kult! 18 (2-18)

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kult! 60er · 70er · 80er

www.goodtimes-kult.de

D:  6,50

Österreich  7,50 Luxemburg  7,50 Schweiz CHF 12,70 Ausgabe 2/2018 (Nr. 18)

mit

P os t e r

UNTER DER

SONNE KALIFORNIENS

TV-Shows A–Z · Udo Jürgens · Honda CB 750 Four · Traumfrauen der 60er · DC-3 · Lee van Cleef · Das Jahr 1968


Vorhang auf

für das

Der beliebte Klassiker

JETZT ÜBER ALL AUF DVD ERHÄLTLICH


IMPRESSUM Anschrift:

NikMa Verlag Fabian Leibfried Eberdinger Straße 37 71665 Vaihingen/Enz Tel.: 0 70 42/37660-160 Fax: 0 70 42/37660-188 E-Mail: goodtimes@nikma.de www.goodtimes-kult.de www.facebook.com/goodtimeskult

Herausgeber und Chefredakteur: Fabian Leibfried

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P os t e r

kult!

Willkommen bei

E

rinnern Sie sich noch daran, welche Süßigkeiten Sie sich als Kind oder Teenager am liebsten im Mund zergehen ließen? Haben Sie vielleicht (mehr oder weniger heimlich) Jerry Spring"-Comics oder Karl-May-Filmfotoromane " verschlungen?­Sind Sie in Spielen mit Freunden und Freundinnen am liebsten in die Rolle von Robin Hood geschlüpft? Dann dürfte Ihr Herz bei der Lektüre dieser kult!-Ausgabe höher schlagen, sind diesen Themen doch eigene Geschichten gewidmet. Aber wir erinnern auch an kultige Schauspielerinnen wie Karin Dor oder Vivian Ventura, an musikalische Kultfiguren wie Heintje, der aktuell sein 50-jähriges Bühnenjubiläum feiert, oder Udo Jürgens, die Rocky Horror Show" und Saturday Night " " Fever" samt Disco-Roller-Mode. Motorradfans (speziell solche der Honda CD 750 Four) kommen ebenso auf ihre ­Kosten wie Anhänger von Kinospezialitäten wie Star Wars". Erinnert wird an be" sondere TV-Highlights – und an prägende Kultgegenstände, deren Bedeutung im Rückblick nicht zu unterschätzen ist: In welchem Kinderwagen haben Sie denn beispielsweise Ihre ersten Ausflüge unternommen? Wie war die Wohnung Ihrer ­Eltern eingerichtet? Oder welche Art von Kirmes/Volksfest haben Sie später erlebt? ­Unser Themenbogen ist wieder einmal weit gespannt, reicht von einer Chronologie der wichtigsten Ereignisse des Jahres 1968 bis zum Fußball, wo wir anlässlich des 50-jährigen Meisterschaftsjubiläums des 1. FC Nürnberg zu ergründen versuchen, warum es in Franken heißt: Der Club is ä Debb." " Viel Spaß beim Schmökern und Schwelgen in Erinnerungen wünscht Ihnen

Titelfoto:

John Travolta: Douglas Kirkland

GoodTimes kult! ist auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt! Weiterverwendung aller in GoodTimes kult! erschienenen Artikel, Interviews, Fotos, Rezensionen etc. nur mit der Zustimmung des Herausgebers gestattet. Gerichtsstand: Stuttgart

­Fabian Leibfried -Herausgeber/Chefredakteur-

amam 26.10.2018 erscheint 20.4.2018 kult! Nr.Nr.1918erscheint GoodTimes

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kult! 60er · 70er · 80er

Ausgabe April 2018 2/2018 (Nr. 18)

INHALT RUB RIKE N 3 Editorial/Impressum 4 Inhaltsverzeichnis 5 Meine erste LP/MC/CD Mitarbeiter & Prominenz 6 News from the past

16

10

76

Altes neu ausgepackt

39 kult! Shop 41 kult! Abo-Bestellschein 91 kult! Rätsel 91 kult! Verlosung 47 Nur Samstag Nacht/Deep Purple

66

36

Riesenposter

UNTER DER

10 Karin Dor

SONNE

Zwischen Deutschland und Hollywood

12 Robin Hood

Der König der Diebe

KALIFORNIENS

16 Saturday Night Fever

40 Jahre – Wer tanzt wie John Travolta?

20 Jerry Spring

12

30

Vorreiter der europäischen Western-Comics

22 Discoroller

Wie eine ganze Generation ins Rollen kam

66 Rocky Horror Show

24 TV-Shows von Kuli bis Kerkeling

Reis im Haar, Wahnwitz in der Birne, Feuchtigkeit im Höschen

Das war Spitze!

30 Edel-Seifenopern der 80er Jahre – Serie (Teil 4)

68 Kino-Bösewichte – Serie (Teil 6)

Unter der Sonne Kaliforniens

Lee van Cleef

36 Japanische Monsterfilme

70 Heintje

Im Bann von Gummischildkröte & Co.

50 Jahre Liebling aller Muttis und Omis

94

40 TV-Charaktere – Serie (Teil 6)

72 Kinderwagen

Victoria Barkley

Schubkarre – Autonachbau – Panoramablick

42 Pop Art von Warhol bis Lichtenstein

Leuchtende Kritik und Collagen mit Kellogg's

75 Mackintosh's Quality Street

44 Viviane Ventura

Süßes Allerlei aus der Dose

42

Schach mit Anthony Quinn, Politik mit Mandela

76 Kult-Bücher

46 Traumfrauen der 60er Jahre

Geschätzt, geliebt, gelobt

Minirock, Schminkstift und jede Menge Sex-Appeal

78 Star-Wars-Spielzeug

56 Udo Jürgens

Sternenkrieger fürs heimische Kinderzimmer

Ein Lächeln als Belohnung

58 DC-3

80 Spirou

80

Der spätere Rosinenbomber" " revolutioniert die Luftfahrt

80 Jahre – Abenteuer, Action, Spannung & Humor!

60 Das Jahr 1968

82 Kirmes

Politische Radikalisierung, sexuelle Revolution & Heintje

Kindheitsparadies Rummelplatz

84 Das Interieur der 70er Jahre – Serie (Teil 2)

64 Karl-May-Filmfotoromane

Pierre Brice & Lex Barker sind zurück!

Sarah Kay" auf braunem Breitcord "

88 Plattencover 92

22

78

Albumhüllen zwischen Promotion und Provokation

92 Werbe-Ikonen – Serie (Teil 6)

Käpt’n Nuss – gibt Kraft und Mumm

94 1. FC Nürnberg

50 Jahre Titelgewinn

70

96 Honda CB 750 Four

Das Motorrad des Jahrhunderts

98

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2/2018

98 Aktenzeichen XY ... ungelöst Verbrecherjagd vom heimischen Sofa aus


kult!

Meine erste (selbst gekaufte) Langspielplatte bzw. MC/CD Sweet Sweet Fanny Adams

David Hasselhoff Looking For Freedom Matthias Bergert

Roland Schäfli

Various Artists Black Gold (The Greatest Hits Of Black Music)

Erasure Wonderland Andrea Leibfried

Beatles Help!

Thorsten Schatz

Deep Purple Shades Of Deep Purple

Soundtrack König der Löwen Nicolas von Lettow-Vorbeck

Horst Berner

Ulrich Schwartz

Wilson Phillips Shadows And Light

Mike Oldfield Platinum

Lords Shakin´ All Over

Kathleen Müller

Kathrin Bonacker

Christian Simon

Pink Floyd Ummagumma

Mike Oldfield Incantations

Status Quo Live! Alan Tepper

Hans-Joachim Neupert

Susanne Buck

Bananarama True Confessions

Uriah Heep Salisbury Petra Czerny

Spice Girls Spice Claudia Tupeit

Markus Nöth

Led Zeppelin Led Zeppelin

Helloween Walls Of Jericho

Duran Duran Rio Andrea Zagmester

Sven Rachner

Michael Fuchs-Gamböck

Stevie Winwood With The Spencer Davis Group The Best Of

Betty Boo Boomania Thorsten Hanisch

Ray Dorset

(Mungo Jerry)

Malte Ristau

Slade Old New Borrowed & Blue

Hörspiel Winnetou Michael Klein

Soundtrack Alamo

Various Artists K-Tel´s Music Power Andreas Kötter

Fabian Leibfried

Mitarbeiter & Prominenz

Gary U.S. Bonds Twist Up Calypso

Philipp Roser

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Bücher & Comics GANDHI – SEIN LEBEN Von Pramod Kapoor

2017, edel Books ISBN 978-3-84190-539-0 328 Seiten; 29,95 €

Natürlich sind schon zahlreiche Publikationen zu einer der wohl bedeutendsten Lichtfiguren des 20. Jahrhunderts erschienen, doch die von Pramod Kapoor – einem der wichtigsten Verleger Indiens, der hier erstmalig als ­Autor in Erscheinung tritt – setzt Maßstäbe. Das ­Leben und das Wirken von ­Mahatma Gandhi wird mit Hilfe von vielen Fotos und eines ­dokumentarischen Texts in Szene gesetzt, wobei auch Abbildungen von Briefen das Gesamtbild vervollständigen. Abgesehen vom Lebenslauf beeindruckt das Buch auch durch ein plastisches Bild Indiens, das zu Zeiten Gandhis überhaupt nicht mit dem heutigen Land zu vergleichen war. Dem Thema angemessen erscheint der Band in einer Hardcover-Ausgabe, die den Gesamteindruck positiv unterstreicht.

DAS SCHÖNSTE MÄDCHEN DER WELT Von Michel Birbæk

2018, Blanvalet Verlag ISBN 978-3-76450-642-1 352 Seiten; 20,00 €

Der in den 80er Jahren populär gewordene, viel zu früh verstorbene Sänger Prince ist das große Idol von Leo Palmer, der Hauptfigur in Michel Birbæks neuem Roman. Wegen Prince wird Leo zum Musiker. Aber auch die Liebe ist der Soundtrack seines Lebens. Angelehnt an Princes Megahit "The Most Beautiful Girl" erzählt der Autor die Liebestragikomödie von Leo, die im Jahr 1988 ihren Anfang nimmt. Leicht zu lesen und sehr unterhaltsam, ist dieser Roman ein echter Tipp – nicht nur für Prince-Fans.

PORSCHE-MODELLAUTOS

70 JAHRE SPORTWAGEN-HISTORIE Von Jörg Walz

2018, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66711-247-7 320 Seiten; 39,90 €

Eine tolle Idee für einen außergewöhnlichen Bildband über die beliebte Automarke Porsche wurde hier von Jörg Walz verwirklicht. Mit dem iPhone hat er über 1000 Sportwagen-Modellautos im Maßstab 1:43 an Originalschau-

N from the past

plätzen wie Paris, dem Nürburgring, Hongkong und anderen Orten dieser Welt fotografiert. Dies ist ihm so gut gelungen, dass man auf den ersten Blick nicht bemerkt, dass es sich nur um Miniaturen handelt. Zum Teil mit Nummernschildern versehen, scheinbar in voller Fahrt oder vor prominenten Gebäuden wirken die Modelle auf den Fotos wie echte Sport- und Rennwagen. Nebenbei hat Walz die 70-jährige Geschichte der PorscheSportwagen eingefangen. Eine tolle Ergänzung für das Bücherregal jedes Porsche-Fans.

RUDI DUTSCHKE DIE BIOGRAPHIE

Von Ulrich Chaussy 2018, Droemer ISBN 978-3-42627-752-2 528 Seiten; 26,99 €

Beim Thema Rudi Dutschke oder allgemein der Studentenbewegung schalten viele Leser schnell ab, da es oftmals schwerfällt, den Theorien – die im pragmatischen Bezug meist schnell nachvollziehbar sind – zu folgen. Ulrich Chaussy ist es mit seiner vorzüglichen Biografie gelungen, den Menschen angemessen zu porträtieren und auch seine Wünsche, Träume und Visionen verständlich darzustellen – ein sicherlich nicht einfaches Unterfangen. Zudem stimmt die Taktung" der " chronologisch strukturierten Dokumentation, da der Autor Dutschkes Kindheit und Jugend gebührend wertet und somit die Zeit seines Wirkens bis zum Attentat und im Exil erklärt und belegt. Somit wird ein immens wichtiges Kapitel der deutschen Geschichte lebendig aufgearbeitet, womit zugleich an den scheinbar verlorengegangenen Typus" des Idealisten er" innert wird. Empfehlung.

ICH, SERGEANT PEPPER

NIEMAND IST TOT, SOLANGE JEMAND LEBT, DER AN IHN DENKT Von Fred Reber

2017, Epubli ISBN 978-3-74509-658-3 528 Seiten; 14,95 €

Schon auf den ersten Seiten wird man von diesem Roman über Jugend, Liebe, Musik und Geheimnisse gefesselt. Er nimmt den Leser nicht nur auf eine Zeitreise in die 60er Jahre mit, sondern versetzt ihn auch in die eigene Jugend zurück. Wer damals aufgewachsen ist, erkennt sich selbst in den Erlebnissen des zehnjährigen Patrick wieder. Inspiriert von den Beatles und seinem Vorbild John Lennon gründet Patrick mit vier anderen Jungs eine Band. Einer davon Seite

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ist Kevin, Sohn eines amerikanischen Soldaten, mit dem ihn ein dunkles Geheimnis verbindet. Patricks Jugendliebe Julia will dieses nach vielen Jahren lüften. Kann Patrick dies verhindern? Diesen spannenden Roman wegzulegen, bevor die letzte Seite gelesen ist, fällt schwer. Fred Rebers Erstlingswerk ist gelungen und uneingeschränkt empfehlenswert.

VOLKSWAGEN KÄFER Von Nicolas Rosenow

2018, Motorbuch Verlag ISBN 978-3-61304-078-6 144 Seiten; 16,95 €

Und er lief und lief und lief ... Wer erinnert sich nicht gerne an den VW Käfer, mehrere Jahrzehnte lang das Einsteigerauto für Fahranfänger? Zwar dauerte es bei eisigen Temperaturen schon mal eine halbe Stunde, bis sich die Heizung bemerkbar machte, aber die Unkaputtbarkeit" der Karosse beruhigte, " und wenn dann mal der Ölwechsel vergessen wurde, konnte man trotzdem noch tausende Kilometer fahren. Nicolas Rosenow erzählt in seinem mit vielen Fotos geschmückten Band die Geschichte des Käfers, beginnend 1938 mit dem sogenannten Brezelkäfer bis zu den letzten, in Brasilien gebauten Modellen. Dabei liefert er technische Details und erklärt anschaulich die Unterschiede zwischen den Modellen. Als Schmankerl sind dann noch einige alte Anzeigen zu sehen (Mädchen in Bikini – Vorsicht: heute politisch nicht mehr korrekt!). Eine empfehlenswerte Arbeit, bei der man auch an die alten Trendfarben erinnert wird (Quietschgelb, Orange, Knallrot).

DAS BRAVO STARSCHNITT BUCH Von Susanne Kilian-Müller 2018, Bravo Archiv ISBN 426-0-47799-345-8 142 Seiten; 29,95 €

Wer erinnert sich nicht an die Bravo" und ihre le" gendären Starschnitte, die, um die Vollständigkeit zu erhalten, den Kauf jeder Ausgabe notwendig machten? Dieser Schachzug des Verlags war erfolgreich, denn das Idol in Lebensgröße war bei den Teenagern sehr begehrt. Das Buch zeigt komplett alle 118 Bravo"-Starschnitte von 1959 "


NEWS from the past bis heute in brillanter Farbqualität. Brigitte Bardot war der Auftakt dieser Erfolgsreihe, die im Jahr 2004 mit Michael Bully" " Herbig – vorläufig? – endete. In chronologischer Reihenfolge mit Jahr, Namen und Starschnitt-Nummer versehen, bietet dieser Bildband mehr als nur eine Auflistung: eine Reise in die Jugendzimmer der vergangenen Jahrzehnte!

1968 – DER LANGE PROTEST BIOGRAFIE EINES JAHRZEHNTS Von Richard Vinen

2018, Piper Verlag ISBN 978-3-49205-833-9 458 Seiten; 25,00 €

Der Titel mag zuerst wie ein Widerspruch erscheinen, doch er ist klug gewählt, denn das hier als Schwerpunkt dargestellte Jahr 1968 hatte schon zu Beginn der Sechziger seine Wurzeln, und auch die Folgen sind einer Betrachtung würdig. Zudem zeichnet sich Richard Vinens Analyse durch den Blick des Engländers aus und ist dementsprechend breiter angelegt als vergleichbare Publikationen deutscher Autoren, die verständlicherweise die immens einflussreiche Studentenbewegung hierzulande dokumentieren. Vinen beschreibt die Universitäten, das Aufbegehren in Ländern wie den USA, Frankreich, natürlich auch Deutschland, aber auch bedeutende Themen wie die sexuelle Revolution, die Arbeiter und die Eskalation der Gewalt am Beispiel der Black Panther und der RAF. Ein sicherlich nicht immer einfach zu lesendes Buch, dessen Lektüre sich aber angesichts des nachhaltigen Wissensgewinns lohnt.

MEINE TAUSEND LEBEN DIE AUTOBIOGRAFIE

Von Jean-Paul Belmondo 2018, Heyne ISBN 978-3-45320-195-8 320 Seiten; 22,00 €

Der 1933 in Neuilly-sur-Seine geborene Schauspieler Jean-Paul Belmondo zählt in Deutschland neben Alain Delon zu den bekanntesten und beliebtesten französischen Leinwandstars. Allein der Film Cartouche, " der Bandit" aus dem Jahr 1961, in dem er neben Claudia Cardinale glänzte, hat ihm hierzulande ein cineastisches Denkmal gesetzt. Doch nicht nur die leichte Muse war sein Metier, wie das Drama Und dennoch leben " sie" mit Sophia Loren belegt. In seiner exzellent übersetzten und flüssig zu lesenden Autobiografie erzählt Belmondo von den Wirren

des Krieges, den er ja noch selbst miterlebte, der Zeit auf der Schauspielschule und dann seiner populären Ära, in der er beinahe 100 Filme in diversen Genres und mit ganz unterschiedlichen Regisseuren, wie zum Beispiel auch denen der Nouvelle Vague, abkurbelte. Und dann waren da ja noch die Frauen, mit denen er vor der Kamera stand, die er begehrte und liebte – und die ihm manchmal das Herz brachen. Der größte Pluspunkt des Buches liegt aber in der Bodenständigkeit des Stars, der seine Leser wie ein ganz normaler Mann von nebenan anspricht.

in der Nachkriegszeit aus der Motorölmarke Motanol und der Benzinmarke Leuna, profitierte Gasolin vom großen Boom des Wirtschaftswunders. Der Tankstellenservice von Gasolin ist legendär: Tankwarte, die unaufgefordert Windschutzscheiben säuberten und auf Wunsch den Ölstand und Reifendruck kontrollierten – und den Handkuss für die Dame gab es noch dazu. Wer eine Zeitreise in die Vergangenheit antreten und mit den 278 farbigen Fotos in der heilen Welt von damals schwelgen will, sollte sich diesen Band unbedingt zulegen.

FORD MUSTANG

STREIFZÜGE DURCH DEUTSCHLAND

DAS SCHNELLSTE PONY DER WELT – SEIT 1964 Von Dani Heyne

2018, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66711-065-7 176 Seiten; 29,90 €

Dieser mit zahlreichen zeitgenössischen Fotos ausgestattete Bildband über das schnellste Pony der Welt lässt die Herzen aller Mus­ tang-Fahrer und -Fans höher schlagen. Mit viel Liebe und beeindruckendem Fachwissen erzählt Dani Heyne die Geschichte dieser amerikanischen Auto-Ikone. Dabei bedient er sich nicht einer verstaubten Typenkunde, sondern spiegelt neben der Entstehungsgeschichte das damalige Zeitgeschehen (Musik, Film, Mode) wider. Dazu hat Heyne MustangFreunde und Besitzer der einzelnen Jahrgänge interviewt und mit ihren Ponys im Buch verewigt. Viel Lesespaß bereitet auch die Kaufberatung – welcher Mustang passt zu mir? – am Ende des Buchs, die den Leser zu seinem TraumMustang begleitet. Ein absolut gelungenes Buch für jeden Mustang-Enthusiasten!

GASOLIN

NIMM DIR ZEIT – UND NICHT DAS LEBEN Von Ulrich Biene

2018, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66711-246-0 112 Seiten; 16,90 €

Der neueste Band aus der beliebten Buchreihe Bewegte Zeiten" des Delius Klasing " Verlags widmet sich einem vergessenen Kapitel westdeutscher Automobilgeschichte. Die Tankstellenmarke Gasolin hat sich mit dem Slogan Nimm Dir Zeit – und nicht das Le" ben" unsterblich gemacht. Hervorgegangen GoodTimes

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Von Mary Shelley

2018, Morio Verlag ISBN 978-3-94542-465-0 200 Seiten, 19,95 €

Mary Shelley hat nicht nur den Bestseller Frankenstein" geschrieben, sondern veröf" fentlichte auch die Notizen zu ihren beiden Deutschlandreisen in den Jahren 1840 und 1842. In 14 Briefen schildert sie die auf weiten Wegstrecken genutzten, oft unbequemen Fortbewegungsmittel wie Kutsche, Ruderboot, Dampfschiff und Eisenbahn – mit noch offenen Waggons! Als Zeitzeugin vermittelt

kult!

Unsere Gewinner der Verlosung aus kult! Nr. 17 – 1/2018 Lösung: Southfork Ranch DVD The Time Tunnel: Wolfgang Ilk, Bottrop Klaus Hyden, Judenburg (Österreich) Klaus-Dieter Hoffmann, Braunschweig Lustiges Taschenbuch: Paul Stockhammer, Saaldorf-Surheim Stefan Schaper, Bad Harzburg Bernd Mannhof, Neu Wulmstorf Matthias Bubel, Pohlheim Hans Schwarz, Karlsruhe CD Nena: Simon Küppers, Berlin Stefan Grunwald, Wallenhorst Jochen May, Lehrte Marion Schardt, Bonn Matthias Scharschmidt, Leichlingen

Herzlichen Glückwunsch!


sie dem Leser einige hochinteressante his­ torische und kulturelle Beobachtungen und schwärmt von einzigartigen Landschaften. Jedoch hält sie in ihren Briefen auch mit Kritik nicht hinter dem Berg. Viele Gasthöfe entsprachen nicht den Ansprüchen der englischen Lady, und auch die Menschen und das Essen in Deutschland waren teilweise gar nicht nach ihrem Geschmack. Mary Shelleys Reisebericht ist in diesem Band hervorragend übersetzt und lässt sich sehr leicht lesen. Daher eine echte Empfehlung für alle Reisebegeisterten.

EINSTEIN, FREUD & SGT. PEPPER Von John Higgs

2018, Suhrkamp ISBN 978-3-51846-839-5 380 Seiten; 12,00 €

Mit dem Untertitel Eine andere Geschich" te des 20. Jahrhunderts" hat John Higgs ein überaus dichtes, humorvolles und spannendes Geschichtsbuch" verfasst, das sowohl in den " Bereichen Unterhaltung als auch Wissen überzeugt. Von Einsteins Relativitätstheorie (einfach und witzig erklärt) über den Surrealismus und die Psychoanalyse bis hin zur Globalisierung und Vernetzung zum Ende des Millenniums reicht das Sammelsurium an Themen. Das Weltraumprogramm, die Erfindung" des Teenagers, " Popmusik, philosophische Strömungen, die Chaos-Theorie und Wirtschaft sind ergänzende Wissensbereiche, die er mühelos vermittelt. Durch die Präsentation und Darstellung werden diverse Fachgebiete stärker als bei anderen Publikationen gewichtet und heben sich somit von einer nüchternen Geschichtsstunde ab. Wunderbar.

70 JAHRE PORSCHE SPORTWAGEN Von Dr. Josef Arwick und Christina Rahmes 2018, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66711-297-2 300 Seiten; 39,90 €

Durch das auffallende Design des Einbands vermittelt dieses Buch über das Porsche-Jubiläum einen sehr hochwertigen Eindruck, der auch beim Weiterlesen bestehen bleibt. Gegliedert in sieben Kapitel wird die Geschichte von sieben Jahrzehnten PorscheSportwagen lebendig. Dabei werden nicht

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nur die einzelnen Modelle in Wort und Bild aufgelistet, sondern auch den Menschen und ihren Emotionen rund um diese Automarke wird Tribut gezollt. So begegnet man Prominenten wie James Dean, Herbert von Karajan sowie allen bisherigen Porsche-Chefs. Auch der Motorsport erfährt eine Huldigung. Mit 222 Fotos und Abbildungen brilliert dieses Buch auch in Sachen Unterhaltungswert und bietet somit selbst dem Nicht-Porsche-Fan Lesespaß.

ne Macher und seine aufregendsten Storys vorzulegen. Chronologisch nach Jahrzehnten sortiert, im Original-Layout reproduziert und historisch eingeordnet, geben diese wieder, was die Gemüter in Deutschland erregte und für Gesprächsstoff sorgte – ob Liebes- und Leidensgeschichten aus der Welt des Adels, Zeitgeist-Phänomene, Sporthelden oder Politiker-Homestorys. Dieser Bildband ist ein Streifzug durch die letzten 70 Jahre deutscher Geschichte – geradezu ein historisches Erlebnis für Jung und Alt.

SO FUHR DER OSTEN

ERZÄHLUNGEN

PKW, LKW, BUSSE, BAHNEN: TECHNIK- UND DESIGN-IKONEN DES OSTBLOCKS Von Klaus Schameitat 2018, Prestel Verlag ISBN 978-3-66711-231-6 224 Seiten; 34,90 €

Wer immer noch der Meinung ist, dass der Trabi das Bild der ostdeutschen Straßen geprägt hat, wird mit diesem Buch eines Besseren belehrt. Welche Vielfalt an Automobilen der Ostblock – und auch alle anderen Staaten Osteuropas – zu bieten hatte, ist indes nur wenigen bekannt. Auf den über 800 Fotos begleitet Klaus Schameitat den Leser auf eine Entdeckungsreise in die letzten 40 Jahre des Ostens. Dabei überraschen nicht nur imposante Limousinen im Look amerikanischer Straßenkreuzer, sondern auch die breite Palette von Pkw, Lkw, Bussen und Bahnen von über 60 Fahrzeugherstellern. Ein sehr informativer Bildband, der nicht nur eingefleischte Autofanatiker staunen lässt.

70 JAHRE IN BESTER GESELLSCHAFT

Es gibt nur wenige Zeitschriften, die die bewegte Geschichte Deutschlands ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs so begleitet und gespiegelt haben wie die Illustrierte Bunte". " 2018 jährt sich der Termin ihrer Erstveröffentlichung zum 70. Mal – Anlass, einen Jubiläumsband mit einer Gesamtschau auf das legendäre Blatt, seiGoodTimes

In diesem sehr gelungen übersetzten Band liegt eine Auswahl von 15 Erzählungen aus insgesamt neun Büchern von James M. Barrie vor. Kaum jemand vermutet, dass dieser Autor einst die weltweit bekannte Kindergeschichte Peter Pan" veröffentlicht hat. Die hier vorlie" genden, teilweise zum ersten Mal auf Deutsch erschienenen Erzählungen bestätigen, dass Barrie ein wahrer Meister der Prosa ist. In fast allen – meist mythischen – Erzählungen gibt es autobiografische Hintergründe, neben tiefernsten Themen kommt aber auch der Humor nicht zu kurz. Das sehr informative Nachwort James M. Barrie – ein melancho" lischer Humorist" von Michael Klein rundet diesen Band ab und verspricht Lesespaß vom Anfang bis zum Ende.

TRUE ORIGINALS

2017, Seltmann + Söhne ISBN 978-3-94668-817-4 196 Seiten; 39,55 €

2017, Prestel Verlag ISBN 978-3-79138-393-4 336 Seiten; 29,95 €

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2017, Morio Verlag ISBN 978-3-94542-445-2 192 Seiten; 19,95 €

Von Marlon Knispel

Von Patricia Riekel

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Von James M. Barrie

AN OG ADIDAS SELECTION BY A FAN 1970–1993

BUNTE REPUBLIK DEUTSCHLAND

Seite

WIE MEINE MUTTER IHR SANFTES GESICHT BEKAM

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Diese englische Veröffentlichung ist eine Hommage an die ursprünglichen Adidas Basketball-, Tennis- und Laufschuhe der 70er bis 90er Jahre. Neben den zahlreichen Fotos hat Marlon Knispel Anekdoten, Geschichten, Insiderwissen und technische Fakten zusammengetragen. Das Ergebnis ist ein Bildband, in dem Turnschuhe sowie legendäre Sportler und Musiker, denen Adidas mit eigenen Schuhmodellen ein Denkmal setzte, vorgestellt werden. Interviews mit zeitgenössischen Sneakerheads, Sammlern und Händlern zeigen exemplarisch, welch geradezu magische" "


NEWS from the past Bedeutung die Marke mit den drei Streifen zu jener Zeit entwickelte. Dabei erhebt das Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es zeigt eine Auswahl der Modelle und Persönlichkeiten, die aus Knispels Sicht wesentlich für die Entwicklung der Marke Adidas waren und Vorbilder der heutigen Retrowelle sind. Dank dieser bewusst begrenzten Auswahl zeigt sich deutlich, was im Rahmen einer umfassenderen Darstellung verlorengehen würde: Es gibt eben Turnschuhe ... und es gibt Legenden.

DVDs + BLU-RAYs DER LANDARZT STAFFEL 1–4

Die langlebigste Arztserie im deutschen Fernsehen erzählt seit 1987 die Geschichte des örtlichen Landarztes der fiktiven Gemeinde Deekelsen in Schleswig-Holstein. Erster Bewohner des Landarzthauses war bei Serienstart Dr. Karsten Mattiesen (Christian Quad­flieg), der in dem Haus aufwuchs ist und dessen resolute Mutter Olga sich um Haus und Hof kümmerte und ihn als Sprechstundenhilfe unterstützte. Mattiesen pendelte zu Beginn noch zwischen Deekelsen und seiner Hamburger Wohnung, entschloss sich aber dann, seine zerrüttete Ehe zu beenden und auf dem Land ein neues Leben zu beginnen. Seitdem kümmerte er sich aufopferungsvoll um die Sorgen und Krankheiten der dortigen Menschen. Der Landarzt" ist eine Familienserie, " bei der man sich nach den ersten Folgen wie zu Hause fühlt und mit einer gewissen Spannung Anteil an der Fortentwicklung der Geschichte nimmt. (Studio Hamburg Enterprises)

FORSTHAUS FALKENAU STAFFEL 1–4

Im März und April 2018 sind, neu überarbeitet auf DVD, die ersten vier Staffeln der TV-Serie Forsthaus Falkenau" erschienen. " Die Episoden im Forsthaus Falkenau erzählen, wie die großstadtgewohnte Familie Rombach sich in der Einsamkeit des Bayerischen Waldes zurechtfindet, wie Vater Martin Rombach (Christian Wolff), der durch einen Unfall seine Frau verloren hat, seine drei Kinder alleine großzieht und schließlich eine neue Lebens-

gefährtin findet. Zu den familiären Sorgen des Försters kommt der tägliche Kampf für den Erhalt des Waldes, für Artenschutz, gegen Wilderei und Umweltverschmutzung. Ein Wiedersehen mit einer der großen Kultserien des ZDF! (Studio Hamburg Enterprises)

GREASE + GREASE 2

Es ist kaum zu glauben: Der Kult-Film ­ Grea­se" feiert in diesem Jahr sein 40. Ju" biläum! Aus diesem Anlass veröffentlicht Universal Pictures Germany diesen Klassiker in überarbeiteter Fassung. Die Verfilmung des gleichnamigen Musicals im Jahr 1978 füllte damals die Kinokassen, und John Travolta – mit Olivia Newton-John an seiner Seite – wurde zum Superstar. Mit Grease 2" erschien vier Jahre später " eine Fortsetzung mit Maxwell Caulfield und Michelle Pfeiffer in den Hauptrollen, die jedoch nicht ganz an den Erfolg des Vorgängers anknüpfen konnte. Beide Filme lassen den Zuschauer tief in die 50er Jahre eintauchen und hauchen dem Highschool-Szenario einer amerikanischen Kleinstadt neues Leben ein. Im Mittelpunkt steht jeweils eine Liebesgeschichte voller Wirrungen und Eifersüchteleien, wobei die Schülergangs T-Birds und Pink Ladies eine wichtige Rolle spielen. Gespickt mit dem tollen Soundtrack und genialen Tanzeinlagen sind beide Filme immer wieder das Anschauen wert. (Universal)

DIE FRITZ LANG BOX

Den Anfang einer Kooperation der FriedrichWilhelm-Murnau-Stiftung mit Universum Film machte bereits am 23. Februar 2018 Die " Fritz Lang Box". Enthalten sind alle sieben stilbildenden Stummfilme Langs aus der Periode 1921 bis 1929: Die Nibe" lungen", Teil 1 und Teil 2, Der müde Tod", Dr. Ma" " buse: Der große Spieler", Teil 1 und Teil 2, Frau im " Mond", Metropolis" und " Spione". Alle Filme werden durch umfang" reiches Bonusmaterial ergänzt, und jeder ist mit einem umfassenden Booklet ausgestattet, in welchem der Film, die Restaurierung, die Filmmusik und natürlich alle Mitwirkenden von Cast und Crew beschrieben werden. Weitere Meisterwerke folgen im Laufe des Jahres 2018 und dann 2019. Die Produkte werden GoodTimes

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ebenfalls mit umfangreichem Bonusmaterial und Booklets auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich sein. (Universum Film)

DAS TRAUMSCHIFF FOLGE 1–6

Als überarbeitete DVD und Blu-ray sind aktuell die ersten Folgen der bekanntesten KultSerie des ZDF erschienen. Das Traumschiff" ist eine " Legende der deutschen Fernsehunterhaltung. Mit Starbesetzung und besten Autoren wie Regisseuren ausgestattet, steuert das Kreuzfahrtschiff seit 1981 die schönsten Urlaubsziele an. Ob seine Passagiere an Bord die Flitterwochen verbringen, die große Liebe suchen oder jemand als vermeintlicher Juwelendieb unterwegs ist – bei der Crew und ihrem Kapitän sind sie alle in den besten Händen. Denn das Personal des Traumschiffs kümmert sich um jegliche Art von Turbulenzen an und unter Deck. Und so werden die Reisen in die Karibik, zu den Jungferninseln oder in die Dominikanische Republik zu unvergesslichen Abenteuern. Die norwegische Vistafjord ist hier in diesen sechs Folgen als Traumschiff zu erleben. Wer von Anfang an mit dabei sein will, kann auf diese DVD-Box nicht verzichten! (Studio Hamburg Enterprises)

Konzerte DA CAPO UDO JÜRGENS

ANDY RÜHL & BIG BAND OTTI BAUER

Schon als er begann, als Noch-nicht-mal-Teen­ ager selbst am Piano Musik zu machen, entdeckte der heute 56-jährige Andy Rühl Udo Jürgens für sich. Früh fing er an, seine Stimme auf die Klangfarbe des unvergessenen und wohl bedeutendsten deutschsprachigen Entertainers zu trainieren. Mit seiner Bigband und dem Programm Da " Capo – Udo Jürgens" erinnert Rühl, ein staatlich geprüfter Kirchenorganist, nun an den am 21. Dezember 2014 verstorbenen Superstar. Nicht nur stimmlich interpretiert der singende Multi-Instrumentalist sein Idol originalgetreu. Jürgens selbst lobte ihn zu Lebzeiten als seinen einzigen legitimen Interpreten. Mit Da " Capo" und den Liedern von Udo Jürgens ist Rühl im September in Neu Isenburg (21.9. Hugenottenhalle), München (22.9. Gasteig) und Berlin (24.9. Admiralspalast) live zu erleben.


Nachruf Karin Dor

Von Christian Simon

Es war im Dezember 1962. Ich war elf Jahre alt und kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern: Es war kalt, und leichter Schnee bedeckte die Straßen der Innenstadt von Duisburg. Meine Eltern hatten mir erlaubt, ins Kino zu gehen. Im Europa-Palast lief der erste Karl-May-Film mit dem Titel Der Schatz im Silbersee". Der Kinovorhang öffnete sich, und da " waren sie: Winnetou und Old Shatterhand. Die Filmstars meiner Jugend waren geboren – Pierre Brice, Lex Barker und … Karin Dor. Genau 50 Jahre später sollte ich ihr persönlich begegnen. Ich war Redakteur bei Frank Elstners TV-Talkshow Menschen der Woche", und Karin Dor war zu Gast in der Sendung. Für mich war es eine große Freude, sie kennenzu" lernen, denn ich bin bis heute ein Freund der Karl-May- und Edgar-Wallace-Filme, in denen sie mehrfach mitspielte.

