt werden: Schwarzgrün macht Fehler. Handwerklich läuft das noch gar nicht zusammen. Die Hamburger Schulreform wird wohl am Ende scheitern, weil sie gute Ideen schlecht managt. Merkel wird wohl scheitern, weil sie schlechte Ideen gut managt. Kann auch sein, dass der Unterschied zwischen Kellergeister und Tempranillo so groß doch nicht ist. Und dass Schwarz und Grün sich zu Grau vermischen. Aber solche Skepsis, die ewige Mitteldistanz, ist mir heute Abend mal zu bequem. Liebe Angela, lieber ole, wir, die kreative AndersIntelligenz, stehen an Eurer Seite! Wir sind der bessere Partner als eine FDP, die bloß Neoliberalismus kann. (Wir können das übrigens auch, aber nur, wenn es wirklich sein muss.) Wir waren schon immer wertkonservativ. Und wir sind, sagen wir: grundsatztreu, in einem kreativpragmatischen Sinne, also auf kluge Weise konservativ, wenn man so will. Kurz: der ideale Partner für Euch. Wenn Ihr so weitermacht, dann wollen wir gar nicht mehr mit den Sozis. Ich hebe das Glas und trinke den letzten Schluck – auf uns! Wir wollten alles anders machen. Ihr wolltet alles so lassen. Und irgendwie passt das heute gut zusammen. Ich denke nicht an morgen früh und rufe Euch zu: Wir bewegen Deutschland! Ja, schon gut, nicht zu sehr. Das klären wir noch.


zEiTuMSTEllung Bevor der Mensch die Armbanduhr erfunden hat, war eigentlich noch alles in ordnung. TExT: Max Bank

Noch vor rund 200 Jahren orientierten sich unsere Lebens- und Arbeitsprozesse an der Natur. Am Rhythmus von Tag und Nacht, Ebbe und Flut sowie den Jahreszeiten. Mit der industriellen Revolution und der damit verbundenen Fabrikarbeit wird die Synchronisierung von Zeitabläufen jedoch plötzlich notwendig. Ebenso wie ein vom Fabrikalltag strukturiertes Leben in den Vordergrund tritt, wird auch ein natürliches Zeitempfinden immer weiter verdrängt von der technischen Zeit. Die Trennung von Arbeit und Freizeit, die sich mit der Einführung der Lohnarbeit im 19. Jahrhundert vollzieht, hat eine schleichende, zugleich radikale Veränderung gesellschaftlichen Bewusstseins zur Folge. In der Fabrik ist es die Stechuhr, die auf einmal bestimmt, wie viel Geld man verdient. Die Zeit wird zum Messinstrument für die eigene Effizienz: Nicht mehr nur die Qualität eines Endproduktes – wie das Tuch, das in Heimarbeit am Webstuhl angefertigt wird – ist entscheidend für den Broterwerb, sondern vielmehr auch die Zeit, die man in der Fabrik an seinem Arbeitsplatz verbringt. Im Privatleben ist es die Armbanduhr, die im Übrigen in England erfunden wurde – also dem Mutterland der Industrialisierung. Die Verknüpfung von Zeit und Effizienz hat weitreichende Konsequenzen. Waren die Mahlzeiten auf dem Feld noch an natürlichen Faktoren wie dem Wetter oder dem Stand der Sonne orientiert, so richten sie sich im Betrieb nach der zeitlich festgelegten Pause. Gegessen wird im Takt der Technik: Wenn die Maschinen still stehen und das Fließband eine Pause macht. Auch der Tagesablauf als solcher orientiert sich an diesem Rahmen: Schlafenszeit ist dann, wenn man keine Schicht hat, und nicht, wenn die Nacht eingebrochen ist. Dem Arbei-

ter der frühen Industrialisierungsphase bleiben damit noch etwa fünf bis sechs Stunden Schlaf in der Nacht. Im Übrigen rührt auch die Verstädterung der westlichen Industriegesellschaften aus der Zeit der Industrialisierung. Aufgrund der Ansiedlung von Industrie und der Ballung von Produktionsstätten an bestimmten orten, zieht es die Menschen in Massen vom Land in die Stadt. Die Wohnungen der Arbeiterschaft befinden sich oftmals in unmittelbarer Nähe zu den Fabriken. Die Lebensabläufe richten sich nach der neuen Arbeitsweise. Auch auf Kosten der Gesundheit. Damit verändert sich nicht zuletzt auch das Zusammenleben von Familien. Während in vorindustriellen Zeiten die Heimarbeit für enge Bindungen unter Familienmitgliedern sorgte, erfordern die modernen Zeiten nun sekundäre Auffangsysteme wie das Sozialsystem. Die Großeltern müssen damit nicht mehr innerhalb der Familie versorgt werden, sondern können ihre Rentnerzeit im Altersheim verbringen. Der Prozess der Synchronisierung von Zeitabläufen ist seit der Industrialisierung fortgeschritten. Was sich früher auf regionaler Ebene abspielte, ist heute zu einem globalen Netz der internationalen Arbeitsteilung geworden. Unser gesellschaftliches Leben vollzieht sich dabei auf allen Ebenen weitgehend losgelöst von der Natur. Aber die Zeiten wandeln sich. Ein weltweites Netzwerk bedeutet auch, dass Strukturprobleme weltweite Relevanz bekommen können. Etwa in Form von schwindenden Ressourcen oder globalen Umweltproblemen, die den zivilisatorischen Status Quo gefährden. Die Lösungen, die es zu entwickeln gilt, können nur im Unisono der Weltgemeinschaft umgesetzt werden. Das ist die soziale Herausforderung unserer Zeit.


