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Afrika

Der vergessene Kontinent

Hunger und Armut - das fällt uns meistens ein, wenn die Rede auf Afrika kommt. Dabei wird vergessen, dass auch hier die Urbanisierung steigt und eine neue Mittelschicht entsteht. Das könnte zu einer Win-Win-Situation führen.

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HARALD KOLERUS

„Der EU-Afrika-Gipfel ist eine verpasste Chance.“

Robert Kappel, Experte für Entwicklungszusammenarbeit, ÖFS D as mediale Interesse war begrenzt, als im Februar das Gipfeltreffen zwischen der EU und der Afrikanischen Union zu Ende gegangen ist. Böse Zungen behaupten ja, dass es aufgrund mangelhafter Ergebnisse gar nicht viel zu berichten gab ...

150 Milliarden-Paket

Das wäre natürlich eine Zuspitzung, ein wahrer Kern ist an der Aussage allerdings schon. Fassen wir aber die wichtigsten greifbaren Beschlüsse zusammen: Immerhin wurde ein afrikanisch-europäisches „Global-Gateway-Paket“ in Höhe von 150 Milliarden Euro aufgelegt. Es besteht aus einem Investitions-, einem Gesundheits- und einem Bildungsplan. Das Paket soll zum Aufbau diversifizierter, integrativer, nachhaltiger und widerstandsfähiger Volkswirtschaften beitragen und enthält unter anderem Maßnahmen zur Wachstumsfinanzierung, Migration, Unterstützung des Privatsektors, Klimawandel und Energiewende, sowie Digitales und Verkehr. Global Gateway zielt auch darauf ab, Chinas geopolitisch getriebene „Road and Belt-Initiative“ einzuhegen, auch bekannt als Projekt „Neue Seidenstraße“. Dazu später mehr.

Laues Ergebnis

Fachleute ziehen zum Afrika-Gipfel nun eine eher ernüchternde Bilanz. So wie Entwicklungszusammenarbeits-Experte Robert Kappel, Professor an der Universität Leipzig und Aufsichtsratsmitglied der ÖFSE (Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung): „Abgesehen von der Geldscheindiplomatie, die den Gipfel öffentlich prägte, gibt es zahlreiche Agenden, an denen die Europäer gemeinsam mit den Afrikanern nach Lösungen hätten suchen sollen, nicht nur Klima- und Impfstrategien, sondern vor allem auch Konzepte zur Zukunft der Arbeit auf dem Kontinent und dem Kampf gegen die Armut.“ Kappel bezeichnet in diesem Zusammenhang den Gipfel trotz vieler Bemühungen und reger Teilnahme (mehr als 40 afrikanische und alle 27 EU-Staats- bzw. Regierungschefs) als „eine verpasste Chance“. Im Gespräch mit dem GELD-Magazin wundert sich sogar der erfahrene Experte: „Auch von afrikanischer Seite kamen keine neuen Impulse, sie brachten keine eigenständige Agenda ein. Der Gipfel ist daher leider kein Game Changer, geschweige denn ein New Deal oder gar eine neue Allianz.“ Dass von Afrika bei den Verhandlungen kein einheitliches Positionspapier vorgelegt worden ist, kann er sich nur dadurch erklären, dass es für die 55 am Kontinent beheimateten Staaten eben sehr schwierig ist, eine einheitliche

Globale Perspektive: Hunger auf dem Vormarsch

826 geschätzte Zahl der unterernährten Menschen weltweit (in Mio.)

668 653 688 841

Quelle: Statista 2005 2010 2015 2019

2030* * Prognose

Weltweit hungern 688 Millionen Menschen, Tendenz leider wieder aufsteigend. Die Experten der Food and Agriculture Organization of the United Nations gehen davon aus, dass es 2030 bereits 841 Millionen Unterernährte rund um den Globus geben wird.

Linie zu finden. „Hier stehen sich interne Kontroversen und unterschiedliche Interessen im Wege. Einzelne Staaten versuchen eher, sich alleine durchzusetzen, als gemeinsam ihre Kräfte zu bündeln.“ Ein Problem, das auch in der EU nicht gerade unbekannt ist. Deshalb fällt es wiederum Europa schwer, eine einheitliche Linie gegenüber dem „Nachbarkontinent“ zu finden.