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och beginnen wir chronologisch. Karin Dor erblickte am 22. Februar ist ihm vor Schreck beinahe das Lenkrad aus der Hand gerutscht. Er hatte 1938 in Wiesbaden das Licht der Welt. Sie wuchs in gutbürgerden Charme aber auch wirklich mit Löffeln gefressen. Was mich sehr lichen Verhältnissen auf. Schon als 17-jährige Gymnasiastin besuchte beeindruckte: Er wusste auf alles eine Antwort. Er konnte mir jede Frage sie die Schauspielschule und übernahm kleine Karin Dor mit Pierre Brice beantworten. Harald war ein sehr interessanter Statistenrollen in Spielfilmen. Ihre erste Rolle, Mann, ich habe ihn sehr geliebt!" in der sie nur einen einzigen Satz zu sprechen Damals war Karin Dor knapp 17, er fast 30 Jahre hatte, bekam sie 1954 in dem deutschen Kinofilm älter. Auch dank seines Einflusses – Reinl feierte „Rosen-Resli". Trotzdem war Regisseur Harald besonders in den 60er Jahren als Regisseur große Reinl so von ihr angetan, dass er ihr nicht nur eine Erfolge – machte Karin Dor schnell Karriere wichtige Rolle in seinem Film „Der schweigende beim deutschen Film. Engel" gab, sondern sie im selben Jahr auch Bis heute ist sie unverheiratete. „Er hat mir noch vor dem ersten Kuss gessen als Ribanna, den Antrag gemacht", erzählte mir Karin Dor im Winnetous große Liebe Baden-Badener E-Werk, wo die Elstner-Sendung in „Winnetou II". Und aufgezeichnet wurde. „Harald hatte mich an auch in den Edgareinem Sonntag zu einer Autofahrt entlang des Wallace-Filmen sorgte Rheins eingeladen. Irgendwie kam die Rede aufs sie für erotisch-gruselige Heiraten. Ich sagte ihm, dass auch ich schon Schauer, zum Beispiel in einmal einen Heiratsantrag bekommen hätte. Daraufhin fragte er mich, „Der unheimliche Mönch" oder in „Der grüne was ich denn sagen würde, wenn er mir nun einen Antrag mache. Es Bogenschütze". 1966 erlangte Karin Dor dann entstand eine kurze Pause, dann antwortete ich: Ich würde ja sagen. Da Weltruhm: Sie wurde das erste und bisher einSeite

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Traurig war letztlich auch das Aus der Ehe mit Harald Reinl. Die Ehe hielt 14 Jahre, bis 1968. Die Scheidung von Reinl und eine Krebserkrankung setzten ihr ziemlich zu. Doch sie fing sich, psychisch und in gesundheitlicher Hinsicht, und begann wieder mit Dreharbeiten. Im US-Fernsehen sah man sie 1970 in der Krimireihe „Der Chef" mit Raymond Burr, und 1971 spielte sie in der englischen Serie „Ihr Auftritt, Al Mundy" mit Fred Astaire und Robert Wagner. „Robert hat großen Wert darauf gelegt, dass ‚Wagner' auf Deutsch ausgesprochen wurde, und Fred war um die 70 und ein Schatz!" Ihre zweite Ehe mit dem Kaufmann Günther Schmucker wurde 1974 schon nach nur zwei Jahren wieder geschieden. In den USA fand sie dann ein neues privates Glück. 1988 heiratete sie in dritter Ehe ihren langjährigen Freund, den amerikanischen Stuntman, Filmproduzenten und Millionär George Robotham. Karin Dor pendelte jahrelang zwischen Beverly Hills und Deutschland. Als ihr Mann an Alzheimer erkrankte, zog sie 2005 auch wegen der besseren Behandlungsmethoden wieder in ihre Heimat. Zwei Jahre später starb Robotham im Alter von 86 Jahren. „Er war intelligent, charmant und kräftig. Seinen Verfall zu erleben, physisch und psychisch, war unglaublich schmerzhaft. Zu dieser Zeit hatte ich ein Engagement in Bonn – tagsüber war ich bei ihm, abends auf der Theaterbühne", erinnerte sich Karin Dor. Nach seinem Tod lebte sie in einem kleinen Haus im niederbayerischen Prienbach. Sie spielte viel Theater. Oft Boulevardkomödien wie „Der Neurosenkavalier", mit dem sie weit über 500 Mal auftrat, oder „Pythonee" nach dem Buch „Der dressierte Mann" von Esther Vilar. Gelegentlich wirkte sie auch noch in Fernseh- und Kinoproduktionen mit. Auch im „Traumschiff" und bei

zige deutsche Bond-Girl an der Seite von Sean Connery in „Man lebt nur zweimal". Hierzu erzählte sie mir eine kleine Anekdote: „Das war vor Drehbeginn. Meine Agentin und ich wohnten im Dorchester, damals das beste Hotel in London. Wir warteten auf meine Arbeitsgenehmigung. Gleichzeitig lief das WM-Endspiel England – Deutschland mit dem umstrittenen Tor. Zu dieser Zeit gab es noch keine Fernsehapparate in den Suiten. Connery wusste das und fragte uns, ob wir uns das Spiel anschauen wollten. Natürlich wollten wir das! Sean brachte uns einen tragbaren Fernseher ins Hotel und schloss ihn an. In der Türe drehte er sich noch einmal um und meinte: Aber eins sage ich euch, wenn die Deutschen gewinnen, kriegt Karin nie eine Arbeitsgenehmigung. England wurde Weltmeister, zwei Tage später hatte ich die Genehmigung." Doch es sollte nicht bei dieser einen internationalen Filmproduktion bleiben. 1969 gab Alfred Hitchcock ihr eine Hauptrolle in dem Spionage-Thriller „Topas". Karin Dor erinnerte sich: „Ich bekam morgens um vier einen Anruf von meinem amerikanischen Agenten: Nimm die nächste Maschine, Hitchcock will dich treffen. Ich wusste, dass Hitchcock schon über 90 Schauspielerinnen für die Rolle der Juanita de Cordoba zu Probe-Aufnahmen eingeladen hatte. Es hieß immer, er hasse alle Schauspielerinnen. Sogar Rock Hudson hat mich vor ihm gewarnt. Aber wir hatten gleich einen guten Draht zueinander. Ich wurde in sein Büro zu Universal bestellt, das ein Esszimmer mit großem Salon war. Wir haben zu Mittag gegessen, unterhielten uns und kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Er war hinreißend! Plötzlich fragte er mich: Kennen Sie Miss Edith Head? Sie war die Schneiderin

© Pressefotos

"Topas"

seiner Filme, und ich antwortete ihm: Wer kennt sie nicht, mit all ihren Oscars? Und er darauf: Ich glaube, es wäre eine gute Idee, wenn Sie zu ihr gehen würden und an sich Maß nehmen ließen. Das war seine Art, mir zu sagen, dass ich die Rolle hatte. Ich habe einen Jubelschrei losgelassen. Dann habe ich ihm gesagt, dass ich nur einen kleinen Koffer mitgenommen hätte und noch einmal nach Deutschland zurückfliegen müsse, um Garderobe und diverse Dinge zu holen. Er meinte nur: ‚Was brauchen Sie denn?' ‚Na ja, was eine Frau so braucht …' Und Hitchcock darauf: ‚Dann gehen Sie einkaufen, und die Rechnung geht an Universal.' Ich habe sein großzügiges Angebot gerne angenommen, aber nicht ausgenutzt. Übrigens schon beim ersten Treffen in seinem Büro schilderte er mir ganz genau, wie er sich den Filmtod von Juanita vorstelle. Bei den Dreharbeiten kam er dann oft nachmittags mit seiner Sekretärin und seinen beiden Hunden zu mir in den Wohnwagen, in dem ich frisiert und geschminkt wurde. Ich musste ihm dann genau erklären, wie man Königsberger Klopse oder Kohlrouladen macht. Es war eine wunderbare Zeit!" Trotz Hitchcock und James Bond hat es dann aber mit der ganz großen Hollywood-Karriere nicht geklappt. Das sah auch Karin Dor so: „Das große Hollywood-Ding war damals schon zu Ende. Es war schon zu spät, es wurden keine großen Filme mehr gemacht. Man begann, an Originalschauplätzen zu drehen. Die riesigen Universal-Studiohallen wurden nur noch für Fernsehproduktionen genutzt. Das war sehr traurig!" GoodTimes

"James Bond 007 – Man lebt nur zweimal"

einigen Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen sahen wir sie. Ihr Comeback auf der Leinwand hatte sie 2006 mit dem Film „Ich bin die Andere", in dem sie eine alkoholkranke Mutter spielte. Seit 2008 stand sie in dem für sie geschriebenen Stück „Man liebt nur dreimal" oder in „Die Katze" auf der Bühne der Komödie im Bayerischen Hof in München. Trotz eines schweren Sturzes 2016 trat sie " Das Traumschiff" dort dann zwar wieder auf, erholte sich aber nicht mehr von dessen Folgen. Sie starb am 6. November 2017 im Alter von 79 Jahren in einem Münchner Pflegeheim. Mit ihr ging eine der großen Schauspieler­in­ nen des deutschen Films der 60er und 70er Jahre. Karin Dor begleitete Millionen Kinobesucher und schenkte ihnen unvergesslich spannende, unterhaltsame Stun­ den. In ihren Filmen lebt sie weiter.

Foto: © Christian Simon Productions

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Karin Dor mit Christian Simon bei Frank Elstners TV-Talkshow "Menschen der Woche".


Von Malte Ristau

grünes Outfit – komplett war die Ausrüstung für das Spiel draußen. is heute sind sich die Sachverständigen nicht einig darin, ob es ihn Verzichten musste ich drinnen noch auf eine entsprechende wirklich gegeben hat, den grün gekleideten Meisterschützen aus Spielzeugfigur, die erst 1965 im Rahmen einer Ivanhoe-Serie in die dem Mittelalter. Immerhin aber wählte ihn der angesehene englische Kinderhände gelangte. Es war die Historiker Eric Hobsbawm zum Prototyp Firma Heinerle, die auf der Suche nach eines historischen Phänomens, das er in zugkräftigen Themen den populären Stoff mehreren Büchern als Sozialbanditentum für ihre massenhaft vertriebenen klassifizierte. Damit sind die entscheidenWundertüten aufbereitete. Robin war dabei den Stichworte gefallen zu dem bemerTeil einer achtteiligen Gruppe in sechs kenswerten Helden, der den Armen gab, Zentimeter Größe aus Weichkunststoff. In was er den Reichen nahm. Ende der 1950er einer größeren Tüte wurde parallel eine bis Anfang der 70er Jahre dürfte es wenige Ritterburg zum Zusammenstecken vertrieJungen gegeben haben, die Robin Hood ben. Der geheimnisumwobene Sherwood nicht kannten. Zum ersten Mal begegnet Forrest ließ sich durch Laub- und ist er mir in einem bekannten Buch von Tannenbäume aus anderen Sortimenten Mark Twain, als Tom Sawyer und Huck von Heinerle simulieren. Spätere Jahrgänge Finn empathisch verkündeten, dass sie lieErrol Flynn (Mitte) setzte 1938 als Titelheld Maßstäbe konnten seit 1964 auf Bausätze von Airfix ber ein Jahr vogelfrei in Sherwood Forrest der Unterhaltung und prägte Vorstellungen nachhaltig. oder ab 1973 auf Spielfiguren der Firma leben wollten, als für immer Präsident der Heimo zurückgreifen. Letztere richteten sich an jüngere Kinder, indem sie Vereinigten Staaten zu sein. Das musste was Tolles sein! die Darstellungen eines Disney-Films mit Tierfiguren aufgriffen. In den Achtzigern folgten ngespornt durch diverse Modelle von Lego Medien haben denn sowie ab 2000 von auch die Babyboomer und Playmobil. Auch in manchmal ihre Söhne Robins den Überraschungs­ Abenteuer begeistert nacheiern von Ferrero gespielt. Ein Flitzebogen, als gab es eine Zeit lang Langbogen deklariert, ein Spielfiguren von Heinerle 1965: 1. von Heimo präsentierte 1973 ein Figurenset einige Motive. Holzschwert, ein irgendwie links Robin Hood, 4. von rechts Ivanhoe zum Disney-Film Seite

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NGesellen 1962 über eine Jugendbuchausgabe äher kennengelernt hatte ich Robin und seine

eines berühmten Romans, die im Engelbert-Verlag erschienen war: Zurückgekehrt von einem Kreuzzug setzt sich darin Ritter Ivanhoe, an seiner Seite ein Geächteter namens Robin von Locksley, für die Rückkehr des in der Fremde gefanPlaymobil erfreute 2000 mit einer Robin-Hood-Gruppe

gen gehaltenen Königs Richard Löwenherz ein. Ihre eindrucksvollen Gegenspieler waren Finsterlinge wie namentlich Prinz John sowie der Sheriff von Nottingham. Ohne große Umstände stellten wir im Freundeskreis fest, dass es über das Buch hinaus weitere anregende Drehbücher für unsere Spielwelten gab. Gleich zwei in jenen Jahren erfolgreiche Comic-Verlage, Lehning und BSV, hatten Entsprechendes in ihren Programmen. In den 70ern produzierte schließlich der Bastei-Verlag mehrere Dutzend Hefte. So erschloss sich für uns und die uns folgenden Jahrgänge ein bunt besetzter Kosmos. Wir lernten Maid Marian kennen, die eigensinnige, kluge und hübsche junge Dame, in die sich Robin nachhaltig verliebte. Wichtiger für die Dramaturgie unseres Spiels freilich waren die handfesten Gesellen, die Robin zur Seite standen: der opulente Mönch Bruder Tuck, der Spielmann Allen a Dale, der ambivalente Will Scarlett und der schlagkräftige Little John. Jede dieser Personen verband eine eigene Geschichte mit dem Haupthelden.

Gedächtnis wie die überraschenden Überfälle auf Steuergeldtransporte oder auf Schergen des Sheriffs aus den Baumkronen dichter Wälder herab. Robin griff schützend ein und machte Unrecht wieder gut, das in Hab- und Machtgier wurzelte. Bei seinen häufig riskanten Unternehmungen hatte er Erfolg, weil er der beste Bogenschütze, ein hervorragender Schwert- und Stabkämpfer sowie ein Meister der Verkleidung wie der List war. Wir konnten nun die Begeisterung von Tom Sawyer und Huck Finn nachvollziehen.

Idie Story über nun mehr n ihren Grundzügen ist

700 Jahre hinweg unverändert geblieben. Gelebt hat Robin, wenn es ihn Illustrierter Klassiker denn gab, um 1200 im von BSV, frühe 60er Nordosten Englands. Sein Mythos speiste sich ähnlich dem von König Artus aus vielen Quellen der Volksüberlieferung. Fiktive und realhistorische Details tets konnten Robin mischten sich im Laufe der und seine Getreuen Jahrhunderte und ergaben mit der Unterstützung der schließlich einen wunderBauern und Bürger rechbaren Stoff für Medien aller nen, die ihre Aktivitäten Art. Das erste schriftliche bewunderten. Es waren in Zeugnis über Robin ist 1377 zu verorten, als der Perspektive der Geschichten diverse nores in einer volkstümlichen Geschichte hieß: Lehning veröffent­ mannische Barone, Bischöfe und Äbte, die noch 150 Jahre nach der Anfang der 60er „Ich kenne das Vaterunser nicht so vollkommen lichte Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer die einfachen Leute eine aus Frankreich ... aber ich kenne Verse von Robin Hood." In überwiegend angelsächsischer Herkunft drangsalierten und viele eingekaufte Reihe der mündlichen Überlieferung, in Liedern und zu Geächteten machten. Daraus ergab sich der Rahmen für spanBalladen, war die Gestalt wohl schon eher nende Abenteuer, die zum Kernbestand der Traumwelten mehrerer präsent. Im Mittelalter galt er den Engländern, Jungengenerationen gerieten. Der edle Räuber besonderer Art operierte einfachen wie hochgestellten, als realhistorische mit einer Schar Vogelfreier und Rebellen vom Sherwood Forrest aus. Persönlichkeit. Seit dem 15. Jahrhundert wurZu den unvergesslichen Requisiten gehörten die mächtige Eiche im den in den ländlichen Regionen Englands Robin-Hood-Spiele veranstaltet, eine Mischung aus Karneval und Sportfest. Chronikalische wie literarische Zeugnisse, Gedichte, Lieder oder Theaterstücke, häuften sich im 15. und 16. Jahrhundert. Bastei setzte Anfang Die erste bildliche Darstellung, der 70er mit Erfolg auf Die eindrucksvolle Robin-Hood- ein Holzschnitt, wird auf 1510 eine Robin-Hood-Serie Die Burg Bodiam Castle aus dem 13. Jahrhundert Eiche im Sherwood Forrest war mehrfach Schauplatz von Verfilmungen datiert. Einige Jahre zuvor wohl ist eine Textsammlung entstanden, die alles seinerzeit Bekannte über den Rebellen zusamWaldversteck, unter der sich die grüngekleideten Merry Men trafen, mentrug. Shakespeare variierte später den Stoff in seinem Stück genauso wie die wuchtigen Zwingburgen der Normannen. Szenen „Wie es euch gefällt". Im späten 17. Jahrhundert war Robin Hood so wie der Wettkampf der besten Bogenschützen blieben ebenso im

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Richard Green (Mitte)

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gerichtet. Eine regelrechte RobinHood-Welle war 1955 vor allem in den angelsächsischen Ländern durch die erfolgreichs­ te von insgesamt elf Fernsehserien ausgelöst worden. In 143 Folgen der Adventures Of Robin Hood, verkörperte Richard Greene den Titelhelden. Der Titelsong wurde in den USA ein Hit, und auch bei uns erinnert sich noch mancher gerne an die unübertroffenen Verse, die zu Beginn jeder der halbstündigen Folgen zu einer eingängigen Melodie geschmettert wurden: „Robin Hood, Robin Hood reitet durch die Lande. Voller Stolz und Wagemut folgt ihm seine Bande. Die Bösen sind ihm bös; die Guten sind ihm gut. Robin Hood, Robin Hood." Denn auch bei uns war eine synchronisierte Fassung mit einiger Verspätung ab März 1971 von der ARD an Sonntagnachmittagen ausgestrahlt wor-

populär, dass sogar – wieder wie im Falle König Artus – ein auf ihn ausgewiesener Grabstein gefälscht wurde.

ndgültig Eingang in die Weltliteratur fanden die Motive, als Walter Scott unseren Helden 1822 an der Seite von Ritter Ivanhoe im gleichnamigen Roman für das Gute streiten ließ. Dieser Roman fand zahllose Auflagen und Bearbeitungen, zuerst in Groschenheften und später in Bildgeschichten. Einem gebildeten angelsächsischen Publikum wurde Robin Ende des 19. Jahrhunderts romantisierend über Russel Crowe (Robin) und Cate Blanchet (Marian) waren 2010 die Hauptdarsteller eines Kinofilms Sammlungen der alten Balladen nahegebracht. Nach der Etablierung des Kinos wurden Robins Taten bis heute rund 80 Mal verfilmt; darunter sind viele Nullitäten, aber eben auch einige Glanzstücke. In Letzteren setzten, periodisch wiederkehrend, zeitgenössische Superstars wie Douglas Fairbanks (1922), Errol Flynn (1938), Sean Connery (1975), Kevin Costner (1991) oder zuletzt Russell Crowe (2010) eindrückliche Akzente, die jeweils an Facetten der Überlieferung ansetzten und Robin Hood zielt auf die Burg des Sheriffs in Nottingham Themen der Zeit spiegelten. Neben Audrey Hepburn & Sean Connery den. Ich war mittlerweile 17 Jahre alt, Klassikern des Abenteuer-Genres hat das Motiv im Laufe der Zeit und über mehrfache Wiederholungen auch eigentümliche Deutungen erfahren. Die Spannbreite reicht von freuten sich spätere Jahrgänge. Seit einiZeichentrickfilmen bis zu einer Parodie, die Mel Brooks verantwortegen Jahren ist die deutsche Version in te. Den Haupthelden verkörperten drei Boxen wieder zugänglich, die insgein ansonsten belanglosen Streifen samt 27 Folgen à 30 Minuten offerieren. unter anderem Lex Barker sowie Die TV-Serie sorgte vor 60 Jahren in Pierre Brice, die in anderen Rollen vielen Ländern für Anschlussprodukte. stärker fesselten. Robins charakteDazu gehörten neben neuen Büchern, ristisches Kapuzenoutfit und seine häufig Bearbeitungen des Romans von Bogen wurden überdies stilbildend Scott, und vielen Comics auch diverses für so unterschiedliche Figuren Spielzeug, Hörspiele auf Schallplatten wie Peter Pan oder Green Arrow. oder Kassetten sowie im Karneval ein Eine besondere Kultgestalt der passendes Kostüm. Babyboomer, gemeint ist die von Diana Rigg verkörperte Emma Diane Rigg als Peel, beeindruckte in einer er England mit genügend Zeit ausgestattet bereist, sollte einen Emma Peel im Robin-HoodParaderolle in einem RobinAbstecher in die Grafschaften Nottinghamshire und Yorkshire Kostüm in Hood-Kostüm. In der bis vorsehen, wo Robin Hood als Touristenattraktion gegenwärtig ist. einer Folge von heute beliebten TV-Serie Lohnenswert in der Stadt Nottingham sind insbesondere ein Mit Schirm, "Charme und „Mit Schirm, Charme und Besuch im Erlebniszentrum Tales Of Robin Hood sowie im ältesten Melone", 1967 Melone" wurde Pub Englands, dem Ye Olde Trip To Jerusalem, in dem seit 1189 nämlich im August 1967 eine Folge ausgestrahlt, tatsächlich heimgekehrte Kreuzritter eingekehrt sind die den deutschen Titel „Robin Hood spielt mit" trug. und möglicherweise auch Robin, verkleidet sicherDie Referenzen an typische Topoi aus dem Klassiker sind lich, ein leckeres Bier getrunken hat. Die trutzige nachdrücklich, und Emma Peel wie John Steed treten, beide Burg von Nottingham, ehemals Sitz des Sheriffs, beeindruckt weitkostümiert, dem Geiste Robins angemessen auf. hin sichtbar oberhalb der Stadt. Am Fuße ihrer Mauern findet man ein Bronzestandbild dort, wo Robin die besten Bogenschützen Englands in einem spannenden Wettkampf bezwang. Nicht weit erstärkt an ein junges Publikum hatten sich schon Anfang von der Stadt liegt der Forst von Sherwood, der zwar auf sieben des 20. Jahrhunderts Bearbeitungen des Stoffes Seite

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Quadratkilometern Fläche arg geschrumpft ist, aber doch reichlich Atmosphäre bewahrt hat. In seiner Mitte findet man unweit des Touristenzentrums die uralte Major Oak, deren Umfang über zehn Meter misst. Der Besucher assoziiert beim Anblick dieser weitausladenden Eiche unweigerlich Robin und seine Gesellen, die ein Hornsignal herbeigelockt hat.

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ei mir war spätestens in diesem Moment die aus der Kindheit vertraute Begeisterung wieder da, die mich sogar veranlasste, 1978 als ein mündliches Examensthema den Sozialbanditen Robin Hood zu wählen. Eine Verfilmung mit Kevin Costner variierte 1991 die Geschichte mit düsteren Akzenten

Die ursprünglich skeptischen Professoren zeigten sich dann so interessiert, dass der folgende Prüfling warten musste. Zwischenzeitlich ist das Thema auch in Deutschland wissenschaftsfähig geworden. Für Historiker wie Literaturwissenschaftler bleibt Robin freilich genauso schwer fassbar, wie er es schon für seine Gegenspieler war. In der neuesten deutschsprachigen Veröffentlichung, 2015 erschienen und überaus lesenswert, urteilt die Autorin Judith Klinger von der Uni Potsdam, dass es angesichts der Wirkung gar nicht zähle, ob es überhaupt ein Original gegeben habe. Wie positiv Robin jedenfalls eingestuft wird, zeigt nicht zuletzt die Namensgebung einer weltweit aktiven Naturschutzorganisation: Robin Wood jedenfalls machte mit der Namensgebung aus dem Sozi einen Grünen, aus dem Rächer der Unterdrückten einen Rächer der Entlaubten.

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Wer tanzt wie John Travolta?

1978 kam "Saturday Night Fever" in die bundesdeutschen Kinos: Hauptdarsteller John Travolta tanzt darin wie ein junger Gott zu den perfekten Discohits der Bee Gees. Er wurde zum Idol, und der Film entfachte wie überall auf der Welt eine unentrinnbare Disco-Euphorie. Zum 40-jährigen Jubiläum des deutschen Kinostarts blickt kult! zurück und lässt sich noch einmal vom "Saturday Night Fever" anstecken.

Von Thorsten Schatz

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ie Geschichte von „Saturday Night Fever” beginnt mit der Entstehung der Discokultur Anfang der 70er Jahre in der Schwulenszene New York Citys. Damals eröffneten etliche Discotheken – kurz Discos – für Homosexuelle, nachdem das Tanzverbot für gleichgeschlechtliche Paare aufgehoben worden war. Allerdings drangsalierte die Polizei Schwule und Lesben weiterhin etwa durch Razzien in den Gay-Clubs. Abhilfe schuf der

DJ David Mancuso, der seit 1970 in seinem privaten Loft Tanzpartys veranstaltete, wo Homosexuelle unbehelligt blieben. Das fand schnell Nachahmer in Form anderer Partys und privater Discotheken. Dort trafen sich aber nicht nur Gays, sondern auch Heteros, Weiße und Minderheiten wie Schwarze, Latinos, Italo-Amerikaner, die ihren von Diskriminierung verdunkelten Alltag vergessen wollten. Sie tobten sich in Seite

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Foto: Bildarchiv Hallhuber

Foto: Bildarchiv Hallhuber

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Harte Konkurrenz beim Tony ist ein Frauentyp, behandelt der Disco auf der Tanzfläche aus, Tanz-Contest seine Verehrerinnen aber respektlos, nahmen Drogen und hatten Sex. wie beispielsweise Annette, seine Die Dancetracks dazu lieferte die ihn anhimmelnde Tanzpartnerin, schwarze Musikszene, die eine neue die er ständig abweist. Als er die Musikrichtung entwickelte, indem ältere Stephanie kennenlernt, will sie Funk und Soul mit Hard-Rock, er lieber mit ihr als mit Annette Reggae und eingängigen Melodien einen Tanzwettbewerb bestreiten. anreicherte. Heraus kamen enorm Tony möchte Stephanie erobern, die tanzbare Stücke, denen man, da sie lässt ihn aber abblitzen, weil sie aufauf den Discotheken-Einsatz zugesteigen will und er dafür nicht die schnitten waren, seit etwa 1972 die geeignete gesellschaftliche Herkunft Bezeichnung „Disco” anheftete. hat. Die US-Mainstream-Musikindustrie Die beiden gewinnen den ersten witterte einen neuen Trend und Preis. Allerdings meint Tony, ein schickte ab 1974 mit internationalen Konkurrenzpaar habe ihn mehr verdient, ihn aber wegen seiner puerHits wie z.B. ”Never Can Say Goodbye” von Gloria Gaynor, ”Rock Your toricanischen Herkunft von der Jury nicht bekommen. Wütend gibt er Baby” von George McCrae, ”The Hustle” von Van McCoy & The Soul dem anderen Paar die Trophäe, verlässt mit Stephanie die Disco – und City Symphony, ”That's The Way (I Like It)” von KC & The Sunshine versucht, sie zu vergewaltigen, was jedoch misslingt. Band, ”Love Hangover” von Diana Ross oder ”You Should Tony ist danach mit seinen Freunden und Annette Be Dancing” von den Bee Gees die erste Discowelle um Vortänzer zusammen, die aus Liebeskummer wegen Tony betrundie Welt. Die Europäer schlossen sich ab 1975 mit gloJohn Travolta ken ist. Tony will sie wegbringen, doch seine Freunde balen Disco-Erfolgen wie ”I'm On Fire” von 5000 Volts hindern ihn mit Gewalt daran. Dann vergewaltigen zwei (1975), ”I Love To Love” von Tina Charles (1976) oder Abbas der Männer Annette. ”Dancing Queen” (1976) an. Aus der Bundesrepublik kamen Kurz darauf stirbt Tonys Freund Bobby bei einer Mutprobe. Discohits wie Boney M.s ”Daddy Cool” (1976), produziert von Zuvor hat er Tony erklärt, dass er sich von ihm im Stich gelasFrank Farian, oder der streicherbetonte Munich Sound, vertreten sen fühle, weil er ihm nicht beigestanden habe, als ihn die durch Silver Conventions ”Fly, Robin, Fly” (1975) und DiscoEltern seiner ungewollt schwangeren Freundin zu einer Heirat Queen Donna Summer, deren erste Welterfolge (u. a. ”Love To Love zwingen wollten. You Baby”, 1975) Giorgio Moroder und Pete Bellotte produzierten. Angeekelt von sich selbst fährt Tony daraufhin durch die Nacht, geht zu Stephanie, bittet sie um Entschuldigung und "Saturday Night": Die Entstehung der Filmstory versöhnt sich mit ihr. Als die erste Discowelle 1976 langsam wieder John Travolta ist zu dick: abflaute, beauftragte das „New York Magazine” die Dreharbeiten den bekannten nordirischen Pop-Autor Nik Cohn, der 1975 in die USA gekommen war, einen Artikel Robert Stigwood war Produzent des Films, der erst den über den New Yorker Disco-Underground zu schreiben. Titel des Cohn-Artikels trug, dann aber zu „Saturday Der Tänzer Tu Sweet führte Cohn durch New Yorker Night” gekürzt wurde. Er holte sich als Regisseur John Clubs, doch dem blieb die Discoszene fremd. Und da nun auch Avildsen, der zu dem Zeitpunkt mit dem Boxerdrama noch die Redaktion drängelte, erfand der Autor in seiner Not „Rocky” Erfolg hatte. Als Tony Manero verpflichtete Stigwood den Discotänzer Vincent. Dazu inspiriert wurde er durch einen einen 23-jährigen TV-Jungstar: John Travolta. auffällig gekleideten jungen Mann, der ihm in einer Disco aufgefalDer 1954 geborene Schauspieler und Sänger italienisch-irischer len war und Chris ähnelte, einem britischen Mod – und mit dieser Herkunft aus New Jersey hatte bereits Bühnenerfahrungen in Musicals Subkultur kannte sich Cohn bestens aus. Beide verknüpfte er zur wie „Grease” und „Over Here!” gesammelt. Er spielte in TV-Serien wie Figur Vincent. Dessen Leben in der Brooklyner Discoszene beschreibt „Emergency!” und in einer kleinen Rolle im Stephen-King-Schocker Cohn in dem am 7. Juni 1976 im „New York „Carrie” (1976) mit. 1975 wurde Travolta als Magazine” erschienenen Artikel „Tribal Rites Vinnie Barbarino in der Sitcom „Welcome Of The New Saturday Night” („Stammesriten Back, Kotter” zum Teenie-Schwarm. Mit dem der neuen Samstagnacht”). Den las auch Song ”Let Her In” gelang ihm 1976 sogar ein Robert Stigwood, der erfolgreiche Manager Top-Ten-Hit in den US-Charts. Kurz darauf von Bands wie Blind Faith, Cream und den Bee stand er als Tony Manero zusammen u.a. mit Gees sowie Produzent von Musicals und deren Karen Lynn Gorney als Stephanie Mangano Verfilmungen wie „Jesus Christ Superstar” und Donna Pescow als Annette vor der Kamera. (1973) und „Tommy” (1975). Stigwood sah in John Travolta hatte wenig Probleme, die Rolle dem Cohn-Text eine Story fürs Kino, kaufte eines enthusiastischen Tänzers zu spielen. die Filmrechte und ließ Norman Wexler aus Schon mit fünf Jahren bewegte er sich vor dem Artikel ein Drehbuch schreiben. dem Fernseher zu Tanzszenen in alten Filmen Wexler machte aus Vincent den 19-jährigekonnt im Rhythmus mit. Das setzte sich fort, gen Tony Manero, einen italo-amerikanischen als er fasziniert den Tanzstil der Schwarzen Verkäufer in einem Haushaltswarenladen, der verinnerlichte, wenn er sich die Blackin bescheidenen Verhältnissen in Brooklyn Music-TV-Show „Soul Train” ansah. Diese lebt. Dessen streng katholische Eltern sind Tanzbegeisterung machte es Travolta leichter, stolz auf seinen Bruder, einen Priester, lehnen sich mehrere Monate mit den Choreografen aber Tonys Liebe zum Discotanz ab. Den zeleDeney Terrio und Lester Wilson auf den Dreh briert er immer samstagnachts in der Disco vorzubereiten. 2001 Odyssey. Dort tanzt er wie kein anderer Der junge Mime machte seine Sache gut. Aber und ist der Discokönig. Außerhalb des Clubs Regisseur Avildsen mäkelte herum, dass er zu zieht Tony mit Freunden umher, die gern dick sei, und verordnete ihm ein Training, das Machosprüche abfeuern und sich mit anderen Travolta in Form brachte. Allerdings nörgelte John Travolta mit Karen Lynn Gorney Gangs prügeln. Avildsen weiter, dass Travolta eigentlich kein

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Tänzer sei und lieber einen Maler spielen solle … Da platzte Robert Stigwood der Kragen. Er warf Avildsen raus und engagierte stattdessen – drei Wochen vor Drehbeginn am 14. März 1977 – als Regisseur John Badham (der später Kinohits wie „Wargames” und „Nummer 5 lebt” inszenierte).

Die Dreharbeiten in Brooklyn wurden für Travolta schwierig, weil er vor Tausenden seiner Fans abgeschirmt werden musste. Dazu kam der Tod von Diana Hyland, einem Soap-Opera-Star, mit der John Travolta in dem Fernsehfilm „The Boy In The Plastic Bubble” gespielt hatte und mit der er liiert war. Sie litt an Brustkrebs und starb in seinen Armen während der „Saturday Night”Dreharbeiten. Als die geschafft waren, ging es an die Nachbearbeitung und die Fertigstellung des Soundtracks. Bis dahin hatte Travolta zu Songs von Stevie Wonder und Boz Scaggs getanzt. Doch es fehlten ein paar speziell für den Film aufgenommene Songs. Wer die einspielen könnte, war Stigwood schnell klar: die Bee Gees.

Die Welt im "Night Fever"

Die Gibb-Brüder hatten nach einem kurzen Karrieretief seit 1975 ihren Sound sehr erfolgreich in Richtung Soul und Funk geändert und waren 1976 mit dem US-Charttopper ”You Should Be Dancing” bei Disco gelandet – genau richtig für den „Night Fever”-Soundtrack. Stigwood überzeugte die Bee Gees als ihr Manager, Songs für den Film zu schreiben, obwohl er ihnen nur eine Inhaltsskizze gab und sie bloß ungefähr ahnten, worum es ging. An nur einem Wochenende schrieben sie fünf Songs ohne große Motivation, weil sie lieber an ihrem neuen Album arbeiten wollten. Die Stücke waren zwar nicht auf die Handlung abgestimmt, aber Stigwood und Bill Oakes, der Musical Supervisor des Soundtracks, meinten euphorisch, dass die Songs absolutes Hitpotenzial hätten. Sie änderten wegen des Tracks ”Night Fever” sogar den Filmtitel zu „Saturday Night Fever”, weil das den Geist der Story besser einfing. Und die beiden behielten Recht. Die Soundtracksongs der Bee Gees – ”How Deep Is Your Love”, ”Stayin' Alive” und ”Night Fever” – schossen alle in den USA auf Platz 1 und beherrschten die oberen

Immortality: eine kurze Geschichte der Bee Gees Die Brüder Barry, Robin und Maurice Gibb wurden als Bee Gees zum sechsterfolgreichsten Popact der Musikhistorie (nach Elvis, den Beatles, Michael Jackson, Garth Brooks und Paul McCartney). 1955 fingen sie als Skifflegruppe Rattlesnakes in Großbritannien an. Sie wanderten nach Australien aus, wurden Teenie-Stars, gingen 1967 nach Großbritannien zurück, benannten sich in Bee Gees um und wurden zu Weltstars. Sie verkauften bis heute über 220 Millionen Platten. Zur langen Liste ihrer Hits von den 1960ern bis in die 2000er Jahre gehören u.a. "Massachusetts", "Stayin’ Alive", "You Win Again", "Secret Love", "This Is Where I Came In". All ihre Erfolge schrieben und performten die Brüder selbst. Sie komponierten daneben Charttopper für andere Künstler wie Barbra Streisand ("Woman In Love"), Dionne Warwick ("Heartbreaker"), Kenny Rogers und Dolly Parton ("Islands In The Stream"), Diana Ross ("Chain Reaction") oder Celine Dion ("Immortality").

Überschattet wurde das Leben der Gibb-Brüder von tragischen Todesfällen. So starb 1988 ihr jüngster Bruder Andy, der Ende der 70er Jahre einige große Hits hatte (z.B. "I Just Want To Be Your Everything", 1977) mit 40 Jahren an einem Herzleiden. Ihm folgte Maurice 2003 mit 53 Jahren, der nach einer Operation einen Herzstillstand erlitt. 2006 wurde das Ende der Bee Gees bekanntgegeben, obwohl Barry und Robin noch weiter unter dem Namen auftraten – bis Robin 2012 an Krebs starb. Barry Gibb ging 2016 noch einmal allein auf Tournee und brachte das in Europa erfolgreiche Album IN THE NOW heraus.

Tony Manero nachdenklich am Ende der Saturday Night

Chartränge rund um den Globus. Auch ihre Komposition ”If I Can't Have You”, gesungen von Yvonne Elliman, war eine US-Nummer-1. Genauso kamen danach weitere Songs des Soundtracks, der ein Doppelalbum war, in die internationalen Charts: ”Boogie Shoes” von KC & The Sunshine Band, ”Disco Inferno” von The Trammps und das BeeGees-Stück ”More Than A Woman”, gesungen von Tavares. Der mit fünf Grammys dekorierte Soundtrack (u.a. 1978 für das „Beste Album des Jahres”) verkaufte sich bis heute 20,6 Millionen Mal. Er galt lange Zeit als bestverkauftes Album weltweit (1983 abgelöst von Michael Jacksons THRILLER) und als bestverkaufter Soundtrack (1992 abgelöst von THE BODYGUARD). Stigwood veröffentlichte das Doppelalbum am 15. November und den Film am 14. Dezember 1977. Diese Reihenfolge war ein Novum, mit dem Stigwood das CrossMarketing erfand: Die Musik machte den Film populär und umgekehrt – was funktionierte, denn auch der Film wurde ein Riesenerfolg. Bei einem Budget von 3,5 Millionen US-Dollar spielte „Saturday Night Fever” in den USA in den ersten elf Tagen elf Millionen und danach weltweit 237,1 Millionen Dollar ein. Von Anfang an war „Saturday Night Fever” ein enormer Publikumsrenner. Als das klar war, versuchten die Produzenten, noch mehr Zuschauer ins Kino zu bekommen, indem sie den Film entschärften. So kam 1978 eine Neuveröffentlichung ohne die Vergewaltigungsszene, mit weniger Gewaltszenen und abgemilderter Sprache heraus. Damit konnte der von 118 auf 113 Minuten gekürzte Streifen von einer Freigabe ab 16 auf eine ab zwölf Jahren herabgestuft werden. Die Rechnung ging auf, das jüngere Publikum sorgte für noch vollere Kassen. Auch die Kritiker waren begeistert. Sie lobten die Tanzszenen und die realistische Darstellung des New Yorker DiscoUndergrounds. Der Film war für etliche Preise u. a. bei den Golden Globes nominiert. John Travolta gewann 1977 als bester Hauptdarsteller den National Board Of Review Award und war sogar ein OscarKandidat. Hinzu kam eine späte Ehre: 2010 nahm man „Saturday Night Fever” in die National Film Registry auf, in dem kulturell, historisch oder ästhetisch bemerkenswerte und erhaltenswerte US-Filme eingetragen werden.

Nur Samstag Nacht": "deutsches Discofieber Am 13. April 1978 startete „Saturday Night Fever” unter dem Titel „Nur Samstag Nacht” (erst seit 2002 ist die deutsche Fassung „Saturday Night Fever” betitelt) in

Warten auf die Jury-Entscheidung

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der entschärften Version in den bundesdeutschen Kinos. In der DDR wurde der Film nicht gezeigt. Die Kritiker lobten Travoltas Tanzen, die Musik und den Realismus. Und das Publikum bevölkerte die Lichtspielhäuser, bis der Film 1978 die Goldene Leinwand für mehr als drei Millionen Zuschauer erhielt. Auch die Soundtrackmusik räumte ab. ”Stayin‘ Alive” und ”Night Fever” erreichten beide Platz 2 der bundesdeutschen Charts. Das Album kam auf Platz 1 und verkaufte sich mehr als 1,5 Millionen Mal, was ihm eine Platin-Schallplatte als Auszeichnung bescherte. Das ausgebrochene deutsche „Saturday Night Fever” sorgte dafür, dass neue und alte Discotheken mit Discokugeln, Lichtshow und Nebelwerfern wie im Film ausgestattet wurden. Die „Fever”-Fans kleideten sich für die Disco wie die Filmprotagonisten, und auf dem Dancefloor tobten sich etliche TravoltaKlone aus. Discotanzkurse wurden in jeder größeren Stadt angeboten – und genauso Wettbewerbe mit Slogans wie „Wer tanzt wie Travolta?”

Der Absturz geschah weltweit, auch in der Bundesrepublik. Hierzulande rümpften vor allem beinharte Rockfans bei Discomusik die Nase.

"Stayin' Alive": der Nachfolger

© Pressefotos

Foto: Bildarchiv Hallhuber

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Disco war tot, „Saturday Night Fever” aus den Kinos raus. Doch das konnte nicht alles gewesen sein, dachte sich Robert Stigwood und sorgte 1983 für eine Fortsetzung des Films. Regie führte „Rocky” Sylvester Stallone, der mit Norman Wexler das Drehbuch für den Nachfolger „Stayin' Alive” schrieb. Darin gelingt Tony Manero, der sich sechs Jahre als Tanzlehrer und Kellner durchgeschlagen hat, durch eine Rolle in einer DanceProduktion der Durchbruch am Broadway. John Travolta spielte wieder Tony Manero. Er konnte den Film aber nicht retten und kickte sich damit fast ins Karriere-Aus, denn die Kritiker verrissen „Stayin’ Alive” total als blutleeres, realitätsfernes Drama mit lahmen Tanzszenen. Dennoch war „Stayin’ Alive” an der Kinokasse ein Erfolg. Er spielte bei 22 Millionen US-Dollar Produktionskosten weltweit 127 Millionen US-Dollar ein. Das alte Fieber entfachten jedoch weder Flucht in die Samstagnacht der Film noch der zur Hälfte von den Bee Gees bestückte Soundtrack. Der kam in den „Saturday Night Fever” war zur globalen USA auf Platz 6, in der Bundesrepublik auf Popmode geworden. Aber warum? Was machRang 8 und verkaufte sich weltweit „nur" te die Faszination aus? Ein Grund ist natürlich 4,5 Millionen Mal. Auch die ausgekoppeldie Musik. Die Bee-Gees-Songs sind bestes ten Singles ”Far From Over” von Sylvester Songwriting mit Ohrwurmharmonien und Stallones Bruder Frank Stallone (USA: Platz einem funky Beat, der auf die Tanzfläche treibt 10, Bundesrepublik: Platz 11) und ”The – damals schlicht der perfekte Discosound. Der Fortsetzungsflop "Stayin' Alive" Woman In You” von den Bee Gees (USA: Platz Darüber hinaus zog der Film das Publikum 24, Bundesrepublik: Platz 23) zündeten nicht. hautnah in die Discowelt, die sich als Fluchtraum vor frustrierenden oder gar bedrohlichen Lebensumständen anbot. Und: Das Disco40 Jahre danach: "Saturday Night Fever" heute Erlebnis offerierte Verlockungen – Spaß beim Tanzen, Flirten mit der Aussicht auf Sex, das Sich-Berauschen an der Musik, Alkohol oder Der „Stayin’ Alive”-Film war schnell vergessen – „Saturday Night anderen Drogen. Fever” aber nicht. In den 90er Jahren sorgten Bands wie Jamiroquai Das vermittelte der Film – und die Geschichte oder Incognito mit ihren Funksongs und speDisco-König des Tony Manero zudem eine Botschaft, die John Travolta ziell N-Trance mit europaweit sehr erfolgreiweltweit ankam: Du kannst auch als kleiner chen Neuauflagen alter Discohits (u. a. ”Stayin’ Angestellter, Arbeiter, Schüler Anerkennung Alive”, 1995) für ein Revival der Discomusik bekommen, indem du dich selbst verwirklichst. der 70er, die sich zu Dance-Pop, Techno und House weiterentwickelt hatte. Der Absturz: " Disco sucks" Im Zuge des Revivals wurde „Saturday Night Fever” als Musical erneut zum Leben erweckt. Die Musikindustrie wollte natürlich vom Beginnend 1998 im Londoner West End, phänomenalen Erfolg von „Saturday Night ging die Aufführung in einer völlig entFever” profitieren und veröffentlichte rasend schärften Fassung mit wechselnden Ensembles schnell unzählige Discotracks. Doch die Musik um die Welt, bejubelt von Millionen Fans. war nicht nur beliebt. Es gab konservative Auch in Deutschland gastierte das Musical Discohasser, die es anwiderte, dass Disco (1999 in Köln, 2004 deutschlandweit, 2013 in aus der Homosexuellenszene entstanden war Frankfurt/Main). und viele Musiker und Partygänger schwarz Daneben erinnern sich die Medien zu den runwaren. Der Drogenkonsum und der Sex auf den Geburtstagen des Kinostarts an den Film, den Partys, die oft sexuelle Note der Songs, und die Plattenfirma bringt Spezialeditionen das alles war für sie höchst unmoralisch. heraus. So veröffentlichte Capitol Records Feministinnen stimmten mit ein und meinzum 40-jährigen Jubiläum des US-Kinostarts ten, Disco würde Frauen diskriminieren. Und 2017 nur in den USA eine Remaster-DeluxeRockfans verachteten Disco als unmännlich. Version mit dem Original-Soundtrack auf So formierte sich die Gegenbewegung „Disco zwei LPs und zwei CDs mit vier Remix-Tracks, sucks” (dt.: „Disco ist scheiße”) 1977, als das dem Film auf Blu-ray-Disc plus Bonus-Film„Saturday Night Fever” begann. Ihr Höhepunkt Material, einem 24-Seiten-Buch und diversem Artwork. war die „Disco Demolition Night”, in der Radio-DJ Steve Dahl am 12. Sieht man den Film heute, ist der Blick zurück in die Discoszene der Juli 1979 bei einem Baseball-Spiel im Comiskey Park in Chicago eine 70er Jahre immer noch unterhaltsam. Und selbst wenn das Thema Kiste mit Disco-Alben in die Luft sprengte. Das hatte er zuvor seinen der Selbstverwirklichung mittlerweile etliche Male filmisch verarbeiHörern angekündigt, die nur deswegen zahlreich ins Stadion geströmt tet wurde, wirkt die Entwicklung von Tony Manero auch heute noch waren. spannend. Dazu kommen die Tanzkünste des jungen John Travolta, Die Bewegung hatte Erfolg, denn zu dieser Kritik kam, dass selbst die nach wie vor mitreißen – genau wie die groovenden Songs, die den Discofans der Overkill zu viel wurde. So gingen die Verkäufe ab auch 40 Jahre nach dem ersten „Saturday Night Fever” jede Tanzfläche 1980 rapide zurück, auch für die Bee Gees, die erst 1989 wieder einen füllen. US-Top-Ten-Hit verbuchen konnten. GoodTimes

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Von Roland Schäfli

Die erste Szene des allerers­ Jerry- Spring -Aben teuers ten beginnt an einem Lager feuer – Ausga ngspu nkt so vie­ ler Helde ngesc hichte n. Ein Mexikaner denkt sich: "Ein Reiter kommt über den Fluss." Man sieht dann den nahen ­ den Mann als Silhouette beim Durch quere n des Wasse rs, wie er dem Pferd gut zuredet: Ruhig, Ruby!" Das Reittier ist " die zuverlässige rote Stute Ruby, der Mexikaner ist der komi­ sche Pancho, der Reiter natür­ lich Jerry Spring. In der schwarz getuschten Nacht ist erst nur sein weißer Stetson zu erken­ nen. Sein Ritt sollte schließlich 23 Jahre dauern ...