KlEinbauERn Nicht jeder, der eine Erfindung macht, wird berühmt. Sechs Menschen, die unser Leben verändert haben

JáNoS IRINYI (1817–1895). Die Erfindung des

Streichholzes datiert eigentlich ins Jahr 1826. Dem Ungar Irinyi, der im Jahr 1836 das geräuschlose, explosionsschwache Streichholz ent-

80 · 81

wickelt, ist es allerdings zu verdanken, dass die chemische Mischung im Kopf des Zündholzes ohne Phosphor auskommt und damit Selbstentzündungen nicht mehr möglich sind.


WHITcoMB JUDSoN (1836–1909). Vor der

Erfindung des Reißverschlusses müssen Schuhe und Kleider mit Schnüren oder Knöpfen verschlossen werden. Entsprechend war das von

Judson im Jahre 1893 patentierte System auf der Weltausstellung in chicago eine Sensation. Bis zum praktischen Einsatz des C-curity fasteners dauert es allerdings noch 24 Jahre.


MELITTA BENTZ (1873–1950). Weil sie den bitteren Nachgeschmack des Kaffeesatzes nicht mag, experimentiert die 35-jährige Hausfrau und Mut-

82 · 83

ter mit den Löschblättern ihrer Kinder und einem durchlöcherten Topf. Der Melitta Kaffeefilter wird im Jahr 1908 patentiert.


KARL LUDWIG NESSLER (1872–1951). Während seiner Ausbildung als coiffeur in Paris entwickelt Nessler ein System, mit dem er Haare in eine nach-

haltige Wellung bringen kann. Die erste Testperson ist die Deutsche Katharina Laible, die er im Jahr 1901 heiratet. Das System wird 1909 patentiert.


HERTA c. HEUWER (geb. Pöppel) (1913–1999). Die Berlinerin mischt im Jahre 1949 eine Sauce aus currypulver, Tomatenmark und Worcestershire-

84 · 85

sauce und bietet diese mit einer kross gebratenen Brühwurst an. Das Rezept der currywurst lässt sie im Jahre 1959 unter dem Namen Chillup schützen.


oLE KIRK cHRISTIANSEN (1891–1958). Der dänische Tischler entwickelt in der Nachkriegszeit ein System aus Bausteinen, deren ober- und Un-

terseite zusammen gesteckt werden können. Lego kommt im Jahr 1958 zur Patentreife und wird bis 1963 fertig gestellt. Es ist bis heute kompatibel.


bilDER, DiE waCHSEn Mit den Büchern von Ali Mitgutsch kann man aufwachsen und gleichzeitig ein Kind bleiben. INTERVIEW: Sebastian Pranz ILLUSTR ATIoN: Ali Mitgutsch PoRTR AIT: Uli Knörzer

86 · 87


ein Interview, auf das man sich vorbereitet, indem man Bilderbücher anschaut, ist etwas Besonderes. Gleichzeitig birgt es aber auch ein gewisses Risiko, den Mann zu treffen, der die Welt geschaffen hat, in der man ein Gutteil seiner Kindheit verbracht hat. Ich stehe vor einem hohen Altbau und blicke zu den Fenstern hinauf, an denen der Münchener Sommerregen hinabläuft. Wenn es die Welt meiner Kindheit wäre, dann wären die Mauern jetzt durchsichtig. Ich könnte Menschen sehen, die fernsehen oder duschen, sich streiten oder ein Bild malen. So wie Ali Mitgutsch, der die Bilder gemalt hat, die ich heute im Kopf habe. Oben werde ich freundlich empfangen und durch einen langen Flur geführt. eine entdeckungsreise zwischen Schiffsmodellen, Figuren und Bildern hindurch, die an der Küchentür endet. Ali Mitgutsch stellt ein Stück Kuchen zur Seite und begrüßt mich. er ist ein alter Mann mit dem listigen Blick eines bayrischen Buben. Gerade war er Tanken, sein Geld und seine Personalien lagen derweil zuhause auf dem Küchentisch. An der Kasse wurde er gebeten, ein Pfand zu hinterlassen. Und weil Ali Mitgutsch weder eine Armbanduhr noch ein handy besitzt, holte er aus dem Kofferraum einfach eine Plastiktüte mit seinen Büchern heraus. „Gekannt haben‘s mich nicht“, sagt er in melodiösem Bayrisch, „Aber die Bücher haben‘s trotzdem genommen“, fügt er hinzu.

herr Mitgutsch, wenn man als erwachsener eines Ihrer Bücher aufschlägt ist das so, als stoße man die Tür zu seiner Kindheit auf. Ich bin selbst fasziniert, dass es mir gelungen ist, einen Stil zu finden, der hängen bleibt. Ich stelle mir immer vor, dass meine Bilder kleine Widerhaken haben, die sich beim Betrachter einhängen und ihn dazu verführen, immer wieder hinzuschauen. Ganz praktisch habe ich in jedem Bild viele kleine Belohnungen versteckt, die man auf den ersten Blick noch nicht sieht. Und wenn man das Buch ein weiteres Mal anschaut, entdeckt man dann plötzlich jemanden, der hinter einem Busch steht und pinkelt. Um das Gesamtbild zu sehen, muss man das Buch viele Male betrachten. Und damit bleibt es in Erinnerung. Waren Sie sich beim Zeichnen der Tatsache bewusst, dass Sie einem Kind ein Bild mitgeben, das es vielleicht ein Leben lang begleitet? Nein. Als ich die ersten Bücher für Kinder gemacht habe, habe ich mir eigentlich nur überlegt, welche Bilder mich selbst als Kind tief berührt haben. Meine Absicht war es einfach, humorvolle kleine Geschichten zu schaffen. Humor ist meiner Ansicht nach das Schmiermittel, auf dem jede Art von Information gleiten kann. Und überhaupt bin ich zum Zeichnen von Kinderbüchern ja eher zufällig gekommen. Ursprünglich war ich Gebrauchsgrafiker. Entdeckt hat mich quasi der Leiter des oldenbuch-Verlages. Ich hatte ihm eine Arbeitsmappe geschickt, um Aufträge für Buchtitel zu bekommen. Aus irgendeinem Grund hatte ich ihm noch ein paar lustige Zeichnungen mit Kugelschreiber beigelegt. Die haben ihm so gut gefallen, dass er mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, auch für Kinder zu arbeiten.


