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Die Pflege im Fokus der Politik
Die Pflege im Fokus der Politik Personalbemessung in der Pflege – zum Wohle des Patienten?!
Wer bereits im häuslichen Umfeld einen lieben Angehörigen gepflegt hat weiß, wie aufwändig Pflege sein kann. Diese Aufgabe fordert den ganzen Menschen und kostet viel Kraft. Auf den Pflegestationen unserer Kliniken sammeln sich oftmals zehn bis zwanzig vollständig abhängige Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen oder Einschränkungen.
Wie viele Patienten können pro Schicht von einer Pflegekraft versorgt werden? Die Antwort auf diese scheinbar einfache Frage bereitet unseren Gesundheitspolitikern schon immer Probleme. Die internationale Pflege-Vergleichsstudie RN4CAST aus dem Jahr 2012 ermittelte, dass sich hierzulande im Schnitt eine Pflegekraft um 13 Patienten zu kümmern hat. Dieses Verhältnis liegt in der Schweiz und in Schweden bei etwa eins zu acht,
in den Niederlanden bei eins zu sieben und in den USA sogar nur bei eins zu 5,3 Patienten. Diese Zahlen belegen, dass man unserem Pflegepersonal ordentlich Arbeitsleistung abverlangt.
Ein Blick zurück
In den 70er und 80er Jahren wurden die Personalkosten von den Kassen in voller Höhe übernommen, aber mit steigenden Ausgaben wuchs der Druck, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Es folgten zahlreiche Gesetze, die sich immer auch auf die Anzahl der in der Pflege tätigen Arbeitskräfte auswirkten.
Mit der Pflegepersonalregelung (PPR) wurde 1993 ein bedeutsames Instrument zur Bemessung des Pflegepersonalbedarfs im Krankenhaus ins Leben gerufen. Sie war Bestandteil des deutschen Gesundheitsstrukturgesetzes von 1992 und
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diente der Ermittlung des Personalbedarfs auf Allgemeinstationen im Krankenhaus. Sehr schnell zeigte sich, dass tatsächlich viel mehr Pflegekräfte fehlten als zunächst geschätzt. Anfangs ging man von ungefähr 13.000 Planstellen aus, tatsächlich wurden es schnell noch 8.000 weitere. Wegen des hohen Erfassungsaufwandes und der enormen Personallücke wurde die PPR 1996 ausgesetzt und 1997 außer Kraft gesetzt.
Der gravierendste Einschnitt in Sachen Personalbemessung erfolgte in den Jahren 2003 / 2004. Mit der Einführung der DRGs (Diagnostic Related Groups), einem für die Kliniken völlig neuen Abrechnungssystem, veränderte sich das Personalwesen in den Krankenhäusern grundlegend. Vorbereitend wurde im Mai 2001 das Institut für Entgeltabrechnung im Krankenhaus (InEK) gegründet. Die Spitzenverbände der Krankenkassen, der Verband der Privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben wichtige Aufgabenfelder auf diese neue Institution übertragen, so unter anderem die Erstellung von Kodierrichtlinien oder die Weiterentwicklung des Berechnungssystems. Basierend auf Daten, die von sogenannten Kalkulationshäusern eingereicht werden mussten, entstand ein Kalkulationsschema, wie man es aus der Wirtschaft kennt. Steigende Fallzahlen und sinkende Verweildauern bewirkten inflationsähnliche Zustände vor allem für die
Berufsgruppe der Pflegenden. Pflegeleistung wurde nur anteilig und als Durchschnittswert vergütet. In der Folge wurden viele Planstellen der Pflege abgebaut, Absolventen der Jahrgänge, die seinerzeit ihre Ausbildung abgeschlossen haben, mehrheitlich nicht übernommen, Stellen im Pflegebereich, die durch Fluktuation frei wurden, nicht nachbesetzt. Teure examinierte Pflegekräfte wichen weniger qualifiziertem Personal. verrichtbar, die direkte Anwesenheit der Fachkräfte ist Grundvoraussetzung und zwar 24 Stunden an jedem Tag der Woche. Viele pflegerische Tätigkeiten sind aufgrund ihres Charakters überging erheblich zurück. Zuletzt wurden unzufriedene Stimmen der Pflegekräfte in der Presse immer lauter und die Verantwortlichen fühlten sich genötigt, etwas zu unternehmen. Am Tiefpunkt
Kliniken sind keine Fabriken
Leider wurde schon damals außer Acht gelassen, dass sich ein Krankenhaus nicht mit einem Warenproduktionsbetrieb vergleichen lässt, weil hier der Patient mit seinen ganz eigenen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht. Während in der Herstellung von Konsumgütern jeder Prozessschritt maschinell durchgeführt werden kann und immer gleich abläuft, ist in der Arbeit am und mit Menschen ein hohes Maß an Verantwortung und Unmittelbarkeit sowie umfangreiches Fachwissen unabdingbar. Die Dienstleistung Pflege ist nicht lagerbar, sie wird im Entstehen „konsumiert“ und hängt in Qualität stark vom Leistungserbringer ab. Die Anforderungen an professionell Pflegende ändern sich genauso schnell wie der gesundheitliche Zustand der Patienten, während eines Krankenhausaufenthaltes mitunter ständig. In Industrie und Handwerk legen DIN-Normen fest, welches Maß an Qualität der Verbraucher erwarten darf, für die Dienstleistung Pflege hingegen gibt es Pflegestandards. Pflege ist niemals maschinell
Bild: Robert Kneschke – stock.adobe.com“.
