BA S S E N G E
Egon Erwin Kisch beehrt sich darzubieten:
Rasende Hetzjagd in aller Welt Der Nachlass der Jarmila Haasová
Auktion 118 | 13. Oktober 2021
Bassenge Buchauktionen GbR . Erdener Straße 5a . 14193 Berlin-Grunewald Telefon +49 30 893 80 29-0 . Fax +49 30 891 80 25 . E-mail: books@bassenge.com . www.bassenge.com
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T ER M I N Ü BER SICH T
AU KT ION 118
DIENSTAG, 12. OKTOBER 2021
W ERTVOLLE BÜCHER Geschichte, Geographie und Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Varia Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Naturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Pflanzen- und Tierbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Haus- und Landwirtschaft, Jagd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Technik und Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Asiatica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Gastrosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Genealogie, Heraldik und Numismatik . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Judaica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Kultur- und Sittengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Moden und Kostüme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Militaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Okkulta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Politik 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Recht, Staat und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Sport und Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Buchwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Kunstliteratur, Kunstgewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Vormittag
10.00 Uhr 12.00 Uhr
15.00 Uhr Handschriften, Alte Drucke, Theologie Handschriften, Einzelblätter, Orientalia . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Inkunabeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Alte Drucke vor 1600 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Bibeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Theologie, Gebet- und Gesangbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Architektur, Kunstaltertümer und Archäologie . . . . . . . . . . . . Nr. Faksimiles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr.
1-295 301-344 345-381 382-410 411-423 424-437 438-458 459-460 461-463 464-477 478-492 493-500 501-506 507-517 518-526 527-553 554-557 558-580 581-595
Nachmittag
1001-1027 1028-1032 1033-1088 1089-1093 1094-1128 1129-1190 1191-1229
MITTWOCH, 13. OKTOBER 2021
LITER ATUR U ND AUTOGR APHEN, SONDERK ATALOGE Autographen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts Literatur und Buchillustration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Philosophie und Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Kinder- und Jugendbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Papierantiquitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. Vormittag
Nachmittag
10.00 Uhr 12.00 Uhr
15.00 Uhr
Abend
18.00 Uhr
2001-2204 2301-2430 2431-2455 2456-2551 2552-2555
Sonderkatalog „Im Takt der Musik“ Mit Sammlung „Taktstöcke“ Witkiewicz . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. 2601-2956 Sonderkatalog „Egon Erwin Kisch“ Briefe an Jarmila Haasová . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. 3001-3107
DONNERSTAG, 14. OKTOBER 2021
MODER NE LITER ATUR U ND KU NSTDOKU MENTATION Moderne Literatur Teil I A-K . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. 3201-3581 Moderne Literatur Teil II L-Z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. 3582-3835 Exlibris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. 3836-3837 Architektur, Design, Plakate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. 3838-3856 Russische Avantgarde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. 3857-3861 Foto, Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nr. 3862-3876 Vormittag Nachmittag
10.00 Uhr 14.00 Uhr
VORBESICHTIGUNG
Dienstag, 5. Oktober bis Freitag, 8. Oktober 2021, jeweils 10.00-18.00 Uhr Samstag, 9. Oktober, 10.00-14.00 Uhr, Montag, 11. Oktober, 10.00-16.00 Uhr, Sonntag geschlossen
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Christian Schad. Bildnis Egon Erwin Kisch. Öl auf Leinwand. 1928 © Christian Schad Stiftung Aschaffenburg/VG Bild-Kunst, Bonn 2021
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Nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt! E. E. Kisch
Egon Erwin Kisch Hetzjagd durch die Zeit und Wagnisse in aller Welt mit dem rasenden Reporter
Sein Credo: „Der Reporter hat keine Tendenz, hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt“. Das formulierte Egon Erwin Kisch (1885–1948) 1924 im Vorwort zu seinem Reportageroman Der rasende Reporter. Und fährt fort: „Er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern, so verläßlich, wie sich eine Aussage geben läßt – jedenfalls ist sie (die Klarstellung) wichtiger, als die geniale Rede des Staatsanwalts oder des Ver teidigers“. Eigentlich stellte Kisch seinen zahlreichen Reportageromanen normalerweise kein Vorwort voran, die Reportagen sprachen für sich selbst, ergaben einen bunten Strauß verschiedenster Themen aus dem reichen Erlebnisschatz ihres Autors: Unter den Obdachlosen von Whitechapel, Ein Spaziergang auf dem Meeresboden, Erkundungsflug über Venedig, Totenfeier in Kopenhagen, Ada Kaleh – Insel des Islams, Meine Tätowierungen, Elf Totenköpfe auf dem Katheder, Referat eines Verbrechers über die Polizeiausstellung und so weiter. Kisch schrieb viele, viele Hundert Textminia turen, die den Leser heute noch genauso packen wie seinerzeit. Einige wirken heute noch dermaßen aktuell, dass einen nicht selten ein Schauer ankommt und man das lineare Geschichtsverständnis anzuzweifeln beginnt. Zugunsten eines zyklischen, „in einer Welt, die von der Lüge unermeßlich überschwemmt ist, … in einer Welt, die sich vergessen will und darum bloß auf Unwahrheit ausgeht“. Den Populisten seiner Zeit setzt Kisch seine scharfsinnigen Beobachtungen, seine Reportagen und seine entschiedene Haltung kompromisslos entgegen, er geht überall in die Tiefe, den Vorgängen
auf den Grund – und etabliert damit den investigativen Journalismus ebenso wie das Genre der literarischen Reportage – die heute unverbrüchliche Maßstäbe der Berichterstattung einer freien Presse sind. Denn „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt!“1 1921–2021 „Die Zeit, in der man lebt!“ – seine ist genau hundert Jahre alt, und immer wieder drängt sich der Vergleich zu unserem Heute auf. Fast auf den Tag des Erscheinens unseres Katalogs vor hundert Jahren, im Herbst 1921, zog Egon Erwin Kisch von Prag nach Berlin. Im Romanischen Café an der Gedächtniskirche lernte er eine der zentralen Figuren seines Lebens kennen: Jarmila Haasová (1896–1990), die später erzählt: „Ich saß da, und er kam an meinen Tisch. Als er hörte, daß ich eine Pragerin bin, war er ganz hingerissen. Prag war das Band, das unsere Freundschaft knüpfte. Als ob er ein Stück Liebe zu Prag auf eine Pragerin übertragen hätte. Wir beide waren in Prag geboren. Er in der Altstadt, ich auf der Kleinseite“2. Auch wenn Kisch keiner Beziehung zu der glamou rösen Damenwelt der „Roaring Twenties“ aus dem Wege ging, keine amourösen Verbindung ausschlug und für seine Affären mit zahlreichen Frauen ebenso berühmt wie berüchtigt war, so blieben ihm zwei Frauen ein Leben lang treu – und er ihnen auch: Jarmila Haasová und Gisela Lyner. 5
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Ménage-à-trois Ihr Verhältnis gründete sich auf tiefe Zuneigung, auf Liebe, aber auch auf Achtung und Zuverlässigkeit, ohne die das gemeinsame Arbeitsverhältnis nicht so überaus fruchtbar gewesen wäre. „Er habe viele Frauen gekannt, aber nur eine Dame. Nämlich Gisl … Zunächst schreibt sie seine Manuskripte, ist seine Sekretärin später die Lebensgefährtin und treue Seele an seiner Seite“, die er schließlich 1938 heiratete. Während Kisch mit Gisela Lyner durch die Welt reist, ist Jarmila Haasová der Ruhepol in seiner Prager Heimat. Dort arbeitete sie teils in leitender Funktion für populäre Zeitschriften wie Rozsévačka, Tvorba oder für die Tageszeitung Rudé právo (Rotes Recht), das Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Nebenbei übersetzt sie Kischs Reportagen, die dieser ausschließlich auf Deutsch verfasst, ins Tschechische. Workflow eines Journalisten Außer Gisela ist kein Mensch so nahe am Schaffensprozess Texte beteiligt. Sie entstehen als Manuskripte aus der Feder des Reporters, werden von Gisela mit der Maschine abgeschrieben, „geklopft“, wie sie sich ausdrückt, dann aus der ganzen Welt nach Prag geschickt, wo Jarmila sie übersetzt, redaktionell betreut und vor allem ab 1933 dann auch verstärkt bei den Verlagen platziert, die Honorare verwaltet und sie Kisch weiterleitet. Die vom Autor selbst zu Reportageromanen zusammen gefassten Texte, die als gebundene Bücher im Berliner Erich Reiss Verlag erschienen, dienten Jarmila als Grundlage ihrer Übersetzungen für die Prager Verleger. Spiegel der Zeitgeschichte So schickte Egon Erwin Kisch stets ein druckfrisches Exemplar an Jarmila, nachdem er ihr eine herzliche, oft sehr persönliche Widmung hineingeschrieben hatte. Viele dieser Exemplare wurden von der eifrigen Übersetzerin als Arbeitsexemplare benutzt, mit Unterstreichungen, Fragezeichen, 6
Anmerkungen, Ergänzungen oder Streichungen versehen. Sie geben einen Eindruck in die Praxis der Übersetzerin, künden aber auch von den Schwierigkeiten der Übertragung. Immer wieder muss Kisch erklären, was genau er meint, welche tschechischen Wörter er als Pendants vorschlägt. All dieses finden wir in den zahlreichen Briefen, die Kisch über mehr als zwanzig Jahre an Jarmila schreibt. Aber das eigentlich über allem schwebende Thema ist ein ganz anderes: die Zeit, die Zeitgeschichte. So datiert der erste Brief vom 23. Oktober 1923 aus Brünn, der letzte vom 27. Februar 1946 aus New York. Dazwischen liegt der Zusammenbruch zweier Staatsformen, Verfolgung, Vertreibung, Exil und Weltkrieg. Mittelbar in seinem literarischjournalistischem Werk – aber unmittelbar in seinen Briefen an Jarmila – spiegelt sich eine Epoche der Weltgeschichte voller Idealismus, Hoffnungen, aber auch voller Abgründe und Verderben. Das Café als Lebensmittelpunkt Bei der Lektüre der Briefe wird der Leser direkt in dem Strom des rastlosen, hektischen, unsteten und immer aufregenden und abenteuerlichen Lebens des „rasenden Reporters“ mitgerissen. Zum Beispiel, wenn er mitten in einer Sitzung des Berliner Schriftstellerverbandes einen Brief an Jarmila kritzelt und bemerkt: „... gerade habe ich gegen die Erhöhung der Mitgliedsbeiträge gesprochen, und jetzt – jeder guckt, was ich hier schreibe – antworte ich Dir auf zwei Briefe … Zeit hatte ich bisher nicht. So wie jetzt habe ich noch nie in meinem Leben gearbeitet, ich war nur einmal im Café“ (September 1929). Und das bei einem Menschen, dessen kommunikativer Lebensmittelpunkt vor allem anderen das Kaffeehaus war – wichtiger noch als Reisen, Frauen, Zigaretten oder Alkohol. Nichts läge Kischs Wesen und Temperament ferner als die sprichwörtliche distinguierte Ruhe eines Briten, wie er einmal an Jarmila schreibt: „Überhaupt kann ich alles mit der Ruhe eines Engländers
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Zigarette als Image des Reporters Dir überlassen, denn da Du dich sowieso gründlich damit befassen mußt, findest Du alle Geschmacklosigkeiten leichter als ich, der dieses Buch noch heute immer nicht ruhig lesen kann...“ (30. September 1929). Zwischen Berlin und Buckow In seinen Briefen nimmt man Teil an Kischs Erlebnissen, an seinen Reisen in die ganze Welt, an seinem Ringen um die Ausdruckform, an seiner außergewöhnlichen schriftstellerischen Energie, aber auch an seinem Privatleben. Von Zeit zu Zeit zieht er sich mit Gisela Lyner von dem hektischen Großstadtleben für mehrere Wochen in die Waldeinsamkeit der märkischen Schweiz, nach Bollersdorf an den Schermützelsee bei Buckow zurück, um zu schreiben. Allein 1927 entstehen so vier seiner bedeutendsten und auch umfangreichsten Reportage romane. Man erfährt von seinem Entsetzen über die neuen Machthaber in Berlin, von seiner Gefangenschaft am Tag nach dem Reichstagsbrand zusammen mit Carl von Ossietzky im Spandauer Gefängnis, von seiner Abschiebung nach Prag und dem weiten Weg ins französische Exil. Zwischen den Ideologien Russlands und Amerikas Nicht nur zwischen den Zeilen berichtet Kisch seiner Prager Freundin von seinen Ängsten und Geldnöten der Zeit im französischen Exil, wo er als „politisch unsicherer Ausländer“ drangsaliert und unter polizeiliche Beobachtung gestellt wird. Man folgt ihm in den Kampf der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, in dem er nicht nur mit der Feder, sondern auch mit der Waffe kämpft, nach Russland und nach Asien bis China und Japan. Die kommunistische Sowjetunion stellt er kritisch dem Kapitalismus Amerikas gegenüber, wo er sich mit Upton Sinclair und Charlie Chaplin trifft.
Die Illustrationen seiner Wagnisse in aller Welt, seiner Hetzjagd durch die Zeit, übernehmen die Postkarten, die er Jarmila regelmäßig von allen besuchten Orten schickt – und von denen es sogar die meisten wohlbehalten nach Prag geschafft haben, u. a. aus: Algier, Baku, Biskra, Charkow, Jerewan, Leningrad, Peking, Shanghai oder aus Udaipur in Indien. Auch originale, teils unveröffentlichte Fotos skizzieren die Abenteuer Kischs, wenn er auf dem Frachter Jefferson Myers, auf dem er sich als Matrose verdingt hatte, an der Takelage hängt, um die Trossen zu schrubben, wenn er sich an der spanischen Front mit einem Freund im Fluss wäscht, verwundet im Krankenbett liegt. Selbstredend mit Zigarette im Mundwinkel, die auch auf dem Passfoto zu einem seiner ersten Presseausweise nicht fehlen darf. Als Berichterstatter hatte er sich auf den Schlachtfeldern im Ersten Weltkrieg akkreditiert. Tätowierter Intellektueller Unter Journalisten, Reportern, unter Dichtern und Schriftstellern, unter Linken und Kommunisten, Kulturschaffenden und Geistesgrößen ging der „rasende Reporter“ Kisch ebenso einher wie als Charmeur in der Damenwelt – oder als „Undercover“-Berichterstatter in der Halb- und Unterwelt. Sein tätowierter Oberkörper gab ihm hier einen Vertrauensvorschuss. So malte ihn Christian Schad – worüber Kisch Jarmila berichtet (1. Oktober 1928). Als Intellektueller verkehrte er mit Julius Bab, Theodor Balk, Hugo Ball, Johannes R. Becher, Gottfried Benn, Bertolt Brecht, Max Brod und Ernst Busch, mit dem er sich in Spanien befreundet hatte – wenn man sich nur einen Teil seiner in den Briefen erwähnten Bekanntschaften unter dem Buchstaben „B“ heraussucht. Er nennt Döblin einen „Quatschkopf“(14. Mai 1930), schreibt, er habe sich „ziemlich mit Klaus Mann angefreundet“, bittet Jarmila Erika Mann herzlich zu grüßen (22. März 1934) und trifft Anna Seghers in Mexiko (12. September 1945). 7
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Polyglotter Deutsch-Tscheche John Heartfield, Franz Hoellering und Max Hoelz gehen bei ihm aus und ein, und mit Jaroslav Hašek veröffentlicht er zusammen ein Theaterstück, wenn wir den Buchstaben „H“ herausgreifen. Dessen berühmter Schwejk wird immer wieder in Kischs Briefen erwähnt. Zusammen mit Gisela Lyner pflegt er die Freundschaften mit Otto und Ilse Katz, Leo Lania, Gustav Regler, Clara Zetkin und zahlreichen anderen, die sich im Exil gegenseitig unterstützen. Überall auf der Welt hat er Kollegen, die oft zu Freunden werden und in deren Lebensläufen sich die Tragödien der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts abbilden. Viele, viele Freunde und drei seiner Brüder erlebten das Kriegsende nicht mehr. Auch hiervon gibt ein erschütternder Brief an Jarmila Zeugnis: „Danach zu fragen, ob Du weißt, wie meine Brüder endeten, fürchte ich mich gera dezu.“ (Mexiko-Stadt 12. September 1945). Das Drei gestirn Egon Erwin, Gisela Lyner und Jarmila Haasová überleben die Zeit und berichten von ihr, indem sie die Reportagen Kischs auch nach dessen Tod weiter veröffentlichen. Unveröffentlichte Postkarten Die in dem vorliegenden Katalog angebotenen Briefe Egon Erwin Kischs wurden beschrieben und kommentiert, wobei nach Möglichkeit auch die erwähnten Publikationen und Personennamen aufgeschlüsselt und zugewiesen sowie die historischen und politischen Hintergründe stichwortartig beleuchtet werden. Dabei folge ich in der Übersetzung der tschechischen Briefe der Publikation von Klaus Haupt (Berlin 1998), der Postkarten in eigener Übersetzung, für deren Korrektur ich Frau Jana Váňová, Berlin, herzlich danke. Während Kisch seine ersten Briefe an Jarmila ausschließlich auf Tschechisch schrieb, schwenkt er im Verlauf der Jahre immer mehr zum Deutschen, sicherlich auch, da Gisela Lyner des Tschechischen nicht mächtig ist. Die Postkarten, die fast alle unveröffentlicht sind, enthalten meist Grüße auf Tschechisch, aber oft auch inter-
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essante Fakten zum Werk des Autors, der von seinen Beobachtungen und Erlebnissen berichtet, sie harren ihrer Publikation und wissenschaftlich fundierten Auswertung. Vor allem helfen sie, die Reisen Kischs Tag für Tag, Datum für Datum nachzuvollziehen. Ebenso sind die nur ausnahmsweise bei Haupt veröffentlichten maschinenschriftlichen Briefe Gisela Lyners eine wichtige Quelle für Leben und Werk des Autors. Sie ergänzen die Berichte Kischs um zahlreiche Details. Die nicht in jedem Schriftstück vollständig genannten Personen finden sich im Namensregister am Schluss, das auf die Katalognummern verweist. Saubere Berichterstattung – gegen „Fake News“ Kischs Reportageromane gehörten zu den abso luten Bestsellern seiner Zeit, sie erreichten enorme Auflagen von 10, 20, 30 Tausend Exemplaren. Oft ließ Erich Reiß gleich die Erstausgabe, beispielsweise der Hetzjagd durch die Zeit, schon in 10.000 Exemplaren drucken. Auch heute noch sind die Reportagen gut lesbar und wirken nicht selten brandaktuell. Der von Kisch etablierte Stil der Pressereportage war zukunftsweisend – und möge heute als Mahnung gegen „Fake News“ im sogenannten „postfaktischen“ Zeitalter gelten. Hierin liegt die immense Bedeutung Egon Erwin Kischs für die Geschichte des Journalismus. Und auch als Mensch war Kisch ein faszinierend moderner Zeitgenosse, der allem Neuen gegenüber aufgeschlossen war – ein durch und durch vorbildlich progressiver, moderner Mensch, feingeistig, gebildet, aber auch robust und draufgängerisch, der kein Abenteuer scheute, sich von niemandem beugen ließ, der seine persönliche Freiheit wie die Freiheit der Meinung und die objektive Berichterstattung auch in einer Zeit hochhielt und verteidigte, in der gerade diese Werte von der Mitte Euro pas ausgehend niedergetreten und unterdrückt wurden. Markus Brandis
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1 Alle Zitate bis hierhin aus: Egon Erwin Kisch. Der rasende Reporter. Berlin 1925 , S. VIIf.
2 Egon Erwin Kisch. Briefe an Jarmila. Hrsg. und mit einem Vorwort von Klaus Haupt. Berlin 1998, S. 22.
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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Die „harte Diktatur über das Geistesleben der Monarchie“
3001 Kisch, Egon Erwin. Identitätskarte Egon Erwin Kisch Kriegspressequartier. 4 S. Mit einmontierter Porträtfotografie 11,5 x 7 cm. Wien, 1. September 1917. 180 € Der Presseausweis für die Berichterstattung auf den Schlachtfeldern im Ersten Weltkrieg, in dem Kisch als Reporter tätig war. Das Bild zeigt den jungen Reserve leutnant – wie sollte es anders sein – mit Zigarette. Kisch berichtet in seiner Reportage Kriegspropaganda und ihr Widerspiel: „In Wien war der Standort des k. u. k. Kriegs pressequartiers - wohlgemerkt: nur der Standort. Das Kriegs pressequartier war überall, seine ‚Berichterstatter-Gruppe‘ war in der Etappe, sein Fronttheater fuhr die Fronten entlang, seine Künstlergruppe malte Heldenporträts der Generäle, während die Lichtbild-Gruppe sie nur photographierte, und die Kinogruppe filmte die großen Herren, um sie den kleinen Männern vorzuführen. Überall übte diese militärische Propagandastelle eine harte Diktatur über das Geistesleben der Monarchie aus...!“ „Identitätskarte N. 528. Charge: k. u. k. Lt. i. d. Res. Name: Egon Erwin Kisch. Truppenkörper: k. u. k. J. R. No. 11. Eingeteilt: k. u. k. Kriegspressequartier. Datum: 1. September 1917“.
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Mit Unterschrift und Stempel des „Platzkommandanten“ (abgebildet bei Patka-Karasek, S. 60). Ferner liegt bei: Egon Erwin Kisch als einjährig Freiwilliger. Originale Fotopostkarte, die den jungen Egon Erwin Kisch in Uniform im Jahre 1904 zeigt (abgebildet bei Haupt S. 58). 13,5 x 8,5 cm. Verso mit hs. Text in Bleistift von verschiedenen Händen. – Wenige Gebrauchsspuren, gut erhalten. Abbildungen, auch Seite 15
„Dieses Quatschbuch gebe ich der Jarmila.“ Seltenes Erstlingswerk, bei dem aus Egon Kisch der Egon Erwin wurde.
3002 Kisch, Egon Erwin. Vom Blütenzweig der Jugend. Gedichte. IV, 72 S. 18,5 x 11,8 cm. OBroschur (fehlender Rücken mit Klebstreifen, kleine Ausbrüche). Dresden, E. Person, 1905. 600 € Probedruck als Satz- und Rezensionsexemplar der geplanten Erstausgabe der Jugendgedichte von Egon Erwin Kisch, ein Bändchen vornehmlich von glühenden Liebesgedichten: Was ich heute fand, Die Liebe singt, Eitelkeit, Liebeswirkung, Schwanengesang, Im Straßenstaub, Lied des Päderasten, Der Kuß beim Pfänderspiel, Am Grab einer Dirne, Lotterleben, Lied und Liebe und vieles andere, das jedes erdenkliche Klischee der 11
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Liebe bedient und mehr für die feurige Energie des Autors als von seinem Genie zeugt, wie er selbst in seiner Widmung zugibt. Antwort Ein wildes Weh tat mich erfassen: Drum rief ich ahnend in den Wald: „Kann ich mich auf mein Lieb verlassen?“ „Verlassen!“ dumpf das Echo schallt.
3002
Wenn auch fast satzfertig, wurde das Buch, bei dessen Pub likation Kischs Mutter finanziell half, dann wohl nur in wenigen Probeandrucken und einer minimalen Auflage gefertigt, es ist jedenfalls bibliographisch nicht in öffentlichen Bibliotheken oder im Handel nachweisbar. Erstmals erscheint hier der Namen „Egon Kisch“ um das „Erwin“ erweitert, das der Schriftsteller und Publizist bei allen folgenden Veröffentlichungen beibehalten sollte. Es handelt sich um ein Rezensionsexemplar, wohl einen Vordruck noch mit Satzfehlern, wie beispielsweise in dem Gedicht „Antwort“, wo es gedruckt in der letzten Zeile heißt: „‘Verlassen!‘ dumpfa ds [!] Echo schallt.“ – Leicht fleckig, Bindung lose, Block vom Einband gelöst. Oben auf dem Titel mit Bleistift als „Rez.-Ex.“ gekennzeichnet. Darunter in Tinte die 7-zeilige Widmung „Dieses Quatschbuch gebe ich der Jarmila, die schon einmal ein Exemplar davon besaß und es verloren hat, unter der alten Bedingung: es niemandem zu zeigen. Herzlichst Der (leider) Autor. Prag, 32 Jahre später“. - Kein Exemplar in der Deutschen Nationalbibliothek, weltweit keines über den KVK und den Worldcat nachzuweisen. Abbildungen
„Cigale – daselbst eingeschrieben für Jarmilka.“
3003 Kisch, Egon Erwin. Der freche Franz und andere Geschichten. Dritte Auflage. 120 S. 19,5 x 12,5 cm. Hellgelbe OBoschur (Knicke und kleine Fehlstellen, Rücken fragmentarisch mit Klebstreifen, angestaubt). Berlin, Hugo Steinitz, 1906. 320 € Dritte Ausgabe aus dem Jahr der Erstausgabe 1906 des gleich sehr erfolgreichen Buchs, das die Erzählungen und Reportagen Der freche Franz, Telegraphie ohne Draht, Das Ladenmädel, Frühling und Jugend, Glücklich abgewöhnt und Dragotin Podravic, der Slovene vereint. – Hübsch noch ganz in der Ästhetik des Jugendstil gestaltetes Buch, das auf sehr brüchigem Papier gesetzt wurde und somit stärker durchbräunte, mit entsprechenden Randläsuren, die unbeschnittenen Blätter und Lagen teils lose. Aus dem Besitz der „Jarmila Haasová 1923“ mit deren Namenszug auf dem Titel und einigen Bleistiftan- und unterstreichungen sowie 4-zeiliger monogrammierter Widmung Kischs auf dem Titel „Zur Erinnerung aus Cigale; daselbst eingeschrieben für Jarmilka. E. E. K. 7/11 1923“. 3002 12
Abbildung
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
„Ganz unten“ – Kisch bei Reportagen in der Prager Halb- und Unterwelt
3004 Kisch, Egon Erwin. Aus Prager Gassen und Nächten. 2. Auflage. 1 Bl., 184 S. 24 x 16 cm. Ohne Broschur, der um den Rahmen beschnittene illustrierte OVorderdeckel aus rotem Karton liegt bei (fleckig und Knicken; die Illustration signiert „K“). Prag, A. Haase, 1912. 380 € Zweite Auflage des Reportagebandes Aus Prager Gassen und Nächten, in dem Kisch zahlreiche Erlebnisse in der Prager Halb- und Unterwelt, aber auch über das Studentenwesen, das Prager Mensurwesen, die Arrest- und Sozialstationen, die Absurdität der Brückenmaut und vieles mehr erzählt. Der Clamsche Garten, Gäste der Polizei, Café Kandelaber, Geschichten vom Brückenkreuzer, Der Mann mit der Straßenspritze, Eine Nacht im Asyl für Obdachlose, in das sich Kisch wie später sein großer Adept Günter Wallraff eingeschmuggelt hatte, wobei er fast erwischt wurde. Ferner enthalten: Das Lied vom Kanonier Jabůrek, Die Erlaubnis zum Fußballspiel, Die Irren, Karl May in Prag, Alt-Prager Mensurlokale und vieles, vieles mehr. – Papierbedingt gebräuntes Exemplar auf recht brüchigem Maschinenbütten, unbeschnitten und mit kleinen Ein- und Eckausrissen, Block mit Klebstreifen fixiert, Titel mit kleinen Rotfleckchen, oben rechts der eigenhändiger Besitzvermerk: „Jarmila Haasová 1923“ und unten die 10-zeilige
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Widmung des Autors an dieselbe, die er zärtlich „Jarmi lin inče“ nennt, die er daran erinnert, „dass sie am 22. Oktober 1923 mit Egon in Prag war“: „Jarmilininče Haasovié, aby si vzpomněla, že byla s Egonem v Praze, dne 22. října 1923“. – Beiliegt ein Blatt „Sonderdruck aus Deutsche Literaturzeitung“ Jg. 82, Hefte 4 (April 1961) mit einer Rezension von Dieter Schlenstedt, Die Reportage bei Egon Erwin Kisch (Berlin 1959). Oben mit 3-zeiliger eigenhändiger Beischrift von Jarmila Haasová. Abbildungen Seite 13
„Übersetzen Sie das nicht, Jarmilka!“
3005 Kisch, Egon Erwin. Prager Kinder. 146 S., 1Bl. 21 x 14 cm. OBroschur (mit Läsuren, Rücken teils abgeblättert und geklebt, angestaubt, Gebrauchsspuren). Prag, A. Haase, o. J. (um 1913). 160 €
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Nicht bei Melzwig (vgl. 343.2). – Erste Ausgabe. Reportageroman mit den Erzählungen Die Bottisch-Elli; Aus der Praxis des alten Lederer; Waffenübung; Szenen aus Spelunken; Die Braut; Weihnachten im Gerichtsgefängnis und vieles mehr. Frühe Veröffentlichung Kischs, die wohl im selben Jahr eine zweite, satzgleiche Auflage erfuhr. – Arbeitsexemplar der Übersetzerin Jarmila Haasová mit deren Bleistiftanstreichungen, sonst unbeschnittenes, sauberes Exemplar mit nur wenigen Einrissen. Titel mit der spaßigen Widmung als Bitte „Übersetzen Sie das nicht, Jarmilka!“: „Nepřekládej to, Jarmilko! Egon Erwin Kisch 8./12. 1929“. Abbildung
„Tak si to vezmi! Egon.“
3006 Kisch, Egon Erwin. Prager Kinder. Zweite Auflage. 146 S., 1 Bl. 21 x 14,5 cm. Hellorangene OBroschur (kleine Randausbrüche, leicht angestaubt). Prag, A. Haase, o. J. (1913). 300 € Egon Erwin Kischs Hommage an die Kinder der Stadt Prag, die jungen, wie die alten, die gebrochenen, armen und hilfsbedürftigen, die frechen und die witzigen, die noblen wie die räudigen. Eine plastische Darstellung der Goldenen Stadt um die Jahrhundertwende: Die Bottisch-Ellli, Aus der Praxis des alten Lederer, Waffenübung, Szenen aus Spelunken, Weihnachten im Gerichtsgefängnis, Invalidenhaus, Die Neujahrsnacht eines Unglücklichen, Magdalenenheim und vieles mehr. Die erste Ausgabe war im selben Jahr ohne Jahreszahl auf dem Titel erschienen. – Sauberes, sehr schönes Exemplar auf weißem, unbeschnittenen Bütten, die letzten Lagen oben leicht gestaucht. Titel mit dem eigenhändigen Besitzvermerk der „Jarmila Haasová 1913“ und der 4-zeiligen Widmung des Autors an dieselbe: „Tak si to vezmi! Egon. Praha, 22. října 1923“ („So nimm es! Egon. Prag, 22. Oktober 1923“. 3006 14
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Lebensstationen in Originalfotografien
3007 Kisch, Egon Erwin. 17 Originalfotografien aus dreißig Jahren Reportagearbeit von Reisen durch die Kontinente. Zwischen 2,6 x 3,6 und 11 x 14 cm. Eingelegt in modernes Album. Europa, Amerika, Afrika und Asien 1914-1946. 900 € Unveröffentlichte und teils gedruckte Originalabzüge (einige Albumin-, einige Silbergelatine-Abzüge) von Fotografien des „Rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch (18851948) aus Prag, Berlin, Wien, Madrid, Chicago, Hollywood, Marokko, aus der Sowjetunion, aus China, Mexiko etc. Die Fotos stammen aus dem Kisch-Nachlass der Übersetzerin seiner Reportageromane ins Tschechische, Jarmila Haa sová (1896-1990), der Kisch die Fotos wohl über die Jahre schickte, teils mit witzigen Kommentaren und Bezeichnungen in schwarzblauen Tinte verso. Die aufwendige Bilddokumentation zu Egon Erwin Kisch erstellte Markus G. Patka, Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch. Eine Biographie in Bildern. Mit einem Vorwort von Hellmuth Karasek (Berlin, Aufbau, 1998). Vorhanden sind (die Titelzitate nach Haupt, Briefe an Jarmila, 1998): 16
1) Kisch mit Bruder Bedřich in k.u.k. Uniform auf dem Wenzelsplatz in Prag (nicht bei Patka) 2) Kisch in k.u. k. Uniform des 11. Ersatzbataillons, Studioaufnahme (Patka 48) 3) Kisch in k.u.k. Uniform auf dem Kasernenhof (nicht bei Patka) 4) Kisch nach Verwundung in Serbien 1914 im ReserveSpital Prag-Karolinenhof, sitzend auf dem Bett (nicht bei Patka) 5) Kisch nach der Granatverletzung, rauchend im Krankenbett „Verwundet zurück von der Ostfront, Reserve-Spital in Prag-Karolinental“ (Fotopostkarte; Patka 40) 6) Beratendes Heereskommando am Tisch mit Karten „In der Kaserne des Prager Hausregiments im Stadtbezirk Smíchov“ (Patka 42) 7) Kisch in k.u.k. Uniform, Studioaufnahme (nicht bei Patka) 8) Kisch in k.u.k. Uniform am Moldauufer (nicht bei Patka) 9) Kisch Chicago, am Natursteingeländer des Chicago River, nahe Michigan, Avenue Bridge vor der Skyline 1929 (Patka 120) 10) Kisch vor dem Parlamentsgebäude in Wien, Anfang der 30er Jahre des 20.Jhdts (winziger Abzug; nicht bei Patka) 11) Porträt Kisch mit Zigarette vor seiner Abreise nach Asien 1931 (Patka 120) 12) Kisch als Kämpfer der Internationalen Brigade im Spanischen Bürgerkrieg 1937 (nicht bei Patka, wohl unveröffentlicht, es gibt andere ähnliche Fotos) 13) Kisch in Madrid, in Interbrigadisten-Uniform, mit Ernst Busch, sein Gewehr inspizierend 1937 (nicht bei Patka) 14) Kisch mit Schriftstellerkollegen Erich Weinert und Hans Marchwitza (Reprofoto nach gedruckter Zeitschrift; nicht bei Patka) 15) Kisch in Spanien, mit seinem jüngsten Bruder Bedřich, der im Lazarettort Benicasim der Interbrigaden eine chirurgische Abteilung leitete, 1937 (nicht bei Patka) 16) Kisch in Spanien, in Belchite, Provinz Saragossa, mit dem Schriftsteller-Kollegen Kurt Stern mit nacktem Oberkörper - handschriftlicher Text auf der Rückseite: „Bei Belchite“. Aug. 37.“ (großes Foto; nicht bei Patka). 17) Kisch mit Freund als Soldaten, wohl in der Sowjetunion im Schnee (nicht bei Patka). – Kaum Gebrauchsspuren, minimale Fleckchen oder Knicke. Abbildungen, auch Seite 15
„Mile pani Jarmile s srdečným pozdravem!“
3008 Kisch, Egon Erwin. Die Abenteuer in Prag. S. [3]-504, 3 Bl. 19,6 x 11 cm. OPappband mit farbiger VDeckelillustration (etwas beschabt und bestoßen, Rücken und Gelenke erneuert, der einstige, lädierte Rücken aufkaschiert). Wien, Prag und Leipzig, Ed. Strache, 1920. 300 €
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Tagebuch des „unfreiwilligen“ Helden an der serbischen Front
3009 Kisch, Egon Erwin. Soldat im Prager Korps. 316 S. 2 Bl. 19 x 12,4 cm. OHalbleinen (minimal berieben) mit rot geprägtem Titel auf Rücken und VDeckel (Einbandzeichnung von Hugo SteinerPrag). Leipzig und Prag, K. André, 1922. 350 € Melzwig 345.1. – Erste Ausgabe des Kriegstagebuchs aus dem Ersten Weltkrieg, für den sich Kisch freiwillig gemeldet hatte. Zunächst hatte er dem „Infanterieregiment 11“ im südböhmischen Písek angehört und war dann zum berühmten VIII., dem sog. „Prager Korps“ vorgestoßen, das 1914 den ersten Feldzug gegen Serbien bestritt, direkt nach dem Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger (am 28. Juni 1914; Kisch war am 31. Juli eingerückt und diente als Korporal). In seinem Tagebuch schildert er den Feldzug, die verlustreiche Schlacht an der Drina. In den Kapiteln „Winter in totem Land“, „Flucht aus Serbien“, „Auf
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Erste Ausgabe. In seinem Band „Die Abenteuer in Prag“ fasste Kisch seine Erlebnisse während seiner Streifzüge durch die Prager Unterwelt, die Obdachlosenheime, die Gefängnisse, die Bordelle, Beisel und Kaschemmen zusammen, die er im „Prager Tagblatt“, aber vor allem in der „Bohemia“ veröffentlicht hatte. – Innengelenke verstärkt. Komplett und vielfach von Kisch und Jarmila durchgearbeitetes Widmungsexemplar des Autors mit zahlreichen Bleistifteintragungen, Kommentaren, Rotstiftanstreich ungen, einem Tintenfleck und ähnlichem von der Hand und Feder Jarmilas. Einige und die letzten Blätter mit dem Inhaltsverzeichnis mit stärkeren, überklebten Randläsuren. Titel mit der 4-zeiligen Widmung: „Milé paní Jarmile s srdečným pozdravem! Egon Erwin Kisch. V Berlíně, dne 19. června 1922“ („Sehr geehrte Frau Jarmila, mit freundlichen Grüßen! Egon Erwin Kisch. In Berlin am 19. Juni 1922“). Auf dem Vorsatz der Besitzvermerk der „Jarmila Haasová“. Abbildung
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_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová österreichischem Boden“ und „Verwundung, Heimfahrt“ schildert Kisch die Verlegung seines Korps an die russische Front im Februar 1915 und seine schwere Verwundung am 18. März. Besonders packend sind seine detailreichen Schilderungen des täglichen Lebens als Soldat, der Fährnisse und auch der heiteren Erlebnisse. Seine Verwundung, die er in einem Prager Krankenhaus kurierte, trug ihm die Entlassung aus dem aktiven Militärdienst als „felddienstuntauglich“ ein. Der Text „Soldat im Prager Korps“ wurde dann 1930 noch einmal unter dem geänderten Titel „Schreib das auf, Kisch!“ (Berlin, Erich Reiss, 1930) herausgegeben (siehe Katalog-Nr. 2855). – Nur geringe Gebrauchsspuren. Titel mit 7-zeiliger Widmung in Schönschrift: „Liebe Frau Jarmila, ich gebe Dir dieses Buch, das aus einer Welt kommt, die Dich nicht kümmert, mit dem Wunsche, daß es Dich um des (unfreiwilligen) Helden willen interessieren möge. Egon Erwin Kisch. Berlin, 16. Okt. 1922“.