Wie ging es dann weiter?

zu schauen und die Blende einzustellen. Durch diese Ablenkungen reduziert sich der Erlebnisanteil drastisch. Ich habe aber ein sehr gutes optisches Gedächtnis. Ich kann Szenen, die ich als Kind erlebt habe, noch heute genau nachzeichnen.

Ich konnte beim Parabel Verlag, den es heute meines Wissens nicht mehr gibt, meine ersten Bücher veröffentlichen. Darunter waren auch bald Bücher, die auf eigenen Ideen basierten. Die Idee für mein Buch „Strom und Straße“ aus dem Jahre 1961 kam mir z. B., als ich ein Spiel- heißt das, dass die Szenen in Ihren Büchern einen realen hintergrund haben? zeug aus der Biedermeier-Zeit entdeckte. Es bestand aus zwei Rollen, über die man ein Panorama mit Bildern abspulen konnte. Ich über- Ja, zum Beispiel mein Buch „Auf dem Land“ – wo ist das doch gleich? nahm dieses Konzept und gestaltete ein etwa zwei Meter langes Leporello. Auf der einen Seite war eine Flusslandschaft zu sehen, die von er steht auf und nimmt eine weiße Plastiktüte von der Küchenander Quelle bis zum Meer reichte, und auf der anderen Seite eine Strarichte. Die gesuchten Bücher sind nicht darin, dafür aber Wein und ße, auf der Autos oder eine Schulklasse unterwegs waren. Das war ein Marmelade. er verschwindet einige Zeit im Nebenzimmer und vollkommen neuer Gag, so etwas gab es vorher noch nicht. kommt dann mit einer weiteren Tüte zurück. Das sei die, mit der er sich vorhin beim Tanken freigekauft habe, sagt er mir. er packt einen Auch Ihre späteren Bücher nehmen oft ungewöhnliche Blickwinkel ein. Stapel Bücher aus und verteilt sie auf dem Tisch. Zwischen Kaffee und Kuchentellern breitet sich eine Sommerlandschaft aus. Mit Ali Bei meinen ersten Skizzen für die Wimmelbücher habe ich lange mit Mitgutsch zusammen ein Ali Mitgutsch-Buch anzuschauen ist ein der Perspektive experimentiert und mich schließlich für eine Darstelseltsames Gefühl. Nimmt er mich jetzt mit in seine Welt? Oder ich lungsweise aus dem Rokoko entschieden. Man nennt es die Kavalierihn in meine? Draußen regnet es immer noch. sperspektive – der chevalier saß zu Pferd und hatte immer einen leicht erhöhten Blick auf seine Umgebung. Diese Perspektive findet Das ist mein erstes Wimmelbuch. Sehen Sie hier: die Fensterläden sich zum Beispiel bei Merian, der Ansichten von Klöstern gestochen und Erker der Häuser, die Silos und Traktoren – das hatte ich als hat, deren hintere Mauern fast so groß waren wie die vorderen. Es war Stadtmensch nicht im Kopf. Dafür musste ich mit meinem Skizzenalso praktisch eine demokratische Darstellungsweise, bei der alle Be- block ins bayrische oberland fahren. Aber zu Hause habe ich die Skizreiche im Bild gleich wichtig sind. zen mit den erlebten Dingen kombiniert, die ich im Kopf hatte. Diese Szene hier finde ich in beiderlei Hinsicht geglückt: dieser Hund, Das heißt, Sie wollten den Kindern gerne die entscheidung überlassen, der so traurig dabei zuschaut, wie der Bauer den Schlauch des Traktorwas im Bild wichtig ist und was nicht? reifens flickt. Das ist eine sich selbst erzählende Geschichte, die man immer weiterspinnen kann. Szenen wie diese drücken auf den KickGenau, das Angebot ist nicht vorsortiert. Stattdessen kann sich jeder starter der Fantasie. Wie früher bei den Motorrädern: Wrumm wrumm das raussuchen, was ihn interessiert. Damit passte diese Darstellungs- wrumm – und dann ist er angeworfen, der Apparat der Fantasie. weise zu den vielen Details und Schachtelgeschichten meiner Bücher. Eines Tages kam dann der Werbemann vom Verlag und fragte, ob er Wieviel haben Ihre Bücher denn mit Ihrer eigenen Kindheit zu tun? eines meiner Bilder auf eine etwa einen Meter hohe Pappe vergrößern dürfe. Er brauchte eine Dekoration fürs Schaufenster. In diesem Mo- Aus meiner eigenen Kindheit rührt zumindest mein besonderes Wisment habe ich gedacht: Das wäre doch eine sagenhafte Idee, ein Buch sen über das, was Kinder mögen und lieben. Denn leider verlief sie alles in dieser Größe zu machen. Schon als ich selbst noch klein war, hätte andere als angenehm. Im Krieg musste ich mit meiner Familie von ich am liebsten ein Kinderbuch gehabt, in das ich mich reinlegen kann. München ins Allgäu fliehen. Ich wurde rausgerissen aus meinem verAber das gab es leider nicht. Ich erzählte also dem Vertriebsleiter des trauten Leben und tat mich sehr schwer mit dem Schließen von soziRavensburger-Verlages von dieser Idee und er fand sie sehr gut. Er alen Kontakten. In meiner neuen Schule auf dem Lande war ich rechnete mit vor, dass man von einem solchen Buch, das immerhin 50 schnell der Außenseiter, der von allen gehänselt wurde. Ich kann mich Mark kostete, bestimmt 500 Stück pro Jahr verkaufen könnte. Letzt- noch an eine besonders traumatische Situation erinnern: Eines Winendlich waren es im ersten Jahr 25.000 Stück, die verkauft wurden. ters hatten mir meine Mitschüler heimlich das Taschenmesser geDas war natürlich ein Wahnsinnsrenner! klaut. Mir sagten sie, sie hätten es auf der Wiese hinter dem Bach liegen sehen. Ich lief sofort los, über den kleinen Holzsteg zur anderen Ihre Bilder behandeln fast ausschließlich alltägliche Szenen. Kann man Seite. Als ich in der Mitte des Steges war, brach dieser plötzlich ein sich Ali Mitgutsch als einen ständigen Beobachter vorstellen, der mit dem und ich hing völlig hilflos mit den Armen auf den beiden HolzpfosSkizzenbuch durch die Welt streift? ten, die Beine im eiskalten Wasser. Meine Eltern hatten mir aus einer alten Wolldecke eine Hose genäht, die jetzt immer schwerer wurde. Wenn ich auf Reisen war, hatte ich natürlich schon ein Skizzenbuch Als ich um Hilfe rief, hörte ich es hinter einem Busch kichern. Da war dabei. Aber dennoch bin ich oft nicht zum Skizzieren gekommen, mir klar, dass meine Mitschüler den Steg angesägt hatten, um mir einen weil ich so viel mit dem Schauen beschäftigt war. Das ist auch einer bösen Streich zu spielen. Meine Abenteuer fanden also nicht mit der Gründe, warum ich kein Fotograf geworden bin: Wenn mich et- Freunden statt, denn ich hatte keine. Aber ich erfand mir welche: was wirklich fasziniert, dann stört es mich, auf den Belichtungsmesser einen dicken Starken, der mich beschützte, und einen kleinen Schlauen,

