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Interview Stefan Bruckbauer
„Gesellschaftlicher Sprengstoff“
Der Kampf gegen den Klimawandel könnte durch Einkommensverluste soziale Spannungen verschärfen, meint Ökonom Stefan Bruckbauer. Weiters warnt er vor einem zu schnellen Abdämpfen der Konjunktur.
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HARALD KOLERUS
Die Wirtschaft Österreichs sollte sich in den kommenden Jahren weiter erholen, die globalen Lieferschwierigkeiten könnten sich relativ bald entspannen. Das sind „frohe Botschaften“ des Ökonomen. Auch die Steuerreform in Österreich beurteilt er überwiegend positiv. Es gibt aber Probleme, die sich in den nächsten Jahren erst aufbauen werden, so etwa Einkommensverluste im Kampf gegen die Erderwärmung.
Wie hat sich die Wirtschaft in Österreich und international 2021 entwickelt?
Im Wesentlichen kann man folgende Punkte festhalten: Die ökonomische Erholung zu Jahresbeginn 2021 fiel viel besser aus, als das viele erwartet hatten. Wir waren bei unserer Einschätzung wohl etwas mehr „bullish“ als der Consensus und lagen damit letztlich richtig. Bis in den vergangenen Sommer erfolgte eine dynamische Wirtschaftsentwicklung, dann hat sich der Wind etwas gedreht. Die Industrie hat durch die Lieferengpässe Schwierigkeiten bekommen, dafür zog der Bereich Dienstleistungen bis in den Herbst/Winter in Österreich an. Vor allem der Sommertourismus ist bei uns sehr gut gelaufen, auch hat das BIP in Österreich über den vergangenen Sommer das Niveau von 2019 erreicht.
Wie geht es nun 2022 weiter? Es gibt ja eine vehemente Inflationsdebatte …
Rohstoff- und Transportkosten haben sich im Vergleich zu 2019 verdoppelt, im Jahresvergleich zu 2020 teilweise vervielfacht. Wir erwarten, dass die Inflation noch bis zum Sommer hoch sein wird, der Druck wird dann aber nachlassen. Und zwar wenn eine Entspannung bei den Lieferkettenproblemen eintritt. Man muss an dieser Stelle aber hinzufügen, dass die Inflation, zumindest in Europa, zu rund 80 Prozent auf die hohen Energiepreise zurückzuführen ist. Es gibt Erklärungsmuster dafür, warum diese so stark angezogen haben, die aber nicht zu 100 Prozent ausreichend sind. Anders ausgedrückt: Es ist noch nicht ganz klar, warum die Energiekosten so massiv gestiegen sind.
Wie reagiert die Politik nun auf die Teuerungswelle?
Wenn die hohen Inflationserwartungen anhalten – getragen von Medien, Konsumenten, Märkten usw. –, dann wird auch die Politik handeln. Hier sollte man aber unbedingt Vorsicht walten lassen. Denn hohe Energiepreise können ja in Wirklichkeit gar nicht mit Geldpolitik bekämpft werden. Es handelt sich um eine Teuerung, die vom Energiepreis und Lieferengpässen bestimmt wird und somit in der Breite gar nicht vorhanden ist. Es besteht also die Gefahr, dass die Wirtschaft durch restriktivere Geldpolitik abgebremst werden könnte, ohne an den wahren Ursachen der Inflation zu rütteln.
ZUR PERSON
Seit 2009 ist Stefan Bruckbauer Leiter der Abteilung Economics & Market Analysis Austria und Chefvolkswirt der UniCredit Bank Austria. Sein Arbeitsschwerpunkt sind die Wirtschaft Österreichs, der Finanzmarkt und die EU, der Euro sowie der Bankenmarkt in Österreich und der EU. Von 2001 bis 2009 war er stellvertretender Leiter der Konzernvolkswirtschaft der Bank Austria und verantwortlich für Makro- und Bankenmarktresearch Österreich. Der Experte war auch lange Jahre Lektor für Volkswirtschaftstheorie an der J.K. Universität Linz, der Universität Wien und an der Fachhochschule für Bank- und Finanzwirtschaft in Wien.