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„Die Jarmila trinkt Salmiak, – damit ihr die Mücken nicht in den Magen kriechen.“
3010 Kisch, Egon Erwin. 3 eigenhändige Postkarten an Willy Haas und Jarmila Haasová in deutscher und tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“, „Egon Erwin“ und „Egon Erwin Kisch“. Jeweils ca. 9 x 14 cm. Berlin, Swinemünde und Graz 1922. 150 € 1) Berlin, 19. Juni 1922 auf einer Fotopostkarte „Hirsch gehege - Zoologischer Garten Berlin“, adressiert an den Publizisten und Filmkritiker Willy Haas (1891-1973), der von 1919 bis 1921 mit der Übersetzerin Jarmila Ambrožová, „Haasová“, verheiratet war. Mit einem kurzen Gruß in Bleistift „Jarmila - Egon Erwin Kisch vor dem Affenkäfig!“ 2) Swinemünde 12. August 1922. „Die Jarmila trinkt Salmiak, - damit ihr die Mücken nicht in den Magen kriechen. Bestens Egon Erwin. Herzlichen Gruß von den Mücken!“ Mit weiteren Beischriften in Tinte und Blei, tschechisch und deutsch: „Müsch jeht die Geschichte nichts an, ich fahr weg - Helene Kraus“. Verso auf der Bildseite „Conditorei - Café Nohr, Ostseebad Swinemünde“ mit Bleistift: „Herzl. Grüße ... Dora Fuchs“. 3) Graz 30. November 1923. An „Frau Jarmila Haas BerlinChlbg. Mommsenstraße 65“, tschechisch: „Milá Jarmilinko“. Kisch bedauert, sie nicht angetroffen zu haben, kündigt aber an, dass er aber morgen um 8 Uhr bei „Piccave u Goldschmieda“ sein wird (?). Er erwähnt eine Grazer Premiere und bedauert, dass sie, Willy (Haas) und (Joseph) Bornstein nicht dabei sein können. Joseph Bornstein (1899-1952) war ein Kollege und Bekannter Kischs. Auf einer Farbpostkarte mit einer Ansicht des Bahnhofs Graz. – Gering abgegriffen, gebräunt. Abbildungen
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Über den berüchtigten Gauner Christian Käsebier
3011 Kisch, Egon Erwin. Die gestohlene Stadt. Eine Komödie 71 S., 1 Bl. 23 x 15,6 cm. OBroschur (kleine Einrisse, wenige Knickspuren, minimal berieben) mit VDeckelillustration (signiert: „Kobbe“). Berlin, Erich Reiss, 1922. 340 € 19
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Melzwig 344.1. – Erste Ausgabe des „Volksstücks für Sprechtheater“, das im Klappentext der Neuausgabe des Henschelverlags beschrieben wird: „Der berüchtigte Gauner Christian Käsebier war zwar zu lebenslänglicher Haft verurteilt, wurde dann aber während des siebenjährigen Krieges in das Hauptquartier Friedrichs II. auf den Weißen Berg vor Prag geholt, um die Stadt für ihn einzunehmen. Seine Aufgabe war es, an den österreichischen Truppen vorbeizukommen und die Lage in der Stadt auszuspionieren. Am dritten Tag der Spionage kehrte Käsebier jedoch nicht zurück, sondern lief zu den Österreichern über, denen er von dem nahenden Heer erzählte. So verlor Friedrich II. die Stadt Prag. Viele Legenden ranken sich um den Gauner Käsebier – Kisch erzählt in diesem Stück eine besonders kuriose“ (TTX 29.09. 2017). Das einprägsame Titelbild auf dem Vorderumschlag schuf der Berliner Graphiker George G. Kobbe (1902-1934). Es zeigt den Hallenser Dieb und Räuber Christian Andreas Käsebier, dessen Geschichte Kisch zunächst zu einer Reportage inspiriert hatte, die er dann zum vorliegenden Drama umarbeitete. – Letztes Blatt lose, wenige Papierläsuren und
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kleine Rostfleckchen im Bug, papierbedingt gebräunt. Mit dem eigenhändiger Besitzvermerk der „Jarmila Haasová“ auf dem Titel und einer 6-zeiligen Widmung des Autors an dieselbe: „Pro Jarmilu H. Auktor. 20. prosince (Berlín) 1922. 27. října 1933 (Brno)“, demnach der Autor das am 20. Dezember 1922 in Berlin gedruckte Buch am 27. Oktober 1933 Jarmila widmete, als sich Kisch in Brünn befand. – Beiliegt ein Blatt „Sonderdruck aus Deutsche Literaturzeitung“ Jg. 82, Hefte 4 (April 1961) mit einer Rezension von Dieter Schlenstedt, Die Reportage bei Egon Erwin Kisch (Berlin 1959). Oben mit 3-zeiliger eigenhändiger Beischrift von Jarmila Haasová. Abbildung
„Äffchen“, „Biest“ und „Goldener Egonek“
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3012 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 1 1/2 S. 24,5 x 20,5 cm. Mit eigenhändigem beschriftetem Kuvert. 13,3 x 21 cm. Brünn, 24. Oktober 1923. 400 €
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Haupt, Kisch, S. 37. – Auf dem rotumrahmten Briefpapier der Lidové noviny (der 1893 gegründeten tschechischen Volkszeitung, dem ältesten, immer noch existenten Blatt) schreibt Egon Erwin Kisch (1885-1948) an seine Freundin Jarmila Haasová (1896-1990) und berichtet ihr von seiner Reise nach Brünn, wo sein Theaterstück Tonka Šibenice (Die Himmelfahrt der Galgentoni) aufgeführt werden sollte. Er fragt Jarmila nach seinen Freunden, dem Schauspieler Vlastimil ‚Vlasta‘ Burian (1891-1962) und dem Journalisten Joseph Bornstein (1899-1952) und fragt vertraulich-neckisch nach ihrer Stimmung, ob sie „Äffchen“ oder „Biest“ sei:
„Jarmilininče! Ich bin in der Nacht angekommen und habe in keinem Hotel ein Zimmer gefunden. Ich habe deshalb bei Theaterdirektor Hoellering übernachtet [...] Heute habe ich bis 11 Uhr abends Probe. In der ‚Lidovkách‘ [Redaktion der Zeitung Livdové noviny] war ich gestern zweimal [...] Was machst Du in Prag? Warst Du bei Burian? Hast Du jemanden Bekannten getroffen? Was schreibt Bornstein? Loreks habe ich noch nicht angetroffen. Bist Du ein Äffchen? Oder ein ‚Biest‘? Ich bin der goldene Egonek“. – Knick spuren, Umschlag mit Rissen, minimal gebräunt. Abbildung
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Pioniertat des Journalismus als wissenschaftliche Disziplin
3013 Kisch, Egon Erwin. Klassischer Journalismus. 2 Bl., 763 S., 18,7 x 12 cm. Schwarzes Halbleinen mit blaugeprägtem Titel auf Rücken und VDeckel (etwas berieben). Berlin, Rudolf Kaemmerer, 1923. 320 € Erste Ausgabe der großen Reportageanthologie Klassischer Journalismus, die Egon Erwin Kisch 1923 in Berlin herausgab, nachdem er dort seit 1921 mehr oder weniger festen Wohnsitz bezogen hatte. „Für jemand, der sich seit Jahren mit theoretischen Fragen des Pressewesens, vor allem mit der Zeitung als Verfechterin neuer Geistesrichtungen und mit Untersuchungen von Kraft und Zeitdauer des publizistischen Durchschlags beschäftigt hatte, mußte der Auftrag des Verlages, eine Anthologie der berühmten Journalisten herauszugeben, leicht zu bewältigen scheinen. Aber schon die Beschaffung des Rohmaterials (Bücher und vor allem Zeitungsbände aus dem Auslande) stieß auf hohe Hinder22
nisse und noch mühevoller war die Auswahl der Namen und der Werke“, schreibt Kisch in seinem Vorwort. Er gliedert sein Werk in die Rubriken „Leitartikel“ von Martin Luther über Heinrich von Kleist bis Theodor Herzl, dann „Tagesnachrichten und Berichte auswärtiger Korres pondenten“ wie Plinius d. J., Friedrich Schiller, George Forster, Charles Dickens und Jean Huret. Es folgt „Gerichtssaal“ von Voltaire bis zu den Artikeln „J‘accuse“ Zolas, „Feuilleton“ mit Daniel Defoe und E.T.A. Hoffmann, „Theaterkritik“ mit Lessing, Balzac und Fontane sowie schließlich „Musik referate“, „Über Bildende Kunst und „Literaturbericht“, jedes Mal mit dem weitgehend originalen Textabdruck der bedeutenden Reportagen, die den Band zu einer Pioniertat des Journalismus als wissenschaftliche Disziplin machen. – Sauberes Exemplar auf dünnem Vélin aus dem Besitz der Jarmila Haasová mit deren Namenszug auf dem festen Vorsatz („Ex lib Jarmila Haasová“) und 4-zeiliger Widmung Kischs auf dem Titel „Moji milé Jarmilinče! Její Egon. V Berlíně, dne 20. záři 1923“ - „Meiner lieben Jarmilinka! Dein Egon. In Berlin am 20. September 1923“. Abbildung
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Investigativjournalismus gegen die Staatsverbrechen
3014 Kisch, Egon Erwin. Der Fall des General stabschefs Redl. 90 S., 1 Bl. Mit Porträttafel. 18,5 x 12 cm. Roter OPappband mit blau, rot und goldgeprägtem Rücken und VDeckelvignette sowie farbigem OUmschlag (dieser etwas brüchig an den Rändern, gebräunt und angestaubt; Entwurf: Georg Salter). Berlin, Die Schmiede, 1924. 900 € Außenseiter der Gesellschaft, Die Verbrechen der Gegenwart, hrsg. von Rudolf Leonhard, Band 2. Melzwig 346.1. – Erste Ausgabe eines der bedeutendsten Reportagen des Egon Erwin Kisch, veröffentlicht in der Reihe der „Verbrechen der Gegenwart“, mit der er nicht nur den Spionagefall selbst in die Öffentlichkeit brachte, sondern auch ein Meisterstück an investigativem Journalismus vorlegte, durch das er berühmt und zum Vorreiter von Generationen von Journalisten wurde. Schon am 28. Mai 1913 hatte Kisch in der Zeitung Bohemia eine Notiz veröffentlicht: „Von hoher Stelle werden wir um Widerlegung der speziell in Militärkreisen aufgetauchten Gerüchte ersucht, dass der Generalstabschef des Prager Korps, Oberst Alfred Redl, der vorgestern in Wien Selbstmord verübte, einen Verrat militärischer Geheimnisse begangen und für Russland Spionage getrieben habe“. Die Monarchie suchte die Affaire um den Generalstabsobersten Redl zu vertuschen, der als russischer Spion enttarnt worden und zum Selbstmord getrieben worden war. „Allein wie es die Tendenz dieses Befehls zu freiwilligem Hinscheiden gewesen war, den monströsen Vorfall lautlos aus der Welt zu schaffen, so hat man auch nachher, als sich dieser Plan schon längst als undurchführbar erwiesen hatte, kein Wort darüber verlautbart, für welche Großmächte der Generalstabsoberst seine Spionage betrieben, was er verraten, wohin er die militärischen Dokumente geliefert, wieviel Geld er dafür bekommen und wer schließlich den ungeheuerlichen Auftrag gegeben hatte, daß sich ein Mensch selbst zu entleiben habe, wer das Harakiri überwacht und wie sich die Wirkung dieses Vorfalls auf Hof und Wehrmacht äußerte“ (S. 7.). Und Kisch schließt: „So einzigartig der Kriminalfall Redl auch scheinen mag - er wird sich immer in irgendeiner Form wiederholen. Denn die Staaten sind selbst die Auftraggeber dieses Verbrechens, das die Staaten selbst bestrafen, mit dem Tod durch den Strang oder mit der Verbannung auf die Teufelsinsel oder mit dem Kommando zum Selbstmord“. Der Umschlagentwurf einer Mordszene in weißer Umriss zeichnung auf farbigem Grund stammt von dem amerikanischen Gebrauchsgrafiker Georg Salter (1897–1967), der schon mit seinem Umschlag für Döblins Berlin Alexanderplatz berühmt geworden war. – Nur die Vorsätze minimal stockfleckig, sonst sehr schön sauber und im Buchblock leicht verschoben. Auf dem Vorsatz der Besitzvermerk der „Jarmila Haasová 1924“. Der Titel mit 8-zeiliger, ausführ-
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licher Widmung Egon Erwin Kischs in blauschwarzer Tinte an dieselbe: „Milá Jarmilinko, tuto knihu - první výtisk, který jsem z Berlína obdržel - dám Ti s tímto ani neorthographikem věnováním a s nejlepším přáním pro nový rok. Tvůj Egonek. Praha, Vanoce 1924“. Übersetzt etwa: „Liebe Jarmilinka, ich schenke Dir dieses Buch – direkt aus den Exemplaren, die ich aus Berlin erhielt – mit dieser unorthodoxen Widmung und meinen besten Wünschen für das neue Jahr. Dein Egonek. Prag, Weihnachten 1924“. Abbildung, auch Seite 20
„Děkuji tisíckráte za Tvé cigarety! – Danke für Deine Zigaretten“
3015 Kisch, Egon Erwin. 5 eigenhändige Postkarten an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache, alle mit Unterschrift „Egonek“. Jeweils ca. 9 x 14 cm. Kopenhagen und Danzig 1924. 300 € Im Frühjahr bereiste Kisch Dänemark und die Stadt Kopenhagen, in der einige Reportagen entstanden (u. a. die im Rasenden Reporter veröffentlichte Reportage Totenfeier in Kopenhagen). 23
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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1) Kopenhagen, 29. März 1924. Mit einem Gruß aus Kopenhagen auf einer Porträtpostkarte nach einer Fotografie von Asta Nielsen. 2) Kopenhagen, 7. April 1924, „Ich weiß nicht, ob Dir diese Ansicht gefallen hat, aber hier sende ich Dir noch eine weitere ... Wir haben nichts von Berlin gehört, da Gisl wegen der Hochzeit ihrer Schwester ist...“ Fotopostkarte mit Ansicht der „Havneparti“ in Kopenhagen. 3) Kopenhagen, 9. April 1924. Auf einer Fotopostkarte Kopenhagen „Højbrodplads“. Erwähnt die Affäre um den Obersten Alfred Redl (1864-1913), die er 1924 in seinem Buch Der Fall des Generalstabschefs Redl herausgebracht hatte. „Den Brief vom 15. habe ich in Berlin selbst in den Kasten geworfen!“ 4) Kopenhagen, 17. April 1924. „Děkuji tisíckráte za Tvé cigarety! a také za tvůj list, – ačkoliv byl bohužel trpký...“ („Vielen Dank für Deine Zigaretten!) und auch für Deinen Brief, - obwohl er leider traurig war ...“ Auf einer Fotopostkarte „Kvæsthusbroen“. 5) Danzig, 11. Juli 1924. „V Gdaňsku, Ačkoliv budu dříve v Berlíně, než tento list“ („Aus Danzig, obwohl ich vorher noch in Berlin war, ungeachtet Deines Briefes...“). Auf einer witzigen Postkarte einer „Polizeifachausstellung“ in Zippot, Freie Stadt Danzig 13.13. Juli 1924“. Abbildung
„Milá Jarmilinko, prosím, nehněvej se na mě! Ich weiß, wie unangenehm es ist, einsam zu sein.“
3016 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 2 S. 28 x 21,5 cm. Mit eigenhändigem beschrifteten Kuvert. 12,5 x 15,4 cm. Berlin, 18. September 1924. 500 € 24
Haupt, Kisch, S. 39f. – Kisch entschuldigt sich bei seiner geliebten Jarmila: „Milá Jarmilinko, prosím, nehněvej se na mě!“ - „Liebe Jarmilinka, bitte sei mir nicht böse! Ich weiß, wie unangenehm es ist, einsam zu sein und auf Post von seinen Freunden zu warten - und nichts kommt. Also ehrlich, Jarmilinka, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, ich arbeite wie ein Verrückter, nur um das Buch endlich loszuwerden. Zweimal mußte ich es schon umarbeiten.“ Im Herbst 1924 arbeitete Kisch mit Hochdruck an der Fertigstellung des Reportageromans Der rasende Reporter, dessen Titel für immer sein Alter Ego werden sollte. Der Verleger Erich Reiss wollte es womöglich noch zum Weihnachts geschäft in den Buchhandlungen haben, auch wenn das Erscheinungsdatum für 1925 vorgesehen war. Der Druck konnte dann tatsächlich noch im Oktober stattfinden, so dass Kisch Jarmila schon am 28. Oktober ein Widmungsexemplar schicken konnte (siehe Katalognummer 3019). Weiterhin gibt er Jarmila konkrete Anweisungen zur Übersetzung und erwähnt eine Novelle, die er für die liberaldemokratische Wochenschrift Přítomnost (Die Gegenwart) vorsah: „Ich schicke hier eine größere und ziemlich dicke Novelle an Peroutka, – ich weiß allerdings nicht, ob er in Přítomnost belletristische Arbeiten veröffentlicht ...Das Wort ‚Reporter‘ könntest Du im Titel mit ‚zpravodaj‘ übersetzen, im Text abwechselnd novinář, reportér, zpravodaj“. Den tschechischen Titel des Buchs „Der rasende Reporter“ übersetzt Jarmila dann wörtlich mit „Zuřivý reportér“. Kisch erwähnt ferner seine Journalisten-Kollegen, u. a. Emil Artur Longen, Schlesinger, Leo Lania, Franz Schulz, Ernst Popper, Otto Katz“. Unter den Brief hat Kischs Sekretärin, Gisela Lyner (18951962), sechs Zeilen in Deutsch hinzugesezt: „Liebe Jarmila, ich hätte Dir schon längst geschrieben, aber ich hab noch immer schrecklich viel zu tun ... Wann kommst du her? Ich grüß dich herzlich! Gisl“. Gisela wurde Kischs Lebensgefährtin, die er 1919 in Wien kennengelernt hatte und 1938 heiraten sollte. – Knickspuren, Umschlag mit Rissen, minimal gebräunt. – Beiliegt: 1 eigenhändig adressierter Briefumschlag. Abbildung Seite 23
„Griffiths Film ‚A broken flower‘ im Tauentzienpalast“
3017 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 3 S. 20 x 15,4 cm. Mit eigenhändigem beschrifteten Kuvert. 12,5 x 15,4 cm. Berlin, 15. März 1924. 400 € Haupt, Kisch, S. 37f. – Inhaltsreicher Brief, in dem er von seinen Erlebnissen in Berlin berichtet, wobei er den Publizisten Willy Haas (den Jarmila 1921 heimlich geheiratet hatte, eine Ehe, die aber wohl nicht länger als ein Jahr hielt), den Komponisten Hans Krása und seine zum Bühnenstück
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová die ganze Straße. Deine Bücher sind vollkommen in Ordnung. Dein Hans Krása ist hier, er hat eine Darmkrankheit und wird in einem Sanatorium behandelt. Inge Schönberg ist die einzige Frau im Café, die mir gefällt“. Seine eigene schriftstellerische Tätigkeit werden ebenso genannt wie die anderer bedeutender Autoren, Schriftsteller, Dichter und Publizisten, Journalisten und Kritiker, darunter Yvan Goll (1891-1950), der Österreicher Theater kritiker Stefan Großmann (1875-1935), Marcel Proust (18711922), der Soziologe und Publizist Leopold Schwarzschild (1891-1950) oder der Literaturhistoriker Paul Wiegler (18781949). „Ich werde mit der Bearbeitung meines Prager Buches fertig [...] Von Wiegler erschien bei Rowohlt die Novelle ‚Drei Frauen‘ [...] Schwarzschild und Grossmann werden eine Tageszeiung herausgeben. Die ‚Schmiede‘ erscheint auf Deutsch Marcel Proust. Kürzlich war Ivan Goll aus Paris hier und schickte Devětsil eine Ansichtskarte“. Die „Neunkräfte“ Devětsil war eine Vereinigung bedeutender tschechischer Avantgardekünstler der Zwischenkriegszeit. – Auf dem Briefpapier mit Versaldruck „EGON ERWIN KISCH“ und auf dem Umschlag der Absender: „Kisch W30 Hohen staufenstr. 36“. Knickspuren, Umschlag mit Rissen, minimal gebräunt. Abbildung
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bearbeitete berühmte Reportage über den „Fall des Generalstabschefs Redl“ erwähnt, die im Theater Lucerna am Wenzelsplatz gegeben wurde. „Jarmillininko vuljs vopic [Prager Jargon von opice = Affe, Äffchen]“, also etwa „Jarmilchen, genannt Affe, sieh mal, was für ein Goldjunge ich doch bin, ich schreibe Dir sofort, obwohl ich Deinen Brief gerade vor einer halben Stunde erhalten habe, obwohl ich heute auf der Generalprobe von ‚Ihre Pastorin‘ in der Staatsoper gehockt habe [...] Aber wie bist Du? Dumm! Und warum? Weil Du krank bist [...] Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß Du überhaupt nicht rauchst, aber ich hoffe, daß Du wenigstens vernünftig bist und auf Dich acht gibst. Ja? Wenn nicht, dann setzt es etwas [...] Gestern war ich mit Bornstein zur Premiere von Griffiths Film ‚A broken flower‘ im Tauentzienpalast, Willy [Haas] war auch da, (mit Rosen), der total begeistert war. Mir war es zu rührselig ... Ansonsten sitzen wir in Collins Café [...] Am Mittwoch früh fahre ich nach Kopenhagen“. Kisch berichtet von seinen Reportagen und deren Effekt auf seinen Freund, den Journalistenkollegen Joseph Bornstein (1899 -1952), er erwähnt den tschechischen Komponisten Hans Krása (1899-1944) und - als bekennender Schwerenöter - dass nur eine interessante Frau im Café saß: „Vorgestern habe ich Bornstein auf seine Bitte ‚Salzburg...‘ erzählt [eine Episode aus Kischs ‚Marktplatz der Sensationen‘]; (er kannte es noch nicht!), er brüllte geradezu vor Lachen über ˘
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Er fragt nach der Aufführung seines Stücks Sensation eines Journalisten: „Mit wem warst Du auf der Senzace žurnalisty? Davon hast Du mir gar nichts geschrieben. Die Kritik hat mich insgesamt gut verstanden, am besten allerdings Max Brod im ‚Prager Tagblatt‘ ... Heute schreibt die ‚Berliner Volkszeitung‘, daß ich der König der Journalisten bin und daß es neben mir keine Literatur von Wert gibt; das ist eine der größten Zeitungen, Auflage 85 000, und dabei kenne ich Klötzel [den Chefredakteur C. F. Klötzel] nicht einmal persönlich. Ich schicke Dir das Feuilleton. Alle sind von meinem Buch begeistert“. Auch berichtet Kisch von anderen Büchern seiner Zeitgenossen: „Roth hat zwei Romane in der Schmiede herausgegeben, wo auch der Hungerkünstler von Kafka und Továrna na absoluto [Die Gottesfabrik] von Karel Čapek erschienen sind. - Ich habe alle diese Bücher, willst Du eines? Was ich betrifft, so habe ich viel Ruhm, aber wenig Geld, so wenig, wie ich vielleicht noch niemals in meinem Leben hatte. Aber das kann mir auch nichts anhaben“. – Knickspuren, Umschlag mit Rissen, minimal gebräunt. Abbildung Seite 25
Die Begründung des objektiven, tatsachenbasierten Journalismus
3019 Kisch, Egon Erwin. Der rasende Reporter. 1.-10. Tausend. 317 S., 1 Bl. Mit ganzseitiger Abbildung. 20,2 x 14,4 cm. Schwarzes Halbleinen mit weißgeprägtem RTitel und farbig illustrierten Deckeln (etwas beschabt und berieben, leicht abgegriffen, bestoßen). Berlin, Erich Reiss, 1925. 600 €
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Kisch als König der Journalisten Aufnahme des ‚Rasenden Reporters‘ und Kischs Schriften
3018 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 2 S. 28 x 21,5 cm. Mit eigenhändigem beschriftetem Kuvert. 12 x 14,5 cm. Berlin, 9. November 1924. 500 € Haupt, Kisch, S. 40f. – Kisch bedankt sich bei Jarmila für die ausführliche Korrespondenz und macht Vorschläge zur Übersetzung seiner Komödie „Tonka Šibenice“ sowie des „Rasenden Reporters“ in Tschechische: „Zě jseš zlato, žluté zlato, to ti nepotvditi“. „Liebe Jarmilinko, daß Du Gold bis, pures Gold, muß ich Dir nicht bestätigen ... Wenn Du ‚Tonka‘ oder den ‚Reporter‘ übersetzen möchtest, dann stelle ich Dir den gesamten Inhalt natürlich mit Freuden zusammen, aber das wichtigste ist, einen Verleger zu haben. Vielleicht können Dir Laurin oder Staša einen Verleger vermitteln?“ 26
Melzwig 347.1. – Erste Ausgabe der berühmten Reportagesammlung, dessen Titel zum Synonym seines rastloses Autors wurde. Enthalten sind über 50 Reportagen wie Unter Obdachlosen, Meine Tätowierungen, Elf Totenköpfe auf dem Katheder, Streifzug durch das dunkle London, Scharfrichters Lebenslauf, Die Mutter des Mörders und vieles mehr. „Kischs Reportagebände Der rasende Reporter, Hetzjagd durch die Zeit (1926) und Wagnisse in aller Welt (1927) zeigen die für den deutschsprachigen Journalismus folgenreichen Ansätze einer kritischen Wirklichkeitsdarstellung. Sein Reportagestil, der sich durch distanzierte Sachlichkeit auszeichnet, entwickelte Kisch 1906-1913 als Lokalreporter in Prag. Neben denkwürdigen Ereignissen interessierten ihn vor allem Themen aus der Schattenwelt des Lumpenproleta riats. Im Vorwort zum Rasenden Reporter, der seinen fast legendären Ruf begründete, stellt Kisch einen Katalog der Formen und Ziele seiner Berichterstattung zusammen: Er geht davon aus, daß der Reporter weder Künstler noch Politiker, sondern ein ganz ‚gewöhnlicher Mensch‘ ist, dessen Werk einzig ‚vermöge des Stoffes‘ wirkt. Nur der Wille zu nüchterner Sachlichkeit vermag die Gefahr einer subjek tiven Entstellung der Realität zu unterdrücken. Für den Reporter gilt allein die Tugend der Objektivität, die keiner Rechtfertigung bedarf: ‚Er hat unbefangen Zeuge zu sein und
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová unbefangene Zeugenschaft zu liefern‘. Die Abhängigkeit von festen Tatsachen und prüfbarem Material zwingt ihn zu untendenziöser Wiedergabe der Wahrheit. In einer Welt, ‚die von Lüge unermeßlich überschwemmt ist‘, zeigt Kisch, was es heißt, die kritische erlebte Wirklichkeit in Gestalt unretouchierter Zeitaufnahmen zu fixieren. Objektivität aber bedeutet nicht Teilnahmslosigkeit, sondern vielmehr eine unparteiische Verpflichtung zum Menschlichen [...] Kisch versteht auch die Reportage als engagierte Kunst, als ein gesellschaftsveränderndes Kampfinstrument“ (Manfred Kluge in KNLL IX, 430). – Innengelenke offen, Block gelockert, Seiten teils etwas abgegriffen und mit leichten Fingerfleckchen sowie mehreren Bleistiftan- und unterstreichungen und kleinen Einträgen, Arbeitsexemplar der Freundin des Autors Jarmila Haasová (1896-1990), deren Besitzvermerk in Tinte auf dem fliegenden Vorsatz sowie Titel mit eigenhändiger Widmung des Autors in blauschwarzer Tinte „Milé Jarmilininče! Egonek. V Berlíně, dne 28. října 1924“, woraus hervorgeht, dass der Roman schon Ende 1924 druckfertig vorlag, auch wenn die offizielle Auslieferung erst 1925 erfolgen konnte. Abbildungen
Über Jaroslav Hašeks „Schwejk“ und die Politik
3020 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. X S. 28 x 21 cm. Mit eigenhändig adressiertem Kuvert 12,5 x 15,5 cm. „V Ber líně, dne posledního února“ („am letzten Februartag“). Berlin, 28. Februar 1925. 800 € Haupt, Kisch, S. 43ff. – Besonders umfangreicher, ausführlicher Brief auf ‚neuem‘ Briefpapier mit dem gedruckten Namen in Versalien „EGON ERWIN KISCH“, in dem es viel um die Übersetzungen seiner Reportagen ins Tschechische geht, wobei immer wieder Jaroslav Hašek und sein Roman Schwejk als Vorbild erwähnt wird. Kisch berichtet von den Schwierigkeiten, den Verlegern Jarmila als seine Übersetzerin zu empfehlen. Konkret geht es um die Ablehnung von dem Prager Verlag des Karel Synek (1896-1943): „Lieber Affe, ich schreibe Dir auf dem ersten Blatt von meinem neuen Papier ... Auf meinen Brief hat mir Synek geantwortet, daß unsere Übersetzung Herrn Mayer nicht gefallen hat, ‚daß sie keinen Witz hat (!) und er einer Frau, die nicht im Krieg war, nicht vertraut und einen anderen Übersetzer empfiehlt, den er auch einen Teil des Schwejk hat übersetzen lassen. Zwischen diesen beiden Übersetzungen wird von mir (Synek) und den Hinterbliebenen Hašeks (!) entschieden, welche Übersetzung die bessere ist und wem dann die ganze Arbeit übergeben wird. Ich versichere Ihnen, daß ich das größte Interesse daran habe, daß das wirklich eine hervorragende Sache wird, und wenn es möglich ist (!), daß die Arbeit an Frau Haas geht, die mich wirklich für sich eingenommen hat, und in meiner Macht liegt, werde
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ich tun ...“. Kisch hatte Jarmila für die Übersetzung der Abenteuer des braven Soldaten Schwejk (‚Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války‘) aus dem Tschechischen ins Deutsche vorgeschlagen. Kisch zitiert weiter Synek „Der Mitteilung von Herrn Mayer zufolge, hätte er keine Einwände für den Fall, daß Sie sich verpflichteten, den Schwejk selbst zu übersetzen, aber Sie haben dazu leider keine Lust und keine Zeit ... Ich habe natürlich nicht geantwortet, nur Laurins habe ich geschrieben, damit sie Synek eventuell sagen, welche Schweinerei die Erben mit Hašeks Werk vorhaben. Synek hat mir am Anfang seines Briefes geschrieben, daß ihm Deine Übersetzung gefällt“. Es folgen einige interessante Passagen über die Politik und die Kommunistische Partei, „Der Zerfall in der Partei interessiert mich sehr und jegliche private Nachrichten. Obwohl Du eine alte Linke bist, glaube ich trotzdem, daß Du erkennst, daß es nicht um verschiedene Ansichten geht, sondern um persönliche Dinge, um den Einfluß Béla Kuns, um Seidler und andere ungarische Liebediener...“. Gemeint ist der unter dem Pseudonym Béla Kun schreibende ungarische Journalist und Politiker Emmerich Schwarz (1886– 1938). 27
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_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
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Weiter über Ferda Mestek, über den Kisch sein Theaterstück ‚Dramaturgie des Flohtheaters‘ (vgl. auchn die Reportage Wie Ferda Mestek de Podskal die Konzession fürs Flohtheater einholte) geschrieben hatte: „... es kam auch in ‚M.M.‘ (anonym) und ‚Rote Fahne‘ und die gesamte kommunistische Presse hat es abgedruckt ... ‚Redl‘ hat größeren Erfolg und mehr Kritiken als ‚Rasender Reporter‘! Das ärgert mich ein bißchen, mir wäre es lieber, wenn er ‚Reporter‘ nicht bei 10 Tausend völlig stehenblieb“. Schon im ersten Erscheinungsjahr war der Reportageroman bei Erich Reiss in 10.000 Exemplaren aufgelegt worden. – Knickspuren. Abbildung
„Hier ist’s scheusslich! Viele Grüße Gisl“
3021 Kisch, Egon Erwin. 4 eigenhändige Postkarten des Jahres 1925 an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“. Jeweils 9 x 14 cm. Hamburg, Leipzig, Meißen, Neustrelitz 1925. 280 € Meist mit „Líbá Tě Egonek“ („ich liebe Dich, ich küsse Dich, in Liebe“) unterschriebene Postkarten von Kisch, die er seiner geliebten Übersetzerin und Freundin Jarmila Haasová aus verschiedenen Orten schickte - und schon hier zeigen, wie viel der „Rasende Reporter“ in Europa herumreiste. 1) Hamburg, 26. Januar 1925. „Ich denke hier viel an Dich ... wo nur finde ich Prag in Hamburg?“ „Líbá Tě Egonek“. Bildpostkarte in Originalfotografie vom Hamburger Hafen. 2) Leipzig, 14. Februar 1925. Auf eindrucksvoller Luftansicht des Leipziger Hauptbahnhofs als Heliogravüre. Kisch fragt, ob Jarmile einen Artikel von Bornstein bekommen hat.
Joseph Bornstein (1899-1952) war ein in Krakau gebürtiger Journalist, der zu den engsten Kontakten Kischs gehörte. 3) Meißen, 3. April 1925. Ein herzlicher Gruß „V Míšeòyko [recte Míšni], dne 3. dubna 1925“. Auf einer Karte von „Meißen mit Kgl. Albrechtsburg“, die ihn an den Hradschin in Prag erinnert: „Vzpomínám na Hradčany. Dostala si můj dopis? ... „ - „Das erinnert mich an den Hradschin. Hast du meinen Brief erhalten? Ich fahre zurück nach Berlin“. 4) Neustrelitz, 12. August 1925. Eine Fotopostkarte mit der „Höheren Mädchenschule“ in Neustrelitz mit einem herzlichen Gruß: „Ich werde dir sagen, wo Du unterkommen kannst, damit du wieder herkommen kannst“. Mit einem Gruß von Gisela Lyner: „Hier ist‘s scheusslich! Viele Grüße Gisl“. – Leichte Gebrauchsspuren. – Beiliegt eine weitere unbeschriebene Postkarte in Kolordruck mit Ansicht des Marktes von „Cüstrin-A“. Abbildungen
„Deine Übersetzungen sind wirklich köstlich.“
3022 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 1 S. 28,6 x 22,4 cm. Mit eigenhändig beschriftetem Kuvert. 12 x 15 cm. Berlin, 4. Februar 1925. 180 € Haupt, Kisch, S. 43. – Kisch lobt seine Freundin, die begabte Übersetzerin Jarmila Haasová (1896-1990), die an der Übersetzung seines Reportageromans Der rasende Reporter arbeitete: „Milá Jarmilko“ - „Liebe Jarmilko, Deine Übersetzungen sind wirklich köstlich, - einige Witze und Ausdrücke habe ich noch weiter ausgeführt und denke, daß 29
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ das Buch Erfolg haben und Deine Arbeit allgemeine Anerkennung finden wird.“ – Gefaltet, minimaler Falzriss, wohlerhalten. Abbildung
Jarmila als „Übersetzerin aller Werke“ Egon Erwin Kischs
3023 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egona“. 2 S. 27 x 19,5 cm. Mit masch. Kuvert. Berlin, 19. März 1925. 420 € Haupt, Kisch, S. 46f. – Sehr persönlicher Brief an Jarmila Haasová (1896-1990), der seine Affektion für und Vertrautheit mit seiner Freundin und Übersetzerin zeigt, nennt er sie doch oft „Mein Äffchen“, „Du böser affiger Affe“ oder hier „Lieber Affe“ („Milý vopic“). Kisch schreibt über Jarmilas Briefe, „die ich, Schwein, unbeantwortet gelassen habe“ und endet „Jarmilinko, Du schreibst wenig über Dich. Hast Du irgendeinen Liebhaber. Und wie geht es Dir sonst? Ich hoffe das Beste. Grüße alle bekannten Ungarn, Tschechen, Juden, Deutschen, Russen, Linke und Rechte und laß Dich auf das herzlichste küssen von Deinem Spitzbuben Egon“ - „Tvého roš ť áka Egonek“. Zusammenfassend berichtet Kisch über seine Arbeit in Berlin, über „lauter fremde Leute, einer vom Devětsil, der schon zwei Jahre in Berlin ist und nicht ein Wort Deutsch kann, belästigt mich mit seiner atonalen Musik ...“ Er arbeitet gerade an der Herausgabe des Pitaval, der Sammlung von Kriminalfällen, zu der ihn sein Verleger Erich Reiss aufgefordert hatte. „Ich schreibe auch an meinem ‚Pitaval‘, aber diese Kompilation langweilt mich schrecklich und ich möchte das alles schon hinter mir haben“. Tatsächlich sollte der Band dann erst 1931 als „Prager Pitaval“ bei Erich Reiss erscheinen. Über einen der Fälle, den Tscheka-Prozeß (nach dem Terror der kommunistischen Untergrundorganisation) hatte Kisch berichtet: „Morgen kommt im ‚Tagebuch‘ ein neuer großer Artikel von mir über die ‚Tscheka‘, - Du bekommst ihn“. Er erwähnt ferner die Stücke Ferda Mestek, Piccaver im Salon Goldschmied und Oberst Redl: „... da sich einige Übersetzer bei der Schmiede um den Redl beworben haben, will ich, daß er mit mir schnell den Vertrag macht, in dem ich Dich als Übersetzerin aller Werke vorschlage“. – Zweifach geknickt, auf dem festen Briefpapier mit Namensaufdruck. Umschlag mit Rissen. Abbildung
„Ty vošklivej vopicáku Vopic“
3024 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Tvůj Egon“. 2 S. 27 x 19,6 cm. Mit eigenh. adressiertem Kuvert. Berlin, 19. Oktober 1925. 360 € 30
Haupt, Kisch, S. 47f. – Interessanter, langer Brief, der mit einer Beschwerde beginnt, dass Jarmila lange nicht geschrieben habe, in dem er seine Freundin scherzhaft mit einer schönen Alliteration als Du böser affiger ‚Affe‘“ tituliert „Ty vošklivej vopičáku ‚Vopic‘“: „Alle Neuigkeiten von unserer Clique meldet Dir Dein ständiger Berichterstatter sicher zuverlässig ... Daß ich meine zwei Bücher zu einem zusammengefügt und etwa 20 Artikel weggelassen habe, das weißt Du vielleicht schon. Es wird schon gedruckt, - aber ich habe noch immer keinen Titel dafür. Keiner von meinen Vorschlägen gefällt Reiss“. Schon 1914 hatte der Berliner Verleger Erich Reiss (1887-1951) Kischs einzigen Roman Der Mädchenhirt herausgegeben. Mit den meisten seiner Publikationen blieb Kisch seinem Verleger treu. „Polgar ist in Berlin, ich habe mit ihm und Direktor Robert und zwei wunderschönen Mädchen seinen 50. Geburtstag gefeiert. Marku hat ein Buch beim Elena Gottschalk Verlag und eins bei Reiss, - beide kommen vor Weihnachten heraus, das wird ein Fest.“ Und Kisch endet zärtlich: „...lass Dich auf beide Wangen und Deine hübschen Ohren küssen (auf den Mund hast Du es ja nicht gern) und schreib mir sofort einen liebenswürdigen und fröhlichen Brief, damit ich nicht zu Dir kommen und Dich im Berliner Zoo für den Affenkäfig mit der Aufschrift abgeben muß ‚Geschenk des Herrn Egon Erwin Kisch‘ Jarmilinko! Jar milouše! Jarmiláče! Dein Egon“. – Zweifach quergeknickt, gering angestaubt. Umschlag mit gedrucktem Namen Kischs, gerissen. Abbildung
„Das Buch wird keinen sehr großen Erfolg haben, weil es sehr tschechisch, jüdisch und pragerisch ist.“
3025 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 2 S. 27 x 19,5 cm. Mit eigenh. adressiertem Kuvert. Berlin, 31. November 1925. 500 € Haupt, Kisch, S. 51ff. – Ausführlicher Bericht über das ereignisreiche Leben Kischs in der Berliner Kunst-, Kultur- und Musikszene sowie die zahlreichen beruflichen Verpflichtungen, über Journalistenkollegen und den marxistischen Kulturpolitiker Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski (1875-1933): „Diese Woche war vollkommen Lunatscharski gewidmet, ich war auf seinem Presseempfang in der Botschaft und zu seinem Vortrag in der Philharmonie (ich habe auf dem selben Platz gesessen, wie in dem Mahler-Konzert neben Dir) und in seinem Stück, das mir gefallen hat, weil es von Lunatscharski war. Überhaupt stehe ich mich mit den Russen sehr gut und fahre vielleicht noch in diesem Monat nach Moskau, ich freue mich darauf so sehr, daß ich Angst habe, daß daraus nichts wird.“ Weiter über sein Schreiben für die Berliner Montagspost, einem eher mittig-bürgerlich angesiedelten Blatt, und über
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
„Ich küsse Dich, altes Biest, wünsche Dir frohe Weihnachten.“
3026 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 1 S. 27 x 19,5 cm. Mit eigenhändig adressiertem Kuvert, beides mit gedrucktem Namenszug. Berlin, 17. Dezember 1925. 150 € Haupt, Kisch, S. 54f. – Kurzer Briefgruß an seine „Liebe Jarmiláče, ich wollte am Dienstag abreisen, aber da ich höre, daß Du am Freitag kommst, verlege ich meine Reise auf Montag, damit ich Dich Affe noch sehen kann ... Hast Du mein Buch mit der Widmung erhalten? Ich küsse Dich, altes Biest, wünsche Dir frohe Weihnachten, gute Reise nach Berlin und viel, viel Glück im neuen Jahr. Dein alter Egonek. In Eile!“ – Geknickt, in flüchtigem Duktus ohne Tintentrockner, daher wenige Tintenfleckchen, sehr virtuos beschriebener Umschlag. Abbildung
„Jarmila, Jarmilka, Jarmilinka, Jarmilininka, Jarmilinin...ka - Haasová“
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Arbeiten an seinem Buch Hetzjagd durch die Zeit: „Ich lebe von diesen schrecklichen Dummheiten in der Montagspost, lauter alte Feuilletons, - so schlecht ist es mir in Berlin noch nie gegangen und deshalb sehne ich mich so sehr nach der Fremde. Mein Buch heißt Hetzjagd durch die Zeit ... wenn Du großen Wert darauf legst, lasse ich Dir aus Berlin noch ein Exemplar zukommen. Das Buch wird keinen sehr großen Erfolg haben, weil es sehr tschechisch, jüdisch und pragerisch ist, - wer soll in Deutschland schon verstehen, was Tonka Šibenice in ihrem Jargon spricht oder dieses Schwadronieren ‚im Nebel‘.“ Über Berliner Blätter: „Die Literarische Welt wird mit jeder Nummer schlechter ... Ungar hat 8 lange Spalten über die Handschriften von Thomas Mann geschrieben, Byzantinismus! Weiss lobt Hindenburg! Jeder schimpft.“ Kisch schließt mit einem Nachsatz „50 Mal danke ich Dir für die Zigaretten, ich habe sie geraucht, als ich diesen Brief geschrieben habe. Sonst rauche ich oft unsere Pfeife! Und reinige den Kamm mit Deiner Bürste!“. – Horizontal geknickt, Umschlag aufgerissen. Abbildung Seite 31
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3027 Kisch, Egon Erwin. Hetzjagd durch die Zeit. 1.-10. Tausend. VI S., 1 Bl., 359 S., 2 Bl. 20,2 x 13,4 cm. Schwarzes Halbleinen mit weißgeprägtem RTitel (teils stärker abgerieben) und farbig illustrierten Deckeln sowie schwarzem Kopfschnitt (etwas beschabt und berieben, leicht abgegriffen, bestoßen). Berlin, Erich Reiss, 1926. 800 € Melzwig 348.1. – Erste Ausgabe des auf den Rasenden Reporter folgenden Reportageromans mit ebenso temporeichem Titel und weiteren 36 Reportagen, darunter Schollenjagd und Haifischfang, Eilige Balkanfahrt, Die Hetzjagd, Im Wigwam Old Shatterhands, Verbrechen in den Hochalpen, Es spukt im Mozarthaus, Mysterien des hydrographischen Instituts, Die Himmelfahrt der Tonka Šibenice, Besuch beim Prager Schinken, Zürcher Zuchthaus, Die Giftschänke der Deutschen Bücherei, Böhmisches Dorf in Berlin. Auch Kischs Hetzjagd durch die Zeit wurde vom Erich Reiss Verlag publiziert und zwar ebenfalls gleich in einer immensen Auflage von 10.000 Exemplaren, was den Autor zu einem Bestseller des Verlags machte. Erich Caesar Reiß (1887–1951) hatte seinen Verlag 1908 in Berlin gegründet und ihn zu einem der bedeutendsten Literaturverlage gemacht, bis er während der November pogrome 1938 im KZ Sachsenhausen interniert wurde, wo er aber auf Eingaben seiner Autorinnen Karin Michaëlis und Selma Lagerlöf nach mehreren Wochen freikam und dann über Schweden in die USA emigrieren konnte. Neben Kisch gehörten Gabriele d‘Annunzio, Julius Bab, Hugo Ball, Johannes R. Becher, Gottfried Benn, Kasimir Edschmid, Herbert Eulenberg, André Gide, Maximilian Harden,
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
Aus Moskau, St. Petersburg, aus Armenien und Aserbaidschan
3028 Kisch, Egon Erwin. 5 eigenhändige Postkarten des Jahres 1926 an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“. Jeweils 9 x 14 cm. Jerewan, Moskau, Baku, Leningrad 1926. 460 € Postkarten der Asienreise des Egon Erwin Kisch an seine Übersetzerin Jarmila Haasová. 1925-1926 bereiste er vor allem Asien, wovon die folgenden Karten zeugen. Sie helfen vor allem auch als wertvolles Forschungsmaterial, die Reisen Kischs Tag für Tag, Datum für Datum nachzuvollziehen. 1) Moskau, 10. Februar 1926. Sehr eng, mit violetter Tinte beschriebene Bildpostkarte mit einer Ansichte des Obelisken-Siegesdenkmals. Kisch berichtet von seiner Besichtigung des Kreml in Moskau und erwähnt Bornstein „Všechno jest nádherné a Bornstein je starý bidlo“, etwa: „hier ist alles sehr schön, nur Bornstein ist ein alter Idiot“ (Tinte teils verwischt).
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Richard Huelsenbeck, Klabund, Maurice Maeterlinck, Erich Toller, zu den Autoren des Verlags, der bis 1936 existieren konnte. Seine wichtigste Zeitschriftenpublikation war Die Schaubühne. – Mit Gebrauchsspuren, etwas abgegriffen und mit leichten Fingerfleckchen, Tintenfleckchen im Schnitt sowie mehreren An- und Unterstreichungen und kleinen Einträgen, teils in Bleistift, teils in Tinte der Jarmila Haasová (1896-1990), die den Band gleich zweimal (auf dem Vorsatz und Titel) als ihr Eigentum kennzeichnete. Auf dem Titel ein hübscher Widmungseintrag des Autors, in dem er alle fünf Kosenamen für seine geliebte Freundin Jarmila zusammenfasst: „Jarmila, Jarmilka, Jarmilinka, Jarmilin inka, Jarmilinin...ka - Haasová. Herzlichst: Egon Erwin Kisch. Berlin, 7./12.1925“. Die drei Punkte sind im letzen Kosenamen in Kischs Widmung mit dem Unendlichkeitszeichen geschrieben. – Beiliegt eine Einladungskarte : „Der Tschechoslowakische Gesandte und Frau Tusar geben sich die Ehre Hochwohlgeboren Herrn Redakteur Willi Haas und Frau für Mittwoch, den 31. Januar um 5 Uhr zum Thee ergebenst einzuladen“. Abbildungen
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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2) Jerewan 5. Februar 1926. Von Moskau war Kisch mit der Bahn weiter nach in die armenische Hauptstadt Jerewan (Eriwan) gereist, die unter den Sowjets zu Jerewan, zur Verwaltungshauptstadt der Armenischen SSR geworden war. Kisch berichtet auf einer Fotopostkarte mit den „Reliquien des Heil. Grigorij“. Doch reist er gleich weiter, zunächst wieder über Moskau: „Za pár minut odjezd z Armenie“ – „Ich werde in ein paar Tagen aus Armenien abreisen“. 3) Moskau, 10. Februar 1926. Offenbar hatte er durch die Vermittlung Jarmilas einen größeren Vorschuss auf eine Veröffentlichung bekommen, deren Termin er nicht halten konnte. Er schreibt: „Liebe Jarmiliče, Ich danke Dir aufrichtig für Deinen (Empfehlungs-)Brief, aber Berlin gibt mir nicht alles zurück, ich kann nichts dafür (ich fürchte, ich muss die 3000 Mark zurückgeben! Ich schreibe jetzt schon den ganzen Tag ...“ Auf einer Fotopostkarte mit dem Lenin-Mausoleum. 4) Baku, 24. Februar 1926. „Milá Jarmilinko ...“ - „Liebste Jarmila, ich bin hier gerade in der Republik Aserbeidschan und ich denke an Dich. Sie haben die größten Ölfelder auf der einen Seite - die größten Minen Europas ... Im Donezbecken war ich auch und an vielen anderen Orten“. Auf seltener Fotopostkarte mit Ansicht der Bohrtürme von Baku. 5) Leningrad, 6. Mai 1926. Ein Gruß aus St. Petersburg, der Stadt an der Newa: „Ich wohne an der Newa gegenüber 34
den drei Mauern der St. Peter und Paul Festung, die Sonne geht unter und ich küsse dich!“. Auf einer Fotopostkarte mit Ansicht von Smolny, von dem er auch berichtet. – Leichte Gebrauchsspuren. Alle Karten mit Briefmarken und Stempeln, postalisch gelaufen. Abbildungen
Aus Frankreich, Afrika und Italien, mit Zeichnung. „Hier war alles billiger und ich hatte mehr Ruhe zum Arbeiten“
3029 Kisch, Egon Erwin. 6 eigenhändige Postkarten des Jahres 1926 an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“. Jeweils 9 x 14 cm. Marseille, Algier, Biskra, Tunis, Cag liari, Rom 1926-1927 700 € Das Jahr 1927 war wiederum von zahlreichen Reisen geprägte, nach Asien wandte sich Kisch zunächst im Dezember 1926 nach Südfrankreich, von wo er nach Algerien und Tunesien übersetzte und dann quer über das Mittelmeer Sar dinien erreichte, von wo er über Rom wieder nach Berlin reiste.
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová 1) Marseille, Frankreich, 31. Dezember 1926. Begeisterte Karte aus der südfranzösischen Hafenstadt: „Ich bin sicher, dass ganz Marseille Dich lieben würde. Mein liebes Äffchen, auch ich mag dich immer noch, obwohl ich nicht glaube, dass Bornstein von Forbáth. Erwähnt seine Kollegen Joseph Bornstein (1899-1952) und Imre Forbáth (1898-1967). Das Foto zeigt „Marseille - Bassin de carénage et pont transbordeur“. 2) Algier, Algerien, 7. Januar 1927. Die hübsche Fotokarte zeigt „Algier - Dans la Vieille Ville. La Rue Porte-Neuve“. „Mein liebes Äffchen, ich bin in Algier, es ist ein herrlicher Frühling, aber ich weiß nicht, was ich darüber schreiben soll ...“. 3) Biskra, Algerien, 27. Januar 1927. Ebenfalls auf einer Fotopostkarte mit einer Straßenszene „Biskra - Rue des Ouleds-Nails“. „Ich wälze mich im Saharasand, in den ich versunken bin (die ‚Nonne‘ auf dem Bild ist eine arabische Yoshiwara (jap. für Prostituierte). Ich bin hier mit einem Tschechen aus Lomnice zusammen, der mich zu einem „Aschenputtel-Essen“ eingeladen hat“. 4) Tunis, Tunesien, 12. Februar 1927. „Vop., je na zase abych Ti zase nějaký lístek poslal ...“ - „Äffchen, es ist mal wieder an der Zeit, Dir eine Nachricht zu senden, bevor ich Afrika verlasse und nach Sardinien und dann nach Rom reise [in Deutsch:] (so lange der Vorrat reicht!). Ich will nicht so sehr nach Berlin, - hier war alles billiger und ich hatte mehr Ruhe zum Arbeiten. Aber es muss gehen, Max H. wartet. Wie geht es Dir? Und wann werden wir uns wiedersehen? Wirst Du im Winter in Berlin sein? Grüße an Forbáth und Schornstein“. Gemeint ist der Kommunist Max Hoelz (18891933), dann die Journalistenkollegen Imre Forbáth (gest. 1967) und Joseph Bornstein (1899-1952), für die Kisch Texte schrieb. Auf einer Fotopostkarte mit einem „Jeune arabe“. 5) Cagliari, Sardinien, 15. Februar 1927. Mit Ansicht der „Bastione S. Remy“. „Liebe Jarmila, dein freundliches Telegramm hat mich sehr berührt - ich habe es im Moment meiner Abreise erhalten. Ich bin noch nicht ganz wieder in
Europa, aber in einer Woche werde ich in Berlin sein, und Max H. muss nicht mehr ungeduldig (netrpĕlivý) sein. Herzlichen Glückwunsch an Dr. Forbáth, ich wünsche ihm, dass er bald der Chef der Kriminalmedizin in unserem Lande wird.“ Kisch arbeitete an der Herausgabe der Briefe aus dem Zuchthaus von Max Hoelz, die 1927 im Erich Reiss Verlag in Berlin erscheinen sollten. Der revolutionäre Arbeiterführer hatte 1920 „im Vogtland den bewaffneten Kampf gegen den KappPutsch [organisiert], im mitteldeutschen Aufstand 1921 war er ein prominenter Führer der bewaffneten Arbeitergruppen. Von einem Sondergericht ist er 1921 auf Grundlage einer fingierten Mordanklage zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt worden. Kisch setzte sich mit andren Persönlichkeiten energisch für seine Freilassung ein ... Im Frühjahr 1928 erschien im Mopr Verlag, Berlin, von Kisch die Broschüre Sieben Jahre Justizskandal Max Hoelz. Im Rahmen einer allgemeinen Amnestie wurde Hoelz 1928 freigelassen; Kisch holte ihn am 18. Juli aus dem Gefängnis Sonnenburg ab. Hoelz ging später in die Sowjetunion und kam dort unter mysteriösen Umständen ums Leben“ (Haupt S. 277). 6) Rom, Italien, 19. Februar 1927. Ein Gruß aus Rom auf einer Bildpostkarte mit Ansicht aus der Engelsburg, zunächst mit grüner Tinte, da der Füller aber versagte, dann aber weiter in Sepiatinte: „Vorgestern habe ich mit Dir in Sardinien gespeist, die Musik Deines Telegramms klingt mir immer noch süß ... Liebe Dich Affe, Egonek“. Darunter noch ein amüsanter Zusatz: „Verdammter Stift, ich male lieber mit ihm!“. Es folgt eine kleine witzige Federzeichnung Kisch mit Hut und großer Tasche mit seinen Manuskripten, der auf das Schild „Berlin“ zusetzt und daneben „Vuž to trochu píše“ („na, jetzt schreibt er doch“). – Leichte Gebrauchsspuren, stellenweise fleckig. Alle Karten mit Briefmarken und Stempeln, postalisch gelaufen. Abbildungen, auch Vignette Seite 111
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
„Die Kamele fliegen darauf und würden das Blatt hier sicher einführen – Lass Dir’s gut gehn, alter Lümmel.“
3030 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändige Postkarte an den Journalisten Joseph Bornstein in deutscher Sprache, mit voller Unterschrift „Egon Erwin Kisch“. 9 x 14 cm. Temassin, Algerien 1. Februar 1927. 160 € Auf einer Bildpostkarte aus dem Wadi Temassin (Témacine) in Südalgerien mit einer Ansicht „Sur la place du village de Témacine“, in deutscher Sprache an den Kollegen, den Schriftsteller und zeit- wie gesellschaftskritischen Journalisten Joseph Bornstein (1899-1952), der für Das Tage-Buch arbeitete und ab 1927 die Herausgabe der von Carl von Ossietzky gegründeten Weltbühne gemeinsam mit Leopold Schwarzschild übernommen hatte. Kisch veröffentlichte bei Bornstein, mit dem ihn eine lebenslange Hassliebe verband. Immer wieder ärgert er sich über Bornstein und nennt ihn einen „bidlo“ oder „blbec“, einen „lieben Idioten“ oder „Trottel“. Wenn er ihn selber adressiert, schreibt er nur „Lieber Schornstein“.
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„Lieber Schornstein, seit Wochen keine Zeitung, kein Brief, kein deutsches Worte, sitze ich in der Sahara auf dem Trockenen und möchte gerne noch lange so sitzen. Ich hoffe, dass viele Artikel Josef Bornstein im T.-B. [das Tagblatt, deutsche Zeitung in Prag] erscheinen, die Kamele fliegen darauf und würden das Blatt hier sicher einführen. Montag fahre ich nach Tunis, wo ich bis zum letzten Pfennig meines Reisegeldes bleiben will, vorausgesetzt, daß die mich dort erwartenden Nachrichten keine Eile bedingen. Hoffentlich geht’s der Jarmila gut, Dir auch, grüße Grohmann und Schwarzschild und Katz, und lass Dir‘s gut gehn, alter Lümmel. Egon Erwin Kisch“. – Mit zwei Briefmarken und Stempeln, postalisch gelaufen. Abbildung
„Grausamer als Handfesseln und Fußfessel ist die geistige Drosselung.“
3031 Hoelz, Max. Briefe aus dem Zuchthaus. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Egon Erwin Kisch. 127 S. 18,5 x 12,6 cm. Halbleinen mit Deckelbezug aus blassblauem Hadernpapier und Titel auf Rücken und VDeckel, grauem Kopfschnitt und farbig illustriertem OSchutzumschlag (minimale Einrisse, leicht gebräunt) nach einem Entwurf von Viktor Joseph Kuron-Gogol. Berlin, Erich Reiss Verlag, (1927). 160 €
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Melzwig 270.1. – Erste Ausgabe der zweiten, teils autobiographischen Veröffentlichung des Schriftstellers und Kommunisten Max Hoelz (1889-1933), der die Kapitel Mein Leben, Briefe und auch den Aufruf des Max-Hoelz-Komitees enthält. Umfangreich schreibt Egon Erwin Kisch über Hoelz in dem Beitrag Der Gefangene Max Hoelz (S. 95-115): „Grausamer als Handfesseln und Fußfessel ist die geistige Drosselung, Erdrosselung: dem Sträfling Empfang und Absendung von Briefen zu kontingentieren, derart einzuschränken, daß
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová dies einem Schreibeverbot gleichkommt...“ (S. 97). – Bemerkenswert wohlerhaltenes Exemplar mit dem originalen Umschlag, der eine weißverfugte (Gefängnis-)Mauer zeigt und den gekürzten Titel Zuchthausbriefe enthält. Er stammt von dem Fotografen und Grafiker Viktor Joseph Kuron (18961952). Titel mit 4-zeiliger Tintenwidmung Egon Erwin Kischs an Jarmila Haasová: „Jarmilinče srdečně, vřele a upřímně. Egonek. 10. září 1927 v Berlíně“ („Jarmilinchen, herzlichst, aufrichtig und ehrlich. Egonek. 10 September 1927 in Berlin“). Abbildung
Gerichtsverhandlung Paul Levis gegen den Völkischen Beobachter
3032 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 2 S. 28 x 22 cm. Berlin, 14. März 1927. 260 € Haupt, Kisch, S. 54f. – Eiliger Brief, in dem Kisch von seinen zahlreichen Tätigkeiten, von „Arbeit und Affären“ berichtet und die Verhandlung um Paul Levi erwähnt, den das rechtsnationale Blatt Völkischer Beobachter als Verräter und „modernen Judas“ diffamierte und den Fall vor Gericht brachte. Paul Levi (1883-1930) war Jurist und linkssozialistischer Politiker, Mitbegründer der KPD, zwischen 1919 bis 1921 deren Vorsitzender Mitglied des Reichstages sowie als Berichterstatter des demokratischen Blattes ‚Vorwärts‘ auch Kollege Egon Erwin Kischs. „Liebe Jarmiáčku, ich schreibe Dir in großer Eile, - ich kann Bornstein nicht fassen, weil heute die Gerichtsverhandlung Paul Levis gegen den Völkischen Beobachter ist ... Ich muß abfahren, ich habe eine eilige Arbeit, drei Bücher bis zum 15. April, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, deshalb will ich mich irgendwo außerhalb von Berlin niederlassen ... Ich danke Dir für Deine wunderbaren Briefe, Du weißt sicher, daß ich mich hier vor Arbeit und Affären zerreißen könnte und daß ich nicht dazu komme, zu antworten...“. – Gut erhalten, geknickt.