88 · 89


der immer die besten Ausreden parat hatte. Und da saß ich dann irgendwo unter einem Baum und träumte mir meine Geschichten. Die Erinnerung an das Geträumte war bei mir immer viel stärker als an das Erlebte. Was damals mein großes Unglück war, das mauserte sich später zum reinen Segen. Ich habe heute noch ein sicheres Gespür dafür, wie eine Figur oder ein Gesichtsausdruck sein muss, damit möglichst viele Kinder berührt sind. Umso interessanter ist es, dass Sie in Ihren Bilderbüchern keinen Aspekt des Lebens aussparen. Das beginnt mit Kindern, die fiese Sachen machen, wie z. B. der Kuh am Schwanz zu ziehen, und geht bis hin zum Unglück einer Schneelawine, bei dem Tote geborgen werden. Ich versuche immer, auch den Ausweg aus dem Dilemma zu zeigen. Das Kind, das der Kuh am Schwanz zieht, wird vom Lehrer getadelt. Der Aufseher, der schimpfend dem kleinen Jungen hinterherrennt, rutscht auf Kuhkacke aus und wird ausgelacht. Irgendwo findet sich im Bild immer die Hoffnung, dass es schon gut wird. Ich musste in meinem Leben schon mit vielen Leuten diskutieren, die mir vorwarfen, dass ich eine heile Welt zeichne. Aber das stimmt nicht: Mir kommt es darauf an, eine heilbare Welt darzustellen. Unser Gespräch ist zu ende, ohne dass es richtig aufhört. Ali Mitgutsch ist ein Geschichtenerzähler. Und meine Fragen sind nur der Ausgangspunkt, von dem aus er zu immer weiterführenden Schachtelgeschichten aufbricht. Seine Bilder im engen Raum zwischen zwei Fragen einzusperren, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich erinnere mich an eine Szene aus dem Stadtbuch, die ich nie verstanden habe: Zwei Männer stehen vor einem Vogelkäfig und streiten sich. Beide zeigen wild gestikulierend in eine andere Richtung. Vielleicht hat Ali Mitgutsch die erklärung vorweggenommen: Das ende der Geschichte könnte in jede Richtung davon geflattert sein. In jedem Fall lohnt es sich hinterherzufliegen. eine Frage hatte ich dann aber doch noch. Ob er mir nicht was zeichnen könne? Wir sitzen inzwischen in seinem Atelier, wo es nach öl riecht. Ich halte ihm mein aufgeschlagenes Notizbuch hin und komme mir vor wie ein Autogrammjäger. einen Traktor vielleicht oder ein Selbstportrait? Nein, Selbstportraits male er nicht, das habe er sich untersagt. Dabei bin ich mir sicher, dass ich ihm in seinen Büchern schon begegnet bin – mit Kappe auf dem Kopf und die Zeichenmappe unter den Arm geklemmt. er lächelt: Aber einen Jung-hahn, den könne er mir zeichnen. Nehme ich gerne, herr Mitgutsch!

Ali Mitgutsch, Jahrgang 1935, ist Kinder- und Bilderbuchautor und gilt als der erfinder des Wimmelbuchs. Seine Bücher haben zahlreiche Preise gewonnen und sind international bekannt. Im Ravensburger-Verlag sind u. a. erschienen: „Auf dem Lande“, „Bei uns im Dorf“, „Das große Piraten Wimmelbuch“ oder das „Ritterbuch“ (mit Ingmar Gregorzewski). Außerdem ist Mitgutsch als Künstler tätig und gestaltet z. B. „Traumkästchen“, die mit unterschiedlichen Materialien kleine Geschichten erzählen.


zuRüCK in DiE zuKunFT Die globale Ernte wird morgen anders aussehen. Einige Szenarien TExT: Johannes Mahn und Hendrikje Riemann (Z_punkt) ILLUSTR ATIoN: Dominik Kirgus (großgestalten)