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haupt nicht auf Hilfskräfte delegierbar, Bedarf und Umfang von Pflegeleistungen sind im Voraus nicht berechenbar. Kliniken müssen auch ein hohes Aufkommen an Patienten zum Beispiel bei Epidemien bewältigen können, das ist Teil des sogenannten Versorgungsauftrages, der im §109 SGB V nachzulesen ist.
Förderung der Pflege am Patientenbett
Die Auswirkungen der ab 2004 gültigen Abrechnungsregeln waren vor allem für die Pflegekräfte fatal. Die Arbeitsbelastungen auf den Stationen für die verbliebenen Pflegekräfte haben sich stark verdichtet, praktische Ausbildung fand nur unzureichend statt und das Interesse am Pflegeberuf dieser Entwicklung, 2018, waren nach Informationen der Bundesagentur für Arbeit knapp 40.000 Pflegestellen bundesweit unbesetzt.
Nachdem die Partner der Selbstverwaltung, Krankenkassen und Verbände sich einfach nicht einigen konnten, zog das Bundesinnenministerium für Gesundheit Ende 2018 die Reißleine und erließ die sogenannte PflegepersonaluntergrenzenVerordnung (PpUGV). Sie gilt für definierte Bereiche zur Förderung der Pflege am Bett, Funktionsbereiche wie OP, reine Notaufnahme oder Endoskopie bleiben davon unberührt.
Für diese sogenannten pflegesensitiven Bereiche wurde eine verbindlich einzuhaltende
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Schichtbesetzung mit examinierten Pflegekräften, bezogen auf die Patientenbelegung auf Station festgelegt. Diese rote Linie darf nicht unterschritten werden. Seit Januar 2019 gilt die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung für Stationen der Unfallchirurgie, der Geriatrie, der Kardiologie und für Intensivstationen. Beispielhaft sei die Intensivpflege benannt, für die ein PatientenPersonal-Verhältnis tagsüber von 1 zu 2,5, nachts von 1 zu 3,5 und ab Januar 2021 von 1 zu 2 beziehungsweise 1 zu 3 gilt. Pflegepersonal mit Helferausbildung, medizinische Fachangestellte oder Notfallsanitäter dürfen je nach Bereich nach einem vorgegebenen Schlüssel, jedoch nur anteilig, angerechnet werden. Ebenfalls vorgegeben ist der Umfang von Personalverlagerung von einem in einen anderen Fachbereich. Mit einer weiteren Verschärfung der Regeln wurde die PflegepersonaluntergrenzenVerordnung seit Januar 2020 ausgeweitet und gilt nun für nahezu alle Pflegebereiche der Kliniken HochFranken.
Gut gemeint…
eingangs erwähnt, sollte man im Pflegebereich mit der Annahme „Patient ist gleich Patient“ eher vorsichtig umgehen. So lässt sich der pflegerische Aufwand bei Patienten, die operativen Gelenkersatz erhalten und ansonsten kein weiteres Gesundheitsproblem haben, nicht mit hochbetagten Menschen vergleichen, die mit mehreren schwerwiegenden chronischen Erkrankungen in ihrer Alltagskompetenz dauerhaft eingeschränkt und auf umfassende Hilfe angewiesen sind. Leider ist dies bei der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung nicht mit bedacht worden. Positive Aspekte hat die Regelung aber auch gebracht: Die Nachtdienste sind besser besetzt. Ab einer Patientenzahl, je nach Fachgebiet von mehr als 15 beziehungsweise 20, muss eine zweite, ab 40 Patienten und mehr entsprechend eine dritte Pflegekraft eingeteilt werden.