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„Dieses dumme Buch in Erinnerung ... damit Sie Ihn nicht vergessen. Egon Erwin Kisch“
3033 Kisch, Egon Erwin. Kriminalistisches Reise buch. 111 S., 1 Bl. 18,2 x 12 cm. Zweifarbig illustrierter Pappband (Kapitale leicht eingerissen, gering berieben) nach einem Entwurf von Georg Salter. Berlin, Die Schmiede, (1927). 280 € Berichte aus der Wirklichkeit. Hrsg. von Eduard Trautner, Band 1. Melzwig 349.1. – Erste Ausgabe der Reportagen, „Eine Schilderung der Verbrechen aller Zeiten und Länder, die vom Verfasser an ihren Schauplätzen aufgesucht
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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und aufgeklärt wurden“ (Melzwig), darunter Österreichische Polizei in Serbien; Moskauer Frauengefängnis; Vor dem Kadi und vor dem Strafsenat in Algier; Das Humanistengrab im Arrest; Rußlands schwerster Kerker; Lefortowo; Eine Frau harrt des Mörders und vieles mehr. – Im Block sauber und frisch, wenige Bleistiftanmerkungen der Übersetzerin Jarmila Haasová (1896-1990), die den Band 1932 ins Tschechische übertragen veröffentlichte: Kriminalistický cestopis. Autorizovaný překlad Jarmily Haasové (Prag 1932; Melzwig 349.2), und der die vorliegende Ausgabe vom Autor in deutscher und tschechischer Sprache gewidmet wurde: „Milý vopičáku (genannt ‚Jarmila Haasovič‘) hiermit überreiche ich Dir feierlich tuto pitómou knihu na památku an Deinen alten Freund, abys ho nezapomněla. Egon Erwin Kiš. V Berlínì, am 15. Mai 1927“, mit dem ironischen Aperçu „dieses dumme Buch in Erinnerung ... damit Sie Ihn nicht vergessen. Egon Erwin Kisch“. Abbildungen Seite 37
„Das ist eine großartige Sache, für die Geschichte des Sozialismus in der Tschechoslowakei.“
3034 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer und deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 2 S. 28,5 x 22,5 cm. Buckow, 31. März 1927. 550 € 38
Haupt, Kisch, S. 55f. – Mit seiner Sekretärin und Geliebten, Gisela ‚Gisl‘ Lyner hatte sich Kisch am 23. März 1927 in die Pension ‚Weiße Taube‘ nach Bollersdorf am Schermützelsee bei Buckow in der Märkischen Schweiz begeben, um vier große Publikationen fertigzustellen. So gilt 1927 als das fruchtbarste Jahr des Autors mit den Reportageromanen Zaren, Popen, Bolschwiken (Berlin, Erich Reiss, 1927), Kriminalistisches Tagebuch (Berlin, Die Schmiede, 1927), Wagnisse in aller Welt (Berlin, Universum, 1927) sowie mit den Briefen aus dem Zuchthaus von dem Kommunisten und Schriftsteller Max Hoelz (1889-1933), die Kisch mit einem Nachwort herausgab. Kisch bittet Jarmila, nach Buckow zu kommen, um sich zu erholen. „Affe, Äffchen ... Nächste Woche mußt Du den Brief von Max Hoelz haben, damit die Genossen vom Rudé právo‘ ihn in die Nummer vom 15. April aufnehmen ... Das ist eine großartige Sache, für die Geschichte des Sozialismus in der Tschechoslowakei wichtig ... Ich küsse Dich, Jarmilininko Jarmilinkovič, wenn Du hier wärst, würde ich Dich immerfort in die Sonne jagen: [dann in Deutsch] ‚Marsch auf den Balkon!‘ Egonek“. – Mit mehreren eigenen Korrekturen, Ausbesserungen, Durchstreichungen. Geknickt. – Beiliegt ein ausführlicher Brief von Kischs Sekretärin an Jarmila Haasová, in der diese von der harten und emsigen Arbeit an den Büchern Kischs berichtet: Gisela Lyner. Masch. Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Gisl“. 2 1/4 S. 28,3 x 22 cm. Mit masch. adressiertem Kuvert. Buckow, 31. März 1927. - „Liebste
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová Jarmila, so einfach ist das nicht, hier einen Brief zu schreiben. Seit zehn Tagen sind wir hier, und gestern abends bin ich erst mit den Korrekturen zu dem Russlandbuch [d. i. Zaren, Popen, Bolschewiken] fertig geworden; wir haben die ganze Zeit ununterbrochen daran gearbeitet, ich weiss nicht einmal wie Buckow aussieht, weil ich noch nicht einmal eine halbe Stunde spazieren war. Jetzt fangen wir mit dem Buch [Wagnisse in aller Welt] für Münzenberg an, aber der Egonek weiss noch nicht, was er hineingeben soll, dabei eilt die Sache sehr, denn es muss unbedingt am 15. April fix und fertig sein, er hat alle seine Ehrenwörter gegeben, ausserdem soll bis dahin auch noch das Max H.-Buch [Briefe aus dem Zuchthaus] fertig sein, mindestens hundert schrecklich lange Briefe sind dafür abzuschreiben, durchzusehen und eine Einleitung muss der Egonek dazu machen. Ich werde schon verrückt, wenn ich nur an all die Sachen denke, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass wir damit fertig werden. Zu all dem habe ich noch gestern einen Brief vom UniversumVerlag (das ist der von Münzenberg) bekommen, sie wollen jetzt auch gleich den ‚Vorfrühling‘ herausbringen, dabei haben die Schweine den ganzen dritten Teil (150 Maschinenseiten) verloren, das soll ich also auch noch abschreiben, und selbstverständlich müsste ich das ganze Buch noch einmal durcharbeiten, aber ich weiss bei Gott nicht, wie ich es machen soll. Am Abend seh ich gar nichts mehr, weil meine Augen so überanstrengt sind, Zeitung kann ich fast überhaupt nicht mehr lesen, weil sie so klein gedruckt sind. Mit einem Wort, ich bin ein vollständiger Krüppel...“
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Abbildung
3035 Kisch, Egon Erwin. Zaren - Popen - Bolschewiken. VI S., 1 Bl., 314 S., 1 Bl. 20,5 x 13,6 cm. Schwarzes Halbleinen (nur gering beschabt und berieben, leicht bestoßen) mit weißgeprägtem RTitel und farbig illustrierten Deckeln sowie dunkelblauem Kopfschnitt Berlin, Erich Reiss, (1927). 500 € Melzwig 351.1. – Erste Ausgabe der unter dem Titel Zaren – Popen - Bolschewiken zusammengefassten Reportagen Egon Erwin Kischs (1885-1948), die bei zahlreichen Aufenthalten ab 1925 in der Sowjetunion entstanden waren und mit denen er ein eindrucksvolles Bild des postrevolutionären Russ lands unter Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924) zeichnet, das auf erschreckende Weise teils heute wieder brandaktuell wirkt. Unter den 30 Texten finden sich Berichte mit den Titeln: Rußland in der Eisenbahn, Vormals Zarskoje Selo, Galoschen, Verkehr in Moskau, Universität für Fabrikarbeit, Putilow-Werke, Der Newski-Prospekt, Henker in Haft, Opfer befreit, Marx-EngelsInstitut, Das ist ein Theater in Aserbeidschan!, Der 1. Mai und das Oktoberfest, Das Donez-Becken, Rußlands Ruhrgebiet, Petruschka und Wanjka-Wstanjka, Der Schatz im Kaspisee: Naphata, Moskaus Polizeichef antwortet dem Interviewer, Schwäbische Kunde aus dem Kaukasus, Die Hunde des Physiologen Pawlow, Warschau 3035 39
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
„... jeden ohrfeigen, der etwas gegen Rußland sagen wird.“
3036 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 2 S. 28,5 x 22,5 cm. Mit eigenhändigem, kalligraphisch adressiertem Kuvert. Berlin, 20. November 1927. 500 €
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am Tage nach dem Staatsstreich. – Arbeitsexemplar der Freundin und Übersetzerin der Werke Kischs, Jarmila Haasová (1896-1990) mit deren Beischriften, An- und Unterstreichungen, teils in rotem Buntstift. Der Autor hatte ihr das Exemplar mit der 9-zeiligen Widmung in blauschwarzer Tinte zugeeignet: „Meiner lieben Freundin Jarmilka Jarmilkov ič, die in der Bahn war, als ich nach Russland fuhr und als ich aus Russland kam. Herzlichst: Egonek. 5. Juni 1927 Berlin“. Abbildungen Seite 39
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Haupt, Kisch, S. 63f. – Das Theaterstück Von Prag nach Bratislava hatte Egon Erwin Kisch zusammen mit Jaroslav Hašek geschrieben, es wird nun im Prager Theater aufgeführt. Ferner schreibt Kisch über seine Pläne zur Russlandreise und über die Eindrücke, die seine Kollegen, die Journalisten und Kommunisten Franz Xaver Hoellering (1896-1967) und Emil Rabold (geb. 1886) in der Sowjetunion machten. „Heute hat mir das Burian-Theater telefonisch mitgeteilt, daß es eine Woche lang Von Prag nach Bratislava ... spielen wird ... In Rußland bin ich nicht gewesen, - ich hatte auch nicht einen Augenblick die Absicht, dorthin zu fahren. Du hast mir Unrecht getan, wie immer. Hoellering war dort, er ist angeblich total begeistert, ich habe noch nicht mit ihm gesprochen. Rabold ist noch dort, aber schrieb Lobgesänge und wird angeblich nach seiner Rückkehr jeden ohrfeigen, der etwas gegen Rußland sagen wird; er ist zur Erholung in den Kaukasus gefahren“. Er erwähnt seine Reportagen Die Waggonvilla und Leichenschauhaus, „der Prager Pitaval ist noch nicht fertig. Beendet habe ich das Vorwort zu John Reed, dessen 10 Tage zugleich mit dem Eisenstein-Film im Verlag für Literatur und Politik wiedererscheinen“. Kisch hatte John Reeds Roman Zehn Tage die die Welt erschütterten mit einem Vorwort auf Deutsch herausgegeben (vgl. Katalognummer 3038). Er erwähnt Bornstein, Grossmann, Schwarzschild, Schrötter und „Marku hat ein Buch über Lenin geschrieben. Die Rote Fahne‘ hat ihn deshalb gründlich angegriffen, im großen und ganzen hatte sicher recht, aber es ist trotzdem ein interessantes Buch, es ist nicht revolutionsfeindlich, und die Tatsachen über Lenins Leben bleiben immer etwas Gewaltiges ... [Leo] Lania ist bei [Erwin] Piscator, eine Art Hausdramatiker, er trat aus dem Börsen-Courier aus, dorthin kam Billy Wilder, von Jarmila genannt ‚Billy Baldower‘“. Ferner über Kurt und Anka Viková, Bonck, Fröschl, Sonja Bogs, Katz, Olga Ossipowna, Hoelz, Friel, Holitscher, Alfred Klaar, „Onkel Rosenberg“ (ironisch für Alfred Rosenberg) ... „Nächsten Sonntag wird auf Piscators Bühne eine Protestversammlung sein, auf der ich reden werde“. – Gefaltet, einige Ausbesserungen, Durchstreichungen und Korrekturen, mit dem, hier besonders schön kalligraphisch adressierten Umschlag. – Beiliegt: Gisela Lyner. Eigenhändiger Brief in deutscher Sprache mit Unterschrift „Gisl“ an Jarmila Haasová, datiert „Berlin, 23. XII, 27“, worin sie über ihre Arbeit berichtet: „Mein Žeromski ist natürlich noch nicht fertig, und ich kann Dir nicht sagen, wie ich Dich bewundere, und zugleich beneide, daß du schon so weit bist, das fertige Buch vor Dir zu haben“. Mit Umschlag. Abbildung
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
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Illustriert von Rudolf Schlichter
3037 Kisch, Egon Erwin. Wagnisse in aller Welt. 320 S. Mit 12 Illustrationen nach Federzeichnungen von Rudolf Schlichter. 18,6 x 12,4 cm. Ziegelorangefarbenes OLeinen mit goldgeprägtem Rücken und VDeckeltitel (kleine Gelenkschäden, etwas abgegriffen, Gebrauchsspuren, winziger Tintenfleck im Schnitt). Berlin 1927. 250 € Universum Jahresreihe 1927, Band II. Melzwig 350.1. – Erste Ausgabe. 27 Reportagen von Egon Erwin Kisch nach Erlebnissen, die den Rasenden Reporter kreuz und quer durch die Kontinente führte: Ritt durch die Wüste und über den Schott; Massaker am Fluß; Schwefelbad in Grusien; Auf der Reeperbahn von Rotterdam; Justiz gegen Eingeborene; Verwundung; Silvesternacht in Marseille; Käsemarkt zu Alkmaar; Chinesenstadt; Vatikan in der Sahara; Westfront 1918; Der, der das Radio sieht; Die Kasbah von Algier; Ein Vormittag zwischen Persien und Rußland; Die tunesischen Juden von Tunis; Polizeischikanen in Sardinien ... – Arbeitsexemplar der Jarmila Haasová mit zahlreichen Bleistiftanstreichungen, kleinen Übersetzungseinträgen, Frage- und Ausrufezeichen, Unterstreichungen etc. auf dem Titel „Šťástnou cestu Jarmilko a přijd brzo zpět. Tvůj Egon Erwin, Na Tauentzienstraße 17. červen“ („Gute Reise Jarmilka und komm bald wieder. Dein Egon Erwin, Tauent zienstraße 17. Juni“). Abbildung
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„Ein wichtigeres Stück Wahrheit ... wird selten mit einem revolutionäreren Temperament zusammenstoßen, als es das von John Reed war.“
3038 Reed, John. Zehn Tage, die die Welt erschütterten. Mit einem Vorwort von Egon Erwin Kisch. (Aus dem Englischen übertragen von Willi Schulz). XXIII, 345 S., 1 Bl. Mit Porträttafel. Titel in Schwarz und Hellrot. 19 x 12,5 cm. Braunes Grobleinen mit rotgeprägtem Rücken- und VDeckeltitel, braun rotem Kopfschnitt (nach einem Entwurf von John Heartfield; ohne den Umschlag). Wien und Berlin, Verlag für Literatur und Politik, 1927. 240 € Erste deutsche Ausgabe des Romans Ten Days that Shook the World (1919) aus der Feder des amerikanischen Journalisten und Sozialisten John Reed (1887-1920), der darin eindrücklich die Oktoberrevolution von 1917 schildert. Als Herausgeber schreibt Kisch in seiner ausführlichen Einleitung über seinen Kollegen „John Reed, Ein Reporter auf der Barrikade“ am Schluss: „Ein wichtigeres Stück Wahrheit als die Oktoberkämpfe des russischen Proletariats wird selten mit einem revolutionäreren Temperament zusammenstoßen, als es das von John Reed war“ (S. XXIII). – Sehr schönes, wohlerhaltenes Exemplar (ohne den ebenfalls von Heartfield mit einer Fotomontage gestalteten Schutzumschlag). Der Titel mit 10-zeiliger Widmung an Jarmila Haasová: „Milý Jarmiloušičku, ovšem, ovšem těch deset dní, 41
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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co odstrášli světem jsou důležitější než neklidná Asie. Ale přec jsme se těšily [sic = těšili]! Líbám Tě ke vánocům Egon Erwin Kisch totiž Tvůj Egonek. V Berlíně, dne 23. prosince 1927. Durch Kurier!“ („Liebe Jarmilouschka, Sicher, sicher sind die „Zehn Tage, die die Welt erschüttert haben“ wichtiger als das unruhige Asien. Wir haben uns jedoch gefreut. Zu Weihnachten küßt Dich Dein Egon Erwin Kisch, Dein Egonek. In Berlin, den 23. Dezember 1927“). Abbildungen Seite 41
„Der Egonek fährt am 13. aus New York ab ... Was sagst Du, daß er, der so abergläubisch ist, am 13. fährt?“
3039 Kisch, Egon Erwin. - Lyner, Gisela. 4 maschinenschriftliche Briefe an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Gisl“. Zus. 5 S. 28,5 x 22,5 cm. Mit 3 (teils lädierten, 1 eigenhändig adressiertem) Kuverts. Berlin 1928. 850 € Haupt, Kisch, S. 69ff. – Schon 1918 oder 1919 hatte Egon Erwin Kisch Gisela „Gisl“ Lyner (auch Lyner; 1895-1962) in Wien kennengelernt, sich mit ihr befreundet und vielfach mit ihr zusammengearbeitet. Vor allem als seine Sekretärin, die ihm bei zahlreichen Publikationen half, schrieb sie Kischs Manuskripte mit der Maschine ab, um sie dann den Verlagen zum Satz einzureichen. Mit Jarmila Haasová führte sie 42
einen regen Briefwechsel, in dem sie vor allem auch über ihre Arbeit mit Kisch berichtet, der sie im Oktober 1938 heiratete. Gisela Lyner „tippte die Arbeiten ihres Mannes ab, arbeitete aber selbst schöpferisch mit, verbesserte und korrigierte seine Texte. Sie bekam durch Überanstrengung ein Augenleiden, das ihr das Arbeiten zeitweise unmöglich machte. In Frankreich lebte sie zum Teil vom Schreiben von Kreuzworträtseln, die sie sich mit ihrem Mann ausdachte. Folgte ihm 1940 nach Amerika und lebte mit ihm bei Freunden in der Nähe von New York. Eine Zeit lang war sie auch als Sekretärin von Clara Zetkin tätig. In Mexiko erledigte sie die Korrespondenz in einem kleinen Unternehmen für Damenwäsche von Luis Lindau ... Gab nach Kischs Tod zusammen mit Bodo Uhse im Aufbau Verlag Berlin und Weimar Kischs ‚Gesammelte Werke in Einzelausgabe‘ heraus“ (Biographia. Lexikon österreichischer Frauen, Hrsg. Ilse Korotin, 2016, II, 1647). 1) Berlin, 31. Oktober 1928. „Liebe Jarmila, es ist jetzt vier Uhr nachmittags (Mittwoch) und ich habe noch gar keine Nachricht vom Egonek. Im Reisebüro sagte man mir, daß sie auch noch keine Nachricht haben, ob der Dampfer gelandet ist, er war gestern fällig, und sie erwarten im Laufe des heutigen Tages ein Kabel. Trotzdem bin ich sehr nervös, kannst Dir denken. Ich habe schon drei Tage nicht geschrieben aus lauter Unruhe“. Kisch sollte aus den USA per Schiff zurückkehren. Erwähnt den niederländischen Journalisten Nico Rost (1896-1947), „Gestern abend war ich in der ParteiArbeiterkonferenz ... um neun Uhr beginnt nämlich das
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Kabarett der Komiker und er Robitschek konnte mir bis jetzt nicht sagen, ob die ‚Galgentoni‘ an Anfang oder am Ende gespielt wird...“. 2) Berlin, 8. Dezember 1928. Über den befreundeten Schriftsteller und Kommunisten Max Hoelz (1889-1933): „Ich bin am Montag nicht weggefahren, sondern der Max wohnt und arbeitet hier mit mir ... Heute ist er nach Sachsen gefahren zu einer Kundgebung ... Ich arbeite nämlich, ohne Übertreibung! täglich von 9 Uhr früh bis 2 Uhr nachts ... Die Adresse von Egonek ist: Mrs. e. P. Betz, 77 Eastern parkway, Brooklyn, N.Y. (USA). Ich weiß nicht, wie lange er noch in New York bleibt ...“. 3) Berlin, 9. April 1929. „Vor einigen Wochen hat Prokrok [der Prager Verlag ‚Fortschritt‘] 5 gebundene und 5 broschierte Exemplare von ‚Zuřivý reportér‘ [Der rasende Reporter] geschickt, sehr schade, daß ich‘s nicht lesen kann! Und jetzt zur Hauptsache! Der Egonek fährt am 13. aus New York ab, und ich treffe mich am 20. mit ihm in Southampton ... Was sagst Du, daß er, der so abergläubisch ist, am 13. fährt? Jedenfalls freue ich mich schon sehr, ein halbes Jahr ist doch länger als man glaubt! ... Vorgestern verlangte der Sinaiberger von mir das Bild vom Egonek, wo er mit Chaplin und dem Jannings photographiert sein soll...“. 4) Berlin, 16. April 1929. „Liebe Jarmila, ich fahre übermorgen mittags, und bin Freitag früh in London ... der Egonek hat mir geschrieben, daß wir nur ein paar Tage in London bleiben werden, weil er schon sehr reisemüde ist...“. Mit 5-zeiligem eigenhändigen Zusatz in Bleistift, in dem sie das Bedauern über die prekäre finanzielle Lage ihrer Freundin äußert: „Wenn ich Euch wenigstens helfen könnte!“. – Knicke, wenige Einrisse, Umschläge teils lädiert. Abbildung Seite 42
„Während ich das schreibe, malt mich der Münchner Maler Schad, – er kommt schon über eine Woche hierher.“
3040 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 1 1/2 S. 28,5 x 22,5 cm. Mit eigenhändig, kalligraphisch adressiertem Kuvert. Berlin, 1. Oktober 1928. 800 € Haupt, Kisch, S. 65f. – Inhaltsreicher Brief an seine Übersetzerin Jarmila Haasová (1896-1990), deren späterer dritter Ehemann, der tschechische Journalist und langjährige Freund von Kisch, Vincenz Nečas, erwähnt wird, dem eine Haftstrafe angedroht worden war: „Für Nečas sieht es schlecht aus, wenn er wegen solcher Dummheiten für 18 Monate in den Knast müßte. Ich hoffe, daß alles gut ausgeht ...“ Nečas war trunken aufgegriffen worden. Kisch berichtet über seine zahlreichen Aktivitäten, vor allem über seine Lesungen für die verschiedensten Institutionen, die ein Bild der lebhaften Kulturszene Berlins am Rande der sich immer weiter verschlechternden Weltwirtschaftslage zeichnen. „Meinen Rummel kannst Du Dir nicht vor44
stellen: vorgestern habe ich am Schönhauser Tor über Tolstoi gesprochen, gestern habe ich im Radio mit Musik Tretmüllers ‚Eliptüden‘ gelesen (Alfred Kerr hat eröffnet), morgen lese ich über Dzierzynsky an der Marxistischen Arbeiterschule, am Sonnabend im Volksfilmverband über den Russischen Film von ‚Polikusky‘ bis nach ‚Schanghai‘... Und über seine Publikationen: „Gestern habe ich die Zeitschrift Der Zeitgeist bekommen, in der 12 Spalten von Pavel Altschul sind. (Guter Artikel.) Er übersetzt dort den Titel ‚Der rasende Reporter‘ mit ‚Reporter in wilder Eile‘, Wie gefällt Dir das? Wie wäre es mit ‚Die Leidenschaft des Reporters‘?“. Von besonderer Bedeutung ist auch ein zweizeiliger Nachsatz, in dem er über die Sitzungen für ein Porträt des Maler Christian Schad (1894-1982) berichtet: „Während ich das schreibe, malt mich der Münchner Maler Schad, – er kommt schon über eine Woche hierher“. Das heute in der Hamburger Kunsthalle bewahrte Gemälde zählt zu den Meisterwerken Schads. Er porträtierte den vielfach tätowierten Journalisten mit nacktem Oberkörper auf dem 1926 fertiggestellten Berliner Funkturm am Messegelände in Berlin: „Mit der für die Neue Sachlichkeit charakteristischen distanzierten Haltung bei gleichzeitiger Genauigkeit schuf Schad hier einen Männlichkeitsentwurf, der mit der Ambivalenz zwischen der äußeren Gestalt eines Arbeiters und der inneren Haltung des Intellektuellen spielt“ (Anna Heinze). In seiner kalligraphisch-schnörkeligen Schrift verzierte Kisch auf dem Umschlag die Adresse „Paní Jarmila Haasová u pana ředitele Ludvíka Ambrože Prag = Praha IV. Na Valech 273“ – Zweifach geknickt, mit zahlreichen Einfügungen, Durchstreichungen und Korrekturen Kischs in blauschwarzer Tinte, die zeigen, wie er sich auch Ende der zwanziger Jahre immer noch mit dem Tschechischen schwer tat. – Beiliegen: Gisela Lyner. 2 masch. Briefe mit Unterschrift „Gisl“. Zus. 3 S. und 1 masch. Kuvert. Die Sekretärin, Geliebte und spätere Ehefrau Egon Erwin Kischs schreibt am 1. Juni 1928 aus Berlin an Jarmila: „Dass es für Dich in Prag so mies ist, tut mir schrecklich leid ... Über Prag werde ich auf der Hinreise nach Wien diesmal nicht kommen ... [und eigenhändiger Zusatz in Bleistift:] Hat Dir Egonek erzählt, daß der Bruder von Max Hoelz 3 Tage bei uns war?“. Aus Wien schreibt sie dann am 12. Juli 1928: „Ich fahre wahrscheinlich Montag nachts von hier weg und bin Dienstag früh in Prag ... ich würde dann so gegen 10 oder 11 zu Dir kommen ... Bist Du mit dem ersten Kischband schon fertig?“. Abbildung Seite 43, vl. auch Frontispiz Seite 4
„Auf dem Bootsmannstuhl sitzend, wird man den Mast emporgezogen“ – „Auch die Trossen muß Egonek teeren.“
3041 Kisch, Egon Erwin. Reise als Leichtmatrose auf der Jefferson Myers. 17 Fotografien zwischen 9 x 6,3 und 7 x 11 cm sowie 1 Bl. „Certificate of Discharge“ 7,8 x 15 cm. Eingelegt in modernes Album. Baltimore, Panama, Los Angeles, Atlantik, Pazifik 1929. 500 €
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
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Bilddokumentation in originalen Kleinformat-Fotoabzügen, teilweise unveröffentlicht aus dem Kisch-Nachlass der Jarmila Haasová. Am 10. Januar 1929 hatte sich Kisch in Baltimore als Leichtmatrose auf dem Frachtschiff „Jefferson Myers“ für eine Fahrt durch den Panamakanal nach San Pedro und Los Angeles eingeschifft, wo er u. a. mit Charlie Chaplin und Upton Sinclair verabredet war. Von diesem Abenteuer berichtet er in seiner Reportage Als Leichtmatrose nach Kalifornien, den er dann in dem Band Paradies Amerika (Berlin 1930) veröffentlichte: „Von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags ist daywork. Auf dem Bootsmannstuhl sitzend, wird man den Mast emporgezogen, oben macht man sich das Brett mit einem Knoten fest; dem Knoten vertraute ich anfangs wenig und war allzeit bereit, wenn er sich lösen sollte, mich mit den Händen am Tau zu fangen und festzuhalten. Schließlich lernt man es aber, auch an den selbstgeschürzten Knoten zu glauben...“ (GW V. 79). 46
Alle Fotos (ein Abzug ist doppelt vorhanden) sind verso eigenhändig in Kischs charaktervoller Hand mit seiner typischen schwarzblauen Tinte bezeichnet: 1. An Deck mit Zigarette: „Nächtliche Wache unseres Leichtmatrosen.“ 2. An Deck mit Pinsel: „Unser Leichtmatrose streicht den Windfang,“ 3. Am Mast: „Start zum Erklettern des Mastes.“ 4. An Deck: „Kisch am Ankerspind.“ 5. Auf dem Mastbaum: „Auch die Trossen muß Egonek teeren.“ 6. Im Top: „Egonek sitzt am Top.“ 7. An Deck: „Kisch wirft Anker.“ 8. An Deck: „Das Deck wird gewaschen.“ 9. Im Hafen, am Quai: „Ein Matrose wäscht sich im Pazifik.“ 10. Auf dem Mastbaum sitzend 11. An Deck mit Seilen hantierend
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová 12. An Deck mit Zigarette am Ankerspind 13. An Deck: „Schwarze Schauermänner.“ 14. Am Pier: „Baumwoll-Ballen am Pier.“ 15. Am Pier: „Ladearbeit.“ 16. Auf dem Schiff: „Baumwolle wird in der Luke geordnet.“ 17. Auf dem Schiff: „Blick auf Schauermänner und Baumwolle in der Luke.“ Beiliegt der hs. von Kisch (wahrheitsgemäß!) ausgefüllte, unterschriebene, gestempelte und gegengezeichnete Entlassungsschein aus dem Dienst auf dem Frachter „Department of Commerce - Certificate of Discharge No 944178“ der „S. S. Jefferson Myers“: „Seaman‘s birthplace: Czechoslo vakia“, „Age: 44“, „Capacity: Bordcaway seaman“ etc. – Kaum Gebrauchsspuren, minimale Fleckchen oder Knicke. Abbildungen Seite 45
„Wir besuchten zunächst die Reviere im Eisenbahnviertel, dann die Kohlegruben Borinage.“
3042 Kisch, Egon Erwin. 6 eigenhändige Postkarten an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“. Jeweils 9 x 14 cm. Belgien, England, USA, Bredene und Buckow 1928-1929. 600 € Postkarten mit meist kurzem Text, in denen er Jarmila Haasová (1896-1990) von den unterschiedlichen Orten grüßt, in denen seine Reportagen entstanden. 1) Charleroi, 14. Mai 1928. Kisch berichtet Jarmila nach Prag von seinen Erlebnissen beim Besuch der Kohlereviere im Hennegau. Die Ansichtskarte zeigt „Charleroi - Vue d’un Charbonnage“. „Wir besuchten zunächst die Reviere im Eisenbahnviertel dann die Kohlegruben Borinage“. Daraus entstand dann eine eigene Reportage mit dem Titel „Borinage“, was sich von „borin“ bzw. „borain“ (etwa „Kumpel“) ableitet. Verso auf der Bildseite eine Beischrift einer Reisebegleitung „Es ist schön hier, wie schön wäre es erst, wenn die Tante Jarmila dabei wäre“. 2) London, 22. Oktober 1928. Ein kurzer Gruß aus dem Endsleigh Hotel in London an Jarmila Haasová in Berlin auf einer Postkarte der White Star Line mit einem gemalten Bild der „Triple-Screw R.M.S. ‚Olympic‘ 46,439 tons“. 3) New York, 25. November 1928. Von London hatte Kisch den Dampfer nach Amerika genommen, wo er zunächst einige Tage in New York verbrachte: „Ich habe mich sehr gefreut, dich zu sehen. Ich habe dir einen Brief aus London geschickt, aber noch nicht aus Amerika, weil ich nicht wusste, wohin. Ich habe in einer späten Sendung nach deiner Adresse gefragt.“ Gerichtet ist die Karte an „Mrs. Jarmila Haasová (c/o Stephan Grossmann) Budapesterstrasse 16, Berlin W. Germany“. Umseitig ein Foto „Financial District and Downtown, New York, from an aeroplane“. 4) Los Angeles, 6. Februar 1928. Auf einer Farbpostkarte mit Kolorfoto „Busy Broadway, Los Angeles, Ca.“ Kisch entschuldigt sich: „Liebe Jarmila, ich habe dir nicht ein-
mal für dein jährliches Telegramm zu Silvester gedankt. Ich war vier Wochen lang weg, nicht einmal eine Woche an einem Ort, und seit Anfang Januar keine Post mehr bekommen. Sonntags habe ich eine europäische Zeitung. Es ist mir sogar egal, ob der Zuřivý reportér [Der rasende Reporter] namentlich genannt wird. Ich denke da wie Du...“. 5) London, 22. April 1929. Mit Ansicht der Tower Bridge und Beischrift von Gisela Lyner „Tausend herzl. Grüße Gisl“ schreibt Kisch „Ich bin wieder im alten Europa, in diesem üblen Rummel, der zu nichts taugt. Aber ich freue mich sehr darauf, Dich wiederzusehen. Der Artikel von Nečas ist großartig (Laterna magica). Ich habe mich in diesen Klamauk nie beschäftigt. Kommst Du nach Berlin? Gisl ist aus Southhampton gekommen...“ Vinčenc Nečas (1903-1972) war der dritte Ehemann Jarmila Haasovás, Kisch hatte ihn 1923 in Brünn kennengelernt. „Er arbeitete im Laufe der Jahrzehnte an verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften mit, war u. a. Chefredakteur der illustrierten Monatsschrift Letem světem (Im Fluge um die Welt), zuletzt außerpolitischer Redakteur der Prager Abendzeitung Večerní Praha...“ (Haupt S. 278). 6) Bredene, August 1929. Bildpostkarte mit einer Fotografie des „Hotel d‘Anvers“ im Belgischen Küstenort Bredene, wo Kisch mit Gisela Lyner den Sommer verbrachte und wo sie der australische Journalist John Fisher besuchte. Dieser schreibt an Jarmila: „August 29 - Greetings from Breedene. Here one day only. Love John. Going on to see your pal Kenneth in Paris JF“. Verso setzt Kisch auf die Bildseite hinzu „Leider ist John nur für ein paar Stunden hier. Wie geht‘s Jarmiličenka? Egonek“. Folgend noch Beischrift von Gisl. Und auf Kennzeichnung des Hotelzimmers mit Pfeil: „Hier wohnen wir wirklich“. Wenige Gebrauchsspuren, alle Karten sind postalisch gelaufen mit entsprechenden Marken und Stempeln. – Beiliegt eine weitere Postkarte, die Kisch Jarmila 1927 aus Buckow schrieb, dem Erholungsort bei Berlin, wo Kisch sich von seinen anstrengenden Reisen zusammen mit Gisela Lyner zurückzog, um seine Reportagen abzufassen. 7) Buckow, 23. März 1927. Mit Grüßen von Gisela Lyner. Er berichtet ihr über seine Veröffentlichungen, die er für den 1. Mai plant. Verso eine Ansicht des Bergdorfes „Bad Buckow (Märk. Schweiz).“ Abbildungen
„Ohne den schrecklichen Rummel, der in Berlin um mich gemacht wurde.“
3043 Kisch, Egon Erwin. 4 (3 eigenhändige, 1 maschinengeschriebener) Briefe an Jarmila Haasová in tschechischer (3) und deutscher (1) Sprache mit Unterschrift „Egonek“, 4 (3 eigenhändigen) Kuverts und Beischrift von Gisela Lyner in deutscher Sprache. 2 S. 28 x 22 cm. Mit eigenhändig adressiertem Kuvert. Teufelsmühle bei Königsberg an der Eger, 24. Mai, 14., 25. Juni und 7. Juli 1929. 1.000 € 47
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Haupt, Kisch, S. 74-77. – Die Teufelsmühlen-Briefe des Egon Erwin Kisch (1885-1948), der sich zusammen mit Gisela Lyner im Egerland bei Libau und Königsberg an der Eger, dem heutigen Kynšperk nad Ohří zum Arbeiten zurückgezogen hatte, aber auch, um dem sich inzwischen dem zu einer fast kultischen Verehrung ausgewachsenen Personenkult um den „rasenden Reporter“, wie er nun immer mehr genannt wird, zu entziehen - Kisch im Zenit seines Ruhmes und seiner Popularität, nachdem der er durch die USA gereist war, wo er u. a. mit Upton Sinclair, Emil Jannings und Charlie Chaplin zusammengekommen war, was er in seinem Reportageroman Paradies Amerika (Berlin, Erich Reiss, 1930) verarbeitet. 1) 24. Mai 1929. „Liebe Jarmiláč, direkt aus New York kommend, habe ich ich in den hintersten Winkel verkrochen, in die Teufelsmühle bei Kynšperk an der Ohře! Ich wollte nach Böhmen, damit meine Mutter mich besuchen kann, ohne den schrecklichen Rummel zu erleben, der in Berlin um mich gemacht wurde“. Kisch schreibt in seiner immer ausgefeilteren, mit zahlreichen Voluten und Rundschnörkeln versehenen kalligraphischen Schönschrift in schwarzblauer Tinte an seine Jarmila, so dass der Brief allein schon graphisch zu einem kleinen Kunstwerk wurde, das sich auf dem Umschlag vollendet. Seine Sekretärin, Geliebte und spätere Ehefrau, Gisela Lyner setzt unten hinzu, indem sie den Trubel in Berlin erwähnt, ferner Kischs Freunde Hugo Sinaiberger (geb. 1886), den Chefredakteur der Prager Filmzeitschrift Internationale Filmschau, den Autor Frigo sowie Alfred Polgar: „Liebe Jarmila, hier ist es wildromantisch, ruhig und langweilig, so daß ich wenigstens zur Arbeit komme. In Berlin hatten wir Pfingsten ein Irrenhaus. Von Polgar über Sinaiberger bis zum ultralinken Frigo waren alle politischen Schattierungen vertreten...“ 2) 14. Juni 1929. „Blble, je mi líto, že maj takovou“ - „Dummerchen, es tut mir leid, daß Du sakramentspotztausend solches Pech hast! Aber es wird alles. das Wichtigste ist, daß das mit Nečas blinder Alarm war ... Wenn Du kein Geld für die Reise hast, telegrafiere. Und Nečas bringst Du natürlich mit“. 3) 25. Juni 1929. „Liebe Jarmiláč ... auch wenn ich Sehnsucht nach Dir habe, bin ich doch nicht so ein Blödmann, Dich zu bedrängen ... nur wegen der Teufelsmühle und wegen mir von Berlin nach Böhmen zu reisen wäre dumm ... Das zweite Honorar für Prašná brána [die Publikation Kischs Pulverturm] gehört Dir, denn Du mußtest neue Veränderungen und Korrekturen vornehmen ...“. 4) 7. Juli 1929. Masch. Brief in Deutsch „Bidlo [Dummerchen], in aller Eile diktiere ich Dir einen Begleitbrief zu beiliegendem Schreiben und Telegramm von Bornstein. An Schornstein habe ich ein Antworttelegramm geschickt...“ Darunter von Gisela Lyner: „Liebe Jarmila, es ist mir vollkommen rätselhaft, was mit Dir los ist! Dass Du nicht einmal schreibst! -- Jetzt sind wir schon über sechs Wochen hier und so lange warten wir schon auf Dich...“. Und 4 Zeilen handschriftlich von Kisch in blauschwarzer Tinte mit Paraphe „E“ in Tschechisch: „Habe Dir von 10 Tagen einen Brief nach Berlin geschickt, der zurückgekommen ist 48
(‚Adressat verreist, unbekannt wohin‘), so habe ich ihn Dir gleich an Deine Prager Adresse geschickt. Eingegangen? E.“. Die entsprechenden Postvermerke auf dem Umschlag. – Geringe Knickspuren, schöner Brief. Abbildung
„Gerade streitet Arnold Zweig mit Becher, Jakob Schaffner regt sich auf, Rudolf Olden spielt den Hochnäsigen.“
3044 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Tvůj Egonek“. 2 S. auf Doppelblatt. 21 x 16,5 cm. Mit eigenhändig adressiertem Kuvert. Berlin, September „1925“ (recte 1929). 500 € Haupt, Kisch, S. 79f. – Kleinformatiger, eng geschriebener und daher überaus umfangreicher Brief in blauer Tinte, der irrtümlich „1925“ datiert wurde (was wohl die Empfängerin schon mit Bleistift „=29“ korrigierte) und den Kisch mitten aus einer Sitzung des Schriftstellerverbandes schrieb. Der „rasende Reporter“ konnte kaum eine Versammlung mitmachen, ohne nicht nebenbei seine kostbare Zeit noch mit anderem zu nutzen: „... gerade habe ich gegen die Erhöhung der Mitgliedsbeiträge gesprochen, und jetzt - jeder guckt, was ich hier schreibe - antworte ich Dir auf zwei Briefe“. Mitgeschickt hat ihr Kisch den Entwurf eines Briefes an seinen Freund, den tschechischen Schriftsteller (Prosaisten, epischen Dichter) und Verleger Václav Kaplický (1895-1982), der hier beiliegt: „Ich bin sehr froh, daß Du mit meinem Brief an Kaplický zufrieden warst, er war es sicher weniger. Deinen Brief habe ich mit einem herzlichen Hinweis auf Deine unschätzbaren Eigenschaften und Deine Freundschaft an Piscator gesandt. Er erwähnt Bornstein und Longens, dann folgt eine Passage über sein 1922 erschienenes Kriegstagebuch Soldat im Prager Korps, das 1930 dann unter dem geänderten Titel Schreib das auf, Kisch! wiederveröffentlicht werden sollte. Hier geht es jedoch zunächst um die Übersetzung ins Tschechische: „Was Deine Frage betrifft, ob der Soldat noch vor Weihnachten herauskommen soll, meine ich, daß meine Entscheidung überflüssig ist, weil das allein von Dir abhängt, ob Du ihn fertig bekommst, und vom Verlag, ob er ihn bis zu dieser Zeit herausgeben kann ... Auf alle Fälle fange ich morgen mit den Veränderungen am Soldaten an ... Zeit hatte ich bisher nicht. So wie jetzt habe ich noch nie in meinem Leben gearbeitet, ich war nur einmal im Café“. „Gerade streitet Arnold Zweig mit Becher, Jakob Schaffner regt sich auf, Rudolf Olden spielt den Hochnäsigen, und ich schreibe Jarmila“. Er fragt sie, ob sie den Kabarettisten Josef Waltner, Inhaber des Prager Nachtcafés ‚Montmartre‘, eines beliebten Treffpunkts der Prager Bohème, in dem Kisch und Hašek verkehrten, nicht mit einer Übersetzung unterstützen wolle: „Neulich hat mir Waltner, der ehemalige Besitzer des ‚Montmartre‘ und jetzt ein armer Kellner,
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geschrieben, ob ich ihm nicht eine Einleitung zu irgendeinem Erinnerungsbuch schreiben könnte. Ich schicke es Dir ... Paradies Amerika ... kommt wahrscheinlich am 15. Oktober heraus ... [es] wurden 2000 Exemplare bestellt, was sehr viel ist, denn das Buch kostet 6 Mark“. – Mehrfach geknickt und etwas knittrig. Der beiliegende Umschlag datiert auf den 28. September 1929. – Beiliegt der eigenhändige Briefentwurf Kischs an Václav Kaplický mit Unterschrift und mit zahlreichen Streichungen, Verbesserungen, Einfügungen als Korrekturen von der Hand der Jarmila Haasová. 2 S. 29 x 23 cm. „V Berlíně, dne 11. září 1929 - Vážený pane Kaplický ...“ - „Berlin, den 11. Oktober 1929 - Sehr geehrter Herr Kaplický...“. Abbildung Seite 49
„Angriffe von Gottfried Benn und Heinrich Mann“
3045 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 2 S. 28 x 22 cm. Mit eigenh. adressiertem Kuvert. Berlin, 16. September 1929. 280 € 50
Haupt, Kisch, S. 77ff. – Sehr inhaltsreicher Brief, in dem zahlreiche bedeutende Zeitgenossen aus Presse, Literatur und Kultur genannt werden, Kisch aber auch über seine eigenen Werke spricht und Jarmila über die Geschehnisse in Berlin berichtet: „...die Affäre aus der Bücherschau zieht Kreise (das ‚Tageblatt‘ hat mich einfach angegriffen, die ‚Frankfurter‘ verteidigt mich, Bornstein wollte auf mich losgehen, die Angriffe von Gottfried Benn und Heinrich Mann sind schon in der Redaktion der ‚Bücherschau‘ ... Erwähnt seine Kollegen und Freunde Bornstein, Butzbach, Fröschl, Spann, Staša, Weißkopf, Wohlschläger, ferner Franz Xaver Hoellering (1896 - 1967), Václav Kaplický (1895-1982), Erwin Piscator (1893-1966) etc. „... mein Buch heißt Egon Erwin Kisch beehrt sich darzubieten: Paradies Amerika ... Das einzige, was Du übersetzen könntest, wäre Piscators Buch. Aber angeblich haben alle Verlage das Manuskript zurückgegeben, weil es langweilig ist, und ein Auszug in der ‚Bücherschau‘ bestätigt dieses Urteil. Gemeint ist Piscators programmatische Schrift ‚Das politische Theater‘ (Berlin, Schultz, 1929). – Leicht gebräunt, winziger Einriss. – Beiliegt ein masch. Brief von Gisela Lyner mit Unterschrift „Gisl“ von 19. September 1929. „Liebe Jarmila, der Kisch musste eben zum Zahnartzt laufen ... angeblich gibt Pis-
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová cator sich bereits selbst auf und sucht gar keine Stücke mehr. Das Amerikabuch ... wird in drei Wochen im Buchhandel sein...“ Abbildung Seite 49
„Damit sind nicht schöne Vögel gemeint, sondern ‚Singende Vögel im Kerker‘.“
3046 Kisch, Egon Erwin. Übersetzungskorrekturen. 3 eigenhändige Briefe an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 5 S. 28 x 22 cm. Mit 3 (2 eigenh. adressiertem) Kuverts. Berlin, 1. und 14 Oktober, 22 November 1929. 600 € Haupt, Kisch, S. 82ff. – Konvolut von Briefen Egon Erwin Kischs, der die Übersetzungen einige seiner Werke ins Tschechische durch Jarmila Haasová ließ und korrigiert und ihr unklare Passagen erklärt. Kisch sprach fließend Tschechisch, hatte aber zunächst Probleme mit der Schriftsprache, auch wenn er alle seine früheren Briefe an Jarmila konsequent in dieser Sprache abfasste. Vorhanden sind: 1) Berlin, 1. Oktober 1919. Kisch korrigiert Jarmilas Titelübersetzung von Upton Sinclairs Drama Singing Jailbirds, das 1927 unter dem Titel Singende Galgenvögel erschienen war: „1. Singing Jailbirds. Die deutsche Übersetzung Singende Galgenvögel ist dumm, denn damit sind nicht schöne Vögel gemeint, sondern ‚Singende Vögel im Kerker‘ 2. Patterson ist eine Weberstadt im Staat New York. 3. ‚Regalieren‘ ist: ‚bewirten‘, ‚reichlich beschenken‘. (pohostiti?). 4. Eine gesamte Ausgabe von Paradies Amerika habe ich nicht. Ich schicke Dir, was hier ist. 5. Was ist los, daß die Zaren noch nicht heraus sind?...“ 2) Berlin, 14. Oktober 1929. Kisch erklärt und korrigiert weitere Passagen aus seinen Romanen Zaren, Popen und Bolschewiken, Paradies Amerika etc. „Die Autorenexemplare des Zaren habe ich heute früh bekommen. Es sieht sehr schön aus. Meinst Du nicht?“ Erwähnt Bornstein, Laurin, Hoellering, Wiegler Ernst Polak, „Lania hat große Liebesaffären, angeblich sind das große Frauen aus dem Lutz“. Gemeint ist der jüdische russisch-österreichisch Journalist und Schriftsteller Leon Lania (1896-1961), Bekannter und Kollege Kischs, einer der ersten ‚Undercover-Reporter‘, der 1933 über Prag, Wien, Paris, dann Südfrankreich, Spanien und Portugal in die USA emigrieren konnte. In seinen investigativen Reportagen warne er außergewöhnlich frühzeitig und außergewöhnlich klar von der aufziehenden Gefahr von Rechts. 3) Berlin, 22. November 1929. „Liebe Jarmiláč, ich komme am Montag 15.30 Uhr d. h. 1/2 4 nachmittags auf dem Masaryk Bahnhof an ... Das wird ein schrecklicher Rummel in Prag, ich fürchte mich davor, aber ich hoffe, daß wir uns zu einem freundschaftlichen Gespräch ganz unter uns irgendwo treffen können, damit ich Dir die Berliner Neuigkeiten (auch wenn sie nicht bedeutsam sind) referieren kann“. – Geringe Knickspuren, leicht gebräunt. Abbildung
„Zápotocký hat bei mir übernachtet, ein sehr sympathischer Mensch.“
3047 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 1 1/2 S. 28 x 22 cm. Mit eigenhändig adressiertem Kuvert. Berlin, 30. September 1929. 300 € Haupt, Kisch, S. 81f. – Über Details der Übersetzung seines Kriegstagebuchs Soldat im Prager Korps (Berlin 1922) mit ganz konkreten Vorschlägen: „Liebe Jarmilko, ich habe mir gestern den Soldaten angesehen. Verschiedene Kleinigkeiten habe ich gefunden, zum Beispiel das Wort ‚Spekula tionen‘ anstelle von ‚Schlüsse‘ (Seite 6) oder ‚Volkshymne‘ anstelle ‚Kaiserhymne‘ usw., was Du sicher ohnehin korrigierst“. Überhaupt kann ich alles mit der Ruhe eines Engländers Dir überlassen, denn da Du dich sowieso gründlich damit befassen mußt, findest Du alle Geschmacklosigkeiten leichter als ich, der dieses Buch noch heute immer nicht ruhig lesen kann...“ Interessant ist seine Bekanntschaft mit dem tschecho slowakischer Gewerkschaftsführer, Politiker und Autor Antonín Zápotocký (1884-1957), der von 1922 bis 1925 Generalsekretär der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei war, sofort 1939 von den deutschen Truppen verhaftet und von 1940 bis 1945 Konzentrationslager Sachsenhausen interniert wurde, was er überlebte. So konnte er 1948 beim sogenannten „Februarputsch“ die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei übernehmen und schließ lich dem Ministerpräsidenten Klement Gottwald im Amt nachfolgen. So wurde Zápotocký am 21. März 1953 von der Nationalversammlung zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt. Berüchtigt war seine diktatorische Amtsführung ganz im Sinne Stalins und die zahlreichen inszenierten Schauprozesse, bei denen unter Ministerpräsident Zápotocký 94 Menschen hingerichtet wurden, die Hälfte aus politischen Gründen. Kisch erwähnt Zápotocký en passant: „Heute und gestern hat Zápotocký bei mir übernachtet, ein sehr sympathischer Mensch. Hat Dir Piscator schon geantwortet? Bandy mit Olga und Becher fliegen morgen nach Moskau. Am 26. November habe ich eine Lesung in der großen Halle der Lucerna in Prag, dort gehen 15 000 (recte 5000) Menschen rein, allerdings, wenn sie dort reingehen wollen. vorgestern Abend kam Dr. Frankel von der ‚Urania‘...“ Abbildung Seite 49
„Alle waren sehr verliebt in Dich … sei geküßt von Deinem old Egonek“
3048 Kisch, Egon Erwin. Maschinenschriftlicher Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „old Egonek“. 1 S. 28 x 22 cm. Mit Kuvert. Berlin, 13. Dezember 1929. 400 € 51
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Haupt, Kisch, S. 86f. – Kisch bittet Jarmila um die Zusendung von Kritiken seiner Werke in den Prager Gazetten, darunter in der renommierten Wochenzeitung Tvorba. Er erwähnt den Plan einer holländischen Übersetzung seiner Werke durch den befreundeten niederländischen Journalisten, Übersetzer und Antifaschisten Nicolaas „Nico“ Rost (1896-1967) oder fragt, ob sie den Verleger Václav Kaplický (1895-1982) kontaktiert habe. „Liebe Jarmila, Gott sei Dank bin ich wieder in Berlin; Bornstein habe ich angerufen und von Deiner Wohnung und Deinem Wohlbefinden berichtet. Wie war die Rückfahrt aus Teplitz? Hat Dir Herr Kahn noch den Hof gemacht? Alle waren sehr verliebt in Dich. Hat sich in Prag der Widerspruch schon verstärkt? Schick mir alles, was erschienen ist, auch die Kritiken, die ich schon gesehen habe ... Von Frigo kommt ein Buch heraus: ‚Letzte Stunden‘ in einer syndi kalistischen Buchgemeinschaft. Rost wird wahrscheinlich ein Sammelbuch aus Kisch holländisch zusammenstellen. Hast Du Kaplický den Vorschlag eines Sonderdruckes der Tonka Šibenice [Die Galgentoni] gemacht? ... sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem old Egonek“. 52
Das (wohl) Pseudonym des, wie Kisch ihn tituliert, „ultralinken“ Bekannten Frigo kann leider bis dato nicht aufgeschlüsselt werden. Klaus Haupt gibt hier den lakonischen Hinweis „Frigo - Autor eines Werkes mit dem Titel ‚Letzte Stunden‘“, das ich jedoch nicht nachweisen konnte (Haupt, Briefe an Jarmila, 1996. S- 75). Kisch erwähnt Frigo auch in einem Brief vom 24. Mai 1929. – Knicke, wohlerhalten. Unten links noch 10 Zeilen Gruß von Gisela Lyner mit Unterschrift in Bleistift „Gisl“. – Beiliegt ein masch. Brief von Gisela Lyner an dieselbe. 1 1/2 S. Mit eigenhändigem Gruß in Bleistift und Unterschrift: „Gruß an Nečas. Gisl“. Berlin, 8. Dezember 1929. „Von überall höre ich, wie schön es bei Egoneks Vorlesungen gewesen ist, am tollsten scheint es aber in Prag zugegangen zu sein. Besonders über die ‚Rot Front‘-Begrüssung habe ich mich gefreut ... Diese Woche ist der Rost zurückgekommen, er sieht sehr gut aus ... Wir alle haben schon geglaubt, dass dem Rost was passiert ist, weil niemand eine Nachricht von ihm hatte seit mehr als sechs Wochen“. Nico Rost lebte in den Jahren 1923 bis 1933 in Berlin, wo er zum engsten Freundeskreis Kischs gehörte. Er publizierte den Querschnitt
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová und wurde Mitglied der KPD, als er – schon Februar 1933, unmittelbar nach der Machtergreifung – ins KZ Oranienburg nördlich von Berlin deportiert wurde. Nach seiner Freilassung ging er nach Brüssel, wo er wieder von den Nationalsozialisten verhaftet wurde und in die Konzent ra tionslager von Herzogenbusch und letztlich nach Dachau verschleppt wurde. Am 29. April 1945 wurde er von amerikanischen Truppen befreit. Abbildung
„Plötzlich erklärte das ZK, er soll nicht nach Russland.“
3049 Lyner, Gisela. 4 (2 eigenhändige und 2 maschinenschriftliche) Briefe an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Gisl“. Zus. 7 S. 18,5 x 14 bis 28,5 x 22,5 cm. Mit 4 (teils lädierten) Kuverts. Berlin, Wien und Westminster 1930. 260 € Für das Leben und Werk des Egon Erwin Kisch sind die Briefe seiner Sekretärin, Mitarbeiterin, Geliebten und spä-
ten Ehefrau Gisela „Gisl“ Lyner (auch Liner; 1895-1962) höchst wertvolle Quellen, schreibt sie doch meist ausführlich über das, was in den Briefen Kischs selbst zu kurz kommt. Die vorliegenden vier Briefe sind, wie die meisten in diesem Nachlass, unveröffentlicht. 1) Wien, 29. September 1930. Eigenhändig 3 S. „Liebe Jarmila, aus Franzensbad konnte ich erst Dienstag wegfahren ... Aus Berlin weiss ich sonst nichts, von Egonek habe ich seit mehr als 14 Tagen keine Nachricht“. 2) Kurhaus Westminster, 17. September 1930. Eigenhändig 2 1/2 Seiten. „Egonek schrieb, Du fährst am Mittwoch (vorigen) nach Prag ... hast Du mit Pokrok noch so viel Ärger wie zu Kaplickýs Zeit? ... Was hast Du zu unserem Erfolg gesagt? Daß wir in Berlin die stärksten sein werden, haben wir, glaub ich, selbst nicht gehofft...“. 3) Berlin, 2. November 1930. „Zuerst, nach meiner Rückkehr, mussten wir das Stück noch einmal durcharbeiten (Lanna 8) ... Ausserdem hiess es vor 14 Tagen, dass Egonek nach Russland fahren soll, und er wollte mich mitnehmen. Kannst Dir denken, wie ich mich darauf gefreut habe. Plötzlich erklärte das ZK, er soll nicht nach Russland, sondern nach Wien, zu den Wahlen ... In der Tvorba, die Du geschickt hast, ist der Falkenau-Artikel vom Nečas!“
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ 4) Berlin, 16. April 1929. Berichtet von ihren Krankheiten „... Das alles wäre aber nicht so arg gewesen: das schlimmste war, dass ich vier Tage nichts sehen konnte ... Und gerade in dieser Zeit wollte der Reiss die endgültigen Korrekturen vom Pitaval, also musste ich sie ihm so geben und er wird sie selbst lesen ... Egoneks Adresse ist vorläufig: Charkow, Hotel Spartak. Heute habe ich wieder einen Brief von ihm, er ist schrecklich begeistert, und möchte am liebsten dort bleiben, und er schreibt dass die Stimmung drüben herrlich ist .. „. Egon Kisch war nach Moskau gereist, leider ohne Gisela Lyner. Sie berichtet ferner über Nico Rost: „Vom Rost hörte ich über die Lobbenberg, dass es ihm nicht sehr gut geht, aber jetzt ist endlich eine kleine Aussicht, dass er bei einer holländische Zeitung eine feste Stellung bekommen soll ...“ – Knicke, wenige Einrisse, Umschläge teils lädiert. Abbildung Seite 53
Äußerst selten: Bühnenmanuskript der absurden Komödie in Xerokopiedruck
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3050 Hašek, Jaroslav, und Egon Erwin Kisch. Die Reise um Europa in 365 Tagen. Eine groteske Begebenheit in 15 Bildern. 2 Bl., 196 S., 1 Bl. 19 x 16 cm. OBroschur (kleine Einrisse, Rücken mit schwarzem Leinenstreifen, abgegriffen) mit schwarzgedruckter Titelei. Berlin, Privatdruck im Arcadia-Verlag, 1930. 800 € Melzwig 355.1. – Bühnenmanuskript in Xerokopiedruck der absurden Komödie von Egon Erwin Kisch, zusammen verfasst mit dem tschechischen Schriftsteller Jaroslav Hašek (1883-1923), dem Autor des berühmten Werkes Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkriegs, das zwischen 1920 und 1923 erschienen war. Neben Paul Leppin, Rainer Maria Rilke, Max Brod und Franz Kafka hatte Egon Erwin Kisch auch Jaroslav Hašek in den künstlerisch-literarischen Kreisen Prags kennengelernt, wobei er sich gleichermaßen mit tschechischen wie mit deutschen Autoren befreundete. Im Zentrum standen dabei die Prager Cafés und Kneipen wie ‚Zum Weißen Hasen‘ oder das Nachtcafé ‚Montmartre‘, wo die künstlerische Bohème sich traf. Mit Hašek sollte ihn eine langjährige, fruchtbare Freundschaft verbinden. „Grundlage dieser Komödie bildet eine Reise, die Egon Erwin Kisch 1920 unternommen hatte. Mit einem Dampfer war er am 23. September 1920 in Prag aufgebrochen, um über Moldau und Elbe, dann über Nordsee, Rhein und Donau zu schiffen. Dabei machte er in einigen Städten Halt. Da es keine Genehmigung für eine Überführung mit der Eisenbahn gab, wurden aus den 350 km Wegstrecke ganze 2000 km bis Bratislava. Das Stück befasst sich mit merkwürdigen Gesetzen und einzigartigen Charakteren, die während der Reise auftauchen“ (VDB-TTX 13.07.21). Die „Reise um Europa“ wurde, lt. Hinweis auf dem Titel „Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Dieses Buch darf weder verkauft, noch verliehen, noch sonst irgendw ie weiter
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gegeben werden. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, vorbehalten. Dieses Buch darf zu Bühnenzwecken, Vorlesungen und Vereinsaufführungen nur benutzt werden, wenn vorher das Aufführungsrecht einschließlich des Materials von uns rechtmäßig erworben ist. Das Ausschreiben der Rollen ist nicht gestattet. Übertretungen dieser Bestimmungen verstößt gegen das Urheberrechtsgesetz. Wird das Stück nicht zur Aufführung angenommen, so ist das Buch umge hend zurückzusenden an: Arcadia-Verlag, Berlin“. – Überaus selten, da nur in kleinster Auflage im Fotokopieverfahren gedruckt. Ein einziges weiteres Exemplar konnten wir in der Bibliothek des Österreichischen Theatermuseums (Signatur: 799757-B) nachweisen. Papierbedingt unwesentlich gebräunt, Titel mit Widmung des Autors „Jarmila Haasová!“, Vortitel mit 7-zeiliger Widmung des Autors an dieselbe „Meiner lieben Jarmiláč zum Geburtstag mit herzlichen Wünschen herzlich gegeben. Der Egonek. Berlin, 11. Februar 1931“.