Die Beschäftigung mit Zukunft hat Hochkonjunktur. Gerade die Wirtschaftskrise hat den uralten Menschheitstraum weiter befeuert, etwas darüber zu erfahren, was auf uns zukommt. Als Zukunftsforscher und Strategieberater bei Z_punkt The Foresight company erleben wir dies täglich bei unserer Arbeit: Besonders Entscheidungsträger aus Unternehmen und Politik haben ein gesteigertes Interesse, zu verstehen, wie die Zukunft aussehen könnte und welches die großen Trends sind, die uns einen möglichen Weg dahin weisen. Aber auch unser Alltag wird mehr und mehr von der Frage nach Zukunft bestimmt – und das weit über Modetrends hinaus. Hausbesitzer wollen wissen, welche neuen Bau- und Energievorschriften auf sie zukommen könnten oder wie sich ihr Stadtteil demografisch entwickeln wird. Wir haben erkannt, dass wir die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht lösen können, ohne zumindest ein grobes Bild von unserer Welt von morgen zu haben. Wer sich näher mit der Zukunft beschäftigen möchte, muss zunächst einmal verstehen, was Zukunft eigentlich ist und was sie nicht ist. Und er muss verstehen, dass die Zukunft gestaltbar ist: Zumindest nach unserer westlich aufgeklärten Vorstellung ist das, was morgen passiert, nicht das Ergebnis eines großen Masterplans. Das heißt auch, dass die Zukunft immer im Plural steht. Sie ist das Ergebnis unseres jetzigen und zukünftigen Handelns, die Ernte dessen, was wir oder andere vor uns ausgesät haben. Diese Erkenntnisse sind fundamental für die Beschäftigung mit Zukunft, denn sie erlauben uns überhaupt erst, Aussagen über mögliche Zukünfte zu machen. Auf den folgenden beiden Doppelseiten haben wir einige langfristige globale Trends zusammengestellt, die unsere Welt und unseren Alltag prägen und in verschiedene Zukünfte weisen. Die Frage, ob und wie sich Menschen ihre Umwelt zunutze machen können, hat seit jeher über Fortschritt oder Stillstand entschieden. So war die Zeit nach dem Weltkrieg bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts geprägt von stetigem Wachstum und teilweisem Überfluss. Zumindest in den westlichen Ländern waren wir uns sicher, dass wir genug Ressourcen für die Absicherung und den Ausbau unseres Lebensstandards haben würden, für Nahrung, Kleidung und Energie.

90 · 91


Diese gefühlte Sicherheit konnte jedoch der sich zunehmend durchsetzenden Erkenntnis von der Endlichkeit der Ressourcen und einer globalen Rezession nicht standhalten. Ganze Volkswirtschaften drohen durch die bisherige Art des Wirtschaftens zu kollabieren, eine global zunehmende Zahl an Menschen ist abgeschnitten vom Zugang zu Gütern, und viele jüngere Menschen gehen davon aus, dass ihre Generation mit einem „weiter so“ weniger Wohlstand erleben wird als die vorherige Generation. Die Gewissheit einer uneingeschränkten Nutzbarmachung verwandelt sich in das allgegenwärtige Gefühl der Knappheit – und das über die Grenzen der Nord- und Südhalbkugel hinweg. Heute können wir uns nicht mehr sicher sein, wie viel Ernte wir aus unserer Saat erzeugen können und wie lange unsere Vorräte noch ausreichen: Unsere Nahrung wird knapp, Wasser und fossile Ressourcen ebenfalls. Durch diese Erfahrung steigt der Druck, unser Verständnis von Produktionszyklen und -prozessen zu überdenken. Lange Zeit haben wir für einen hohen output wenig investieren müssen. Die Natur hat uns einen mächtigen Vorschuss gegeben: vor allem für unseren stetig gewachsenen Bedarf an Ressourcen, natürlichen Flächen für Landwirtschaft und rasant wachsenden Städten. Jetzt sind wir dran: Kurzfristig müssen wir lernen, mit knapperen Ressourcen umzugehen, langfristig heißt es, den Prozess der Reifung und Nutzbarmachung grundlegend zu überdenken! Denn: In Zukunft einfach weniger zu produzieren, ist keine denkbare Lösung. So wird das globale Bevölkerungswachstum in der kommenden Zeit sogar noch mehr output von uns fordern,

damit alle Menschen am Wohlstand teilhaben können und globale Stabilität gesichert ist. Gerade industrialisierte Länder müssen mehr investieren als die ärmeren Länder: in Ressourceneffizienz und Recycling, in neue Ideen und Konzepte, wie etwa die Kreislaufwirtschaft. Glücklicherweise werden grüne Märkte diesen Wandlungsprozess zusätzlich antreiben: Ökologisches Handeln wird zunehmend auch ökonomisch belohnt. Landwirte etwa, die bei der Herstellung ihrer Lebensmittel weniger Wasser oder Pestizide einsetzen, können mit diesen Produkten höhere Preise am Markt erzielen. Doch nur der Konsens aller Akteure aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft über ein nachhaltiges Verhältnis von Saat und Ernte kann uns langfristig vor der Realität eines „Peak Just About everything“ bewahren; dem Punkt, ab dem wir unwiderruflich weniger ernten und abbauen, da die natürlichen Vorkommen von lebenswichtigen Ressourcen aufgebraucht sind. Je mehr wir über die Zukunft und deren Herausforderungen wissen, desto besser sind wir in der Lage, heute neue Lösungen zu finden und andere Wege zu gehen. Unsere Trendauswahl auf den folgenden Seiten haben wir in zwei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe beschreibt Entwicklungen, die geprägt sind von Knappheit. Aus diesen Feldern speisen sich die großen Herausforderungen der nahen Zukunft. Die zweite Gruppe zeigt exemplarisch fünf Felder auf, in denen sich bereits heute eine Neuordnung, ein neues Ernteverständnis abzeichnen: Wir lernen von der Natur, wir werden selbstbewusstere Konsumenten, die „grüne“ Produkte fordern und Unternehmen damit zu nachhaltigerem Wirtschaften zwingen. Schon das heutige Marktwachstum im Bereich erneuerbarer Energien und nachhaltig produzierter Nahrungsmittel ist ein klarer Vorreiter eines langfristigen Wandels. Schaffen wir es, diesen Weg weiterzugehen, wird uns ein neues, heute noch schwer greifbares Verständnis von Saat und Ernte die Überwindung des Knappheits-Paradigmas möglich machen.