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evor dieser Jerry das erste Mal aufsatteln konnte, war sein Schöpfer auf einem ganz anderen Ritt, quer durch die wildromantischen Landschaften der Staaten, in einem gebrauchten Hudson. Die Reise sollte legendär werden. Am Steuer Joseph Gillain, von allen Jijé genannt. Als Beifahrer die Jungtalente Morris und Franquin. Für die Comiczeichner waren die unberührten Landstriche wie ein weißes Blatt, eine unbemalte Landschaft. Morris würde nach diesem Trip „Lucky Luke" schaffen. Franquin würde als Schöpfer von „Gaston" Berühmtheit erlangen. Und Jijés Schicksal? Das wurde gleich nach seiner Rückkehr vom französischen Verleger Dupuis bestimmt: Die US-Serie „Red Ryder", an der Jijé ebenfalls mitgearbeitet hatte, wurde abgesetzt, und Dupuis brauchte Ersatz. Nach dem Krieg fluteten US-Comics den Markt. Dupuis wollte aber ein einheimisches Produkt schaffen. Das Jahr war 1954, der Western stand in voller Blüte. Die Fernsehprogramme Seite

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waren voll mit Wildwest, im Kino hatten die Herren Wayne, Stewart und Randolph Scott die Zügel fest in der Hand. Ein Western-Comic war also nicht gerade eine bahnbrechende Idee – ein franko-belgischer Western hingegen doch ein gewagtes Experiment.

Wie ein Schlafwandler Aus Spaß sagte Jijé zu. „Und außerdem zeichne ich gerne Pferde." Dazu sollte er nun mehr als genug Gelegenheit haben. Woche für Woche beackerte er seine Parzelle im Comic-Magazin „Spirou". Es waren weniger die Standardhandlungen, die überzeugten. Vielmehr waren es die atmosphärischen Bilder, die den Leser sofort in ihren Bann schlugen. Jijé war vollgesogen von den Landschaften; die Sandstein-Tafelberge des Monument Valley tauchten regelmäßig in seinen Hintergründen auf. Er plante die Handlungen kaum voraus, ließ sich von den Figuren gern selbst mitreißen. So kam es mitunter zu spannenden Wendungen. Als Autor war Jijé trivial, im besten Sinn des Wortes. „Ich habe damals gearbeitet wie ein Schlafwandler", erinnerte er sich, „darin bestand ja meine Genialität!" GoodTimes

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Ein Freigeist wie Pancho Seine Figur des Jerry Spring war ein Konglomerat der damals noch gängigen, ungebrochenen Westernhelden. So aufrecht war er, mitunter tatsächlich „ein Strich in der Landschaft". Die rabenschwarzen Haare glänzten pomadisiert. Das Hemd wurde in der Signalfarbe Gelb koloriert – diese Arbeit überließ der ungeduldige Jijé gern anderen Auftragszeichnern, er begeisterte sich mehr für die eigentliche Kreation, das Zeichnen mit Bleistift. Die Bilder wirkten unverkrampft, eben nicht, als hätte er sich sonderlich anstrengen müssen – genau der Effekt, den Jijé beabsichtigte. Da die Hauptfigur wenig Humor verbreitet, musste ein klassischer „Sidekick" her: der Mexikaner Pancho, Jerrys Amigo, der sich immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Mit diesem unbesorgten Freigeist hatte der Schöpfer des Duos mehr gemein als mit dem perfektionistischen Marshal. Jijé führte mit seiner Familie ein Zigeunerleben, wollte sich erst in Spanien niederlassen, zog dann durch Frankreich. Schließlich wurde er in einem Pariser Vorort sess­haft.

Ein Christ durch und durch

Das Häuschen, in dem er in ständigem Chaos lebte und in dessen Garten er eine Palme aufzuziehen versuchte, war Anlaufstelle für viele Zeichner. Der Verlag schickte ihm die Nachwuchstalente, damit sie ihm zur Hand gehen konnten und im Gegenzug das Handwerk erlernten. Hubinon etwa, der durch „Buck Danny" später zum festen Begriff in der

Seine Fertigkeit am Schießeisen beweist der Westmann erstmals auf Seite 5 des ersten Bandes: Er schießt einem Gegner den Revolver aus der Hand, und zwar aus der Hüfte – ohne zu ziehen, direkt durchs Holster geschossen. Ganze 15 Jahre, bevor solche Schießkünste im Spaghetti-Western in Mode kamen. Doch Spring schießt nie, um zu töten. Als aufrechter Marshal in einer Comic-Welt kann er es sich leisten, Gnade walten zu lassen. In diesen hehren Tugenden ist deutlich Joseph Gillains Wertekodex zu sehen. Der christliche Humanismus prägte sein Werk. Aufgewachsen in einer schwer katholischen Familie – zwei Brüder waren Priester, zwei Schwestern Nonnen –, erhielt er seine Schulbildung auf einer katholischen Privatschule. Zweifellos war für ihn vorgesehen, nach der Lehre als Goldschmied Objekte für den religiösen Gebrauch herzustellen. Dazu sollte es indes nicht kommen. Er wählte eine anfangs wenig vielversprechende Laufbahn und hielt sich mit Kalenderzeichnungen und Werbe-Illustrationen über Wasser. Dabei muss man verstehen, dass Comic-Künstler in jenen Tagen Hungerkünstler waren, von ihren Verlegern kurzgehalten, stets die Deadline für die Ablieferung der nächsten Seiten im Nacken. Dass jemand wie Jijé, der es zur grafischen Meisterschaft brachte, unter solchen Umständen arbeiten musste, erstaunt heute, wo Kenner für Originale hohe Summen hinblättern.

Comic-Welt wurde, fand in ihm einen strengen, aber großzügigen Mentor. Morris verbeugte sich vor seinem Meister, indem er Jerry Spring in seiner Lucky-Luke-Serie einen Gastauftritt absolvieren ließ (1960, in „Den Daltons auf der Spur"). Der frühere Schüler fing in seiner Karikatur präzise die Merkmale von Jerry Spring ein: So steif ist er, dass sogar sein Rücken unmenschlich durchgebeugt ist, die pomadisierte Tolle ragt derart weit vor, dass sein Gesicht in ständigem Schatten liegt (wie auch Jijé seine Figur gern mit Schattenwurf tuschte). Jijé brachte seinen Aspiranten den „Blick" bei; seine bevorzugte Übung: nur aufs Modell zu blicken, nicht aufs Zeichenblatt. Sein wichtigster Schüler war jedoch Jean Giraud, der dann 1963 „Blueberry" erfand, einen direkten Nachfolger von Jerry Spring. Zwar sollte Giraud bald aus Jijés Schatten treten, doch der erste Blueberry-Zyklus, die Kavallerie-Western, verraten noch Gillains Einfluss. Tatsächlich trug Jijé das Seine zu Blueberry bei, indem er seinem Ex-Schüler einmal bei einigen Seiten aushalf, als dieser in Zeitnot geriet.

Schon als dann Fotoromane aufkamen, geriet der realistische Comic in Bedrängnis. Doch spätestens, als der vorbildliche Held zu Beginn der 60er Jahre als passé galt, waren Jerrys Tage endgültig gezählt. Der Anti-Held stand auf der Schwelle. Derselbe Verleger, der die Serie lanciert hatte, diktierte auch ihr Ende. Jerry Spring sollte nicht mehr in Albenform herausgebracht werden. Den Vorschlag, ihn innerhalb des Blattes zur Fortsetzungsserie zu machen, schlug der stolze Jijé aus. Nach 25 Alben war definitiv Schluss. Wie so oft bei deutschen Veröffentlichungen erlebte der deutsche Leser die Serie unvollständig. 1971 brachte Bastei 16 Bände heraus. Die Leserschaft, von Bastei Fließbandheftchen gewohnt, nahm die Qualität (auch des hochwertigen Papiers) schnell zur Kenntnis; „Jerry Spring" war sogar mit klassisch anmutenden neuen Covern ausgestattet worden. 1984 übernahm dann der Condor Verlag, stellte die Serie aber nach zwei Jahren ein. 1987 versuchte sich der Carlsen Verlag am heimatlosen Gesetzeshüter, gab jedoch nach zehn Bänden auf. Erst 2010 brachte der Ehapa Verlag eine Gesamtausgabe auf den Markt – in Schwarzweiß. So hätte Jijé sich das gewünscht. „Ich habe Schwarzweiß immer bevorzugt", sagte Zwei treue er einmal. Doch als die Amigos: Jerry Gesamtausgabe erschien, und Pancho war der legendäre Comic-Zeichner, dessen Jerry Spring der Vorreiter für alle ernstzunehmenden Edelwestern war, schon seit 30 Jahren tot.

Die Schule berühmter Zeichner

Das Ende – und ein Neuanfang

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Olivia NewtonJohn

Discoroller

Wie eine ganze Generation ins Rollen kam Vier Rollen und ein Stopper unter dem Spezialschuh - die Discoroller waren in den 1980er Jahren ­hierzulande ein Massenphänomen. Ob in Leder oder Nylon, jeder drehte seine Pirouetten damit. Ganz hip unterwegs waren dabei alle, die sich die angesagten Leuchtrollen montiert hatten. Und wer erinnert sich nicht an die Wettbewerbe, in denen es darum ging, wer als Erster seine Stopper weggebremst hatte. Was viele jedoch nicht wissen: Der Kult hat seinen Ursprung im Jahr 1760!

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lles begann mit reichlich Scherben und einem tollkühnen Erfinder in einer Zeit, als es noch keine Discos gab, Rollen aber schon. Jean-Joseph Merlin (1735–1803) rauschte einst im Jahre 1760 bei der Präsentation seiner Rollschuherfindung ungebremst in einen wertvollen Spiegel. Abgeschreckt hat das allerdings niemanden. Und schon gar nicht Jahre bzw. Jahrhunderte später die Prominenz: ob Fürst Metternich, Jack Nicholson, Madonna oder Jessica Simpson. Sie alle haben jüngst die Discoroller wieder aus dem Keller geholt, um entweder in ihren Videoclips ein paar lukrative Runden zu drehen oder einfach nur Spaß zu haben. Ist der Discoroller eigentlich überhaupt zu stoppen? Mal ist er in, dann wieder out, ja – aktuell ist er jedoch auf jeden Fall angesagter denn je. Seit über 250 Jahren braust das gute Stück nun also bereits durch die Weltgeschichte. Und dabei hat sich der Discoroller sogar strenggenommen aus dem Inliner entwickelt, bei dem die Rollen in einer Reihe, also „in line" montiert sind. Je zwei Rollen schraubte besagter Jean-Joseph Merlin damals unter seine Schlittschuhe, um die erlauchte Seite

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Gesellschaft im Ballsaal des englischen Königshauses zu beeindrucken. Mit gewagten Pirouetten glitt er durch den Saal und spielte gleichzeitig auch noch Violine dabei. Eine grandiose Vorstellung – mit einem kleinen Haken: Merlin hatte vergessen, sich um eine geeignete Bremsvorrichtung für seine Erfindung zu kümmern. Und so kam es, dass er ungebremst in einem 500 Pfund teuren Kristallspiegel landete, der mit viel Getöse zerbarst. Pech für Merlin, Glück für seine Erfindung, die daraufhin dennoch ihren Siegeszug antrat. Zunächst in Meyerbeers Oper „Der Maler und das Wintervergnügen". Das eigentliche Schlittschuhballett wurde kurzerhand zur Rollschuhnummer, bei der sich nur die Mutigsten trauten, die noch aus Holz gefertigten Rollen anzuschnallen. Für Furore sorgten ab 1840 zudem umtriebige britische Gastronomen, die ihre Bedienungen auf Rollen an die Besuchertische fahren ließen. Dass dabei das eine oder andere Bier verschüttet wurde, verbuch2/2018


te man unter der sprichwörtlichen Volksbelustigung. 1863 kam dann der große Durchbruch auf vier Rollen. Der amerikanische Mechaniker James Leonard Plimpton (1828–1911) befestigte die Rollen an Federn und verpasste den Schuhen zudem je zwei Paar Räder. Der Plimpton-Skate war so komfortabel wie kein Rollschuh zuvor. Er ermöglichte elegante Kurvenfahrten und war der Startschuss für den Beginn eines wahren Rollerbooms. 1867 eröffnete in Cincinnati die erste amerikanische Rollschuhbahn: Rinks. Danach dauerte es nicht lange, und die Mode schwappte über den großen Teich auch nach Europa. Leisten konnte sich den Spaß zunächst aber nur die damalige Oberschicht, zu hoch waren die Eintrittspreise der prunkvoll gestalteten Bahnen wie etwa im Rink des Wiener Praters. Anfang des 20. Jahrhunderts schossen die Rollschuhpaläste dann aber wie Pilze aus dem Boden, denn mittlerweile war das Rollen auf vier Rädern auch für nicht ganz so Betuchte erschwinglich geworden. Das Rollerfieber sprang auf die Masse über, und so schwelgte man zu den Rhythmen des Paul-Lincke-Schlagers "Roll, Mädel roll". Ab den 1970er Jahren revolutionierten Kunst­ stoffräder das Fahrvergnügen. Statt auf holprigem Metall fuhr man ab sofort recht komfortabel auf Gummirollen. Wer als erster jedoch auf die Idee kam, seine Roller mit in die Disco zu nehmen, ist bis heute nicht überliefert. 1980 feuerten B-Filme wie „Xanadu" mit Olivia Newton-John die Discoroller-Euphorie weiter an. Anfang der 1980er Jahre, als das Rollerdisco-Fieber in den USA bereits seinen Zenit überschritten hatte, kam der Trend dann auch zu uns. Und plötzlich düsten in unserer Siedlung alle auf den neuen bunten Rollen durch die Straßen oder besser gesagt über die Gehwege – das Ganze gern gepaart mit Föhnfrisuren, Nietengürtel und Netzhemden. Bei letzterem erkenne ich mich eindeutig wieder. Mit meinem Kumpel gab es ab sofort einen inoffiziellen Wettbewerb: Wer seine Stopper schnellstmöglich an die Verschleißgrenze brachte, der konnte von sich behaupten, besonders cool zu sein. Bei der Produktion der Discoskates ließen die Hersteller damals ihrer Fan­

tasie und Farbenfreude freien Lauf. Oftmals hatte jedes Bauteil eine andere schrille Farbe. Rollen und GoodTimes

Bremsblock waren meist austauschbar, so dass die Schuhe sehr individuell gestaltet­ werden kon­­ nten. Wie der Name schon vermuten lässt, hängen die Discoroller eng mit den Rollerdiscos zusammen, die schnell zum beliebten Treffpunkt wurden. Und dabei spielte meist nicht die hohe Geschwindigkeit, sondern der Spaß beim gemeinsamen Rollschuhfahren mit Freunden die Hauptrolle. Nicht selten war die Rollerdisco aber auch ein genialer Treffpunkt für das erste Date. Mit der passenden Musik im Hintergrund und dem ganzen Ambiente drum herum fiel es leicht, seiner Auserwählten zu demonstrieren, was für coole Tricks und Fahrkünste man so drauf hatte. 1988 schlug passend zum Trend das Musical „Starlight Express" in Bochum sein Quartier auf und zählt als Welterfolg mittlerweile über zwölf Millionen Besucher. Genau ein Jahrzehnt lang währte die Discoroller-Manie, dann brauste der nächste Trend aus den USA heran. Die Inliner verbannten die Discoroller erst einmal in den Keller. Die neue Devise lautete: Geschwindigkeit statt Ästhetik. Die harten Schalenschuhe stützten die Gelenke und ermöglichten erstmals so richtig rasantes Fahren. 2002 besaßen schon über 17 Millionen Deutsche ein Paar Inliner zu Hause – einer davon war ich. Mein allwöchentlicher Marathon mit vielen anderen Begeisterten, aber auch etliche Stürze inklusive Knochenbrüchen (dank der fast nicht mehr zu kontrollierenden Geschwindigkeit!) taten meiner Begeisterung keinen Abbruch. Aber – just in dem Moment, als wir uns hierzulande alle richtig toll vorkamen auf unseren Inlinern, zeigten uns die Amerikaner abermals, wohin der (Retro-)Trend ging. Sie läuteten zur Jahrtausendwende ein spektakuläres Revival der ZweiAchser ein. Wirklich Hippe schnallen sich seitdem wieder die Discoroller an und schwelgen in Erinnerungen an ihre Jugendzeit. Denn Discoskates konnte in den Achtzigern jedes Kind fahren – verlernt hat's also keiner. Viele Her­steller haben aktuell wieder neue und farbenfrohe Vari­anten des Discorollers im Programm. Und auch die Jugend von heute schläft nicht, und so Musical Starlight erlebe ich das "Express" Revival hautnah – nicht zuletzt dank der Töchter meiner Partnerin, die das Fahren mit Discorollern von einst als Rollkunstläuferinnen in Kürpokal-Wettbewerben begeistert zelebrieren. Markus Nöth 2/2018

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TV-Shows von Kuli bis Kerkeling

Von Thorsten Schatz

Das war Spitze! 1952 startete mit der Unterhaltungssendung Eine nette Bescherung" " im westdeutschen Fernsehen der Siegeszug der TV-Shows. kult! blickt zurück auf die Entwicklung dieses bei den Deutschen so beliebten Entertainment-Formats.

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n der Bundesrepublik wurde der Fernsehbetrieb nach dem Zweiten Weltkrieg am 25. Dezember 1952 mit neuen Programmen des NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk) wieder aufgenommen. Die TV-Macher wollten das Medium rasch zum Erfolg führen und setzten auf die Umwandlung von Radiosendungen in Fernsehformate. Besonders beliebt war fröhliche Radio-Unterhaltung, die dem Publikum nach den Schrecken des Krieges als Ablenkung von der schmerzhaften Erinnerung daran und der damaligen Alltagsroutine diente. So wurde am 26. Dezember 1952 „Eine nette Bescherung" mit dem beliebten Entertainer Peter Frankenfeld im TV ausgestrahlt, der die Sendung bereits im Radio moderiert hatte. Sie folgte der Idee des „Bunten Abends", bei dem Frankenfeld Musik und andere Showeinlagen präsentierte. Die „Bescherung" wurde ein Publikumserfolg, aber die Kosten für die auftretenden Künstler waren für weitere Sendungen zu hoch. Frankenfeld löste das Problem, als er die Idee hatte, Spielelemente seines Radioformats „Wer zuletzt lacht …" ins Zentrum einer TV-Unterhaltungssendung zu stellen und Künstlerdarbietungen nur als Beiwerk einzuflechten. So entwickelte er die erste Fernsehshow „1:0 für Sie" (1954/55), die er auch moderierte. Sie bot alles, wofür der Begriff Show bzw. Unterhaltungssendung bis heute steht: Spiele, Seite

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ein Livepublikum, Künstlerauftritte, Gespräche und einen Moderator. Kurz darauf folgte ein weiteres neues erfolgreiches TV-Showformat: das Quiz „Was bin ich?" mit Robert Lembke (1955–1958, 1961–1989). Das Konzept übernahm man von der US-TV-Show „What’s my line?” (1950–1975) – so, wie auch danach und bis heute etliche erfolgreiche Formate anderer Länder für das deutsche Fernsehen übernommen wurden. Ganz ähnlich warfen die TV-Verantwortlichen der DDR ein Auge auf die BRD-Programme und setzten ebenfalls auf Unterhaltung. Allerdings zeigte man in der ersten großen Erfolgsshow „Da lacht der Bär" (1956–1965), moderiert von Heinz Quermann, Gustav Müller und Gerhard Wollner, auch Kabaretteinlagen, die die Forderung der DDR-Regierung nach Wiedervereinigung ohne Einbeziehung der alliierten Siegermächte thematisierten. Solche Politelemente flogen jedoch 1961 nach dem Mauerbau aus den Ost-Shows heraus. Die boten nun Unterhaltung pur, obwohl es auch eine Show ganz im Zeichen des „Arbeiter- und Bauernstaats" DDR gab: „Mit dem Herzen dabei" (1964–1968). Darin präsentierte Moderator HansGeorg Ponesky nicht nur Spaß und Musik, sondern auch besonders fleißige Arbeiter, die geehrt wurden, indem ihnen beispielsweise die Renovierung ihres Hauses geschenkt wurde.

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Tatsächlich kam die DDR-Wirtschaft in den 50ern und 60ern allmählich in Gang, allerdings nicht so rasant wie in der Bundesrepublik, wo man von einem regelrechten „Wirtschaftswunder" sprach. In Ost und West sorgte der Aufschwung dafür, dass die Bürger ihr Geld u. a. vermehrt für Konsumgüter wie Fernsehgeräte ausgaben. Die verbilligten sich in den 60ern und wurden zuerst in der BRD, dann in der DDR zum erschwinglichen Massenmedium. Im West-TV avancierten damals sofort die Samstagabend-Shows als Nachfolger von „1:0 für Sie" zu den beliebtesten Sendungen. Mit Raterunden, Sketchen, Musik und Tanz unterhielten sie die Fernsehnation. Das Quiz „Einer wird gewinnen" mit HansJoachim Kuhlenkampff, (1964–1969, 1979–1987), „Der goldene Schuss" mit Lou van Burg und Vico Torriani (1964–1970), „Zum Blauen Bock" mit Heinz Schenk (1957–1987), die „Rudi Carrell Show" (1965–1973), „Wünsch Dir was" mit Dietmar Schönherr und Vivi Bach (1969–1972) und die „Peter Alexander Show" (1969–1995) brachten Einschaltquoten bis zu 90 Prozent. Diese Unterhaltungssendungen waren als Shows für die ganze Familie gedacht. Doch die damals gegen die Erwachsenen rebellierende Jugendgeneration konnte wenig mit dem braven Samstagabend-Programm anfangen. Der Produzent Mike Leckebusch griff das auf und schickte 1965 bei Radio Bremen den „Beat-Club" mit Uschi Nerke als Moderatorin und Musikhelden wie Santana, Jimi Hendrix oder The Who auf den Bildschirm. Die erwachsene konservative Ecke empörte sich gegen die „Affenmusik" der aufmüpfigen Jugend, die nun ihre eigene Show hatte. Ihr folgten nach ihrem Ende 1972 der „Musikladen" mit Manfred Sexauer und Uschi Nerke (1972–1984) und „Disco" (1971–1982) mit Ilja Richter. Erwähnenswerte neue Jugendsendungen mit Showcharakter gab es dann erst wieder Ende der 80er Jahre mit dem erfolgreichen „Live aus dem Alabama" (1984–1997, ARD) und „Doppelpunkt" (1987–1995, ZDF) mit "Wetten, dass ...?" einer Mischung aus Talk über Jugendthemen, Popclips und Livemusik. Für die jüngste Generation in der Familie, die Kinder, war das DDRFernsehen Showvorreiter. Schon 1964 moderierte Gerhard „Adi" Adolph die Sport-Spiel-Show „Mach mit, mach's nach, mach's besser" (bis 1991). 1977 erst führte Michael Schanze „1, 2 oder 3" als erste Kindershow im West-TV zum Erfolg, der bis in die 90er Jahre kein entsprechendes nennenswertes Format folgte. Was die erwachsenen Familienshows anging, so blieben die auch in den 70ern die Publikumsrenner: Quotenhits waren Rudi Carrells „Am laufenden Band" (1974–1979), „Auf Los geht’s los" mit Joachim Fuchsberger (1977– 1986), „Dalli Dalli" (1971–1986) mit Hans Rosenthal, „Der große Preis" mit Wim Thoelke (1974–1993) und „Musik ist Trumpf" mit Peter Frankenfeld und Harald Juhnke (1975–1981). Genauso setzte man in der DDR mit der populärsten und langlebigsten Show „Ein Kessel Buntes" (1972–1992) weiter auf Familienunterhaltung. Wechselnde Moderatoren (u. a. Manfred Uhlig, Helga Hahnemann, Gunther Emmerlich) zeigten eine vom BRD-TV abgeguckte Mischung aus Musik, Tanz, Sketchen, GoodTimes

Artistik, nationalen und internationalen Stars wie Abba, Falco und Boney M. So sollten die Zuschauer vom WestProgramm weggelockt werden, das sie heimlich sahen. Der „Kessel" bekam jedoch mächtig Konkurrenz, als das ZDF „Wetten, dass …?" startete (1981–2014), das in ganz Europa zum Megahit aufstieg. Allerdings war „Wetten, dass ..?" zu Beginn der 80er Jahre eine innovative Ausnahme, denn die westdeutschen Fernsehmacher setzten auf die immer gleiche, mittlerweile altbackene Showdramaturgie – bis der Start des Privatfernsehens 1984 die erlahmte bundesdeutsche TV-Landschaft ordentlich aufmischte. Neue Sender wie RTL, Sat. 1, ProSieben oder Tele 5 mussten Quote machen, um durch viel Werbung im Am laufenden Band" Programm zu überleben. Sie zogen " das Publikum u. a. mit neuen, meist aus dem Ausland übernommenen Showformaten an, bei denen sie richtig aufs Gas drückten. Spielshows wie „Ruck Zuck" (Tele 5), „Familienduell" (RTLplus), „Der Preis ist heiß" (RTL) waren rasanter, die Ulkshow „Alles Nichts Oder?!" (RTL) schriller und die Nackedeiparade „Tutti Frutti" (RTLplus) schlüpfriger als alles, was die ÖffentlichTutti Frutti" " Rechtlichen im Fernsehen zu bieten hatten. Das setzte sich fort. In den 90ern sprengten die Privaten weiter Grenzen, etwa mit neuen PreisgeldSpitzen in der „100.000 Mark-Show" (1993–2000) und seit 1999 in „Wer wird Millionär?". Dazu kamen erste an der Humoroberfläche agierende Comedytruppen (u. a. „RTL Samstag Nacht"), KrawallTalk-Shows wie der „Heiße Stuhl" (1989–1994) und seit 1992 eine Schwemme an oft Menschen vorführenden Daily Talks – alles weit entfernt von der Seriosität öffentlich-rechtlicher Gesprächsrunden wie „3 nach 9" (seit 1974, NDR, RB, SFB) oder dem Polittalk des „Internationalen Frühschoppens" (1953–1987). Die Grenzüberschreitungen der Privaten gingen seither und bis heute mit Trashformaten wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" (seit 2004, RTL) oder der Nackt-Dating-Show „Naked Attraction" (seit 2017, RTL II) weiter. Allerdings sind durch diese Entwicklung auch ARD und ZDF seit den 90ern offener und innovativer geworden. Und so wird aktuell im deutschen Fernsehen jedes Interesse – sei es nun Trash oder intelligente Unterhaltung – bedient. Dazu gehören auch Neubelebungen von Erfolgen der Vergangenheit („Dalli Dalli", „Ruck Zuck") und einige Samstagabend-Shows (z. B. „Feste der Volksmusik", seit 1994, MDR), „Schlag den Star (Raab)" (seit 2006, ProSieben), „Klein gegen Groß" (seit 2011, ARD). Dies alles findet auf immer mehr Sendern statt, was eine Vielfalt mit sich bringt, die das einstige Konzept der großen, generationenübergreifenden TV-Show überholt hat. Die Zeiten, als sich die ganze Familie zum gemeinsamen „Wetten, dass …?"-Gucken versammelte, um danach über die Sendung zu sprechen, sind vorbei. Dennoch wird es Showformate jeder Art weiterhin geben, denn sie befriedigen nach wie vor das Bedürfnis der Zuschauer nach vergnüglicher, spannender, emotionaler Ablenkung vom grauen Alltag. 2/2018

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TV-Shows von A bis Z

A wie Alles nichts oder?!

In dieser beliebten Comedy-Spielshow (1988–1992, RTL) zickten sich die Moderatoren Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder – gespielt – ständig an, während ein Prominenter (u. a. Sepp Maier, Alice Schwarzer, Harald Schmidt) sinnf reispaßige Spiele über sich ergehen ließ. Der Gast und die Moderatoren bekamen am Ende der Sendung Torten ins Gesicht.

B wie Biolek, Alfred

Der gelernte Jurist Alfred Biolek (geb. 1934) agierte als TV-Produzent (u. a. „Am laufenden Band") und als Erfinder und Moderator z. B. der Talkshow „Kölner Treff" (seit 1976) und von „Bio’s Bahnhof" (1978–1982), wo u. a. Kate Bush, Sting und Herman van Veen ihre ersten Auftritte im deutschen Fernsehen hatten. In „Boulevard Bio" (1991–2003) hatte der einfühlsame Talkmaster und Grimme-Preisträger u. a. Helmut Kohl zu Gast. Und in „Alfredissimo" (1994– 2006), seiner letzten Show, kochte er mit vielen Stars.

C wie Carrell, Rudi

Der Holländer Rudi Carrell (1934–2006) war einer der populärsten Showmaster im deutschen Fernsehen. Er moderierte die erfolgreiche „Rudi Carrell Show" (1965–1973) und die noch beliebtere Spielshow „Am laufenden Band" (1974–1979). Weitere Erfolge: u. a. das Comedyformat „Rudis Tagesshow" (1981–1987), die Flirtshow „Herzblatt" (1987–2005), „Die Rudi Carrell Show – Lass Dich überraschen" (1988–1992), die teilweise mehr Zuschauer als „Wetten, dass ...?" (s. unter W) hatte, und die von ihm erdachte ComedyShow „7 Tage, 7 Köpfe" (1996–2005). Seite

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D wie Dalli Dalli

Der beliebte Entertainer Hans Rosenthal (1925–1987) entwickelte aus seiner WDR-Radiosendung „Die dreifache Chance" (1968–1970) den Showklassiker „Dalli Dalli" (1971– 1986, ZDF, Neuauflagen: 1995– 1997, 2011–2015). Zum Kult wurde ab 1976 sein berühmter Sprung: „Sie sind der Meinung: Das war …", rief er, und das Publikum ergänzte: „Spitze!" – und er sprang in die Luft. Die Temposhow mit acht Prominenten und einem Saalkandidaten war mit Rosenthal ein Publikumsrenner. Die erspielte Geldsumme erhielt eine notleidende Familie. Daraus entstand die „Hans-Rosenthal-Stiftung".

E wie 1, 2 oder 3

Das Konzept dieser ersten westdeutschen und langlebigsten Kinder-TVShow (seit 1977, ZDF) stammt vom US-Format „Runaround" (1972/73). Populär machte sie, als erster von sechs Moderatoren, Michael Schanze (1977–1985), der herzlich und behutsam mit den jungen Mitspielern Sein Markenzeichen umg ing. wurde sein „Plopp"-Kommando im Ratespiel („Plopp heißt: Stopp") und im von ihm gesungenen Titellied.

F wie Frankenfeld, Peter

Peter Frankenfeld (1913–1979) war ein prägender Entertainer des westdeutschen Nachkriegsfernsehens. Er wurde in den 1950ern als Radiomoderator in Deutschland populär und entwickelte die von ihm moderierte erste Spielshow im deutschen TV: „1:0 für Sie" (1954/55, ARD). Seine größten TV-Erfolge danach waren die Spielshow „Vergißmeinnicht" (1964–1970, ZDF) und die Revue „Musik ist Trumpf" (1975–1981, ZDF) mit Sketchen, in denen er sich wie in all seinen Sendungen als begnadeter Humorist zeigte.

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G wie Gottschalk, Thomas

Der ehemalige Lehramtsstudent Thomas Gottschalk (geb. 1950) stieg seit 1971 beim Bayerischen Rundfunk als Moderator von Popsendungen auf. 1976 begann seine TV-Karriere mit der Pop-Clip-Show „Szene". Es folgten u. a. „Telespiele", „Thommys Pop-Show", „Na so was!". 1987 übernahm er von Frank Elstner „Wetten, dass ...?", das er mit einer Pause (1992/1993) locker, frech und stets gewagt gekleidet bis 2011 als Deutschlands beliebtester Showmaster präsentierte (s. unter W). Danach moderierte er mäßig erfolgreich weitere Shows.

Quiz „Einer wird gewinnen" mit Einschaltquoten bis zu 90 Prozent. Nach seinem Ausstieg moderierte er anspruchsvolle Sendungen wie „Nachtgedanken" (1985–1990) oder „Zwischen gestern und morgen" (1997/98). In Erinnerung bleibt er als einer der populärsten deutschen T V-Entertainer.

L wie Lippert, Wolfgang

Wolfgang Lippert (geb. 1952) war in der DDR ein T V-P ublikums­ liebling. Er moderierte die Kindersendung „He – Du" (1983–1986), „Meine erste Show" (1984), „Glück muss man haben" (1988–1997) und „Ein Kessel Buntes" (1988). Er war der erste DDR-Moderator mit eigener Show („Stimmt's?", 1988–1990) im Westfernsehen. 1992/93 übernahm er „Wetten, dass ...?" (s. unter W). Danach moderierte er diverse kleinere Shows.

H wie Harreis, Sigi

Die Journalistin und Dolmetscherin Sigi Harreis (1937–2008) galt, als sie 1980 von Frank Elstner die Moderation der populären „Montagsmaler" (1974–1996, ARD) übern a h m , als erster weiblicher Showmas­ im ter deutschen Fern­ sehen. Da­ neben moderierte sie Shows wie „Das Baden-Badener Roulette" (1986–1992, ARD). 1998 zog sie sich ins Privatleben zurück.

I wie Ich trage einen großen Namen

In dieser Rateshow (seit 1977, SWR) errät ein Prominententrio, mit welcher berühmten Persönlichkeit die beiden Gäste verwandt sind bzw. in enger Beziehung stehen. Nach der Auflösung wird die Berühmtheit näher vorgestellt. Wieland Backes ist nach Hans Gmür und Hansjürgen Rosenbauer seit 1998 der Moderator.

M wie Maz ab!

„Maz! ab" (1988–1991) war Harald Schmidts erste Show. Sie diente als Werbung für ARD-Programme. Zwei Promiteams muss­ ten Clips aus ARDSendungen kommentieren, um Punkte zu bekommen. Schmidt nahm die Stars auf die Schippe, scherte sich nicht um Spielregeln und hatte Erfolg: Die hohen Einschaltquoten hievten die Show vom WDR ins ARD-Hauptprogramm.

N wie Nase vorn

„Nase vorn" (1988–1990) ist ein Beispiel dafür, wie auch gestandene Showmaster Flops landen. Hier war es Frank Elstner, der Kandidaten und Publikum durch ein ständig verändertes kompliziertes Spiel quälte, bis das ZDF „Nase vorn" nach zwei Jahren Quotensinkflug absetzte.

J wie Je später der Abend

„Je später der Abend" (1973–1978, WDR) war die erste deutsche Talkshow, die man auch so nannte. Das Konzept: Der Moderator (erst Dietmar Schönherr, dann Hansjürgen Rosenbauer, Reinhard Münchenhagen) sollte die Gäste aus der Reserve locken. Tatsächlich sorgten zum Beispiel der pöbelnde Klaus Kinski oder Inge Meysel, die von ihrer Entjungferung berichtete, für Furore.

K wie Kuhlenkampff

Der studierte Schauspieler Hans-Joachim Kulenkampff (1921– 1998) war in den 50ern Radiomoderator. 1953 moderierte er seine erste T V-Show „Wer gegen wen?" und avancierte mit Charme, Humor und Charisma zum Publikumsfavoriten. 1961 folgte „Kleine Stadt – ganz groß". Von 1964 bis 1969 und von 1979 bis 1987 präsentierte „Kuli" das GoodTimes

O wie Die Oma-Opa-Mama-Papa-Guck-MalShow In dieser von Jacqueline Stuhler moderierten Show (1987/88, ARD) traten Kinder auf, die besondere Fähigkeiten besaßen (u. a. junge Steptänzerinnen, ein Saxofonorchester) oder mit speziellen Problemen fertig werden mussten (z. B. Jungen mit Diabetes mellitus).

P wie Parodien

T V-Show-Klassiker wurden gern parodiert. So moderierte der Sänger Ivan Rebroff in der Ulkshow „Klimbim" (WDR) 1975 ein „Dalli Dalli"-Spiel (s. unter D) mit der Stimme von Hans Rosenthal, der dann selbst mit Rebroffs Stimme als Sänger auftrat. Ein neueres Beispiel: 2016 zeigte Satiriker Jan Böhmermann in seinem „Neo Magazin Royale" (ZDFneo) eine „Wetten, dass ...?"-Parodie mit skurrilen Wetten (z. B. wettete ein Mädchen, die Parteizugehörigkeit von Politikern durch Fußabtastung des Gesichtes erkennen zu können). 2/2018

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Q wie Quermann, Heinz

Menschen mit speziellen Hobbys (z. B. Rückwärtssprechen) oder Begabungen (Modellbauer u. a.).

Heinz Quermann (1921–2003) erfand als prägender DDR-Fernseh- und Radio-Unterhalter mit „Herzklopfen kostenlos" (1959–1973) die ältes­ te deutsche T V-Talente-Show. Dort wurden DDR-Stars wie Frank Schöbel, Dagmar Frederic und Nina Hagen entdeckt. Daneben moderierte Quermann Erfolgsshows wie „Da lacht der Bär" (1956–1965) und „Zwischen Frühstück und Gänsebraten" (1957–1991).

V wie Vorsicht Kamera!

Eine versteckte Kamera filmt ahnungslose Mitmenschen, die in haarsträubende Situationen gelockt werden: Das ist die Idee, die zuerst in der US-Show „Candid Camera" (seit 1948) umgesetzt wurde. In der Bundesrepublik übernahm man das Konzept für

R wie Ruck Zuck

„Ruck Zuck" (1988–2000, 2004/05, seit 2016) startete, moderiert von Werner Schulze-Erdel (dem vier weitere Präsentatoren folgten), als eine der ersten täglichen deutschen T V-Spielshows sehr erfolgreich auf Tele 5. Das Konzept beruht auf dem US-Format „Bruce Forsyth’s Hot" (1986): Ein Spieler umschreibt einem Mitglied seines Teams nur mit Worten einen Begriff zum Erraten, ohne einen Wortteil zu nennen. Das schnellste Rateteam gewinnt.

S wie So isses

„So isses" (1984–1989, WDR) war eine Mischung aus Gesprächen mit Promis und skurrilen Gästen über ungewöhnliche Geschichten und Kabarett-Einlagen. Für den Humoristen Jürgen von der Lippe, der moderierte, war die Kult-Show der Durchbruch.

„Vorsicht Kamera!" (1961– 1966) mit Chris Howland. Als Adaptionen folgten das überragend erfolgreiche „Verstehen Sie Spaß?" (seit 1980) und seit den 90ern ähnliche Formate.

W wie Wetten, dass ..?