male Kapitalläsuren, leicht angestaubt) mit goldgeprägtem Titel auf dem Rücken und VDeckel. Berlin, Erich Reiss, 1930. 220 €
Abbildungen
Abbildung
Melzwig 356.1. – Erste Ausgabe der rund Reportagen, die der ‚rasenden Reporter‘ in Amerika schrieb - ein heute noch unübertroffenes Bild der amerikanischen Gesellschaft vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Band erschien schon im Herbst 1929, er wurde von dem Autor am 7. November seiner geschätzten Übersetzerin Jarmila Haasová „ohne Worte“ gewidmet auf dem Vortitel: „Jarmilinče beze slov. Egonek. 7./11. 1929; Berlín“. – Arbeitsexemplar der Übersetzerin mit Titeleintrag in blauer Tinte „Jarmila Haasová! 1929“ und zahlreichen Anmerkungen, darunter auch für die tschechische Ausgabe gestrichenen und mit Bleistift durchgekreuzten Passagen - ein höchst interessantes Dokument für die Übersetzungsgeschichte.
Höchst interessant für die Übersetzungsgeschichte der Werke Kischs
„Am 17. März 1930 in den Musiker=Sälen am Bülowplatz um 1/4 9 Uhr. Egonek“
3051 Kisch, Egon Erwin. Egon Erwin Kisch beehrt sich darzubieten: Paradies Amerika. 347 S., 2 Bl. 20,3 x 13,8 cm. Orangefarbenes Feinleinen (mini-
3052 Kisch, Egon Erwin. Egon Erwin Kisch beehrt sich darzubieten: Paradies Amerika. (17.-20. Tsd.). 347 S., 2 Bl. 20,3 x 13,8 cm. Hellblaues OLeinen 55
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Haupt, Kisch, S. 87ff. – Langer, inhaltsreicher Brief aus Sanary-sur-Mer, der schon ein beliebter Urlaubsort Intellektueller war, bevor er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein Zufluchtsort deutscher Emigranten wurde. Kisch schreibt seiner Freundin und Übersetzung Jarmila Haasová (1896-1990): „Lieber Jarmilatsch! Du wirst schon recht haben, wenn Du behauptest, dass wir Dir unseren Aufenthalt in grauen Farben geschildert haben. Aber das geschah natürlich, damit Du nicht allzusehr bedauerst, nicht hierherkommen zu können. Wir waren damals so ziemlich ohne Pfennig, und ohne rechte Hoffnung, welches zu bekommen. Jetzt hat sich die Sache so weit gebessert, dass ich ... doch noch drei bis vier Wochen wegbleiben kann.“ Er schreibt von Plänen, an die Riviera und nach Korsika zu fahren, die Übersetzung einer Sammlung seiner ausgewählten Werke ins Niederländische durch Nico Rost („Rost hat mir ein paar Ausschnitte geschickt, wie weit er mit der Übersetzung ist, weiß ich nicht“) und erwähnt Alfred Döblin (1878-1957) im Zusammenhang mit der Publikation des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Linkskurve sowie die Letem světem, eine eher progressive, jedoch nicht parteilich gebundene tschechische Bilderzeitschrift für Touristik und Fremdenwerbung, bei der Vincenz Nečas, der Ehemann Jarmilas zeitweise als Chefredakteur arbeitete:
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(Rücken etwas verblasst, leicht lichtrandig) mit schwarzgepr. Titel auf dem Rücken und VDeckel. Berlin, Universum-Bücherei für Alle, 1930. 160 € Universum-Bücherei Band LXXIV. Melzwig 356.2. – Kurz nach der Erstausgabe (Melzwig 356.1) erschienene Ausgabe, die im Rahmen der „Universum-Bücherei“ herausgebracht wurde (das Impressum verweist auf das Copyright „1929 by Erich Reiss Verlag“). – Titel mit 4-zeiliger Widmung des Autors: „1. Exemplar der Universum-Ausgabe. Am 17. März 1930 in den Musiker=Sälen am Bülowplatz um 1/4 9 Uhr. Egonek“, wo Kisch wohl eine Lesung mit Signierstunde abgehalten hatte. Im Block sehr sauber. Abbildung
„Döblin, der selber ein Quatschkopf ist“
3053 Kisch, Egon Erwin. Maschinenschriftlicher Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. X S. 28 x 22 cm. Sanarysur-Mer 14. Mai 1930 400 € 56
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„Besten Dank für den Artikel von Döblin, der selber ein Quatschkopf ist, und mutig gegen die Linkskurve. Gegen die Neue Rundschau oder das kleinste Blättchen von bürgerlicher Seite würde er sich nicht trauen, allerdings fände er auch kein Forum. Wenn mir jemand gesagt hätte, daß es sogar wegen einer Redakteursstelle bei Letem světem Intrigen und Zeitungsangriffe setzen kann, so hätte ich geantwortet, so schlimm sei die Krähwinkelei doch nicht. Aber ich sehe, daß sie noch schlimmer ist ... Wenn Kaplický wirklich wegen zu links herausgeschmissen werden sollte, wäre das schlimm, denn man weiß nicht, in welch reaktionärer Nachbarschaft man dann erschien...“ Der tschechische Verleger, Autor als Prosaist und epischer Dichter sowie historischer Romane Václav Kaplický (18951982) gehörte eher zu den gemäßigten Linken. Er wurde aber als Sozialist und Gründer der Zeitschrift Pokrok (Der Fortschritt) angefeindet. „Gretl Ettlinger hat mir schon geschrieben, sie möchte Empfehlungen an Upton Sinclair und Charly [sic] Chaplin. Na ja, das ist nicht so einfach. Wie wenn man von Deinem Vater eine Empfehlung an Masaryk verlangen möchte ...“ – Mit kraftvollem Farbband getippt von Gisela Lyner und mit einigen kleinen Korrekturen Kischs. Unten noch ein
Nachsatz, unterschrieben „Gisl“: „Aber dass Du glauben konntest, wir wollten Dich nicht hier haben!!! Wir waren in keiner sehr rosigen Stimmung, weil wir so in der Luft schwebten ... also wünsche ich Dir, dass bald wieder gute Zeiten kommen ... Deine Gisl“. Abbildung
„Ich habe weder Nachrichten noch Zeitungen, weiß also nicht, was in Berlin, Moskau und Prag passiert.“
3054 Kisch, Egon Erwin. 5 eigenhändige Postkarten an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“ und teils längeren Beischriften auf Deutsch von „Gils“. Jeweils 9 x 14 cm. Lyon, Sanary, Evisa und Nizza 1930. 360 € 1) Lyon, 11. April 1930. Auf einer Bildpostkarte mit „Lyon Artistique - Place Carnot, vue de la Gare de Perrache“ an Jarmila in Berlin, die bei dem mit Kisch befreundeten Journalisten Joseph Bornstein in der Budapester Straße 16 57
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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logierte: „Ich bin nicht in Berlin, und ich habe keine Ahnung, was dort vor sich geht. Wir fahren heute nach Sanary (Abt. Var)“. 2) Sanary-sur-Mer, 16. April 1930. Auf einer Panoramaansicht des französischen Badeorts: „Lieber Jarmilatsch, wir sind seit 14 Tagen unterwegs, und ich habe weder Nachrichten noch Zeitungen, weiß also nicht, was in Berlin, Moskau und Prag passiert. Hier gibt es ein wunderschönes Meer ...“ Er unterschreibt mit: „Tvůj starý Egonek“ („Dein alter Egonek“). Auf der Textseite dann ausführlich von Gisela Lyner auf Deutsch: „Liebste Jarmila, Neuigkeiten von hier kann ich Dir nicht berichten, weil wir mit keinem Menschen seit Lyon gesprochen haben. Aber gestern hatten wir einen Berliner Bekannten (Zeitz von B. T.) aus dem Autobus erkannt und später getroffen. Komfort im Hotel ist ungefähr wie in der Teufelsmühle. Aber trotzdem ist es hier sehr, sehr schön. Viele allerherzlichste Grüße von Deiner Gisl“. Gemeint ist das Berliner Tageblatt (BT), eines der wichtigen Organe des Deutschen Reiches mit überregionaler Berichterstattung, das zwischen 1872 und 1939 existierte. 3) Evisa, Korsika, 30. Mai 1930. Mit Ansicht des korsischen Bergdorfs Evisa. Kisch schreibt, er sei mit Gisl komplett von der Welt abgeschnitten: „Lieber Jarmilatsch, ich weiß nicht, wo ich stehe, denn ich bin eine Woche lang nicht erreichbar gewesen ... Ich hinterlasse die Adresse in Nizza, ‚poste restante‘“. Mit hs. Gruß von Gisl. 4) Nizza, 14. Juni 1930. Fotopostkarte „Nice, Vue sur la Baie des Anges“. „Lieber Jarmilatsch, Ich habe gerade nach langer Zeit Post von Dir bekommen ... aber ich bin mir sicher, dass es nichts ausmacht, wenn ich die ‚Lamm‘ [‚Laun‘?]-Sache mache. Ich werde Dir sofort schreiben, und wenn ich das tue, wäre es eine großartige Sache, wenn wir den Sommer wieder zusammen verbringen könnten ...“ 5) Lyon, 25. Juni 1930. Mit Ansicht der „Pont de la Boucle et Vue sur le Parc“. „Milej Jarmiláčku, jistě jseš již v Berlíně a my se brzy nvidíme“ - „Lieber Jarmiláček, du bist sicher schon in Berlin, und so können wir uns bald wiedersehen ... Küsse Egonek.“ Und verso von Gisela Lyner: „Liebste Jarmi la, wir müssen doch nach Berlin zurück, Franz H[oellering] hat uns bis jetzt im Stich gelassen. Wir unterbrechen nur einen Tag in Paris, da Egonek eine Sache recherchieren muss. Schade, ich hatte mich auf einen längeren Aufenthalt in Paris gefreut. Aus Berlin schreibe ich gleich. Allerherzlicht Dein Gisl“. – Postalisch gelaufen, wenige Gebrauchsspuren, mit Stempeln und Marken. Abbildung Seite 57
„Schreib das auf, Kisch, daß du der Jarmilka dieses Buch in Herzlichkeit überreicht hast!“
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3055 Kisch, Egon Erwin. „Schreib das auf, Kisch!“ Das Kriegstagebuch. 293 S., 1 Bl. 20,2 x 13,8 cm. Dunkelblaues OLeinen mit schwarzem Titeldruck auf Rücken und VDeckel (Entwurf von Georg Salter). Berlin, Erich Reiss, 1930. 180 €
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Melzwig 345.2. – Erste Ausgabe unter diesem Titel. Die Reportagen waren 1922 unter dem Titel ‚Soldat im Prager Korps‘ bei André in Leipzig und Prag erschienen. – Buchblock minimal verschoben, mit wenigen Bleistift-Anmerkungen der Übersetzerin Jarmila Haasová, der Kisch das Buch auf dem Titel widmete: „Schreib das auf, Kisch, daß du der Jarmilka dieses Buch in Herzlichkeit überreicht hast! Egonek. Berlin, 9./9.(1930)“. Abbildungen
Die Hand, die das alles aufschrieb
3056 Kisch, Egon Erwin. - Blažek, Václav. Gipsabguss seiner rechten Hand mit Federhalter. Ca. 11,3 x 19 x 12 cm. Montiert auf massive Eichenholzblockplinthe. 15 x 12 x 7 cm. Prag April 1948. 1.200 € „Schreib das auf Kisch“ drängten ihn Kollegen und Freunde immer wieder, das Zitat wurde zu einem Titel des Kriegstagebuchs von Egon Erwin Kisch. Ebenso wie der Titel eines anderen Buches Der rasende Reporter zum Synonym für seinen Autor wurde. Neben seiner Totenmaske, die der Künstler Václav Blažek abgenommen hatte, machte dieser auch einen Abdruck der Schreiberhand des Egon Erwin Kisch, der am 31. April
1948 in Prag gestorben war. Daraus modellierte der Künstler die vorliegende Handskulptur und einen Stift nach dem Füllfederhalter des so überaus produktiven Reporters, Journalisten und begabten Schriftstellers. Die bemerkenswert kleine, feingliedrige und doch kraftvolle Hand hält den Stift konzentriert zwischen Daumen und Zeigefinger, die Oberfläche gibt das Relief der Haut erstaunlich detailliert wieder. Begraben ist er auf dem Vinohradský hřbitov, dem Friedhof Vinohrady im gleichnamigen Stadtteil in Prag, wo sich der Lebenskreis des Egon Erwin Kisch schließt. Sein Gedächtnis bewahrten seine beiden Frauen, Gisela Lyner (1895-1962) und Jarmila Haasová (1896-1990), die beide sein unstetes Leben über Jahrzehnte und durch die schwersten Zeiten des 20. Jahrhunderts begleitet hatten und die einen nicht zu unterschätzenden Teil seiner Arbeit mittrugen und ohne die es sicherlich nicht ein so gewaltiges großes Œuvre von Reportagen hätte geben können, die seinerzeit so populär waren, dass ihre Auflagen allein in Deutschland in die Zigtausende gingen - und die heute zumeist noch so aktuell anmuten, dass das Lesen zu einer einzigen Freude wird. – Leichte Staubpatina, wenige Fleckchen, von hervorragender Gesamterhaltung. Der Füllfederhalter ist lose eingesteckt. Die Blockplinthe mit kleiner Ergänzung einer wohl einstmals ausgesägten Stelle. Abbildung
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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„Hallo Jarmila, Wie geht es dir?“
3057 Kisch, Egon Erwin. Der rasende Reporter. 380 S., 2 Bl. 18,5 x 12,2 cm. Beigefarbenes OLeinen mit schwarzgeprägtem Rücken- und VDeckeltitel, dunkelbrauner Kopfschnitt mit zweifarbig illustriertem OSchutzumschlag (dieser mit wenigen Einrissen, etwas angestaubt). Berlin, Sieben-Stäbe-Verlag, 1930. 360 € Bücher der Epoche. Melzwig 347.2. – Erste Ausgabe der „Neuausgabe“, die der Sieben-Stäbe-Verlag 1930 im 16.-35. Tausend herausbrachte. Sie enthält alle Reportagen sowie das Vorwort. Den Einband und den Schutzumschlag gestaltete Paul Pfund unter Verwendung einer Fotografie die aus einer Montage zweier Globensphären und einem Porträt des Autors am Telefon zusammengestellt wurde. Auch visuell wird damit erstmals der Autor mit seinem Romantitel gleichgestellt: Egon Kisch als „rasender Reporter“. – Schönes Exemplar mit Widmung auf dem Vortitel: „Jarmilininče! Egonek. 1931“. Ferner signierte Kisch auch den Umschlag auf dem Vorderdeckel unter seinem Porträt: „Halloh! Jarmila? Jak se máš?“ („Hallo Jarmila, Wie geht es dir?“). Abbildung
Moskau – Charkow – Shanghai – Peking – Kyoto
3058 Kisch, Egon Erwin. 6 eigenhändige Postkarten an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“, „Tvůj Egonek“ etc. Jeweils 9 x 14 cm. Russland (Sowjetunion), China und Japan 1930-1932. 480 € Postkarten der großen Asienreise Egon Erwin Kischs, die ihn über Russland bis nach China und Japan führt. Frucht dieser Reise war der letzte große Reportageband, der in Deutschland noch vor der Herrschaft der Nationalsozialisten erscheinen konnte: China geheim (Berlin, Erich Reiss, 1933). In China hatte Kisch 1932 vom Bürgerkrieg und der Mandschurei-Krise berichtet. 1) Moskau, 3. November 1930. Ein Gruß aus Moskau: „Liebe Jarmiláčko, also bin ich nun hier, es ist heiß und ich denke an dich. Und ich danke Dir. Küsse Dich Egonek“. 60
2) Charkow, 13. November 1930. Auf einer Ansichtskarte nach einem Foto Kischkasky-Brücke über die Dnejpr, aus Charkow (das heutige Charkiw), die nach Kiew zweitgrößte Stadt der Ukraine. Mit Grüßen und Unterschriften auch von Freunden Kischs. 3) Moskau, 15. März 1931. Ansicht des Swerdloff-Platzes mit dem Bolschoi-Theater, dort Beischrift von Gisela Lyner: „Liebste Jarmila, leider liege ich im Bett mit Fieber und Schnupfen, bin aber glücklich, hier zu sein. Kriegst bald einen Brief. Herzlichst Gisl“. Kisch schreibt von seinen Kontakten zu den Freunden, die er in Moskau trifft, darunter Hilde Jennings, Otto Katz und viele mehr. 4) Shanghai, 22. Mai 1932. Von Kischs legendärer Asienreise, die in bis nach China und Japan führte, schreibt er Jarmila einen herzlichen Gruß auf einer Fotopostkarte „Nanking Road. Shanghai“. 5) Peking, 9. Juli 1932. Lieber Jarmiláček, ich reise heute nach Japan und denke von ganzem Herzen an dich. Dein alter Egonek“. Eindrucksvolle Fotopostkarte des Eingangs der „Forbidden City“. 6) Kyoto, 23. Juli 1932. Ein Gruß aus Japan „von Deinem alten Egonek“, die Kisch „Via Siberia, Europa, Czechoslova kia, Praha-Prague“ adressierte. Dargestellt ist eine traditionelle japanische Familie der Meiji-Zeit, wie sie als Fotomotiv auch noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts nachgestellt wurden. – Postalisch gelaufen, mit geringen Gebrauchs spuren. Abbildungen
„Paradies Amerika – Dein Meisterstück“
3059 Kisch, Egon Erwin. Maschinenschriftlicher Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“. X S. 28 x 22 cm. Mit beiliegendem masch. Kuvert. Berlin, 3. Januar 1931. 420 € Haupt, Kisch, S. 89f. – Über seinen Roman Paradies Amerika, der 1929 bei Erich Reiss erschienen war und den Jarmila ins Tschechische übersetzte: „Aber noch viel herzlicher muß ich Dir dafür danken, wie Du die Übersetzung von Paradies Amerika durchgeführt hast. Ich habe es von A-Z gelesen, es ist Dein Meisterstück, und eine tierische Arbeit steckt darin. In den ganzen 326 Seiten ist kein einziger
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová Fehler ... Ich habe bis heute schon 10 Briefe über die tschechische Ausgabe von Par. Amerika bekommen, worin die Leute sich begeistert darüber aussprechen. Auffallend ist mir, daß fast alle schreiben, sie hätten das Buch nur zufällig gekauft, und zwei betonen sogar, daß die Reklame dafür viel zu gering ist. Ich glaube, daß bei guter Insertion spielend 20 000 Bände anzubringen wäre“. Er nennt ferner zahlreiche seiner Reportagen, die für die tschechische Ausgabe seines Kriminalistisches Reisebuchs (Berlin, Die Schmiede, 1927) vorgesehen waren „... Solltest Du im Rußlandbuch etwas für das Krim. Reiseb. zurückgelassen haben, so kommt es hinein. Man könnte in das Buch auch den ganzen Redl hineingeben, der jetzt in einer gekürzten Fassung im Prager Pitaval sein wird. Da nämlich das tschechische Buch gleichzeitig mit dem Redl-Film erscheinen wird, könnte das den Absatz sehr steigern, und Dir bleibt für den Prager Pitaval noch mehr als genug. Sollte das Buch immer noch zu klein sein, so habe ich noch einige hübsche Sachen aus Lyon ...“. – Mit einigen hs. Korrekturen und Unterstreichungen sowie längerer Beischrift von Gisela Lyner und 10-zeiliger eigenhändiger Beischrift des niederländischen Journalisten und Antifaschisten Nico Rost (1896-1967) – Dazu ein weiterer Brief über dieselbe Thematik: Egon Erwin Kisch. Maschinenschriftlicher Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“. 1 S. 28 x 22 cm. Berlin, 7. Januar 1931. - Interessanter Brief über die Zusammenstellung seiner Reportagen als
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Kriminalistische Reisebuch. „Das Krim. Reisebuch habe ich aus dem Stegreif und eilig zusammengestellt. Einige Sachen hatte ich vergessen, wie z. Beispiel ‚Die Kasbah von Algier‘ und ‚Streifzug durch das dunkle London‘ ... Dein Vorschlag, das Redl-Drama ins Krim. Reisebuch zu nehmen ... ist mir sehr angenehm. Ich wollte das schon in der deutschen Ausgabe machen, aber Reiss war dagegen...“ Abbildung
„Wer weiß, ob es in Deutschland überhaupt noch erscheinen kann!“
3060 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Dein alter Egonek“. 2 S. 28,5 x 22 cm. Moskau, 30. Januar 1931. 400 €
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Haupt, Kisch, S. 97ff. – Das Jahr 1931 steht für Egon Erwin Kisch ganz im Zeichen seiner Besuche in der Sowjetunion. Zunächst weilt er mit Gisela Lyner in Moskau. Im Sommer unternimmt er eine lange Reportagereise mit Journalisten61
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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feln lässt: „Mein Buch ist leider erst zur Hälfte fertig, es arbeitet sich zu schwer im Rummel. Aber wer weiß, ob es in Deutschland überhaupt noch erscheinen kann! Nu, čert vezmi! [Dann zum Teufel!]“ – Wohlerhalten in flüchtigem Duktus und mit wenigen tschechischen Einsprengseln. Unten eine 5-zeilige Beischrift von Gisela Lyner. - Sehr schöner, langer Brief. Abbildungen
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und Schriftsteller-Kollegen durch die sowjetischen Gebiete Mittelasiens und verbringt bis 15. September Zeit in einem Sanatorium in Gorki bei Moskau. Ende Januar schreibt er aus Moskau: „Liebster Jarmilatschek, Deinen Brief erhielt ich gestern mit einer Kaschauer Postkarte von Nico [Rost] ... Besten Dank für die Prozeßberichte. Ich kannte nur die aus dem Prager Tagbl. und die Vejvara-Berichte in Nár. Pol. und Nár. Listy. Wenn ich den Prozeß verliere, werde ich tüchtig zahlen müssen! Auch das noch!“ Gemeint sind die tschechischen Zeitungen Prager Tagblatt, die konservativnationale Národní politika sowie die Národní listy, die führende liberale Tageszeitung, das Organ der Nationaldemokratischen Partei Tschechiens. „Ich bekomme durchschnittlichen fünf Briefe am Tag, wo mir die fremdesten und befreundeten Leute schreiben, daß sie hierher möchten, Regisseure, Journalisten, Kaufleute, Schriftsteller, Ärzte, Maler etc. etc. Ich kann natürlich niemandem Wohnung verschaffen, das ist das. Zum Beispiel dem Peter Rosenbaum dem Bildhauer, möchte ich so gerne helfen, aber wie? Sind die Artikel über Lenins Sterbehaus und die Frau an der Seidenfront schon erschienen?“ Interessant ist die Vorahnung der sich in Deutschland immer weiter zuspitzenden politischen Lage, die viele Intellektuelle in die UdSSR trieb und Kisch an der weiteren Möglichkeit, im deutschen Reich publizieren zu können zwei62
„Jarmilininče, damit du Liebste wieder Arbeit hast, jedoch warmherzige! Dein Egonek“
3061 Kisch, Egon Erwin. Prager Pitaval. 342 S., 1 Bl. 20,4 x 13,3 cm. Rotbraunes OLeinen (kaum fleckig) mit schwarzgepr. Rücken- und VDeckel titel. Berlin, Erich Reiss, 1931. 250 € Melzwig 357.1. – Erste Ausgabe der Kriminalgeschichten aus dem Milieu der Prager Halb- und Unterwelt, in die sich der Autor mehrfach klandestin begeben hatte: Zu Besuch bei Sträflingen, Der Mordversuch und der Mord an Eduard Kisch, Eines trinkfesten Herzogs drei Prozesse, Gaunerzunft, Zwei Kavaliere exzedieren, Allfällige Gedanken des abgesägten Staatsministers, Der Fall des Generalstabschefs Redl, Folgendermaßen erzählt ein Mime sein Delikt, Der kabbalistische Erzschelm, Käsebier und Fridericus Rex, Die Mördergrube von Maria-Kulm und vieles mehr. – Exemplar der Übersetzerin Jarmila Haasová, aus der diese die tschechische Fassung erstellte, mit einigen ihrer Anmerkungen in Blei- und rotem Buntstift. Kisch widmete ihr das Exemplar „Jarmilinice, aby měla zase dřinu ale srdeenĕ a vřele! Její Egonek. V Berlíně, 23./2./1931“ („Jar milininče, damit du Liebste wieder Arbeit hast, jedoch warmherzige! Dein Egonek“). – Beiliegt der lädierte Vorderdeckel des OUmschlags sowie ein Blatt mit 15-zeiligen eigenhändigen Notizen in Blei, die sich Jarmila zur Übersetzung über „François Gayot de Pitaval...“ machte (in tschechischer Sprache). Abbildungen
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
„Ich liebe Dich – Dein treuer Egonek“
3062 Kisch, Egon Erwin, und Gisela Lyner. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ auf einem ausführlichen maschinenschriftlichen Brief mit Unterschrift von Gisela Lyner. Zus. 2 S. 28 x 22 cm. Moskau 18. März 1931. 200 € Haupt, Kisch, S. 99f. – Gisela Lyner berichtet über Russland und Moskau, wo das Paar im „Hotel Europa“ logieren: „Liebe Jarmila, Moskau ist ganz anders, als ich mir vorgestellt habe. Erstens ist es hier überhaupt nicht kalt. Ich habe nicht um ein Stückchen mehr an als in Berlin ... Die Leute sind hier gut angezogen, zu essen gibt‘s auch reichlich, und das einzige, was sehr schwierig ist, ist die Wohnungsfrage. Ein Zimmer zu bekommen, ist eine Staatsangelegenheit, und wenn wir nicht fast die allerhöchste Protektion gehabt hätten, hätten wir auch heute noch keines. Man sitzt hier sehr viel bei Leuten, weil es doch keine Cafés gibt ... Auch sonst habe ich schon massenhaft Genossen getroffen, heute waren wir beim Fedja...“ Und Kisch setzt hinzu: „Auf Schritt und Tritt Bekannte, sogar die Kohnová ‚eroberte den Raum‘ ... Ich fühle mich schrecklich glücklich! Hoffentlich bist Du auch bald da!! [und tschechisch] Ich liebe Dich Dein treuer Egonek“. – Sauber. 3061
„Ich habe 7 Stunden lang am Roten Platz vor dem Mikrophon gestanden.“
3063 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ 2 S. 28,5 x 22 cm. Moskau 2. Mai 1931. 380 € Haupt, Kisch, S. 99ff. – Dicht geschriebener, sehr langer eigenhändiger Brief aus Moskau in deutscher Sprache. „Vorgestern war 1. Mai. Ich habe 7 Stunden lang am Roten Platz vor dem Mikrophon gestanden, und habe mit 1 Franzosen und 1 Engländer den Rundfunkhörern die Truppenparade und die Arbeiterdemonstrationen beschrieben. In der Nacht hielt ich noch ein einstündiges Schlußreferat vor dem Radio ... Gut wäre, wenn Du in den tschechischen Bund für proletarische Literatur eintreten könntest – oder – wenn Du es für besser hälst - in den Berliner.“ Er erwähnt Goodway, May, Elli Eisler, Zápotocký, Otto Katz, Piscator, Becher ... „Moskau ist viel besser, als es vor 4 Monaten (bei meiner Fahrt nach Charkow) war, es gibt keine Spur von Hunger, man baut viel und die geistige Situation der Massen ist: Begeisterung. Ich muß sehr viel für die Zeitungen schreiben (Begrüßungsartikel für den Pressetag, für den 1. Mai etc. - dem entgeht man nicht) und sehr viel öffentlich sprechen über Reportage, proletarische Literatur u. dgl. ... Aber das ist nun vorbei, und ich fahre aus Moskau weg, um mir die übrige Sowjetunion anzusehen und Zeit zum
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Schreiben zu finden.“ – Beiliegt ein Brief von Gisela Lyner. 2 S. Ohne Datum (Moskau 3. Mai 1931). „Der schönste Tag, seit ich in Moskau bin, war Egoneks Geburtstag, weil da Dein Telegramm kam ... der Betrieb hier im Hotel ist noch grösser als in der Güntzelstrasse, es vergehen keine ruhigen zehn Minuten, ununterbrochen klingelt das Telefon und kommen Genossen, die wollen, dass der Egonek entweder etwas schreiben [soll], oder reden oder vorlesen oder alles zusammen. Und dann sind massenhaft Bekannte aus Deutschland, Tschechoslowakei und Oesterreich hier und die russischen neuen Bekannten kommen dazu ... “. Abbildung
„Keine Karten, keine Briefmarken, keine Briefkästen, nur Berge, Wildnis“
3064 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ 4. S. 28 x 22,5 cm. „Im Zug von Samarkand nach Chudschand, 24. Juli 1931. 500 € 3063
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Haupt, Kisch, S. 105ff. – Zusammen mit Gisela Lyner fuhr Egon Erwin Kisch im Rahmen seiner Reisen durch die Sowjetrepubliken im Juli von Samarkand in Usbekistan nach Chudschand in Tadschikistan und berichtet ausführlich seiner Freundin Jarmila Haasová von den Erlebnissen: „Liebster Jarmilatsch, seit vielen Wochen bin ich von jeder Post abgeschnitten gewesen, nicht nur daß ich seit 2 Monaten keine Post bekam, sondern man konnte auch nicht schreiben, keine Karten, keine Briefmarken, keine Briefkästen, nur Berge, Wildnis, - sogar im Dschungel war ich, in Afghanistan, auf Pferden und Kamelen. Zweimal hatte ich Gelegenheit, Leuten, die nach Taschkent flogen, ein kurzes Telegramm mitzugeben, das schicke ich nach Hause... Was mich anbelangt, so habe ich wahnsinnig viel gesehen. Erstaunliches und Wunderbares, Neuartiges und Großartiges, Orient und Kommunismus, Pamier und Industrialisierung ... ja, ich konnte nicht einmal meine Eindrücke im Gehirn ordnen, eine Impression verdrängt die andere, und so bin ich weder innerlich befriedigt, noch glaube ich, imstande zu sein, ein so interessantes Buch über Asien zu schreiben, wie es dem Erlebten entsprechen würde. Von Reiss [seinem Berliner Verleger Erich Reiss], dem ich ein Buch für Weihnachten versprach (über Europa), habe ich natürlich keine Nachricht ... “. – Brief mit Bleistift geschrieben. – Beiliegt ein eigenhändiger Brief von Gisela Lyner mit ergänzenden Informationen an dieselbe. 2 S. Ohne Datum (wohl ebenfalls 24. Juli 1931): „Wir waren in Tadschikistan, das ist die 7. und jüngste Sowjetrepublik, erst seit 1929; vorher war es ‚autonome Republik‘ innerhalb Usbe kistans. Jetzt sind wir auf dem Weg nach Chudschand, das ist eine Industriestadt, und von dort fahren wir nach Taschkent. Mit allen Verkehrsmitteln, die es gibt, sind wir gefahren, über Flüsse mit Brettern, die auf einem Seil hängen, etc. etc. ... [wir sind] als Brigade gefahren ... mit
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
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fünf anderen Schriftstellern: Vaillant-Couturier aus Frankreich, Otto Luin aus Norwegen, J. Kunitz und Louis Lozowick aus Amerika (von New Masses) und Bruno Jasieñski aus Polen (Autor von Pest über Paris). Aus Deutschland wissen wir gar nichts, wir haben wochenlang keine Zeitung gesehen, nur vorgestern in Buchara aus einer russischen Zeitung erfahren, daß in Berlin große Dinge vorgehen. Krach der Danat-Bank, etc.“ Abbildung
Aus Gorki und Moskau: „Vom Westen hören wir wenig.“
3065 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ 1 S. 28 x 22,5 cm. Gorki, 8. September 1931. 240 € Haupt, Kisch, S.107ff. – Bestürztes Antwortschreiben auf die Schilderung der kranken Jarmila mit einem gleichzei-
tigen Brief von Gisela Lyner aus Moskau. Kisch schreibt: „Liebstes Jarmiláčku, ich kann Dir gar nichts schreiben. Dein Brief sagt wieder so Trauriges aus, daß ich im Nu in die Stimmung gekommen bin, in die mich vor 4 Monaten Deine Briefe und Telegramme versetzt haben. Jarmiláčku, Jarmiláčku, was machst Du nur für Sachen. Aber ich hoffe diesmal doch, daß alles gut gehen muß. Ich habe Dir einen großen Brief aus dem Eisenbahnzug geschrieben, auf der Fahrt von Tadschikistan ...“ Kisch befand sich mit Lyner zur Erholung in einem Sanatorium in Gorki bei Moskau. „Am 15. läuft mein Sanatoriumsplatz ab, ich möchte ihn gerne verlängert haben ... ich soll schon am Anfang November Manuskript an Reiss liefern, und es ist nichts druckfertig“. Der Brief der Gisela Lyner vom 8. September 1931 aus Moskau, Neglinnaja, Hotel Europa: „Wir sind noch immer hier und arbeiten an dem Buch über Tadschikistan, aber es geht sehr langsam. Allerdings will der Reiss das Manuskript am 4. November schon haben ... Von Westen hören wir wenig ...“. – Beiliegt ein weiterer, ausführlicher masch. Brief Lyners ohne Unterschrift, Moskau 28. April 1932. Abbildung
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ gründlich verändert. Verso 6-zeilig eigenhändig von Kisch: „So sehe ich aus im Tropischen Bergland, Grenze Sowjetunion-Indien-China, und grüße den Jarmilač. Egonek. 1931.“ (Haupt S. 138) 5) Kisch als Soldat der Internationalen Brigaden in Spanien, mit Gewehr, wohl in Madrid (um 1937). - Ggf. unveröffentlicht, nicht bei Haupt. 6) Kisch mit einem Freund (um 1940, wohl unveröffentlicht; nicht bei Haupt). 7) Kisch vermutlich nach der Heimkehr aus dem Exil (um 1945) (S. 20). – Meist sehr gut erhalten. Abbildungen
Egon in Nanking und Gisl mit Clara Zetkin in Moskau
3067 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache mit Unterschrift „Egonek“ 2 S. 27,5 x 21 cm. Mit eigenh. adressiertem Umschlag. Nanking, 4. Juni 1932. 320 €
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„So sehe ich aus im Tropischen Bergland, Grenze Sowjetunion-Indien-China.“
3066 Kisch, Egon Erwin. 7 Fotografien in originalen Abzügen aus dem Nachlass der Jarmila Haasová, davon ein Porträt Kischs mit eigenhändigem Gruß. Ca. 1925-1945. 400 € Immer wieder geht es in der Korrespondenz, die Kisch über Jahre mit seiner Freundin und der Übersetzerin seiner Werke, Jarmila Haasová führte auch um Fotografien, die diese ihn zu schicken bat, um sie dann in verschiedenen Veröffentlichungen in tschechischen Blättern abdrucken zu können - oder als Erinnerung an ihren Freund zu erhalten. Haasová bewahrte diese Fotos, die in ihren Nachlass übergingen und zu den charakteristischsten des Journal isten gehören (veröffentlicht bei Haupt, Kisch, passim). Vorhanden sind (Titel zitiert nach Haupt, soweit dort abgebildet): 1) Jarmila Haasová, In der Sommerfrische mit ihrer Freundin Gisela Lyner, Neu-Strehlitz 1925 (Haupt S. 33). 2) Jarmila Haasová in Saarow-Pieskow am Scharmützelsee. (Haupt S. 34). 3) Kisch kostümiert als Derwisch, Anfang 1927 in Algerien während der Dreharbeiten zu dem Ufa-Film Die Frauengasse von Algier (Haupt S. 136). 4) Foto-Gruß für Jarmila von der Reise durch Sowjet-Mittel asien für die Recherchen zu dem Reportage-Buch Asien 66
Haupt, Kisch, S. 110f. – Egon Erwin Kischs große Asienreise fand ihren Höhepunkt in China, hier schreibt er Jarmila nach Prag aus dem „Yangtse Hotel, Nanking, China“. Er verarbeitete seine Erlebnisse in seinem Buch China Geheim. „Es kam im Dezember 1932 im Erich Reiss Verlag, Berlin, heraus und war das letzte Buch von Kisch, das vor der faschistischen Machtübernahme in Deutschland erschien. Kisch war im März 1932 von Moskau mit der transsibirischen Eisenbahn nach China gereist und hatte in Tschita, der damaligen Grenzstation zur Mandschurei, Zwischenstation eingelegt. Dort mußte er sich im chinesischen Konsulat das Visum beschaffen. In China besuchte er Schanghai, Peking und Nanking. Die Heimreise trat er über Japan an und besuchte Kyoto“ (Haupt S. 282). Er schreibt: „Liebe Jarmiliáči ... Immer habe ich herzlich an Dich gedacht, aber schreiben konnte ich fast überhaupt nicht, Du kannst Dir denken, daß meine ganze Situation in Schanghai nicht sehr gemütlich war ... Schade, daß ich die Reisebeschreibung von der Krim nicht so bald sehen und nichts davon hören kann, wie die Landsleute das aufgenommen haben. Was willst Du zu Weihnachten herausgeben? Asien gründlich verändert habe ich auch noch nicht gesehen. Man ist in Nanking doch ziemlich weit weg ... Ich würde am liebsten ein Jahr hierbleiben, aber das ist absolut unmöglich. Pläne, wohin ich fahren werde, habe ich noch nicht, aber ich hoffe, daß wir uns bald und gesund wiedersehen“. – Auf etwas bräunlichem Papier, mit etwas Tintendurchschlag. Der hübsche Umschlag virtuos beschriftet und mit sieben farbigen Briefmarken. – Beiliegt der ausführliche masch. Brief Gisela Lyners vom (Moskau) 23. Mai 1932, mit Unterschrift in Bleistift „Gisl“. Interessant berichtet sie ihrer Freundin über Egon Erwin Kisch, der allein in China weilt: „Aus diesem Brief (vom 30. April) sehe ich, dass er noch immer in Schanghai ist. Er schreibt auch wieder, dass er unbedingt noch einiges andere sehen muss,
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aber noch nicht weiss, wann er wohin fährt. Und dann schreibt er noch, dass er furchtbar viel arbeitet, was ich ja auch allein sehe, denn er hat bis jetzt schon zehn Artikel geschrieben“. Sie würde gerne ihre kranke Freundin besuchen und pflegen, hat aber kein Geld dazu: „Und andererseits will die Clara Zetkin, dass ich hier mit ihr aufs Land fahre. Sie ist sehr schwach und kann nur ganz nach von Moskau sein ... Egoneks Tadschikistanbuch ist schon erschienen, es heisst Asien, gründlich verändert. Ich habe dem Reiss geschrieben, dass er mir mehrere Exemplare schicken soll ...“. Auf Luftpostpapier mit Typendurchschlag. Abbildung Seite 66
„Das war eine Reise. Voller Aufregungen und Sensationen.“
3068 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ 2 S. 28 x 22,5 cm. Moskau 10. August 1932. 280 € Haupt, Kisch, S. 113f. und 111ff. – „Liebster Jarmilatsch, melde Dir, daß ich wieder in Europa bin. Das war eine Reise. Voller 68
Aufregungen und Sensationen, ich bin ganz nervös zurückgekommen. Wochenlang hatte ich nicht geschlafen. Jetzt gehe ich in ein Sanatorium Marino bei Kursk, 10 Stunden von Moskau, aber auch dort darf ich mich nicht erholen, denn ich soll bis 1. Oktober ein großes China-Buch fertigmachen. In der Teufelsmühle habe ich das Amerika-Buch mit Mühe innerhalb 5 Monaten vollendet. Na, wir werden ja sehen!“ Er schreibt über seine Buchprojekte „Den Kriminalistický cestopis habe ich mir gleich angesehen, noch bevor ich die Post in die Hand nahm ... Das Titelblatt sieht sehr effektvoll aus ... Schick mir sofort Fragebogen wegen Prager Pitaval.“ Dann folgen konkrete Anleitungen zu den einzelnen Reportagen. – Mit einigen weiteren Sätzen am Rand, Durchstreichungen, Einfügungen, Korrekturen. – Dabei ein masch. Brief mit Unterschrift „Gisl“ von Gisela Lyner an dieselbe vom 25. Juni 1932, „Moskau Hotel Europa Neglinnaja“, in der sie vor allem über Kischs Buchprojekte schreibt: „Ja also, mit Eg. Artikeln ist das so: das Pr. Tagbl. hat einen Vertrag, daß sie die Sachen aus China zuerst bekommen müssen ... Bei der Tvorba mußt Du eben sagen, daß Du die alleinigen Übersetzerrechte ins Tschechische hast. Sie bekommen die Sachen, wenn sie auch direkt von hier sind, nur deutsch ... [Egon] schreibt auch, daß, wen Reiss das neue Buch erst nach Weihnachten herausbringen will, bleibt er noch längere Zeit weg. Nun hat Reiss ihm aber schon ein Telegramm geschickt, daß er das Buch unbedingt schon im Oktober herausbringen will...“.
„Ich muß unbedingt das China-Buch fertigmachen, 30 Kapitel, und habe erst drei!“
3069 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Dein alter Egonek“ 4 S. 21,5 x 14,6 cm. Mit eigenhändig beschrifteten Umschlag. Moskau, 21. August 1932. 300 €
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová Haupt, Kisch, S. 114ff. – Kisch berichtet von seiner Arbeit an seinem großen Reportageroman über seine Erlebnisse in der Volksrepublik China, der dann 1933 bei Erich Reiss in Berlin als letzte Veröffentlichung in Deutschland unter dem Titel China geheim erscheinen konnte. Er erwähnt die Übersetzung seiner Kriminalistický cestopis (Kriminalistisches Reisebuch. Berlin, Die Schmiede, 1927), an der Jarmila Haasová arbeitete. Dazu schickte sie Kisch einen Fragebogen, ein „fester Bestandteil im Briefwechsel zwischen Kisch und Jarmila. Sie notierte alles, was ihr in Kischs deutschen Texten für die Übertragung in das Tschechische unklar war oder korrekturbedürftig erschien (Wörter, Begriffe, Formulierungen, Tatsachen usw.), und Kisch beantwortete dann die Fragen Jarmilas“ (Haupt 115 Anm.). „Im Winter komme ich nach Prag, bestimmt, ich wollte unbedingt an Mutters 70. Geburtstag (9. Sept.) dort sein, aber ich muß bis 1. Okt. unbedingt das China-Buch fertigmachen, 30 Kapitel, und habe erst drei! Du kannst Dir denken, weil mich das ärgert, außerdem bin ich noch ganz kaputt von der Reise ... Es wäre viel zu schreiben, Jarmiláčku! Aber wo aufhören! Katz fährt heute nach Amsterdam, dort ist ein Kongreß gegen Imperialistische Kriege, Maxim Gorki, Romain Rolland, Barbusse, Radek, Dreiser etc. Katz wird dort das Presse-Bureau leiten“. Der mit Kisch befreundete Schriftsteller und Kommunist Otto Katz (1895-1952) war 1922 in die KPD eingetreten, machte sich in Berlin einen Namen als Kunst- und Theaterkritiker. Er leitete den Verlag der linksliberalen politischen Wochenschrift Das Tage-Buch und übernahm ab 1927 die Position des Verwaltungsdirektors an dem von Erwin Piscator geleiteten Theater am Nollendorfplatz. 1929 arbeite Katz für den Verleger Willi Münzenberg an der Arbeiter Illustrierten Zeitung und anderen Projekten. – Wenige Knicke.