KNAPPHEIT VoN RESSoURcEN

45% ENERGIEVERBR AUcH

Bis 2030 steigt der globale Energiebedarf um 45%, mit wachsendem Stromanteil. Nach Schätzungen der Internationalen energie Agentur (IEA) müssen mehr als 3.000 Gigawatt an Kraftwerkskapazitäten neu errichtet werden. Dies entspricht ungefähr 3.000 typischen Kohlekraftwerken oder 200.000 Windturbinen (bei 5MW Leistung). 87% des globalen Energiebedarfs werden zur Zeit durch das Verbrennen von endlichen fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas, Uran und Öl gedeckt. Alternativen Energietechnologien kommt angesichts begrenzter Ressourcen und des Klimawandels eine wachsende Bedeutung zu: Energiequellen wie Biokraftstoffe, regenerative Stromquellen wie Wind, Wasser, Sonne sowie Energieeffizienzmaßnahmen werden wichtiger. Es entsteht ein gigantischer Zukunftsmarkt für Green Tech.

9,2 DEMoGR AFIScHER WANDEL

MRD

Heute leben 6,8 Milliarden Menschen auf der Erde, 2050 werden es 9,2 Milliarden sein. Die Bevölkerung wächst vor allem in den Entwicklungsregionen. Afrikas Population wird sich bis 2050 verdoppeln, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird in Asien leben. Gleichzeitig schrumpft die Bevölkerung in den Industrieländern: Die Geburtenraten sinken, die Lebenserwartung steigt und damit auch das Durchschnittsalter. Voraussichtlich gibt es 2015 hier mehr Menschen über 65 Jahre als unter 15. Dadurch erhöht sich der Druck auf die sozialen Sicherungssysteme und die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15 – 64 Jahre). Weltweit kommt es zu anschwellenden Migrationsströmen. Grund ist ein sich verstärkendes Wohlstandsgefälle, steigende Ressourcenpreise sowie die Zunahme von Naturkatastrophen infolge des Klimawandels.

92 · 93

4 MRD

Vor allem durch das starke Bevölkerungswachstum und die Industrialisierung in den Entwicklungs- und Schwellenländern wird sich der globale Süßwasserverbrauch in den nächsten Jahren verdreifachen. Im Jahr 2030 werden bis zu 4 Milliarden Menschen in Regionen mit Wasserknappheit leben. Unter der Annahme von gleichbleibendem Verbrauch wird Öl noch rund 40 Jahre und Gas noch 60 Jahre verfügbar sein, bei prognostiziertem stark steigendem Konsum entsprechend kürzer. Auch der Verbrauch von Metallen und Erzen wächst stetig. Zwischen 2000 und 2008 ist die weltweite Stahlproduktion um mehr als 50 % gestiegen. Hauptnachfrager sind die schnell wachsenden Entwicklungsländer. Gewaltsame Konflikte um den Zugang zu knappen Ressourcen wie Wasser, Öl und Metalle sind nicht auszuschließen.


269

%

GLoBALISIERUNG 2.0 Die globale wirtschaftliche Verflechtung intensiviert sich. Neue Protagonisten treten auf. Das stärkste Wirtschaftswachstum verzeichnen die BRIc-Länder (Brasilien, Russland, Indien, china). Mit einem jährlichen realwirtschaftlichen Wachstum von 8 % steigt china auf zur zweitgrößten Volkswirtschaft – nach den USA. Die ökonomische Macht verschiebt sich nach Asien, die Akteure werden zu einflussreichen Investoren. In den aufstrebenden Nationen entsteht eine Mittelschicht mit wachsenden Konsumbedürfnissen, so dass Unternehmen sich immer stärker auf die dortigen regionalen Märkte spezialisieren. So nahm die Zahl der Auslandsniederlassungen global agierender Firmen im vergangenen Jahrzehnt um 269 % zu. Die Globalisierung kann, so gesehen, auch als Regionalisierung verstanden werden.

6,4°

KLIMAWANDEL UND UMWELTBELASTUNG Das zunehmende Verkehrsaufkommen und der steigende Energiebedarf beschleunigen den Klimawandel. Werden keine Maßnahmen ergriffen, wird bis 2030 – je nach Wirtschafts- und Technologieentwicklung – mit einem co₂Emissionsanstieg um 25 % bis 90 % gerechnet. Bis 2100 könnte sich das globale Klima um 1,1 bis 6,4 grad erwärmen, der Meeresspiegel um bis zu einem halben Meter steigen. Zudem führen die Zunahme von Industrie- und Haushaltsabfällen, Flächenversiegelung sowie der Einsatz von Pestiziden zur Verschmutzung von Wasser und Boden. Die Verschärfung von Wasserknappheit sowie eine zunehmende Konkurrenz um fruchtbare Agrarfläche erreicht zunächst die Entwicklungsländer, wird aber auch die Lebensweise der Industrienationen langfristig prägen.