Hat China die Nase vorne?

Leichter fallen politische Entscheidungen bekanntlich im Reich der Mitte, was uns zur bereits erwähnten „Road and Belt-Initiative“ (RBI) zurückführt. Die RBI umfasst laut WKO 65 Länder mit einer Bevölkerung von 4,4 Milliarden Personen. Dies entspricht rund 70 Prozent der Weltbevölkerung. Diese Länder sind für in etwa 29 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung verantwortlich. Insgesamt könnten die Projekte der RBI bis zu 1,3 Billionen Dollar umfassen, damit wäre sie rund sieben Mal so umfangreich wie der Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg. Und die Neue Seidenstraße führt natürlich auch durch Afrika. Dabei fließen laut Konrad-Adenauer-Stiftung bereits jetzt im Durchschnitt jährlich etwa 2,2 Milliarden Dollar an Direktinvestitionen aus China nach Afrika, hinzu kommen noch etliche Darlehen. Alleine im Jahr 2017 führten chinesische Firmen Bauarbeiten in 54 afrikanischen Ländern durch und unterzeichneten Neuverträge im Wert von 76,5 Milliarden Dollar. Weitere Unsummen werden im Zuge der RBI folgen, für den Bau und Betrieb von Eisenbahnstrecken, Straßen, Flughäfen, Industrie, Staudämmen und anderen Infrastruktureinrichtungen. Hat Europa den „Wettlauf“ um Afrika somit schon verloren?

Europa mit guten Karten

Kappel verneint: „Das Engagement Chinas hat bisher nicht das gebracht, was erwartet worden war. Wachstum wurde geschaffen, aber es ist nicht zu den Menschen durchgesickert.“ Europa hat also noch immer gute Karten und ein wirtschaftliches sowie demokratisches Modell, das hoffentlich doch vielversprechender ist als chinesische Planwirtschaft plus Autoritarismus. Für Europa gibt es in Afrika wirtschaftlich einiges zu gewinnen: In vielen Ländern steigt das Einkommen, es entsteht eine neue Mittelschicht, heute gibt es auf dem Kontinent rund 100 Städte, die mehr als eine Million Einwohner zählen. Verschlafen darf Europa diese Entwicklung nicht.

Subsahara: BIP pro Kopf steigt

Quelle: Weltbank in Tausend USD 4,2 4,0 3,8 3,6 3,4 3,2 3,0 2,8 2,6 2,4 2,2 2,0 1,8 1990 1995

BIP pro Kopf, Subsahara

2000 2005 2010 2015 2020

Besonders Subsahara-Afrika ist von Armut betroffen, aber auch hier gibt es ermutigende Fundamentaldaten. Das BIP pro Kopf ist in dieser Region deutlich gestiegen: Von rund 1800 Dollar in 1990 auf immerhin knapp 4000 Dollar in 2020.

Aktuelle Hilfe für Afrika

Afrika kennen wir zumeist nur aus den Negativ-Schlagzeilen. Tatsächlich dürfen die Probleme nicht verschwiegen werden: So bleibt die Ernährungssituation dramatisch, circa 250 Millionen Menschen leiden an Hunger oder Unterernährung. Naturkatastrophen infolge des Klimawandels sowie brutale Konflikte erzeugen zusätzliche Lebensmittelknappheit.

Ukraine belastet

Wobei aktuell auch der Krieg in Europa negative Auswirkungen zeigt: „Russland und die Ukraine gehören weltweit zu den größten Getreidelieferanten. Durch den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine steht die Versorgung von Millionen Menschen auf dem Spiel“, so Greenpeace. Vorschlag der Umweltschützer: Wenn die EU die Tierhaltung um nur 10 Prozent verringerte, wären rund 16 Millionen Tonnen Weizen für die Ernährung verfügbar. Die EU könnte also einen erheblichen Teil der nun wegfallenden ukrainischen Weizenernte von 16 bis 20 Millionen Tonnen ausgleichen und arme Länder und Hungernde direkt unterstützen und hungerbedingten Konflikten in anderen Regionen der Welt vorbeugen.

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