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Durch die Sowjetunion Josef Stalins und durch die Provinzen Chinas, ausgestattet mit falschen Papieren
3070 Kisch, Egon Erwin. Egon Erwin Kisch berichtet: Asien gründlich verändert. 259 S., 2 Bl. Mit ganzseitiger Karte von A. Rado (in Pag.). 18,5 x 12,5 cm. Graubraunes grobes OSackleinen mit Rücken- und VDeckeltitel. Berlin, Erich Reiss, 1932. 300 € Melzwig 359.1. – Erste Ausgabe der Reportagen aus Asien mit der hübsch gezeichneten Reisekarte, die die einzelnen Länder und Landschaften zeigt: „Kasakstan, KisylkumWüste, Kara-Kalpaken-Gebiet, Usbekistan, Turkmenistan, Afghanistan, Hindukusch-Gebirge, Britisch Indien, Tad schikistan, Kirgisistan“ bis hin nach China. Zunehmend sammelte der Erich Reiss Verlag Reportagen aus dem großen Fundus des Autors, um sie dann unter speziellen Gesichtspunkten, Themen - oder eben Ländern oder Kontinenten
zusammenzufassen. So wiederholen sich zwar einzelne Reportagen, geben der inzwischen riesig großen Leserschaft aber die Möglichkeit, zusammen mit Kisch ein Gebiet kennenzulernen, in das die meisten Menschen damals keine Chance zu reisen hatten. – Annotiertes und durchgearbeitetes Exemplar der Übersetzerin Jarmila Haasová, die stellenweise eigenhändige Anmerkungen, Unterstreichungen (in Blei- und Rotstift) als Aides-mémoires eintrug. Auf dem Titel widmete ihr der Autor sein Buch: „Meinem lieben Jarmilač, anlässlich eines Wiedersehens nach anderthalb traurigen Jahren mit vielen guten Wünschen. Der Egonek. Prag, 11.9.32“. In den frühen dreißiger Jahren war Kisch fast zwei Jahre auf Reisen, in denen er seine Freundin nicht sehen konnte. Zunächst hatte er die Sowjetunion Josef Stalins und im Anschluss die von Chiang Kai-shek kontrollierten Provinzen Chinas bereist, ausgestattet mit gefälschten Papieren und Passierscheinen, die ihm auch schon 19281929 in Amerika (als Kommunist!) das freie Reisen ermöglicht hatten. Abbildung
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Er ist kein ‚sitzender‘ Schriftsteller, er gehört nicht zu dem verbreiteten Typus der Lieferanten westeuropäischer Verlagsanstalten, die die Fabellinie ihrer Romane von einem Salon zum andern führen und, wenn sie sozusagen sich zu irgend einem pathologischen Typus durchgerungen haben, ihn nicht mehr aus den Händen lassen, ehe sie seine seelischen Erlebnisse zumindest auf einigen hundert Seiten aufgewühlt und durchstochert haben. Die Überschriften der Erzählungen Egon Erwin Kisch‘s [sic] wimmeln von Städte- und Ländernamen. Er ist bestrebt, nur das zu erzählen, was er sieht, und er kämpft mit aller Leidenschaft darum, so viel wie möglich zu sehen“ (S. 3). – Papierbedingt etwas gebräunt, aber nur mit wenigen winzigen Randläsuren, überaus selten. Wohl nur in kleinster Auflage erschienen und heute fast nicht mehr nachweisbar (über den KVK ist lediglich ein Exemplar in Deutschland zu finden). Titel mit Widmung „Na Bajkale Pražským dne 10. března 1937 Jarmile dáno. Egonek“ („Gewidmet an Jarmila am Prager Baikalsee am 10. März 1937. Egonek.“). Abbildung
„Ich will den langweiligen Anfang des Stückes sensationell ändern, filmisch.“
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„Er ist bestrebt, nur das zu erzählen, was er sieht, und er kämpft mit aller Leidenschaft darum, so viel wie möglich zu sehen.“
3071 Kisch, Egon Erwin. Aus drei Weltteilen. 203 S., 1 Bl. 17,5 x 12,8 cm. Zweifarbig in Rot und Braun illustrierte OBroschur (kleine Rückenläsuren, etwas abgerieben, bestoßen, leicht staubig). CharkowKiew, Staatsverlag der nationalen Minderheiten beim Präsidium des WUZWK, 1932. 500 € Melzwig 358.1. – Erste Ausgabe dieser Zusammenstellung von Reportagen aus den Werken Unermüdlicher Reporter, Zaren, Popen, Bolschewiken, Schreib das auf, Kisch und Paradies Amerika, mit einem Vorwort von W. Furier eingeleitet: „Die neue Adresse Egon Erwin Kischs ist, wie es scheint, Pamir. Der unerschöpfliche Vorrat an Schriftstellerenergie, der Drang, alles mit eigenen Augen zu sehen, mußte ihn wohl leicht vom Platze reißen können, um ihn die höchsten und geheimnisvollen Höhen hinaufsteigen zu lassen, - doch ist es sehr möglich, daß Kisch sich jetzt eben irgendwo auf dem Wege nach Spanien befindet oder bereits in den sprudelnden Kessel der sich dort entfaltenden Kassenkämpfe gestürzt hat. 70
3072 Kisch, Egon Erwin. 4 eigenhändige Briefe an Jarmila Haasová in deutscher (3) und tschechischer (1) Sprache mit Unterschriften „Egonek“. Zus. 10 S. auf 7 Bl. Mit 4 eigenhändigen Kuverts. Moskau 1932. 800 € Haupt, Kisch, S. 116-118. – Moskau, 4. September 1932. 2 S. (28,5 x 22 cm) in Deutsch. „Liebste Jarmila, in größter Eile schicke ich Dir sofort die Fragebogen rekommandiert nach Prag zu, obwohl Du bei Absendung des Briefes meine letzte Antwort noch nicht in Händen hattest. Deshalb werde ich Dir telegrafieren, daß ich Dir den zweiten Fragebogen heute nach Prag schicke. Geheimnis: Wenn es halbwegs geht, will ich am 11. September am 70. Geburtstag meiner Mutter bei ihr sein, nur weiß ich noch nicht, ob sie in Prag oder in Spindelmühle [Špindlerův Mlýn im Riesengebirge] sein wird ... [ich] will außer der Mischpoche nur Dich, Vinček und Sinaiberger sehen. Erkundige Dich am 10. (nicht früher) bei Arnold oder Sinaiberger, wo die Mutter ist, schärfe aber Sin. streng ein, niemandem von meiner Ankunft zu sagen“. Moskau, 29. September 1932. 4 Karten (11,5 x 17,5 cm) in Deutsch. Dankt für ihren Brief, „für den Ausschnitt aus dem ‚R. P. Večerník‘ [Abendausgabe der kommunistischen Tageszeitung Rudé právo] und dafür, daß Du trotz allem Rummel nicht krank geworden bist“. Erwähnt seine Freunde und Kollegen, den tschechisch-jüdischen Journalisten Arne Laurin (Arnošt Lustig; 1889-1945), den Philosophen und Publizisten Vasil Skrach (1891-1943) und Gisela Lyner. „Hier war auch viel Aufregung über mein Telegramm, den Diebstahl betreffend“.
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Moskau, 15. Oktober 1932. 22,5 x 14,5 cm. 3 S. (kleiner Einriss). In Tschechisch. „Lieber Jarmiláč, anbei Deine Fragebogen. In unbeschreiblicher Eile, - das Buch [d. i. China geheim] soll Anfang November erscheinen, wir haben schon Korrekturen vom Anfang und die wichtigsten Kapitel sind noch gar nicht fertig und verzweifelt schwer ... Wegen der jüdischen Ausdrücke vom Apotheker Jakob setzte Dich am besten mit Felix Kühne ins Einvernehmen ... wegen seiner Mitwirkung am Lanna [das Theaterstück von Kisch und Jaroslav Hašek: Die Reise um Europa in 365 Tagen]. Eine wichtige Szene steht nämlich nicht im Manuskript, sie spielt in Holland, und er muß den jüdischen Radio-Soldaten Packedrager spielen ... Außerdem will ich den langweiligen Anfang des Stückes sensationell ändern, filmisch“ ... Arme Jarmila, Du plagst Dich ja noch mehr als wir! Die russischen Übersetzer schimpfen auch auf den Egonek...“. Moskau, 25. Oktober 1932. 29 x 21 cm. 1 S. Tschechisch. „In aller Eile (das Auto wartet, das nach Moskau - zur Post fährt) bitte ich Dich, unbedingt den Titel Ukradená Praha zu nehmen. Glänzender Einfall. Freue mich, daß die Arbeit so herrlich gelingt. 1000 Küsse Egonek“. Ukradená Praha soll der Titel für die tschechische Übersetzung des 1922 bei Erich Reiss erschienenen Reportageromans Gestohlene Stadt sein, in dem Kisch seine historische Reportage Käsebier und Fridericus Rex verarbeitete, die Geschichte des Hallenser Diebes Christian Andreas Käsebier. – Der letzte Brief auf grünem Papier. Abbildung
„Das Caféhaus als Institution – ob in Prag oder Wien oder nun in Berlin – ist für Kisch ein zweites Zuhause.“
3073 Kisch, Egon Erwin. - Haasová, Jarmila. 23 Originalfotografien der Freundin Kischs und Übersetzerin dessen Werke aus dem Deutschen ins Tschechische. Zwischen 2,5 x 3,8 und 9,8 x 14,4 cm. Eingelegt in modernes Album. Prag u. a. ca. 19251935. 200 € Fotos aus dem Kisch-Nachlass der Jarmila Haasová (18961990), die die begabte Übersetzerin in verschiedenen, teils privaten Posen, mit Kisch, aber auch mit anderen Freunden wie den Schriftstellern und Journalisten Leonhard Frank (1882–1961), Imre Forbáth (1898–1967) oder Joseph Born stein (1899–1952) zeigen. Jarmila wuchs in Prag auf, besuchte seit 1907 das erste österreich-ungarische Mädchengymnasium „Minerva“ zusammen mit der späteren Kafka-Freundin Milena Jesenská. Die jungen Damen suchen „Kontakt und Diskussionen mit Künstlern in den Caféhäusern. Sie besuchen gar das Café Arco in der Hybernská und faszinieren mit ihrer Schönheit, Klugheit und Weltoffenheit Franz Werfel, Max Brod, Ernst Polak, Willy Haas, Franz Kafka und andere deutsche Intellektuelle, die sich hier, unweit vom Masaryk Bahnhof, treffen“. Jarmila studierte dann, als eine der ersten Frauen überhaupt, zunächst Medizin in Prag, „schließt sich dem lin71
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_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová ken Flügel der politischen Szene an. Gemeinsam übersetzen [Josef] Rainer und Jarmila wesentliche Teile der Leninschen Schrift ‚Staat und Politik‘ ins Tschechische. Die Arbeit erscheint im Jahre 1920“. Sie heiratet den Publizisten und Schriftsteller, Filmkritiker und Drehbuchautor Willy Haas und geht mit ihm 1921 nach Berlin, wo Kisch Jarmila Haasová im Romanischen Café kennenlernt: „Kisch ist einer der Gäste, die die Atmosphäre beeinflussen. Zu seinen Gepflogenheiten gehört es, von Tisch zu Tisch zu gehen, sich mit jedermann zu unterhalten. Ihn interessiert einfach alles ... Das Caféhaus als Institution - ob in Prag oder Wien oder nun in Berlin - ist für Kisch ein zweites Zuhause“. Jarmila berichtet über ihre erste Begegnung mit Kisch: „‘Ich saß da, und er kam an meinen Tisch. Als er hörte, daß ich eine Pragerin bin, war er ganz hingerissen‘, erzählt sie und erlebt diesen Augenblick noch einmal. ‚Prag war das Band, das unsere Freundschaft knüpfte. Als ob er ein Stück Liebe zu Prag auf eine Pragerin übertragen hätte‘.“ (alle Zitate nach Klaus Haupt, Egon Erwin Kisch, Briefe an Jarmila, Berlin 1998, S. 9ff.). 1) Porträt Jarmila mit Baskenmütze, vermutlich 1931 2) Mit Imre Forbáth, ungarischer Dichter, in Prag, Mai 1925 3) Mit Leonhard Frank (links) und anderen Freunden in Ahrenshoop, 1926 4) Porträt Ganzfigur Jarmila In Ahrenshoop, 1926 5) Mit Leonhard Frank 6) Mit Leonhard Frank 7) Mit Gisl (links) und Klein-Lanja, Buckow, Mai 1927 8) Auf Hiddensee, 1927 9) In Saarow-Pieskow, eine Treppe herunterschreitend 10) In Saarow-Pieskow, am Scharmützelsee an einem Geländer lehnend 11) In Saarow-Pieskow auf einem Stuhl im Sommergarten 12) In Saarow-Pieskow, Ganzfigur mit Sommerschal 13) In Prag am Moldauufer, mit Josef Bornstein (links) und Imre Forbáth, 1928 14) Ein zweites Foto mit denselben Personen am Moldau ufer 15) In Františkovy Lázně (Franzensbad) zur Kur, 1931 16) In Prag mit Vinčenc (Vinček) Nečas, dem späteren Ehemann, vermutlich Anfang der 30er Jahre 17) Mit Kisch vor dem Schloss von Versailles, vermutlich 1935 18) Versailles Schloss und Schlosskapelle 1935 (ohne Figuren) 19) Kisch als „Schlafender Reporter“ in Versailles, foto grafiert von Jarmila, wohl 1935 20) Frachthafen Stralsund, 1927 (Foto von Jarmila) ohne Personen 21) Frachthafen Stralsund, 1927 (Foto von Jarmila) ohne Personen 22) Frachthafen Stralsund, 1927 (Foto von Jarmila) ohne Personen 23) In Saarow-Pieskow (Foto von Jarmila), Bäume ohne Personen – Kaum Gebrauchsspuren, minimale Fleckchen oder Knicke, teils verso mit Tinte oder Bleistfit bezeichnet. Abbildungen, auch Seite 120
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„Jarmilininininini=ce! Egonek“
3074 Kisch, Egon Erwin. Egon Erwin Kisch berichtet: China geheim. 280 S., 4 Bl. 18,5 x 12,6 cm. Berlin, Erich Reiss, 1933. 180 € Melzwig 360.1. – Erste Ausgabe des letzten Reportagewerks von Egon Erwin Kisch (1885-1948), das noch in Deutschland erscheinen konnte. Gedruckt wurde es laut Vermerk hinten „bei Karl Prochaska Gesellschaft M. B. H., Teschen West, Winter 1932/33“. – Mit wenigen Bleistiftanstreichungen der Übersetzerin Jarmila Haasová und einer affektvollen Widmung Kischs auf dem Vortitel „Jarmilininininini=če! Egonek. Praha, 14./12. 32“. – Beiliegen 2 eigenhändige Notizzettel der Haasová mit Bleistiftanmerkungen zur Übersetzung. Abbildung Seite 74
„Auf der Straße wehen Nazi-Fahnen, denn Hitler ist erstanden, schön sehen wir aus!“
3075 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ 2 S. 28 x 22,5 cm. Berlin, 30. Januar 1933. 400 € 73
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ schlafen uns bei Bekannten durch ... Ich warte ... Liebe Jarmila, schau Dir das Deutsche Museum gut an, ich wollte schon längst hinfahren, es mir anzusehen. Sonst ist wohl außer Karl Valentin in München nichts Besonderes los. In Eile (Reiss nimmt mir den Schreibtisch) küsse ich Dich herzlichst Dein alter Egonek“. Aufgenommen wurden Egon Erwin Kisch mit seiner Partnerin Gisela Lyner von dem Berliner Verleger Erich Reiß, der die meisten seiner Reportageromane veröffentlicht hatte. „Durch das Missmanagement seines Prokuristen Erich Krüger geriet der Verlag 1926 in schwere Turbulenzen. Eine endgültige Auflösung des Verlages konnte zwar durch einen Vergleich abgewendet werden, aber nach 1926 exis tierte das Unternehmen nur noch in deutlich reduzierter Form und konnte nie wieder zur alten Bedeutung zurückfinden. Reiss musste sogar das elterliche Haus in der Wichmannstraße 8 verkaufen und zog mit seiner Mutter in eine Etagenwohnung in der Fasanenstraße 44. Bis 1936 wurden lediglich noch 45 Buchtitel publiziert. Und auch das war nur möglich, weil der Verleger immer wieder Teile seines Immobilienbesitzes veräußerte. Nach Einschätzung Hans Adolf Halbeys ist der Verlag am Ende nicht ‚im eigentlichen Wortsinn aufgelöst‘ worden, sondern wurde von Propagandam inister Goebbels ‚einfach beschlagnahmt‘. Nach 1937 ist der Erich Reiss Verlag nirgendwo mehr registriert.“ (Peter Kröger). Abbildung
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Haupt, Kisch, S. 118f. – Am Tage der Machtübernahme Adolf Hitlers mit dessen Ernennung Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg schreibt Egon Erwin Kisch (1885-1948) aus der „Fasanenstraße 44“ in BerlinWilmersdorf: „Liebster Jarmiláč, ... Auf der Straße wehen Nazi-Fahnen, denn Hitler ist erstanden, schön sehen wir aus! ... Die Sache im Trocadero [„vermutlich eine Provokation durch Nazis“, Haupt] war schlimm gedacht (weil sie gegen Dich gerichtet war), aber ist gut ausgefallen. Vinček [Jarmilas Partner Vinčenc Nečas] benahm sich anständig, und so hatte die Drecksau keinen Erfolg, - wahrscheinlich hat mein Erscheinen dazu beigetragen. Das Ganze war nicht wichtig, es zeigt nur, was für ein Pack uns gegenübersteht.“ Weiter schreibt er über seine Bücher China geheim und seinen einzigen Roman Der Mädchenhirt eine Erzählung aus der Prager Unterwelt der Prostituierten-Szene, die 1914 erschienen war und die Jarmila ins Tschechische übersetzte. „China und Mädchenhirt lasse ich Dir heute schicken. Fröschl hat ziemlichen Presse-Erfolg, nur Rudé právo verreißt ihn nach Strich und Faden. Wir haben noch keine Wohnung, 74
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Aus dem Pariser Exil – „Es sieht traurig aus – Auch Ossietzky ist völlig gebrochen.“
3076 Kisch, Egon Erwin. 3 eigenhändige und maschinenschriftliche Briefe an Jarmila Haasová in tschechischer und deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ 1 S. 21 x 27 cm. Paris 1933. 1.200 € Haupt, Kisch, S. 119f. – Konvolut bedeutender Briefe des die Welt verändernden Jahres 1933, das am 30. Januar mit der Machtergreifung Adolf Hitlers begann und in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar sein erstes ‚Brandmal‘ bekam. Unmittelbar nach dem Brand des Berliner Reichstags, direkt am 28. Februar, wurde Egon Erwin Kisch (1885-1948) um 5 Uhr morgens im Rahmen einer sich anschließenden ‚Säuberungswelle‘ verhaftet und nach einer Vernehmung in der „Roten Burg“, dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz verhaftet und in die Festung Spandau verbracht, wo er u. a. mit den Journalisten Heinz Pol (1901-1972), Carl von Ossietzky (1889-1938) elf Tage einsaß bis zu seiner Abschiebung nach Prag. Die New Yorker Times berichtete am 15. März: „Als
erstes wurde der Romancier Heinz Pol eingeliefert. Die Nazis rissen das Manuskript seines eben vollendeten Romans in Fetzen und zwangen ihn, diese zu essen. Er ist noch immer nicht in der Lage zu gehen. Auch Ossietzky ist völlig gebrochen“ (zit. Patka S. 138). Am 25. Juni war Kisch, der Gisela in Zürich getroffen hatte, über Basel und Mühlhausen nach Paris gereist, dann nach London, aber immer wieder nach Paris, von wo aus er Jarmila Haasová zusammen mit Gisl mehrere inhaltsreiche Briefe schreibt, die eindrucksvoll die Lage der Exilanten wiedergeben: Paris. 6. Juli 1933. 1 S. Tschechisch. Auf einem masch. Brief von Gisela Lyner auf Deutsch mit Unterschrift „Gisl“: „Paris, VI, 2, rue St. Sulpice, Hotel de Grand Condé - Liebste Jarmilko, am Tag, nachdem ich Dir zuletzt schrieb, bekam ich von Egonek eine Nachricht, dass er aus London wieder herkommt, weil kein Mäzen zu finden war, der uns eingeladen hätte, einige Zeit auf seinem Landsitz zu verbringen. Egonek hat sich also entschlossen, unbedingt noch den 14. Juli hier zu verbringen ... Wohin, ist allerdings noch fraglich, aber ich glaube, es wird vorläufig nichts mit einem Aufent75
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halt an der See, weil er vorher noch ein paar Reportagen machen muss, und twar [sic] im Süden von Frankreich und in der Schweiz“. Sie erkundigt sich nach der Veröffentlichung eines Textes Kischs, in der er über seine Haft im Spandauer Zuchthaus berichtete: Hitlerův zajatec erschien 1933 im Verlag Levá fronta in Prag, in der Übersetzung der Haasová: „Jarmila, kannst Du mir schreiben, ob die Broschüre vom Egonek nun endlich erschienen ist? Ich glaube beinahe, die haben das schon aufgegeben, weil es ja beinahe schon vier Monate sind, daß sie das Manuskript haben. Hörst Du was aus Berlin? Und was ist mit der neuen Zeitung? Haben die schon zu arbeiten angefangen?“ In tschechischer Sprache führt Kisch handschriftlich in blau-schwarzer Tinte fort: „Milý Jarmiláčku, das ist ein Leben, pfui Teufel. Da fliege ich nach London, schwätze und muß wieder zurück. Und hier ist eine solche Hitze, daß der Mensch sich nicht einmal bewegen kann. Gestern war ich mit diesen lustigen Surrealisten zusammen ... Schade, daß ich Bornstein nicht sehe - ich sah ihn an dem Tag, als Rost ankam und ich nach London abfuhr. Ich hielt dort Reden in englisch, alle Zeitungen lobten, wie wunderbar es war. Küsse, mein Äffchen, von Egonek“. Paris, 6. August 1933. 2 S., 1 S. masch. Brief mit Unterschriften „Egonek“ und „Gisl“. „Liebste Jarmila, zuerst diktiert der Egonek ... Vor drei Wochen, als Dir B[ornstein] schrieb, Du sollst jetzt nicht nach Paris kommen, war es hier so irrsinnig heiß, daß die Hitzen, die ich voriges Jahr in den chinesischen und vor zwei Jahren in den südrussischen Tropen erlebte, nichts dagegen waren ... Man kann 76
überhaupt nichts arbeiten und nirgends mehr hingehen. Vierzehn Tage lang war Sinai [der Freund Hugo Sinaiberger, geb. 1986, Chefredakteur der Prager Filmzeitschrift Internationale Filmschau] hier, er ist Freitag, nachdem wir die Nacht in den Hallen verbracht haben, über Deutschland nach Prag geflohen. Er hatte den Nečas in der Hand, das heißt dessen Führer von Paris, und ich sagte ihm gleich, daß ich Nečas persönlich kenne. Es war übrigens ein Bekannter von Prokop, und er erzählte mir, daß von unserer Broschüre Zajatec Hitlera gleich in den ersten Tagen 2000 Exemplare verkauft worden sind ... ich habe die Broschüre überhaupt nicht gesehen. Gestern war ich zum erstenmal bei B[ornstein] im Büro und habe einen Artikel abgeliefert“. Der in Krakau geborene Journalist Joseph Bornstein (18991952) hatte nach Carl von Ossietzky zusammen mit Leopold Schwarzschild die Weltbühne herausgegeben. 1933 war er über die Schweiz nach Paris emigriert. Kisch versuchte, mit seinen Reportagen seine prekäre finanzielle Lage zu verbessern: „Wenn wir ein bißchen Geld hätten, möchten wir aufs Land fahren, aber da müßte man zuerst das Hotel bezahlen, Fahrkarten kaufen, Zahnarztrechnungen usw. und dann noch Geld für den Aufenthalt haben. Es sieht traurig aus“. Gisela Lyner schreibt dann noch präzisierend: „... wir haben uns entschlossen, vorläufig hierzubleiben ... Vor ein paar Tagen hatte Egonek einen Vortragsabend hier mit Weinert [der Schriftsteller Erich Weinert; 1890-1953] gemeinsam ... Ein französischer Schriftsteller Renaud de Jouvenel [19071982] hat eingeleitet ... Von Nico [Rost] haben wir öfters Post...“ Paris, 1. September 1933. 2 S. Ausführlicher masch. Brief mit Unterschrift „Egonek“ über seine Texte und Publikationen Letem světem, Hitlerův zajatec, Pasák (der Mädchenhirt), Asien gründlich verändert ... „Auch die Tvorba mit dem Auszug meines Briefes über das Eiserne Kreuz hätte ich gern gehabt ... Was das Braunbuch anbelangt, so habe ich damit gar nichts zu tun. Es ist von einem großen Kollektiv eines Hilfskomitees gemacht worden. Es sind fast 400 riesige Seiten, die Übersetzung muß in allen Ländern von mehreren Leuten durchgeführt werden, da auch die anderssprachigen Ausgaben noch bis Oktober erscheinen sollen ...“ Auch wenn seine persönliche finanzielle Lage schwierig war, zeigt Kisch sich den Verlagen gegenüber großzügig: „Was das Übersetzungshonorar für Zajatec H ... anbelangt, so widerstrebt es mir, jetzt von dieser Organisation Geld zu verlangen, wo sie jeden Heller brauchen ...“ In Prag wird jetzt bei Wieland Herzfelde eine große literarische Zeitschrift erscheinen, Neue Deutsche Blätter ... Das, was man hier für unsere Blätter arbeitet, wird nicht bezahlt, und mein Leben ist daher sehr ärmlich, was in Paris besonders wenig angenehm ist. Aber die Stadt ist so schön, und es gibt immer etwas Neues zu sehen, - wenn man nur mehr Zeit hätte“. – Wenige Knitterspuren, auf dünnem Luftpostpapier. - Beiliegt ein Blatt eigenhändiges Konzept von Egon Erwin Kisch, wohl eine Liste mit Stichpunkten der zu erledigenden Arbeiten und Aufgaben bzw. Ideen, wie in Paris an bezahlte Arbeit heranzukommen wäre, welche Personen zu kontaktieren seien. Abbildung Seite 75
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„Weil sich im letzten Jahr [1933!] nicht nur alle Maßstäbe und alle Perspektiven, sondern auch alle Tatsachen geändert haben.“
3077 Kisch, Egon Erwin, und Gisela Lyner. 2 maschinenschriftliche Briefe an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ bzw. „Gisl“.Zus. 3 S. 27 x 21 cm. Mit 2 Kuverts. San Sebastian (Spanien) und Malines (Belgien) 1933. 600 € Haupt, Kisch, S. 128ff. – Zwei Brief von Reisen nach Spanien und dann nach Belgien, in denen sowohl Egon Erwin Kisch, als auch seine Lebensgefährtin und fleißige Maschinenschreiberin Gisela Lyner von ihren Erlebnissen und Problemen im Exil berichten. San Sebastian, 6. Oktober 1933. „... nach verschiedenen Aufregungen, die wir wegen des Aufenthaltes in Paris hatten, sind wir also weggefahren. Ich will hier ein Buch fertig machen und dann zurück nach Paris, möglichst schnell. Ich schätze so Anfang November. Und auch so lange kann ich nur bleiben, wenn ich in Madrid ein Übersetzungsrecht verkaufen kann. Chance - minimal! ... Zwei tschechische Briefe hatte ich übrigens kurioserweise über den Hitlerbrief in Letem světem. Die Leser scheinen begeistert zu sein. Vergiß nicht, mir die Broschüre Hitlerův zajatec aufzuheben. Deutsch ist sie wohl nicht erschienen?“ Lyner setzt hinzu: „Die letzten Wochen in Paris waren ein einziger, ununterbrochener Trubel, wie selbst wir ihn nicht gewohnt sind. Auf der Herreise haben wir uns drei Tage in Lourdes aufgehalten, ich bin jetzt noch betäubt von der dortigen Atmosphäre...“ Mechelen 10. Januar 1934. Aus dem ‚Hôtel de la Couronne in Malines, Belgique‘: „Ich mache jetzt ein Reportagebuch, darin auch alte Artikel, wie z. B. Monte Carlo, Korsika, Seide aus Lyon usw. vorkommen werden. Du hast keine Ahnung, wie man jede Zeile umarbeiten muß, weil sich im letzten Jahr nicht nur alle Maßstäbe und alle Perspektiven, sondern auch alle Tatsachen geändert haben.“ Kisch erwähnt seine Reportagen Brühl in Leipzig, Quecksilber, Abenteuer in Lourdes und seine Romane China geheim, Asien gründlich verändert. „Ich bin wirklich aufrichtig froh, daß Nečas ein Theaterstück schreibt. Du mußt ihn aber ermutigen, daß er wirklich bis zum Schluß durchhält. Das ist die Hauptsache: daß man etwas fertig macht. Und wenn es noch so schlecht ist, kann man es dann sehr leicht ändern. Aber wenn man in der Mitte aufhört, um später weiterzuarbeiten, so arbeitet man nie mehr weiter. Wenn er Zweifel an seiner Arbeit bekommt, so richte ihm von mir aus, daß es, wenn es ihm noch so mißglückt wäre, noch immer nicht so eine Scheiß sein wird, wie das, was überall gespielt wird ... Nico [Rost] übersetzt jetzt Toller und Feuchtwanger und redigiert unser holländisches Literaturblatt ...“ – Mit beiden Kuverts, davon eines maschinenschriftlich, das andere in der gewohnten hübschen Kalligraphie von Egon Erwin Kisch. Abbildung
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„Tout de suite and tooter the sweeten!“ „Kisch fand sogar einen Prager Juden in Gheel.“
3078 Kisch, Egon Erwin. - Postkarten von Kisch, Lyner und anderen. 5 eigenhändige Karten an Jarmila Haasová in deutscher Sprache, mit Unterschrift „Egonek“, „Gisl“ etc. Jeweils 9 x 14 cm. Frankreich und Belgien 1933-1936. 350 € 77
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ mal nach Prag komme [?] Komme doch nach Paris“. 3) Brügge, 19. September 1935. Postkarte von Gisela Lyner: „Wir haben heute einen wunderbaren Ausflug gemacht und grüßen Dich sehr herzlich. Deine Gisl“ mit weiteren Unterschriften „Paul“ und „Yvonne“. Auf Fotopostkarte „Le Beffroi Bures - Brugge Halletoren“. 4) Brüssel, 2. Oktober 1935. Fotopostkarte mit Ansicht des Pavillons der Tschechoslowakei auf der „Exposition de Bruxelles 1935“. Mit einem Gruß von Nico Rost, einer Beischrift von Gisela Lyner und einer weiteren (ohne Kisch). 5) Bredene, 16. September 1936 (im Brief mit demselben Datum). Auf einer Bildpostkarte des „Hotel d‘Anvers“, in Bleistift: „Nochmal dieselbe Karte und dieselben herzlichen Grüße! Egonek“ und auf der Rückseite von Gisela Lyner: „Liebe Jarmila, Unser Hotel ist nicht am Meer, hohe Dünen sind zwischen uns und dem Strand - aber es ist trotzdem ganz hübsch hier“ sowie Beischrift von John Fisher, dem australischen Freund und Kollegen: „With love Dein John, Auf Wiedersehen - tout de suite and tooter the sweeten! Please write“. – Postalisch gelaufen, mit Stempeln und Marken, Gebrauchsspuren. – Beiliegt eine weitere, unbeschriebene Karte aus Brünn. Abbildungen Seite 77
Die sich um die jüdische Lebenswelt drehenden Reportagen Egon Erwin Kischs
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Kisch wieder in Europa: Er besucht Trouville, Gheel, Brügge, Brüssel und den Badeort Bredene an der belgische Küste. Von überall sendet er seiner Jarmila herzlichste Grüße. 1) Trouville-sur-Mer, Frankreich, ohne Datum, wohl 1933. Auf Deutsch aus dem Grand Hôtel de France: „Das Zimmer (warmes Wasser) mit Verpflegung 35 Frcs, er wollte 40 (Pro Person). Die großen Hotels nur alle geschlossen, von der Ferne leuchten die Lichter von Havre. Dort sprach ich einen Herrn Koriack aus Slané (Schlan) der mich vor 14 Jahren auf einem Sopha im obigen Hotel de France unterbrachte, was ich allerdings vergessen hatte. Er nicht. Küsse! Egonek.“ Aus Trouville hatte Kisch in seiner Hetzjagd durch die Zeit berichtet. In grüner Tinte mit Tintenwischern, adressiert an „Mme. Jarmila Bornstein“. 2) Gheel, Belgien, 22. Januar 1934. Lieber Jarmilatsch, Niko und ich sind in diesem Ort, der eine staatliche Kolonie ist, - 3000 Irre! Das wird eine Reportage! Herzlichst gegrüßt Dein Egonek“. Und von der Hand des Freundes, des niederländischen Journalisten, Übersetzers und Antifaschisten Nicolaas Rost (1896-1967): „Liebe Jarmila, Alles in Butter. Kisch fand sogar ein Prager Jude [sic] in Gheel. Ob ich noch 78
3079 Kisch, Egon Erwin. Geschichten aus sieben Ghettos. 216 S., 2 Bl. Mit Illustrationen von P. L. Urban. 23,4 x 15,4 cm. Graubraunes Grobleinen (kaum berieben, minimal geworfen) mit schwarzgeprägtem RTitel und VDeckelillustration von P. L. Urban, rotbrauner Kopfschnitt. Amsterdam, Allert de Lange, 1934. 250 € Melzwig 364.1. – Erste Ausgabe der im Amsterdamer Exilliteratur-Verlag von Allert de Lange erschienenen Reportagen mit Illustrationen von dem Münchner Illustrator P. L. Urban (geb. 1901). Der 1880 gegründete Verlag Uitgeverij Allert de Lange wurde nach der Machtergreifung von dessen Sohn Gerard de Lange (1896-1935) durch eine eigene Abteilung für deutsche Exilliteratur erweitert, die von dem emigrierten Verleger des Kiepenheuer-Verlags Walter Landauer (1902-1944) geleitet und von dem Schriftsteller Hermann Kesten (19001996) lektoriert wurde. Walter Landauer wurde 1943 nach Bergen-Belsen deportiert, wo er umkam. Kesten gelang es, 1933 aus Deutschland zunächst nach Paris, Sanary-sur-Mer, London, Brüssel, Oost ende und schließlich nach Amsterdam fliehen. 1940 bekam er dann ein Visum für die USA. 1934 veröffentlichte der Verlag Allert de Lange eine Zusammenstellung der sich um die jüdische Lebenswelt drehenden Reportagen Egon Erwin Kischs, die dieser bei seinen Reisen aufgezeichnet hatte: Auswanderer, derzeit Amsterdam;
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Schime Kosiner verkauft ein Grundstück; Lobing, pensionierter Redakteur; Romanze von den Bagdad-Juden; Ex odio fidei; Die Messe des Jack Oplatka; Dantons Tod und Poppers Neffe; Des Parchkopfs Zähmung; Der kabbalistische Erzschelm; Der tote Hund und der lebende Jude; Notizen aus dem Pariser Ghetto; Den Golem wiederzuerwecken. – Gedruckt auf festem Papier, sauber. Titel mit Widmung des Autors „für Jarmila herzlichst und, wie immer, mit guten Wünschen. April 1935. Egon Erwin Kisch“. Seinen Namen hat Kisch dann selbst durchgekreuzt und unter die Verlagsangabe noch viel wärmer hinzugesetzt: „omylem: jen Egon“ (so viel wie „versehentlich“ bzw. „Entschuldigung: nur Egon“, d. i. nicht „Egonek“, wie sonst). Abbildungen
„Also jetzt bin ich in Indien und erst am Anfang der Reise sozusagen...“
3080 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändige Postkarte an Jarmila Haasová in deutscher Sprache, mit Unterschrift „Egonek“. 9 x 14 cm. Udaipur (Indien), 25. Oktober 1934. 200 € Die einzige Postkarte, die Egon Erwin Kisch seiner Übersetzerin und Freundin Jarmila Haasová (1896-1990) aus Indien nach Paris sandte und die auch wohlbehalten ankam. Die Bildseite zeigt eine Sepia-Fotografie „The City Udaipur“, der berühmten indischen Metropole im Süden des Bundesstaates Rajasthan, auch damals schon zu den von Reisenden meistbesuchten Zielen des indischen Subkontinents gehörte. Kisch adressiert an „Mrs. Jarmila Bornstein, Paris
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Melzwig 363.1 – Erste Ausgabe der Reportagen aus Frankreich, Belgien u. a. mit den Titeln Menschen im Quecksilber, Quecksilber im Menschen, Ich bade im wundertätigen Wasser, Gablonz oder Glanz und Elend der Kinkerlitzchen, Belgisches Städtchen mit 300 Irren, Das Räderwerk von Monte Carlo, Bei den Diamantenschleifern von Antwerpen und Amsterdam, Seide aus Lyon, Der Stier und seine Gegner etc. Der Entwurf zum Schutzumschlag stammt von dem deutsch-französischen, 1933 nach Frankreich emigrierten Graphiker Jean Leppien (1910-1991), der unter seinem Pseudo nym „lépine“ Buchumschläge in Paris für Emigrantenverlage schuf. Er hatte 1929 bis 1930 am Bauhaus in Dessau bei Josef Albers, Wassily Kandinsky und Paul Klee studiert, war dann nach Berlin an die Itten-Schule gegangen, wo er u. a. Fotografie bei Lucia Moholy und László MoholyNagy studierte. – Nur wenige Bleistiftanstreichungen der Übersetzerin Haasová, der Kisch das Exemplar auf dem Titel widmete: „Jarmilačkovi ve Versailly. Starý Egonek. Le 21 août 1934“ (Meiner Jarmila in Versailles. Dein alter Egonek“). Abbildung
„Ich habe mich ziemlich mit Klaus Mann angefreundet.“
3082 Kisch, Egon Erwin, und Gisela Lyner. 5 Briefe des Jahres 1934 auf 4 Bögen, eigenhändig und maschinenschriftlich an Jarmila Haasová in deutscher Sprache mit Unterschrift „Egonek“ bzw. „Gisela“. 21 x 27 cm. Mit 4 Kuverts. Versailles 1934. 1.200 €
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XVII.e 4 Square Gabriel Fauré - France“. Jarmila war bei seinem Freund und guten Kollegen, dem Jounalisten, Herausgeber und Redakteur Joseph Bornstein untergekommen, seitdem dieser sich in Paris exiliert hatte, gleich 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Kisch schreibt: „Udaipur (Indien) 25. Oktober 1934. Lieber Jarmilatsch, also jetzt bin ich in Indien und erst am Anfang der Reise sozusagen. Und was wird weiter? Aus Marseille schrieb ich Dir. Grüße alle, die es gut mit Dir meinen. Hubička [Küsschen] Egonek“ – Mit Briefmarke und Stempeln, postalisch gelaufen. Abbildung Seite 79
„Menschen im Quecksilber, Quecksilber im Menschen“
3081 Kisch, Egon Erwin. Eintritt verboten. 239 S. Weißes Leinen mit dunkelblauer Titelprägung auf dem Rücken und VDeckel (der lädierte, fehlstellenhafte VDeckel der OBroschur liegt bei). Paris, Edition du Carrefour, 1934. 180 € 80
Haupt, Kisch, S. 132ff. – Briefe aus dem Exil in Frankreich aus dem ersten Jahr nach der Machtergreifung 1934. Gisela Lyner und Egon Erwin Kisch hatten eine Wohnung in der Rue du Jeu de Paume 2 in Versailles gefunden, die sie von 1934 bis 1939 bewohnten. Darüber schrieb Bruno Frei (18971988), der sie besuchte: „Den Freunden erschloß sich der wahre Kisch in Versailles. Wir kamen sonntags mit Frau und Kind. Er bewohnte ein banal möbliertes Zimmer in einem kleinen Hotel. Wurden die Kinder vorzeitig müde, legte man sie in das Bett des ‚rasenden Reporters‘ schlafen. Frau Gisl kochte unvorstellbare Mengen Kaffee für den ständig sich erneuernden Strom der Besucher.“ Und Ernst Bloch (1885-1977) berichtete: „Es war in der ersten Zeit des Faschismus, als ich Kisch nach längerem wiedersah. Wir trafen uns in Versailles, wo er damals wohnte, übrigens von der französischen Polizei belästigt, die nicht erst auf Vichy zu warten brauchte. [Er sagte] ‚Ich habe dreißig Bücher geschrieben, aber ich brauche nicht einmal einen Schreibtisch, um Sachen herzustellen, die nicht schlechter sind als das hier [gemeint ist der Roman Der rasende Reporter].‘ So eigentümlich also beurteilte ein weitgeliebter, weltberühmter Schriftsteller die ihm eigene Form seiner Kunst, eine Form überdies, die zum revolutionären Kampf dermaßen tauglich und wirksam war ... Dieser rasende Reporter war in Wirklichkeit der langsamste, nämlich sorgfältigste - kraft des Willens zur großen Form in der kleinen“ (zit. Patke, S. 149).
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
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Versailles, 5. März 1934. 1 S. masch. Über seine Publikationen in Prag und Jarmilas Übersetzungen und Vermittlungen mit den Verlagen, die Pflicht, in der Tschechoslowakei Steuern auf seine Honorare zahlen zu müssen und seine Projekte. Er schließt mit dem Wunsch, Jarmila möge nach Versailles kommen „Gerade gegenüber von uns ist das Jeu de Paume, das Lokal, wo am 20.6.1789 der Dritte Stand die Große Revolution begann, und auch sonst sind herrliche Dinge hier, besonders der Park...“ Verso auf demselben Bogen ein weiterer Brief: Versailles, 7. März 1934. 1 S. eigenh. „Bevor der Brief geklopft war, ist die Schreibmaschine geplatzt, wir mußten uns eine andere ausborgen, auch sonst viel Rummel, so daß er liegen blieb. Inzwischen kam Brief ´von Arnold mit der Steuervorschreibung ... daß bei Melantrich auch die Russen erscheinen [seine Asien-Reportagen beim Prager Verlag Melantrich] ... Was macht Laco, Záviš, wer macht die Tvorba?“. Versailles, 22. März 1934. „Liebe Jarmila! Am besten wäre es, wenn Du gleich mit einem Prager Verlag einen Vertrag 82
machen würdest auf drei oder vier Bücher (Asien, China, Eintritt verboten und Geschichten aus sieben Ghettos). Für das Buch müßte mit Landauer (jawohl, der ist der vom Kiepenheuer-Verlag) der Abschluß getätigt werden ... Mit Amerika verhandle ich jetzt direkt, aber natürlich, Geld habe ich noch nicht gesehen ... Wenn Du Erika Mann kennenlernen oder treffen solltest, so grüße sie herzlich von mir, ich war jetzt sehr viel mit Klaus Mann in Amsterdam beisammen und habe mich ziemlich mit ihm angefreundet. Ihr Freund ist (Diskretion!) der Landshoff, der mit Landauer bei Kiepenheuer war ... Mein Buch Eintritt verboten wird diese Woche fertig ...“ Gemeint sind die Verleger Fritz Landshoff (1901-1988) und Walter Landauer (1902-1944). Versailles, 12. April 1934. 1 S. masch. von Gisela und eigenh. von Kisch: „Liebster Jarmilatsch, bevor die Gisl in Prag ist, wirst Du wohl schon mit Landauer gesprochen haben. Wenn Toužimský die Gesammelten Schriften übernehmen würde, das wäre glänzend ... So ein Lümpchen wie Willy H. gibt Gesellschaften, während hier die anständigsten [durchge-
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová strichen: Mensch, korrigiert] Emigranten Hungers sterben“. Gemeint ist der Publizist, Filmkritiker und Drehbuchautor Willy Haas (1891-1973), ihr Ex-Mann, über den Jarmila wohl berichtet hatte. Versailles, 5. Mai 1934. 1 1/2 S. eigenh. in blauer Tinte. Umfangreiche Stellungnahme zu Jarmilas Versuchen, seine Romane bei Verlagen unterzubringen. „Sfinx will eventuell ein Buch nehmen ... Toužimský eventuell 3 bis 4, aber er ist schäbig und auch sonst nicht gut; Asien will er nicht ... Es hat auch gar keinen Sinn, daß man mit jedem neuen Buch nachher von Verlag zu Verlag hausieren muß ... Kanst Du nicht Janda anrufen ...“ Er nennt die Verleger Toužimský („aber er ist schäbig“) und Bohumil Janda, den Eigentümer des Prager Sfinx-Verlags sowie den Verlag Pokrok. – Mit den maschinenschriftlichen Umschlägen. Abbildung Seite 81
Physische und mentale Verarbeitung des Australien-Erlebnisses – Leben im Exil 3083 Kisch, Egon Erwin, und Gisela Lyner.