50

%

MÜLLMANAGEMENT UND cRADLE-To-cRADLE Getrieben durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum wachsen die weltweiten Müllberge und mit ihnen der Bedarf an Recycling. Jedes Prozent Wirtschaftswachstum führt zu 0,7% mehr Müllaufkommen. Die ersten Vorboten einer neuen, abfallfreien Wirtschaft sind erkennbar. Die Europäische Union plant bis 2020, mindestens 50 % des Hausmülls und 70 % der Industrieabfälle wiederzuverwerten. Getrieben von Rohstoffknappheit und Umweltauflagen, wächst die Bedeutung des Cradle-to-Cradle Prinzips, bei dem alle Materialien in geschlossenen biologischen oder technischen Kreisläufen fließen. Immer mehr Unternehmen spezialisieren sich auf „Urban-Mining“, das Gewinnen von Rohstoffen aus städtischen Abfällen. Recyclingunternehmen sehen sich zunehmend als universelle Dienstleister im Müllgeschäft.

DEZENTR ALE, SMARTE ENERGIEERZEUGUNG Die Struktur der Energiewirtschaft befindet sich global im Wandel. In den Industrieländern wird die Mehrzahl der Verbraucher noch zentral aus wenigen Großkraftwerken mit Strom versorgt. Angetrieben von Stromeinspeisevergütungen wächst die Zahl kleiner, dezentraler Erzeugungseinheiten und Stromverbraucher, die selbst zu Produzenten werden. Der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen wächst stetig. Machte er 2007 in Europa gut 15 % aus, so soll er nach den Plänen der Europäischen Kommission bis 2020 auf 20 % steigen. In Europa, Asien, dem Mittleren osten und den USA werden zunehmend Wind- und Solarparks gebaut. Informationstechnologie wie z. B. intelligente Stromzähler an allen Schnittstellen des Netzes liefern die nötigen Daten für die optimale Abstimmung von Stromnachfrage und -angebot.

20

%

z_punkt The Foresight Company ist ein international führendes Beratungsunternehmen für strategische Zukunftsfragen. ein interdisziplinäres Team aus 20 Mitarbeitern unterstützt Unternehmen bei der langfristigen Strategie- und Zukunftsplanung. hauptsitz ist Köln. www.z-punkt.de großgestalten ist ein Büro für strategisches Kommunikationsdesign mit Sitz in Köln. es steht für eine präzise, einfache, auf den Punkt gebrachte visuelle Sprache, für markante und ausdrucksstarke Gestaltung, für zielgerichtete und erfolgreiche Kommunikation. www.großgestalten.de

94 · 95


1.068 MiO

LERNEN VoN DER NATUR Vorbilder aus der Natur erleben in vielen Bereichen ihr comeback. Dabei geht es nicht nur um die Übertragung natürlicher Funktionsweisen auf Technologien, sondern auch um das Verschmelzen von Natur und Technik. Die Biotechnologien werden zu einer Leitwissenschaft der Zukunft. Der Umsatz deutscher Biotechunternehmen ist im letzten Jahrzehnt von 383 Mio. auf 1.068 Mio. € gestiegen. Durch die Entschlüsselung von biologischen Prozessen auf molekularer oder zellularer Ebene ist die Entwicklung neuartiger Produkte möglich. Zu den biotechnologischen Märkten gehören die Medizin(technik), die Botanik oder auch die chemische Industrie. Erkenntnisse darüber, wie sich natürliche Systeme selbst organisieren, zeigen zudem, wie sich komplexe soziale Strukturen – etwa in Unternehmen – dezentral steuern lassen.

15 %

NAcHHALTIGE KoNSUMMUSTER

Das Konsumverhalten ist weltweit im Wandel, folgt aber regional unterschiedlichen Mustern. In den westlichen Industrienationen boomt der Markt für nachhaltig produzierte, „fair gehandelte“ Güter. Gekauft werden sie aus sozialer Verantwortung, aus Sorge um die Gesundheit oder um die Umwelt zu schützen. Zwischen 1999 und 2007 hat sich der weltweite Umsatz mit Biolebensmitteln mehr als verdreifacht. Bis 2015 soll der globale Absatz jedes Jahr um 15 % wachsen. Demgegenüber steigt in Brasilien, Russland, Indien und china mit einer wachsenden Schicht vermögender Personen die Nachfrage nach Luxusgütern. Am unteren Ende der Wohlstandspyramide entstehen durch innovative Finanzierungs- und Geschäftsmodelle neue, bisher wenig beachtete Märkte, die die Ärmsten der Armen als Zielgruppe ins Visier nehmen (Bottom of the Pyramid).

2

MRD

NEUE MoBILITÄTSMUSTER Weltweit nimmt die Mobilität zu. Der Personen- und Güterverkehr wird dichter, besonders in Regionen mit starkem Wirtschaftswachstum. Die Zahl der PKWs wird auf mehr als 2 Milliarden anwachsen, das jährliche Luftverkehrsaufkommen wird sich in den nächsten 20 Jahren mehr als verdoppeln. Dieses Wachstum zu organisieren, ist eine der großen Aufgaben der Zukunft. Da die vorhandenen Infrastrukturen dieser Entwicklung nicht gewachsen und auch nicht beliebig ausbaubar sind, sind neue Verkehrskonzepte gefragt – etwa Lösungen, die einen einfachen Wechsel zwischen Transportmitteln erlauben, oder car-Sharing-Modelle. Neue postfossile Antriebskonzepte machen den Individualverkehr umweltfreundlicher und preiswerter. Studien gehen davon aus, dass 2030 bis zu 20 % des Neuwagenmarktes Elektroautos sein werden.