Die „Wetten, dass ...?"-Idee (1981–2014, ZDF) hatte Frank Elstner: Ein Wettanbieter wettet mit einem Stargast, dass er eine ungewöhnliche Darbietung schafft. Verliert der Promi, löst er einen spaßigen Wetteinsatz ein. Dieses Konzept und Wettgäste wie Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Otto, Karl Lagerfeld und Musikstars wie Udo Jürgens, Madonna und Michael Jackson machten „Wetten, dass ...?" zur größten Show Europas (mit weltweiten Ablegern). Zeitweise schalteten über 20 Millionen Zuschauer in Deutschland ein, was auch den Moderatoren Frank Elstner und Thomas Gottschalk (s. unter G) zu verdanken ist. Gottschalk moderierte von 1987 bis 2011 (1992/1993 abgelöst von Wolfgang Lippert (s. unter L), gefolgt von Markus Lanz, mit dem die Show 2014 endete.

X wie XXO – Fritz & Co

Alte Showhits werden gern reanimiert, oft erfolglos. Ein Beispiel ist „XXO – Fritz & Co" mit Fritz Egner, das nur 1995/96 (Sat.1) überlebte. Die Vorlage, das populäre „Tick-Tack-Quiz" (1958–1967, ARD) mit Fritz Benscher, brachte es dagegen auf neun Jahre.

T wie Total normal

„Total normal" (1989–1991, ARD) etablierte Hape Kerkeling als einen der populärsten deutschen Komiker. In der preisgekrönten Show (u. a. „Rose d’Or" in Bronze, 1990) nahm er in abgedrehten Sketchen und Parodien die Promi-Welt auf den Arm. Ein Höhepunkt: Kerkeling gelangte, als Königin Beatrix verkleidet, in einer Staatskarosse ins Schloss Bellevue, dem Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten.

U wie Und Ihr Steckenpferd?

Peter Frankenfeld (s. unter F) zeigte in „Und ihr Steckenpferd?" (1963– 1967, 1972–1974) unentdeckte Bühnentalente und Seite

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Y wie Yesterday

Live-Musik-T V-Shows der 60er („Beat-Club") und 70er Jahre („Musikladen", „Disco") wurden seit den 80ern durch Video-ClipSendungen wie „Formel Eins" (1983–1990) verdrängt. Dazu zählt auch „Yesterday" (1986–1990, Tele 5), wo u. a. die Ex-„Beat-Club"Moderatorin Uschi Nerke Clips der 60er und 70er zeigte.

Z wie Zukunft

Das Fernsehen und dessen Showangebote verlieren durch die massive Abwanderung junger Zuschauer ins Internet an Bedeutung. Doch das ist für die verzweifelt nach neuen Showkonzepten gierende Medienbranche eine Chance. Denn jeder kann – in welcher Größenordnung auch immer – online seine eigene Show zeigen. Das werden die jungen kreativen Köpfe nutzen und zündende, erfolg versprechende, moderne Showideen her vorbringen.

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Edel-Seifenopern der 80er Jahre FOLGE 4 Von Thorsten Hanisch

UNTER DER

SONNE © Pressefoto

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Willkommen in Knots Landing! Seite

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Zum Anfang der Rückwärtsgang: In der letzten Folge wurde angekündigt, dass sich diese Artikelreihe in Zukunft den Serien aus der zweiten Reihe, den Titeln im Schatten der großen Platzhirsche " Dallas" und " Denver-Clan" widmen wird. Das war leider etwas voreilig, die kurze Erwähnung von "Unter der Sonne Kaliforniens" im Text über " Dallas" (siehe kult! 1/2017) wird der Sache einfach nicht gerecht. Der Spin-Off der EwingSaga tat sich anfänglich zwar etwas schwer, wurde aber mit der Zeit ziemlich populär, überholte die Mutterserie bei den Quoten zeitweise sogar und bekam zudem verhältnismäßig großen Kritikerzuspruch. Sicherlich, der Glitter und Glamour der bisher vorgestellten Sendungen fehlten, "Knots Landing", so der Originaltitel, ist deutlich geerdeter (wobei der " Denver-Clan"Exzess ohnehin beispiellos ist), aber nun mal ebenso interessant und ein weiteres schönes Beispiel für eine Seifenoper, wie es sie heute wohl nicht mehr geben wird. Deswegen: Vorhang auf für "Unter der Sonne Kaliforniens"!

Von den drei Ewing-Kindern Gary, Bobby und John Ross (besser bekannt und vor allem berüchtigt als J.R.) war Gary (Ted Shackelford) immer das schwarze Schaf der Familie. Nicht nur, dass er ausgerechnet mit einer Kellnerin, Valene (Joan Van Ark), Nachwuchs gezeugt hatte, er Gary & Abby

I. Vorgeschichte

ie Serie wurde von „Dallas"-Erfinder David Jacobs, dem ehemaligen Mitarbeiter eines Enzyklopädien-Verlags, schon vor „Dallas" entwickelt. Jacobs bemerkte den Erfolg von Ingmar Bergmans auch heute noch überaus empfehlenswertem TV-Hit „Szenen einer Ehe" (1973) und wollte etwas Ähnliches, allerdings war ihm das Werk des schwedischen Meisterregisseurs zu anspruchsvoll für das heimische Fernsehpublikum. Sein erster Entwurf wurde maßgeblich von Martin Ritts Drama „No Down Payment" (USA, 1957), das von vier Paaren in einem Vorort von Los Angeles handelt, beeinflusst. Allerdings lehnte CBS ab, da den Verantwortlichen etwas Epischeres vorschwebte, etwas, das in der Upperclass spielt, in der Welt der Reichen und Mächtigen. Also überarbeitete Jacobs sein Script noch mal, siedelte das Geschehen im Ölgeschäft an, und „Dallas" war geboren! Der Punkt ist aber: Auch wenn der Welterfolg „Dallas" Jacobs Baby ist, gab er es relativ schnell zur Adaption frei: Er schrieb lediglich vier der ersten sieben Folgen und reichte ab der Mitte von Staffel 3 das Zepter dann endgültig an Leonard Katzmann weiter, der das Epos bis zum Ende betreute. Jacobs hingegen widmete sich seiner ursprünglichen Idee, was ihm dank des schnell eintretenden Erfolgs seiner Schöpfung nun endlich gestattet wurde, und kümmerte sich ab 1979 als Executive Producer (der heute geläufigere Begriff ist Showrunner) um „Unter der Sonne Kaliforniens", die ähnliche Proportionen wie die Mutterserie annahm. So wurden im Verlauf von 13 Jahren satte 344 Folgen gesendet (Dallas brachte es auf 357); 1997, vier Jahre nach dem Ende, kam es zum obligatorischen Kurzcomeback mit dem zweiteiligen „Knots Landing: Back To The Cul-de-Sac", 2005 zum Special „Knots Landing Reunion: Together Again", in dem sich die Schauspieler an ihre damaligen Einsätze erinnern, und 2012 tauchten in der zweiten Staffel des „Dallas"-Revivals Charaktere aus dem Spin-Off auf. Man kann in diesem Fall mit Fug und Recht behaupten, dass kurioserweise das Nebenprodukt das eigentliche Herzensprojekt des Erfinders war. GoodTimes

entwickelte­zudem noch ein handfestes Alkoholproblem – weder Vater Jock noch J.R. nahmen das unsichere Familienmitglied je für voll, und als auch noch die Ehe mit Valene zerbrach, ließ der Unglückliche sich scheiden und kehrte der Ranch den Rücken. Allerdings fand das Paar wieder Joan, Michele & Donna zusammen und kriegte von Garys Mutter ein Haus in der – fiktiven – kalifornischen Kleinstadt Knots Landing geschenkt, das sich in der Sackgasse Seaview Circle befand, in der noch weitere Parteien wohnten: die große, intrigante Schurkin der Serie, Abby Fairgate Cunningham (Donna Mills), Karen Cooper Fairgate und ihr Mann Mack MacKenzie (Michele Lee und Kevin Dobson), Gregor und seine Angetraute Laura Avery Summer (William Devane und Constance McCashin) und Paige Matheson (Nicollette Sheridan). Diese Charaktere und ihr Leben, Lieben und Leiden bildeten in etwa das Grundgerüst von „Unter der Sonne Kaliforniens". Was aber die Serie zu dieser Zeit besonders machte und ihr zudem erheblichen Nachhall verlieh, ist der Umstand, dass man nahe am realen Mittelklasseleben andockte. Es wurden Probleme wie Drogensucht, Schwierigkeiten in der Ehe, Aids und vieles Weitere ­thematisiert – heute alltäglich, damals nicht unbedingt.

3. Hinter den Kulissen

Bemerkenswert ist ebenso, dass die Darsteller deutlich mehr Einfluss auf die Serie hatten als andere Akteure zu dieser Zeit. 1987 wollten die Autoren zum Beispiel Mack eine außereheliche Beziehung mit Anne, einer alten Jugendfreundin und Mutter von Paige, andichten, doch Michele Lee, die Macks Frau Karen spielte, protestierte; sie fand, dass die Serie wenigstens ein Paar mit einer gut funktionierenden Beziehung haben sollte. Also strich man die geplante Storyline wieder, und Anne wurde aus der Show für zwei Staffeln rausgeschrieben (da sie den Mann ihrer Begierde nicht wiederbekommt, versucht sie, bei ihm durch einen vorgetäuschten Selbstmord Mitleid zu erregen; Mack kommt allerdings dahinter und verstößt sie endgültig aus seinem Leben, worauf Anne für zwei Jahre untertaucht). 2/2018

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2. Worum geht's?

„Unter der Sonne Kaliforniens" knüpft an die „Dallas"-Folge „Flucht unter die Sonne Kaliforniens" (Staffel 3, Folge 14) an:


Genauso schrieb der ohnehin tolle William Devane, der den eiskalten, skrupellosen Greg Sumner spielt, einen großen Teil der Dialoge seines Charakters um, und das so gekonnt, dass laut Michelle Lee selbst die Leute am Set anfingen, sich vor Greg Sumner zu fürchten. Ebenso ist das Liebesdreieck Gary/Valene/Abby, das etwa Mitte der 80er Jahre die Zuschauer in Atem hielt, auf eine 1980 geäußerte Idee von Ted Shackelford und Joan Van Arc zurückzuführen, die nach einigem Zögern der Produzenten 1982 dann zur TV-Realität wurde. In der Saison 1984/­ 1985 gab es einen Plotstrang, in dem Valenes Babys, Betsy und Bobby, entführt wurden, wofür ursprünglich, natürlich, Abby verantwortlich sein sollte. Aber Donna Mills intervenierte und meinte, dass ihr Charakter zwar böse, aber auch wieder nicht so böse sei, und sie die Zuschauergunst wohl endgültig verlieren werde (auch Schurkinnen sind letztendlich auf ein biss­ chen Sympathie angewiesen), wenn sie die Babys einer anderen Frau entführe. Also bastelten die Macher es hin, dass Abby nur zufällig für die Entführung verantwortlich ist und Valene sogar hilft, ihre Kinder wiederzukriegen. Es ist alles andere als üblich, dass die Darsteller bei Serien oder gar Filmen dermaßen großen Einfluss auf den Inhalt ausüben, was von einem nicht unerheblichen Gemeinschaftsgeist bei der Produktion zeugt.

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Aber natürlich ist auch im Paradies nicht alles grün: Das Autorenduo Bernard Lechowick und Lynn Marie Latham, das für die Drehbücher zwischen 1986 und 1991 verantwortlich war, sorgte bei Fans wie Darstellern für Kontroversen, denn den humorvollen Stil mochte nicht jeder, besonders Joan Van Ark, deren Valente in der zwölften Staffel eine Gehirnkrankheit bekommt und dadurch verrückt wird, fand, dass man ihre Figur zum Dorftrottel gemacht habe. Wie auch bei den anderen Edel-Soaps ging es gegen Ende langsam, aber stetig, bergab: 1987 wurden mit Constance McCashin und Julie Harris zwei Stammschauspielerinnen rausgeschmissen, da CBS die Produktionskosten reduzieren wollte, in Staffel 13 kam es zum dras­ tischen Quoteneinbruch, nachdem Lechowick und Latham „Unter der Sonne Kaliforniens" für „Homefront" (1991–1993) verlassen hatten und David Jacobs zudem wegen gesundheitlicher Probleme seine Arbeit an der Sendung zurückschraubte. Jacobs erzählte später, dass ihm bewusst geworden sei, dass es ein ernsthaftes Problem gebe, als Ende 1991 die Kellnerinnen in seinem Lieblingsimbiss aufgehört hätten, über die Serie zu sprechen. Seite

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Er versuchte zu retten, was zu retten war, und tauschte den damaligen Chefautor John Romano (einige Jahre später unter anderem verantwortlich für das Drehbuch zum sehenswerten „Der Mandant") gegen TV-Urgestein Ann Marcus („Peyton Place") aus, aber es half alles nichts – in der folgenden Season musste man die Kosten abermals reduzieren, weswegen nur 19 Episoden produziert werden konnten, in denen – außer Michele Lee – die Standardbesetzung auch nicht durchweg zu sehen war. Jacobs war mit Staffel 14 trotzdem ganz zufrieden, wollte aber nicht noch mehr Kompromisse eingehen und beschloss – im angeblichen Einvernehmen mit CBS – die Show zu beenden, bevor am Ende alles zu spät war und sich überhaupt kein auch nur halbwegs zufriedenstellendes Resultat mehr erzielen ließ.

4. Auswertung

Wie schon bei der in der letzten Folge besprochenen Soap Opera „Falcon Crest" wird es auch hier etwas komplizierter, heutzutage die Serie vollständig zu Gesicht bekommen. „Unter der Sonne Kaliforniens" startete erst Januar 1988 im ZDF. Im Gegensatz zu den anderen Soaps dieser Zeit wurde zwar nichts gekürzt, dafür wurden ganze zwölf Folgen gleich komplett unterschlagen (und auch nicht synchronisiert). Der Grund ist unbekannt, aber der Inhalt der Episoden (Krebserkrankung, Vergewaltigung etc.) spricht Bände, allzu Wildes konnte das ZDF seinem Publikum natürlich nicht zumuten. Außerdem fummelte man an den Vorspännen herum, unterschlug oder vertauschte sie, was den kuriosen Effekt zur Folge hatte, dass in späteren Staffeln am Anfang Darsteller aufgeführt wurden, die zu diesem Zeitpunkt die Serie längst verlassen hatten. Jacobs' Epos war zwar im Heimatland ein extrem großer Hit, tat sich hierzulande aber eher schwer, weswegen im Januar 1991 nach 140 Folgen Sat.1 übernahm und erst mal 17 neue Folgen sendete. Im Januar 1992 wurde alles bisher Ausgestrahlte noch einmal wiederholt, im Anschluss daran gab es dann 154 weitere Episoden. Kurioserweise wurde der Pilot nie gesendet, weswegen die Serie in Deutschland nicht mit Einzug der Ewings begann, sondern mit einem Besuch von J.R. aus Dallas. Zwischen 1998 und 2004 waren verschiedene Pay-TV-Sender an der Reihe, 2009 nahm sich dann Passion TV „Unter der Sonne Kaliforniens" an und zeigte die Serie erstmals komplett, ebenso feierte unter dem Titel „Unter der Sonne Kaliforniens: Gute Nachbarn kann niemand trennen" die bisher nie gesendete, ursprünglich zweiteilige Fortsetzung „Knots Landing: Back To The Cul-de-Sac" in Form einer vierteiligen Miniserie ihr Debüt im deutschen Fernsehen. Wer damals mitgeschnitten und die Aufzeichnungen noch hat, kann sich freuen, denn 2007 fing Warner zwar an, die Serie auf DVD auszuwerten, aber bereits 2009 war nach der zweiten Staffel Schluss, offenbar gab es Unklarheiten bei den Musikrechten, und bis heute hat sich leider nichts mehr weiter bewegt.

5. Wer macht mit?

Man kann es nur erneut sagen, es wundert nicht, dass viele der Serien bis heute noch Fans haben, über die Inhalte lässt sich zwar gelegentlich streiten, produziert wurde aber praktisch durchweg auf hohem Niveau, und es gibt auch hier so gut wie keinen schauspielerischen Ausfall, sogar eine absolute Hollywood-Legende wie Ava Gardner suchte für einige Zeit einen Platz „Unter der Sonne Kaliforniens". Im Folgenden ein kurzer Blick auf drei Darsteller, von denen der Autor dieser Zeilen schon immer fasziniert war.

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Von da an folgten kleine Rollen in Folgen von Serien wie „Der Chef" (1972/1973) oder „Hawaii Fünf-Null" und „Mannix" (beide Auftritte 1974), bevor es dann mit „McCabe & Mrs. Miller" (1971) auf die Leinwand ging und (tolle) Filme wie Hitcocks „Familiengrab" (1975), „Der Marathon Mann" (1977), der von einem gewissen Quentin Tarantino völlig zu Recht verehrte Reißer „Der Mann mit der Stahlkralle", in dem Devane mit einer Hakenhand auf Rachefeldzug Kult_April_2018_N_Layout 1 05.04.18 14:35–Seite 1 waren wir noch Fremde" geht (ebenfalls 1977) oder „Yanks Gestern (1978) folgten. Der markante Mime war zwar auf dem Weg zum

Superstar, kam aber nicht ans Ziel; schuld war vor allem ein Film: „… da steht der ganze Freeway Kopf" von 1981, gedreht vom „Marathon Man" John Schlesinger. Die 24 Millionen Dollar teure Komödie wurde zu einem einzigen Desaster: Die Kritiker sahen rot, das Publikum blieb weg – nach einer Woche wurde Schlesingers Film bereits wieder aus dem Kino genommen, lediglich zwei Millionen Dollar wurden reingeholt. Dieses Debakel war dafür verantwortlich, dass sich der Schauspieler schließlich umorientierte und bei „Unter der Sonne Kaliforniens" landete und zum weltweit bekannten Fernsehstar wurde. Aber auch nach dem Epos hielt sich Devane gut im Geschäft, ergatterte regelmäßig Nebenrollen in Filmen wie „Payback" (1999), „Space Cowboys" (2000) oder „Interstellar" (2014) und wurde mit smarten Geldanlagen und Werbespots zu einem schwerreichen Mann. Als Lilimae Clemens, die Mutter von Valene, ist eine weitere großartige Schauspielerin zu sehen, die so ganz und gar nicht dem heutigen Klischee der typischen Seifenoper-Besetzung entspricht, nämlich Julie Harris. Harris wurde Julie Harris am 2. Dezember 1925 als Lilimae als Julia Ann Harris Clemens in Grosse Point Park, Michigan, als Kind eines Bankers geboren. Harris lernte die Schauspielerei auf der Yale Drama School und war auch die erste Frau, die für diese Schule ein Stipendium erhielt (die zweite war ironischerweise Joan Van Ark, die Darstellerin ihrer späteren Serientochter Valene). Nach der Ausbildung landete sie am Broadway und gab ihr Debüt mit dem Stück „It’s A Gift". Kurze Zeit darauf wurde sie für den Film entdeckt und gab ihr Leinwanddebüt in „Das Mädchen Frankie" von Regietitan Fred Zinnemann. In den folgenden Jahren spielte sie in einer

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HINTERHER IST MAN IMMER SCHLAUER

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Zum einen hätten wir da William Devane, der Greg Sumner seine so typisch herbe Chefpräsenz verleiht. Devane wurde am 5. September 1939 im New Yorker Arbeiterviertel Albany geboren und ist der Sohn von Chauffeur Joe Devane (der sogar mal eine Weile Franklin D. Roosevelt zu seinen Klienten zählen durfte) und der Kellnerin Kate Devane. William begann seine Karriere mit Statistenrollen und Laienaufführungen, die Brötchen auf den Tisch brachte allerdings sein Job als Stahlarbeiter. Doch Devane machten seine Auftritte viel Spaß, und er wollte sich in die Richtung weiterbewegen, weswegen er beschloss, ein Studium an der altehrwürdigen American Academy Of Dramatic Arts zu absolvieren. Er bekam 1965 dann auch seine erste große Rolle in einer Aufführung von Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig". Kurz William Devane darauf ging er zum Broadway. Dort als Greg Sumner machte er in einer Neuinszenierung von „Einer flog über das Kuckucksnest" auf sich aufmerksam und wurde für den Film entdeckt, was 1967 zu seinem Leinwanddebüt, dem kleinen Independentfilm „In The Country", führte.


ganzen Reihe von großartigen Produktionen wie dem James-DeanEvergreen „Jenseits von Eden" (1955), „Die Faust im Gesicht" (1962), dem Gruselfilm-Meilenstein „Bis das Blut gefriert" (1963) oder „Gorillas im Nebel" (1988) mit, blieb aber trotz ihrer Filmkarriere auch immer dem Theater treu und gab eine Menge umjubelter Theaterauftritte. Am 24.8.2013 starb sie im Alter von 87 Jahren an einer Herzinsuffizienz. Lilimae Clements hat allerdings nicht nur eine Tochter, sondern mit Joshua Rush auch einen Sohn, und der wird von keinem Geringeren als Alec Baldwin gespielt. Baldwin ist in der Unterhaltungsindustrie der letzten vier Jahrzehnte wohl einer der Namen überhaupt; jeder, der sich auch nur ein bisschen für Filme oder TV-Serien interessiert, dürfte schon mal über ihn gestolpert sein, was daran liegt, dass Alec noch drei Brüder, William, Stephen und Daniel, hat, die ebenso umtriebige Schauspieler sind – eine Zeit lang gab es wirklich kein Entkommen –, das Quartett bringt es insgesamt auf Auftritte in über 400 Produktionen! Alec Baldwin wurde als Alexander Rae Baldwin III am 3.4.1958 in Massapequa, Long Island, New York, als Sohn eines Highschool-Lehrers und einer Hausfrau geboren und hat insgesamt sechs Geschwister. Er studierte zuerst Jura an der George Washington University und wechselte dann zur Politologie mit Theaterwissenschaften als Nebenfach, wodurch seine Liebe zur Schauspielerei entfacht wurde, weswegen er ein entsprechendes Studium am legendären Lee-Strasberg-Institut begann, nebenbei Gesangund Tanzunterricht nahm und in diversen Off-BroadwayStücken auftrat. 1981 begann er seine Schauspielkarriere mit einer Rolle in der langlebigen TV-Serie „The Doctors", danach folgten weitere Auftritte in TV-Produktionen wie der hier besprochenen, danach wechselte er auf die Leinwand und wirkte, allerdings nicht immer in der Hauptrolle, in einer ganzen Alec Baldwin Reihe von Filmen mit, von denen „Beetlejuice" (1988), „Die Waffen der Frauen" (1988)", „Talk Radio" (1988), „Miami Blues" (1989) und „Glengarry Glen Ross" (1992) zu den Highlights gehören. 1990 lernte er auf einer Party 80er-JahreIkone Kim Basinger kennen, drehte mit ihr zwei Filme, „Die blonde Versuchung" (1990) und das verunglückte Remake des Sam-PeckinpahKlassikers „The Getaway" (1993), heiratete sie und ließ sich 2002 wieder scheiden, was zu einem langjährigen, öffentlich ausgetragenen Kampf um das Sorgerecht für Tochter Ireland führte. Baldwin ist sicherlich kein Jahrhundertschauspieler und steht im Vergleich zu Devane und Harris etwas zurück, hat aber, wie auch seine Brüder, ein unverwechselbares Äußeres – einerseits klassischer Schönling, anderseits aber sehr markante, irgendwie leicht abseitige Gesichtszüge, hübsch anzuschauen, aber man traut ihm auch nicht so ganz über den Weg.

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6. Heute noch sehenswert?

Definitiv. Wie gesagt, am Ende geht auch diese Serie spürbar in die Knie, und der etwas andere Tonfall ab etwa der zweiten Hälfte ist Geschmacksache, anderseits möchte man anhand der ganzen Fanseiten und Foren-Diskussionen im Internet durchaus die These aufstellen, dass das Spin-Off heutzutage die Mutterserie „Dallas" in Sachen Kult-Faktor fast ein bisschen hinter sich gelassen hat. Wundern würde es nicht: Die Besetzung ist gut bis sehr gut und füllt ihre Charaktere perfekt mit Leben, die Plots sind über weite Teile oft überdurchschnittlich geschrieben und vor allem nahe am normalen Leben, wodurch natürlich eine weitaus größere emotionale Andockmöglichkeit besteht als bei mit sehr viel Geld gesegneten Figuren von ganz oben. Es ist zu hoffen, dass Warner vielleicht doch noch irgendwann eine Veröffentlichung angeht oder sich wenigstens einer der Streaming-Dienste Jacobs' Baby annimmt, verdient wäre das allemal – „Unter der Sonne Kaliforniens" ist ein lebendiges Stück TV-Kultur, das nicht in Vergessenheit geraten sollte. Seite

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7. Fun-Facts • Der Hochzeitsring, den Karen Fairgate am Grab ihres Manns Sid abnimmt, ist ein echter, denn Darstellerin Michele Lee hatte sich zum Zeitpunkt der Dreharbeiten von ihrem Ehemann James Farentino scheiden lassen und bestand darauf, ihren echten Ring zu nutzen, was ihr helfen sollte, die Szene authentischer zu spielen. • Zwei der Darsteller haben einen engen Bezug zu Telly Savalas, dem Darsteller des berühmten Lt. Theo Kojak, Hauptfigur in der populären Serie Kojak – Einsatz in " Manhattan" (1973 –1978): Kevin Dobson (Mack MacKenzie) feierte lange vor Unter der Sonne Kaliforniens" mit der " Rolle des Kommissar Crocker seinen Durchbruch, und Nicolette Sheridan ist Savalas’ Stieftochter. • Michele Lee (Karen Fairgate MacKenzie) war in allen 344 Episoden dabei – damals ein Rekord. Für die letzte Staffel verzichtete sie bei einigen Episoden sogar auf ihr übliches Gehalt und spielte zum Mindestlohn, um dabei sein zu können.

Michele Lee

• Joan Van Ark (Valene) und Ted Shackelford (Gary Ewing) wurden als Paar gecastet, weil Produzenten die sie zuvor in einer Episode der TV-Serie Wonder " Ted Shackelford & Joan Van Ark Woman" gesehen hatten – zwar als Gegner, man fand aber, dass die Chemie zwischen den beiden stimmte. • Die Titelmusik wurde für jede Staffel von Jerold Immel neu arrangiert, der Soundtrack stammt von Immel und Craig Huxley, später kamen neue Komponisten wie Lance Rubin, Ron Grant oder Bruce Mill hinzu, die allerdings auch alte Stücke immer wieder aufgrifJoan Van Ark fen und entsprechend modernisierten (so lehnte sich die Musik Mitte der 80er Jahre an den zu dieser Zeit erfolg­ reichen Synthie-Pop an). • Michele Lee (Karen Fairgate MacKenzie), Ted Shackelford (Gary Ewing) und Joan Van Ark (Valene Ewing) sind die einzigen Darsteller, die sowohl in der ersten als auch in der letzten Folge mitmachten. • Die Produzenten wollten ursprünglich, dass Sid Fairgate den Autounfall überlebt, aber Darsteller Don Murray wollte gerne aus dem Vertrag raus, so musste er in der Serie sterben.

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Von Susanne Buck

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as ganze Monsterspektakel begann 1953 in den USA mit dem Film „The Beast From 20.000 Fathoms", der in Deutschland mit dem Titel „Panik in New York" in die Kinos kam. Die ebenso simple wie wirkungsvolle Story: Nach einem Atomwaffentest in der Arktis behauptet ein Wissenschaftler, einen lebendigen Dinosaurier gesehen zu haben. Niemand glaubt ihm, aber das Untier, das durch den Waffentest aufgetaut wurde, ist längst unterwegs nach New York, wo es durch die Straßenschluchten von Manhattan trampelt und eine Spur der Verwüstung hinterlässt. Polizei und Militär versuchen vergeblich, das Untier aufzuhalten. Erst am Schluss kommt es zum Showdown auf Coney Island, und das Monster kann unschädlich gemacht werden. Kommt Ihnen diese Story irgendwie bekannt vor? Aber statt New York hatten Sie eigentlich Tokio in Erinnerung, und der Film hieß „Godzilla"? Gar nicht mal falsch! Denn das mit verhältnismäßig geringen Geldmitteln, aber fantasiereichen Tricks gedrehte Spektakel war kommerziell so erfolgreich, dass die Bosse der japanischen Filmfirma Toho blitzschnell den Entschluss fassten, ein ähnliches Werk herauszubringen. Und nachdem im März 1954 das japanische Fischerboot Fukuryo Maro (Der glückliche Drache) in einen Atombombentest des amerikanischen Militärs auf dem Bikini-Atoll verwickelt und radioaktiv verstrahlt worden war, war die Story erst recht brandheiß. Als Regisseur verpflichteten die Toho-Studios den ambitionierten jungen Ishiro Honda, der bis dahin Gehilfe von Altmeister Akira Kurosawa gewesen war. In dem amerikanischen Film waren die Dinosaurierszenen von Effektspezialist Ray Harryhausen mit der so genannten Stop-MotionTechnik gedreht worden, bei der ein kleines Sauriermodell aus Gummi in Einzelschritten bewegt wird. Eine Technik, die man hier zu Lande vom Sandmännchen aus dem Kinderprogramm kennt. Die japanischen Tüftler entschieden sich für den umgekehrten Weg. Sie bauten die Umgebung des Monsters – Landschaften, Straßenzüge und ganze Stadtviertel – als verkleinerte Modelle nach. Anschließend wurde ein Komparse in ein zentnerschweres Gummi-Dinosaurier-Kostüm gesteckt, der durch die Miniaturlandschaft stapfen durfte. Einer Legende nach wurde der Star des Films nach einem korpulenten Mitarbeiter von Toho getauft, der von seinen Kollegen GoodTimes

„Gojira" – ein Wortspiel aus Gorilla und Wal – genannt wurde. Weiteres Kennzeichen von Gojira alias Godzilla war sein Schrei, ein wahrhaft markerschütternder Soundeffekt, der mit einem Kontrabass erzeugt wurde. Die Handlung von „Godzilla", der 1954 ins Kino kam, ähnelte der des US-Films, und das Schema wurde später in abgewandelter Form unzählige Male wiederholt: Atombombenversuche wecken ein Urzeitmonster, das marodierend durch die Lande trabt und ganz Tokio in Schutt und Asche legt. Erst durch die Wunderwaffe eines Wissenschaftlers kann es schließlich besiegt werden. Von Ironie oder Humor konnte keine Rede sein, der Film war düster, beängstigend und nicht für Kinder gedacht. Allerhöchstens die Änderungen, die für den internationalen Markt vorgenommen wurden – so hatte man für die USA ein paar verzichtbare Szenen mit der Rolle eines amerikanischen Reporters eingebaut – sorgten für unfreiwillige Lacher. Der Erfolg von „Godzilla" war gemäß der Pranke seines Hauptdarstellers, nämlich so durchschlagend, dass sich Toho umgehend anschickte, weitere Monsterfilme zu drehen. Ein ganzes Genre, der „Kaijū Eiga", war geboren. Und damit die Zuschauer nun auch ihren Nachwuchs mit ins Kino nehmen konnten, modifizierte man die Filme, um sie familientauglich zu machen. Im Laufe der nächsten Jahre kamen immer neue und abgedrehtere Monster hinzu, gegen die Godzilla im Wasser, zu Lande und in der Luft antreten musste. Ebirah, die Riesenkrabbe, Rodan, der Urzeitvogel, Gigan, der Drache mit der Kettensäge im Bauch, der dreiköpfige Flugdrache King Ghidora, Riesenmotte Mothra und Hydrox, das Müllmonster, sind nur einige Vertreter aus diesem bunten Reigen. Die Produzenten von Toho hatten außerdem keine Hemmungen, den Riesenaffen King Kong oder einen Godzilla-Roboter aus dem Weltall gegen ihren Star antreten zu lassen. Dabei mutierte Godzilla nach und nach von der globalen Bedrohung zum Beschützer Japans und Retter der Menschheit. Zum Beispiel vor außerirdischen Invasoren. Denn im Laufe der 60er Jahre wurden nach dem Erfolg von „Raumschiff Enterprise" und ähnlichen Serien immer mehr Science-Fiction-Elemente in die Filme eingebaut. Mit der Übernahme der Godzilla-Filme durch den Regisseur Jun Fukuda zogen darüber hinaus Tanz und Gesang in die Reihe ein. Sie haben richtig gelesen: In jedem Fukuda-Monsterfilm fin­ det sich mindes­ tens eine obligate Musical­ sequenz, in der vor knallbunten exotischen Hintergründen geträllert und gehüpft wird. Während die TohoFilm­ gesellschaft Mitte der 1960er Jahre fast nur noch Monsterfilme produ2/2018

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Vermarktungspraktiken wie diese, die man letztlich als Etikettenschwindel bezeichnen muss, setzten sich fort, als die Filme später auf VHS-Kassetten oder DVDs in die Geschäfte kamen. Auch hatte man weder bei Toho noch bei Daiei Hemmungen, ganze Sequenzen in mehreren Filmen zu verwurs­ ten. In „Space Monster Gamera" (1980) etwa stammten sämtliche Monsterkämpfe zwischen Gamera und seinen Gegnern Gaos, Jigger, Guiron und Barugon aus alten Filmen, aufgemotzt mit poppiger Musik. Neu war lediglich die Rahmenhandlung mit drei japanischen Supergirls, einer finsteren Außerirdischen und einem naseweisen Schuljungen, der das GameraLied exzessiv auf der Hammondorgel

zierte und damit Millionen Yen scheffelte, stand ihre Konkurrenz, die Daiei Motion Picture Company, ohne Kassenschlager da. Was lag also näher, als ein eigenes Reptil nach bewährtem Vorbild zu kreieren? 1965 erblickte so die Riesenschildkröte Gamera das Licht der Leinwand. Die Handlung folgte Schema F, wobei Gamera mit ihrem Hitzestrahl Miniaturen diverser japanischer Städte demolieren und eine Eisenbahn anknabbern durfte. Allerdings eher unabsichtlich, denn in ihrem Herzen war die Panzerechse, die auf den Hinterbeinen marschierte oder mit Düsenantrieb flog, ein sympathisches Wesen, dem alle Filmdarsteller am Ende freundlich hinterherwinkten. Sie bekam sogar im zweiten Film eine eigene Hymne, die in Vor- und Abspann von einem Kinderchor geschmettert (und wahrscheinlich von manchem Kinogänger auf dem Heimweg gesummt) wurde. Die Gamera-Reihe war von Anfang an auf ein jugendliches Publikum zugeschnitten. Schließlich zahlten die Eltern nicht nur den Kino-Eintritt, sondern sollten auch dazu animiert werden, ihren Sprösslingen die passenden Spielfiguren zu kaufen. Gamera, Godzilla und Co. bevölkerten bald als Plastikfiguren die Kinderzimmer. Erwachsene fungierten in den Storys eher als Statisten, während ihre altklugen Filmkinder in spannende Abenteuer verwickelt waren. Folgender Dialog zwischen dem zehnjährigen Keishi und seiner Mutter spricht für sich:

dudelte. Mit diesem traurigen Entwicklungsstadium war dann auch das vorläufige Ende des japanischen „Kaijū Eiga" besiegelt. Erst in den späten 1990er Jahren erfuhr der Monster-Dino-Film im Kino ein Comeback. HollywoodRegisseur Roland Emmerich drehte 1994 den ersten

In Deutschland kamen die japanischen Monsterfilme in den späten 60er Jahren in die Kinos und wurden als spannende Unterhaltung mit Gruselfaktor vermarktet. Im Sommer 1967 war „Frankenstein – Der Schrecken mit dem Affengesicht", in dem ein atomar verseuchtes FrankensteinMonster gegen ein Urzeitungeheuer kämpft, sogar so erfolgreich, dass Filmtitel aus Japan fortan „eingedeutscht" wurden. Die Verleihtitel hießen nun „Frankenstein und die Ungeheuer aus dem Meer" (1966), „Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn" (1967), „Frankensteins Kampf der Ungeheuer" (1967) oder „Frankensteins Höllenbrut" (1972). Auch der Name Godzilla galt als so verkaufsträchtig, dass damit Filme betitelt wurden, in denen die Riesenechse gar nicht vorkam. So wurde der zweite Film der Gamera-Reihe, „Gamera vs Barugon" auf dem Plakat der Firma Constantin mit einem Bild von Godzilla und dem Titel „Godzilla, der Drache aus dem Dschungel" versehen. Die deutsche Synchronisation machte die Verwirrung komplett, denn Gamera erhielt darin den Namen Baragon, während das gegnerische Monster, das im Original Barugon heißt, die Bezeichnung Godzilla verpasst bekam.

Godzilla-Film außerhalb Japans und setzte dabei vorwiegend auf computergenerierte Szenen. Der Film hatte nichts vom Charme des Originals und wird daher bis heute vom Großteil der Godzilla-Fans abgelehnt. So schlecht die Neuverfilmung war, hatte sie doch aber für Fans zwei positive Nebeneffekte: Auch in Japan wurden wieder neue, anspruchsvolle Filme mit Godzilla und Gamera produziert. Und: Die japanischen Filme der 1960er und 70er Jahre wurden endlich im deutschen Fernsehen ausgestrahlt und auf diese Weise einem jüngeren Publikum bekannt. Allein „Die Rückkehr des King Kong" (1963) lief zwischen 2000 und 2013 über 17 Mal beim Sender Kabel 1 bzw. im ZDF, vorzugsweise am Sonntagnachmittag, danach mehrfach im Pay-TV. Die Generation, die als Kind die Monsterkämpfe im Kino an der Ecke beklatscht hatte, konnte nun mit den eigenen Sprösslingen die Abenteuer von Godzilla, Mothra, King Ghidoda und Co. im Wohnzimmer verfolgen und in wohligen Erinnerungen schwelgen. Auch im Internet (zum Beispiel bei Netzkino) lassen sich inzwischen wahre Schätze des „Kaijū Eiga" aufstöbern. Schnappen Sie sich Ihren Nachwuchs, hauen Sie sich auf die Couch, und schauen Sie zusammen „Gamera gegen Gaos" oder „Godzilla – Attack All Monsters" an. Spätestens wenn Godzilla seinem putzigen Junior beibringt, wie man Feuer spuckt, werden Sie sich bestimmt mons­termäßig amüsieren.

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– Teil 6 –

Von Andreas Kötter

Unvergessene TV-Charaktere

Victoria Barkley ( Big Valley") " hat die Hosen an

Sie war so etwas wie das weibliche Gegenstück zu Ben Cartwright. War auf der Ponderosa das Patriarchat die Gesellschaftsordnung der Wahl, da herrschte im Big Valley", dem kalifornischen San-Joaquin-Tal, mit Victoria " Barkley im Sinne des Matriarchats eine – nicht nur für das Western-Genre – ungewöhnlich starke Frau.

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it ihrem funkelnden Blick, den silbergrauen Haaren und ihrem schlanken, feingliedrigen Körper war die Barkley eine noble Erscheinung, die schon qua ihrer bloßen Ausstrahlung nach angemessenem Respekt verlangte. Obwohl bereits in ihren späten 50er bzw. frühen 60er Jahren, war das unbestrittene Oberhaupt der Barkley-Sippe zudem noch immer eine sehr attraktive Frau. Eine, die spätestens seit dem Tod von Gatte Thomas Barkley ihren Mann stehen und die Geschicke des Barkley-Imperiums lenken musste. Familiensitz war eine luxuriöse Villa im Südstaaten-Stil, die im direkten Vergleich das Ranchhaus der Cartwrights aus „Bonanza" wie eine schnöde Blockhütte aussehen ließ. Keine Frage, den Barkleys ging es richtig gut. Das allerdings rief in schöner Regelmäßigkeit von Hühnerdieben über Landspekulanten bis zu Meuchelmördern allerlei Gesindel auf den Plan, so dass trotz dreier erwachsener und durchaus schlagkräftiger Söhne – Jarrod, Nick und Eugene – sowie Stiefsohn Heath Victorias Tatkraft immer wieder gefragt war. Oft genug war sie es, die die Handlung der wöchentlich zu bestehenden Abenteuer voranzutreiben hatte. Mal steckte man Victoria in eine Irrenanstalt, um ihre Aussage in einem Mordprozess zu verhindern, mal sperrte man sie in einen Gefängniswagen, um den Tod einer anderen Gefangenen zu vertuschen, mal war sie es selbst, die sich als vermeintliche Diebin in ein Frauengefängnis einschleusen ließ, um die dortigen Zustände publik zu machen. Victoria Barkley hatte buchstäblich (fast immer) die Hosen an – im klassischen Western-Genre eher die Ausnahme als die Regel. Dabei war das weibliche Geschlecht historisch betrachtet während der Erschließung des amerikanischen Westens durchaus mehr als bloße Staffage. Pionierfrauen konnten pflügen, säen, Planwagen lenken und auch schießen, wie etwa William Wellmans wunderbares Pionierepos „Karawane der Frauen" als einer der ganz wenigen Western eindrucksvoll zeigte. Eine starke, ja eine im Gegensatz zum Barkley-Oberhaupt gar ein Stück weit skrupellose Westfrau, „die Frau mit der Peitsche", hatte Victoria-Barkley-Darstellerin Barbara Stanwyck zuvor bereits in Samuel Fullers „Forty Guns" gegeben. Ein Mannweib allerdings waren weder Victoria Barkley noch Jessica Drummond, ihre „verlorene Schwester" aus diesem Kult-Western. Im Gegenteil, beide waren nicht nur starke und selbst bestimmte, sondern Seite

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auch sehr weibliche und schöne Frauen. Attribute, die naturgemäß auch auf die große Barbara Stanwyck zutrafen. Anlässlich ihrer zweiten Hochzeit mit dem zwar vier Jahre jüngeren, aber ebenfalls bereits mit Starstatus dekorierten Robert Taylor soll Stanwyck gesagt haben: „Der Junge hat noch eine Menge zu lernen – und ich habe eine Menge zu lehren." Als die Stanwyck, die mit nahezu allen großen Regisseuren ihrer Zeit, von Cecil B. DeMille über Frank Capra bis zu Fritz Lang, zusammengearbeitet hatte, 1965 Einzug ins „Big Valley" hielt, konnte sie längst auf eine glänzende Karriere und reihenweise Kinoklassiker zurückblicken („Frau ohne Gewissen" oder „Der Untergang der Titanic"). Dabei gab sie männerfressende Femmes fatales ebenso überzeugend wie einfache Frauen aus dem Volk oder mondäne Luxusladys. Im Film Noir und gerade auch im Western-Genre fühlte sich die Schauspielerin, die Mitte der 40er Jahre als bestbezahlte Frau der USA galt, besonders zu Hause. Folgerichtig, dass sie 1973 für ihre Verdienste um den KinoWestern (u.a. „Union Pacific", „Königin der Berge" und „Fluch der Gewalt") wie um den TV-Western (neben „Big Valley" u.a. „Tausend Meilen Staub" und das in Deutschland nie gezeigte „Wagon Train") in die National Cowboy Hall Of Fame aufgenommen wurde. 1999 wurde die 1990 verstorbene „beste Schauspielerin, die nie einen Oscar gewonnen hat" (ein häufiges Kritikerurteil) bei einer Umfrage des American Film Institute posthum auf Platz elf der größten weiblichen Filmstars gewählt. Für „Big Valley" wiederum hatte sie bereits 1966 einen Emmy erhalten. Dass die Serie trotz der Verpflichtung des Superstars nie mit „Bonanza" mithalten (Laufzeit 4 gegen 14 Staffeln) und konnte damit für den Sender ABC nur bedingt eine Erfolgsgeschichte war, lag jedenfalls nicht an der Stanwyck, sondern wohl eher daran, dass die Zeit der großen TV-Western Ende der 60er Jahre unweigerlich zu Ende ging.