6 Briefe des Jahres 1935, davon 3 (2 eigenhändige, 1 masch.) Briefe Kischs und 3 masch. Briefe Lyners an Jarmila Haasová in deutscher (5) und tschechischer (1) Sprache mit Unterschrift „Egonek“ bzw. „Gisl“. 16 S. auf 9 Bl. 28 x 22,5 cm. Mit 5 Kuverts. Versailles, Frankreich 1935. 1.400 € Haupt, Kisch, S. 142ff. – Konvolut besonders umfangreicher Briefe von Kisch, aber auch von seiner Lebenspartnerin, Mitarbeiterin und emsigen Maschinenschreiberin Gisela Lyner, die Jarmila Haasová von den erheblichen, nicht nur finanziellen Mühen des Exils in Frankreich berichtet. Den Briefen des Jahres 1935 geht die dramatische Australienreise des Journalisten voraus, der in Melbourne am Gesamt australischen Antikriegskongress teilnehmen wollte, dem aber vor Ankunft das einst schon ausgestellte Aufenthaltsvisum wieder verweigert wurde: „Am 13. November 1934 um zwei Uhr sprang ein Mann von dem Schiff Strathaird achtzehn Fuß tief auf den Kai des Hafens von Melbourne hinab und brach sich ein Bein. Beinahe über Nacht verwandelte sich die Bewegung gegen Krieg und Faschismus in Australien, die bis dahin nur von einer kleinen Gruppe getragen wurde, in eine große Massenbewegung. Der Name des Mannes war Egon Erwin Kisch“ (Frank Hardy, zit. Patka S. 160). 1) Les Sablettes bei Toulon, 12. April 1935. Aus dem Hôtel de la Plage. 1 S. masch. mit Unterschrift „Gisl“, 2 S. eigenh. von Kisch mit Unterschrift „Egonek“, auf 2 Bl. Kisch ist nach seiner Australien-Reise, bei der er bei der Landung vom Schiff gesprungen war, wieder nach Frankreich zurückgekehrt. Lyner fragt sich, „wie lange wir mit unserem Geld auskommen, und dann ..., ob die diversen Freunde nicht schon vorher seine Rückkehr verlangen. Andererseits ist Egonek ziemlich kaputt; vor allem ist das Bein noch gar nicht in Ordnung ... Die Australierin und ihr Sohn sind übrigens mit uns hier (sie sind übrigens reizend) und heute fahren
sie weiter nach London ... Außerdem hat Egonek noch einen jungen australischen Journalisten mitgebracht, der jeden Tag drei Artikel schreibt“. Gemeint ist John Fisher (19101960), ein Sohn des ehemaligen australischen Premierministers Andrew Fisher (1862-1928). Kisch schreibt dann eigenhändig über sein Australienerlebnis, bei dem die Regierung ihn gewaltsam auf die deutschen Schiffe Mosel bzw. Leuna bringen werden, die ihn in das faschistische Deutschland verschleppt hätten, was sicherlich inzwischen Lebensgefahr bedeutet hätte (vgl. Haupt S. 147): „Wir dürfen keine Pessimisten sein, auch wenn es fast nicht anders geht. Glaube mir, der ganze Rummel in Australien mit den großen Gefahren (zum Beispiel: die Regie rung wollte mich auf einen deutschen Dampfer bringen) hat mich nicht so aufgeregt, wie die Nachrichten, die hier auf mich gewartet haben. Die Rosner-Affäre, der Tod meines Freundes Stricha, Briefe von Freunden usw. ... Über Australien habe ich fast noch gar nichts ausgearbeitet, ich lasse das, bis Du hier bist ... Aus Australien habe ich Dir öfter geschrieben, aber Du hast nichts bekommen ... Bis dahin küsse ich Dich, Jarmilatsch, und bin Dein Fünfzigjähriger (im Abrahamsalter!) Egonek“. 2) Versailles, 18. Juni 1935. 1 1/2 S. masch. Über die Teilnahme am ‚Ersten Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur‘ in Paris: „Gestern war ein gewisser Ryland aus Australien hier, er wohnte bei Fishers in London ... Sag John [Fisher], daß die Delegationen länderweise bestimmt werden, zum Beispiel stellte England auch die Schriftsteller aus Canada zusammen, die zum Kongreß eingeladen wurden ... André Gide spricht, Barbusse, Malraux, Feuchtwanger, Heinrich Mann, Mike Gold, Forster, Huxley, Karin Michaëlis, Brecht, Seghers, Becher, Weinert, Karel Čapek, Nezval und Kisch, so wie viele andere. Die Zeitungen allerdings zeigen kein großes Interesse für die Sache“. Über Paris und London, wo Jarmila Haasová gerade weilt und über eine Ausstellung in Moskau zum 50. Geburtstag von Kisch. Gisl fügt hinzu: „... ich muß beim Kongreß stenografieren und die Kasse verwalten und Broschüren verkaufen?“. 3) Versailles, 3. August 1935. Ausführlicher masch. Brief von Gisela Lyner, 2 S. „Es wundert mich sehr, daß John [Fisher] von Hanns Eislers momentaner Anwesenheit in M[oskau] schreibt, denn ich hörte in Wien, und sogar schon vor meiner Abreise von hier, dass er bereits seit Wochen in Dänemark bei Brechts ist, am 1. September muss er seine Professur in Newyork antreten...“. 4) Bredene sur Mer, 26. September 1935. Noch umfangreicherer masch. Brief von Gisela Lyner, aus Bredene (Brèinienge; sie schreibt „Breedene“), einem Ort an der belgischen Küste, 3 1/2 dicht beschreibene Seiten. Gisela versucht eine Verstimmung zwischen ihr und Jarmila aufzulösen und sich zu erklären. Es geht viel um die Artikel Kischs „Dann kommt die Sache mit den Australien-Artikeln: ich habe Dir doch in fast allen Briefen geschrieben, dass ausser der Bodyline kein einziger Artikel auch nur halbwegs druckreif ist ... Und damit komme ich zu dem Haupt-Vorwurf, den Du mir machst: dass ich Dir eine Komödie vorspiele in bezug auf deinen persönlichen Konflikt mit E[gonek]...“. 83
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ Es geht viel um ausstehende Zahlungen und sehr interessant auch um die komplizierte Abwicklung der Honorare für die Artikel Kischs: „Auch das mit dem Geld in der SU. ist ein Missverständnis. Es ist ganz unmöglich, daß E. über das Geld verfügen kann, wenn er nicht selbst dort ist ... Ich will Dir ausführlich erklären, wie das mit dem Geld ist, damit Du es nicht noch einmal missverstehst. Die Honorare werden nachdem man sie verlangt, auf das Konto, das man hat, geschickt, und dann kann man es dort mit einem sozusagen Scheckbuch mit persönlicher Unterschrift abholen. Aber dieses Scheckbuch darf man nicht mit ins Ausland nehmen, und wir mussten es bei unserer Abreise von der Grenze zurückschicken. Uebrigens waren nur ein paar Rubel darauf, weil die verschiedenen Honorare von E. noch gar nicht angefordert waren...“. 5) Versailles, 11. Dezember 1935. Ausführlicher masch. Brief von Gisela Lyner 3 S. „Die Anna S. [die Schriftstellerin Anna Seghers; 1900-1983] sehe ich nur selten, nämlich bei den Schrifst. und da kann man sich kaum unterhalten, sie arbeitet jetzt auch sehr viel, sodass sie nie zu uns und wir nie zu ihr kommen ...Von Otto [der tschechische Schriftsteller Otto Katz; 1895-1952] haben wir eine Ansichtskarte bekommen, die erste, seit er weg ist, Ilschen ... ist jetzt allein in Newyork, er ist im Flugzeug von Chicago nach Los Angeles gereist ... Hab ich Dir geschrieben, dass auch die Lotte Jacobi [die Fotografin Johanna Alexandra Lotte Jacobi; 1896-1990, die u. a. Kisch porträtiert hatte] dort ist?“ Dann folgt viel über Kischs Publikationen, über China geheim, über Landung in Australien, das tatsächlich dann erst 1937 bei Allert de Lange in Amsterdam erscheinen konnte: „Du bist ja eine Optimistin, Jarmila, dass Du glaubst, das Australienbuch kommt vor Weihnachten heraus; ja vielleicht kommt es vor Weihnachten heraus, aber im nächsten Jahr ... Ich will auch noch an die Duschkos [d. i. Theodor Balk] heute schreiben, wann ich die anderen Briefschulden erledigen werde, weiß der Himmel, an Irma, Pully, Nico, Nell und Kev, ganz abgesehen von den Australiern in Australien und diverse sogenannte geschäftliche Briefe...“. 6) Versailles, 11. Dezember 1935. Eigenh. Brief von Egon Erwin Kisch. 1 S. mit Unterschrift „Egonek“. „Aus diesem Plagiat im České slovo [die Tageszeitung der Nationalsozialis tischen Partei in Prag, etwa ‚Tschechisches Wort‘] mache ich mir nichts, ich bin solche Dinge gewohnt und werde nicht reagieren Fragebogen liegt beantwortet bei ... Und grüße den alten Vinček, und wenn ich nach Prag komme, werde ich ihm den Allerwertesten beim Billard so jagen, daß er es bis zu seinem Tode nicht vergißt ... Wenn Dein Artikel erscheint, schicke ihn mir und sei ungerührt, - es gibt eben dumme Leute und schreibe (s. oben). Daß der Frey Dich deswegen nicht gern hat, bezweifle ich. Wenn Du ihn siehst, so grüße ihn und auch den Kurt Kersten“. Er meint seinen Freund, den Journalisten, Publizisten, Schriftsteller und Historiker Kurt Kersten (1891-1962) sowie den Schriftsteller Alexander Moritz August Theodor Frey (1881-1957), dessen Werke 1933 der nationalsozialistischen Bücherverbrennung anheimfielen und dann nach Basel ins Exil ging. – Kaum Gebrauchsspuren, die teils eigenhändigen Kuverts mit üblichen Rissen. Abbildung Seite 81
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„Dedié par Egonèque“
3084 Kisch, Egon Erwin. Abenteuer in fünf Kontinenten. (Mit Vorwort von Theodor Balk). 251 S. 19,4 x 13 cm. Blaugraues OLeinen (abgegriffen, stärker fleckig, bestoßen, unfrisch) mit Rücken- und VDeckeltitel in Dunkelblau. Paris, Editions du Carrefour, 1936. 120 € Melzwig 366.2. – Als zweite Ausgabe in Paris herausgebrachter satzgleicher anastatischer Abdruck der in Moskau gedruckten Erstausgabe mit dem Copyright-Vermerk „1935“ und Druckvermerk „Druckerei-Agentur A/S Samtryk, Oslo“. – Gelenke locker, Innengelenke teils eingerissen, Buchblock gelockert, teils gebrochen, vereinzelt etwas stärker fleckig oder mit Gebrauchsspuren der Übersetzerin der Werke Egon Erwin Kischs, seiner Freundin Jarmila Haasová, deren Bleistiftanstreichungen und Kommentare sich in dem Band finden. Titel mit scherzhafter Widmung Kischs in französischer Sprache: „Dédié par Egonèque“.
„Wir sind einfach Schweine, aber unfreiwillige.“ – „Es ist zum Kotzen.“
3085 Kisch, Egon Erwin. 5 (3 eigenhändige) Briefe an Jarmila Haasová aus dem Exil in Versailles in deutscher und tschechischer Sprache, jeweils mit Unterschrift „Egonek“. etc. 27 x 21 cm. Mit 4 Kuverts. Versailles 1936. 2.500 € Haupt 154ff. – Bedeutende, inhaltsreiche Korrespondenz von Egon Erwin Kisch und seiner Partnerin Gisela Lyner aus dem Exil in Versailles an Jarmila Haasová, bei der es um die Arbeit, die Korrekturen seiner Reportagen und Bücher, deren Veröffentlichung, aber auch um die immer schwierigere Situation der Exilanten in Frankreich geht. So können die beiden nicht mehr frei reisen, brauchen Visa und haben dennoch Grenzprobleme, hinzu kommen die Geldsorgen - aber auch Erfolge und vor allem viele Besuche von Freunden, Bekannten, bedeutenden Kollegen, Journalisten, Schriftstellern, Kommunisten und Widerständlern gegen die deutsche Diktatur. 1) 24. Januar 1936. Eigenh. auf Deutsch. „Milý Jarmiláče! Anbei Fragebogen retour. Sonst heute nichts Neues. Außer, daß ich auch meine Füllfeder verloren habe. Weiskopf schreibt mir heute, er will etwas gegen den Boykott meiner Bücher in Prag schreiben. Sonst scheint er an das Honorar nicht zu denken, will aber den ‚Case‘ bringen, will schon jetzt Reklamenotiz. Ich würde das alles von Woche zu Woche druckreif machen. ..“ Der Schriftsteller Franz Carl „F.C.“ Weiskopf (1900–1955) schrieb in deutscher Sprache und stammt wie Kisch aus Prag. Seine Mutter war Tschechin, sein Vater ein jüdisch-deutscher Bankangestellter. Mit dem ‚Case“ meint Kisch den ersten Teil seines „Buches Landung in Australien, in dem Kisch über seine Überfahrt, Verhaf-
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová tung und Inhaftierung, über die Kampagne zu seiner Freilassung sowie den gegen ihn geführten Prozeß - also über die eigenen Erlebnisse - berichtet, bevor er dann in Reportagen über Geschichte und Leben in Australien schreibt“ (Haupt S. 154 Anm.). 2) 5. März 1936. Masch. auf Deutsch. Unten auf einem umfangreichen Brief von Gisl Lyner an Jarmila. Diese berichtet von der Rückkunft nach einem Aufenthalt Kischs in Prag: „Inzwischen ist auch Egonek eingetrudelt, aber erzählen tut er sehr wenig, was immer man ihn fragt, wie geht es dem, was macht der, immer antwortet er: ich weiß nicht. Und sagt nur, daß er eigentlich mit keinem Menschen richtig reden konnte, dasselbe, was Du auch sagst. Seit seiner Ankunft bis gestern haben wir ununterbrochen die nächste Fortsetzung für die A.I.Z zurechtgemacht ...“ Sie schreibt von Problemen der Wiedereinreise nach Frankreich und Visaproblemen und hofft, „daß alles geregelt wird, damit wir nicht beide beim Zurückkommen uns an der Grenze herumstreiten müssen, und vielleicht das nächstemal ohne Erfolg ... Ich würde nichts sagen, wenn nicht so miese Zeiten wären“. Sie erwähnt Lene Radó, Paul Eisner, John Fisher Tom Fitzgerald und F. C. Weiskopf und schließt ein „Diktat von Egonek“ an: „Den Brief ans Deutsche Theater habe ich schon geschrieben, wenn Duschko ihn haben will, kann ich ihn ihm schicken“. Mit Duschko ist der Schriftsteller Fodor Dragutin (1900-1974) gemeint, der unter seinem Pseu donym Theodor Balk schrieb. Es folgt eine kleines Erlebnis: „Den Stich von Versailles scheine ich in Prag vergessen zu haben. Im Zug saß zwischen mir und meinem Freund, mit dem ich nicht sprach, ein Mann, der sich als Detektiv entlarvte und es dann auch gar nicht leugnete. Er stieg in Horní Dvořiště aus. Warum er mitgefahren ist, weiß ich nicht. Aber wie man doch achtgeben muß! ... Machs hübsch, Jarmilatschku, old Egonek“. 3) 15. März 1936. Eigenh. Brief auf Tschechisch mit einigen Zeilen von Lyner auf Deutsch. mit Unterschriften „Gisl“ und „Egon“. Er schreibt von den zahlreichen Besuchern in Versailles - Kisch und Lyner waren zu einer der Informations-Drehscheiben im Exil geworden. So besuchte sie 1936 auch der Schriftsteller Bruno Frank (1887-1945), der als Sohn einer jüdischen Bankiersfamilie schon am Tag nach dem Reichstagsbrand seine Heimat verlassen hatte. „Gestern war der Frank hier ... außerdem natürlich viele andere, Gisl mußte 5mal Kaffee kochen. Lene [Radó] war auch hier. Du hast wohl meinen Brief nicht bekommen, in den Lene die Fotografie von ihrer Freundin für Johnny H. [d. i. John Heartfield] beigelegt hat? Das war gerade der sogenannte ‚Kollektivbrief‘ ... Der Zwischenfall von Kaspar mit diesem Deutschen im Kino ist wirklich erstaunlich. Arbeiten kann ich hier nicht, wenn sich solche Burschen wie der Frank hier einnisten. Am Sonnabend war ich in einem Chaplin-Film, weil Bornstein, der mich gebeten hat, darüber zu schreiben, nicht wieder ablehnen wollte. Es wird übermorgen im Tagebuch erscheinen.“ 4) 25. März 1936. Überaus ausführlicher, langer und inhaltsreicher masch. Brief auf Deutsch mit Unterschrift „Libá Tě Jarmiláčku Tvůj Egonek“ (eingerissen und mit farbigen Anstreichung). „Liebste Jarmila, Du kannst Dir
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keinen Begriff machen, wie es hier zugeht, und wir denken ernstlich daran, mit Hinterlassung all unserer Habe einfach zu flüchten. Wahrscheinlich zu Yvonne nach Holland. Obwohl wir uns ausser zu Versammlungen fast nicht wegrühren, sind wir nicht imstande mehr als eine Fortsetzung für die A.I.Z. per Woche druckfertig zu machen ... Nevertheless bist Du die Einzige, mit der wir überhaupt in brieflichem Kontakt sind. Deinen Brief an Anna [Seghers] haben wir weitergegeben, sie wird Dir antworten, auch sie flüchtet heute oder morgen vor dem Betrieb“. Erwähnt John Fischer, Otto Katz, Willy Münzenberg, Olga Ossip, F. C. Weiskopf (meist nur mit Vornamen). „Deine Übersetzung der Chassjad Mirkulan [eine Reportage aus Abenteuer in 5 Kontinenten] habe ich wirklich gelesen, sie gefiel mir glänzend ...“ und zu anderen seiner Werke, dem ‚Case‘ [Landung in Australien]: „Es ist zum erstenmal, daß Du ein ungedrucktes Buch von mir übersetzt, und deshalb kann man alle Anregungen noch in die deutsche Originalausgabe hineinarbeiten ... ‚H. M. S. Strathaird‘. Das ist falsch ‚H.M.S. (His Majesty Ship) sind nur die Kriegsschiffe. Streich es also heraus und laß nur ‚Strathaird‘ stehn ... Ich erinnere mich deshalb daran, weil der Schneidermann den ‚Case‘ [Landung in Australien] ins Jiddische übersetzt, und er sagte, die ersten drei Seiten waren eine Teufelsarbeit, erst dann kam er in den Stil hinein. Er ist wahrscheinlich nicht gewohnt, so konzentrierte Sachen zu übersetzen“. 85
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
„Maxim Gorki – schon damals hatten wir doch das große Gefühl, einem historischen Menschen gegenüberzustehen“
3086 Kisch, Egon Erwin, und Gisela Lyner. 5 maschinenschriftliche Briefe an Jarmila Haasová in deutscher Sprache aus Belgien und Holland, mit Unterschrift „Egonek“ und „Gisl“. 27 x 21,5 cm. Mit 4 Kuverts. Gent und Rotterdam 1936. 800 €
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Weiter über John Fisher, der in Moskau weilt: „Ich bin neugierig, ob sich John F. nicht doch noch in M. halten wird. Vor einem Jahr waren wir beide noch auf dem Schiff, damals dachte ich kaum, daß er in M. eine Arbeit finden wird ... An Tom, Nell und Kev [gemeint ist Tom Fitzgerald und seine Familie] haben wir seit Monaten nicht geschrieben, wir sind einfach Schweine, aber unfreiwillige.“ Auf Verdacht der Zensur seiner und der Briefe seiner Bekannten: „Es ist wirklich auffallend, daß gerade der Kollektivbrief mit dem Foto verlorengegangen ist. Meiner Ansicht nach ist es nur ein Zufall; aber es ist doch komisch, daß es immer Briefe mit merkwürdigen Sachen, wie z. B. das Foto verlorengehen“. 5) 29. März 1936. Eigenhändiger Brief von Lyner und Kisch auf Deutsch: „Ich will Dir nur in aller Eile mitteilen, daß wir aus Holland wieder ausgeladen sind. Wir haben aber doch Abreisepläne, falls wir etwas Geld bekommen. John schrieb uns gestern aus M[oskau]“. Und Kisch: bei schwerer mehrstündiger Arbeit können wir täglich nicht mehr als 2 bis 2 1/2 Seiten zu Ende korrigieren! Das bedeutet bei einem Buch von etwa 370 Seiten, daß wir knapp vor Weihnachten fertigwerden, wenn keine Störungen eintreten. Es ist zum Kotzen!“. Abbildungen Seite 82
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Umfangreiche Korrespondenz in deutscher Sprache in maschinenschriftlichen Briefen, die meist zusammen von Kisch und Lyner abgefasst und unterschrieben wurden und die zeigen, wie schwierig das Leben der Exilanten ist, die mittels der Briefe die einzige Möglichkeit nutzen, ihr riesiges Netz von Bekanntschaften, Journalisten-Kollegen und Schriftstellern aufrecht zu erhalten. Besonders interessant die Erinnerungen an ein Treffen mit Maxim Gorki. 1) Gent, 16. April 1936. Gisela Lyner schreibt masch. aus dem „Hotel Excelsior“ und Egonek setzt einen eigenh. Gruß hinzu: „Liebste Jarmila, wie angekündigt, sind wir abgereist, zuerst nach Brügge ... sind jetzt in Gent ... Es ist nur wichtig, dass Du uns schreibst, umsomehr als wir von der Welt abgeschnitten sind ... wir sind fast ganz ohne Geld weggefahren, weil der Verkehr in Versailles unerträgliche Ausmasse angenommen hatte. Ein Zimmer haben wir dort behalten müssen, sonst hätten wir nicht gewusst, wohin mit all unseren Sachen ... Deine Gisl“. „a Egonek, který tě líbá“ („und Egonek, der dich küsst“). 2) Gent, 27. April 1936. Ausführlich dieselbe. Masch. Brief mit Unterschrift „Gisl“. „Leider kann ich Deine Artikel ja nicht lesen, und der Egonek ist viel zu faul, sie mir zu übersetzen ... Was Du über die Fehler im ‚Case‘ [das Manuskript Landung in Australien] sagst, die Entfernung beim Rekordflug und Preis des Telegramms etc., hat der John [der australische Journalist Fisher; 1910-1960; Sohn des dortigen Premierministers Andrew Fisher] dem Egonek auch gesagt, und es wird mit roter Tinte korrigiert. Das Buch vom Tom [Fitzgerald] (On the Pacific Front) haben wir schon bestellt ... Mein Visum ist nur bis Mitte Mai, und das Verlängern macht schreckliche Laufereien und Schwierigkeiten. Vielleicht gehen wir dann noch nach Holland ... Von Lene [Radó] haben wir viel Post, sie ist ganz gebrochen über die Ereignisse in Südamerika, und wirklich ist das, was man von dort liest, ganz grauenhaft und erschütternd.“ 3) Rotterdam, 18. Mai 1936. Umfangreicher masch. Brief von Egon Erwin Kisch im Diktat von Lyner, mit Unterschrift „Egonek“ und „Gisl“ sowie 5-zeiliger eigenhändiger Beischrift von Kisch. Kisch schreibt: „Seit acht Tagen sitzen wir jetzt in Holland, es geht uns, da wir eingeladen sind, recht opulent, und materiell sorglos, aber das bezahlt man wieder mit soviel verlorener Zeit, daß wir sofort wegfahren würden, wenn uns Paß- und Geldverhältnisse solches gestatteten“. Weiter über Wolfgang Langhoffs (1901-1966) Bericht über 13 Monate im Konzentrationslager Moorsoldaten (1935 erschienen), sie erwähnt Feuerstein, Schörpner, Paul
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová Eisner, Nico Rost, John Fisher, John „Johnny“ Heartfield“. 4) Rotterdam, 23. Mai 1936. Masch. Brief von Lyner mit Unterschrift „Gisl“ und eigenhändiger Beischrift von Kisch: „Schöne Blödheiten, schreibt da die Gisl. Du musst ja direkt glauben, daß ich krank bin. Rede nicht bei mir zuhause davon. Líbá Té Starý E.“ („Ich küsse Dich, Dein alter E.“). Gisl berichtete über Fotos für die Artikel in der A.I.Z. und die Korrekturen zur Landung in Australien: „Dieser Tage werden wir mit dem Case fertig werden ... wenn wir etwas Geld kriegen, will der Egonek wieder nach Belgien zurück ... Gestern war der Arzt hier (Freund von Sanders) und hat den Egonek sehr ordentlich untersucht, es fehlt ihm gar; gar nichts, nur muss er eine richtige Diät haben, um abzunehmen, d. h. er darf alles essen, nur kein Fett, keine Kartoffeln, kein Brot und keine Sauce, also alles, was er gern isst ...“. 5) Rotterdam, 7. Juni 1936. Langer masch. Brief von Kisch mit Unterschrift „Egonek u. Gisl“. Kurz vor der Abreise aus Rotterdam: „... wir machen gar nichts, eingeladen sein ist zwar billig und schön; aber doch auch wieder teuer, indem man nicht zum Schreiben kommt ... Wir gehen irgendwohin bei Ostende ... Vielleicht gehen wir wieder nach Breedene. Da die Artners und die Fitzgeralds auch im Sommer nach Belgien gehen, werden wir sie vielleicht dort treffen ... Gestern lasen wir, daß Maxim Gorki im Sterben liegt, es wäre schrecklich für die Literaturfront, wenn das wahr wäre; er ist nicht nur ein Name, sondern wirklich ein großer Mensch, der sich um das Kleinste kümmert. Wie lange ist es doch schon her, daß wir bei ihm in SaarowPieskow waren, und schon damals hatten wir doch das große Gefühl, einem historischen Menschen gegenüberzustehen. Du solltest einmal über diesen Besuch schreiben, vor allem darüber, wie er, der damals in unzweifelhafter Opposition zu den Sowjets stand, über das Gedicht von Majakowski, das die kleine Neumannová vortrug, begeistert war, und wie positiv er über alles in Rußland sprach“. Dann folgen Anmerkungen zu Übersetzungen Jarmilas, über die A.I.Z. und Julian Smiths Bericht On the Pacific Front. The Adventures of Egon Kisch in Australia, das 1936 in Sidney erschien. Abbildung Seite 85
„Wir leben in einer schweren Zeit. In einer blutigen Zeit.“
3087 Kisch, Egon Erwin. Abenteuer in fünf Kontinenten. (Mit Vorwort von Theodor Balk). 251 S. 19 x 12,2 cm. Beigefarbenes OLeinen (etwas gebräunt und braunfleckig) mit Rücken- und Vorderdeckeltitel in Braun sowie mit zweifarbig illustriertem OSchutzumschlag (mit kleinen Randaus- und einrissen, etwas angestaubt). Moskau, Verlagsgenos senschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR, 1936. 350 €
Melzwig 366.1. – Erste Ausgabe einer Zusammenstellung von 21 Reportagen aus der ganzen Welt, die Kisch in Moskau drucken lassen konnte, mit den genauen Angaben im Impressum bis hin zum Papierformat: „In Arbeit: 15. IV.1935 - In Druck 22.II.1936 - Druckbogen: 15 3/4 - Druckzeichen pro Druckbogen: 33.000. Autorbogen: 10 1/4 ... Druckerei ‚Iskra Rewoluzi‘ Moskau, Filippowski Pereulok 13. Auflage: 6100“. Das Vorwort des serbisch-deutsch-jüdischen Schriftstellers Theodor Balk (1900-1974) ist eine Hommage an den 50-jährigen Autor: „Kisch ist der große Reporter-Ankläger des kämpfenden Proletariats, (Noch mehr wäre er, wenn er, im Gegenstande des Kunstwerks selbst, der Reporter der großen revolutionären Schlachten des Proletariats sein würde. Doch ist dies Buch kein Nekrolog.) Und wenn wir heute zu diesen 50 Jahren Leben unseres Freundes objektiv Stellung nehmen, so wissen wir, daß es nur eine Ueberschau über die durchlaufenen Etappen ist. Und wir warten auf die nächste, auf die höchste Etappe im Werke Kischs. Wir leben in einer schweren Zeit. In einer blutigen Zeit. In einer - ja das kann man sagen - in einer großen Zeit. Wir leben im dreißigjährigen Krieg der sozialen Revolution. ‚Schreib das auf, Kisch‘, rufen wir ihm zu. Und wir wissen: er wird es aufschreiben“ (S. 29). – Vorsätze etwas schattig und fleckig, sonst nur geringe Gebrauchsspuren, kleiner Einriss. Titel mit Widmung Kischs: „gewidmet dem Jarmiláč von Egonek.“, an die geniale Übersetzerin Jarmila Haasová, deren Lese- wie Arbeitsexemplar das vorliegende war. So finden sich vor allem im Vorwort zahlreiche Einträge, Streichungen und eigenhändige Notizen. Sehr seltene Leinenausgabe (mit der Blindprägung im Rückdeckel: „Preis 3,5 Rubel - Einband 1 Rubel“) mit dem originalen Schutzumschlag. Abbildung
„Spanien, wo sich unser Schicksal entscheidet.“
3088 Kisch, Egon Erwin, und Gisela Lyner. 5 maschinenschriftliche Briefe an Jarmila Haasová in deutscher Sprache aus dem belgischen Küstenort Bredene in der Provinz Westflandern. Mit Unterschrift „Egonek“ bzw. „Gisl“. Jeweils 9 x 14 bis 10,5 x 15 cm. Mit 4 Kuverts. Bredene, Belgien 1936. 2.600 € Die zeitgeschichtlich bedeutenden Bredener-Briefe des politischen Umbruchjahres 1936. In den Sommermonaten zogen sich Gisela Lyner und Egon Erwin Kisch zum Arbeiten zurück in den belgischen Küstenort Bredene, sie schreiben als Absender „Breedene sur Mer Hôtel d‘Anvers“. Dort treffen sie u. a. die Autorin Irmgard Keun und viele andere, kommen aber mehr zum Arbeiten als in Versailles. 1) 22. Juni 1936. 1 1/2 S. von Egon Erwin Kisch mit Unterschrift „Tvůj starý Tě líbající Egonek“ („Dein alter, Dich küssender Egonek“) und eigenhändiger Nachschrift „Beide, 87
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leider, haben wir kein Photo gefunden, trotz allem Suchen E.“ Jarmila hatte sich für eine Publikation ein Foto erbeten (ggf. für ein Frontispiz). Es geht um eine wohl von dem tschechischen Redakteur und Übersetzer František Schörpner (1904-1941) abgelehnte Veröffentlichung von Kischs Reportagen in Prag. Schörpner, der auch für seine Karl May Übersetzungen bekannt war, verlor sein Leben am 29. März 1941 im Konzentrationslager Dachau. „Die Sache mit Schörpner nimmst Du viel zu tragisch, ich möchte auch keinesfalls, daß die Schuld an meinem Boykott, welcher teils ein politischer, teils einer der literarischen Ahnungslosigkeit ist (die Leute halten eben immer noch Reportage für etwas weniger Feines), daß dieser Boykott so hingestellt wird, als sei er nur aus Konkurrenzgründen eines Herrn Schörpner oder wegen Honorarforderungen veranlaßt. Wir müssen einen Verlag finden, wenn nicht jetzt, so später, und das wird die Antwort sein“. Über die amerikanische Verlegerin Blanka Knopf, die Frau des New Yorker Verlegers Alfred A. Knopf, die ihn nach Paris bittet, Kisch lobt Jarmila für ihre Übersetzungen, 88
aber auch für ihre eigenen Texte, von denen sie immer mehr verfasste: „Dein Artikel über Ostrowski ... ist ganz brillant ... Du beklagst Dich immer, daß man Deine Arbeit nicht anerkennt ... Das Zitat am Schluß, Lenins Worte, lassen den Artikel etwas zu parteijargonmäßig abklingen...“ 2) 22. Juni 1936. 2 S. eng beschriebenes Blatt von Lyner am selben Tag. Sie berichtet über die Flucht aus dem Deutschen Reich nach Israel, die immer schwerer wird: „Das mit dem Zionismus ist komisch, aber ich höre das jetzt oft, von Leuten, die erst jetzt herauskommen, daß sie sich darauf verlegen“. Ausführlich schreib Gisela über die Publikationsarbeit, Korrekturen und Abschriften mit der Maschine und berichtet interessant von den Lebensumständen in Belgien, wobei sie zahlreiche Preise nennt: „Pension zahlen wir pro Person 30 belg. Francs täglich ... ein Kaffee kostet 1.50 bis 2.50, je nach dem Lokal und eine Schachtel mit 25 Zigaretten 2.20“. Lyner schreibt von ihrem Kontakt mit der Autorin Irmgard Keun (1905-1982): „Und in Ostende (10 Minuten mit der Elektrischen von hier) wohnt eine neue Verlagskollegin von
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Egonek, die erst vor kurzem herausgegangen ist, vielleicht kennst Du sie dem Namen nach: Irmgard Keun. Sie hat Das kunstseidene Mädchen und Gilgi, eine von uns geschrieben. Also direkt einsam sind wir hier leider nicht, aber es ist doch ein großer Unterschied zu Versailles“. Über die am 5. Dezember 1936 im VIII. außerordentlichen Sowjetkongress der Sowjetunion verabschiedete Verfassung durch die Kommunistische Partei der Sowjetunion unter Josef Stalin, in der weder die Möglichkeit zu freien Wahlen noch die Wahrung von Menschenrechten faktisch vorgesehen waren - und die UdSSR von Stalin immer mehr zu einer Diktatur umgebaut wurde. „Hier im Land geht jetzt allerlei vor, wenn‘s doch nur auch mit einem so guten Erfolg enden würde wie in Frankreich! Und die neue Verfassung in USSR ruft auch großes Erstaunen hervor“. 3) 15. Juli 1936. 2 S. masch. Brief mit Unterschrift „Egonèque“ und 9-zeiliger Nachschrift, gezeichnet „Deine Gisl“. Über die Situation in Bredene als Zufluchtsort der deutschen Intellektuellen, über seine Bücher und vieles mehr: „...vor allem wollten wir endlich den Kisch-Case [Landung in Austra-
lien] abschicken, es war ja schon zum Kotzen dieses Herumgemache daran. Jetzt ist es weg, und es kommt die zweite Hälfte des Buches, und das wird wohl noch ärger ... Gestern schickte ich Dir On the Pacific Front, das Buch von Tom [Fitzgerald], mit einer Widmung ... es ist wirklich ausgezeichnet! ... Du kannst Dir vom Rummel hier keinen Begriff machen, unter anderem sind in Ostende und Breedene: Joseph Roth, Hermann Kesten, Stefan Zweig, Irmgard Keun, Arthur Koestler, Lou Eisler, Artners, ein paar Arbeiter-Genossen, darunter proletarische Schriftsteller, denen es natürlich fürchterlich geht. Auch verdächtige Subjekte schleichen herum ... Eisner ... ist der einzige Mensch auf der Welt, der noch über mich schreibt, - Reportage und Kommunist, das ist den Kritikern zu viel ... Die Lou erzählt, daß sie Dir wegen Übersetzungen von Brecht und Paul Fischauer, dessen Biographie von Beaumarchais in Amerika ein Bestseller ist, schreiben ließ ...“ 4) 24. Juli 1936. 1 S. masch. Brief mit Unterschrift „Dein Egonek“, bedeutender, zeitgeschichtlich interessanter Brief über sein Buchprojekt Landung in Australien, über neue 89
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Buch- und Reisepläne, aber auch über die aktuelle politische Situation, die er und Gisela Lyner aufmerksam verfolgten. So erwähnt Kisch die Tagung des Völkerbunds (die sog. Genfer Liga) und macht sich ernste Sorgen über den Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs, der in der Woche zuvor durch die Militärrevolte in Spanisch-Marokko am 17. Juli 1936 begonnen hatte. „Liebste Jarmila, nachdem Du also in jugendlichem Optimismus darauf bestehst, daß wir Dir die korrigierten Exemplare von Case aufheben, weil Du so sicher bist, einen Buchverlag dafür zu finden, so heben wir Dir die Manuskripte auf.“ Die Landung in Australien sollte dann tatsächlich 1937 bei Allert de Lange in Amsterdam erscheinen. „Ich habe auch zwei Artikel von den Australien-Reportagen fast fertig, der eine, über die Botany Bay, ist mehr eine Einleitung zu dem Buch ... Der andere hat 15 Seiten und handelt von den Eingeborenen. Du fragst, was ‚Orford‘ ist? Das weiß ich selbst nicht.“ Es handelt sich um den Dampfer, „mit dem Kisch Anfang März 1935 von Australien aus die Heimfahrt 90
nach Europa antrat“ (Haupt). „Fitzgeralds erzählen, daß John [Fisher] nach Genf fährt zur Völkerbundstagung als Spezialberichterstatter für eine australische Zeitung ... Ich habe Pläne für ein neues Buch und eine neue Reise ... Wir sind alle sehr bedrückt wegen Spanien. Es wäre schrecklich, wenn dort die Reaktion siegen würde“. 5) 18. August 1936. 1 1/2 S. masch. Brief mit Unterschrift „Egonek“ und von Lyner „und Gisl“, mit 4-zeiligem eigenhändigen Nachsatz von Kisch: „P.S. Du bist uns einen Brief schuldig, sehe ich gerade! Also schreib!“. Ein Brief an Jarmila Haasová „... obwohl uns nicht zum Briefeschreiben zumute ist. Vor allem wegen Spanien, wo sich unser aller Schicksal entscheidet und von wo man noch nichts entscheidend Gutes zu hören bekommt ... Apropos: vor einigen Tagen waren einige Tschechen hier, die in der Nähe auf den Dünen in einem antifaschistischen Camp Sommerferien machten. Ganz junge Burschen, sie sprachen ganz begeistert von der Australienreise in der Tvorba, sie sagten, sie hätten nur deshalb jede Woche das Blatt gekauft ... Daß die
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová A.I.Z. jetzt Volks-Illustrierte heißt, wirst Du schon wissen, außer dem Titel hat sich nichts geändert.“ Und privater von Gisela und Egonek: „Erinnerst Du Dich noch an den miesen Jack Lewi aus Holland, Mann der Maria Ballenberger, der in Berlin die miesesten Affären gehabt hat? Nina Kuh wird sich sicher an ihn erinnern. Lucie Lania erzählte, was für ein großer Mann er in London ist, englischer Staatsbürger, Korrespondent südafrikanischer Blätter mit einer Prachtwohnung, noblem Verkehr, und neulich hat er anläss lich der jüdischen Konfirmation seines Sohnes ein Bankett für 50 Personen gegeben etc. etc.“ – Mit vier Umschlägen, davon einer eigenhändig, drei maschinenschriftlich. Abbildung Seite 88
„Meiner Ansicht nach ein großartiger Antinaziroman, der viel Aufsehen machen wird.“
3089 Kisch, Egon Erwin, und Gisela Lyner. 11 Briefe (9 maschinengeschriebene und 2 eigenhändige) in deutscher Sprache, mit Unterschrift „Egonek“ bwz. „Gisl“. Jeweils 27,5 x 21,5 cm. Mit 11 Kuverts. Versailles 1936-1937. 3.500 € Haupt S. 195ff. – Umfangreiches Konvolut von acht veröffentlichten Briefen und einem unveröffentlichtem von Egon Erwin Kisch (1885-1948) und Gisela Lyner (1895-1962) aus Versailles an die gemeinsame Freundin und Übersetzerin Jarmila Haasová (1896-1890) in Prag. Nach der arbeitsreichen Sommerpause im belgischen Bredene verbrachte Kisch zusammen mit seiner Lebensgefährtin wieder in Versailles, in ihrer kleinen Wohnung in der Rue du Jeu de Paume 2, wo sie ihre Arbeit fortsetzten, aber offenbar auch immer mehr vereinsamten und sich Sorgen über die immer schlechter werdende, sich zuspitzende Lage der Demokratien Europas machten. Die Angst um die Freiheit Spaniens vor der drohenden Diktatur schwebt 1936 über allem. 1) 16. September 1936. 2 S. dicht beschriebener eigenhändiger Brief von Egon Erwin Kisch und - ebenfalls eigenhändig - von Gisela Lyner. Kisch schreibt: „In den Abenteuern aus fünf Kontinenten scheint mir aber doch viel zuviel enthalten zu sein, was schon in anderen tschechischen Büchern drinsteht, Redl, Hopfenpflücker, Drina-Übergang etc. Und die Einleitung von Duško ist für Prag nicht ganz richtig, dort müßte man gegen die Totschweigetaktik polemisieren. Wenn Du das Buch machen willst, würde ich Dir Material für eine Einleitung schicken und auch eine afrikanische Sache, vielleicht Port Said, das ich auf meiner Australienreise berührt habe. Aber würden sie nicht China oder Asien als Buch nehmen? Jedenfalls sollen sie im gleichem Format und Satz wie die Pokrok-Bände drucken, damit sie die ganze Serie neu herausbringen können“. Gemeint ist der Verlag der tschechischen Zeitschrift Pokrok (Fortschritt), die der Schriftsteller, Dichter und Verleger Václav Kaplický (1895-1982) herausgab. Der Duško ist der Schriftsteller Theodor Balk.
„Wenn Du Pasáci, pasáci machst, so schlage mir Änderungen vor ... In Rußland ist auch ein Sammelband von mir erschienen. Leta i ljudi oder so.“ Bei Pasáci handelt es sich wohl um die Zuhältergeschichte aus Prag, die 1914 unter dem Titel Der Mädchenhirt erschien. Lyner schreibt noch ausführlich mit Ergänzungen: „Egonek mußte auf einen Tag zum Kongreß, alle Leute, hunderte, hat er dort getroffen, nur den Nico [Rost] nicht ... In Spanien ist Richard Kisch, der Junge vom Daily Worker verwundet worden. In Moskau scheint man zu glauben, daß es Egonek ist...“. 2) 23. September 1936. 2 masch. S. mit Unterschrift „Hubička! Dein alter Egonek“ und 12-zeiliger eigenhändiger Nachschrift sowie einer masch. Beischrift von „Gisl“. Intensive Arbeit an den tschechischen Ausgaben seiner Reportagen, die Jarmila Haasová übersetzte, aber auch redaktionell betreutet - bis hin zu der Auswahl der Reportagen, die für einen Band vorgesehen waren, wobei ihr Kisch weitgehend freie Hand lässt, aber Vorschläge macht: „Mir wäre ja am liebsten gewesen, wenn Du einfach Eintritt verboten herausgegeben hättest, vermehrt um das Pariser Ghetto, Hitler-Brief und vielleicht noch etwas. Dann hätten wir den schlechten Afrika-Artikel vermieden und auch dem Australien-Buch nicht vorgegriffen ...War denn Lenins Zimmer noch in keinem tschechischen Buch? ... Eine zweite Lösung wäre, daß Du aus China und Asien einen Band machst, etwa unter dem Titel China und Sowjetasien. Durch dieses Buch würde sich ebenso wie durch Eintritt verboten die Einleitungsfrage erledigen ... Du fragst, wie Du Parchkopf übersetzten sollst? Das weiß ich nicht. Vielleicht läßt Du das deutsche Wort, erklärst ...“ Gemeint ist Kischs Reportage Des Parchkopfs Zähmung aus dem Buch Geschichten aus sieben Ghettos, das 1934 bei Allert de Lange in Amsterdam erschienen war ... Den Namen Ellen würde ich lassen, die mährischen Juden geben ja so deutsche Namen, und in einer tschechischen Übersetzung wirkt das wie ein gerechter Angriff. - Hillelsgeduld ist eine Geduld wie die, die den Propheten Hillel ausgezeichnet hat.“ Und über die Besuche in Versailles: „auch Piscator war einmal hier, und man hat mir schon wieder Vorträge aufgehalst, obwohl ich auf den Knien gebeten habe, mich noch einen Monat in Frieden zu lassen.“ 3) 16. September 1936. 1 1/4 S. eigenhändiger Brief in flüchtiger kleiner Handschrift mit braunschwarzer Tinte und Unterschrift „Grüß den Duško herzlichst. Und sei selbst gegrüßt und geküsst von Deinem alten Egonek“. Übersetzungsprobleme, die Kisch für Jarmila zu lösen sucht, ein eindrucksvolles Zeugnis, wie genau an jedem einzelnen Wort gefeilt wurde: „Aber es ist auch für mich schwer, bestimmte Wendungen gehören zu bestimmten Komplexen ‚Felle wegschwimmen‘ z. B. zum Pelzhandel, ‚Nabelschnur‘ zum Kabel, sonst ist die Sache fast unvollständig, - dort, wo der Ursprung einer abgebrauchten Metapher liegt, oder eine abgebrauchte Metapher einen neuen Sinn bekommt, muß man das sagen, auch wenn man sich wiederholt“. Erwähnt werden Willy Haas, Leo Lania, Schörpner, Kostja Z. (wohl der Sohn von Clara Zetkin, lt. Haupt S. 201) etc. Mit ausführlicher eigenhändiger Beischrift von Gisela Lyner (16 Zeilen). 91
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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4) 29. Oktober 1936. 1 masch. S. mit Unterschrift „Egonek“. „Begeistert, absolut begeistert bin ich über Dein Referat über die Töchter der Revolution. Ich war bei der Lektüre so gespannt und so gaufgeregt und so gerührt, als hätte ich den Film selbst gesehen ... Kostja Z[etkin] ist der einzige, der uns in dieser Zeit zweimal besucht hat ... Unser Telefon ist gestört, und so haben wir nicht einmal drahtliche Verbindung mit der Welt ...“. Ausführlichst schreibt Lyner ihrer Freundin, u. a. „Ansonsten ist mir ziemlich mies, was aber nur mit der Weltlage zusammenhängt...“. 5) 2. November 1936. 3/4 S. masch. Brief mit Unterschrift „Egonek Líbá Tě“ („Es küsst Dich“). Kisch präzisiert Passagen zur Übersetzung: „Erst nach dem Barbusse-Zitat etwas über den Geburtstag ... Die Freunde Egoneks, welche Namen: Romain Rolland, Maxim Gorki, Charlie Chaplin, André Gide, André Malraux, Upton Sinclair, Lion Feuchtwanger, ... Festnummer der Neuen Deutschen Blätter, der Internationalen Literatur, der Literaturnaja Gazeta. Die grosse Feier im der [sic] Salle de l‘encouragement in Paris. Eine Kisch-Ausstellung in Moskau ...“. 6) 9. November 1936. 1 1/3 masch. S. mit Unterschrift „Hubičku! Egonek“. „Da dieser Idiot Schörpner über mich einen Artikel in unserem Blatt schreibt, ist wirklich schlimm. Aber man muß erst abwarten, was er da zusammengekleistert hat. Die Anekdoten über mich sind alle aus einer ganz anderen Zeit und haben mit meinem heutigen Ich gar nichts zu tun; es ist echt pragerisch, die Menschen immmer gleich zu sehen“. Gemeint ist der Übersetzer und Schreiber František Schörpner (1904-1941). „In der Par[iser] Tageszeitung erschien der Roman von Irmgard Keun: Nach Mitternacht, meiner Ansicht nach ein großartiger Anti naziroman, der viel Aufsehen machen wird .. Das Buch erscheint bei Allert [sic] de Lange“. Verso 1/3 masch. S. von Gisela Lyner, die über die Einsamkeit und finanziellen Schwierigkeiten im Exil in Frankreich hinzufügt: „... mit Sehnsucht warte ich darauf, daß wir 92
endlich mit dieser Hetzarbeit fertig werden ... Wir leben jetzt noch zurückgezogener und einsamer wie in Gent, wo wir keinen Menschen kannten: manchmal vergeht eine ganze Woche, ohne daß uns auch nur jemand anruft, oder wir jemanden, weil man ja auch mit dem Telefongeld sparen muß ... Gisl“. 7) 14. November 1936. 1 masch. S. mit Unterschrift: „Egonek. Hubičku!“ („Ich küsse Dich!“): „Dein Artikel über Spanien fängt wieder so lokalnotizenhaft an, statt daß Du in einem Satz gesagt hättest: ‚Spanien, Spanien, Spanien, das ist die Devise der denkenden Menschheit, das ist der Kampf zwischen Reaktion und Humanität, Spanien, Spanien, Spanien, daran denkt man bei Tag und wenn man einschläft, oder so etwas. Verstehst Du, was ich meine? Der erste Satz soll eine Sentenz enthalten.“ 8) 29. November und 30. November 1936. 1 masch. S. mit Unterschrift „Dein (hubičku) Egonek“ und 1 masch. S. von „Gisl“. Unveröffentlichter (nicht bei Haupt abgedruckter), sehr interessanter Brief über den Rechtsdruck der tschechischen Presse. „Hast Du gehört von der Richtungsänderung im Prager Tagbl.? Im Tage-Buch habe sie etwas aus den Druckbogen abgedruckt ... Auch in der Weltbühne war ein gekürztes Kapitel ... Was Du über das T.-B. [das Prager Tagblatt] schreibst, ist vollständig richtig, ich bin froh, dass ich Dir darüber nichts geschrieben habe, sonst hätte Bo. [wohl der befreundete Journalist und Kollege Joseph Bornstein; 1899-1952] geglaubt, dass ich Dich beeinflusse. Du bist aber von selbst auf den richtigen Standpunkt gekommen. Sie haben sich da wegen Morus in diese Position hineingeritten, sodass sie heute ein Organ gegen Hitler, gegen die Einheit der Emigration und gegen die S.U. sind, oder wie sie glauben, gegen Stalin, ohne daran zu denken, dass eine erschütterte Position der Regierung die ganze S.U. erschüttern müsste und Spanien] sofort kaputt ginge. Jetzt haben sie einen alten Artikel von Bernh. herausgegraben, zum Beweis, dass er im Krieg für den deutschen Sieg war, was würden sie sagen, wenn man ihre alten Artikel heraussuchen würde! Mareu macht sich gross, dass er die Hinrichtung von André mit der Verhaftung von Radek in Zusammenhang gebracht und auch anderes Material über die Stalinverehrung dem T.-B. gesteckt hat. Du schreibst, dass Spann in Paris ist, aber niemand hat von ihm eine Spur gesehen oder gehört. Auch Ernst Popper soll hier soll hier sein, aber er hat sich bei mir nicht gemeldet und ich weiss auch nicht bestimmt, ob es wahr ist ...“ Ausführliche Beischriften von Gisela Lyner. 9) 8. Dezember 1936. 1 1/3 masch. Brief mit Unterschrift „Hubičku! Egonek.“ und 2/3 masch. Beischrift von „Gisl“. Ausführlich über die von Jarmila Haasová übersetzte und redaktionell betreute tschechische Ausgabe des Sammelbands Abenteuer in 5 Kontinenten, für die sie auch die Werbung organisierte: „Liebste Jarmila, das war eine Überraschung, nach so vielen Jahren wieder ein Buch von mir in Tschechisch ... Sag ihnen ... daß der Titel des Buches und der Name des Autors so groß sein müssen, daß jemand vor dem Schaufenster auf drei Meter Entfernung es lesen können muß, auch bei schlechtem Licht. Das ist das oberste
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová Prinzip der Buchausstattung ... Die Kritik wird in einer miesen Lage sein. Einerseits reizt die Einleitung zum Widerspruch, andererseits werden sie sich fürchten, einen so gefeierten Mann zu beschimpfen...“ Mit ausführlicher Schilderung der Aktivitäten (Louvre- und Kinobesuche in Paris) von Lyner. 10) 23. März 1937 und 30. April 1937. 2 unveröffentlichte masch. Briefe von Gisela Lyner, je 1 1/3 S. mit Unterschrift „Gisl“. Sie schreibt an Jarmila Haasová und sorgt sich um Egonek, der noch in Prag geblieben war, wo Gisela und er das Frühjahr verbrachten: „Ich mache mir Sorgen, was mit ihm los ist, da Du auch noch schreibst, dass er noch ner vöser ist als vorher ...“ Sehr umfangreich, erwähnt Hanns Eisler, der anrief und sie besucht, Theodor Balk, ferner über trügerische Hoffnung in Spanien „Das einzig erfreuliche sind die guten Nachrichten aus S[panien]“ – Mit 2 eigenhändigen adressierten Briefkuverts, alle mit interessanten Briefmarken. Abbildungen Seite 89 und 90
„Fast ungeschützt an den gefährlichsten Frontabschnitten, wo auf uns geschossen wurde.“
3090 Kisch, Egon Erwin. 2 eigenhändige Briefe an Jarmila Haasová in deutscher und tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“. Je 25,5 x 20,5 cm. Mit 1 Umschlag. Madrid 1937. 800 € Haupt 214ff. – Im Juni reiste Egon Erwin Kisch (1885-1948) nach Madrid, zunächst, weil er am Schriftstellerkongress teilnehmen wollte, dann aber auch, um den Freiheitskampf des Spanischen Volkes gegen den Faschismus mit seinen Reportagen zu unterstützen und von der Front zu berichten. Der Zweite Internationale Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur geht auf die Initiative des Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg (1891-1967) zurück. Er fand zunächst in Valencia, dann in Madrid und endlich in Paris statt. 6. Juni 1937. 2 S. eigenh. auf Deutsch mit Unterschrift „Egonek“. Kisch schreibt seiner Jarmila „... ein Brief aus Spanien. Vom Schauplatz. Zu schreiben hätte ich so viel, daß ich - o dialektischer Gegensatz - gar nichts schreiben kann. So viel Eindrücke, so viel Menschen, daß das Gehirn zu bersten droht. Der Gedanke, dass es erst drei Wochen her ist, seit Mutter starb, ist mir unfassbar ... wahrscheinlich werde ich bald tschechisch im Radio sprechen (von der Front), und das wird dann vorher unserer Presse in Prag gemeldet werden ... Die Stimmung ist überall glänzend, sehr optimistisch, die Ausbildung der Truppen, davon habe ich mich überzeugt, wird von Tag zu Tag besser, - die großen Fehler, die am Anfang des Krieges vorkamen, können sich nicht mehr wiederholen. Hoffentlich kommt auch zwischen den Arbeiterparteien eine starke Einigung zustanden ...“ 18. Juli 1937. 2 S. eigenh. auf Tschechisch und Deutsch mit Unterschrift „Dein alter Egonek“. Er schreibt: „Milý Jarm i láči ...“, also „Liebe Jarmilatsch, die Landsleute und Genossen Jaroslav Kratochvil und Laco Novomeský fahren heute
3091 in friedlichere Gebiete, und es wäre von mir nicht schön, wenn ich ihnen nicht einen Gruß für Dich mitgeben würde. Sie werden Dir alles sagen, wie wir zusammen fast ungeschützt an den gefährlichsten Frontabschnitten in der Casa del Campo waren und wo auf uns geschossen wurde, und wie wir uns auf der Plaza del Castella von einem Straßenfotografen fotografieren ließen und hinter uns der Franco geflogen ist und wir das nicht gesehen hätten, wenn uns nicht die Wolken der Flugabwehr-Artillerie seinen Weg gezeigt hätten. Aber daß Du nicht denkst, daß der Franco dort persönlich dringesessen hat, da mache ich nur einen Witz“. Er schreibt von seinen zahlreichen Kontakten, die er auch in Madrid pflegte und zu seinen Publikationen in der Tvorba und V.I., der Volks-Illustrierten, Nachfolgerin der A.I.Z., die bis 1938 in Prag erscheinen konnte „und dann aufgrund der Bedrohungen durch das faschistische Deutschland nach der Okkupation des Sudetenlandes ihr Erscheinen ein[stellte]“ (Haupt, S. 215 Anm.). „Ich wohne in Madrid, Calle del Marues de Duero 7 ... Neben mir sitzt Regler ... Hat [F. C.] Weiskopf meinen Brief für die V.K. bekommen?“. Gemeint ist der Journalist und Schriftsteller sowie Kom93
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munist Gustav Regler (1898-1963), der 1933 emigriert war und dessen Buch The Great Crusade, (deutsch: Das große Beispiel. Roman einer internationalen Brigade), das sich mit dem Spanischen Bürgerkrieg auseinandersetzt, 1940 in einer Übersetzung von Whittaker Chambers und mit Einleitung von Ernest Hemingway in New York erscheinen sollte. – Der Umschlag ist eigenhändig kalligraphisch von Kisch adressiert an „Señora Donna Jarmila Haasová - Praga Praha, Bučková 49 - Chescoslovakia“ und geschickt mit „Correo Aéreo“. Abbildung Seite 92
„Vorläufig umstehendes Konterfei zweier Helden. Dein Egonek“.