Was wäre FRoH! ohne die Menschen, die mitmachen … Max banK, Jahrgang 1982, promoviert in Wirtschaftsgeschichte an der Universität zu Köln. Er ist außerdem Mitglied im Koordinierungskreis von Attac Deutschland. KaRiannE buEnO, Jahrgang 1979, lebt und arbeitet als Fotografin in Amsterdam. Ihre Arbeiten waren bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen, darunter auf dem New York Photo Festival. www.karianne bueno.nl FRiEDERiKE bRanDEnbuRg, Jahrgang 1983, lebt und arbeitet als Fotografin und freie Bildredakteurin in Hamburg. Ihre Serie „Zurückgelassen“ wurde kürzlich mit dem c/o Berlin Talents Award 2010 ausgezeichnet. www.friederikebrandenburg.de VEROniKa DREwS-gallE, Jahrgang 1979, ist Vorstandsassistentin bei der Paul Gerhardt Diakonie e. V. in Berlin. Als Soziologin und evangelische Sozialethikerin forscht sie über ethische Reflexion und organisationalen Wandel in Wirtschaft, verfasster Kirche und Diakonie. anDRé gOTTSCHalK, Jahrgang 1977, ist freischaffender Illustrator und Grafikdesigner.Er lebt und arbeitet in Berlin, seine Auftraggeber sind vorrangig nationale und internationale Magazine und Verlage. Jüngst illustrierte er für De:Bug, Mare, Page und 11 Freunde. www.andregottschalk.com DOMiniK KiRguS, Jahrgang 1977, ist Diplom Designer und lebt in Köln. Seit seinem abgeschlossenen Studium an der KISD arbeitet er als Illustrator für großgestalten. uli KnÖRzER, Jahrgang 1975 ist freischaffender Illustrator. Er lebt und arbeitet in Berlin. www.uliknoerzer.com FREDERiC lEzMi, Jahrgang 1978, freier Fotograf mit libanesischen Wurzeln, lebt und arbeitet in Köln. Seine aktuelle Serie „Beyond Borders - Von Wien nach Beirut“ wurde mit dem Reinhart-Wolf Preis ausgezeichnet und ist als Buch bei Schaden.com erschienen. RiCaRDa lÖSER, Jahrgang 1975, ist Grafik-Designerin und Buchgestalterin und hat unter anderem an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studiert. Seit 2005 ist sie Künstlerische Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar. JOHannES MaHn, Jahrgang 1983, ist Foresight consultant bei Z_punkt The Foresight company. Er arbeitet in den Bereichen Szenarioanalyse und Gestaltung von Innovationsprozessen mit dem


Schwerpunkten Energie, Städteplanung sowie neue Medien. STEFaniE MüllER-FRanK, Jahrgang 1977, lebt als Journalistin in Berlin. Sie schreibt Reportagen für Deutschlandradio, WDR, SWR und die ZEIT. Außerdem ist sie Redakteurin beim Großstadtmagazin NEoNLIcHT. FRanCa nEubuRg, Jahrgang 1975, lebt mit ihrer Familie in Köln und arbeitet als Illustratorin und objektdesignerin. www.zenzi-design.de SEbaSTian pOlManS, Jahrgang 1982, arbeitet als freier Autor. Zuletzt erschienen literarische und journalistische Texte von ihm in Manuskripte, fluter und Am Erker, er war Mitherausgeber der Literaturzeitschrift BELLA triste. p. MaRian REKE OSb, Jahrgang 1948, Diplomtheologe. Priesterweihe 1974. Eintritt in die Abtei Königsmünster 1979. Seit dieser Zeit neben innerklösterlichen Aufgaben schwerpunktmäßig Gesprächsseelsorge, Exerzitienarbeit und Erwachsenenbildung. 2001 Ernennung zum Prior der Abtei und damit zum Stellvertreter des Abtes. HEnDRiKJE RiEMann, Jahrgang 1983, ist Foresight Analyst bei Z_punkt, wo sie Beratungsprojekte zur Zukunft der Energie- und chemiebranche sowie zur Implementierung von Nachhaltigkeit betreut. CHRiSTian SauER, Jahrgang 1963, ist Journalist, coach und Redaktionsberater und lebt in Hamburg. Nach einem Volontariat beim „Tagesspiegel“ in Berlin war er u.a. stellvertretender chefredakteur des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“ und des Monatsmagazins „chrismon“. OliVER SCHnEiDER arbeitet als Künstler und Designer in Köln, wo er zusammen mit Ana Motjér das Royal Family-designlabor gegründet hat. www.royalfamily-designlabor.de JuSTina SCHREibER, geboren 1960, arbeitet in ihrer Heimatstadt München vor allem für den Bayerischen Rundfunk. KaTJa SOnnEwEnD, Jahrgang 1977, ist Fotografin und lebt in Berlin. Sie hatte internationale Publikationen in der Elle, Vanity Fair, Vogue und De Revisor; sowie internationale Einzel- und Gruppenausstellungen u. a. in Amsterdam, Brüssel, Warschau, Naijing und Berlin. Sie ist als Künstlerin Mitglied der Produzentengalerie Axel obiger in Berlin. SaRaH wiESMann, Jahrgang 1978, ist freischaffende Illustratorin und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Köln. HEnDRiK wünSCHE, geboren 1978 in Riesa, lebt und arbeitet als Gestalter in Köln. Seit 2006 betreibt er mit seiner Frau Petra das Büro designwünsche www.designwuensche.de


❶ froh

Fro h

❸ 3,–€ *

❷ SMS an 8

11 90

GER ADE IN DER ANFANGSPHASE braucht ein Nonprofit-Magazin wie FRoH! die Unter-

stützung seiner Fans – und das geht jetzt sogar per handy: Schicke einfach eine SMS mit dem Kennwort FROH an die Nummer 8 11 90 und investiere 3,– €* pro SMS in die Zukunft dieses Magazins.

* 3,– € pro SMS zzgl. den Kosten einer normalen SMS, davon gehen 2,83 € direkt an das FROh! Magazin. Die Abwicklung erfolgt über das Fundraising-Tool Spendino und ist absolut vertrauenswürdig. Für größere Spenden kannst Du beliebig viele SMS schicken, oder die schönen und steuerlich abzugsfähigen Optionen auf unserer Website nutzen: WWW.FROHMAGAZIN.DE/SPENDEN

FROH! MAGAZIN FÜR DIe SChöNeN TAGe DeS JAhReS



www.frohmagazin.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.