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Von Claudia Tupeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg mit all seinem Leid, der Not und der Tristesse, ausgedrückt in Grau, Schwarz und Braun, war etwas Fröhliches vonnöten. Der Wiederaufbau befand sich noch in vollem Gange, da mussten die Kriegsheimkehrer, Witwen und Waisen abgelenkt und aus ihren psychischen Tiefs herausgeholt werden. Kunst sollte nun laut sein, bunt, blinkend – und ja nicht die Trümmer und Ruinen, die Armut und den Hunger, das Leid und die Wut darstellen. Mit ihrer schrillen Verbindung schöner Dinge mit Kritik am System kamen die Unangepassten wie Andy Warhol und Tom Wesselmann gerade recht. Und Roy Lichtenstein machte Comics populär. Es lebe die Pop Art! lltagsgegenstände wurden zu Protagonisten. Mickey Mouse bot sich ebenso als Modell der neuen Künstlerära an wie banale Dinge, mit der jede Hausfrau in den 1950er und 60er Jahren hantierte: Dosensuppen, Kühlschränke, Topfpflanzen. Immer mehr Produkte wurden über Werbung angepriesen. Nicht nur im Radio, sondern sichtbar für alle Bürger jedweder Rasse und für jeden Geldbeutel über Leuchtreklame an prominenten und frequentierten Plätzen wie etwa dem New Yorker Times Square oder dem Piccadilly Circus in London. Was dort visuell flimmerte, sich bewegte und auch mit Tönen unterlegt werden konnte, spiegelte sich schließlich auch in den Galerien wider: Pop Art war geboren. Populäre Kunst, die sich ähnlich wie ihre expressionistischen Vorgänger im Alltag des Volkes bediente. Was zunächst banal erschien, war von den Vertretern der Pop Art als Kritik an der Gesellschaft, am Konsum, am Kapitalismus und auch an der Politik zu verstehen. Doch die Künstler polarisierten und provozierten nicht nur hintersinnig und tiefgründig. Pop Art sollte den Betrachter „anspringen". Und das im wahrsten Wortsinn, denn mit dem neuen Genre entwickelte sich auf den Leinwänden eine Liebe zu Assemblagen, also Collagen, die Zeichnungen vereinten mit plastischen Gegenständen, die auf das Objekt geklebt wurden und hervortraten – dem Betrachter daher tatsächlich „ins Auge sprangen". Seite

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Ausgerechnet einer, der nie zur Gattung Pop Art dazugehören wollte, schaffte solche Assemblagen in Hülle und Fülle: Der Amerikaner Tom Wesselmann (1931–2004). Etwa mit der Frau unter der Dusche. Eine Szene wie direkt aus dem Alltag gerissen, so banal und doch so erotisch und obszön (er malte ihr sehr offensichtliche Schamhaare auf den Intimbereich). Den Blick ins Badezimmer gestaltete er als meisterschülerhafte Assemblage. Die gemalte Frau, die sich nach dem Duschen abtrocknet. Neben ihr hängt an der Tür ein Handtuch, ein ans Bild angeklebtes Brett trägt Badematte und Wäschekorb. Die perfekte Pop-Art-Kombi aus reliefartigen Oberflächen, also plastischen Beigaben, und Gemaltem. Mit der Collage „Still Life" von 1963, im New Yorker MoMa zu sehen, lockte er die Betrachter in die Küche der Amerikaner. Die Mischung aus Malerei und plastischen Darstellungen – die Tür eines typisch amerikanischen Kühlschranks, wie ihn heute die Firma Smeg vertreibt, mit auf ihm drapierten Limo-Flaschen der Marke 7up – ist eines seiner berühmtesten Werke. Gebrauchsgegenstände wie Dosen-Ananas und Kellogg's sowie Toastbrot hat er aus Zeitungsanzeigen ausgeschnitten und auf den Tisch geklebt. Und womöglich als Hommage an den großen spanischen Maler Pablo Picasso hat er hinterm Kühlschrank eine Kopie eines Picasso-Werkes geschaffen.

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Warum ausgerechnet Picasso? Nun, der spanische Maler (1881–1973) gilt als einer DER Einflussgeber des 20. Jahrhunderts. Im Besonderen auch für jene Künstler, die zu den Hauptvertretern der Pop Art zählen. Denn Picasso begründete gemeinsam mit Georges Braque den Kubismus. Ein Stil, der nicht nur Wesselmann beeinfluss­ te, sondern als eine der ersten Hinführungen zu Collagen gesehen wird. Picasso verwendete bei dieser Kunstform, bei der zum Beispiel Porträts und Menschenkörper aus gemalten Würfeln oder Pyramiden zusammengefügt sind, echte Objekte und Naturmaterialien, die dann plastisch aus dem Bild heraustreten. Mit kubistischen Arbeiten hat es bei Roy Lichtenstein auch angefangen. Nur dass diese Werke nirgendwo Anklang gefunden haben. Erst als der Amerikaner Comic-Darstellungen großflächig auf Papier brachte, erhielt er für seine Leistungen Anerkennung. Lichtenstein wurde 1923 in Manhattan geboren. Im Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg, den „roaring twenties", mit dem abrupten Ende der goldenen Zeit im Zuge der Wirtschaftskrise. All das verarbeiteten Künstler in und nach seinem Geburtsjahrzehnt. Lichtenstein entschied sich nach dem Besuch von öffentlichen und privaten Schulen für den Lehrerberuf. Die Malerei war zunächst nur ein Hobby. Dass er zur Pop Art fand und ausgerechnet mit Comics berühmt wurde, war seinem Sohn geschuldet, wie es Victoria Beyer im „Vintage Flaneur" vor drei Jahren beschrieb. Lichtenstein junior habe seinem Dad ein Comic-Heft gezeigt und herausfordernd verkündet: „Ich wette, so gut kannst du nicht malen." Lichtenstein konnte. Und wurde – neben Andy Warhol – zum Pop-Idol. Die 1960er waren seine Dekade. 1961 knüpfte er sich den Inbegriff aller Trickfiguren vor: Mickey Mouse. Mit „Look Mickey" stellte er eine Angelszene dar, bei der Donald Duck hocherfreut über seinen Fang ruft: „Look Mickey, I've hooked a big one!!" Daneben steht die Maus, die ihr Lachen mit vorgehaltener Pfote verdeckt. Sie grinst, weil Donald keinen Fisch an der Angel hat, sondern seine Jacke. Illustriert wird Donalds Satz durch eine Sprechblase, Kernelement eines echten Comics. Genauso verfuhr Lichtenstein auch in Nachfolgewerken, in denen er sich nicht nur bekannter Comic-Abbildungen bediente und diese „nachmalte", sondern auch Frauen plakativ inszenierte. Mal lachend, mal weinend, mal ertrinkend, mal telefonierend. Mit Sprech- oder Denkblase am Kopf. Thematisch bediente er sich beim Zeitgeist: die Frau als Opfer des Mannes, der im Büro und darüber hinaus ein Jubelleben lebte, während sie

daheim auf ihn wartete. „Vielleicht ist er krank geworden, vielleicht ist es später geworden ..." Doch das brave Heimchen am Herd, wie es von Doris Day in romantischen Wohlfühlfilmen verkörpert wurde, war spätes­tens ab Mitte der 60er nicht mehr en vogue. SIE emanzipierte sich, wollte Rechte haben, gleiche Rechte, wollte selbstständig sein. Bei „Drowning Girl" ließ Roy Lichtenstein seine Protagonistin mit geschlossenen Augen und Tränen auf den Wangen in viel Blau untergehen, während sie stolz via Sprechblase erklärte: „I don't care! I'd rather sink -- than call Brad for help!" Sie geht lieber unter, als Brad um Hilfe zu rufen. Gesellschaftskritik in ihrer pursten Form. So plakativ und doch auch hintersinnig. Doch genau diese Tiefgründigkeit sprachen Kritiker den Pop-ArtWerken und somit auch Roy Lichtenstein ab. Gerade was die Bilder so GoodTimes

populär machte, wurde von den Anhängern „richtiger Kunst", also den Erben des Expressionismus etwa, verhöhnt. Klare Farben, nichts Pastelliges. Rot, Blau, Gelb und Grün wirkten wie direkt mit dem Pinsel aus dem Tuschkasten entnommen, ohne Mischungen, ohne Verwässerungen. Wo für die einen Kunst erst Kunst sein konnte, wenn man stundenlang Farben zusammenführte, um DEN Ton für Himmel oder Gras zu finden, sollten die Farben bei den Pop-Art-Werken schreien. Wie die Leuchtreklamen eben. Klar und knallig statt düster und romantisch. Andy Warhol (1928–1987) trieb das Ganze auf die Spitze: Seine berühmten Porträts von Marilyn Monroe und Elizabeth Taylor kamen auch grell mit Neon-Pink, Neon-Grün, Neon-Gelb daher. Wie mit einem Markierstift, der etwas Wichtiges hervorheben sollte. Und so war es im übertragenen Sinne ja auch. Egal, in welche Richtung seine Porträts interpretiert wurden: So könnten sie einerseits die Schönheit und Leuchtkraft der Schauspielerinnen hervorheben und untermalen. Andererseits könnten sie aber auch den Starkult um diese beiden Sexbomben kritisieren. Dass diese Köpfe in gefühlt jedem fünften Haushalt als Nachdruck oder in Posterform hängen, ist nicht den heutigen technischen Möglichkeiten geschuldet oder zu verdanken. Schon Warhol hat in den 60s in seiner Fabrik am laufenden Band produziert, um so ziemlich jedem Kunst zugänglich zu machen. Lichtenstein imitierte auf seinen Comic-Nachbildungen und -Interpretationen mit gemalten farbigen Rasterpunkten jene Drucktechnik, mit der kommerzielle Kunst produziert wurde. Die Kunst als Konsumgut. Und das war durchaus nicht als Kritik in Richtung seines Kollegen Andy Warhol zu verstehen. Denn der hatte selbst durch seine gewählten Objekte und seine vielfachen Drucke für jedermann die Frage aufgeworfen, was Kunst eigentlich sei. Denn neben Monroe und Taylor zählte eine Dose zu seinen Bestsellern. In den 60er Jahren hatte jede amerikanische Hausfrau und wohl jeder Single-Mann eine Dose Tomatensuppe: „Campbell's Tomato Soup". Sie ist bis heute ein Renner. Eine Dose Tomatensuppe. So simpel, so tiefsinnig. Kunst als Massenware, als Konsumgut, genau wie die Dose. Kult-Charakter haben daneben auch auf- und nebeneinander gestapelte Buchstaben-Werke des Künstlers und „Pop-Art-isten" Robert Indiana (*1928) erreicht. Seine „Love"-Skulptur, bei der das „L" und ein schräges „O" nebeneinander sind und darunter das „V" neben dem „E" folgt – ist Hingucker auf der New Yorker Avenue Of The Americas. Mit seinem Kapitalistischen Realismus wiederum war Gerhard Richter (*1932) der deutsche Vertreter der Kunstrichtung. Weder schrill noch glamourös, kein Knallbunt, kein Neon, dafür – wie bei den amerikanischen Vertretern – Ironie, das war die deutsche Pop Art. Gerhard Richter interpretierte in den frühen 1960ern seine Kapitalismus-Kritik in Schwarzweiß, Wolf Vostell vereinte Politik und Konsum mit seinem 68er Siebdruck eines B52-Bombers, der Lippenstifte abwirft. Richter – so heißt es in Kunstkreisen immer wieder – habe sich wie viele andere deutsche Schaffende nie mit dem Metier Pop Art anfreunden können. Musste er auch nicht. Seine Werke gelten als die teuersten eines lebenden Künstlers weltweit. Roy Lichtenstein dagegen war das Idol der Pop Art. Man kann ihm vorwerfen, was man möchte: Einfallslosigkeit, weil er sich Bildern aus Comics bediente und sie dann „nur" abwandelte, oder Eingeschränktheit, weil seine Werke stilistisch ähnlich waren. Was aber auch immer Kritisches über den 1997 verstorbenen Lehrer und Pop-Art-ler geunkt wird: Er hat die Kunstszene nachhaltig geprägt. Und der Marktwert seiner „Kreaturen" ist immens: 45 Millionen Dollar hat sein „Sleeping Girl" bei einer Auktion 2013 eingebracht.

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VIVIANE VENTURA

Sie drehte mit den Beatles, Anthony Quinn und Roger Moore: Nur 24-jährig galt Viviane Ventura nach sieben Hollywood-Jahren schon als Filmveteranin. Mit "April Fool" schrieb sie eine witzige Betrachtung des glamourösen Jet-Set-Lebens. Doch weltweite Bekanntheit erlangte sie letztlich mit der legendären Agentur, mit der sie seit Jahrzehnten hochkarätige Politgrößen und Stars, die sie ihre Freunde nennt, als Redner vermittelt. Von Roland Schäfli Sie hatten im zarten Alter von 16 gleich eine wichtige Nebenrolle im exotischen Abenteuerfilm Lord Jim"? " Und ich war entsprechend aufgeregt! Der Film hatte ja eine All-Star-Besetzung. meinte, dass es dank meiner Anwesenheit eine ganz besondere Episode Man wird nervös, wenn man werde. So war Roger, ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Aber plötzlich Giganten vor sich Tony passte das gar nicht. Er zischte: „Entweder du gehörst zu ihm oder hat! Aber dann kam Peter zu mir!" Es gab quasi zwei Lager, das von Roger und das von Tony. O’Toole am ersten Drehtag Man sah es der Serie nicht an, dass sie sich starke Konkurrenz machten. auf mich zu und blickte mich Auch Roger Moore wurde später Redner Ihrer Organisation aus diesen strahlenden blauen V. V. International. Augen an. Und er stellte sich Kurz vor seinem Tod machte er für uns einen Fundraiser für ältere bei mir vor – als hätte Peter Menschen, eine Drei-Tages-Tour durch Österreich. Er las das Programm O’Toole jemandem sagen durch und teilte mir mit: „Wenn wir schon Geld für alte Menschen sammüssen, wer er ist! Peter nahm alles leicht und machte alles leicht. meln, möchte ich ein Heim besuchen." Und er verbrachte vier Stunden Es gibt so viele Legenden um O'Tooles Eskapaden und Trinkdort. Er wollte die Probleme der Bewohner verstehen. Seine vierte gelage. War er wirklich ein Hellraiser? Ehefrau Kiki ist eine gute Freundin. Aber mit Es ist alles wahr. Omar Sharif, mit dem mich seiner dritten Frau Louisa, das war ja bekannt, eine lebenslange Freundschaft verband, hat mir lag er in ständigem Streit. Mit ihnen zu lunchen erzählt, wie sie während der Dreharbeiten zu war wie eine Folge von „Fawlty Towers", total „Lawrence von Arabien" manchmal fünf Girls hysterisch (lacht). ins Hotel schmuggelten und mit Strohhalmen Wie kamen Sie zum Film? auslosten, wer welches vernascht. Peter und Übers Theater. Ich hatte in England die Drama Omar waren die schlimmsten Jungs im ganzen School besucht und war bei einer RepertoireUniversum! Omar und ich haben viel gemeinsam Bühne angestellt. Ich war Mädchen für alles: unternommen, ich durfte ihn oft als Redner nähte die Kostüme und war Zweitbesetzung buchen. Leider haben wir nie einen Film zusamfür drei Rollen! Einmal hatte ich den Job des men gemacht. „Rainmakers": In einer Szene sollte man Regen Mit Roger Moore arbeiteten Sie mehrmals: hören. Ich ließ also hinter dem Vorhang eine in seiner TV-Serie The Saint" und dann Viviane Ventura mit Omar Sharif " Kiste voller Nägel fallen. Sie wog eine Tonne! Am erneut in The Persuaders" ( Die Zwei"). " " Theater konnte ich das Handwerk von der Pike auf lernen. Das brachte Als ich aufs Set von „The Persuaders" kam, begrüßte Roger mich wie 20 Pfund die Woche. Ich liebte diese Unbeschwertheit. Aber ich wusste eine alte Freundin. Daraufhin wollte sein Co-Star Tony Curtis mir unbeschon: Ich will Filmschauspielerin werden. dingt vorgestellt werden. Roger stellte mich als „La Ventura" vor, und Seite

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Fotos: © Archiv Viviane Ventura

(„Hilfe, die Bombe ist weg", 1966) mitwirken und sogar mit Cliff Richard Wie kamen Sie zum singen durfte. Das ist mein Lieblingsfilm, eine wunderbare Erfahrung. Cliff ersten Job in Holwar damals sozusagen der Elvis von Europa, die Frauen liebten ihn abgötlywood, dem Film tisch. Als ich die Rolle kriegte, erhielt ich Hassbriefe von seinen Verehrerinnen! A High Wind in " Was passierte (Anm. d. Autors: Cliff Richard wurde fälschlicherweise von Jamaica"? Ein Casting Agent war der BBC wegen Kindesmissbrauchs beschuldigt, die Klage wurde nach bei einem Vorsprechen zwei Jahren fallengelassen), ist so traurig. Cliff war stets ein perfekfür eine Rolle, die ich ter Gentleman. Ich Mit Präsident Mandela und seiner Frau nicht erhalten hatte, erinnere mich: In auf mich aufmerksam einer Szene sollte geworden. Er verer im Weglaufen hieß mir eine große einen Sack aufheZukunft. Ich war jung ben. Und wir luden und gab nicht viel auf heimlich Backsteine sein Versprechen. Aber in den Sack …! wissen Sie was? Aus Während der heiterem Himmel rief Jahre im Filmer mich an und verbusiness knüpfschaffte mir die Rolle ten Sie so viele in „A High Wind in Kontakte, dass Jamaica" („Sturm über Jamaika", 1965)! Das war das Ende des Sie bis heute die Wochenlohns von 20 Pfund (lacht)! ProminentenAnthony Quinn, der neben James Coburn die Hauptrolle Vermittlung V. spielte, war ein Vollblutschauspieler. Was konnten Sie von V. International betreiben: Unter Ihren hochkarätigen Redihm lernen? nern befanden sich mehrere Ex-Präsidenten, darunter Nelson Von Anthony Quinn konnte ich fürs Leben lernen. Die Szenen des Mandela. Piratenhafens wurden in einer abgelegenen Bucht unter schwierigen Das kam so: Ich war mit Jacqueline Bisset in Südafrika beim damaligen Wetterbedingungen aufgenommen. Ich trug eine Perücke und ein Präsidenten F.W. de Klerk eingeladen. Seine Mitarbeiter gaben uns 15 schweres Kostüm, ab 5 Uhr 30 morgens, zwölf Stunden am Tag, was Minuten Zeit. Wir blieben zwei Stunden! Er zeigte aufs Meer: „Sehen in diesem Klima wirklich unbequem war. Niemand hatte eine eigene Sie diese Insel? Dort steht ein Gefängnis, und in ihm ist ein Mann, den Garderobe – außer Tony. Aus irgendeinem Grund „adoptierte" er mich. ich freilassen werde – und er wird der nächste Präsident Südafrikas Ohne irgendeinen Hintergedanken. Er lud mich in seine Garderobe ein – sein, noch bevor das Jahr um ist." Alles traf ein. Mein Unternehmen sie hatte eine Klimaanlage! Ich übernahm sein Motto: Lies jede Woche durfte vier Jahre mit Mandela zusammenarbeiten, unter anderem für ein gutes Buch. Er brachte mir Schach die Einführung des „Blue Train", des Der Dalai Lama und Viviane Ventura bei. Und mehr als das: Er lehrte mich, Zuges, der Cape Town mit Pretoria dass das Leben ein Schachspiel ist, in verbindet, was ihm sehr wichtig war. Ich dem man die Figuren richtig bewegen brachte weitere Stars nach Südafrika, muss. Bob Geldof und Ursula Andress. Meine Sprachen Sie Spanisch mit ihm? Freundin Joan Collins sammelte Geld Ja, da ich in Kolumbien aufgewachsen für Mandelas Kinderhilfswerk. Dieser war, konnten wir uns auf Spanisch Mann hatte nicht eine Unze Hass in unterhalten – Tony war ja zur Hälfte sich. Mit Mandela zusammen zu sein, Mexikaner (und Ire, Anm. d. Autors). war eine magische Zeit meines Lebens. Sie arbeiteten mit einem weiteren Mein Part mit ihm war sehr intengroßen Mann zusammen: Michail siv: In der Handlung vergewaltigt er Gorbatschow. mich. Der Film basierte auf einem Buch Er kam für mich nach Lima, für ein Aidsfür Jugendliche, und in jenen Tagen Symposium. Ich hatte ihn für 60 Minuten brauchte nicht alles explizit gezeigt zu gebucht. Doch er war so enthusiastisch, dass er 90 Minuten ohne Pause werden – man sieht also, wie Tony mich wegzerrt. Wir probten das, und sprach. Ich fürchtete schon, er würde mir weitere 100.000 Dollar berechnen er gab mir gute Ratschläge. Es war eine Freundschaft fürs Leben. Bis – das war sein Fee –, aber er hat keine Überzeit angesetzt (lacht). heute spiele ich Schach. Ich schlug Roman Polanski im Schach, was ihn Wie überzeugen Sie Staatsmänner und Stars zu solchen Aufziemlich verärgert hat! tritten? 1967 machten Sie Battle Beneath The Earth" für MGM. Die" Ganz einfach: Ich missbrauche nie eine Freundschaft. Die richtige Art ser B-Movie hat heute eine kleine Kult-Gefolgschaft. ist, den VIP zu fragen und das Geschäftliche dann über dessen Manager Ich weiß bis heute nicht, wie zu regeln. Placido Domingo ist ein treuer Freund, und ich durfte das der Regisseur dazu kam, mich – Konzert organisieren, das er für die Queen von England gab. Ich trug eine 18-Jährige – für die Rolle ihm die Idee vor, er mochte sie – und trotzdem habe ich alles weitere einer Wissenschaftlerin zu besetmit seinem Anwalt besprochen. zen, die eine chinesische Invasion Um Ihr Liebesleben ranken sich Legenden. Auf IMDB, der Instoppt! Ich führte die ganze ternet Movie Data Base, ist zu lesen, Sie seien mit dem Sultan US-Army gegen die Roten! Noch von Brunei liiert gewesen? heute schaudert es mich, wenn Alles erfunden! Irgendwo steht auch, ich sei die Freundin des Schahs von ich den Film sehe. Ganz schön Persien gewesen. Richtig ist: Ich stand König Hussein von Jordanien sehr unglaubwürdig! Allerdings wäre nahe, dem größten Mann, den die arabische Welt hervorgebracht hat. ich nun endlich alt genug, um Sie sprechen sechs Sprachen – in welcher träumen Sie? die US-Army anzuführen (lacht). Gute Frage. In Englisch. Obwohl ich Englisch erst mit zwölf Jahren Sie haben im Kino auch gelernte, als wir von Kolumbien nach London übersiedelten, wo ich heute sungen. noch lebe. (Und in Deutsch) Deutsch spreche ich übrigens auch. Ich Ich war 24, als ich in dem großartigen Musical „Finders Keepers" kann sogar "Lili Marleen" singen! Mit Roman Polanski GoodTimes

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Traumfrauen_der_60er_Jahre

Minirock, Schminkstift und jede Menge Sex-Appeal

Weibliche Schönheit und Ausstrahlung haben schon immer erfreut. In den 60er Jahren aber machten nicht zuletzt Jugendlichkeit und Freizügigkeit die Frauen noch attraktiver, als sie es ohnehin schon waren. Die Traumfrau der 60er war im Grunde die Idealform des Mädchens von nebenan, trug Minirock, war auf frischnatürliche Weise sexy und hatte eine eigene Meinung …

in den späten 50ern verhaftet, Nichtigkeiten besaßen noch Skandalfähigkeit. In Deutschland waren Manuela, Wencke Myhre und Gitte große Namen und manchem Mädchen Vorbild. 1960 lief der Film „Die Zeitmaschine" an, Yvette Mimieux verzauberte in ihrer Rolle als Weena, und ihre darin festgehaltene ungeheure Anmut überdauerte, dem Thema gemäß, die Zeit auf Zelluloid. Ein Idealbild der Zeit: bildschön, sanft, harmonisch. Noch größere Wirkung mit einer Filmrolle erzielte Marie Versini. Als Nscho-tschi erfreute sie in „Winnetou I" (1963) die Indianerromantik-versessenen Massen und schockierte sie zugleich durch ihren frühen Filmtod. Artikel über Figur und Schauspielerin samt Poster rauschten danach noch jahrelang üppig durch den Zeitschriftenwald, und mancher Mann träumte davon, Karl Mays Handlung durch eigene Heldentaten abzuändern. Leicht herb, ein bisschen scheu Yvette Mimieux Wencke Myhre und modisch stets im aktuellen Trend schwappte in diesen Jahren Francoise Hardys Anziehungskraft über die französische Grenze nach Deutschland. Ihre individuelle Persönlichkeit war essenzieller Bestandteil ihrer Attraktivität.

Jane Fonda

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s war ein ungewöhnlich lebendiges Jahrzehnt, eine Zeit der Umbrüche, Befreiungen, der politischen, geistigen und ästhetischen Erkundungen, eine Zeit, in der sich Innovationsfreude weit vorantraute, beflügelt nicht zuletzt durch ein gerüttelt Maß an Unschuld und Naivität. Die Wegstrecke, die die Welt zwischen 1960 und 1969 zurücklegte, war weit, faszinierend, hoffnungsvoll, poppig-farbenfroh und fröhlich. Die Veränderung des Frauenbilds innerhalb dieses Jahrzehnts verlief besonders rasant: Die Traumfrau um 1960 ist züchtig, tüchtig, tugendsam und willig, in der Ehe aufzugehen. Ende der 60er Jahre hingegen probiert sie sich aus, hat ihre eigenen Pläne, schiebt die Ehe gerne auf und sinniert darüber, wie das eigentlich mit der freien Liebe ist. Der Elterngeneration graust es, die Kirche ist entsetzt, die Gesellschaft wankt in ihren Grundfesten. Dabei hatte alles harmlos angefangen. Die frühen 60er Jahre blieben Seite

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Was die Frage aufwirft, was eine Traumfrau eigentlich zur Traumfrau macht. Zur Traumfrau eignet sich, wer einerseits den Zeitgeist verkörpert – oder, noch idealer, ihm immer ein Stückchen voraus ist und ihn mit prägt – und andererseits jenes Besondere an oder in sich

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Poster: Bildarchiv Hallhuber


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Foto: Š Bubi Heilemann


trägt, dem man keinen Namen geben kann und das man deshalb mit „ein gewisses Etwas" umschreibt, weil es konkreter nicht zu benennen ist. „Charme sei", schrieb der Schriftsteller Albert Camus, „wenn man ein Ja zur Antwort erhalte, ohne eine Frage gestellt zu haben", und Traumfrauen sind solche, die man vom Fleck weg heiraten würde, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, sie vorher näher kennenlernen zu wollen. Schönheit ist da ganz gewiss förderlich, aber lediglich ein Teilaspekt und noch nicht einmal zwingende Voraussetzung. Ausstrahlung und Wesen spielen eine entscheidende Rolle. Die mit einer feinen Note Verletzlichkeit versehene Natürlichkeit Geraldine Chaplins oder der unbekümmerte Sex-Appeal Jane Birkins etwa beruhten keineswegs auf Perfektion oder Ebenmaß.

anbricht, darf sie zudem gerne auch mal transparent sein. Das Weniger an Stoff symbolisierte einen Akt der Befreiung aus den Korsetten enger, spießig-staubiger Moral. Jane Birkin

Klug, selbstbewusst und sexy – die moderne Frau der 60er zeigte lässigen Stil und selbst bestimmten Charakter zugleich. Jane Fonda war geradezu idealtypisch. Eine ebenso exzellente wie attraktive Schauspielerin, die ohne mit der Wimper zu zucken­ eben noch die naive, erotisch anziehende Film-„Barbarella" gab und sich gleich danach vehement mit der US-Regierung wegen des Vietnam-Kriegs anlegte. Das neue Selbstbewusstsein der Frauen spiegelte sich auch in neuen Frauenrollen wider; Diana Rigg verkörperte die smarte, kampferprobte Fernsehheldin Emma Peel in „Mit Schirm, Charme und Melone", die vor keiner Gefahr zurückschreckte. Männer als Beschützer? Gute Güte, das war gestern.

Blicken wir kurz in die Fernsehwelt der USA, finden wir Traumfrauen, die es in der damals noch nach Regionen begrenzten Medienwelt irgendwie nur halb zu uns geschafft haben. Mary Tyler Moore brillierte mit sensationellem Erfolg in ihrer Rolle als Laura Petrie Die 60er waren ein ganz besonders günstiges Jahrzehnt zur von 1961 bis 1966 in der „Dick van Hervorbringung von Traumfrauen, und gerade in seinem Ausgang Dyke Show" (bei uns unter demselben schießen sie förmlich wie Pilze aus dem Boden. Frische, mitunter Titel) und wäre, wie ihr Partnerdarsteller engelgleiche Mädchenhaftigkeit, langes, glattes, bevorzugt blondes erklärte, damals von jedem amerikaniHaar, große oder durch Schminkstift und falsche Wimpern betonte schen Mann auf der Stelle geheiratet Augen, gertenschlanke Figuren, Minirock und leuchtende Modefarben worden, hätte er die Chance gehabt. Es – ein Typus breitete sich aus, in dem das Mädchen von nebenan sozusind die frühen 60er Jahre, und ihre sagen seine charismatische Idealform gefunden hatte. Schlagerstars Rolle ist die der klassischen Hausfrau und wie France Gall und Sylvie Vartan oder Schauspielerinnen wie Susan Mutter. Die junge Marlo Thomas zog in Dey, Peggy Lipton oder Britt Ekland – es war, als habe plötzlich ein ihrer TV-Serienrolle bei „That Girl" (bei Elfenschwarm in die Welt gefunden. uns 1969 nur in Teilen als „Süß, aber ein bisschen verrückt") dann schon ganz alleine nach New York, um Linda Evans Apropos Märchen: Traumfrauen Schauspielerin zu werden, und behauptete sich dort zwischen 1966 und sind natürlich eine Folie 1971 mit umwerfend komischem Mary Tyler Moore und Dick van Dyke zum Träumen; wie immer Talent und trendsetzendem sie im wahren Leben sein Mode-Chic. Sie war ein leuchtenmögen, die Fantasie weiß des It-Girl in den USA der zweizu ergänzen, was Mann ten Hälfte der 60er Jahre. Eine oder Frau sich wünscht. Augenweide wiederum, die auch Nicht selten verschmelzen das deutsche Fernsehpublikum Person und Rolle oder bald allwöchentlich erfreute, Inszenierung, noch häuerleuchtete zeitgleich den Wilden figer ist die Ausstrahlung Westen: Linda Evans als Audra der Traumfrau eine in „Big Valley" befriedete raue Projektionsfläche, die Kerle durch ihre bloße sanftmüman je nach indivitige Existenz. duellen Wünschen ganz unterschiedlich mit Inhalt füllt. Die Die zweite Hälfte der 60er Jahre machte es den Mädchen und jungen Unnahbarkeit ist hier ein wesentliFrauen leicht, selbst zu Traumfrauen zu werden, denn die Mode wurde cher Schutz vor Enttäuschung. Wer immer bunter, fröhlicher, ausgelassener, erfinderischer – und sexy. Der in die Biographien von Traumfrauen schaut, findet rasch, dass sie nicht nachlässigen Natur auf dem Weg zur Perfektion nachzuhelfen, galt nicht unbedingt glücklicher, sorgloser oder konfliktfreier leben als andere länger als verpönt, sondern wurde mittels üppig um die Augen aufgeMenschen, oft sogar im Gegenteil. Die Realität ist eine andere, auch tragenem Schminkstift und Haarteil zu einer Selbstverständlichkeit. deshalb heißen sie: Traumfrauen. Die züchtige Hochgeschlossenheit wich verspielter Sexyness, in der sich die gesellschaftliche Und wer von ihnen sich zu sehr an die Rolle gewöhnt und diese vorEntwicklung spiegelte. Der Minirock – von einer wiegend über jugendliche Schönheit gewonnen hat, empfindet das Frau, Mary Quant, erfunden – wurde, gerne Altern als ständige Herausforderung und später Demütigung. Über ein mit weißen Stiefeln kombiniert, zum Inbegriff halbes Jahrhundert sind die 60er jetzt her. Einige Traumfrauen von des modischen Schicks und Signal fröhlichen damals sind in Würde gealtert, einige haben der ewigen Jugend nach Selbstbewusstseins. Er galt auch deswegen als Kräften mit allen möglichen Mitteln nachzuhelfen versucht, um dem Symbol der Befreiung, weil er oft genug gegen natürlichen Verfall ein Schnippchen zu schlagen. Andere haben den elterlichen Widerstand durchgesetzt werden musste – die Kürze des Dingen ihren Lauf gelassen. Einige sind nicht mehr. Das ist traurig. Rocks bezeichnete also auch den Grad entweder der Modernität des Immerhin macht die Medienwelt es möglich, dass die Abbilder der Elternhauses oder der souveränen Abkehr von jeglicher Bevormundung. Traumfrauen zeitlos bleiben. Fotos, Filme, Fernsehen bewahren die Mit dem höher wandernden Rocksaum wurde nicht selten auch weiAnmut, Jugendlichkeit, Ausstrahlung und immer auch ein Stück der ter oben weggekürzt: Ende der 60er wird die Bluse immer häufiger Persönlichkeit von einst. Michael Klein bauchfrei, und man zeigt Nabel – und noch bevor das neue Jahrzehnt GoodTimes

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Interview mit Udo Jürgens zum 60.

Am

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September

ich

Udo

Jürgens

1994

an

traf

seinem

60. Geburtstag im Frankfurter Römer, wo er aus Anlass dieses Ehrentages in feierlichem Rahmen das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam. Trotz der gewünsch-

Foto: © Sony Music

ten " Privatatmosphäre" gab er mir aus alter Verbundenheit und Freundschaft ein exklusives Interview. Von Christian Simon

Ich danke dir und freue mich sehr, dass wir uns an diesem beson­ deren Tag wiedersehen.

Zu deinem Geburtstag hast du deinen Fans etwas geschenkt – dein neues Buch Unterm Smoking Gänsehaut". Was hat dich motiviert, " dieses Buch zu schreiben? Um ehrlich zu sein, moti­ viert haben mich die Verleger. Die haben mich in einigen Talkshows gesehen und fest­ gestellt, dass meinen Worten viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sie haben mir vorge­ schlagen, meine Gedanken zu bündeln und in einem Buch anlässlich meines runden Geburtstages zu veröffentli­ chen. Dann habe ich mich hingesetzt und schon während des Schreibens gemerkt, dass mir das Buch gelingen wird. Heute bin ich sehr glück­ lich, dass ich es geschrieben habe, und bin mit dem Resultat sehr zufrieden. Der gravierende Unterschied zu meinem ersten Buch Seite

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„In Smoking und Blue Jeans" ist, dass da noch einige Journalisten mitgeschrieben haben. Die besten Passagen habe ich selber ver­ fasst. Die, welche mir heute nicht mehr so gefallen, stammen aus der Feder von Journalisten, die mir geholfen haben, da ich weder die Zeit noch die Erfahrung hatte, ein Buch zu scheiben. Aber die Pressesprache ist anders als die eines Buches! Diesmal hatte ich zwar auch einen Lektor, der mich beraten hat, aber ich habe alles selber geschrieben. Dadurch ist das Buch in mei­ ner Sprache entstanden und somit viel persönlicher als das erste. Foto: © Christian Simon Productions

Herzlichen Glückwunsch, Udo!

In deinem Buch heißt es: Ich musste 60 Jahre alt "werden, um die Einsamkeit zu erleben." Früher war das Alleinsein für dich fast unvorstellbar. Ist Einsamkeit für dich heute manchmal ein Geschenk?

Ja! Ich glaube, dass Einsamkeit bisweilen zum Leben eines jeden Menschen gehört und notwendig ist, um sich selbst zu finden. Wenn man eine

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Unabhängig von deinen vielen Preisen und Hommagen, was ehrt dich persönlich?

starke Persönlichkeitsstruktur erreichen will, muss man zwischendurch einsam sein, um seinen persönlichen Weg zu erkennen und zu orten. Das perma­ nente Teilen seiner Gefühle und seines Lebens mit einem anderen Menschen kann dazu führen, dass man alle Dinge immer durch vier Augen sieht. Ich möchte damit nichts gegen eine Partnerschaft sagen. Auch ich bin ein sehr geselliger Mensch, der aber von Zeit zu Zeit die Einsamkeit sehr bewusst erlebt.

Das größte Glücksgefühl habe ich, wenn ich von Menschen, von denen ich es gar nicht erwarte, kleine Gesten der Aufmerksamkeit bekomme. Wenn mich ein alter Mann auf der Straße plötzlich erkennt und mich ohne Worte einfach anlächelt … dann habe ich in diesem Augenblick das Gefühl, geehrt zu werden.

Ein Lächeln als Geschenk – was ist dein schönstes Geschenk zum 60.?

Selbstverständlich! Als jüngerer Mensch ist der Blick in die Zukunft immer sehr stark auf die eigene Person gerichtet. Man tut so, als schaue man nach vorn, dabei schaut man nur auf sich selbst. Das ist auch ganz natürlich, denn seine eigenen Ziele zu erreichen, steht im Vordergrund. Wenn man das geschafft hat, beginnt man viel­ leicht etwas visionärer in die Zukunft zu sehen. Ein Mensch – und eine Gesellschaft – ohne Visionen ist meiner Meinung nach nicht lebens- und nicht über­ lebensfähig. Das, was uns, den Einzelnen wie auch die Gemeinschaft, in die Zukunft trägt, sind Visionen! Auch ich denke heute weitaus visionärer als früher. Und um auf den runden Geburtstag zurückzukommen – schon mit 57 habe ich gedacht: Mensch, in drei Jahren wirst du 60. Das war schon so ein kleiner Schock, aber mein Gott, was soll’s. Jetzt bin ich 60 geworden. Um Mitternacht war’s soweit, und die Welt ist nicht untergegangen. Ich bin in meinen Geburtstag hineingefahren, eigentlich so, wie es für meinen Beruf typisch ist – Rock’n’Rollmäßig. Ich saß in Lederjacke und Jeans in einem Jeep und fuhr auf der Autobahn nach Frankfurt. Da hab ich mir gedacht, andere feiern diesen Tag im Nadelstreifenanzug und in festgefahrenen Formen und ich sause auf der Autobahn durch die Gegend, um eine Ehrung entgegenzuneh­ men. Du siehst, mein Leben ist nach wie vor völlig verrückt, und ich finde es schön, dass es so ist!

Das kommt immer ganz auf den Gesprächspartner an. Aber in guten Interviews habe ich interes­ santerweise immer viel über mich selbst erfah­ ren, wenn man konzentriert nachdenkt. Und das tue ich, wenn ich auf Fragen antworte. Interviews geben mir die Möglichkeit, die Zeit, in der ich lebe, bewusster wahrzunehmen. Indem ich über Dinge spreche, spüre ich sehr stark, was um uns herum passiert. Es ist wie eine Reflexion! Ich habe aus Interviews einiges mitgenommen und für mich gelernt.