Sie schrieben bereits im November in einer Analyse: „Klarerweise muss die Wirtschaftspolitik auch wieder die sehr expansiven Maßnahmen beenden, aber ob jetzt bereits der richtige Zeitpunkt im Euroraum dafür ist, glaube ich nicht.“ Gilt das noch immer?
Ich meine weiterhin: Vor allem in der Europäischen Union sollte man durch restriktivere Maßnahmen nicht zu stark und zu schnell auf die Bremse steigen. Das würde eine Gefahr für die Konjunktur darstellen, die sich in Europa weniger dynamisch entwickelt als in den Vereinigten Staaten. Europas Wirtschaftspolitik war während der Pandemie auch nie so expansiv wie in den USA ausgerichtet, dort wurden mehr Anleihen gekauft als in Europa. Und der Zinssatz lag hier bereits in der Vor-Coronazeit bei null, in den USA hingegen bei 1,75 Prozent und wurde dann auf 0,25 Prozent gesenkt.
In der EU sollte man nicht zu stark und zu schnell auf die Bremse steigen.
Stehen uns auch wieder einmal höhere Zinsen ins Haus?
Geldpolitisch gesehen werden sich die USA schneller restriktiver orientieren als das noch vor rund einem Jahr erwartet worden ist. In Europa wird dieser Prozess in abgeschwächter Form stattfinden. Unser Basisszenario besagt, dass wir bis Ende 2023 keine Zinserhöhungen im Euroraum sehen werden. Es ist allerdings anzunehmen, dass die Wirtschaft heuer und im kommenden Jahr weniger Unterstützung erhalten wird als zuvor. Hierbei denke ich an eine Abschwächung bei Instrumenten wie Anleihenkäufe und der Liquiditätsversorgung des Bankensektors. Ab April könnte der Nachfolger von PEPP niedriger ausfallen als erwartet (Pandemie-Notfallankaufprogramm, das zeitlich befristete Kaufprogramm der EZB für Anleihen öffentlicher und privater Schuldner, Anm.). Wobei es gegen Ende des heurigen Jahres so weit sein könnte, dass die Netto-Anleihenkäufe auslaufen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass keine neuen, schwerwiegenden Mutationen des Corona-Virus auftauchen und sich die wirtschaftlichen Basisvoraussetzungen nicht grundsätzlich verändern.
In Österreich treten heuer Teile der groß angekündigten Steuerreform in Kraft. Was halten Sie von den Neuerungen?
Es handelt sich um die Fortsetzung der Entlastung mittlerer und kleinerer Einkommen, was aus ökonomischem Blickwinkel in jeder Hinsicht zu begrüßen ist. Natürlich kann man immer über Detailfragen diskutieren, grundsätzlich tut die Steuerreform dem Standort Österreich und der heimischen Konjunktur aber gut. Wir gehen davon aus, dass sich das BIP bis 2024 dauerhaft um jährlich 0,5 bis 0,75 Prozent erhöhen wird.
Wie bewerten Sie den Klimaaspekt der Reform?
Prinzipiell benötigen wir in Österreich – aber auch global – eine höhere Bepreisung von CO2-Emissionen. Das bedeutet entweder Konsumeinschränkungen oder deutlich steigende Preise. Noch spielt die Kompensation der Bepreisung keine sehr große Rolle, das wird sich aber meiner Meinung nach in den nächsten rund fünf Jahren ändern, nicht nur in Österreich sondern auch auf internationaler Ebene.
Welche Folgen könnte das haben?
Das birgt durchaus auch sozialen Sprengstoff. Insgesamt werden wir einen realen Einkommensverlust für alle sehen, aber die Bevölkerung wird unterschiedlich stark betroffen sein. Vor allem leiden einkommensschwächere Schichten unter Teuerungen bei Wohnen, Heizen, Transport, Lebensmitteln etc. Es handelt sich also um ein starkes sozialpolitisches Thema, das eine gewisse Umverteilung nach unten umfasst. Denken Sie etwa an die Globalisierung, wo in vielen Ländern den Verlierern nicht ausreichend geholfen wurde. Ein bezeichnendes Beispiel sind die USA. In Österreich befinden wir uns noch in der Komfortzone, aber was passiert, wenn steigende Preise im Kampf gegen den Klimawandel einmal wirklich wehtun werden?