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Interview mit Anton Pelinka

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Parade der Sieger

Parade der Sieger

„Enger zusammenrücken“

Der europäische Gedanke könnte durch die Pandemie gestärkt werden, hofft der prominente Politologe Anton Pelinka. Außerdem erörtert er die mögliche „Museumsreife“ der Sozialdemokratie.

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HARALD KOLERUS

Kurz will nicht Wahlen gewinnen, um seine Inhalte durchzusetzen. Er formuliert Inhalte, um damit Wahlen zu gewinnen.

Die Corona-Krise stellt nicht nur Gesundheitswesen und Wirtschaft auf die Probe, auch das politische System wird einem Stresstest unterworfen. Politologen sind deshalb in diesen Tagen besonders gefragt, Anton Pelinka zählt zu den renommiertesten Vertretern dieses Fachs. Im Interview stellt der Experte eine verhalten positive Einschätzung der zukünftigen Entwicklung Europas in den Raum. Die EU sollte sich nach Überwindung der Covid-Krise strukturell weiter vertiefen, wobei Pelinka hier auch erhebliche Unsicherheitsfaktoren nicht verschweigt. Mit Blick auf die heimische Innenpolitik findet er wiederum harte Worte, die aufhorchen lassen. So bezeichnet er Kanzler Kurz als „Verkäufer beliebiger Inhalte“. Die SPÖ sei, wenn demnächst keine Strategieanpassung erfolgt, reif fürs Museum ...

Mit Impffortschritten könnte die CoronaKrise hoffentlich bald eingedämmt werden. Welche politischen Spuren wird die Pandemie in Europa hinterlassen?

Lassen Sie mich dazu etwas weiter ausholen: Grundsätzlich gehe ich von einer rationalen Vorgehensweise politischer Akteure aus. Diese Rationalität ist aber nicht garantiert, und das stellt einen gewissen Unsicherheitsfaktor dar. Wenn sich die Politik tatsächlich vernünftig verhält, dann sollten wir innerhalb Europas mehr Gemeinsamkeit sehen. Die EU wird näher zusammenrücken, das heißt, sie wird sich verdichten. Im Fall der Pandemie bedeutet das z.B. eine Verbesserung der Möglichkeit, gemeinsam effektiver Impfstoffe beschaffen zu können, bis zu einem gewissen Ausgleich gegenüber wirtschaftlich schwächeren Staaten innerhalb der Union.

Es gibt aber eben auch die Möglichkeit irrationalen Verhaltens ...

Das ist leider nicht auszuschließen. Ein solches Agieren ist die Folge der Orientierung an kurzfristigem innenpolitischem Kalkül. Es wird nach Sündenböcken gesucht. So wird gerne die EU selbst als Feindbild aufgebaut, wobei es sich hier noch um die „harmlosere“ Variante handelt, weil mit vernünftigen Argumenten dagegengehalten werden kann. Schwieriger wird es bei Verschwörungstheorien. Zum Beispiel, dass China das Virus bewusst in die Welt gesetzt habe, dass George Soros schuld an allem sei, etc. In solchen Fällen wird die Grundlage jedes seriösen Diskurses zerstört. Aber ich halte die Debatte um die EU grundsätzlich für rational und bin deshalb vorsichtig optimistisch was deren Zukunft betrifft.

Sie meinen auch, dass der souveräne Nationalstaat ein Auslaufmodell sei. Worauf basiert diese Einschätzung?

Das Konzept voller staatlicher Souveränität ist mit der zunehmenden Globalisierung zur Illusion geworden. Wie soll die Wirtschaft einzelner Staaten etwa ohne die Textilindustrie Asiens oder die Hi-Tech-Branche der USA agieren können? Ich glaube deshalb, dass eine stärkere Integration der EU langfristig wahrscheinlich ist. Und das kann durchaus als Vorbild dienen. Ich denke hier vor allem an Afrika, wo es zwar eine Afrikanische Union gibt, die aber wenig Gewicht auf die Waage bringt. Weiters wäre es wünschenswert, wenn internationalen Organisationen wie der UNO mehr Kompetenzen zugesprochen würden.

