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Interview John Greenwood

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Hat die Konjunkturerholung bereits ihr Top erreicht?

Die Anzeichen mehren sich, dass die rasante Konjunkturerholung der globalen Wirtschaft bereits ihren Höhepunkt überschritten haben könnte. Gleichzeitig steigt die Inflation ungebremst: eine explosive Mischung.

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WOLFGANG REGNER

Eine heftige Diskussion zwischen Notenbankern und Chefökonomen ist entbrannt: Ist die derzeit rasant steigende Inflation ein temporäres Phänomen, oder doch eher ein struktureller Faktor, der sich länger bemerkbar machen wird? Invesco-Chefökonom John Greenwood meint, dass Veränderungen der Geldmenge außerhalb des Bankensystems wichtiger für die Inflationsentwicklung sind als Zinssätze oder Bilanzen der Notenbanken. Höhere Zinsen seien nicht automatisch mit einer Kreditverknappung verbunden.

Hat die laufende Konjunkturerholung bereits ihr Top erreicht?

Sowohl die Erholung als auch die Inflation sind ein zweistufiger Prozess. Der steile Anstieg der Konjunktur nach dem CoronaCrash ist in den meisten Ländern zum Großteil bereits vollendet, doch diese werden wie in einem typischen anziehenden Geschäftszyklus noch einige Jahre weiter wachsen. Anders ausgedrückt: Die Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) hat ihr Hoch bereits erreicht, doch das absolute Niveau der ökonomischen Aktivitäten (also der Level des BIP) wird weiter zulegen - falls uns nicht eine neue, noch gefährlichere Coronavirus-Variante heimsucht. Was die Inflation anbelangt, so sollte man zwischen der Inflation als Begleiterscheinung der Wiederöffnung der Weltwirtschaft mit all ihren Anzeichen wie Gütermangel, Engpässe bei Vorprodukten, Lieferkettenproblemen etc. und der Teuerung als Folge des exzessiven Geldmengenwachstums unterscheiden. Der erste Inflationstypus ist bereits voll entwickelt, während der zweite gerade aufzutauchen beginnt.

Die aktuelle Inflation ist also keine temporäre Erscheinung?

Wenn ich in meinen 50 Jahren in der Wirtschaftsforschung etwas gelernt habe, dann ist es das: Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen, wie schon der US-Nobelpreisträger Milton Friedman bemerkte. Unter „Geld“ verstehe ich Geld in den Händen der Öffentlichkeit, also der gewöhnlich agierenden Wirtschaftssubjekte, und nicht das Geld, das in den Zentralban-

ktresoren schlummert. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil die Resultate der Geldpolitik in der Pandemie große Unterschiede zur monetären Stützung nach der letzten großen Finanzkrise 2008/09 aufweisen. Denn im Anschluss an diese haben die Zentralbanken geldpolitische Maßnahmen ergriffen, die zum Großteil das Zentralbankgeld in den Bilanzen der Notenbanken ausweiteten, nicht aber das Geld in den Händen der Öffentlichkeit. Daher blieb die Inflation weiterhin niedrig. Während der Pandemie jedoch ist Letzteres deutlich

Die Preise für knappe Waren werden viel schneller steigen als die Preise für leicht zu findende Waren.

angestiegen - dank Anleihenkäufen und Krediten an die Geschäftsbanken mit der Auflage, diese auch als Kredite an Unternehmen in der realen Ökonomie weiterzureichen. Dadurch wurde ein viel größeres Inflationspotenzial ausgelöst.

Wie lange wird die Inflation anhalten?

Zwei Faktoren werden das überschüssige Geldmengenwachstum absorbieren: Das reale BIP-Wachstum (meist bei rund zwei Prozent, mit Ausnahme Chinas) und der Bedarf an Bargeld (meist in der Range von 1,7 bis 2,9 Prozent). Der große Rest wird jedoch in Form von Inflation auftauchen. Da letzterer Prozess rund zwei Jahre dauert, wird die Inflation im kommenden Jahr höher und nicht niedriger ausfallen als 2021. Die Inflation bleibt ein dauerhaftes und nicht ein temporäres Phänomen.

Führt die Digitalisierung nicht zu Preisdruck?

Auch die Digitalisierung ist ein Phänomen wie auch die Demografie. Die sinkenden Preise für technologische Güter sind ebenfalls kein Fall einer Deflation, sondern nur einer relativen Preisverschiebung im Vergleich mit dem Dienstleistungsbereich.

Und der Immobilienboom? Sehen wir hier eine Blase?