Foto: © NikMa Verlag

Von allem etwas. Die erste Frage geht sehr selbstkritisch an mich selbst: Habe ich das überhaupt ver­ dient? Steht da der richtige Mann für so eine große Auszeichnung? Unterhaltung hat meiner Meinung nach in der heutigen Zeit einen gewaltigen kulturellen Stellenwert. Und Unterhaltung sollte auch immer etwas mit Haltung zu tun haben. Ich glaube, dass ich dieses Kriterium zum Teil erfüllt habe und mich stets darum bemühe. Deswegen hat man mit dieser Ehrung vielleicht doch nicht ganz den Falschen erwischt …

Ich bin dir dankbar, dass du heute an ­solch einem besonderen Tag noch Zeit für dieses Interview gehabt hast. Machen dir Interviews überhaupt noch Spaß?

Foto: © NikMa Verlag

Du bekommst heute zu deinem Geburtstag das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Welche Gedanken kommen da auf? Stolz, Angst vor so viel Ehre?

Jedes Lächeln, das mir heute geschenkt wird. Und dass meine Kinder da sind, mein Bruder und dass wir im kleins­ ten Kreis zusammen sein werden. Und dass ich Musik machen darf, das ist ein Geschenk! Etwas ohne Stress und ohne Zwang tun zu dürfen, ist ein Geschenk. Nur wenn du etwas auf­ gezwungen bekommst, gerätst du in Stresssituationen. Für mich ist Musik zu machen das Größte, was es gibt! Es ist zwar höchste Anstrengung und volle Konzentration … ich brauche all meine Kraft und muss meine Zeit unheimlich gut einteilen, aber Musik ist mein Leben und gehört auf die Bühne. Deswegen ist auch die neue Tournee für mich wieder ein Geschenk. Ich bin Musiker, und es gibt für mich nichts Schöneres, als meine Musik, die aus mei­ nen Gedanken, meinen Glücksgefühlen, meinen Ängsten heraus entstanden ist, vor Menschen zu spielen. Auf diese Weise kann ich meine Gefühle ausdrücken und weitergeben, den Leuten einen Spiegel vorhalten, in dem ich mich dann aber auch wieder selber sehe. Das ist für mich die höchste Form des Musikerlebens. Solange ich das machen kann, bin ich mehr als dankbar! Foto: © Christian Simon Productions

So ein runder Geburtstag wirft Fragen auf. Denkst du heute etwas anders über die Vergangenheit und über die Zukunft als noch vor ein paar Jahren?

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DC-3

Der spätere Rosinenbomber" " revolutioniert die Luftfahrt Fliegen ist heute die einfachste, schnellste und sichers­ te Methode, jeden beliebigen Ort auf unserem Planeten zu erreichen. Bereits mit 14 Jahren darf ein junger Flugschüler seine Ausbildung zum Piloten (z. B. auf einem Segelflugzeug) beginnen und nach ca. 50 Starts und Landungen auch schon alleine fliegen. Mit 17 Jahren darf man in Deutschland sogar ein Motorflugzeug flie­ gen und nach erfolgreicher Prüfung auch Passagiere (in kleinen Privatmaschinen) befördern.

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och das war nicht immer so. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen steckte die Luftfahrt noch in den Kinderschuhen. Fliegen konnten sich nur gutsituierte Geschäftsleute leisten. Dazu kamen die Unbequemlichkeiten des Reisens durch die Lüfte. Die Flugzeuge waren noch längst nicht mit einer Druckkabine ausgerüstet und flogen deshalb in Höhen zwischen 1500 und 2000 Metern, also in sehr turbulenten Luftschichten. Die Fluggeräte waren laut, zugig und unbequem. Fliegen war damals lebensgefährlich, nicht selten kam es zu Unfällen. Das sollte sich jedoch mit der Einführung der DC-3 sehr bald ändern, denn dieses Flugzeug war von Anfang an etwas ganz Besonderes. Die Geschichte der DC-3 begann 1932 mit einem Brief, der im Büro des Flugzeugherstellers Douglas Aircraft Company eintraf. Er kam vom Vorstand der aufstrebenden Fluggesellschaft TWA, und es war kein normales Schreiben, sondern quasi die Geburtsurkunde eines Flugzeuges, das die Luftfahrt revolutionieren sollte. Der Chef von TWA machte eine klare Ansage an die Flugzeughersteller: Er Seite

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wollte ein Flugzeug, das mit der neuen B-247 mithalten konnte, Boeings zweimotorigem Tiefdecker, der weltweit als erstes modernes Passagierflugzeug gilt. United Airlines hatte davon ganze 60 Stück geordert, eine Bestellung, die Boeing volle zwei Jahre auslasten würde. So lange wollte TWA seinerseits allerdings nicht warten. Unter den Firmen, die auf das Schreiben reagierten, war auch die Douglas Aircraft Company aus Kalifornien. Donald Douglas war Ingenieur und hatte sich einen Namen als Hersteller robuster Militärflugzeuge gemacht. Er verwendete die B-247 als Blaupause für das, was machbar war – und ging dann da­ rüber hinaus: Die DC-1 war geboren. Der Jungfernflug des Prototyps fand am 1. Juli 1933 statt und war so vielversprechend, dass die geniale Konstruktion sofort zum Serienmodell DC-2 weiterentwickelt wurde. Von diesem Typ wurden 193 Exemplare gefertigt. Der Fluggesellschaft TWA, die sie in Auftrag gegeben hatte, war sie mit 14 Kabinenplätzen indes zu klein. So bekam Arthur Raymond, der Chefentwickler von Douglas, 1934 den Auftrag, eine Großversion der DC-2 zu konstruieren. Die Douglas Sleeper System sollte auch ausreichend Platz für Liegen bieten. Am 17. Dezember 1935 hatte das neue Flugzeug dann seinen Erstflug. Die Kapazität betrug zuerst 28, später bis zu 35 Passagiere. Die DC-3 ersetzte Stress durch Luxus, verkürzte die Flugzeiten um Stunden und veränderte dadurch die Art des Reisens grundlegend. Und selbstverständlich gab es auch eine freundliche, hilfsbereite Flugbegleiterin an Bord, die erfrischende Getränke und kulinarische Köstlichkeiten servierte.

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Die DC-3 war eines der ersten Flugzeuge in Ganzmetallbauweise mit Einziehfahrwerk. Allein das war schon eine kleine Revolution, denn Mitte der 30er Jahre waren Stoff und Holz gängige Baumaterialien für Flugzeuge. Die DC-3 besitzt eine maximale Abflugmasse von 11.890 kg, eine Nutzlast von 3000 kg und eine Treibstoff kapazität von 3000 l. Angetrieben wird der Tiefdecker von zwei Pratt & Whitney R1830-90 Doppelsternmotoren mit je 14 Zylindern. Jeder Motor hat 1200 PS. Die mittlere Reisegeschwindigkeit beträgt 300 km/h, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 382 km/h. Die maximale Reichweite der DC-3 im vollbeladenen Zustand beträgt 800 km. Dank ihrer Leistungsstärke, ihrer Robustheit, ihres geringen Treibstoffverbrauchs und ihres Aktionsradius' revolutionierte sie die Luftfahrt. Gegen Ende der 30er Jahre gehörte sie zur Luftflotte der meisten großen amerikanischen und europäischen Fluggesellschaften. Während des zweiten Weltkriegs spielte die DC-3 eine bedeutende Rolle. Sie kam als Transportmaschine, Sanitäts- und Schlepp­ flugzeug zum Einsatz. Die DC-3 war das ideale,­schnell in großen Stückzahlen verfügbare, leicht zu beherrschende Flugzeug für die zahlreichen viel zu schnell ausgebildeten jungen Flieger. Für den Kriegseinsatz entstanden leicht abgewandelte Versionen mit einer großen Seitentür zum Verladen von Material und zum Absetzen von Fallschirmspringern. Allein am D-Day, dem 5. Juni 1944, transportierte eine Armada von C-47 Maschinen 13.000 amerikanische Fallschirmjäger über den Ärmelkanal nach Frankreich. Für Dwight D. Eisenhower, General im zweiten Weltkrieg und späterer US-Präsident, gehörte dieses Flugzeug zu den kriegsentscheidenden Faktoren. Die militärischen Versionen der DC-3 führten die Bezeichnung C-47 Skytrain (Frachttransporter), C-53 Skytrooper (Truppentransporter) und R-4D (US-Marinetransporter). Für die Royal Air Force wurde das Flugzeug in britischer Lizenz unter der Bezeichnung C-47 Dakota gefertigt. Die Flugzeuge waren weder gepanzert noch bewaffnet. Erst im Vietnamkrieg wurden C-47 schwer bewaffnet als „Gunships" eingesetzt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden etliche der von der United States Army Air Force eingesetzten Flugzeuge an zivile Luftfahrtunternehmen verkauft. Auch die deutsche Lufthansa nutzte bei ihrer Neugründung im Jahre 1955 die Chance, preiswert an gute Flugzeuge zu kommen, und kaufte drei DC-3, die zunächst im innerdeutschen Reiseverkehr, später im Frachtdienst eingesetzt wurden. In Deutschland hat sich die DC-3 jedoch vor allem als „Rosinenbomber" einen Namen gemacht. GoodTimes

Mit diesen Flugzeugen durchbrachen die Alliierten vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 die Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion und sicherten so die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Kohle. Im August 1957 geriet eine C-47 hoch über dem US-Bundesstaat Missouri in ernste Schwierigkeiten. Die Maschine hatte aus unbekannten Gründen plötzlich keinen Treibstoff mehr. Die Piloten gerieten in Panik und sprangen mit dem Fallschirm ab. Das führerlose Flugzeug war aber hervorragend ausgetrimmt und legte dank der großen Spannweite im Segelflug ganz allein eine perfekte Landung hin: Wen wundert es, gilt die DC-3 doch als das beste je gebaute Flugzeug! Der einzige Ersatz für eine DC-3 sei eine DC-3, hörte man Piloten sagen. Insgesamt verließen zwischen 1935 und 1945 unglaubliche 16.079 Exemplare die Hallen der Douglas Aircraft Company (10.655 Stück) sowie der Lizenznehmer in Japan (487 Stück) und der Sowjetunion (4937 Stück). Zum vorerst letzten Kampfeinsatz einer DC-3 kam es im Jahr 2008 in dem 007-Thriller „Ein Quantum Trost". Der britische Superagent James Bond, gewohnt immer nur die neues­ ten, besten und teuersten Spielzeuge benutzen zu dürfen, setzte sich in einer „Big Rosie" getauften DC-3 gegen schwerbewaffnete Jagdflugzeuge und Kampfhubschrauber zur Wehr: Jungs und ihre Spielzeuge eben! Wer mehr über die legendäre DC-3 wissen möchte, dem sei wärmstens das Buch „Douglas DC-3 – Backstage" von Francisco Agullo und Michael Prophet empfohlen. Der Prachtband ist im Züricher AS Verlag erschienen und mit 112 imposanten Abbildungen versehen. Echte Fans haben aber auch die Möglichkeit zu einem unvergesslichen Flug mit einer DC-3. Weltweit fliegen noch rund 100 Exemplare dieser Wundervögel. In Genf findet der Liebhaber alten Fluggeräts eine Mitfluggelegenheit. Eine­Flugstunde kostet pro Person etwa 400 Euro. Zum stolzen Stundenpreis von 5600 Euro kann man die DC-3 Dakota auch komplett chartern. Der Flugbetrieb der DC-3 beginnt Anfang Mai, aber der Flugplan wird bereits im Februar auf der Internetseite flydc3.net veröffentlicht. Die Piloten garantieren, dass die Passagiere keinesfalls nur einfach durch die Luft kutschiert werden, sondern der Flug einer Reise in eine andere Zeit gleicht. Ein Abenteuer der besonderen Art, das man niemals vergisst ... Hans-Joachim Neupert 2/2018

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Das Jahr 1968

Von Matthias Bergert und Michael Fuchs-Gamböck

Politische Radikalisierung, sexuelle Revolution & Heintje

Kein Wunder, dass man bis heute von den sagenumwobenen 68ern" spricht – ein Begriff, der längst Einzug in den deutschen " Sprachgebrauch gefunden hat. Was war dieses 1968 aber auch für ein hochbrisantes, spannendes, aggressionsgeladenes, eben ganz spezielles Jahr! Es ist das Jahr der Weltveränderer, der Start der Berliner Kommunen, der Roten Armee Fraktion, der sexuellen Revolution. Alles Herkömmlich-Bürgerliche kommt vor allem bei den jungen Menschen auf den Prüfstand der " Andersdenkenden". Doch das Establishment schlägt zurück, als nach dem friedlichen Summer Of Love" des Vorjahres die poli" tische Radikalisierung beginnt – mit Aktivisten, die auch vor der Anwendung von Waffengewalt nicht zurückschrecken. Was die Mächtigen aber nicht beeindruckt: So starten die USA die Tet" Offensive" gegen Vietnam, während der weite Teile der Städte

Zeitgeschehen

1968

Am 1.1. wird in der Bundesrepublik die Mehrwertsteuer eingeführt. *** Vier Tage später wird Alexander Dubček Erster Sekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. *** In der DDR wird am 12.1. ein neues Strafgesetzbuch beschlossen, das am 1.7. in Kraft tritt. „Politische Delikte" werden von nun an strenger bestraft. *** Revolution in Kambodscha: Die Roten Khmer beginnen am 17.1. den Guerillakrieg gegen die Regierung unter Prinz Norodom Sihanouk. *** Am 18.1. beginnt in Aachen der sogenannte Contergan-Prozess gegen neun leitende Angestellte des Pharma-Unternehmens Grünenthal. Zwei Jahre später wird der Prozess eingestellt – Grünenthal zahlt allerdings 100 Millionen DM plus Zinsen an die missgebildeten Kinder. *** Zwischenfall in Nordkorea: Am 23.1. entdecken einheimische Schnellboote das US-amerikanische Aufklärungsschiff USS Pueblo und kapern es. *** Im Zuge der Tet-Offensive (30.1.–23.9.) tun sich nordvietnamesische Truppeneinheiten und Einheiten der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams zusammen. Dabei werden vor allem die Städte Saigon und Huế stark zerstört. Die Tet-Offensive hat zur Folge, dass immer mehr US-Bürger gegen den Vietnamkrieg protestieren. Walter Scheel *** Auf dem Freiburger FDP-Bundesparteitag wird Walter Scheel am 31.1. zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Er wird Nachfolger von Erich Mende. *** Ein Foto geht um die Welt: Am 1.2. erschießt Saigons Polizeichef Nguyễn Ngọc Loan vor Seite

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Saigon und Huễ zerstört werden. Truppen des Warschauer Pakts marschieren in der Tschechoslowakei ein, um dem friedfertigen Prager Frühling" brutal ein Ende zu bereiten. In Mexiko " werden protestierende Studenten von den Streitkräften massakriert. Berühmte Todesopfer gibt es ebenfalls zu beklagen, etwa US-Bürgerrechtler Martin Luther King oder den liberalen Präsidentschaftskandidaten Robert F. Kennedy. Es staut sich jede Menge Wut auf beiden Seiten auf. Die Rolling Stones und die Beatles positionieren sich eindeutig, die einen mit "Street Fighting Man", die anderen mit "Revolution". Doch so einfluss- und erfolgreich diese Bands auch sein mögen – die großen Herzensbrecher im Deutschland des Jahres 1968 sind Schnulzenkönig Roy Black und Muttis Liebling Heintje. Auch daran sieht man, wie zerrissen die Nation in jenem aufregenden Jahr ist. anwesenden Reportern einen Vietcong. *** In Polen werden durch Studentendemonstrationen die März-Unruhen eingeläutet (8.3.). Einheiten der Miliz und der paramilitärischen Organisation Ormo schlagen diese jedoch nieder. *** Am 16.3. massakriert die US-Armee im südvietnamesischen Mỹ Lai 504 unbewaffnete Zivilisten. Nur vier Soldaten werden später vor ein Militärgericht gestellt. *** Einige Mitglieder der Gruppe um Andreas Baader und Gudrun Ensslin verüben am Martin Luther King 2.4. in Frankfurt/Main drei Brandanschläge auf zwei Kaufhäuser. *** Der US-Bürgerrechtler Martin Luther King fällt am 4.4. in Memphis, Tennessee, einem Attentat zum Opfer. Der Täter, James Earl Ray, ist ein mehrfach vorbestrafter Rassist. *** Am 6.4. wird in der DDR bei einem Volksentscheid über die neue Verfassung abgestimmt. Diese wird angeblich von 94,5 Prozent der Wähler befürwortet. *** Studentenführer Rudi Dutschke wird am 11.4. in Berlin vom jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann angeschossen und lebensgefährlich verletzt. *** Am selben Tag wird in den USA der Civil Rights Act erlassen, um schwarze Bürger besser zu schützen. *** Dramatische Szenen spielen sich am 3.5. in Paris ab: Die Sorbonne wird besetzt. Drei Tage später beginnen die Mai-Unruhen. *** Ab dem 13.5. deutet sich erstmals ein Ende des Vietnamkriegs an. An diesem Tag beginnen die USA und Nordvietnam mit Friedensverhandlungen. *** In Nigeria geht am 18.5. der Biafra-Krieg (1967–70; Ziel: Abspaltung des nigerianischen Gebiets Biafra) in die heiße Phase. An diesem Tag erobern die nigerianischen Truppen die Hafenstadt Port Harcourt,

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womit Biafra immer mehr in die Defensive gerät. *** Für Kontroversen sorgen am 30.5. die Notstandsgesetze, die vom Bundestag mit einer Zweidrittel-Mehrheit verabschiedet werden. Vier Wochen später, am 30.6., treten die Notstandsgesetze in Kraft. *** Am 5.6. wird Robert F. Kennedy in Los Angeles vom palästinensischen Einwanderer Sirhan Sirhan ermordet. Der Täter behauptet später, er habe unter Hypnose gestanden. *** An der Wiener Uni findet am 7.6. die Aktion „Kunst und Revolution" statt, die als Uni-Ferkelei" in die österreichische " Geschichte eingeht. Von Nacktheit über Defäkation bis Masturbation werden alle Register gezogen. *** Am 1.7. wird in Washington, D.C., der Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, und zwar von drei der fünf damaligen Atommächte (USA, Großbritannien, Sowjetunion). Bis heute haben insgesamt 190 Staaten diesen Vertrag unterzeichnet. *** Im Iran kommt am 17.7. der Revolutionäre Kommandorat der arabisch-sozialistischen Baath-Partei an die Macht. Diese Militärjunta bzw. Kollektiv-Diktatur besteht bis 2005. *** Am 20./21.8. marschieren Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei ein. Der Prager Frühling findet damit ein jähes Ende. *** Aber auch Erfreuliches gibt es im August zu vermelden. So heiratet Kronprinz Harald von Norwegen am 29.8. seine Freundin Sonja Haraldsen. *** In Mexiko wird am 2.10. das Massaker von Tlatelolco verübt. Die mexikanische Studentenbewegung wird dadurch gewaltsam niedergeschlagen. *** Am 22.10. unterzeichnet US-Präsident Lyndon B. Johnson eines der wichtigsten Waffengesetze, den Gun Control Act. *** Neun Tage später, am 31.10., setzt Johnson ein wichtiges Zeichen Richard Nixon in Ostasien: Er befiehlt die Einstellung aller Bombenangriffe im Vietnam-Krieg – gerade rechtzeitig, bevor er sein Amt niederlegt. *** Bei den US-Präsidentschaftswahlen setzt sich am 5.11. Richard Nixon durch, der 1974 über die Watergate-Affäre stolpert und daraufhin zurücktritt. *** Leonid Breschnew, sowjetischer Staats- und Parteichef, verkündet am 12.11. auf dem 5. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei die Breschnew-Doktrin". " Diese geht von einer „beschränkten Souveränität" der sozialistischen Staaten aus, d. h.: Wenn in einem dieser Staaten das Regime bedroht ist, darf die Sowjetunion eingreifen.

Sport

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Bei der legendären Vierschanzentournee siegt am 1.1. der norwegische Weltmeister im Skispringen, Björn Wirkola, in GarmischPartenkirchen. Er überflügelt alle Konkurrenten mit dem damaligen Schanzenrekord von 92,5 Meter. *** Nur zwei Tage später gewinnt der bundesdeutsche Radprofi Rudi Altig mit seinem Partner Sigi Renz das 16. Kölner Sechstagerennen. *** Einer der prominentesten Skisportler der DDR, der damals 21-jährige Ralph Pöhland, flieht am 15.1. bei den vor­ olympischen Wettkämpfen im schweizerischen Les Bioux in den Westen. Der bundesdeutsche Skispringer Georg Thoma ist sein Fluchthelfer. *** Die Rallye Monte Carlo, die eine Woche zuvor begonnen hat, geht am 26.1. mit einem Doppelsieg für Porsche zu Ende. Tragischer Nebenaspekt der Tour: Während der Veranstaltung kommen zwei Fahrer ums Leben, weitere sechs Personen werden verletzt. *** Bei den Olympischen Spielen im französischen Grenoble gewinnt am 11.2. der Skisportler Franz Keller in der Nordischen Kombination die erste Goldmedaille für die Bundesrepublik Deutschland – und stellt gleich einen neuen Weltrekord auf. *** Wettkampfbetrug: Bei den Winterspielen in Grenoble werden die Rennrodlerinnen der DDR am 13.2. disqualifiziert. Sie haben die Kufen ihrer Schlitten Franz Keller angewärmt. *** Kurioser Boxkampf am 5.4. in der Frankfurter Festhalle: Der deutsche Berufsboxer im Schwergewicht, Karl Mildenberger, verliert in der siebten Runde durch K.o. gegen den US-Amerikaner Leotis Martin. Dieser war in keiner Weltrangliste geführt. Mildenberger scheidet durch jene Niederlage aus der World Boxing Association aus. *** Am 7.4. gewinnt der belgische Radprofi Eddy Merckx das Straßenrennen Paris-Roubaix. Es galt als eines der vertracktesten jener Zeit. *** Das Internationale Olympische Komitee (IOC) macht am 22.4. die Einladung des südafrikanischen Sportlerteams GoodTimes

zu den Olympischen Sommerspielen in Mexiko rückgängig, nachdem 40 vorwiegend afrikanische Staaten massive Boykottdrohungen ausgestoßen hatten. Südafrika ist zu dieser Zeit noch von der Apartheid-Politik geprägt. *** Überraschend zieht der Hamburger SV ins Finale des Europacups der Pokalsieger ein. Am 23.5. ist für die hanseatischen Kicker allerdings das Ende der Fahnenstange erreicht – sie müssen sich im Feyenoord-Stadion in Rotterdam dem AC Mailand mit 0:2 geschlagen geben. *** Der 19-jährige Robert Hübner aus Porz gewinnt am Eddy Merchx 25.5. ein Schachturnier Internationaler Großmeister. Eine Sensation, denn Hübner ist der mit großem Abstand jüngste Teilnehmer. *** Am 25.5. wird der 1. FC Nürnberg unter Spitzentrainer Max Merkel Deutscher Fußballmeister. Es ist bereits der neunte Titelgewinn für die „Cluberer". *** Einen Tag später gewinnt der britische Rennfahrer Graham Hill in seinem Lotus Ford mit nur zwei Sekunden Vorsprung den 26. Großen Preis von Monaco. Dadurch baut er seine Führung in der Gesamtwertung der Formel-1Weltmeisterschaft weiter aus. *** Anlässlich der Olympischen Spiele in Mexiko (12.–27.10.) brechen bei Wettkämpfen in der Hauptstadt vermehrt Athleten zusammen. Sie sind der dünnen Höhenluft der 2240 Meter hoch gelegenen Metropole Mexiko City nicht gewachsen. *** Bei eben jener Olympiade werden die US-Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos aus dem US-Team und dem olympischen Dorf verwiesen, weil sie am 16.10. bei der Siegerehrung im 200-Meter-Lauf demonstrativ das Black Power"-Symbol – eine geballte Faust in schwarzen " Handschuhen – gezeigt haben.

Funk & Fernsehen

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Erstmals wird am 18.1. in der ARD das Polit-Magazin Kontraste" " ausgestrahlt. Ursprünglich auf Ost/West-Themen konzentriert, wird aus dem TV-Format – das bis heute existiert – bald ein zeitkritisches, investigatives Hintergrund-Journal. *** Achtung Probe!" nennt " sich die sechsteilige deutsche Musik-Comedyserie, die am 24.2. startet. Bandleader Max Greger und sein Orchester nehmen die Zuschauer mit zu Proben, spontanen Musikeinlagen, gelegentlich werden Turbulenzen ausgelöst. *** Am 25.2. startet das erste Rundfunk-Programm des Österreichischen Fernsehens, Ö1, mit der Übertragung in Stereo. *** Im ZDF wird am 11.3. die letzte Folge des vierteiligen DDR-Films Wolf unter Wölfen" " gezeigt. Die Serie, die nach dem sozialkritischen Roman des Autors Hans Fallada entstand, ist die erste DDR-Produktion, die vom bundesdeutschen Fernsehen gezeigt wird. *** Die Starparade" gibt " ihr Debüt am 14.3. im ZDF. Die Show bringt es auf 13 Staffeln und insgesamt 50 Sendungen, ehe sie 1980 eingestellt wird. Es gibt unterschiedliche Moderatoren, etwa Rainer Holbe oder Schlagersängerin Manuela, außerdem stets einen ungewöhnlichen Gäste-Mix – da kann schon mal Neil Diamond auf T. Rex oder Heino treffen. *** Zum zehnjährigen Jubiläum der beliebten ARD-Krimiserie Stahlnetz" wird " am 18.3. die Folge „Ein Toter zu viel" gezeigt. Die Drehbücher für alle bisherigen Folgen hatte Wolfgang Menge geschrieben. Vorlage dafür waren authentische Kriminalfälle. Regie bei sämtlichen Folgen führt Jürgen Roland. *** Otfried Preußlers Jugendroman Die Abenteuer " des starken Wanja" ist wegen seiner Märchenhaftigkeit geradezu prädestiniert für eine Verfilmung. Denkt sich die ARD – und behält Recht mit ihrer Einschätzung. Am 7.4. läuft die Startfolge des dreiteiligen Puppenfilms und begeistert Jung wie Alt gleichermaßen. *** Am 7. Mai strahlt das ZDF die vorerst letzte Folge der britischen KultKrimiserie Mit Schirm, Charme und Melone" aus. *** Ganze " drei Dekaden lang läuft in der ARD die Diskussionssendung Pro & " Contra", die am 15.5. Premiere hat. Sinn der Sendung: Zwei Experten streiten sich zu einem vorher festgelegten Thema, um das Publikum von ihren Standpunkten zu überzeugen. *** Eine der beliebtesten – und mit 254 Episoden langlebigsten – Unterhaltungsserien startet am 4.6. in der ARD: die US-Reihe „Bewitched", auf Deutsch Verliebt in " eine Hexe". Darin heiratet die junge Hexe Samantha den „magie2/2018

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freien" Darrin Stephens, der seiner Gattin das Zaubern austreiben will – was ihm nicht wirklich gelingt. *** Der Generalintendant des österreichischen Radiosenders Ö3, Gerd Bacher, verkündet am 1.9. den sogenannten Schnulzenerlass. Was bedeutet, dass mehr internationale Interpreten und englischsprachige Songs ausgestrahlt werden als bisher. *** Die ARD passt sich dem herrschenden Zeitgeist an und zeigt am 1.10. die von ihr propagierte „verrückteste Fernsehshow des Jahres" namens Hippie Happy " Yeah". In der 60-Minuten-Sendung wird choreografisch mit leuchtenden Pop-Art-Farben gearbeitet, es gibt eine Vielzahl von Gags und Musik u. a. von den Beatles. *** Eine der beliebtesten Zeichentrickserien für Kinder (und nicht nur für die) ist die in Polen hergestellte Reihe Lolek und Bolek". Die beiden gewitzten " Lolek und jugendlichen Freunde haben stets neue Pläne, sind Bolek unzertrennlich, lernen pausenlos etwas dazu. ARD-Startschuss ist der 24.10., die Episoden laufen bis 1986. *** Ein echter Straßenfeger wird für das ZDF ab dem 8.11. der spannende Krimi-Dreiteiler Die Affäre " Dreyfus", eine deutsch-französische Kooperation, die auf einer wahren Spionage-Begebenheit basiert. Hauptdarsteller sind u. a. Bernhard Wicki, Dietmar Schönherr und Wolfgang Büttner. *** An der von der ARD ausgestrahlten TV-Lotterie Ein Platz an der Sonne für " jung und alt" (30.11.) beteiligen sich 11,7 Millionen Zuschauer. Sie "Die Affäre Dreyfus" bringen 58,7 Millionen D-Mark zugunsten wohltätiger Zwecke auf. *** Zum Jahresausklang liefert das ZDF dem Publikum einen spannenden Dreiteiler mit Starbesetzung: In Babeck" wirken Charles Regnier, " Senta Berger und Helmuth Lohner mit. Im Zentrum des Geschehens steht der Arzt Dr. Brenner, der trotz schlecht laufender Praxis einen elitären Lebensstil pflegt. Um diesen bestreiten zu können, zwingt ihn immer wieder der mysteriöse Babeck dazu, neue Untaten zu begehen.

Film

1968

Das Jahr 1968 markiert in der westdeutschen Filmgeschichte einen wichtigen Einschnitt, denn mit der „1. Hamburger Filmschau" (16.–18.2.) wird der Grundstein des Neuen Deutschen Films gelegt. Im Gegensatz zu den Festivals von Oberhausen und Mannheim, wo im Jahr zuvor viele Werke junger Regisseure nicht zugelassen oder nur im Nebenprogramm gezeigt wurden, wird nun der Weg geebnet für innovative Filme, die oft systemkritisch sind. Im Mainstream-Bereich sind dagegen anspruchslosere Streifen gefragt, z. B. Filme aus der „Die Lümmel von der ersten Bank"-Reihe oder billige Erotikfilmchen. *** In der DDR wird dagegen tendenziell anspruchsvolleres Kino geboten, wobei öfter das Thema Krieg aufgegriffen wird („Abschied", „Ich war neunzehn"). Im Osten weiterhin hoch im Kurs: Indianerfilme („Spur des Falken") oder Adaptionen von Heißer Sommer" " Robert-Louis-Stevenson-Romanen („Schüsse unterm Galgen"). Am beliebtesten ist jedoch der Musikfilm „Heißer Sommer" (Hauptrolle: Frank Schöbel), der zu einem der erfolgreichsten DDR-Filme überhaupt wird. *** Internationale Top-Produktionen gibt es auch 1968 wieder genug. An erster Stelle muss hier Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltenraum" genannt werden, aber auch Franklin J. Schaffners Science-Fiction-Meisterwerk „Planet der Affen" ist seiner Zeit weit voraus. Wer das Fürchten lernen möchte, kommt mit Roman Polanskis Horrorstreifen „Rosemaries Baby" voll auf seine Kosten. Außerdem läuft Sergio Leones Italo-Western „Spiel mir das Lied vom Tod" an und avanciert bald zu einem der wichtigsten Filme dieses Genres. *** Am 10.4. werden im Santa Monica Civic Auditorium zum 40. Mal die Oscars verliehen. Wegen des Attentats auf Martin Luther King ist die Veranstaltung um zwei Tage verschoben worden. Norman Jewisons Krimi „In der Hitze der Nacht" ist dabei der große Abräumer und erhält insgesamt fünf Auszeichnungen (u. a. als „Bester Film" und für den „Besten Hauptdarsteller"). Für das Filmmusical „Camelot – Am Hofe König Arthurs" gibt es drei Preise, während Seite

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Stanley Kramers Komödie „Rat mal, wer zum Essen kommt" trotz zehn Nominierungen lediglich zwei Oscars erhält – genauso viele wie Arthur Penns Gangsterdrama „Bonnie und Clyde" und Richard Fleischers Filmmusical „Doktor Dolittle". Eher enttäuschend ist dagegen die Ausbeute für Mike Nichols: Sein späterer Klassiker „Die Reifeprüfung" erhält nur einen einzigen Oscar, nämlich für die „Beste Regie". Der „Irving G. Thalberg Memorial Award" geht dieses Jahr an Alfred Hitchcock – weitere Oscars wird der „Meister der Spannung" aber nie mehr erhalten. *** Bei den 21. Internationalen Filmfestspielen von Cannes (10.5.–19.5.) kommt es zu einem Novum. Mehrere Jurymitglieder (darunter Louis Malle und Roman Polanski) bringen ihre Solidarität mit den Studenten der Pariser Mai-Unruhen zum Ausdruck und fordern einen Abbruch des Festivals – wozu es dann auch kommt. Pech für die angetretenen Filme: In diesem Jahr werden überhaupt keine Preise verliehen. *** Weniger spektakulär geht es dagegen bei der Berlinale (21.6.–2.7.) zu. Den Goldenen Bären erhält „Raus bist du" von Jan Troell, als „Bester Schauspieler" bzw. „Beste Schauspielerin" werden Jean-Lous Trintignant („L’Homme qui ment") und Claude Chabrols damalige Ehefrau Stéphane Audran („Les Biches") geehrt. Den Preis als „Bester Regisseur" darf Carlos Saura für „Peppermint Frappé" nach Hause nehmen. *** Bei den Bravo"" Ottos räumen wie schon 1967 Schauspieler/innen ab, die durch die damals populären Karl-May-Verfilmungen von sich reden machten. Die Goldenen Ottos gehen erneut an Winnetou-Darsteller Pierre Brice und Nscho-tschi-Darstellerin Marie Versini (auf Platz 2 landen „Jerry Cotton"-Star George Nader und Helga Anders, auf Platz 3 Robert Hoffmann und Liselotte Pulver). *** Zuletzt noch ein Überblick über die beliebtesten Filme des Jahres 1968 in Deutschland. Ganz oben rangiert der Trickfilm „Das Dschungelbuch" (7,6 Mio. Zuschauer), danach sind in den Top 10 fast ausschließlich deutsche Filme zu finden, nämlich May Spils’ Komödie „Zur Sache, Schätzchen" (6,5 Mio. Zuschauer), Oswalt Kolles erster Aufklärungsfilm „Das Wunder der Liebe" und die Pauker-Klamotte „Zum Teufel mit der Penne" (je 6 Mio. Zuschauer). Auch weitere Pauker-Filme erfreuen sich größter Beliebtheit: So locken „Zur Hölle mit den Paukern" und „Immer Ärger mit den Paukern" jeweils vier Millionen Kinogänger an, gefolgt von Oswalt Kolles „Das Wunder der Liebe 2. Teil" (3,5 Mio. Zuschauer). Die Liberalisierungstendenzen des Jahres 1968 scheinen sich somit auch im Filmgewerbe niederzuschlagen. Weiterhin populär in Deutschland sind außerdem Edgar-Wallace-Verfilmungen, die ab „Der Hund von Blackwood Castle" nun auch in Farbe zu sehen sind.

Musik

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Am 7.1. setzt sich Beatle George Harrison in ein Flugzeug nach Indien, um sich dort vom weltberühmten Sitarspieler und Komponisten Ravi Shankar in die Kunst indischer Musik einweisen zu lassen. Im Monat darauf folgen ihm seine Bandkollegen Paul McCartney, John Lennon und Ringo Starr nach Rishikesh. Ebenfalls an Bord: der schottische Folk-Troubadour Donovan. Alle Reisenden lassen sich bei Maharishi Mahesh Yogi in der Kunst der „Transzendentalen Meditation" unterrichten – die Donovan in Gesprächen bis heute als „geniale Einrichtung" hochhält. *** Am 22.1. stuft ein Athener Berufungsgericht das Strafmaß gegen den Komponisten und ehemaligen Führer der Kommunistischen „Lambrakis-Jugend", Mikis Theodorakis, von 23 auf knapp 10 Monate herunter. Damit wird die Voraussetzung für seine Amnestie geschaffen, Theodorakis kehrt in seine Heimat zurück. *** Das Publikum im Londoner Club Empire Pool erlebt am 12.5. eine (angenehme) Überraschung: Die Rolling Stones entern unangekündigt die Bühne und spielen erstmals ihren späteren Mega-Hit "Jumpin’ Jack Flash". Die Single dazu erscheint erst zwölf Tage später im Handel. *** Gleich mit seinem ersten Album steigt der aus Holland stammende Sänger Heintje am 3.6. auf die Pole Position der „Spiegel"-Bestsellerliste für Langspielplatten ein. Hein Simons, wie der Bursche mit der glockenklaren Stimme zivil heißt, ist zu diesem Zeitpunkt gerade mal elf

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Jahre jung. 1968 wird das Jahr des charmanten Jungspunds. In der Liste der bestverkauften Singles des Jahres in Deutschland ist er gleich dreimal in den Top Ten vertreten: Mit "Du sollst nicht weinen" (Platz 1), "Mama" (Platz 4) und "Heidschi Bumbeidschi" (Platz 10). *** PräGlobalisierung beim Deutschen Schlagerwettbewerb am 5.7.: Die Schwedin Siw Malmkvist geht mit dem Lied "Harlekin" als Siegerin hervor, Platz 2 belegt die Dänin Dorthe Larsen mit "Wärst du doch in Düsseldorf geblieben", gefolgt von der Französin France Gall und "Computer Nr. 3". *** In einem Londoner Kino findet am 17.7. die Premiere des psychedelischen Zeichentrickfilms Yellow Submarine" " statt, in dem animierte Beatles die Hauptrolle spielen. *** Das erste Newport Festival, das am 3./4.8. im kalifornischen Costa Mesa über die Bühne geht, ist gleichzeitig das erste Festival, bei dem nachweislich mehr als 100.000 Besucher Eintritt zahlen. Kein Wunder bei dem Programm – ­u. a. zu hören sind Country Joe & The Fish, Steppenwolf, Jefferson Airplane, The Byrds und etliche mehr. *** Nicht ganz so viele Gäste verzeichnet das erste Isle Of Wight"-Festival, benannt nach " dem Veranstaltungsort, einer britischen Kanalinsel. Aber immerhin, auch hier tauchen am 31.8. und 1.9. gut 20.000 Fans auf, um Künstlern wie Fairport Convention, The Move oder The Crazy World Of Arthur Brown zu lauschen. *** Und auch Deutschland hat ein ganz spezielles Festivaldebüt. Vom 25. bis 29.9. finden die ersten „Internationalen Essener Sonntage" statt. Sie gehen als Geburtsstunde eigenstän" diger Rockmusik in Deutschland" in die Annalen ein. Zu bewundern sind solch unterschiedliche Künstler wie Alexis Korner, Amon Düül II, The Mothers Of Invention oder Hannes Wader. In fünf Tagen bekommen gut 40.000 Zuschauer 43 Programmpunkte serviert. *** Und nochmals zum Jahresausklang die äußerst umtriebigen Fab Four: Am 22.11. erscheint die heißersehnte neue Produktion der Beatles, eine namenlose Doppel-LP, die auf Grund der Coverfarbe rasch als das WEISSE ALBUM betitelt wird. Es kommt noch experimentierfreudiger daher als der eh schon revolutionäre Vorgänger SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND aus dem Jahr 1967. *** Die großen Single-Hits des Jahres könnten 1967 unterschiedlicher nicht klingen, sie reflektieren die Zerrissenheit jenes Jahres auch in den Charts. Da duellieren sich in den Pole Positions solch unterschiedliche Künstler wie der oben genannte Heintje und die Beatles, Udo Jürgens mit den Rolling Stones, Peter Alexander mit den Bee Gees. Bei den bestverkauften Alben sieht es beinahe identisch aus. *** Sechs von zehn Sängern, die von den Lesern der Jugendzeitschrift „Bravo" 1968 mit dem legendären „Otto" ausgezeichnet werden, sind deutschsprachig – allen voran Sieger Roy Black. Ansonsten im nationalen Angebot: Ricky Shayne (3), Udo Jürgens (5), Rex Gildo (7), Freddy Quinn (8) und Adamo (9). *** Bei den „Otto"-Wahlen zur „Band des Jahres" sieht es hingegen völlig anders aus: Die Lords schaffen es mit Rang 5 als einzige deutsche Band unter die beliebtesten 10 – und singen bezeichnenderweise auch noch auf Englisch. Sie müssen sich den Bee Gees, Beatles, Monkees und Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich geschlagen geben. Immerhin haben die Hanseaten die Rolling Stones und die Beach Boys hinter sich gelassen. *** Während in Deutschland sehr gerne Schlager gehört werden und für volle Kassen bei den Künstlern und ihren Managern sorgen, ist etwa in Großbritannien oder den USA die psychedelische Hippie-Bewegung in vollem Gange, wie ein Blick auf die Charts zeigt: The Doors, die Jimi Hendrix Experience, The Who, Janis Joplin und viele andere sind von dort nicht mehr wegzudenken. Die „68er Generation" meißelt sich hier selbst in Stein.