3091 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändige Postkarte an Jarmila Haasová in deutscher Sprache, mit Unterschrift „Dein Egonek“. 8,6 x 13,5 cm. „Irgendwo in Spanien“, 24. Juni 1937. 400 € Fotopostkarte von der Front im Spanischen Bürgerkrieg, von dem Egon Erwin Kisch berichtete. Die Postkarte zeigt ihn mit einem Kampfesgefährten in Uniform der internationalen Brigaden, dem Kisch in Anzug mit weißem Hemd 94
und der unvermeidlichen Zigarette im Mund darstellt. Vermutlich handelt es sich bei Kischs Freund um den jungen Schauspieler Ernst Busch, hier mit Nickelbrille (vgl. das Foto der „Barrikaden-Tauber“, Ernst Busch begutachtet Kischs Gewehr, bei Haupt S. 229). Der Sänger, Schauspieler und Regisseur Ernst Busch (19001980) gehörte zu den besten Freunden Kischs. Er war 1937 in Begleitung der Journalistin Maria Osten nach Spanien gereist, wo er als Sänger bei den Internationalen Brigaden auf, wobei die Lieder Die Thälmann-Kolonne, No pasaran, Bandiera Rossa entstanden, in denen er sich offen gegen den Faschismus wandte. Er hatte in Spanien auch Liederhefte herausgegeben, wie die Canciones de las Brigadas Internacionales, vor deren Kampfgruppen er auftrat und sang. Ferner spielte er auch Schallplatten ein und sang im Radio“ (vgl. Katalognummer 3106 mit einem Liederheft aus Kischs Besitz). „Irgendwo in Spanien, am 24. Juni. Liebe Jarmila, ich habe Deinen Brief bekommen, bald erhältst Du Antwort und Manuskript. Vorläufig umstehendes Konterfei zweier Helden. Dein Egonek“. Adressiert an „Señora Donna Jarmila Haasová. Praha. Bučková 49“. Verso auf der Fotoseite die rote Klebemarke „SRI, Ayuda a las víctimas del fascismo“ (ca. 30x35 mm). – Verso mit 2 Briefmarken und Stempeln, postalisch gelaufen, Aufkleber „Correo Aéreo - Par avion“ sowie großem violetten Stempel „Censurada“. Sehr seltene Fotografie, die wohl zu den wenigen, bis dato nicht veröffentlichten von Kisch gehört (nicht bei Patka-Karasek). – Beiliegt das originale Leinen-Schiffchen, die faltbare Kopfbedeckung Egon Erwins Kischs, das er wohl als Angehöriger der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg trug (möglicherweise aber auch als Leichtmatrose oder in Algerien): Leinenschiffchen. Dunkelblaues Feinleinen, doppelt gelegt, vernäht und gesäumt, mit aufgenähter Paspel aus weißer Seide und weißer Seidentroddel am vorderen Rand. 12,5 x 26 cm. - Sehr sauber und wohlerhalten. - Beides, Postkarte und Leinenschiffchen aus dem Nachlass der Jarmila Haasová, Prag (ohne den Modellkopf). Abbildung, auch Seite 93
„Kisch kämpft wie ein Löwe – und schreibt wenig“ – „Nur Spanien kann Prag vor Hitler retten. Salud!“
3092 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in deutscher Sprache, mit Unterschrift „Viele Küsse von Deinem alten Egonek“. 1 S. mit verso 2 eigenhändigen Beischriften mit Unterschrift von Maria Osten und Gustav Regler sowie mit beiliegendem eigenhändigen Billet mit Unterschrift von Leutnant Bertram (d. i. Bodo Uhse). 31,5 x 21,8 cm bzw. 15,5 x 11 cm. Madrid 30. Juli 1937. 1.800 € Haupt S. 216ff. (mit Beischriften, das Billet unveröffentlicht). – Besonders inhaltsreicher, bedeutender Brief des
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová
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Journalisten und Schriftstellers Egon Erwin Kisch an seine Prager Freundin, die Übersetzerin fast aller seiner Werke Jarmila Haasová, in dem der ‚rasende Reporter‘ von seinen Erlebnissen an der Front des Spanischen Bürgerkriegs berichtet, wobei er zahlreiche Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Schriftsteller und Journalisten erwähnt, die er in Madrid oder in den Schützengräben traf. „Wir Schriftsteller aus aller Welt und aus allen Lagern müssen in unseren Schriften nicht nur für die Gegenwart des spanischen Freiheitskampfes eintreten, sondern wir müssen auch dafür sorgen, daß die Geschichtsschreibung diesen heldenhaften Widerstand nicht verfälschen kann und ihn als das hinstellen muß, was er wirklich ist: ein Krieg um die Menschenrechte gegen die modernsten Gewaltmethoden der Reaktion, die Methoden des Faschismus!“ hatte Kisch in seiner großen Rede auf dem 2. Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur (Valencia 1937) als Aufruf formuliert. In seinem vorliegenden Brief äußert er sich zunächst über seine Reportagen und deren Veröffentlichung, die Jarmila Haasová in Tschechien organisierte: „Lieber Jamilatsch, hiermit beantworte ich Deinen Brief vom 7., der vor ein paar Tagen in meine Hände kam, - es ist ein weiter Weg vom Frieden in den Bürgerkrieg et vice versa, und ich weiß nicht, wann Du die Antwort kriegst. Inzwischen erlebt man so viel ... Heute lege ich einen Artikel Der Tod um den Eskurial und einen Mutter Madrid bei. Du kannst sie tschechisch 96
veröffentlichen, wo Du willst, d. h. entweder beide im Rudé právo oder einen (und das wäre der Eskurial in der Tvorba. Nachher, d. h. nachdem es erschienen ist, schicke den Eskurial an die Volkszeitung und Mutter Madrid (ich glaube im Manuskript heißt der Titel Häuserkrieg in Madrid) an die Rote Fahne...“ Die äußerste Gefahr, in die sich Kisch nicht nur durch die Kampfhandlungen selber begab, wird nicht zuletzt daraus deutlich, dass immer wieder Leute aus seiner unmittelbaren Umgebung den Einsatz nicht überlebten. So erwähnt er den slowakischer Lyriker und Kulturpolitiker Laco Novomeský (1904-1976), der zwei Jahre später nach Auflösung der Tschechoslowakei in den Widerstand ging und von der Slowakei aus den Slowakischen Nationalaufstand gegen den Faschismus organisierte, „Sag ihm [Laco], daß das schöne Mädchen, das mit uns an der Front war (sie hieß Gerda Taro) vor drei Tagen gefallen ist.“ Gemeint ist „Gerda Taro (1911-1937), aufgewachsen in Leipzig, hatte sich als junges Mädchen der Arbeiterbewegung angeschlossen, wurde 1933 kurzzeitig inhaftiert und floh anschließend nach Paris. Am Krieg in Spanien nahm sie als Foto- und Filmreporterin teil; bei Aufnahmen im Kampfgebiet stürzte sie von einem Fahrzeug, wurde von einem Panzer erfaßt, schwer verletzt und verstarb am 27. Juli 1937. Unter großer Anteilnahme wurde die mutige Journalistin am 1. August in Paris auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt. Spanische und französische Zeitungen widmeten ihr ehrende Nachrufe, u. a. in Ce soir aus der Feder von Egon Erwin Kisch“ (Haupt S. 292f.). Des Weiteren erwähnt Kisch die mit ihm in Madrid in engem Kontakt stehenden Journalisten und Schriftsteller Willi Bredel (1901-1964), „Kantor“ (d. i. Alfred Kantorowicz; 1899-1979), Hans Marchwitza (1890-1965), Ludwig Renn (1889-1979), Ladislav Štoll (1902-1981) und Erich Weinert (1890-1953) sowie die „Jungs vom Rudé právo“, die er Jarmila zu grüßen aufträgt. Die Zeitschrift Rotes Recht war das Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, Chefredakteur war der Journalist, kommunistischer Politiker und Parteifunktionär Oldřich Švestka (1922-1983). „Ich will noch zur Zensur fahren, damit der Brief heute abgeht“. Verso finden sich noch zwei eigenhändige Beischriften an Jarmila Haasová von der Schriftstellerin Maria Osten (1908-1942), die als Sonderkorrespondentin der Deutschen Zentralzeitung (DZZ) auf der Seite der Internationalen Brigaden vom Spanischen Bürgerkrieg berichtete, wo bei sie noch im selben Jahr 1937 von dem französischen KominternFunktionär André Marty an Stalin als deutsche Spionin denunziert wurde. Am 8. August 1942 wurde sie verurteilt und von einem NKWD-Kommando, dem sowjetischen Innenministerium erschossen. Sie schreibt: „Liebe Jarmila, herzliche Grüße an Sie und Jonny - und natürlich an Kaspar! Kisch kämpft wie ein Löwe - und schreibt wenig. Maria Osten“. Die zweite Beischrift stammt von Gustav Regler: „Liebe Jarmilla [sic]! Das tue ich nun sehr gerne, nämlich Ihnen schreiben und Sie bitten, den Egonek weiter mit so spani-
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová entreuen Briefen zu verwöhnen. Mir gehts gut, die Löcher stopfen sich mit Anstand, und heute behauptet Egonek sogar, ich wäre schon wieder schön. Vergeßt uns nicht und treibt Eure Tschechen vorwärts. Nur Spanien kann Prag vor Hitler retten. Salud! Gustav Regler“. Auch Regler hatte, wie Kisch, für den Spanischen Freiheitskampf ein Gewehr statt seiner Feder in den Dienste des Kampfes gestellt, wobei er schwer verwundet wurde („Pistolenlöcher“). Beiliegt ein weiteres Billet (15,5 x 11 cm), unterschrieben mit „Beste Grüße Bertram“: „Liebe Jarmila! Ich benutze die Gelegenheit da ich den Brief aufgebe, Dir herzliche Grüße zu schicken. Außer einem Kopfsteckschuß von dessen Folgen ich mich rasch erhole geht es mir sehr gut und ich kann in einigen Tagen wieder hinaus. Wir verteidigen hier Prag mit Macht und auch noch mehr und trotz aller Schwierigkeiten werden wir durchkommen“. Bei dem Autor handelt es wohl um den sich allgemeinhin Leutnant Bertram nennende Schriftsteller Bodo Uhse (1904-1963), der mit Kisch befreundet auch in Madrid vor Ort war. Er hatte sich bei Kriegsausbruch als Freiwilliger und Politkommissar für Spanien gemeldet, woraus der Roman Leutnant Bertram wurde. Die deutsche Erstausgabe ist 1943 in Mexiko bei Editorial El Libro Libre erschienen. Der zweite Teil des Romans mit dem Titel ‚Auf fremder Erde‘ spielt von 1936 bis 1937 und verarbeitet Uhses Erlebnisse im Spanischen Bürgerkrieg im Zeitraum. Leutnant Bertram war darin zunächst als Offizier der Legion Condor an der Bombardierung Madrids beteiligt und erhält dann den Befehl Guernica zu zerstören. Hier stürzt er mit seinem Kampfflugzeug ab, „ein Sturz aus der Lüge in die Wahrheit“, worauf er dem Faschismus abschwört. – Wohlerhalten. Abbildung Seite 95
„Zwei altspanische Krieger gedenken der Liebsten daheim ... dieweil des Feindes Kugeln um ihre Ohren sausen.“
3093 Kisch, Egon Erwin. 4 eigenhändige Postkarten von Kisch aus Spanien an Jarmila Haasová in deutscher (3) und tschechischer (1) Sprache, mit Unterschrift „Egonek“. Jeweils 9 x 14 cm. Madrid und Valencia 1937. 440 € Zusammen mit vielen seiner Kollegen und Freunden war Egon Erwin Kisch an die Bürgerkriegsfront nach Spanien gereist, um von dort zu berichten. Zu seinen engsten Freunden gehörte dort z. a. Fodor Draguti (1900-1974), der unter seinem Pseudonym Theodor Balk schrieb und mit Duško signierte. 1) Madrid, 27. Juni 1937. „Zwei altspanische Krieger gedenken der Liebsten daheim in fernem Land und grüßen sie, dieweil des Feindes Kugeln um ihre Ohren sausen Tvůj Egonek“ und eigenhändig von Theodor Balk „und Duško“. Auf einer farbigen Propaganda-Postkarte der Feldpost „Tarjeta postal de campaña - con las armas y la cultura se vence al enemigo“.
2) Madrid, 9. August 1937. „Liebe Jarmila, bin verzweifelt. Habe Dir zwei Artikel mit Bildern geschickt und um Bestätigung telegrafischen Weges gebeten. Aber keine Antwort. Nicht einmal für das Büchel und den Brief, den ich Dir durch Laco [Novomeský] schickte. Alles Liebe Egonek“. Und Lyner: „Liebste Jarmila, schreib doch endlich, seit Wochen hör ich nichts von Dir, von niemandem. Ich bin hier sehr froh. Alles, alles Gute“ und Zusatz von Bedřich Kisch, Egon Erwins Bruder: „Grüße an alle Kaspar“. Auf Propagandapostkarte „Vigilancia en la retaguardia. A cargo del gobierno y de su Junta Delegada“. 3) Madrid, 28. September 1937. Auf der einer Farbpostkarte mit dem Motiv der „Erschießung der Aufständischen“ des Gemäldes von Francisco de Goya im Prado: „Bevor wir wieder auseinandergehen, grüßen wir Jarmila sehr herzlich. Egonek.“ Mit Beischrift von Gisl. 4) Valencia, 31. Oktober 1937. Kisch wollte Jarmila in Paris treffen. „Ich fliege am 8. Oktober nach Paris - bist Du schon da? Wenn nicht, dann komm doch sofort nach Spanien, vielleicht in Barcelona ...“. Auf Motivpostkarte „Valencia Tribunal de las Aguas“, dem berühmten „Wassergericht“, der wohl ältesten Rechtsinstitution mozarabischer Architektur in Europa. – Postalisch gelaufen, mit Stempeln und Marken, Gebrauchsspuren. Abbildungen
In Madrid und kreuz und quer durch Spanien während des Bürgerkriegs
3094 Kisch, Egon Erwin, und Gisela Lyner. 5 ausführliche, maschinenschriftliche Briefe an Jarmila Haasová in deutscher Sprache, mit Unterschrift „Egonek“ bzw. „Gisl“. Jeweils 31,5 x 21 cm. Madrid und Spanien, auf Reisen 1937-1938. 2.200 € Haupt S. 218ff. – Korrespondenz aus dem Spätsommer des Jahres 1937 bis zum Ende Januar 1938 aus dem Spanischen Bürgerkrieg, in dem Kisch mit der Feder als Berichterstatter wie auch mit der Waffe als Kämpfer für die Internationalen Brigaden teilnahm. Seine Lebenspartnerin und unermüdliche Typistin Gisela Lyner (1895-1962) war jüngst nach Madrid zu ihm gereist. Zunächst berichten die beiden aus Madrid, wo sich auch Bedřich Kisch, gen. „Kaspar“ (18941968) aufhält, der als Chirurg der Interbrigade im Jan-AmosKomenský-Feldlazarett im spanischen Guadalajara stationiert war und dann im Mai 1939 nach Indien und daraufhin nach China emigrieren sollte. 1) 22. August 1937. 2 S. masch. Brief von Gisela Lyner m. u. „Gisl“ und „Salud! Gisl“. „In den drei Wochen, die ich jetzt hier bin, habe ich ungeheuer viel Interessantes gesehen und erlebt, aber leider fehlt mit jede Begabung, wie Du weißt, Erlebnisse brieflich zu schildern. Den größten Eindruck hat auf mich die Stimmung der Bevölkerung gemacht, obwohl ich schon oft vorher gehört hatte, wie gut sie ist ... Von unseren gemeinsamen Freunden habe ich alle schon gesehen, bis auf Duško. Gustav Regler geht es schon viel besser, 97
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ er geht sogar schon ein bißchen herum, im Augenblick wohnt er mit Mieke im gleichen Haus wie wir ... Kaspar haben wir ein paarmal gesehen, waren auch in seinem Hospital oben, das in einer sehr schönen Landschaft liegt. Vor ein paar Tagen ist er einem anderen Hospital zugeteilt worden, das am Meer liegt ... Vor etwa 14 Tagen haben wir angefangen, spanisch zu lernen, hoffentlich mache ich hier raschere Fortschritte als in meinem Französisch-Unterricht. Was mir hier sehr fehlt, sind Zeitungen, denn die spanischen kann ich natürlich noch nicht lesen, und ausländische gibt es nur selten und wenig ... Heute haben wir eine Karte von Leni Sachs bekommen, sie schreibt, sie habe auch Zigaretten abgeschickt. Auch andere Freunde in Paris schreiben dasselbe. Bis jetzt aber haben wir nichts bekommen, was nicht schlimm ist, weil es sicher den Soldaten zugute kommt [die die Pakete abfingen]. Es scheint, daß Pakete an Privatadressen im allgemeinen nicht zugestellt werden. Wenn Du uns also mal ein Paket mit Zeitungen oder Seife schickst, dann adressiere es: Egon Erwin Kisch, Madrid, Internationale Brigaden, Calle Velasquez 63 ...“ 2) 24. September 1937. 1 S. masch. Brief mit Unterschrift „Egonek“ und ausführlicher Beischrift von „Gisl“. Egonek beschwert sich über die unzuverlässige Zustellung der Post zwischen Prag und Madrid, er schreibt: „Lieber Jarmi láč, das ist eine verflucht schwere Korrespondenz, so eine Korrespondenz mit Hindernissen ... Dein Rat, der ‚Agence‘ nichts mehr zu schicken, wird durch meine Erfahrungen bestätigt, es ist besser, man schickt es den Zeitschriften direkt. Aber auch da klappt es nicht immer, wie Du mit Lex und nun auch mit dem Prado siehst“. Kisch hatte eine Reportage über den Prado geschrieben. „Einen Artikel kann ich Dir diesmal nicht schicken, ich, ich lege Dir eine Brigadezeitung bei, worin ich etwas über Belchite geschrieben habe, aber es ist nichts Besonderes. Allerdings kommen die Tschechoslowaken darin vor ...“ Und Gisela Lyner fügt hinzu: „obiger Brief sollte eigentlich von uns beiden sein, aber Egonek drängt sich so vor, dass ich auch selbst noch schreiben muss, obwohl ich nicht weiss, wo man anfangen könnte zu erzählen ... Eine Landsmännin von Dir, [die Tänzerin, Schauspielerin, Choreografin, Schriftstellerin und Journalistin] Míra Holzbachová [19011982], ist jetzt in Spanien ... von dem Paket Zigarretten ... sind nur vier einzelne angekommen ..., hoffentlich war es wenigstens Soldaten, die die anderen geraucht haben...“. 3) 15. November 1937. Spanien, auf Reisen. 2 S. masch. Brief mit Unterschrift „Egonek + Gisl“. Über die Veröffentlichung seiner Reportagen und deren Rezensionenin der tschechischen Zeitungen, u. a. in Rudé právo, Rozsévačka und Národní osvobození (die „Befreiung“): „... die Notiz in Nar. Osv. ist wirklich scheußlich, das muß ein direkter Feind geschreiben haben. In allen Redaktionen sitzen welche, ich weiß nicht, wieso das kommt. Sollte man nicht bei einer solchen Gelegentheit einmal den Chefredakteur besuchen oder anrufen? Oder ihm einen Brief schreiben und ihm erklären, warum das falsch ist?“. Über Freunde, die nach Amerika emigiert sind, Fröschls, Elschen, über Duško (Theodor Balk) „Sein Buch über eine der Brigaden ist übrigens ganz glänzend, 98
ich glaube, es wird zuerst französisch erscheinen.“ Ferner erwähnt er John Fisher, Gustav Regler. „Heute habe ich eine tschechische Illustrierte gesehen, sie heißt Salud und wird in Barcelona gedruckt, sieht fabelhaft aus, darin ist auch eine ganze Seite von Fotos von mir“. 4) 12. Dezember 1937. 2/3 S. masch. mit Unterschrift „Egonek & Gisl“. „Milý Jarmilači ... Aus einer Kritik von Frank Pitcairn im Daily Worker (London) erfuhr ich, dass mein Australienbuch englisch erschienen ist, es heisst E. E. K‘s Australian Landfall ... ich möchte wissen, wer eigentlich als Uebersetzer angegeben ist und was alles geändert wurde. Ferner über seine Reportagen: Die drei Kühe schicke ich Dir für die Verbreitung in tschechischer Sprache. Es ist glaube ich besonders hübsch geworden ... Hie und da lese ich die Lidové noviny und bin also einigermassen über die Vorgänge bei Euch informiert, auch die Enquête über die besten Bücher habe ich gelesen. Reglers sind schon in Paris.“ 5) 28. Januar 1938. 1 S. masch. Brief, je zur Hälfte mit Unterschrift „Dein alter Egonek“ bzw. „Gisl“ und langer, 25-zeiliger eigenhändiger Beischrift von Kisch. Der letzte Brief aus Spanien an Jarmila Haasová. Er fragt, ob die Drei Kühe in Prag veröffentlicht wurden. „Du kannst Dir vorstellen, daß wir oft an Dich denken und oft von Dir sprechen, ohne eine rechte Ahnung zu haben, was Du in Prag anderes tust als seufzen“. Auch über den Teruel in Spanien, wo zur Zeit der Bürgerkrieg tobte und von dem Kisch für die Zeitschrift Salud berichtete „Teruel gibt uns viel zu tun“. Dann aus der Beischrift: „Wegen der Australien-Buch-Übersetzung hat mir weder Borový noch sonstwer geschrieben. In der A.I.Z. ist diese Woche eine Reportage aus Spanien von mir angekündigt“. Abbildung
Reportage aus dem Spanischen Bürgerkrieg
3095 Kisch, Egon Erwin. Soldaten am Meeresstrand. Eine Reportage. Hrsg. von Ayuda Medica Extranjera (Ausländische Medizinische Hilfe). 50 S., 1 w. Bl. Mit 31 (2 ganzseitigen) Abbildungen nach Fotografien. 20,8 x 15,4 cm. Farbig gedruckte OBroschur (minimal abgegriffen, minimal angestaubt) mit hellgrünem VDeckel und VDeckeltitel nach einem Schriftzug von Kisch. (Valencia, Semana Gráfica), o. J. (1938). 800 € Melzwig 372.2. – Erste deutsche Ausgabe der zunächst in tschechischer Sprache unter dem Titel „Vojáci u moře“ erschienenen Reportage, die Jarmila Haasová aus dem Deutschen übersetzt hatte (Melzwig 372.1). Um die Schrift auch im Westen verfügbar zu machen, hatte sich Kisch an den Zeitschriftenverlag Semana Gráfica in Valencia gewendet, da er 1938 - unter anderem - in Spanien weilte. Schon 1937 hatte er an dem II. Internationalen Schriftstellerkongress in Madrid teilgenommen und immer wieder von der Front der Kämpfe im Spanischen Bürgerkrieg berichtet, Inter-
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views mit Soldaten der Internationalen Brigaden geführt und diese in einzelnen Reportagen niedergeschrieben. Neben „Die drei Kühe“ gehört der Bericht „Soldaten am Meeresstrand“ in diese Zeit. Neu ist dabei, dass Kisch erstmalig eine kleine Einzel-Reportage mit Fotos illustrierte, die der tschechischen Ausgabe noch fehlten. Damit wird sein Bericht auch im modernen Sinne zu einem Text-Bild-Dokument, der einem noch größeren Anspruch an die Authentizität des Geschilderten erhebt. Und so endet Kisch, erschüttert von den Bombenangriffen, mit einem Kampfruf: „Hoch springen Feuer und Rauch empor wie ein Schrei. Mögen die menschlichen Menschen ihn hören, diesen Schrei gegen die Barbarei: Fortschrittliche Menschheit, werde zu einer Internationalen Brigade für Freiheit und Recht!“ (Seite 50). Tragischer Weise sollte der „Franquismus“ in Spanien Kischs Leben noch um fast 30 Jahre überdauern. – Nur minimale Knickund Gebrauchsspuren, insgesamt bemerkenswert wohlerhaltenes Exemplar aus dem Besitz der Übersetzerin Jarmila Haasová (1896-1990), der Kisch das Exemplar persönlich zueignete und verzierte, indem er auf dem Vorderdeckel mit seinem Federhalter zehn waagerechte Wellenlinien zog und unter die, ebenfalls von seiner Hand entworfenen Titelschrift im selben Duktus und wiederum in seiner blauschwarzen Tinte weiterschrieb: „Soldaten am Meeresstrand. Eine Reportage von Egon Erwin Kisch“ und als eigenhändige Widmung dann: „gegeben der Jarmila mit allerherzlichsten Grüssen. Egon Erwin Kisch. Barcelona, 14. April 1938“. Diese Ausgabe ist außergewöhnlich selten: über den KVK sind weltweit nur vereinzelt Exemplare nachweisbar, meist auch nur als Online-Exemplare. Abbildungen
„To assist the Czechoslovakian point of view, as against the Nazis and other fascists“
3096 Kisch, Egon Erwin. - Fisher, John (19101960). Masch. Brief an Jarmila Haasová in englischer Sprache, mit Unterschrift „John Fisher“. 2 S. 225,5 x 20,8 cm. Sydney, 20. Mai 1938. 250 €
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Auf dem Briefpapier von „The Labor Daily. The Popular Morning Newspaper - Official Organ of the Australian Labor Movement“, bei der der australische Journalist und Redakteur, der Sohn des Premierministers Andrew Fisher (1862-1928) tätig war. John Fisher gehörte zum Kreise der besten Freunde von Egon Erwin Kisch und Gisela Lyner, wie auch der gemeinsamen Freundin und Übersetzerin Jarmila Haasová. In seinem politisch hochinteressanten, trotz der Zensur erstaunlich offenen Brief bittet Fisher Haasová um engeren Austausch von Artikeln und bietet Hilfe im Kampf gegen den Faschismus an. Er schreibt über den Faschismus in Italien und Deutschland und beurteilt weitsichtig die problematische Haltung der Appeasement-Politik und der Position Chamberlains.
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„Dear Jarmila, I enclose cuttings from The Labor Daily, Sidney, on which I am working as industrial reporter, and as general assistant to the Foreign Editor, Mr. Tom Fitzgerald ... [he] has asked my assistance in getting some good connections with Czechoslovakia, and has guaranteed that any material we get from Prague will be used to assist the Czechoslovakian point of view, as against the Nazis and other fascists“. Er erklärt die politische Ausrichtung des Blattes „to be the organ of one wing of the political Australian Labor Party ... Its policy was ‚isolationist‘ to the point of beeing almost pro-fascist ... This is very important from an international point of view. The position is that Hitler and Mussolini can succed only because they have the support of Chamberlain. Chamberlain depends very largely on the support vor Mr. Lyons the Australian Prime Minister, who is his loyallest ally in the British Empire. Mr. Lyons remains in office very precariously!) only because the Federal Labor Party in Australia is dragged down by the semi-fascist isolationist policy of the Lang A.L.P. in New South Wales. By setting up this A.L.P. on democratic and Collective Security principles, we are doing something that will have world-wide repercussions in the struggle against fascism“. Fisher bittet indirekt um Artikel, also vor allem auch von
solchen des Egon Erwin Kisch, die Jarmila bekam, um sie ins Tschechische zu übersetzen: „Our policy is a definite anti-fascist, broadly democratic one, and we are keen to get airmail news and photographs form Czechoslovakia. Can you help us in this ...?“. Aus diesem Brief geht nicht nur hervor, dass der zunächst lokal beschränkte Faschismus eine weltweite Bedrohung war, die die Demokratien aller Kontinente betraf - und dann nahezu zwangsläufig nicht in einem transnationalen, sondern weltweiten Krieg, einem „Weltkrieg“ mündete, bei dem kaum eine Nation wirklich neutral bleiben konnte. Auch die mittlerweile gut funktionierenden Kommunikationswege hatten die Welt kleiner gemacht, so dass die Ereignisse plötzlich von globalem Interesse waren. Für diese neue Zeit war ein Journalist wie John Fisher, aber eben auch ein ‚rasender Reporter‘ wie Egon Erwin Kisch charakteristisch, die durch die ganze Welt reisten und sich aller Nachrichtenkanäle bedienten. Dennoch wurden die meisten Artikel nach wie vor als „cuttings“, also als Zeitungsausschnitte verbreitet, wonach John Jarmila bittet: „Of course, a service in English would be desirabel, but French or German would bei possible“ (also kein Tschechisch, Jarmila sollte die Artikel tschechischer Zeitungen übersetzen). Abbildung
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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„Autor und Übersetzer verzichten auf Honorar zugunsten Spaniens.“ Europa nach dem Reichsparteitag von 1938
3097 Kisch, Egon Erwin. 3 (2 masch. auf Deutsch und 1 eigenh. auf Tschechisch) Briefe aus Versailles, teils mit Beischriften von Gisela Lyner. Mit Unterschrift „Egonek“, „Tvůj E.“ bzw. „Gisl“. 31 x 21 cm. Mit 3 Kuverts. Versailles 1938. 900 € Wieder zurück aus dem Bürgerkriegsland Spanien, in dem die Truppen Francisco Francos mit deutscher Hilfe immer mehr die Oberhand gewinnen, schreibt Egon Erwin Kisch, teils mit Gisela Lyner aus dem Exil in Versailles an Jarmila Haasová in Prag. 1) 10. Juni 1938. 2 S. masch. Brief mit Unterschrift „Líbá Tě Egonek“, 8-zeiliger eigenh. Beischrift von ihm und 2-zeiligem eigenh. Gruß von „Gisl“. Über den Australier John Fisher (1910-1960), einen Freund, den er scherzhaft „the bloody fool“ nennt und seinen Freund Otto Katz („K“): „Wenn Du John schreibst, so schreibe ihm 102
auch ein paar Zeilen über die Prager Stadtratswahlen und über die Bedeutung der Tatsache, daß den drei deutschen Nazis die beiden Deutschen K. und Schneider gegenüberstehen; sowie, daß die deutschen Sozialdemokraten und die deutschen Demokraten in Prag kein Mandat mehr haben, weil selbstverständlich alles die Liste wählte, auf der K. stand. Da man nur mich in Australien kennt, geschieht seinem Blatt damit sicherlich ein Gefallen. (Vergiß nicht zu sagen, daß wir 70 000 Stimmen gewonnen haben). Eine Korrespondenz aus Prag kommt nicht in Betracht ...“. Haupt erklärt hierzu „das Pseudonym - gemeint ist der Name André Simone, das Pseudonym, unter dem Kischs Freund Otto Katz international bekannt war und Aktionen gegen den deutschen Faschismus organisiert bzw. an ihnen teilgenommen hat“ (Haupt, S. 234). „Ich sprach heute mit Gustav Regler, der glaubt, daß ein Vermerk ‚Autor und Übersetzer verzichten auf Honorar zugunsten Spaniens‘ ganz wirkungsvoll ist. Also, wie gesagt, ich überlasse das ganz Dir, keinesfalls aber will ich, daß man mir ein Honorar zahlt.“ Dann weiter über seine „Broschüre“ mit der Reportage Soldaten am Meerestrand, in dem Kisch die Situation der Patienten im Hospital der Internationalen Brigaden in Benicasim beschreibt ... Dieser Brief ist seit Tagen der vierte große Brief, den ich an Dich schreibe. Du siehst also, daß ich mein Versprechen, daß ich Dir bei meiner Rückkehr aus Spanien gegeben habe, mehr als erfülle...“. 2) 10. September 1938. 1 1/4 S. masch. Brief mit Unterschrift „Egonek“ und 2/3 S. masch. Zusatz von „Gisl“. Wieder über die Broschüre Soldaten am Meerestrand: „Ich habe sie ganz durchgelesen, finde sie ausgezeichnet übersetzt ... Nur schreibst Du Quapa anstatt Guapa [was zu einer unfreiwilligen Komik wird, aus einem hübschen Mädchen, „la guapa“ wird eine Quappe ... ]“. „Der Rummel bei uns ist unbeschreiblich, lauter Rückkehrer aus Spanien, denen es in Anbetracht der materiellen Verhältnisse hier schlecht geht. Auch Nico [Rost] schreibt, daß es ihm sehr schlecht geht, Gisl hat mit ihrer Mischpoche zu tun, und ich muß an meiner blöden Selbstbiographie arbeiten. Anna S[eghers] ist noch im Land, ihr Hausmädchen ist dort schwer erkrankt, sie muß sie von früh bis abend pflegen und hat kein Geld. Vor ein paar Tagen war die Lenka Reiner hier, die von der Volks-Illustrierten, sie hat mir einiges über Prag und die Sudeten erzählt. Da oben muß es ja schön aussehen. Auch hier ist die Stimmung sehr gespannt, jeder fragt sich, was mit den Emigranten werden wird, jeder fragt über die Tschechoslowakei und glaubt, ich kann Authentisches mitteilen ... Otto [Katz] sehen wir jetzt öfter, Ilse ist noch in Sanary, wo auch Werfel, Kesten, Feuchtwanger, Eva Hermann, Marcuse, Koestler und noch ein paar Schriftsteller sind, die eifrig diskutieren...“. Und Gisela Lyner setzt hinzu: „Liebste Jarmila, hier ist alles sehr aufgeregt, was die nächsten Tage bringen, man hofft, dass nächste Woche irgendeine Entscheidung da sein wird, man wartet auf jede Nachricht mit Spannung und hofft, dass es keinen Krieg geben wird. Aer wer weiss, was in Nürnberg gekocht wird?“. Von 5.-12. September 1938 hatten die
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová Nationalsozialisten den sog. „Reichsparteitag Großdeutschland“ in Nürnberg abgehalten, in dem der Anschluss Österreichs an das Deusche Reich beschlossen wurde. 3) 27. September 1938. 1/2 S. eigenh. mit Paraphe „E[gonek]“ unter 1/3 S. masch. Brief von „Gisl“. Kisch schreibt auf Tschechisch: „Milý Jarmiláčku ...“was kann man schreiben! Das einzige: daß ich Dir Glück wünsche. Und uns auch. Ich arbeite hier wie ein Wahnsinniger, schreibe und spreche über die Tschechoslowakei. Lieber wäre ich bei Euch. Grüße den Vater, die Mutter und Vinček. Und auf ein glückliches Wiedersehen! Ich küsse Dich Dein E.“ – Beiliegt ein umfangreicher masch. Brief von Gisela Lyner an „Liebster Koulousch“, 1 1/4 S. Mit 5-zeiliger eigenhändiger Beischrift von „Dr. Brdlička“. Versailles, 26. Mai 1939. Adressat nicht eindeutig geklärt. Sie erwähnt Theodor Balk („Duschko“) und Otto und Ilse Katz: „... heute haben wir eine grosse Einladung von Lou gekriegt, sie ist in Mexico und es scheint ihnen dort ganzen gut zu gehn, im Herbst gehn sie wieder nach Newyork, auch von Ilschen und ihrem Mann, die jetzt in den Ver. Staaten sind, hatten wir vor kurzem Brief, Duschko ist noch hier, will aber so bald es möglich ist, nach England oder Amerika, hier ist es in jeder Beziehung für ihn schwierig; Dr. Brdlicka hat viel zu tun, in den letzten Monaten noch mehr als vorher, Bodo [Uhse] ist für ein Jahr nach Amerika eingeladen und schon abgereist, Kaspar [d. i. Friedrich Kisch, Egon Erwins Bruder] schreib uns von unterwegs, Jos. Roth] liegt sehr schwer krank im Hospital, man glaubt, er wird sterben...“. Der große österreich-ungarische Schriftsteller Joseph Roth (1894-1939) war nach der Bücherverbrennung ins Exil nach Paris gegangen, wo er ebenfalls zu dem weiteren Bekanntenkreis Kischs gehörte, er starb den Folgetag nach diesem Brief, am 27. Mai 1939. Abbildung Seite 103
„Dedié à Jarmila en meilleur amitié. L’auteur.“
3098 Kisch, Egon Erwin. Die drei Kühe. Eine Bauerngeschichte. 48 S. Mit 8 Illustrationen nach Federzeichnungen und 2 Tafeln nach Fotografien. 18,5 x 12,8 cm. OKartonbroschur (minimal angestaubt, kleiner Knick) mit zweifarbig illustriertem VDeckeltitel in Schwarz und Blau. O. O. (d. i. Madrid), Amalien-Verlag, 1938. 600 € Melzwig 370.1. – Erste Ausgabe des Reportageromans aus dem Spanischen Bürgerkrieg, das ebenfals in der Reihe der „Ediciones del Comisariado de las Brigadas Internacionales“ erschienen war und in dem Kisch als Rahmenhandlung von einem Tiroler Bauern erzählt, der seine drei Kühe verkaufte, um bis nach Albacete zu reisen, wo er mit dem Bataillon des 12. Februar in Berührung kommt. Die Illustrationen sind hübsche Karikaturen in Federzeichnung eines anonymen Künstlers, die erste Tafel zeigt ein Porträt des Autors, die zweite zwei Fotos „Genosse Kisch und unser Held, der Maxl“, „Der Autor im Gespräch mit
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verwundeten Kameraden“ am Strand. – Kaum unfrisch, sehr schön, gedruckt auf festem Kartonpapier. Titel mit Widmung: „Dédié à Jarmila en meilleur amitié. L‘auteur“. Von größter Seltenheit: über den KVK bzw. den Worldcat ist weltweit nur ein Exemplar in der Biblioteca Nacional de España Madrid zu finden mit dem Kommentar „1 ejemplar disponible en Sede de Recoletos. Código de barras 3/108178 - 1103193149“. Abbildung
„The best of the German antifascist writers can now be read in their own language.“
3099 Kisch, Egon Erwin. Marktplatz der Sensationen. 321 S., 1 Bl. Titel in Schwarz und Rot. 19,4 x 14,5 cm. Farbig illustrierte OBroschur (Gelenke offen, stärker knickspurig, beschabt und bestoßen, ohne den Rückdeckel). (Mexiko-Stadt), „Das Freie Buch“, (1942). 300 € Melzwig 373.2. – Erste deutsche Ausgabe, im Jahr nach der englischen Erstausgabe „Sensation Fair. Translated by Guy Endore“ (New York, Modern Age Books, 1941) erschie103
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ nen. Der Verlag nannte sich „Das Freie Buch - Verlag fuer Antinazi-Literatur in deutscher Sprache“ bzw. „El libro libre - Editorial de literatura anti-Nazi en lengua alemana“ mit Ortsangabe „México D. F.“ für Mexiko-Stadt („México Distrito Federal“) verso Titel. Auf dem Vorsatz der eindrucksvolle Klappentext in spanischer und englischer Sprache: „On May 10, the anniversary of the burning of the books in Germany, exiled German writers founded a publishing house: ‚The Free Book‘. This means that the best of the German antifascist writers can now be read in their own language. Each of these books will be a weapon in the fight against Hitler. The first book published is ‚Sensation Fair‘ by the great European reporter Egon Erwin Kisch. The English edition has already been hailed by the critics. It is at once a personal history of the author and a good piece of world history. Dealing with the past it is of the utmost importance for the present. Frank, ironic, witty and free from prejudices, it represents the work of a restless fighter against Nazism. Mexico, D. F., july 1. 1942“. – Wenige Bleistiftanstreichungen, papierbedingt minimal gebräunt, wenige Eselsöhrchen. Vortitel mit 5-zeiliger Widmung des Autors an eine Freundin oder Geliebte „Ich hab‘ dich gern, Doris / und schreib‘ es her, weil‘s wahr ist. Dein Egon Erwin Kisch. Mexico, 18. Juli 1942 Abbildung, auch Seite 103
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Kisch „interviewt die Pyramiden und eine Zauberin – Ueberall ist er mit ganzem Herzen dabei.“
3100 Kisch, Egon Erwin. Entdeckungen in Mexiko. 293 S., 1 Bl. Titel in Schwarz und Rot. 18,9 x 14,2 cm. Farbig illustrierte OBroschur (Block verschoben, Gelenke offen, stärker knickspurig, beschabt und bestoßen). (Mexiko-Stadt), „Das Freie Buch“, 1945. 300 €
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Melzwig 374.1. – Erste Ausgabe. Mit dem ausführlichen Klappentext, der die Unmittelbarkeit der Methode zur Recherche des „Rasenden Reporters“ treffend schildert: „Mit Temperament und Humor enthuellt Egon Erwin Kisch die Geheimnisse eines geheimnisvollen Landes, sodass man kaum merkt, wie sein Buch das ganze Land Mexiko darstellt. Den indianischen Nomaden war der Mais launischer Gott, der noch heute den Charakter des Landes und seines Brotes bestimmt. Ein Vulkan gebiert sich vor unseren Augen. Der mexikanische Kaktus treibt bei Goethe, Hebbel, Dounier Rousseau, Spitzweg und Karl May sein Unwesen. Kisch sucht das Lepraheim auf und freundet sich mit einem Insassen an. Er kauft an der Kracuterbude die seltsamsten Gifte. Er dringt in die Cyanidlandschaft des Silberbergwerks Real del Monte. Er begleitet als Uebersetzer einen Einkaeufer von Exportware durchs Land. Er klettert den metallenen Rundturm einer Petroleumraffinerie empor. Er sucht den Nibelungenhort des Moctezuma. Er interviewt die Pyramiden und eine Zauberin, die verdaechtig
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genau ueber die Vergiftung der Kaiserin Carlota unterrichtet ist. Er beschreibt die Wett-Tricks beim Hahnenkampf. Er betet ein erschuetterndes Totengebet im juedischen Indiodorf Venta Prieta mit. Er streift durch die Mika-Minen, durch die Pulque-Kaschemmen, das nationalisierte Baumwollgebiet und den Berg der an Schmuck reichen Koenigsgraeber. Ueberall ist er mit ganzem Herzen dabei.“ (Klappentext). – Arbeitsexemplar der Übersetzerin Jarmila Haasová (1896-1990), die zahlreiche eigenhändigen Streichungen von Textpassagen, Anmerkungen, Anstreichungen, Textbrocken und ganze Sätze in tschechischer Sprache etc. eintrug - ein interessantes Zeugnis zur Entstehung der Übersetzung der Reportagen Kischs, der das Exemplar seiner Schwägerin Ginette Liner widmete (von der es dann zu Jarmila kam): „Mexico, February 15th 1945. To my sisterin-law Ginette Liner with best greetings and wishes Egon Erwin Kisch“. Abbildung
„Jeder Schritt wird traurig ... jene, die übriggeblieben sind, grüße von mir...“
3101 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache. 2 S. mit Unterschrift „Egonek. 28,3 x 22 cm. Mit masch. beschriftetem Kuvert. Mexiko-Stadt 12. September 1945. 700 € Haupt S. 240ff. – Erschütternder Brief an Jarmila Haasová, wohl der erste nach Ende des Kriegs, in dem Egon Erwin Kisch (1885-1948) seine Trauer und auch seine Angst ausdrückt im Angesicht der grauenhaften Bilanz, die das Regime des sogenannten „Dritten Reichs“ hinterlassen hat. Es ist ein eng beschriebener, ausführlicher eigenhändiger Brief in schwarzblauer Tinte auf Luftpostpapier mit Aufdruck „Egon Erwin Kisch. Av. Tamaulipas 152-6 Tel. Mexicana P-07-99 Mexico, D. F.“ 105
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Ende 1939 war Kisch nach Amerika geflohen. Die Zudringlichkeiten des Versailler Exils durch die französischen Behörden und die aktuellen Ereignisse im Deutschen Reich waren dermaßen besorgniserregend, dass Kisch mit Hilfe eines Visums des mexikanischen Generalkonsuls in Paris ausreisen durfte, zunächst in die USA, wo er New York über die jüdischen Viertel und das jüdische Leben berichtete. Weiterhin arbeitete er an seiner Autobiographie Crawling in the Inky River (Schwimmen im Tintenstrom, veröffentlicht dann erst 1941 unter dem Titel Sensation Fair), die der Verlag Alfred A. Knopf dann aber letztlich ablehnte. 1940 kam eine Ehefrau, seine Typistin, Korrektorin und hier und da auch Mitautorin Gisela Lyner (1895-1962) nach, er hatte sie im Oktober 1938 geheiratet. Ende 1940 gelang ihnen die Übersiedlung nach Mexiko Stadt, wohin zahlreiche deutsche Intellektuelle geflohen waren. So saß Anna Seghers als Präsidentin dem literarischen Heinrich-Heine-Klub vor, die Vizepräsidentschaft hatte Kisch übernommen. Seine treueste Freundin und Übersetzerin nahezu aller seiner Werke ins Tschechische, Jarmila Haasová (1896-1990) befand sich weiterhin in Prag. Er schrieb ihr in tschechischer Sprache aus dem Spätsommer 1945: „Milý Jarmiláču můj, Tak Ti píšu! Jestli to dostaneš?“ - „Mein liebe Jarmiláču, so schreibe ich Dir also! Ob Du den Brief erhältst? Was habe ich nicht an Dich gedacht, jeden Tag. Und was habe ich 106
alles befürchtet. Und vor einigen Tagen habe ich Deine Zeilen erhalten, die Du und Vincek Herberts Brief beigefügt hatten. Gisl hatte Tränen in den Augen ...“ Herbert war der Sohn von Kischs Bruder Arnold, der die Post übernommen hatte. „Gestern und vorgestern habe ich direkt aus Prag Briefe bekommen, beide von unbekannten Leuten. Einer der Briefe war von einem Herrn Hicke, einem Tschechen, der mich grüßt, daß ich am Leben bin. Der zweite ist von einer Frau, die mir schreibt, daß ihr Sohn nach Mexiko gefahren ist und daß sie keine Nachricht von ihm hat. Sie will wissen, ob er noch lebt.“ Als Tscheche und Deutscher waren Kisch und Lyner im Krieg, ebenso wie danach zu einer der Vermittlungsstellen für Displaced Persons in Mexiko geworden. Er schreibt weiter: „Zufällig kenne ich ihn und weiß, daß er gesund ist. Deshalb will ich ihr sofort antworten. Aber ihr meinen ersten Brief nach Prag schreiben, das geht nicht. Der erste Brief gehört doch Jarmilka! ... Stell Dir vor, die Frau heißt Ambrožová. Und als ich gestern den Brief erhalten und den Namen der Absenderin gelesen habe, blieb mir das Herz stehen. Vielleicht ist das Deine Familie, und Dir ist etwas zugestoßen. Aber zum Glück war es keine neue Katastrophe für mich. Ich habe ja auch genug davon gehabt. Was soll ich Dir, Jarmilko, über all das, was ich durchgemacht habe, schreiben! Und das auf einem Papier, von dem ich nicht weiß, ob Du es erhältst!“ Kisch spricht von seinen Plänen, mit Gisela Lyner nach Prag zurückzukehren: „Ich arbeite daran, daß ich so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren kann. Die Botschaft hilft mir (auf Anweisung von Prag), aber so leicht ist das nicht ... Jarmilko, was soll ich Dich fragen? Ich habe Angst davor, wen von meinen Freunden ich in Prag noch sehen werde. Jeder Schritt wird traurig, jede Frage, jede Antwort - jene, die übriggeblieben sind, grüße von mir, den alten Zápotocký, Olbracht, Kreibich und jeden, den ich gern hatte“. Kisch berichtet von seinen Freunden, von dem ‚Duško‘ genannten serbisch-jüdischen Schriftsteller Fodor Dragutin (1900-1974), der unter seinem Pseudonym Theodor Balk veröffentlichte: „Duško hat Lenka Reinerová geheiratet, sie erwartet ein Kind, und sie fahren wahrscheinlich diese Woche auf einen jugoslawischen Schiff nach Belgrad. Er hat einen guten Roman Das verlorene Manuskript und eine erfolgreiche Biographie Marschall Tito geschrieben. Ich habe ein großes Buch (autobiografisch oder Roman) über Prag geschrieben; es ist in Amerika unter dem Titel Sensation fair und hier als Marktplatz der Sensationen herausgekommen. Ich freue mich darauf, es in Deiner Übersetzung zu sehen! Außerdem kam hier ein großes Buch Entdeckungen in Mexiko heraus.“ Kisch erzählt Jarmila von seiner Arbeit und seinen Kontakten in Mexiko: „Außerdem habe ich gearbeitet, geschrieben, und gelesen, zusammen mit unseren Freunden, die hier unter der Leitung des Abgeordneten Paul Merker (eines Freundes von Gottwald [gemeint ist der tschechoslowa kische Politiker und stellvertretender Ministerpräsident Klement Gottwald, 1896-1953] gegen die nazistischen Spitzel, Provokateure und Agitatoren in der Presse gearbeitet haben usw.