Wenn wir schon von Auslaufmodellen sprechen: Ihr neuestes Buch trägt den

„Der souveräne Staat ist durch die Globalisierung zur Illusion geworden“, so Anton Pelinka.

durchaus provokanten Titel „Die Sozialdemokratie. Ab ins Museum?“. Sind SPÖ & Co. wirklich museumsreif?

Prinzipiell gehören alle Parteien „ins Museum“, die die Illusion erwecken, geschlossene Ideologien zu vertreten. Entscheidend ist Öffnung. Die Sozialdemokratie hat ihr deklariertes Ziel der internationalen Solidarität nicht erreicht. Zum Beispiel haben sozialdemokratisch regierte Staaten im Norden der Europäischen Union dem ebenfalls sozialdemokratisch regierten Spanien 2020 bei der Frage eines europäischen wirtschaftlichen Ausgleichs zunächst nicht geholfen. Parteien wie die SPÖ müssten danach trachten, Internationalität und eine weitere Öffnung gegenüber Europa in den Vordergrund zu stellen.

Aber könnte nicht gerade das SPÖ-Wähler verstoßen, die vielleicht gerne den Slogan „Austria first“ hören würden?

Das Liebäugeln mit Nationalismus macht mich tatsächlich skeptisch, ob sozialdemokratische Parteien den Anspruch der Internationalität erfüllen können. Sie sollten aber nicht kurzfristig taktieren, sondern langfristig strategisch denken: Die Zahl der klassischen Industriearbeiter geht seit Jahrzehnten zurück, die Zahl der Wählerinnen und Wähler mit höherem Bildungshintergrund steigt hingegen ständig. Auf diese Wählerschaft müsste die SPÖ setzen, so wie das bereits Neos und Grüne tun.

Wie sieht es mit der ÖVP aus? Heute sind die Türkisen die größte Partei des Landes und stellen den Kanzler ...

Die ÖVP ist von den Bünden und den Landesorganisationen gelähmt gewesen. Sebastian Kurz hat diese Verhältnisse zerschlagen. Er bewirkte eine strukturelle, aber keine inhaltliche Erneuerung. Kurz selbst vertritt keinen spezifischen Inhalt. Er ist ein Verkäufer beliebiger Inhalte.

Wie begründen Sie diese harten Worte?

Um Missverständnisse zu vermeiden: Kurz „ideologielos“ zu nennen, das ist kein moralischer oder ethischer Vorwurf. Kurz entspricht idealtypisch dem demokratischen Politiker, wie ihn Anthony Downs in „An Econonomic Theory of Democracy“ beschreibt: Er will nicht Wahlen gewinnen, um seine Inhalte durchzusetzen. Er formuliert Inhalte, um damit Wahlen zu gewinnen. In diesem Sinn ist Kurz ein postmoderner Demokrat.

Die Grünen rangieren laut Umfragen derzeit nur bei rund zehn Prozent. Warum?

Die Grünen bezahlen den Preis für den Regierungseintritt – dafür, 2019 ihre sehr gute Verhandlungsposition nicht ausreichend genützt zu haben. Sie hätten mehr Mitspracherechte bei Kernthemen wie Asyl, Migration und Menschenrechte einfordern müssen.

Die Neos scheinen derzeit recht gut abzuschneiden ...

Die Neos sind die europäischste Partei im Nationalrat. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, und es ist der Partei zu raten, dieses auch beizubehalten.

Welche Strategie fährt die FPÖ ?

Öffentlich wird fast nur mehr Herbert Kickl wahrgenommen, der einen FundamentalOppositionskurs fährt und Corona-Skeptiker anspricht. Aber wen will die FPÖ mobilisieren, wenn die Pandemie überwunden ist?

www.uibk.ac.at

ZUR PERSON

Anton Pelinka wurde 1941 in Wien geboren. Seine akademische Laufbahn umfasst das Studium der Rechtswissenschaften und der Politikwissenschaft, 1972 Habilitation für Politikwissenschaft. 1975 bis 2006 o.Univ.Prof. für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, 2006 bis 2018 Professor of Nationalism Studies and Political Science, Central European University, Budapest.

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