Mit der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung ergibt sich für die Kliniken eine Vielzahl an Nachweispflichten. Jede Station, jede Schicht mit Besetzung im Verhältnis zur Belegung, muss dokumentiert und zentral an das Institut für Entgeltabrechnung im Krankenhaus gemeldet werden. Bei dauerhaften Verstößen sind Strafzahlungen zu leisten. Darüber hinaus drohen Vergütungsabschläge oder eine Verringerung der Fallzahlen. Ein paar Ausnahmetatbestände gelten als zulässig, zum Beispiel der kurzfristige, krankheitsbedingte Personalausfall, der über das übliche Maß hinausgeht, oder die starke Erhöhung der Patientenzahlen beispielsweise bei Epidemien oder Großschadensereignissen. Diese Art von Angaben müssen von einem Wirtschaftsprüfer attestiert werden. Um die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung einhalten zu können, haben bundesweit 37 Prozent aller Kliniken Betten auf Intensivstationen geschlossen, 29 Prozent mussten sogar ganze Bereiche zeitweise von der Notfallversorgung bei der Leitstelle des Rettungsdienstes abmelden.
Verschärfte Personalsituation
War es bisher ohnehin schon schwer, Pflegepersonal zu bekommen, so hat dieses Regelwerk die Situation noch zusätzlich verschärft. In Ballungsgebieten wird mit hohen Prämien gelockt, so etwas kennt man nur aus der Fußball-Bundesliga! Auch die Zusage der Politik, die Kosten für Pflege am Bett vollständig aus der DRG-Kalkulation herauszunehmen und in einem gesonderten Budget abzubilden, ändert nichts an der prekären Situation der professionellen Pflege.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn flog im September vergangenen Jahres nach Me
xiko, um dort Pflegekräfte zu werben. Um das insgesamt langwierige Verfahren des Personaltransfers zu beschleunigen, wurde die Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe GmbH mit Sitz in Saarbrücken gegründet. Deren Website verrät, dass Mitte dieses Jahres die ersten Pflegefachkräfte aus Mexiko und den Philippinen in der Bundesrepublik eintreffen werden.
Die Ausgestaltung der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung legt die Vermutung nahe, dass es hier nur auf den ersten Blick um das Wohl von Patienten und Pflegepersonen geht. In den Medien wird immer wieder diskutiert, welchen Beitrag zur Versorgung mit Gesundheitsleistungen kleinere Kliniken überhaupt leisten können beziehungsweise dürfen. Es wird davon gesprochen, dass es im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Deutschland zu viele Kliniken gibt. Hat man hier einen selbst verursachten Mangel an Pflegepersonal genutzt, um Strukturbereinigung zu betreiben?
Hohe Pflegequalität
Auch für die Kliniken HochFranken ist dieser neue Zustand nicht so einfach zu bewältigen. Glücklicherweise haben sich die Verantwortlichen in Münchberg und Naila bisher nie strikt an die Vorgaben des Instituts für Entgeltabrechnung im Krankenhaus zur Personalbemessung gehalten. Mit diesen Kennzahlen, die sich aus Durchschnittsberechnungen ergeben, hätte man in den vergangenen Jahren niemals die gewohnte Pflegequalität halten können. Wo anderenorts das Personalbudget für den Pflegebereich gekürzt wurde, hat man es in Münchberg und Naila vorgezogen, die Pflege als entscheidenden Qualitätsfaktor zu fördern.
Ein weiterer Pluspunkt im Portfolio der Kliniken ist die angebundene Berufsfachschule für Pflege, die 72 Ausbildungsplätze anbietet und jährlich etwa 25 frisch examinierte Pflegekräfte verlassen. So kommt es, dass die beiden Häuser in Münchberg und Naila zu den wenigen Kliniken gehören, die über eine 100-prozentige Fachkraftquote verfügen.
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Die Mehrheit der angestellten Pflegepersonen kommt aus der unmittelbaren Umgebung und versteht die Patienten und ihre Anliegen ohne soziologische Hindernisse oder Sprachbarrieren. Individualität und Patientenwunsch sind uns wichtig, sie dürfen nicht nur Schlagworte sein. In dieser Situation dürfen die Patienten nicht das Nachsehen haben!
Und nun?
Aber wie geht es weiter? Mit all den beschriebenen Auswirkungen und den negativen Kritiken von allen Seiten, wird die PflegepersonaluntergrenzenVerordnung wohl nicht lange „überleben“. Schon jetzt wird die Ablösung der Untergrenzenverordnung vorbereitet. Wie der Berufsverband der Pflegenden Mitte Februar meldete, hat man ein bewährtes Instrument wieder belebt, die PPR, aber als Version 2.0. Im Detail stellt das neue Pflegepersonalbemessungsinstrument PPR 2.0 eine grundlegend überarbeitete und modernisierte Pflege-Personalregelung (PPR) dar, die in ihrer ursprünglichen Form von vielen Krankenhäusern zur Kalkulation der vorhandenen Pflegepersonalkosten nie ganz verworfen worden ist.
Pflege und Medizin sind für die Gesellschaft wichtige Dienstleistungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sich ihrer Verantwortung bewusst und werden immer zum Wohle der ihnen anvertrauten Patienten handeln!