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová Anna Seghers ist hier, Bodo Uhse, Lotte Lex (er ist in Frankreich), André Simone (Otto) und Ilse [Katz] (sie küssen Dich), Rosl, die mit dem Angeordneten Jungmann befreundet ist, und viele andere. Ruth Jensen, Alice Glassner, Max Schröder sind in Amerika, John Fisher in Moskau, Lene Radó in Paris usw.“ Er erkundigt sich nach den Prager Freunden und nach seiner Familie: „Danach zu fragen, ob Du weißt, wie meine Brüder endeten, fürchte ich mich geradezu. Wie hast Du von ihrem Schicksal erfahren? Ella Kalm beging Selbstmord. Das ist alles unvorstellbar schrecklich ...“. Die jüdischdeutsch-böhmische Kischfamilie, der fünf Brüder entsprun gen waren, hatte die Zeit nur teilweise überlebt, während der dritte Bruder Wolfgang Kisch (1887-1914) bereits im Ersten Weltkrieg gefallen war, kam Paul (1883-1944) im Konzentrationslager Auschwitz und Arnold (1889-1944) im Ghetto Litzmannstadt ums Leben. Einzig sein ‚Kaspar‘ genannter Bruder Friedrich ‚Bedřich‘ Kisch (1894-1968), den Egon Erwin zwischen 1937-1938 vielfach als Chirurg in Spanien getroffen hatte, sollte überleben. Er blieb in Prag, bis er im Prager Früh ling auf seiner Flucht aus der Tschechoslowakei am 13. September 1968 in Westberlin umkam. – Mit 4-zeiliger eigenhändiger Beischrift von Gisela Lyner mit Unterschrift „Gisl“. Abbildung Seite 105
„Heute und gestern waren bei mir einige hundert Bekannte.“
3102 Kisch, Egon Erwin. Eigenhändiger Brief an Jarmila Haasová in tschechischer Sprache, mit Unterschrift „Egonek“ und Beischrift von „Gisl“. 28,3 x 21,3 cm. Mit Kuvert. New York 27. Februar 1946. 250 € Haupt S. 242. – Datiert „V Novém Yorku, ve středu 27. února 1946“. Kisch schreibt „Mein Jarmiláčku, wie Du siehst, bin ich in New York, und in ein paar Stunden werde ich mit dem englischen Dampfer ‚Queen Elisabeth‘ in Richtung Europa fahren. Am Dienstag soll ich in Southampton sein, und wenn ich gleich weiterfahren kann, werden wir uns bald sehen. Heute und gestern waren bei mir einige hundert Bekannte, unter ihnen Bornstein, der Dich herzlich grüßt. Ich habe ihm Deine Adresse gegeben. Polgar, Leonhard Frank, Sinaiberger usw. waren natürlich auch hier. Über alle diese Sachen werde ich Dir mündlich erzählen, und ich möchte Dich nur bitten, daß Du mir mit Hilfe irgendeines Amtes eine Wohnung beschaffst, wenn möglich im alten Haus. Auch Otto und Ilse, die mit mir kommen, haben keine Unterkunft...“ Gemeint ist das mit den Kischs befreundete Ehepaar Otto und Ilse Katz. Der Schriftsteller Otto Katz (18951952) wurde dann Agent für Sowjetunion Stalins, wobei er unter den Decknamen wie Rudolf Breda, Franz Spielhagen, André Simone agierte und dann in dem Schauprozess gegen Rudolf Slánský zum Tod verurteilt wurde. – Gisela Lyner setzt noch hinzu: „Much love and I am happy to see you soon Yours Gisl“. Abbildung
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Kisch als Rasender Reporter – Ein Buchtitel als Synonym seines Autors
3103 Kisch, Egon Erwin. Entdeckungen in Mexiko. 277 S., 7 Bl. 19 x 12 cm. Farbig illustrierte OBroschur (mit Läsuren und kleinen Fehlstellen, Randausbrüchen und Knickspuren). Wien, Globus, 1947. 320 € Melzwig 374.2. – Zweite deutsche Ausgabe. Mit dem hübschen Umschlag nach einem Entwurf von Karl Dopler. – Gedruckt auf hadernhaltigem Nachkriegspapier, im Block jedoch sauber und wohlerhalten. Vortitel mit 8-zeiliger Widmung des Autors an seine Übersetzerin Jarmila Haasová (1896-1990), in der er sich selbst als „rasenden Reporter“ („zuřivý reportér“) bezeichnet und hinzusetzt, dass er sich mit diesem Namen, der ja von einem der Titel seiner Reportageromane stammt (Der rasende Reporter. Berlin 1925) - aber von seinen Zeitgenossen immer wieder auf ihn selbst angewendet wurde - durchaus identifiziert, was er Jarm ila auf Tschechisch schreibt: „Jarmiliče, autorce výrazu 107
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________ die Ausgabe erstmals einige weitere Reportagen, u. a. Der Kaugummi; Die fetten und die mageren Jahre des Hennequen Die Vanille-Indianer. – Papierbedingt leicht gebräuntes, sonst sauberes Exemplar mit ausführlicher, 9-zeiliger Widmung an seine geliebte Freundin, die treue Übersetzerin nahezu aller seiner Werke ins Tschechische: „Milý Jarmiláče, tato kniha přišla kurýrem z Berlína. Já Ti jí dám s nejlepší přízní a ve velké lásce. Egonek. 17.5.1947“ („Liebe Jarmila, dieses Buch kam direkt per Kurier aus Berlin. Ich werde es Dir mit größter Wertschätzung und in großer Zuneigung widmen“). Abbildung
„Ná památku na Montmartre – Egon Erwin Kisch“
3105 Kisch, Egon Erwin. Kleinschriften, Sonderdrucke, Reportagen in Magazinen und illustrierten Zeitschriften, teils mit Widmungen. 21 Hefte, Broschüren oder Faltblätter. 8° bis Fol. 1912-1975. 900 €
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‚zuřivý reportér‘, s kterým úplně souhlasím. Egon Erwin Kisch. V Praze, 16. sprna 1947“ („Jarmila, der Urheberin des Namens ‚Rasender Reporter‘, mit dem ich durchaus einverstanden bin. In Prag am 16. August 1947“). Abbildung Seite 107
Erste deutsche Nachkriegsausgabe – im Aufbau-Verlag
3104 Kisch, Egon Erwin. Entdeckungen in Mexiko. 328 S., 2 Bl. 19 x 12,8 cm. Grünes OHalbleinen mit farbig illustriertem Titel auf Rücken und VDeckel mit illustriertem OSchutzumschlag (mit Läsuren und kleinen Fehlstellen, gebräunt) und rotem Kopfschnitt. Berlin, Aufbau, 1947. 200 € Melzwig 374.3. – Nach einer zweiten deutschen Ausgabe (Melzwig 374.2) im Wiener Globus-Verlag 1947 erschien die erste deutsche Nachkriegsausgabe im 1945 im Auftrage des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründeten Aufbau-Verlag in Berlin. Dabei enthält 108
Sammlung der Einzelpublikationen von Schriften und Reportagen Egon Erwin Kischs (1885-1948), die in den bedeutenden literarischen Magazinen und illustrierten Zeitschriften der zwanziger und dreißiger Jahre zunächst meistens in Berlin, dann ab 1933 in europäischen Exilverlagen erschienen, ferner mit Verlagswerbungen, Einladungen, Homma gen etc. aus Tschechien, aus Mexiko etc. Dabei fungierte Kisch meist als Autor, Verfasser von Vorworten, teils aber auch als Herausgeber oder Mitglied der Redaktion (wie z. B. Die neue Bücherschau) etc. Aus dem Besitz der Übersetzerin Jarmila Haasová (1896-1990), teils mit Autorenwidmung an sie. Vorhanden sind: 1) Začátek. In: Montmartre 1912 Mit weiteren Beiträgen von Jaroslav Hašek u. a. (illustrierter OUmschlag mit Fehlstellen, lädiert, tschechische Publikation von größter Seltenheit!). Prag 1912. 2) Tragédie z Montmartru. In: Kavárna Montmatre. Svým příznivcům Waltner (Dem Kabarettier Josef Waltner von seinen Freunden). 35 S., 4 Bl. Lädierte OBroschur. Prag, Grafía, 1913 (seltenes Repräsentationsheft der Bohème-Kneipe ‚Montmartre‘ mit zahlreichen Beiträgen der dort verkehrenden Künstler u. a. Kisch, Hašek in Hommage für seine Gäste von Josef Waltner, dem Besitzer des prominenten Nachtlokals, u. a. mit Beiträgen von Egon Erwin Kisch und Arne Laurin Za Egonem („zu Egon“) über die Tanzkünste und weitere Aktivitäten seines Freundes Egon im „Montmartre“. Titel mit 3-zeiliger Widmung: „Na památku na Montmartre. Egon Erwin Kisch“ („Zur Erinnerung ans ‚Montmartre‘„). 3) Warschau am Tage nach dem Staatsstreich. In: Das Tagebuch Jg. 7, 22, 29. Mai 1926. 4) Moskaus strengster Kerker Lefortowo. In: Das Tagebuch Jg. 7, 37, 11. September 1926. 5) Die Neue Bücherschau. Hrsg. von Gerhart Pohl, Redaktionskomitee: J. R. Becher, E. E. Kisch u. a. Jg. 7, 5. Folge, 6. Schrift. Dezember 1927.
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová 6) Sieben Jahre Justizskandal Max Hoelz. Illustrierter (mit Fehlstellen, defekter und lädierter) OUmschlag. Berlin, Mopr Verlag, 1928 (Titel mit 4-zeiliger Widmung an Jarmila Haasová, datiert 29. März 1928). 7) Karriere eines Kaninchens. In: Die Weltbühne XXVI, 19, 6. Mai 1930. 8) Lenin, Mayer und Modratschek. In: Die Weltbühne XXVI, 35, 26. August, 1930. 9) Das Kriminalkabinett von Lyon. In: Die Weltbühne XXVI, 23, 3. Juni 1930. 10) Das paradiesische Amerika. In: A.I.Z. - Die ArbeiterIllustrierte Zeitung aller Länder. Jg. IX, 36. Berlin 1930. 11) Theodor Balk. Ein Gespenst geht um. Einleitung von Egon Erwin Kisch. 31 S. Illustrierte OBroschur (Rückdeckel gerissen, knittrig, abgegriffen) nach einer Fotomontage. Paris, Edition Combat, 1933 (Überaus seltene kleine kommunistische Kampfschrift gegen die Diktatur der National sozialisten. - Melzwig 25.1. Vorderdeckel innen mit 10-zeiliger Widmung des Autors: „Liebe Jarmila, dieses Heftchen ist nur ein unbedeutender Ersatz für die vergilbten Manuskriptblättchen, die du mir aus deinem Archiv gegeben hast. In alter Freundschaft Theo Balk - 1.1.1965“. 12) Neue Deutsche Blätter II, 5: Sonderheft für Egon Erwin Kisch, der am 29. IV. 1935 fünfzig Jahre alt wurde. Prag, Zürich, Paris, London, Amsterdam 1935. 13) Für Egon Erwin Kisch zum 50. Geburtstag. In: Internationale Literatur Jg. 5, 4. Hrsg. von der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller, Johannes R. Becher. Verlag für Schöne Literatur. Moskau, Glawlit, 1935. 14) Kohle unter dem Meer. In: Das Wort. Literarische Monatsschrift Jg. II, Heft 1. Moskau 1937. 15) PEN-Club, Mexiko Stadt. Invitación. Banquete de home naje para Egon Erwin Kisch gran escritor checoslovaco con motivo de su sexagésimo aniversario. (Doppelblatt). 26 de abril de 1945. 16) Egon Erwin Kisch. Su viaje alrededor del mundo en 60 años. Njegov put oko sveta u 60 godina. Jeho cesta světem za 60 let … His trip around the world in 60 years. Pro-Home naje a Kisch. 24 S. Mit Illustrationen. (Mexiko), El Comité de Escritores, 1945. 17) Egon Erwin Kisch zum 60. Geburtstag. In: Stimmen aus Böhmen. Schriftenreihe der Vertretung der demokratischen Deutschen aus der Tschechoslowakei. London, Verlag der Einheit, Mai 1945 (Dt. Exilarchiv 2990; Nicht bei Kosch, Melzwig und Sternfeld-Tiedemann - Sehr selten). 18) Im Spiegel der Zeit. Egon Erwin Kisch. Der Steckbrief. In: Roland von Berlin. Wochenschrift für Kultur, Politik, Wirtschaft und Berliner Leben, Heft 15, 11. April 1948. 19) Zur Literaturgeschichte des letzten Vierteljahrhunderts. In: Die Weltbühne IV, 13, 29. März 1949. 20) Egon Erwin Kisch. Descubrimientos en México. Verlagsanzeige Doppelblatt mit Porträt und Kurzbiographie. Mexiko Stadt, Editorial Nuevo Mundo, 1959. 21) Egon Erwin Kisch 1885-1948. Erinnerungen zum 90. Geburtstag. Hrsg. von Oldřich Bureš. Prag 1975. Abbildung
3105
„Die Schuld liegt bei der Übersetzerin, Frau Haasová.“
3106 Kisch, Egon Erwin. Verschiedene Dokumente aus dem Nachlass der Jarmila Haasová, darunter auch eigenhändige Briefe, Karten und Notizen von Kisch, von seinen Verlegern, Umschläge, Zeitungsausschnitte, Sonderdruck etc. Verschiedene Orte ca. 1918-1972. 300 € Dokumente, die von Kisch teils an Jarmila Haasová (18961990) geschickt worden, teils auch von ihr gesammelt und bewahrt wurden, vorhanden sind u. a. 1) Udatný rek kanonýr Jabůrek. (Der tapfere Recke Kanonier Jaburek). Faltblatt mit Text und Noten. 4 nn. S. 16 x 11 cm. O. O. und J. (wohl Prag um 1918). Das berühmte tschechische Jaburek-Lied, wohl die Inspirationsquelle für Kischs gleichnamige Reportage. „Bei der Kanone dort / Stand er 109
Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
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und lud in einem fort / Eine Kugel kam behende / Riß vom Leib ihm beide Hände / Und er stand weiter dort / Lud er in einem fort“. 2) Egon Erwin Kisch. Eigenhändige Bleistiftnotiz auf Deutsch, undatiert (wohl frühe 20er Jahre, als Jarmila in Berlin war): „Liebe Jarmila, Krüger, Frau Braff (Reissverlag) mit Tochter und Schwiegersohn sind hier, nur ich muss sie führen. Abends bin ich im Rokoko (wenn ich eine Loge krieg). Komm‘ hin, so gegen 9, ja? Wenn es Dir nicht dafürsteht, hinzukönnen, so rufe mich morgen früh auf dem Wege zum Bahnhof d. i. 3 /4 10 Uhr an. Herz. Dein Egonek“. 3) Egon Erwin Kisch. Eigenhändige Postkarte an Jarmila Haasová in Prag. Konstanz, 22. September 1924. Mit Ansicht (Originalfotographie in Silber-Gelatine Abzug) von „Konstanz: Insel-Hôtel“. Kisch schreibt: „Ich sitze in dem Dominikanerkloster, in dem Jan Hus verbrannt wurde, und denke an meine liebe Freundin Jarmilinka ... Dein Egonek“. 4) Bertold Brecht. Die Songs der Dreigroschenoper. 26 S. Potsdam, Gustav Kiepenheuer, (1928). 15,5 x 11,5 cm. OBroschur (dezimiert, Fehlstellen, Abrisse). - Erste Ausgabe dieses kleinen Auszugs aus der Dreigroschenoper mit dem Text 110
der Lieder. - Brüchiges Papier mit stärkeren Wasserflecken und Läsuren, Titel mit Zueignung von Kisch „Jarmila Haasová. Berlin 1929“ in Bleistift. Die Uraufführung von Brechts Erfolgsstück hatte am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin stattgefunden. 5) Pokrok. Langer Brief des Verlagsleiters m. U. an „Pan Egon Erwin Kisch, spisovatel. Berlin, Güntzelstrasse 3“ aus Prag, den 9. September 1929 in tschechischer Sprache. „Lieber Meister, Ihre Schriften werden trotz unserer Bemühungen nicht vertragsgemäß und für Sie und uns wün schenswert in unserem Verlag veröffentlicht. Die Schuld liegt bei der Übersetzerin, Frau Haasová, die die vertraglich vereinbarten Fristen nicht einhält. Ihre Gründe: Krankheit, Sommeraufenthalt, Beschäftigungen in andere Richtungen usw. Das bereitet uns ärgerliche Schwierigkeiten ... Um Ihnen ein Bild von unseren Problemen zu geben, gebe ich hier einen Fall mit dem Buch Zaren, Popen, Bolschewiken an. Laut Vertrag sollte das Buch am 15. Mai erscheinen ... [es] wurde vereinbart, dass das endgültig druckfertige Manuskript spätestens am 2. Juli, eintreffen würde...“. Bei Pokrok reichte Jarmila zahlreiche Manuskripte Kischs ein.
_______________________________________________________________________________________________Der Nachlass der Jarmila Haasová 6) Dienstnotiz. Orangefarbenes, hs. ausgefülltes Formular mit Bescheid: „Das am 25/ 1931 bei dem Telegraphen amte Wien Z unter der Adresse Haasová, Versailles aufgegebene Telegramm ... konnte nicht zugestellt werden, weil Empfänger abgereist ohne Adresse“. Ein typischer Bescheid, den Jarmila sicherlich öfters von ihrem unsteten Freund bekam. 7) Ernst Busch. Lied der Zeit. Spanien 1936-39. Lieder der XI. Internationalen Brigade. Schallplatten. 20 S. Mit Illustrationen. OKartonbroschur. (Berlin 1946). Von Busch herausgegebene Lieder während des Spanischen Bürgerkriegs, „... der kämpfenden Demokratie gewidmet“. 8) Einladungskarte zum 8. November 1931 für die Militärbasis „Kisch“ in der Bolschoi-Kazenny Straße, in Charkow, zu eine Feier am Abend anlässlich des Jubiläums der Russischen Revolution. 1 Bl. Mit kleiner Vignette mit LeninPorträt. 10 x 13 cm. Auf roséfarbenem Papier. In russischer Sprache. (1931). 9) Egon Erwin Kisch. Undatierter, eigenhändiger Brief auf Tschechisch an Jarmila, in Bleistift mit Unterschrift „Líba Tě Tvůj Egonek“. Kisch berichtet über die gute Reise nach Berlin, wo er wohl aus Russland zurückkam: „Wenn Du einen stummen Baedeker für ganz Sowjetrussland haben willst, musst Du nur telegrafieren ... Ich höre, die Piscator-Premiere war ausgezeichnet, Haas [der Mann der Jarmila] hat das Filmlibretto für Tonka Šibenica geschrieben...“. Erwähnt Nico Rost und andere. 10) Sándor Radó. Lenin und die Geographie. Sonderdruck aus „Petermanns Geographischen Mitteilungen“, 114. J., 1970, Heft 1. 13 S. Mit Umschlag. Berlin 1970. Weiterhin: Mehrere Briefumschläge, teils eigenhändig von Kisch an Jarmila adressiert, in denen u.a. die zahlreichen Zeitungsausschnitte zur Übersetzung nach Prag geschickt wurden, darunter ein Blatt aus der „JahrundertAusgabe der Deutschen Zeitung Bohemia“ vom 30. Januar 1927 (Nr. 25, S. 3-4), ein Ausschnitt des Artikels „Kisch war in Rußland“ von Maria Kamp. Ferner 6 postgelaufene, gestempelte, mit Briefmarken versehene Briefkuverts, davon drei eigenhändig adressierte, aus Berlin, Rotterdam, Malines (Belgien). – Gebrauchsspuren, teils stärkere.
Einer von zwei Abgüssen der Totenmaske Egon Erwin Kischs
3107 Kisch, Egon Erwin - Blažek, Václav. Gipsabguss seiner Totenmaske. Ca. 33 x 24 x 18 cm. Montiert auf massive Eichenholzplinthe 41,5 x 30 x 0,6 cm. Prag April 1948. 2.800 € Egon Erwin Kisch war am 31. April 1948 in Prag gestorben. Er hatte schon im November 1947 einen ersten Schlaganfall und am 24. März 1948 einen zweiten erlitten. So verbrachte er seine letzten Tage in dem Prager Krankenhaus in der Kateřinská-Straße. Die beiden ihm immer treu gebliebenen Frauen, seine Sekretärin, Typistin und Mitarbeiterin sowie ab 1938 seine Gattin, Gisela Lyner (1895-1962) und seine Freundin, die unermüdliche Übersetzerin seiner Werke ins Tschechische, Haasová-Nečasová (1896-1990) begleiteten ihn jeden Tag bis zu seinem letzten Atemzug. Noch am selben Tag hatte der Prager Akademiekünstler Václav Blažek einen Abdruck seines Gesichts und seiner rechten Hand – der Hand, die alle seine Werke – und auch alle seine eigenhändigen Briefe geschrieben hatte, abge nommen. Daraus fertigte der Künstler Abdrücke, von denen jeweils nur zwei Exemplare angefertigt wurden. Je eines der Exemplare ging an die Ehefrau Gisl, die sich der Nationalen Gedenkstätte der tschechischen Literatur (Památník národního písemnictví) in Strahov auf dem Hradschin übergab. Das jeweils zweite Exemplar der Abdrücke erhielt Jarmila. Diese Abgüsse sind die vorliegenden. Die Zuweisung an den Künstler von Klaus Haupt über Jarmila Haasová, aus deren Besitz beide Abgüsse stammen. Klaus Haupt und Harald Wessel. Kisch war hier. Reportagen über den „rasenden Reporter“. Berlin, Verlag der Nation, 1995, S. 315: „Kischs Totenmaske - abgenommen von dem akademischen Künstler Václav Blažek“. – Minimale Staubpatina, kaum fleckig, die Nase minimal berieben, insgesamt von bester Erhaltung. Abbildung
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Egon Erwin Kisch ______________________________________________________________________________________________________________________________
Register A Albers, Josef 3081 Altschul, Pavel 3040 Ambrožová 3010, 3101 Artner 3088 B Bab, Julius 3007 Baldower, Billy 3036 Balk, Theodor (Duško) 3084, 3083, 3094, 3087, 3089, 3101, 3103, 3105 Ball, Hugo 3007 Ballenberger, Maria 3088 Balzac, Honoré de 3013 Barbusse, Henri 3069, 3083 Beaumarchais, Pierre Augustin de 3088 Becher, Johannes R. 3007, 3044, 3047, 3063, 3083, 3105 Benn, Gottfried 3007, 3045 Bertram, Leutnant 3092 Blažek, Václav 3056, 3107 Bloch, Ernst 3082 Bogs, Sonja 3036 Bonck 3036 Bornstein, Joseph 3011, 3012, 3017, 3021, 3029-3030, 3032-3045, 3048, 3073, 3076, 3081, 3084, 3089, 3102 Borový, František 3094 Brecht, Bertolt 3083, 3088, 3106 Breda, Rudolf 3102 Bredel, Willi 3092 Brod, Max 3018, 3050, 3073 Bureš, Oldřich 3105 Busch, Ernst 3091 Butzbach 3045 C Čapek, Karel 3018, 3083 Chamberlain, Houston Stewart 3095 Chambers, Whittaker 3090 Chaplin, Charlie 3039, 3041, 3042, 3053, 3084, 3089 Chiang Kai-shek 3070 D D’Annunzio, Gabriele 3007 Danton, Georges 3079 Defoe, Daniel 3013 112
Dickens, Charles 3013 Döblin, Alfred 3014, 3053 Dopler, Karl 3103 Dragutin, Fodor 3084 Dreiser, Theodore 3069 Duško, Duschko s. Th. Balk
Gottwald, Klement 3047, 3101 Goya, Francisco de 3093 Grohmann 3030 Grossmann, Stefan 3017, 3036
E Edschmid, Kasimir 3007 Ehrenburg, Ilja G. 3090 Eisenstein, Sergei M. 3036 Eisler, Elli 3063 Eisler, Hanns 3083, 3089 Eisler, Lou 3088 Eisner, Paul 3084, 3086 Endore, Guy 3099 Ettlinger, Gretl 3053 Eulenberg, Herbert 3007
H Haas, Willy 3007, 3010, 3017, 3073, 3082, 3089 Halbey, Hans Adolf 3075 Harden, Maximilian 3007 Hašek, Jaroslav 3020, 3036, 3050, 3072, 3105 Heartfield, John 3038, 3084, 3086 Hebbel, Friedrich 3100 Hemingway, Ernest 3090 Hermann, Eva 3096 Herzfelde, Wieland 3076 Herzl, Theodor 3013 Hindenburg, Paul von 3025, 3075-3077, 3099 Hoellering, Franz Xaver 3036, 3045, 3046, 3054 Hoelz, Max 3022, 3028, 3031, 3034, 3036, 3039, 3040, 3105 Hoffmann, E. T. A. 3013 Holitscher, Arthur 3036 Holzbachová, Mira 3094 Huelsenbeck, Richard 3007 Huret, Jean 3013 Huxley, Aldous 3083
F Feuchtwanger, Lion 3077, 3083, 3089, 3096 Feuerstein 3086 Fischauer, Paul 3088 Fisher, Andrew 3083, 3095 Fisher, John 3042, 30833086, 3096, 3101 Fitzgerald, Tom 3084, 3085, 3086, 3095 Fontane, Theodor 3013 Forbáth, Imre 3029, 3073 Forster, Georg 3013 Franco, Francisco 3090 Frank, Bruno 3084 Frank, Leonhard 3073, 3102 Frei, Bruno 3082 Frey, Theodor 3083 Friedrich II., der Große 3011 Friel 3036 Frigo 3043, 3048 Fröschl 3036, 3045 Fuchs, Dora 3011 Furier, W. 3071 G Gide, André 3007, 3083, 3089 Glassner, Alice 3101 Goethe, Johann W. 3100 Gold, Mike 3083 Goll, Yvan 3017 Gorki, Maxim 3063, 3069, 3085-3086, 3089
IJ Itten, Johannes 3081 Jacobi, Lotte 3083 Janda, Bohumil 3082 Jannings, Emil 3039, 3042 Jasieñski, Bruno 3064 Jennings, Hilde 3058 Jensen, Ruth 3101 Jesenká, Milena 3073 Jouvenel, Renaud de 3076 Jungmann, Erich 3101 K Kafka, Franz 3018, 3050, 3073 Kahn 3048 Kalm, Ella 3101 Kandinsky, Wassily 3081
Kantorowicz, Alfred 3092 Kaplický, Václav 3045, 3048, 3053, 3089 Käsebier, Christian Andreas 3011, 3072 Katz, Otto und Ilse 3016, 3030, 3036, 3058, 3063, 3069, 3083, 3096, 3101, 3102 Kerr, Alfred 3040 Kersten, Kurt 3083, 3096 Kesten, Hermann 3088 Keun, Irmgard 3088, 3089 Kisch, Arnold 3101, 3072 Kisch, Bedřich „Kaspar“ 3007, 3093, 3094, 3101 Kisch, Egon Erwin 30013030, 3032-3037, 3040-3048, 3051-3055, 3057-3072, 30743095, 3097-3106 und passim Kisch, Herbert 3101 Kisch, Paul 3101 Kisch, Richard 3089 Klaar, Alfred 3036 Klabund 3007 Klee, Paul 3081 Kleist, Heinrich 3013 Klötzel, C. F. 3018 Knopf, Alfred A. 3101 Knopf, Blanka 3088 Kobbe, George G. 3011 Koestler, Arthur 3088, 3096 Kohnová 3062 Krása, Hans 3017 Kratchovil, Jaroslav 3090 Kreibich, Karl 3101 Kröger, Peter 3075 Krüger, Erich 3075 Kuh, Nina 3088 Kühne, Felix 3072 Kunitz, J. 3064 Kuns, Béla 3020 Kuron-Gogol, Viktor J. 3031 L Lagerlöf, Selma 3007 Landauer, Walter 3079, 3082 Landshoff, Fritz 3082 Lange, Allert de 3079, 3083 Lange, Gerard de 3079 Langhoff, Wolfgang 3086 Lania, Leo 3036, 3089, 3016, 3046
_____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Register
Lania, Lucie 3088 Laplický, Václav 3044 Laurin, Arne (d. i. Arnošt Lustig) 3046, 3072, 3105 Lenin, Wladimir Iljitsch 3035, 3036, 3060, 3088 Leonhard, Rudolf 3014 Leppien, Jean 3081 Leppin, Paul 3050 Lessing, Gotthold Ephraim 3013 Levi, Paul 3032 Lewi, Jack 3088 Lex, Lotte 3101 Longen, Emil A. 3016, 3044 Lozowick, Louis 3064 Luin, Otto 3064 Lunatscharski, Anatoli 3025 Lustig, Arnošt s. A. Laurin Luther, Martin 3013 Lyner, Gisela 3021, 3034, 3038, 3039, 3049 und passim Lyons, Joseph A. 3095
Münzenberg, Willi 3034, 3069, 3084 Mussolini, Benito 3095
M Maeterlinck, Maurice 3007 Mahler, Gustav 3017 Majakowski, Wladimir 3086 Malraux, André 3083, 3089 Mann, Heinrich 3045, 3083 Mann, Klaus 3082 Mann, Thomas 3025 Marchwitzka, Hans 3087, 3092 Marcuse, Herbert 3096 Mareu 3089 Marku 3036 Marty, André 3092 Masaryk, Thomás Garrique 3053 May, Karl 3063 May, Karl 3100 Merker, Paul 3101 Mestak, Ferda 3020 Michaëlis, Karin 3007, 3083 Mieke 3094 Moholy, Lucia 3081 Moholy-Nagy, László 3081
P Pfund, Paul Piscator, Erwin 3036, 3040, 3044, 3045, 3047, 3057, 3063, 3069, 3089 Pitaval, François G. de 3061 Pitcairn, Frank 3094 Plinius der Jüngere 3013 Podravic, Dragotin 3003 Pohl, Gerhart 3105 Pol, Heinz 3076 Polak, Ernst 3046, 3073 Polgar, Alfred 3043, 3102 Popper, Ernst 3016, 3089 Popper, Karl 3079 Proust, Marcel 3017
N Nečas, Vinčenc „Vinček“ 3042, 3043, 3048, 3053. 3075, 3072, 3076, 3077, 3083, 3096 Neumannová 3086 Nezval, Vítězlav 3083 Nielsen, Asta 3015 Novomeský, Laco 3082, 3090, 3092, 3093 O Olbracht, Ivan 3101 Olden, Rudolf 3044 Oplatka, Jack 3079 Ossietzky, Carl v. 3030, 3076 Ossip, Olga 3084 Ossipowna, Olga 3036 Osten, Maria 3091-3092 Ostrowski 3088
R Rabold, Emil 3036 Radek, Karl Bernhardowitsch 3069 Radó, Lene und Sandór 3084, 3086, 3101 Rainer, Josef 3073
Redl, Alfred 3014, 3015, 3020 Reed, John 3036, 3038 Regler, Gustav 3090, 3092, 3094, 3096 Reiner, Lenka 3096 Reinerová, Lenka 3101 Reiß, Erich Caesar 3027, 3075 und passim Renn, Ludwig 3092 Rilke, Rainer Maria 3050 Robitschek, Kurt 3039 Rolland, Romain 3069, 3089 Rosenbaum, Peter 3060 Rosenberg, Alfred 3036 Rosner 3083 Rost, Nicolaas „Nico“ 3039, 3048, 3053, 3060, 3076, 3077, 3086, 3089, 3096 Roth, Joseph 3018, 3088 Rousseau, Henri 3100 S Sachs, Leni 3094 Salter, Georg 3014, 3033 Schaffner, Jakob 3044 Schiller, Friedrich 3013 Schlesinger, Leo 3016 Schlichter, Rudolf 3037 Schneidermann 3085 Schönberg, Inge 3017 Schörpner, František 3086, 3088, 3089 Schröder, Max 3101 Schrötter 3036 Schulz, Frank 3016 Schulz, Willi 3038 Schwarz, Emmerich 3020 Schwarzschild, Leopold 3017, 3030, 3036, 3076 Seghers, Anna 3083, 3084, 3096, 3101 Simone, André 3096, 3101, 3102 Sinaiberger, Hugo 3039, 3043, 3072, 3076, 3102 Sinclair, Upton 3041, 3042, 3046, 3053, 3089 Škrach, Vasil 3072
Slánský, Rudolf 3102 Smith, Julian 3086 Spann 3045, 3089 Spielhagen, Franz 3102 Spitzweg, Carl 3100 Stalin, Josef 3070, 3088, 3092, 3102 Staša 3045 Stern, Kurt 3007 Stoll, Ladislav 3092 Štricha 3083 Synek, Karel 3020 T Taro, Gerda 3092 Toller, Ernst 3007, 3077 Tolstoj, Leo N. 3040 Toužimský 3082 Trautner, Eduard 3033 Tretmüller 3040 Tusar 3007 UV Uhse, Bodo 3039, 3092, 3101 Urban, P. L. 3079 Vaillant-Couturier 3064 Viková, Kurt u. Anka, 3036 W Waltner, Josef 3044, 3105 Weinert, Erich 3076, 3083, 3087, 3092 Weißkopf, Franz Carl 3045, 3084, 3090 Wiegler 3046 Wiegler, Paul 3017, 3046 Wilder, Billy 3036 Z Zápotocký, Antonín 3047, 3063, 3101 Záviš 3082 Zetkin, Clara 3039, 3067, 3089 Zetkin, Kostja 3089 Zola, Emile 3013 Zweig, Arnold 3044 Zweig, Stefan 3088
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V ER ST EIGERU NG S - BEDI NGU NGEN 1. Die Bassenge Buchauktionen GbR, nachfolgend Versteigerer genannt, versteigert als Kommissionärin im eigenen Namen und für Rechnung ihrer Auftraggeber (Kommittenten), die unbenannt bleiben. Die Versteigerung ist freiwillig und öffentlich im Sinne des § 383 III BGB. 2. Der Versteigerer behält sich das Recht vor, Nummern des Kataloges zu vereinen, zu trennen, außerhalb der Reihenfolge anzubieten oder zurückzuziehen. 3. Sämtliche zur Versteigerung kommenden Gegenstände können vor der Versteigerung besichtigt und geprüft werden. Die Sachen sind gebraucht. Erhaltungszustände der einzelnen angebotenen Arbeiten bleiben im Katalog in der Regel unerwähnt. Die Katalogbeschreibungen sind keine Garantien im Rechtssinne und keine vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsangaben. Gleiches gilt für individuell angeforderte Zustandsberichte. Sie bringen nur die subjektive Einschätzung des Versteigerers zum Ausdruck und dienen lediglich der unverbindlichen Orientierung. Alle Gegenstände werden in dem Erhaltungszustand veräußert, in dem sie sich bei Erteilung des Zuschlages befinden. Soweit nicht in der Katalogbeschreibung explizit erwähnt, sind Rahmungen nicht bindender Bestandteil des Angebots. Der Käufer kann den Versteigerer nicht wegen Sachmängeln in Anspruch nehmen, wenn dieser seine Sorgfaltspflichten erfüllt hat. Der Versteigerer verpflichtet sich jedoch, wegen rechtzeitig vorgetragener, begründeter Mängelrügen innerhalb der Verjährungsfrist von 12 Monaten ab dem Zeitpunkt des Zuschlags seine Ansprüche gegenüber dem Einlieferer (Auftraggeber) geltend zu machen. Im Falle erfolgreicher Inanspruchnahme des Einlieferers erstattet der Versteigerer dem Erwerber den Kaufpreis samt Aufgeld. Die Haftung des Versteigerers auf Schadensersatz für Vermögensschäden – gleich aus welchem Grund – ist ausgeschlossen, es sei denn, dem Versteigerer fiele Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last. Die Haftung bei Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit bleibt unberührt. 4. Der Zuschlag erfolgt nach dreimaligem Aufruf an den Höchst bietenden. Der Versteigerer kann den Zuschlag verweigern oder unter Vorbehalt erteilen. Wenn mehrere Personen dasselbe Gebot abgeben und nach dreimaligem Aufruf kein höheres Gebot erfolgt, entscheidet das Los. Der Versteigerer kann den Zuschlag zurücknehmen und die Sachen erneut ausbieten, wenn irrtümlich ein rechtzeitig abgegebenes höheres Gebot übersehen worden ist oder wenn der Höchstbietende sein Gebot nicht gelten lassen will oder sonst Zweifel über den Zuschlag bestehen. 5. Im Falle eines schriftlichen Gebotes beauftragt der Interessent den Versteigerer für ihn während der Versteigerung Gebote abzugeben. In schriftlichen Aufträgen ist bei Differenzen zwischen Nummer und Kennwort das Kennwort maßgebend. 6. Telefonische Gebote und Online-Direkt-Gebote über das Internet bedürfen der vorherigen Anmeldung beim Versteigerer und dessen Zustimmung. Für die Bearbeitung übernimmt der
Versteigerer jedoch keine Gewähr. Telefonische und OnlineGebote werden nur akzeptiert, wenn der Bieter bereit ist, den ihm zuvor mitgeteilten Mindestpreis des jeweiligen Loses zu bieten. Auch bei Nichtzustandekommen einer Verbindung gilt, dass für den Auktionator dieses Gebot in Höhe des Mindestpreises verbindlich ist. Für das Zustandekommen einer entsprechenden Telefon- oder Onlineverbindung übernimmt der Versteigerer keine Gewähr. Das Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen findet auf solche Gebote keine Anwendung (§ 312d Abs. 4 Nr. 5 BGB). 7. Mit der Erteilung des Zuschlages geht die Gefahr für nicht zu vertretende Verluste und Beschädigung auf den Ersteigerer über. Das Eigentum an den ersteigerten Sachen geht erst mit vollstän digem Zahlungseingang an den Erwerber über. 8. Auf den Zuschlagspreis ist ein Aufgeld von 28% zu entrichten, in dem die Umsatzsteuer ohne separaten Ausweis enthalten ist (Differenzbesteuerung) oder ein Aufgeld von 23% auf den Zuschlag zzgl. der USt von z.Zt. 19% (Regelbesteuerung), bei Büchern beträgt die Umsatzsteuer 7% (Regelbesteuerung). Die im Katalog mit einem * gekennzeichneten Objekte unterliegen in jedem Fall der Regelbesteuerung (Aufgeld von 23% auf den Zuschlag zzgl. der USt von z.Zt. 19%). Bei den im Katalog mit einem ^ gekennzeichneten Objekten ist Einfuhrumsatzsteuer angefallen. In diesen Fällen wird zusätzlich zu einem Aufgeld von 25% (Differenzbesteuerung) die verauslagte Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von z.Zt. 7% auf den Zuschlag erhoben. Für bundesdeutsche Kunsthändler und Antiquare, die zum Vors teuerabzug berechtigt sind, kann die Gesamtrechnung auf Wunsch, wie bisher nach der Regelbesteuerung ausgestellt werden. Von der Umsatzsteuer befreit sind Ausfuhrlieferungen in Dritt länder (außerhalb der EU) und – bei Angabe ihrer USt.-Identi fikations-Nr. bei Auftragserteilung als Nachweis der Berechtigung zum Bezug steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferungen – auch an Unternehmen in anderen EU-Mitgliedsstaaten, unter der Voraussetzung, dass sie für gewerblichen Gebrauch einkaufen. Eine Korrektur nach Rechnungsstellung ist nicht möglich. Alle anderen Käufe aus EU-Ländern unterliegen der Umsatzsteuer. Ausländischen Käufern außerhalb der Europäischen Union wird die Umsatzsteuer erstattet, wenn binnen 4 Wochen nach der Auktion der deutsche zollamtliche Ausfuhrnachweis und der zollamt liche Einfuhrnachweis des entsprechenden Importlandes erbracht werden. Bei Versand durch uns gilt der Ausfuhrnachweis als gegeben. Bei Online-Live-Geboten über externe Internetplattformen erhöht sich das Aufgeld um die dort anfallende Transaktionsgebühr. Während oder unmittelbar nach der Auktion ausgestellte Rech nungen bedürfen einer besonderen Nachprüfung und eventueller Berichtigung; Irrtum vorbehalten. 9. Die Auslieferung der ersteigerten Stücke erfolgt in unseren Ge schäftsräumen gegen Bezahlung. Kreditkarten (Mastercard, VISA, American Express), Schecks sowie andere unbare Zahlungen werden nur erfüllungshalber angenommen. Bankspesen/
Transaktionsgebühren bzw. Kursverluste können zu Lasten des Käufers gehen. Die Auf bewahrung erfolgt auf Rechnung und Gefahr des Käufers. Der Versand wird gegen Vorabrechnung des Rechnungsbetrages ausgeführt. Die Versandspesen sowie die Kosten für Versicherung gegen Verlust und Beschädigung gehen zu Lasten des Käufers. Übersteigen die tatsächlichen Versandkosten die vorab berechnete Pauschale, so wird die Differenz dem Käufer nachträglich in Rechnung gestellt. 10. Bei der Ausfuhr von Kulturgütern aus dem Gemeinschaftsgebiet der EG ist gem. der EG-Verordnung Nr. 116/2009 abhängig von Kategorie und Wert des Objekts ggf. eine Ausfuhrgenehmigung erforderlich. Aus Gründen des Artenschutzes können Objekte aus bestimmten, geschützten Materialien (u.a. Elfenbein, Schildpatt, Perlmutt und einige Korallenarten) besonderen Im- und Exportbeschränkungen unterliegen. Zum Zwecke des Exports (insbesondere außerhalb der Europäischen Union) kann hierfür eine spezielle Ausfuhrgenehmigung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 338/97 erforderlich sein. Entsprechende Ausfuhrgenehmigungen können nur unter strengen Bedingungen erteilt und ggf. auch gar nicht erlangt werden, auch kann der Import dieser Gegenstände in manche Staaten eingeschränkt oder untersagt sein. Der Käufer ist selbst dafür verantwortlich, sich über etwaige Im- und Exportbeschränkungen zu informieren. Export und Import entsprechender Objekte erfolgen allein auf Rechnung und Gefahr des Käufers. 11. Der Zuschlag verpflichtet zur Abnahme. Der Kaufpreis ist mit dem Zuschlag fällig. Der Versteigerer ist berechtigt, falls nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Versteigerung Zahlung geleistet ist, den durch den Zuschlag zustande gekommenen Kaufvertrag ohne weitere Fristsetzung zu annullieren, Verzugszinsen in banküblicher Höhe – mindestens jedoch 1 % auf den Bruttopreis je angebrochenen Monat – zu berechnen und von dem Ersteigerer
Eindeutig identifizierbare Werke mit einem Schätzpreis von mind. 2500 Euro werden vor der Auktion mit dem Art Loss Register abgeglichen.
wegen Nichterfüllung Schadenersatz zu verlangen. Der Schadenersatz kann in diesem Falle auch so berechnet werden, dass die Sache in einer neuen Auktion nochmals versteigert wird und der säumige Käufer für einen Mindererlös gegenüber der vorangegangenen Versteigerung einschließlich der Gebühren des Auktionshauses aufzukommen hat. Zu einem Gebot wird er nicht zugelassen, auf einen etwaigen Mehrerlös hat er keinen Anspruch. 12. Erfüllungsort und Gerichtsstand im vollkaufmännischen Verkehr ist Berlin. Es gilt ausschließlich deutsches Recht. Das UNAbkommen über Verträge des internationalen Warenkaufs (CISG) findet keine Anwendung. 13. Die im Katalog aufgeführten Preise sind Schätzpreise, keine Limite. 14. Der Nachverkauf ist Teil der Versteigerung, bei der der Interessent entweder telefonisch oder schriftlich (im Sinne der Ziffern 5 und 6) den Auftrag zur Gebotsabgabe mit einem bestimmten Betrag erteilt. 15. Die Abgabe eines Gebotes in jeglicher Form bedeutet die Anerkennung dieser Versteigerungsbedingungen. Der Versteigerer nimmt Gebote nur aufgrund der vorstehenden Versteigerungs bedingungen entgegen und erteilt dementsprechend Zuschläge. Kommissionäre haften für die Käufe ihrer Auftraggeber. 16. Sollte eine der vorstehenden Bestimmungen ganz oder teilweise unwirksam sein, so bleibt die Gültigkeit der übrigen davon unberührt. Dr. Markus Brandis Geschäftsführer
Stand: September 2021
CON DI T IONS OF SA L E 1. The Bassenge Buchauktionen GbR, subsequently called “the auctioneer” carries on business as commission-agent in its own name on behalf of its voluntary consignors. This auction sale is a public one in the sense of § 383 III BGB. 2. The auctioneer reserves the right to combine, to split, to change or to withdraw lots before the actual final sale. 3. All objects put up for auction can be viewed and examined prior to the sale at the times made known in the catalogue. The items are used and sold as is. As long as not explicitly mentioned in the catalogue description, framing is not an inherent part of the offer. As a rule, the condition of the individual work is not given in the catalogue. Catalogue descriptions are made with as much care as possible, but the descriptions do not fall under the statutory paragraph for guaranteed legal characteristics. The same applies for individually requested condition reports. These also offer no legal guarantee and only represent the subjective assessment of the auctioneer while serving as a non-binding orientation. The liability for damage to life, body or health shall remain unaffected. In case of a justified claim, however, he will accept the responsibility to make a claim for restitution on behalf of the buyer against the consignor within a period of 12 months, running from the fall of the hammer. In the event of a successful claim the auctioneer will refund the hammerprice plus premium. 4. The highest bidder acknowledged by the auctioneer shall be deemed the buyer. In case of identical bids the buyer will be deter mined by drawing lots. In the event of a dispute the auctioneer has the absolute discretion to reoffer and resell the lot in dispute. He may also knock down lots conditionally. 5. In the case of a written bid the bidder commissions the auctioneer to place bids on his behalf during the auction. In cases where there is a discrepancy between number and title in a written bid the title shall prevail. 6. Telephone and direct online bidding via the internet must be approved in advance by the auctioneer. The auctioneer cannot be held liable for faulty connections or transmission failure. In such a case the bidder agrees to bid the reserve price of the corresponding lot. For such bidding the regulations of long distance contracts do not apply (Fernabsatzverträge) [cf § 312d IV,5 BGB]. 7. On the fall of the auctioneer’s hammer title to the offered lot will pass to the acknowledged bidder. The successful buyer is obliged to accept and pay for the lot. Ownership only passes to the buyer when full payment has been received. The buyer, however, immediately assumes all risks when the goods are knocked down to him.
8. A premium of 28% of the hammer price will be levied in which the VAT is included (marginal tax scheme) or a premium of 23% of the hammer price plus the VAT of 19% of the invoice sum will be levied [books: 7%] (regular tax scheme). Buyers from countries of the European Union are subject to German VAT. Items marked with an * are subject to the regular tax scheme (premium of 23% of the hammer price plus the current VAT of 19%). Items marked with an ^ are subject to import duty. In these cases in addition to a premium of 25% (marginal tax scheme), the charged import tax of currently 7% will be added to the hammer price. Exempted from these rules are only dealers from EU-countries, who are entitled, under their notification of their VAT ID-Number, to buy on the basis of VAT-free delivery within the European Union. Notification of VAT ID-Numbers must be given to the auctioneer before the sale. For buyers from non EU-countries a premium of 23% will be levied. VAT will be exempted or refunded on production of evidence of exportation within 4 weeks of the auction, or, if appropriate, importation to another country. This is taken as given when the dispatch is effected by us. Live bidding through external online platforms entails a transaction fee stipulated by the platform and will be added to the premium. Due to the work overload of the accounting department during auctions, invoices generated during or directly after an auction require careful revision and possible correction; errors excepted. 9. Auction lots will, without exception, only be handed over after payment has been made. Credit cards (VISA, Mastercard, American Express), checks and any other form of non-cash payment are accepted only on account of performance. Exchange rate risk and bank charges may be applicable. Storage and dispatch are at the expense and risk of the buyer. If the shipping costs exceed the lump sum on the invoice the outstanding amount will be billed separately. 10. According to regulation (EC) No. 116/2009, an export license is necessary when exporting cultural goods out of European Community territory, depending on the type or value of the object in question. For the purposes of wildlife conservation, it is necessary to obtain an export license according to regulation (EC) No. 338/97 when exporting objects made from certain protected materials (incl. ivory, tortoiseshell, mother-of-pearl and certain corals) out of the territory of the European Community. Export licenses for objects made of protected materials are only granted under strict conditions or may not be granted at all. The import of such objects may be restricted or prohibited by certain countries. It is the buyer’s responsibility to inform himself, whether an object is subject to such restrictions. Export and import of such objects are at the expense and risk of the buyer.
11. The buyer is liable for acceptance of the goods and for payment. The purchase price shall be due for payment upon the lot being knocked down to the buyer. In case of a delayed payment (two weeks after the sale) the purchaser will be held responsible for all resultant damages, in particular interest and exchange losses. In case of payment default the auctioneer will charge interest on the outstanding amount at a rate of 1% to the gross price per month or part of month. In such an event the auctioneer reserves the right to annul the purchase contract without further notice, and to claim damages from the buyer for non-fulfilment, accordingly he can reauction the goods at the buyer’s expense. In this case the buyer is liable for any loss incurred, the buyer shall have no claim if a higher price has been achieved. He will not be permitted to bid. 12. The place of fulfillment and jurisdiction is Berlin. German law applies exclusively; the UN-Treaty (CISG) is explicitly excluded. 13. The prices quoted after each lot are estimates, not reserves.
14. The after-sales is part of the auction in which the bidder places either by telephone or in written form (as stated in number 5 and 6) the order to bid a set amount. 15. By making a bid, either verbally in the auction, by telephone, written by letter, by fax, or through the internet the bidder confirms that he has taken notice of these terms of sale by auction and accepts them. Agents who act on behalf of a third party are jointly and separately liable for the fulfillment of contract on behalf of their principals. 16. Should one or the other of the above terms of sale become wholly or partly ineffective, the validity of the remainder is not affected. In the event of a dispute the German version of the above conditions of sale is valid. Dr. Markus Brandis As of September 2021
F RÜ HJA H R SAU K T ION 5. bis 7. April 2022
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Katalogbearbeitung Dr. Markus Brandis Redaktion der der tschechischen Texte Jana Freise Váňová
Gestaltung / Satz Stefanie Löhr Repros / Bildbearbeitung Christoph Anzeneder Maria Benkendorf Philipp Dörrie Christina Wunderlich