Vermischtes

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Verheerender Jahresbeginn im brasilianischen Bundesstaat Bahia: Bei Überschwemmungen sterben mehr als 200 Menschen, weitere 50.000 werden obdachlos. *** Am 10.1. landete die US-Raumsonde Surveyor 7 auf dem Mond. *** Am 21.1. stürzt ein US-Flugzeug vom Typ B-52 in der Nähe der Thule Air Base in Grönland ab. An Bord sind vier Wasserstoffbomben, weshalb die dänische Regierung merklich verstimmt reagiert. Beim Absturz wird Radioaktivität freigesetzt. *** Die Mondlandefähre Apollo 5 startet am 22.1. von Cape Canaveral GoodTimes

aus zu einem unbemannten Testflug in die Erdumlaufbahn. *** Nach einer Explosion sinkt das sowjetische U-Boot K-129, wobei alle 86 Besatzungsmitglieder sterben (8.3.). Die CIA versucht daraufhin im Rahmen des (geheimen) Azorian-Projekts, das U-Boot zu bergen. *** Am 17.3. heben die Zentralbanken der westlichen Länder den Goldstandard auf. Das heißt: Die nationale Währung muss nicht primär durch Gold gedeckt sein. *** Am 4.4. wird letztmals eine unbemannte Saturn-Rakete (Apollo 6) gestartet. *** Das US-amerikanische U-Boot USS Scorpion (SSN-589) versinkt am 22.5. in der Nähe der Azoren. 99 Personen sterben. *** Die rechtsradikale Frauenrechtlerin Valerie Solanas verübt am 3.6. in New York einen Mordanschlag auf den Pop-Art-Künstler Andy Warhol. *** In Billund (Dänemark) wird am 7.6. das erste Legoland eröffnet. Heute pilgern jährlich 1,6 Millionen Besucher dorthin. *** Seit dem 18.6. ist Alkoholismus in Deutschland als Krankheit im Sinne der Reichsversicherungsordnung anerkannt. *** Vom 27.6. bis 8.10. findet in Kassel die documenta IV statt. *** Am 11.7. kommt es in Bitterfeld zum größten ChemieUnfall der DDR. Bei einer Explosion sterben 42 Menschen, außerdem gibt es mehr als 200 Verletzte. *** Robert Noyce und Gordon Moore gründen am 18.7. die Firma Intel (= Integrated Electronics). *** Ein Erdbeben auf der indonesischen Insel Celebes (heute: Sulawesi) fordert am 15.8. mehr als 68.000 Tote. Gut zwei Wochen später sterben bei einem Erdbeben im Iran ca. 20.000 Menschen. *** Am 15.9. wird die Hochalpenstraße über das Timmelsjoch eröffnet. *** Sensation im Weltall: Am 11.10. startet Apollo 7, der erste bemannte Flug eines US-Raumschiffs. *** Atomkraft J. Kennedy & A. Onassis in den Niederlanden: Am 18.10. wird in Dodewaard das erste kommerzielle Kernkraftwerk ans Netz genommen. 1997 wird es abgeschaltet. *** Am 20.10. läuft der griechische Reeder Aristoteles Onassis zusammen mit Jaqueline Kennedy (Witwe von John F. Kennedy) in den Hafen der Ehe ein. Er selbst bezeichnet diese Eheschließung später als den größten Fehler seines Lebens. *** Der Zeekanal Gent-Terneuzen wird am 19.12. eröffnet. *** Mit Apollo 8 starten am 21.12. drei US-amerikanische Astronauten zum ersten bemannten Flug um den Mond. Drei Tage später, pünktlich zu Weihnachten, melden sich die drei zu einer Liveschaltung aus dem All. *** Verheerend wirkt sich die Hongkong-Grippe aus, die 1968 ausbricht. Bis 1970 sterben daran zwischen 750.000 und einer Million Menschen. *** Geburten-Mix 1968: Sänger Mike Patton (27.1.), Rodlerin Susi Erdmann (29.1.), König Felipe VI. von Spanien (30.1.), Kabarettist Hennes Bender (19.2.), Hollywood-Star Daniel Craig (2.3.), Sänger Damon Albarn (23.3.), Sängerin Céline Dion (30.3.), Schauspieler Michael „Bully" Herbig (29.4.), Schauspieler Jürgen Vogel (30.4.), Sängerin Kylie Minogue (28.5.), Fußballer Stefan Effenberg (2.8.), Fechterin Anja Fichtel Apollo 8 (17.8.), Radrennfahrer Chris Boardman (26.8.), Theaterregisseur Thomas Ostermeier (3.9.), Sängerin Anastacia (17.9.), Schauspieler Will Smith (25.9.), Formel-1-Rennfahrer Mika Häkkinen (28.9.), Schauspielerin Naomi Watts (28.9.), Sänger Thom Yorke (7.10.), Schauspieler Hugh Jackman (12.10.), Moderatorin Inka Bause (21.11.), Fotomodell Helena Christensen (25.12.), HipHopper Thomas D (30.12.). *** Verstorben 1968: Beat-Poet Neal Cassady (4.2., 61 Jahre), Kunsthistoriker Erwin Panofsky (14.3., 75 Jahre), Raumfahrer Juri Gagarin (27.3., 34 Jahre), Pianistin Elly Ney (31.3., 85 Jahre), Formel1-Rennfahrer Jim Clark (7.4., 32 Jahre), Maler/Grafiker John Heartfield (26.4., 76 Jahre), Jazzgitarrist Wes Montgomery (15.6., 45 Jahre), Richter/Staatsanwalt Fritz Bauer (1.7., 64 Jahre), Puppenmacherin Käthe Kruse (19.7., 84 Jahre), Schauspielerin/Sängerin Lilian Harvey (27.7., 62 Jahre), Chemiker/Atomforscher Otto Hahn (28.7., 89 Jahre), Philosoph/Theologe Romano Guardini (1.10., 83 Jahre), Maler/ Objektkünstler Marcel Duchamp (2.10., 81 Jahre), Atomphysikerin Lise Meitner (27.10., 89 Jahre), Schriftsteller Upton Sinclair (25.11., 90 Jahre), Theologe Karl Barth (10.12., 82 Jahre), Schriftsteller John Steinbeck (20.12., 66 Jahre). 2/2018

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Die Karl-May-Filmfotoromane

Von Hans-Joachim Neupert

In den 50er und 60er Jahren erfreuten sich neben den Comic- und Romanheften besonders in Italien und Frankreich auch sogenannte Foto­romane allergrößter Beliebt­ heit. Vom überformatigen Magazin bis zum Piccoloheft waren alle Formate vertreten. Im Volksmund wurden diese Publikationen spöttisch als "das Kino der armen Leute" bezeichnet.

Pierre Brice & Lex Barker sind zurück! D

er größte Teil der Fotoromane wurde mit sehr geringem Budget in kürzester Zeit von professionellen Fotografen und einem Team junger, attraktiver Schauspieler am Fließband produziert. Filmstars wie Gina Lollobrigida, Sophia Loren, Claudia Cardinale, Ornella Muti und sogar der legendäre Pierre Brice starteten ihre Schauspielkarrieren als Akteure im Fotoroman. Es gab speziell für den Zeitschriftenmarkt produzierte Fotoromangeschichten, zumeist schnulzige Liebesgeschichten, aber ebenso benutzte man Originalfilmmaterial, erkennbar

an den leicht unscharfen Bildern, und bastelte daraus filmgenau eine Comic-Geschichte mit Sprechblasen oder unterlegtem Text. In Deutschland konnte sich der Fotoroman als eigenständige Publikationsform nicht durchsetzen, aber als Einzelseite im Innenteil einiger Programmzeitschriften und Comic-Serien wurde er zum Kultobjekt. Der junge deutsche Filmproduzent Horst Wendlandt hatte 1959 mit großem Erfolg die Edgar-Wallace-Serie ins Leben gerufen und suchte dann nach neuen Stoffen für die große Leinwand. Wie der Zufall es wollte, waren damals gerade die Filmrechte Seite

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an den Karl-May-Romanen abgelaufen – und ein deutscher Produzent wagte das Unmögliche. Der meistverkaufte Karl-May-Roman war „Der Schatz im Silbersee", und so beschloss man, diese Geschichte mit großem Budget zu verfilmen. Die enormen Kosten der Filmproduktion forderten von den Werbeleuten innovative Ideen. Die Werbeabteilung der Constantin-Film bereitete die Premiere des Films generalstabsmäßig vor, und der Presseabteilung gelang es, den Chefredakteur der Fernsehzeitschrift „Bild + Funk" aus dem Burda-Verlag zu überzeugen, den Film „Der Schatz im Silbersee" als Fotoroman in Fortsetzungen zu veröffentlichen. Eine grandiose Idee, die viele Jahre lang für die Filmserie und auch für die Programmzeitschrift von großer Bedeutung sein sollte. Bereits Anfang November 1962 erschien in der „Bild + Funk" die erste Folge, begleitet von einem Porträt Karin Dors und einem tollen Titelbild. Die Filmbildgeschichten waren farbig und in etwa wie die PrinzEisenherz- und die Mecki-Seiten gestaltet, also ohne Sprechblasen und anfangs relativ textlastig. „Der Schatz im Silbersee" überzeugte Kritiker und Publikum gleichermaßen, und war ein voller Erfolg. Es bildeten sich lange Schlangen vor den Lichtspielhäusern. Und auch der Fotoroman begeisterte die Leser der „Bild + Funk". Für die nächsten sechs Jahre wurde die Zeitschrift, zusammen mit der „Bravo", von den Karl-May-Filmen wesentlich geprägt. Die Leser der Programmzeitschrift wollten immer mehr. 15 Wochen mit Winnetou und Old Shatterhand, in großformatigen Bildern und in Farbe, das kam bei den Lesern an. Im Herbst 1963 ging es dann endlich mit „Winnetou, Teil 1" los. Man präsentierte dem Publikum zwei Titelbilder zum Fotoroman und gestaltete die Geschichte über 30 Folgen. Bald bemerkte man in der Redaktion der Zeitschrift zudem, dass die Fotoromanseiten von vielen Kindern nicht nur mit Begeisterung gelesen, sondern auch ausgeschnitten und gesammelt wurGoodTimes

den. Ab da wurde am Ende einer jeden Serie ein Deckblatt abgedruckt, welches als Cover einer möglichen Sammelmappe dienen sollte. Auf dem Höhepunkt der Karl-May-Welle, um Mitte 1965, brachte eine weitere BurdaZeitschrift, die „Bunte", dann ebenfalls Karl-May-Filmbildgeschichten, und auch in den legendären Comic-Heften „Micky Maus" und „Mickyvision" konnte man die Filme in kleinen Portionen genießen. In den Jahren 1964 bis 1967 gab es in den Heften jeweils drei bis vier Seiten aufwendig gestalteter Sammelserien zu den Karl-May-Filmen mit Pierre Brice, Lex Barker und Stewart Granger. Die Bilderge­ schichten wa­ren damals ein enormer Anreiz für den Kauf einer Zeitschrift. Der riesige Erfolg der Karl-May-Filme sollte auch die Kassen der Produzenten weiterer bunter Bilderhefte füllen. Der WalterLehning-Verlag in Hannover brachte in rascher Folge gleich zwei Comic-Serien mit den verschiedenen Helden aus dem Karl-May-Universum auf den Markt, und auch in der beliebten Jugendzeitschrift „Fix und Foxi" erschien „Winnetou", gezeichnet von Walter Neugebauer, ab 1963 in Fortsetzungen. 1966, auf dem Höhepunkt der ItaloWestern-Welle, die ja mit dem „Schatz im Silbersee" in gewisser Weise ihren Anfang nahm, kam „Winnetou und sein Freund Old Firehand" in die Kinos. Dieser Film war in typischer Italo-Western-Manier gehalten und läutete das Ende der KarlMay-Welle ein. Der Zauber von Winnetou und Old Shatterhand war zerstört. Gleichzeitig bedeutete dieser Wandel auch das Ende der Karl-MayFilmbildgeschichten. Die Bildgeschichten zu den KarlMay-Filmen der 60er Jahre gehören seit vielen Jahren zu den gesuchten Sammelobjekten zahlreicher Film- und Karl-May-Fans. 2015 erschien zur Freude aller Winnetou-Fans im Karl-May-Verlag ein Prachtband in einer Sonderedition mit allen Fotoromanen aus der „Bild + Funk" und der „Bunten", in bestechender Druckqualität und im beeindruckenden Großformat von 25 x 34 cm auf 368 größtenteils farbigen Seiten. Die Erstauflage dieses Buches war bereits nach wenigen Wochen vergriffen. An den Abenteuern des edlen Häuptlings Winnetou und seines Blutsbruders Old Shatterhand begeis­terten sich damals – wie heute – Generationen von Jugendlichen und Junggebliebenen. Nach dem großen Erfolg der Karl-May-Filmbildgeschichten aus „Bild + Funk" und der „Bunten" folgte im November 2017 der zweite Band mit den Fotoromanen aus „Micky Maus" und „Mickyvision". Die Publikation umfasst stolze 400 größtenteils farbige Seiten im Großformat 21,5 x 26 cm, eingefasst in Leinen mit Goldprägung. Ein einmaliges Dokument der jüngeren deutschen Filmgeschichte. 2/2018

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Von Michael Fuchs-Gamböck Wir schreiben das Jahr 1977: Ich bin zwölf Jahre alt und habe absolut keine Ahnung, was an diesem Kino-Abend auf mich zukommen wird, wohin mich meine um vier, fünf Jahre älteren Kumpels schleifen werden. Niemand hat mich gewarnt. Und das ist gut so. Denn was ist ein Leben ohne Überraschungen wert? Na eben! The Rocky Horror Picture Show" nennt sich " der Streifen, der gleich auf mich niederprasselt. Ein Kult-Film, wird mir von all meinen so super-coolen, lebenserfahreneren und selbstredend wunderbaren Freunden mit süffisantem Grinsen angekündigt. Das kommt heute Abend auf mich zu! ult im Kino", wie soll das gehen? Das Lichtspielhaus ist in der Regel nach unzähligen Filmen, die ich seither gesehen habe – nach wie vor an ein sicherer Ort, selbst nachdem die Lichter erloschen sind. Man diese legendäre Nacht erinnere, kann ich lediglich zur Erkenntnis gelansitzt bequem im gepolsterten Sessel, bekommt auf der Leinwand die gen: Dieser Film war (und ist) ein grandioses Monster! unglaublichsten Geschichten serviert. Aber man ist stets Beobachter. Der Was passiert bei all der cineastischen Interaktivität? Gleich zu Beginn Außenstehende. Und wenn am Ende der Vorführung das Licht wieder des Streifens heiratet das junge Paar Ralph Hapschatt und Betty Munroe. angeht, marschiert man raus in die Realität. Gerne mit Erinnerungen, Wenn die Neuvermählten die Kirche verlassen, werfen nicht nur die von denen man ein Leben lang verfolgt wird, ob positiv oder negativ. Hochzeitsgäste im Film Reis – sondern auch etliche der Kinobesucher. Und ab und an auch mit einer Menge Wenn Janet und Brad, die Testosteron in der Blutbahn wegen Hauptfiguren des Streifens, die ebenfalls all der Spannung des Gezeigten. auf der Feier eingeladen waren, in ein Doch sonst: Kino eben, Fiktion schweres Gewitter kommen, schützt sie eben, Zelluloid eben. Nicht mit einer Zeitung ihren Kopf vor dem weniger. Aber auch nicht mehr. Guss. Genauso wie der Zuschauer das Dass jene Regel nicht gilt tut. Oder dieser zückt – sofern rabiat für diesen Kino-Abend im veranlagt – eine Wasserpistole und zielt Herbst 1977, wird mir halbdamit auf die Zeitungsbehüteten um ihn wüchsigem Steppke klar, als ich herum, damit der Regen ins Innere des mich mit großen Augen im Foyer Filmtheaters gebracht wird. des Münchner Kinos umschaue. Auch Kerzen oder Taschenlampen Ich, das unschuldige oberkommen später zum Einsatz: Bei der "The Time Warp" forever bayerische Landei. Zeile „There’s A Light" des Songs "Over Gestandene Frauen und Männer tummeln sich At The Frankenstein Place" wird die Kerze entzündet beziehungsweise die wollüstig in Strapsen und Dessous an der Taschenlampe angeschaltet. Und während nach der Ansprache bei der Bar, durchgehend ein breites Grinsen im Erschaffung von Kreatur Rocky sein Meister Frank N. Furter dreimal an Gesicht, wegen all der Vorfreude auf das, seinen Gummihandschuhen ziept, hat der „Rocky Horror"-Fan längst seine was gleich passieren wird. „Wohin haben Plastikteilchen übergestülpt und tut es dem Inbegriff des Irrwitzes nach. mich meine Jungs geschleppt?", fährt es Aber der Reihe nach, für all die Wenig- oder gar Nicht-Eingeweihten mir in mein verwirrtes Teenager-Hirn. jenes Phänomens, das auch über 40 Jahre nach seiner Erstaufführung Dann bin ich drin im ausverkauften 1975 weiterhin Millionen von fanatischen Anhängern begeistert. Ein Ende Saal. Ich werde erwartet von einem bizarren des frenetischen Jubels ist übrigens nicht in Sicht. Mikrokosmos. Und wenn man sich überlegt, Die Story also: Auf dem Weg zu ihrem alten Professor Dr. Scott hat dass ich mich gut vier Dekaden später – und das Pärchen Janet und Brad eine Reifenpanne. Tja, Pech gehabt – denn Foto: Bildarchiv Hallhuber

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Foto: © Jens Hauer

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ihnen je langweilig geworden wäre. Das die einzigen im Umkreis Anzutreffenden Kult-Spektakel hat längst eine turbulente sind Frank N. Furter und seine wilde Eigendynamik entwickelt und ist zu einer Gang, die in einem Schloss zu Hause sind. Art Perpetuum Mobile avanciert, an dem Der androgyne außerirdische Hausherr man jedesmal wieder unbändige Freude feiert dort rauschende Feste. Und das hat – sofern man zu dieser Form von recht bieder wirkende Paar wird herzlich Amüsement Zugang findet. eingeladen, daran teilzuhaben. Was es „Das mit dem Kassenschlager ging auch tut, zunächst eher unfreiwillig. sehr schnell", erinnerte sich Erfinder Dann geht der „Ball Pompös" richtig Richard O’Brien in einem Gespräch mit los. Brad und Janet werden Zeugen, wie der „Frankfurter Rundschau" anno 2003. Frank sein künstliches Geschöpf Rocky Die erste Show wurde am 16. Juni 1973 zum Leben erweckt. Das äußerst virile, im Royal Court Theatre am Londoner omnipotente „Monster" entwickelt im Laufe der Story ein Eigenleben, denn Sie küssten und sie (er-)schlugen sich: Riff Raff (Richard O'Brien), Sloane Square aufgeführt. „Wir hatten Frank N. Furter (Tim Curry), Magenta (Patricia Quinn) nicht vor, ein Stück auf die Bühne zu es wird dem „Meister" untreu, der es bringen, das die Welt erschüttert", meinte O’Brien weiter. „Wir gingen eigentlich zur Befriedigung der eigenen Gelüste erschaffen hat. Wobei: sehr sparsam mit teurer Bühnentechnik um. Die Kosten für die ursprüngFrank N. Furter hatte zuvor Sex mit Janet wie mit Brad. Deren bis dato liche Produktion beliefen sich auf gerade mal 2000 Pfund. Wir dach– anscheinend – nicht vorhandenen „animalischen" Instinkte sind fortan ten eigentlich, nach den geplanten fünf geweckt. Die logische Schlussfolgerung: Ups! Frank N. Furter staunt, dass der von ihm geschaffene Aufführungswochen sei alles vorbei und Brad ist sich seiner erotischen Orientierung Rocky (Peter Hinwoood) wir alle müssten uns neue Jobs suchen. unsicher. Janet hingegen verführt Rocky. galaktischen Sex mit Erdenfrau Janet (Susan Sarandon) hat. Wir hatten keine Ahnung, dass aus spärEddie, der Neffe von Dr. Scott, fährt lichen fünf Wochen alleine in London wutentbrand mit dem Motorrad durchs sieben Jahre werden würden." Schloss – gespielt übrigens von Meat Sieben Jahre am Stück, bis zum Loaf, der auch ein Lied zum Besten gibt. 13. September 1980, wurde die „Rocky Eddie nimmt ein fatales Ende – er wird Horror Show" insgesamt 2960 Mal aufgetötet und als Hauptspeise serviert. geführt. Bereits zwei Jahre nach der Blickt hier jemand durch? Irgendwie Theaterpremiere kam der Inbegriff des ja. Aber nicht mehr lange. Denn alles Skurrilen dann als Film in die britischen wird permanent noch wahnsinniger. Und Kinos, zwei Jahre später auch in heimiaufregender. Weil: Im Laufe der durchsche Lichtspielhäuser. Alles, was mit „The geknallten Handlung taucht auch noch Rocky Horror Show" bzw. „The Rocky Dr. Scott auf, der seinen Neffen Eddie Horror Picture Show" betitelt wurde, verwandelte sich in pures Gold, sucht. Und da sind zudem der bucklige Hausdiener Riff Raff sowie neben den Aufführungen auch die dazugehörige Schallplatte, die VHS, seine Schwester Magenta, die sich irgendwann gegen den Größenwahn später die CD und DVD. Furters stellen. Jener wird im Laufe der Handlung getötet – so wie auch Doch was verzückt bis heute an der die „Kreatur" namens Rocky. Brad, Janet Geschichte um einen liebestollen außerund Dr. Scott aber können dem Schloss irdischen Transvestiten, ein biederes schließlich entfliehen. Aberwitzig, nicht Liebespaar mit Coming-out, einen Dream wahr? Und vielleicht ist gerade deshalb The sweetest Boy aus der Retorte, an Entmachtung und die „Rocky Horror Picture Show" einer der Transvestite ever schließlich Ermordung eines auf geniale schrillsten Filme, die je gedreht wurden. (Tim Curry) Art Wahnhaften? Wie verrückt muss man Der Streifen basiert übrigens auf als Fan sein, um sich für so viel Abseitiges einem Theaterstück namens „The Rocky immer wieder neu zu begeistern? Horror Show", geschrieben Anfang der Richard O’Brien, Jahrgang 1942, ist 1970er Jahre. Verfasst wurde es von dem überzeugt, dass die „Rocky Horror Show" damals mäßig erfolgreichen englischen nur „oberflächlich betrachtet eine bunte Schauspieler Richard O’Brien, der bei einer Rock'n'Roll-Angelegenheit ist", wie er der „Jesus Christ Superstar"-Produktion raus„Frankfurter Rundschau" verriet. „Sieht geflogen war. Er hütete daraufhin seinen man aber genauer hin, steckt dieses Ding kleinen Sohn Linus und wartete auf ein voller Symbolik und psychologischer Momente. Und ich glaube, genau neues Engagement. Und schrieb aus lauter Langeweile, vielleicht gar das ist auch das Geheimnis des langwährenden Erfolgs des Stückes. Man aus Verzweiflung, dieses Stück, das zunächst „They Came From Denton kann immer wieder etwas Neues und Aufregendes darin entdecken." High" betitelt war. Seit dem 27. März und noch bis Die „Rocky Horror Show" beginnt – zum 8. Juli wird das „Enfant terrible im Film wie auf der Bühne – ruhig des Musicals", wie es die „Hannoversche und beschaulich. Doch die ersten Songs Allgemeine Zeitung" einst bezeichnet des Soundtracks täuschen den ahnungshat, in Deutschland, Österreich und der losen Zuschauer. Denn der Irrwitz nimmt Schweiz als Theaterstück einmal mehr bald mehr und mehr an Fahrt auf. Die aufgeführt. Nähere Informationen Handlung ist an grandioser Verrücktheit bekommt man auf der Homepage www. kaum zu überbieten. Und auch nicht an rocky-horror-show.de. Und wie schwärmte Frivolität, obwohl es niemals um plumpe die „Berliner Zeitung" doch ganz richtig: Sexualität geht, „Das hier ist ein rauschhaftes Rock'n'Rollsondern um pri­ Spektakel – schnell frech, geil." Die Wiener ckelnde Erotik ... „Kronen Zeitung" ihrerseits jubilierte: Es gibt etliThe Rocky Horror Show" im Theater 2018 „Fetzig, rasant, voll Pep, frech, anzüglich, che treue Fans, " bizarr, skurril." Na denn: „Let’s do the time warp again." Auch wenn sich die sich die buchstäbliche „Show" hunderte Reis im Haar verkriecht und man die Vorstellung feucht verlässt … Male zu Gemüte geführt haben, ohne dass GoodTimes

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Kino-Bösewichte: 6

Lee van Cleef

„Das Publikum „ hasst mich!

Fotos: Bildarchiv Hallhuber

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van Cleef ihn mit einem „Howdy" begrüßen, wehrt sich der Debütant s ist ein wortloses Debüt. Ein Mann dreht sich eine Zigarette, erneut: „Wenn ich jetzt den Mund aufmache, verliert der Charakter an ganz allein auf der Prärie, wartend. Der Loner trägt zwei Colts Stärke." Zinnemann ist einverstanden. Auch in späteren Jahren hält Lee tief an den Hüften: ein Revolvermann. Seine zu Schlitzen van Cleef sich daran: Er kürzt seine Dialoge auf die reine Essenz. verengten Augen suchen den Horizont ab. Der Unbekannte hat ein „12 Uhr mittags" steht am Beginn einer ganzen Reihe von braunes und ein grünes Auge – was man in Schwarzweiß nicht Banditenrollen. Die typischen Henkersknechte, erkennt und was er in Farbfilmen die van Cleef wie ein Förderbandarbeiter darmit Kontaktlinsen korrigieren stellt, definieren sich schon durch ihre Namen: wird. „Mit diesen funkelnden Nerva oder Brutus heißt er in dieser nicht Augen geboren zu werden, war enden wollenden Serie von Schurken. Er ist die das Beste, was mir passieren Schießbudenfigur der großen Stars: In „Gunfight konnte", sagt er später. Müsste At The OK Corral" („Zwei rechnen ab") haucht ein Gesichtsleser die prägnante er sein Leben gleich zu Anfang aus, wenn Kirk Visage beurteilen, er würde die Douglas ihm das Messer direkt ins Herz schleuschmalen Lippen einem graudert. Van Cleef starrt ihn ganz überrascht an, samen Wesen zuschreiben, die zieht sogar noch die Klinge aus seiner Brust – um habichtartige Nase einem gebodann sehr überzeugend zusammenzubrechen. Im renen Bösewicht. Mit seinen 1,88 epischen „How The West Was Won" („Das war der Metern sieht er spöttisch auf Wilde Westen") ereilt ihn dieses Schicksal noch seine Widersacher herunter. einmal – dieses Mal durch die Hand von James Als dann weitere Banditen Stewart. Von John Wayne bekommt er im Klassiker „The Man Who Shot auftauchen, nickt er ihnen nur zu, sagt kein Wort. Zusammen reiten Liberty Valance" („Der Mann, der Liberty Valance erschoss") den eigesie zum Bahnhof. Wo um zwölf Uhr mittags der Zug mit dem viernen Revolver auf ten Schwerverbrecher eintreffen wird. Pünktlich Lee van Cleef 1971 in Sabata kehrt zurück" " den Kopf gehauen. wollen sie Gary Cooper umlegen. Doch der ist Van Cleefs schneller: Es ist das erste Mal, dass Lee van Cleef Aussehen verhilft als Bösewicht das Ende des Films nicht erlebt. Und ihm auch zu „ethes wird nicht das letzte Mal sein. nischen" Rollen. Geboren wird Lee van Cleef 1925 in New Jersey Neben Wayne ist mit dem Vornamen Leroy. Dass er während des er ein Mongole in Zweiten Weltkriegs an Bord von Minenräumschiffen dessen Dschinghisder US-Navy dient, erweist sich als schicksalhaft. Khan-Desaster Denn als Henry Fonda als „Mister Roberts" am „The Conqueror" Broadway auftritt, soll die Mannschaft auch aus („Der Eroberer"). echten Seeleuten bestehen. Es war ein winziger An der Seite von Part, doch eines Abends entdeckt ihn dadurch James Cagney gibt der einflussreiche Produzent Stanley Kramer. Der er den zwielichtibesetzt gerade „High Noon" („12 Uhr mittags"). gen Ranchgehilfen Kramer sagt: „Lass dir die Nase machen." Van Cleef von „Jeremy antwortet: „Go fuck yourself." Darauf stuft Kramer Rodack" (in „Mein Wille ist Gesetz"). Van Cleef passt einfach gut in diese ihn herunter: Statt der wortreicheren Rolle als zweiter Bösewicht soll van Ära, in diese gottlosen Landstriche. Hinzukommen unzählige Auftritte Cleef nur noch Bösewicht Nummero 4 sein – ohne Dialog. „Fine, silent is in den damals populären TV-Western-Serien „Bonanza", „Maverick" the way I play", sagt er Kramer, „gut, genau so spiele ich, ohne Worte." oder „Gunsmoke". „Ich war glücklich über jeden einzelnen Job. Wir Als Regisseur Fred Zinnemann während der Dreharbeiten befindet, kurbelten diese Folgen einfach so herunter. Irgendjemand schlägt mich wenn der Oberschurke endlich mit dem Mittagszug einfahre, solle auch Seite

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Dann jedoch wendet sich Lee van Cleef mit leeren Taschen vom Kino ab. Der Rolle des Finsterlings überdrüssig, sucht er sein Glück in der Malerei. „Ich konnte damals nicht einmal meine Telefonrechnung zahlen." Und dann sucht Sergio Leone 1965 für „For A Few Dollars More" („Für ein paar Dollar mehr") nach einem amerikanischen Namen, den er sich leisten kann. Henry Fonda hat er nicht kriegen können. Van Cleef lässt sich schließlich zum Spaghetti-Western überreden – auch, weil Leone seine Telefonrechnung begleicht. Ironischerweise hat er gegen Kopfgeldjäger Henry Fonda in „The Tin Star" („Stern des Gesetzes") noch den Kürzeren gezogen. Jetzt ist er selbst der Bounty Hunter, der Banditen fürs Preisgeld über den Haufen schießt. Der Film bringt ihm mehr als eine Handvoll Dollar ein. Für „High Noon" hat er 500 Dollar die Woche bekommen. Für den Leone-Film streicht er 17.000 Dollar ein. Nicht gerade eine Rekordgage. Aber für van Cleef ein großer Batzen. Und die fetten Jahre liegen noch vor ihm. Sein Kopfgeldjäger wird zum festen Bestandteil der Populärkultur. Sogar die Lucky-Luke-Serie gibt ihm die Ehre.

Auf den Tag genau ein Jahr später ist van Cleef zurück in Spanien, am Set seines wohl berühmtesten Films: „The Good, The Bad And The Ugly" („Zwei glorreiche Halunken"). Seine Gage ist auf sechsstellige Beträge gestiegen, seit er sich als Söldner im europäischen Film verdingt. „Mir ist egal, wo ich arbeite. Filme sind ein internationales Geschäft, keine amerikanische Institution. Ob das in Israel, Jugoslawien oder meinem eigenen Garten ist." Ihm fehlt am Mittelfinger der rechten Hand ein Glied. Was Sergio Leone gekonnt in Großaufnahme in Szene zu setzen weiß, wenn die Hand sich dem Pistolengriff nähert. Leone ist es auch, der mit van Cleefs Rollennamen auf dessen eigentümliche Augen hinweist: Angel Eyes. „Ich sehe böse aus, ohne mich besonders anstrengen zu müssen", sagt er einmal. Ebenso mühelos macht er nun Kasse. Er spielt die Titelrolle in der populären „Sabata"-Reihe. Einmal steigt er sogar in Yul Brynners Stiefel, in der x-ten Fortsetzung von „Die glorreichen Sieben". Aber meist bleibt er der Schurkenrolle treu, die er sich jetzt vergolden lässt. Er leiht sich an die „Wildgänse"Reihe aus und findet in den letzten Berufsjahren sogar noch neue Fans im Martial-Arts-Kino. Die IMDB (Movie Database) verzeichnet nicht weniger als 173 Auftritte. Lee van Cleef leidet an Krebs, als er am 16. Dezember 1989 an einem Herzschlag in Kalifornien stirbt. „Wenn ich in einem Film auftrete, hasst mich das Publikum automatisch", versuchte er einmal selbst –

vielleicht etwas zu einfach – seine grandiose Wirkung auf die Zuschauer zu erklären. Das war anfänglich ein Fluch, später dann ein Segen. Denn kaum einen Bösewicht hassten wir liebevoller! Roland Schäfli

mit einer Plastikpistole, und ich falle um – das machten wir sogar im Livefernsehen." Schließlich ist van Cleef als Bösewicht dem Publikum schon so vertraut, dass er quasi als Selbstzitat in „Pardners" („Wo Männer noch Männer sind"), der Western-Klamotte des Gespanns Dean Martin/ Jerry Lewis, auftreten kann. Wenn van Cleef auf der Bildfläche erschien, wusste das Publikum, woher die Bösen kommen. Das ging so weit, dass Gregory Peck im Edelwestern „The Bravados" („Bravados") an ihm blutige Selbstjustiz üben darf – und sich herausstellt: Lee van Cleef war der Falsche. Doch auch das Publikum hatte nicht an seiner Schuld gezweifelt.

01. Nov 02. Nov 03. Nov 04. Nov 06. Nov 07. Nov N 09. Nov 10. Nov 11. Nov 12. Nov 13. Nov 15. Nov 16. Nov N 17. Nov 18. Nov 20. Nov 21. Nov 22. Nov 23. Nov 24. Nov 25. Nov N 27. Nov

Kiel Kieler Schloss Osterholz-Scharmbeck Stadthalle Rheine Stadthalle Hitzacker Verdo Borken Stadthalle Wilhelmshaven Stadthalle Madgeburg AMO Emden Nordseehalle Paderoborn Paderhalle Mannheim Capitol Tutttlingen Stadthalle Kempten BigBox Stadtallendorf Stadthalle Bad Orb Konzerthalle Rastatt Badner Halle Plauen Festhalle Gerau Stadthalle Cottbus Stadthalle Coswig Börse Wittenberge

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Kultur- und Festspielhaus

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Nathan Carter first german tour ever 30. Mai 31. Mai 01. Jun 02. Jun 03. Jun 04. Jun

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Lahnstein Stadthalle Heilbronn Harmonie Fulda Orangerie Schwäbisch-Hall Neubausaal Leonberg Stadthalle Erding Stadthalle Plauen Festhalle Gotha Kulturhaus Coswig Börse Limbach-Oberfrohna Stadthalle Brakel Stadthalle Osterholz-Scharmbeck Stadthalle Rheine Stadthalle Magdeburg Altes Theater Frankfurt / Oder Messehalle Grafenrheinfeld Kulturhalle Rastatt BadnerHalle Giessen Stadthalle Buchholz Empore Horn-Bad Meinburg Kulturtheater Emden Nordseehalle

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Heintje

50 Jahre Liebling aller Muttis und Omis Von Roland Schäfli

Er war der Platten-Prinz schlechthin, verzückte Omas und Mamas gleichermaßen. 50 Jahre ist es her, dass Heintjes glockenklare Stimme Vinyl vergoldete. Zum Bühnenjubiläum hat Hein Simons ein Duett aufgenommen – mit sich selbst. Er brauchte nur knapp eine Minute, um ein Millionenpublikum für sich einzunehmen: Als dieser kleine Junge aus den Niederlanden in der Sendung „Der goldene Schuss" den Mund aufmachte, war ganz Deutschland hin und weg. Österreich und die Schweiz schlossen sich dem Millionen-Fanclub an. Hits wie "Mama" und "Oma so nett" ließen die Kassen klingeln, in den populärsten TV-Straßenfegern jener Tage kam er an der Seite von Peter Alexander oder Rudi Carrell in die gute Stube. Sechs schnell abgedrehte Kinofilme schöpften die Goldmine weiter aus. Nur etwas konnte Heintjes phänomenalen Lauf stoppen: der Stimmbruch. An der Schwelle zum Erwachsensein drohte dem Kinderstar der Karriereknick. Im Buch „Ich war Heintje" blickt Hein Simons mit großer Gelassenheit auf diese turbulenten Jahre – und die ruhigeren, die folgten – zurück. Und er schreibt noch einmal Musikgeschichte: mit einem einmaligen Duettalbum. Der Künstler singt mit seinem früheren Ich die Schlager von damals, neu bearbeitet. Das ist mehr als alter Wein in neuen Schläuchen. Hier setzt sich ein Musiker mit den eigenen Erinnerungen auseinander.

Es sind tatsächlich viele ältere Leute, die können sich noch gut erinnern, wie schön das damals war. Wir sind ja selbst überrascht, wie hoch die neue Platte in den Charts eingestiegen ist, und ich finde es faszinierend, dass viele junge Leute gut finden, was ich mache. Bei den Downloads sind wir Nummer eins.

Wenn man eine so großartige Karriere machen durfte

Ich kann nur das Nötigste! Die Jugend ist uns da hoch überlegen, für

Hein Simons, wie fühlt sich das an, zum 50-jährigen Bühnenjubiläum mit sich selbst im Duett die alten Hits zu singen?

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wie ich, dann ist das eine ganz tolle Idee. Die Resonanz ist gigantisch.

Mit der Publikation des Buchs Ich war Heintje" und " dem CD-Release stehen Sie wieder stärker im internationalen Rampenlicht – haben Sie das vermisst? Nee, eigentlich nicht. Ich bin ja immer aufgetreten, war nicht wirklich weg. Klar, die Tournee zum Jubiläum ist was Besonderes. Und den Leuten gefällt es! Anders als früher sind Publikum und Medien sich dieses Mal einig.

Sie wurden als Kinderstar nicht von allen Medien wohlwollend aufgenommen ... Es gab damals kritische Stimmen. Bis jetzt kriege ich wenig schlechte Kritiken!

Sind die Fans dieselben, die Sie schon vor 50 Jahren geliebt haben, oder sind auch neue Generationen vertreten?

Das Musikgeschäft hat sich verändert, heute geht es um Downloads. Finden Sie sich im Alter von 62 in den neuen Medien gut zurecht?

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Rückschritt. Das mit der neuen CD hätte ja auch nach hinten losgehen können. Diesen Erfolg haben wir so nicht erwartet. Natürlich hatten wir gehofft, dass das Album HEINTJE UND ICH den Leuten gefällt. Aber so was kann man unmöglich planen.

mich ist die neue Technik nicht einfach. Aber ich frage dann einfach meine Tochter (lacht), die weiß, wie’s geht. Für sie sang er "Mama": Heintje wurde zum Traumsohn der Nachkriegsgeneration.

Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Wo ich aufgetreten bin, haben die Fans mich stets mit offenen Armen empfangen. Das Problem war vielmehr, dass die Medien immer Songs von früher mit neuen Liedern verglichen und berichteten, man sei nicht mehr gleich erfolgreich. Dabei war das ja schwer zu toppen.

Sie waren als Kinderstar fast konkurrenzlos – heute versucht man in Casting-Shows, Jungtalente gleich im Dutzend vorzustellen.

Die Idee ist ja grundsätzlich nicht schlecht, da sind auch immer ein paar vielversprechende Talente dabei. Das Problem ist nur, die werden schnell aufgebaut – und dann muss gleich der nächs­te Superstar her. Dann lässt man sie fallen wie heiße Kartoffeln. Man müsste aber mit diesen Talenten arbeiten. Ganz selten gibt’s die richtig lange Karriere.

Foto: © NikMa Verlag/Unfried

Sie haben viel gemein mit Kinderstars wie Shirley Temple oder Tatum O'Neal – das erwachsene Publikum wollte nicht akzeptieren, dass Sie erwachsen werden. Verlieben die Menschen sich in ein Image, das dann nicht mehr verändert werden darf?

Was glauben Sie, warum die Songs bis heute populär sind?

Ich glaube, die Themen von damals – und die Texte für diesen kleinen, elfjährigen Jungen –, die sind zeitlos. Songs wie "Mama" wird’s immer geben. Denn dieser Junge singt nicht über die ganz großen Probleme der Welt, nicht über Liebesprobleme, sondern einfach über Mama und Oma.

Damals tourten Sie sogar durch die USA, traten mit Hollywoodstars auf. Was haben Sie von den ganz Gro­ ßen gelernt? Vor allem, dass die wirklich Großen immer die Nettesten sind. Leute wie Gene Kelly, Barbara Eden, Lee Marvin haben mich wie einen Star behandelt, der ich ja gar nicht war. Sie haben sich rührend um mich gekümmert.

Auch die Damenwelt wollte Sie ja vor allem bemuttern, Peter Alexander adoptieren, Liebesbriefe bekamen war Bühnen- Sie auch – wie verhält sich das partner und heute? väterlicher Freund.

Wie ich das so sehe, komme ich bei den Damen immer noch gut an! Ein Küsschen

Damals kümmerten sich andere um die Geschäfte – interessiert Sie die Buchhaltungsseite heute stärker? Ich finde Buchhaltung schrecklich! Nein, jemand regelt das für mich, der Manager führt die Verhandlungen. Ein Zahlenmensch bin ich nie geworden.

Neigt man nach 50 Jahren dazu, gewisse Ereignisse zu verklären? Täuscht die eigene Erinnerung? Glaub' ich nicht, ich bin da sehr realistisch. Das war eine schöne Zeit. Aber ich hab auch was dafür getan. Das war schon auch mit viel Arbeit verbunden. In meiner Erinnerung würde ich sagen: Zu 90 Prozent habe ich alles richtig gemacht.

Und die restlichen zehn Prozent?

© Pressefotos

Das sind Dinge, die ich heute anders machen würde. Zum Beispiel ein Musikinstrument und Notenlesen lernen.

Foto: © NikMa Verlag/Unfried

Heute betreibt Hein Simons einen Reiterhof in Belgien.

hier, ein Lächeln da, daran hat sich nicht viel geändert. Nur, dass die Damen ebenso wie ich ein bisschen älter geworden sind (lacht)!