Der starke Anstieg der Häuserpreise ist fast ausschließlich durch das Ausmaß des Geldmengenwachstums bestimmt. Ein exzessives Geldmengenwachstum taucht zuerst in steigenden Asset-Preisen auf (Aktien, Immobilien, Anleihen, Gold und anderen Roh-

stoffen, und jetzt auch bei Kryptowährungen). Doch die Zweitrundeneffekte dieses Geldwachstums werden sich in den Aktivitäten der realen Wirtschaft zeigen. Schließlich und endlich werden danach auch die Preise für Güter und Services sowie die Löhne und Gehälter steigen. Eine Blase entsteht daraus nur, wenn der Preisanstieg nicht durch eine überschüssige Geldmenge ausgelöst wird. Das ist bisher noch nicht der Fall.

Wie verhält es sich mit den rasant steigenden Staatsausgaben und deutlich höheren Budgetdefiziten der G20-Staaten?

Viele Experten geben den Regierungen und ihren exzessiven Staatsausgaben die Schuld an steigender Inflation, doch dies stimmt nicht. Das sehen wir ebenfalls am Beispiel Japans. Wenn Budgetdefizite durch effektive Geldschöpfung finanziert werden, kann dies jedoch Auswirkungen auf die Inflation haben.

Werden wir eine Stagflation im Stil der Siebziger Jahre erleben?

Nein, das glaube ich nicht. Vielmehr werden wir eine Episode höherer Geldentwer-

ZUR PERSON

John Greenwood ist als Chefökonom für Invesco Ltd. tätig. Er begann seine Karriere als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bank of Japan. Seine Idee einer Currency Board-Regelung zur Stabilisierung des Hongkong-Dollar ist bis heute in Verwendung. Greenwood besitzt einen Master der Universität von Edinburgh und wurde für seine Arbeit in Hongkong mit einem hohen Orden ausgezeichnet.

tung für zwei, drei Jahre sehen. Danach werden die meisten Länder zu den vor Corona bestehenden Mustern eines moderaten Wachstums mit niedriger Inflation zurückkehren. Denn wenn die QE-Programme gestoppt werden, wird das Geldmengenwachstum vorwiegend vom Volumen an neu vergebenen Bankkrediten abhängen, und dieses ist in den meisten Ländern nur sehr schwach ausgeprägt. Daher wird das Geldmengenwachstum auch 2022 und 2023 deutlich zurückgehen. Auch eine Lohn-Preis-Spirale ist nicht wahrscheinlich. Für die USA erwarte ich einen kumulierten Preisanstieg in der Periode 2021 bis 2023 von 15 Prozent. Die Löhne werden wohl zumindest im gleichen Ausmaß steigen. Doch nicht die steigenden Löhne bringen wachsenden Preisdruck, es ist das Geldmengenwachstum. Und dieses wird - im Gegensatz zu den 1970ern - schon bald wieder sinken. Zu bedenken ist jedoch: In einer ersten Phase steigen die Preise für eher zufällig ausgewählte Güter: Gebrauchtwagen, Flugtickets, Halbleiter und Energie. In einer zweiten Phase, wenn diese Preise in die Kostenstruktur der Unternehmen einfließen, werden wir einen generellen Preisanstieg sehen.

Wie sollte die US-Notenbank reagieren?

Es ist der FED gelungen, die Geldmenge um 33 Prozent über 18 Monate hinweg zu steigern. In absoluten Zahlen: Die US-Geldmenge ist um fünf Billionen Dollar gestiegen: von 15 auf 20 Billionen. Die Notenbank muss nun dieses Wachstum auf rund fünf Prozent zurückbringen. Weiter sollte sie nicht gehen, denn wenn sie etwa den Zuwachs der Geldmenge auf Null oder gar in den Minusbereich absinken lässt, riskiert sie eine veritable Rezession ab der zweiten Jahreshälfte in 2022.

Welche Auswirkungen wird dies alles auf die Finanzmärkte haben?

Aktien werden relativ stabil bleiben. Zwar werden die Gewinnmargen der Unternehmen in einer ersten Phase sinken, doch diese verfügen über ausreichend Preismacht, um die höheren Kosten an die Konsumenten weiterzugeben. Und Letztere verfügen über genügend Liquidität, um sich diese Preiserhöhungen auch leisten zu können. Das gilt auch für Unternehmenskunden. Das größte Risiko dagegen bergen nominale Assets ohne Inflationsschutz, wie gewöhnliche Staatsanleihen, vor allem im langen Laufzeitenspektrum. Immobilien werden trotz der starken Preisanstiege relativ resistent gegen den Preisdruck sein. Die Leistbarkeit von US-Wohnungen ist noch immer intakt. Erst bei deutlichen Anzeichen für eine Rezession (z.B. stark sinkende Geldmenge) sollten Anleger verstärkt auf Nummer sicher und daher in Cash gehen.

www.invesco.com

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