Für das Buch mussten Sie sich auch an Unangenehmes erinnern – etwa den geistig verwirrten Mann, der einbrach und Sie mit dem Tod bedrohte. Damals war der Begriff Stalker ja noch nicht geläufig. Kommt dieser Mensch Ihnen in den Sinn, wenn Sie von Belästigungen von Prominenten hören? Diese Sache hab ich irgendwie gut weggesteckt, ich war jung genug, um das vergessen zu können. Es gibt eben Fans, die einem böse sein können. Was soll man davon halten?

Wie gehen Sie als Künstler damit um, dass das Publikum immer wieder Ihre alten Hits hören will?

Gibt's eine weitverbreitete Annahme über Sie als Person, die Sie gern korrigiert hätten?

Naja, das ist nie ganz einfach. Irgendwo muss man auch dazu stehen. 50 Jahre, und die Leute möchten diese Lieder noch immer hören! Wenn man immer noch bringt, was die Leute hören möchten, ist das kein

(Lacht) Dass ich der netteste, der liebste, der schöns­ te Mensch der Welt bin. Wenn man's nur oft genug liest, glaubt man's am Ende selbst!

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Foto: © DDR 1974, Leipzig vorm Warenhaus Brühl

Kinderwagen Schubkarre – Autonachbau – Panoramablick

Schon beim Anblick der Fotos, auf denen die GroßelternGeneration ihren Nachwuchs stolz spazieren fährt, stellt sich der Betrachter den tief nach unten gekrümmten Rücken vor. Denn den musste einfach jeder machen, um sein Baby in die kleinen, niedrigen Wagen hineinlegen oder -setzen zu können – außer man wollte mit einem Vier- bis Zwölf-KiloButscher ständig Kniebeugen machen, um sie in angehockter Haltung zu platzieren. Doch so sehr der Gedanke an den Rücken vorherrscht, so sehr ist man auch verzückt von den Wannen auf Rädern. Einfach jedes Kind sah in ihnen automatisch wie eine Puppe aus.

geschwungenen Schiebegriffen waren aus Korbgeflecht oder Stoff und sahen vergleichsweise klobig aus. Gemütlicher als ihre Vorgänger waren sie aber allemal. Bereits im 13. Jahrhundert wurden Kinder nicht nur huckepack transportiert, sondern in Schubkarren, so wie Waren auch. Die Schubkarren waren allerdings ungeeignet für die Kleinsten, die noch liegen mussten. Und das sollte auch erst mal viele Jahrhunderte so bleiben. Anfang des 19. Jahrhunderts, genauer 1840, wurde in einer Fabrik in Großbritannien der Grundstein für die Entwicklung Mütter in Ost-Berlin in den 60er Jahren

Foto: © Wiki, Piet Strunk, Hamburg 50er Jahre

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eulich ein Gespräch unter Müttern mit Babys: „Warum sind diese neumodernen Kinderwagen eigentlich so niedrig? Das war doch früher nicht so ..." Beide Frauen schoben ihre Wonneproppen in Modellen der Firma Bugaboo, die vor allem durch Promi-Mütter in Hollywood spätestens in den 2000er Jahren zum Megatrend wurden. Normalverdienende Eltern in Deutschland haben sich seither für diesen speziellen Kinderwagen mit dem markanten weißen Kreis in Unkosten gestürzt – mit 1000 Euro muss man ohne besonderes Zubehör rechnen. Darüber hinaus sind – nicht nur unter Hipstern – aber auch originale Kinderwagen der 50er bis 80er Jahre wieder Kult. Und bei einigen von ihnen ist „niedrig" noch übertrieben.

des Kinderwagens gelegt. Statt auf Schubkarren, Bollerwagen oder ähnliche Transportmittel ausweichen zu müssen, wurden nun spezielle Wagen hergestellt, die eigens für die Spazierfahrt mit dem Kind gedacht waren. Mit einem Korb und drei Rädern ging es zunächst los – wieder waren es aber Konstruktionen, die nur für Kinder funktionierten, die bereits sitzen konnten. 40 Jahre sollte es noch dauern, bis der erste Wagen mit vier Rädern durch die Straßen Londons geschoben wurde, in dem auch Säuglinge liegen konnten. Zeitgleich fernab der britischen Insel in Deutschland: Die Familie Reichstein baute ab 1871 unter der Marke Brennabor die ersten Kinderwagen, wobei sie nach

Diese bulligen abgerundeten „Kästen" mit lang in die Höhe gestreckten, oft Seite

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Foto: © Bundesarchiv, Schlegel 1957

eigenen Angaben ab den 1890er Jahren auch formschöne und erschwingliche Modelle fertigte – bis dato waren die Gefährte nämlich ein Privileg der Oberschicht gewesen. Das Unternehmen wuchs schließlich zur größten Kinderwagenfabrik Europas. Und auch der Stellmacher Ernst Albert Naether gründete Mitte des 19. Jahrhunderts in Zeitz (heute SachsenAnhalt) ein KinderwagenUnternehmen. Mit seinen Varianten war er schon bald darauf auf Messen unterwegs. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Firma – dann zu DDR-Zeiten – in den Volkseigenen Betrieb (VEB) Zekiwa über (Zeitzer

Kinderwagen­ indus­trie). Schließlich Kinderwagen wurde der VEB Marke Delft 1949 Zekiwa zum größten Hersteller Europas, belieferte nicht nur den Ostblock, sondern auch Westdeutschland. In den besten Zeiten liefen jährlich mehr als 450.000 Kinderwagen übers Produktionsband. Puppen­ wagen-Anfertigungen nicht mitgerechnet.

An diesem Produktionsboom in den 1950er und 1960er Jahren war wiederum ein anderer Boom „schuld": Es wurden immer mehr Babys in Deutschland geboren. Der Kinderwagen war spätestens in den Sechzigern eine Anfertigung für die Massen. Ein jeder besaß ihn, ein jeder konnte ihn sich auch leis­ ten. Wenigstens das Grundmodell ... Schaut man in das Archiv der Zeitschrift „Eltern", so lässt sich die Entwicklung ab den 1950er Jahren gut verfolgen. Im Jahrzehnt von Elvis, Wiederaufbau und Rockabilly lagen die Prioritäten ganz klar auf der Verbesserung der Fahr weise. Wo früher alles beim Schieben quietschte, herrschte nun weitgehend Ruhe auf den Bürgersteigen der Republik: Rohrfedergestellen und Kugellagern sei Dank. Zum ersten Mal soll es zudem einen Kombikinderwagen gegeben haben, der eine Mischung aus Sport- und Kinderwagen war. Und die Hersteller orientierten sich an der Automobilindustrie und verpassten so manchem Kinderwagen Rücklichter und Kotflügel und gar Stoßstangen. Dass motorisierte Wagen Pate standen, ist der Vergangenheit vieler Kinderwagenfirmen als Kutsch- und später Kraftfahrzeugwagenhersteller geschuldet. Ob nun Stellmacher Naether aus Deutschland oder van Delft aus den Niederlanden. Im Nachbarstaat hatte der gelernte Wagenbauer Lambertus van Delft Ende des 19. Jahrhunderts den Kinderwagen als sein berufliches Steckenpferd entdeckt. Nach Informationen der

Die Sprechblase

SB 238: Jetzt im Comichandel!

Der Verkaufshit aus Italien!

Die wunderbare Welt der Comics

SPIROU: Die Wahrheit über „QRN ruft Bretzelburg“

TUNGA-Zeichner Edouard Aidans

Wer DYLAN DOG mag, wird DAMPYR lieben!

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Helga Wäscher im Interview: Ihr Leben mit dem SIGURD-Zeichner

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Überhaupt hatten die Kinder­ wagen der 1960er Jahre noch mehr mit Autos zu tun. Die Räder wurden größer, die Modelle wuchsen so in die Höhe, dass Schieben und Hineinlegen für den Rücken stressfrei möglich war. Die Polsterung wurde aufwendiger, damit sich die Knirpse nicht an den verarbeiteten Teilen im Innenraum verletzen konnten. Und trotz des „Wachstums" der Kinderwagen mussten sie plötzlich flugs ganz klein gemacht werden können: für den Kofferraum. Denn was im Jahrzehnt Zekiwa-Modelle aus den 1980er Jahren

eine Kinderwagenwanne erfunden, die an drei Seiten ausschließlich aus Panorama-Fenstern bestand. Dafür habe er 100 DM ausgegeben, um mit dem Material Fenster aus Plexiglas zu bauen. Die sollten zum Schutz vor Rachitis genügend Sonnenlicht in den Wagen bringen, aber gleichzeitig Wärmestrahlen ausfiltern, so dass sich das Innere im Sommer nicht unnötig aufheizte. Ob nun direkt oder indirekt beeinf lusst: Nach Heinzerlings Idee zogen bei den Kinderwagenherstellern ab den 1970er Jahren jede Menge Fahrgestelle ein, die jene Sichtmöglichkeiten boten. Allerdings nicht so breitflächig im Panoramastil, sondern nur rund um das Kopfteil. Bei der deutschen Traditionsfirma Gesslein – Ende der Vierziger entwickelte Firmengründer und Korbflechter Georg Gesslein den ersten Kombikinderwagen – konnten zum Beispiel je an den Seiten „Luken" geöffnet werden, um dem liegenden Baby nach links und rechts das Rausgucken zu ermöglichen. Und sobald Babys sich bereits in Bauchlage aufrichten konnten, mussten sie dank einer weiteren Sichtmöglichkeit am Kopfteil nicht halb aus dem Kinderwagen fallen, um etwas erblicken zu können. Foto: © Wiki, Rene S.

Sammler und Betreiber des Shops „Nostalgie und Kult-Kinderwagen" hat er 1909 an das holländische Königshaus einen Kinderwagen ausliefern dürfen. Die Delft-Modelle haben heute Kultstatus. An den Modellen aus den 1960er Jahren fällt vor Panorama-Modelle ausgestellt im allem die rechteckige Form der Kinderwagen-Museum Zeitz Kinderwagenwanne auf, die so kantig einem Kasten gleicht. Andere Wannen haben einen Hauch von Cadillac, weil sie, seitlich betrachtet, an den Enden so spitz zulaufen, wie es bei dem US-Kultauto der Fall ist.

Auch im VEB Zekiwa in Sachsen-Anhalt kam der PanoramaTrend in den Siebzigern an. Und wie in der BRD kamen auch aus dem DDR-Werk nun kunterbunte Kinderwagen – schließlich waren die frühen Siebziger nicht nur im Ausland die berühmt-berüchtigte Flower-Power-Zeit. Bezüge waren aus Cord, Kunstleder, Lack, Samt oder Jeansstoff, teils in grellen Farben wie Orange, Pink oder Giftgrün gehalten und oft bestickt mit Blümchen. Solch schicke Modelle sind seit 2016 in Deutschlands einzigem Kinderwagen-Museum zu sehen, und das befindet sich – na klar – in Zeitz. Dort im Schloss Moritzburg befinden sich über 600 Kinder-, Sportund Puppenwagen, die schon ab den 1930er Jahren vom Heimatverein gesammelt worden waren.

davor zumindest für die schiebenden Mütter so gut wie kein Thema war – den Kinderwagen im Automobil transportieren zu müssen –, wurde in den 60er Jahren bereits relevanter. Zwar war zu diesem Zeitpunkt statt des Kinderwagens das Kraftfahrzeug ein Luxusgegenstand in vielen Haushalten, gleichzeitig nahm die Anzahl derer aber zu, die sich ein Auto gönnten. Damit wurden Urlaubsfahrten gemacht oder weiter weg lebende Verwandte besucht. Der Nachwuchs sollte mit und dementsprechend auch der Kinderwagen irgendwie Platz finden im Auto. Die Industrie musste sich etwas einfallen lassen – und erfand das zerlegbare, verchromte Untergestell. Wohl noch in Anlehnung an den klassischen Stubenwagen, der aus einem beräderten Korb in Flechtoptik bestand, gab es in den 1960er Jahren viele Varianten aus Korbgeflecht. Eine Wiederentdeckung des Trends aus den Zwanzigern. Doch ein Münchner Vater, der Ingenieur Werner Heinzerling, hatte 1969 nicht die Optik für Außenstehende im Sinn. Für ihn – oder besser für seine damals neun Monate alte Tochter Lucie – sollten der Rundumblick und die Optik von innen nach außen wichtig sein. Wie ein kurzer Beitrag in „Eltern" offenbart, hatte er Seite

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Die Ausstellung lässt Besucher durch historische Kataloge blättern, die Geschichte des Zeitzer Kinderwagenbaus wird dargestellt, viele Exponate stehen außerhalb von Vitrinen, auch Babysachen sind ausgestellt. Außerdem erfahren Besucher viele kleine Dinge um die typische Gestaltung der Kinderwagen je nach Jahrzehnt – zum Beispiel auch, dass früher Nummernschilder benötigt wurden ... So verrückt wie die Mode in den Achtzigern war dann fortan auch das Design der Kinderwagen. Sie wurden nicht nur extravaganter, schnittiger, schneller zusammenklappbar und irgendwie sportlicher, sondern hatten sich auch mit Drucken und Neonfarben ganz den modischen Vorlieben ihrer Schieber angepasst. Die Modelle wurden immer leichter, was nicht nur beim Schieben, sondern auch beim Ins-Auto-Hieven Erleichterung verschaffte. Außerdem entwickelte sich der Trend zu Zubehör wie etwa passenden Sonnenschirmen. Verstellbare Schiebegriffe gehörten indes erst im Jahrzehnt danach zum Standard. Etwa, weil in den Neunzigern Fitness-Eltern mit Kind und Kinderwagen joggen können wollten. Und weil die Wannen wieder so niedrig geworden sind ... Claudia Tupeit

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Ich kann mich gar nicht entscheiden, alles so schön bunt hier", " wusste schon Nina Hagen. Zwar ist kaum anzunehmen, dass die einstige Punk-Chanteuse an Quality Street gedacht hat, als sie 1978 TV glotzte. Außer Frage steht aber, dass dieses längst geflügelte Wort auf kaum eine andere Nascherei so gut passt wie auf die farbenfroh verpackten Toffees aus dem britischen Königreich.

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onditor John Mackintosh hatte schon in den 1890er Jahren mit Karamellbonbons experimentiert und 1898 im englischen Halifax die weltweit erste Fabrik zur Herstellung von Toffees eröffnet. Nach dem Tod des Vaters 1920 übernahm Sohn Harold die Geschicke des Unternehmens. Während Süßigkeiten wie Konfekt bis dahin ein Pläsier für Wohlhabende waren, wollte Mackintosh dieses Vergnügen nun auch dem kleinen Mann auf der Straße zugänglich machen. Seine Idee war es, Karamellpralinen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen mit Schokolade zu überziehen, sie einzeln in verschiedenfarbige Folien zu verpacken und in robusten, aber dennoch attraktiv gestalteten Blechdosen zum Verkauf anzubieten. Die Marke Quality Street war geboren.

Inspiriert war der Name durch das gleichnamige Bühnenstück des schottischen Schriftstellers und Bühnenautors Sir James Matthew „J. M." Barrie. Der erzählte in „Quality Street" eine komödiantisch angehauchte Liebesgeschichte um die sich über mehr als ein Jahrzehnt hinziehenden Irrungen und Wirrungen zwischen dem anfangs noch jungen Mädchen Phoebe und dem Arzt Dr. Valentine Browne. Barrie hatte das Stück bereits 1901 geschrieben, 1937 wurde es von RKO Radio Pictures mit Katherine Hepburn und Franchot Tone in den Hauptrollen auf die Kinoleinwand gebracht. Am Rande sei erwähnt, dass Barries Werk in Hollywood überhaupt viel Anklang fand. So wurde eine ganze Reihe seiner Romane, Dramen und Komödien verfilmt, darunter „The Little Minister" (ebenfalls mit Katherine Hepburn in der Hauptrolle), „What Every Woman Knows" sowie sein größter Erfolg „Peter Pan". Was den Halifaxer Zuckerbäcker nun dazu verleitet haben mag, seiner Toffee-Parade ausgerechnet den Namen Quality Street zu geben, lässt sich nur vermuten. Vielleicht sollte so schlichtweg das Qualitätsversprechen der Ware ganz besonders betont werden. Wichtigstes Alleinstellungs­ merkmal GoodTimes

aber war neben den bunten Farben der Folien und den unterschiedlichen Formen der verschiedenen Geschmacksrichtungen, die heute Schokoladen Toffee deluxe, Vanilla Fudge oder Caramel Swirl heißen, gerade auch die schon erwähnte Blechdose. Im charakteristischen Weiß-Pink gehalten, zeigte sie die durch die beiden Hauptcharaktere aus Barries Theaterstück inspirierten Figuren Major Quality und Miss Sweetly beim Flanieren.

Modell gestanden für deren Erscheinungsbild hatten die beiden Kinder des Werbezeichners Sidney Coles. Der entwickelte für Mackintosh das, was man heute wohl Corporate Identity nennen würde. So blieb das Design der Dose über Jahrzehnte weitgehend erhalten. Erst 2000 änderte man es, nachdem der Nestlé-Konzern bereits 1988 die Marke Quality Street übernommen hatte. Die Dose zeigt nun auf violettem Untergrund die bunt eingepackten Toffees, von denen ein Funkenbzw. Sternenregen ausgeht, der wohl für eine Art kulinarisches Feuerwerk stehen soll. Auch in anderen Verpackungen, etwa in Pappschachteln, ist Quality Street heute erhältlich. Den wahren nostalgischen Charme der Marke aber vermittelt nur die klassische Dose. Vielleicht auch, weil sich viele noch daran erinnern können, dass dieses Behältnis einst einen echten Mehrwert zu den Schoko-Toffees bot. Ob Knöpfe, Sammelkarten oder Spielzeugautos – für viele Schätze war die Quality-StreetDose ein nicht nur sicherer, sondern besonders entzückender Hafen. Manch einer mag sie vielleicht gar für Zahnplomben benutzt haben, wenn die wieder einmal Haselnuss Eclair, Malztoffee oder Schokolade mit Erdbeercreme (so der Name einiger früherer Sorten) zum Opfer gefallen waren. Denn bei aller Liebe zu dieser süßen Versuchung – Karamell hat nun einmal das Zeug dazu, Plomben oder gar ganze Zähne schneller zu ziehen, als jeder Zahnarzt das könnte. Andreas Kötter 2/2018

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kult! Von Alan Tepper

Bücher Kultbücher – geschätzt, geliebt, gelobt

In den 60er und 70er Jahren galten Genres wie Science ­Fiction

oder die Horrorliteratur als Schund, der besonders von der universitären Elite abgelehnt wurde. Dieses Werturteil hat sich grundlegend geändert, erkannte man in der Zwischenzeit doch das Potenzial dieser Art von Literatur. So gilt Mary Shelleys Frankenstein" mittlerweile als ernstzunehmende Literatur, Ray " Bradburys Werk als innovativer Grenzgang zwischen F ­ antastik

und Science Fiction, und den Brüdern Strugatzki eilt der Ruf voraus, Schriftsteller zu sein, die sich in einem heiklen politischen Umfeld auf bemerkenswerte Weise durchsetzten. Der Leser sollte sich jedoch nie von solchen Kategorisierungen beeinflussen lassen, denn meist wird der wichtigste Punkt übersehen: Bücher müssen und sollen Spaß machen – und der Lesegenuss ist bei den folgenden Titeln auf jeden Fall gegeben.

Ray Bradbury – For Space" "S ayIsBradbury (22. August 1920 – 5. Juni 2012) hat mit Romanen wie

Jules Verne – grüne Blitz" "Der ules Verne (8. Februar

„Fahrenheit 451" (1953) oder Kurzgeschichtensammlungen (zum Beispiel „Der illustrierte Mann", 1951) nicht nur die Science-Fiction-Literatur bereichert, sondern auch die Grenze zur Fantastik verschwimmen lassen. Auch bei der erstmalig komplett auf Deutsch erhältlichen Short-Story-Collection aus dem Jahr 1966 – sie ist im Grunde genommen ein Kompendium zu „R Is For Rocket" aus dem Jahr 1962 – zeigt sich Bradburys Talent, klar abgesteckte und definierte Handlungsräume zu verlassen. Viele der insgesamt 16 Kurzgeschichten handeln von Kindern, die nicht der Norm entsprechen („Hallo und Lebwohl"), auch eine klassische Dystopie („Das Lächeln") sowie provokante Szenarien aus der Vergangenheit („Die Flugmaschine") finden Berücksichtigung. Natürlich mag man einwenden, dass einige Erzählungen handlungsarm sind, doch sollte dabei nicht vergessen werden, dass es Bradbury vor allem um überzeugende Atmosphäre ging – und nicht nur in dieser Hinsicht hat er gepunktet.

Philip Kerr – Zagreb" "Operation n Großbritannien sind Krimis,

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Foto: © Ed Lederman

die in der Zeit des Dritten Reichs spielen, en vogue. Philip Kerr (22. Februar 1956 – 23. März 2018) ist in diesem Segment wohl einer der besten Autoren, vermengt er doch eine (meist) akribische historische Recherche mit einem spannenden Handlungsstrang, nicht zu vergessen seine gesunde Distanz zu den tatsächlichen Geschehnissen. Die Reihe um den Ermittler Bernie Gunther ist mittlerweile auf über zehn Bände angewachsen. Mal vom ersten Band „Feuer in Berlin" abgesehen, in dem er die Hauptfigur als eine Art Humphrey Bogart darstellt (ab dem zweiten Werk ändert sich das), kann Kerr stilistisch überzeugen, auch durch Kunstgriffe wie Rückblenden, gedankliche Einschübe und der Kreuzung von Handlungslinien. „Operation Zagreb" beschreibt die Geheimmission von Gunther, der in Südosteuropa den Vater einer beliebten Schauspielerin finden soll, der sich aber zu aller Entsetzen radikal verwandelt hat. Ein spannender Roman, der nicht nur durch seine Handlung wirkt, sondern auch durch die klaustrophobische Stimmung. Seite

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1828 – 24. März 1905) stand nicht nur bei Jugendlichen hoch im Kurs, denn viele seiner Werke wurden für ein älteres Publikum verfilmt. Allein die Disney-Fassung von „20.000 Meilen unter den Meeren" aus dem Jahr 1954 ist immer noch ein gern gesehener Streifen. Und da waren ja noch zum Beispiel die Umsetzungen von „In 80 Tagen um die Welt" (1956), „Reise zum Mittelpunkt der Erde" (1959), „Die geheimnisvolle Insel" (1960) oder „Michael Strogoff" (1976). Mit „Der grüne Blitz" begibt sich der Visionär allerdings auf ein für ihn ungewöhnliches Terrain, nämlich das des Liebesromans, der mit den Illustrationen der Erstausgabe geschmückt wurde. Verne erzählt – mit einigen humorvollen Seitenhieben – die Geschichte von Helena, die verheiratet werden soll. Allerdings ist sie sich der Wahl des vorgeschlagenen Partners nicht sicher und reist nach Schottland, um ein Naturphänomen zu erleben, das der Legende nach Klarheit verspricht. Hier ändert sich das Leben der Protagonisten radikal. Ein anderer, aber ebenso interessanter Verne.

Foto: © Félix Nadar

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Arkadi und Boris Strugatzki – ist schwer, ein Gott zu sein" "Esrkadi Natanowitsch Strugatzki (28. August 1925 – 12. Oktober

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1991) und Boris Strugatzki (15. April 1933 – 19. November 2012) sind die wohl bekanntesten Schriftsteller der russischen Fantastik/Science Fiction. Über SF-Meisterwerke wie „Picknick am Wegesrand" oder das bizarre – und aus deutscher Perspektive schwer zu entschlüsselnde – „Der Montag fängt am Sonntag an" hinaus haben sie ihren Lesern ein Mammutwerk hinterlassen, das niemals angestaubt wirkt. Der angesprochene Roman beschreibt einen Wissenschaftler, der unter falscher Identität auf einem Planeten lebt und dort die gesellschaftliche Entwicklung beobachtet, jedoch ohne sich essenziell einzumischen. Plötzlich erkennt er in dem ungefähr dem Mittelalter entsprechenden Sozialgefüge aber erste Tendenzen hin zu einem unterdrückenden Herrschaftsapparat und beginnt zu handeln. Es stellt sich die Frage: Welche Auswirkungen haben totalitäre Regime auf das Individuum? Die aktuelle Ausgabe enthält eine Nachbemerkung von Boris Strugatzki, die die Entstehung des Romans erläutert.

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Mary Shelley – "Frankenstein" ällt der Name Frankenstein, denken die

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meisten sofort an einen der mehr oder wenig kultigen B-Movies. Besonders die Verfilmung des Romanstoffs aus dem Jahr 1931 mit Boris Karloff in der Rolle des Monsters hat Maßstäbe gesetzt, auch hinsichtlich des starken Horror­ elements. Mary Shelleys (30. August 1797 – 1. Februar 1851) Roman, den die britische Schriftstellerin im zarten Alter von nur 19 Jahre schrieb und der 1818 noch unter einem Pseudonym erschien, vermittelt hingegen ein anderes Bild. Die Autorin verfasste das Buch 1816 in der Villa Diodati am Genfer See, die sie mit unter anderem dem Lyriker Lord Byron und ihrem künftigen Mann Percy Bysshe Shelley bewohnte. Durch einen Vulkanausbruch in Indonesien hatte sich die weltweite Atmosphäre so sehr verfinstert, dass in dem Jahr der Sommer quasi „ausfiel", wodurch die illustre Gesellschaft sich zum Zeitvertreib so genannte Gothic Tales, also die damals ungemein populären Schauergeschichten, erzählte. Doch die Gespräche richteten sich auch auf gesellschaftliche Probleme, die aufkommende Dominanz der Naturwissenschaften und die damit einhergehende Industrialisierung. Das Werk handelt von dem Wissenschaftler Viktor Frankenstein, der an der Universität im Geheimen einen Menschen nach seinen Vorstellungen erschafft. Doch das von ihm kreierte Wesen gerät außer Kontrolle und rächt sich an seinem Schöpfer, indem es Mitglieder seiner Familie ermordet. Der Roman endet bzw. beginnt genauer gesagt – Shelley bevorzugt eine nonlineare chronologische Struktur – mit der Schilderung Frankensteins, der bis zum Nordpol reist, um seine Kreatur auszulöschen. Nicht nur die geschickte Erzählung, die dichte Sprache und die nicht zu verkennenden spannenden Elemente fesseln den Leser auch heute noch. Es geht um die immer noch relevante Frage, ob der Mensch sich mit Hilfe der Wissenschaft über die Natur stellen darf. Diese Frage ist nach wie vor aktuell und wird auch in den kommenden Jahren für Zündstoff und hitzige Debatten sorgen.

H.P. Lovecraft – "Das Werk" oward Phillips Lovecraft (20. August 1890 – 15. März 1937) zählt

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zu den großen amerikanischen Autoren der Fantastik, obwohl sein Werk vorschnell dem Genre „Horror" zugeordnet wird. Diese Tatsache, der Abdruck der Texte in diversen Pulp-Magazinen und der gelegentlich überzogene Schreibstil veranlassten die Literaturkritik lange Zeit, auf seinen Namen nur mit einem Naserümpfen zu reagieren. Doch mittlerweile wird Lovecrafts Schaffen deutlich positiver bewertet, was sich nicht nur an den zahlreichen Neuauflagen und Anthologien festmachen lässt, sondern auch an seinem Einfluss auf die Populärkultur. Nicht nur benannte sich das amerikanische Plattenlabel Dunwich Records nach der Kurzgeschichte „The Dunwich Horror", auch die Ende der Sixties in Kalifornien aktive Band H.P. Lovecraft bezog sich auf ihn. Mit dem aktuell im Tor-Verlag erschienenen und über 900-seitigen „Das Werk" von Leslie S. Klinger wird der Lovecraft-Kult sicherlich wieder angeheizt, da es sich hier um eine kommentierte und brillant übersetzte Ausgabe handelt (ISBN: 978-3-59603-708-7). Allein schon optisch mutet die Edition wie ein Zauberbuch an, doch der Inhalt wird den Leser dann auch tatsächlich verzaubern und in unbekannte Dimensionen entführen. Zwar handelt es sich nicht um das Gesamtwerk, denn es fehlen wichtige Storys wie „Die Musik des Erich Zann" oder „Die Ratten im Gemäuer", doch die Aufbereitung von „Jenseits der Mauer des Schlafes", „Cthulhus Ruf", „Die Träume im Hexenhaus" oder „An den Bergen des Wahnsinns" lassen nichts zu wünschen übrig. Nach einer Einleitung zu Leben und Schaffen Lovecrafts folgen die Erzählungen, die nicht nur meisterhaft kommentiert wurden (farblich abgesetzte Randnotizen) und somit die Hintergründe erklären, sondern auch zur Erläuterung auf Fotomaterial, Kinoplakate und Abbildungen von Kunstwerken zurückgreifen. Im Anhang finden sich zudem eine Zeittafel zu den Handlungen, ein Abriss der Geschichte des Necronomicons sowie eine Darstellung der Rezeption im deutschen Sprachraum. Brillant.

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Sternenkrieger fürs heimische Kinderzimmer Es ist beinahe unmöglich, heutzutage nicht über "Star Wars"-Produkte zu stolpern – egal, wo man hingeht. Insbesondere seit Lucasfilm von Disney aufgekauft wurde, werden die Freunde der Sternensaga nicht nur mit immer neuen Filmen versorgt, sondern auch mit allerhand Merchandising. Der Markt ist völlig überschwemmt: von Comics, Spielfiguren bis hin zu Weintrauben mit "Star Wars"Logo …

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m Prinzip hat sich daran seit den 70er Jahren nichts geändert. Doch die Sammler haben sich zwischenzeitlich spezialisiert, und nicht alles, was das gewinnbringende Siegel „Star Wars" ziert, besitzt für sie einen Wert. Besser als manche Aktie hat sich der Kurs bestimmter Spielzeuge der Firma Kenner über die Jahre entwickelt. Die Wertsteigerung ist beinahe beispiellos – und die Geschichte rund um die kleinen Plastikfiguren überaus bemerkenswert. So richtig wollte eigent­ lich niemand an den Erfolg von „Krieg der Sterne" (1977) glauben. In der Tat hatte es George Lucas schwer, eine Produktionsgesellschaft für seine Idee zu einem neuen Film zu finden. Viele Absagen musste er einste­ Luke Skywalker & Prinzessin cken, bis 20th Century Fox Leia, Erstauflage 1978 schließlich ganze 10.000 Erste Werbe-Anzeige USA 1977 Seite

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Dollar für die Entwicklung des Drehbuchs freigab. Zwei Jahre bastelte der junge Lucas dann an seiner Vision. Der Rest ist mittlerweile Filmgeschichte. Ähnlich erging es Lucasfilm mit dem Thema Merchandising für „Krieg der Sterne". Zwar erschie­ nen noch vor der Premiere ein Roman und eine Comic-Adaption, aber an den erfolg­ reichen Vertrieb von Spielwaren wagte sich zunächst niemand. Schließlich interessierte sich die Firma Kenner für das Projekt. Der Film wurde gesichtet, und erste Entwürfe für Figuren entstanden. Zögerlich arbeitete man an sechs Charakteren – mehr werde man nicht verkaufen können, prognosti­ zierten die Verantwortlichen. Die Angst war groß, dass das Interesse bereits ver­ flogen wäre, bis man ausliefern könnte. Langsam schritt die Planung voran. Als im Mai 1977 dann aber das Unvorhersehbare geschah – der Film schlug ein wie eine Bombe und brach sämtliche Rekorde Han Solo 1978 – –, krempelte man die Ärmel hoch seltene Version und legte so richtig los. Ein wah­ mit kleinem Kopf

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rer Wettlauf mit der Zeit begann, denn 600.000 Mal. Übrigens bringt Kenner wollte unbedingt noch das ein gut erhaltenes Set Weihnachtsgeschäft des Jahres mit­ des Umschlags mit den nehmen. vier Originalfiguren heute Pustekuchen! Denn die stolze 4000 Euro! Monate vergingen In Deutschland war hiervon wie im Flug, und jedoch noch nichts bekannt. das Projekt „Star Die Kinderzimmer hierzu­ Wars" wurde zu lande waren zeittypisch einem f inan­ noch mit Lego, Playmobil ziellen Desaster für die und Indianerzelten aus­ Spielwarenfabrik. Die Entwicklung gestattet. Das sollte verschlang Unsummen, doch verdient sich aber natürlich bald war noch kein Dollar. Verschiedene ändern … Überlegungen und Vorschläge wurden Bis ins Jahr 1986 erschienen durchgespielt, was die Situation aller­ insgesamt 107 Figuren zu den ersten drei dings nicht entschärfte. Letztlich hat man „Krieg der Sterne"-Filmen sowie zahlrei­ dann die zündende Idee eines Mitarbeiters che Zubehörteile wie Raumschiffe, Reittiere quasi als eine Art Notlösung verwirklicht, und und Spielsets. Laut einer Statistik der Firma ein Briefumschlag mit einer Karte für den „Star Ken­ ner gingen zwischen 1978 und 1986 allein in Wars"-Fanklub, einem kleinen Aufklebebogen sowie den USA 40 Millionen Figuren über die Ladentische. Lego- Star Wars"-Todesstern " einem Diorama aus Pappe für die ersten zwölf Figuren Auch in Deutschland war der Erfolg einzigartig. Nach der Marktein­ führung verkauften sich sage und schreibe 1,5 Millionen Figuren. Über die komplette Zeitspanne von rund zehn Jahren fanden schließ­ lich gut 250 Millionen klei­ ne Ster­n en­­ krieger ihren Weg in die Kinderzimmer auf der gan­ zen Welt. Danach brach die Erfolgs­ geschichte ab. Das Ausbleiben neuer Filme "Kraft der Macht" 3er-Pack (nur Deutschland) 1986 Wert 20.000 Euro und die Konkurrenz, die auch nicht schlief, sorgten dafür, dass in den Regalen nun Figuren von „Mask", „Masters Of The Universe" wurde für rund zwölf Dollar an die Spielwarenläden ausgeliefert. und „Ghostbusters" zu finden waren. „Star Wars" war für viele Der Clou dabei: ein Gutschein für die ersten vier Figuren, die bis Jahre erst einmal Geschichte. Juni 1978 endlich erhältlich sein sollten. Die Rechnung ging auf Marco Frömter und das so genannte Early Bird Certificate verkaufte sich ganze

Eine der ersten deutschen Anzeigen 1979

Verpackung der Figuren (Rückseite) GoodTimes

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Typische deutsche Anzeige 1984


Von Horst Berner

Billy The Cat", Boule & Bill", " Buck Danny", Die Blauen Boys", Die Schlümpfe", Gaston", Harry & " " " " " " Platte", Jean Valhardi", Jerry Spring", Johann & Pfiffikus", Kid Paddle", Lucky Luke", Marsupilami", " " " " " " Natascha", Pirat Schwarzbart & Old Nick", Sophie", Spirou & Fantasio", Tamara", Yoko Tsuno" " " " " " " und Aberhunderte von Comic-Serien mehr von A wie Aria" bis Z wie Zyklotrop" … Sie alle haben " " eines gemeinsam : Sie wurden kreiert für die belgische Comiczeitschrift Spirou", deren Erstausgabe " am 21. April 1938 publiziert wurde. Mitgealtert ist auch der Titelheld, der sein Publikum seit 80 Jahren in den Bann zieht und sich, gegen alle Naturgesetze, agiler zeigt als je zuvor.

brachte der Verleger Jean Dupuis (1875–1952) am 21. April 1938 auf den Markt. Das Wort Spirou ist der wallonischen Sprache entliehen und steht für Eichhörnchen, wird im erweiterten Sinn aber auch für einen temperamentvollen Jungen gebraucht. Für das typische Erscheinungsbild des Titelhelden sorgte der französische Zeichner Robert Velter (1909– 1991) alias Rob-Vel. Einerseits verband er damit eine Reminiszenz an die eigene Vergangenheit, als er sich als Hotelpage verdingte, andererseits war es seine Hommage an einen dieser rot kostümierten Grooms (Diener), der bei einer Überfahrt des Ozeandampfers Ile-de-France, auf dem er als Steward arbeitete, tödlich verunglückte. Ebenfalls von ihm entworfen wurde das Eichhörnchen Pips, das Spirou aus ersichtlichem Grund zur Seite gestellt wurde. So prägend Rob-Vel war – und in seiner Nachfolge Joseph Gillain (1914–1980) alias Jijé, der den rastlosen Reporter Fantasio

enn die Rede ist von traditionsreichen europäischen Comic-Serien, kommen unweigerlich die franko-belgischen Magazine „Spirou", „Tintin" und „Pilote" ins Spiel, auf deren Seiten unzählige Zeichner und Autoren lebendige Comic-Kultur formulierten. Der entscheidende Unterschied liegt allerdings darin, dass „Tintin" (1946–1988) und „Pilote" (1959–1989) längst ihr Erscheinen eingestellt haben, während es „Spirou" (verlegt von Dupuis in Marcinelle) noch immer gibt. Im Frühjahr dieses Jahres blickt das Wochenheft mit 4176 publizierten Nummern zurück auf eine nahezu lückenlose Erscheinungsweise über einen Zeitraum von 80 Jahren. Nur zwischen Mai 1940 und September 1944, während der Okkupation Belgiens durch die Nazis, gab es Zeitabschnitte mit unregelmäßigen Veröffentlichungen.

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ie erste Nummer des anfänglich 16 Seiten umfassenden Journals für die Jugend

Erstausgabe von Spirou" " Seite

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als quirlige Nebenfigur erfand –, zum Klassiker der Comic-Literatur gediehen die humorvollen Abenteuer von „Spirou & Fantasio" erst durch das in der Brüsseler Gemeinde Etterbeek herangewachsene Zeichengenie André Franquin (1924–1997). Zwischen 1946 und 1968 schuf der ein Universum, das die Fans der Serie bis heute fast kultisch verehren. Seine komplex und höchst amüsant ausstaffierten Episoden bereicherte er um so imposante Charaktere wie den Grafen von Rummelsdorf (ein genialer, leicht verschrobener Wissenschaftler und Erfinder), Zyklotrop (ein megalomaner Wissenschaftler mit Drang zur Weltherrschaft), das Marsupilami (ein gelb-

billigen sowohl Puristen als auch Avantgardisten ihre Interpretation. Vehlmann-Yoanns vielleicht größtes Plus hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Dupuis 2015 die Rechte am Marsupilami zurückkaufte. Die lagen zunächst bei Franquin, der sie 1986/87 an JeanFrançois Moyersoen veräußer te, f ür dessen Verlagshaus Marsu Productions der belgische Zeichner Luc Collin (*1960) Spirou & Fantasio" als alias Batem dann neue Abenteuer mit dem "Pit & Pikkolo" bei Kauka, " 1968 Supertier in Szene setzte. In seiner letzten Story, „Der Zorn des Marsupilamis", konnte das Duo die Kreatur nun nach gut 46 Jahren erstmals wieder im Aktionsfeld von „Spirou & Fantasio" agieren lassen ...

i Ob als junger oder alter Held, Spirou ist immer in Aktion. schwarzes Fabeltier aus dem Urwald von Palumbien), Zantafio (der missratene Vetter von Fantasio), Steffani (die Kollegin und Konkurrentin von Fantasio als Reporterin) oder den schwatzhaften Bürgermeister von Rummelsdorf. Unter den vielen auftretenden Nebenfiguren räumte Franquin auch seinem „Helden ohne Beschäftigung", Gaston (siehe kult! Nr. 16), diverse Gastauftritte ein. Die zunehmende Konzentration auf seine Lieblingsserie, in der er die irren Streiche des faulsten und zugleich lustigs­ ten Büroboten der Welt ausmalte, führte schließlich dazu, dass Franquin nach 20 Alben die Fortführung von „Spirou & Fantasio" an JeanClaude Fournier (*1943) abtrat.

Abbildungen: © Spirou & Fantasio, Dupuis / Carlsen Verlag 2018

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ass es in der Nach-FranquinÄra gelungen ist, die Serie – und damit auch das Journal – weiter auf Erfolgskurs zu halten, ist der Leistung einer Reihe von talentierten Comic-Künstlern zu verdanken. So fertigte der Bretone Fournier neun Alben zwischen 1968 und 1980, Raoul Cauvin (*1938) und Nic Broca (1932–1993) drei zwischen 1980 und 1984, Philippe Tome (*1957) und JeanRichard Geurts alias Janry (*1957) 14 zwischen 1984 und 2004, Jean-David Morvan (*1969) und José Luis Munuera (*1972) vier zwischen 2004 und 2010. Seit 2010 führen Texter Fabien Vehlmann (*1972) und Zeichner Yoann Chivard (*1971) die Saga weiter; sie haben inzwischen fünf Alben realisiert. Wie alle Autoren vor ihnen setzen auch sie auf die von Franquin ersonnenen Kerngedanken, bereichern den Kosmos aber beharrlich um neue Aspekte. Und da ihnen Spirou & Fantasio" von die magische Quintessenz aus " Franquin, Fournier, Tome & Retrolook und moderner Attitüde Janry, Morvan & Munuera offenbar besonders gut gelingt, GoodTimes

n Deutschland geisterten die beiden Comic-Helden in der Vergangenheit mit wechselnden Namen durch diverse Publikationen, wobei die in den 1960er Jahren von „Fix & Foxi"-Herausgeber Rolf Kauka (1917–2000) veröffentlichte Version als „Pit & Pikkolo" zur geläufigsten wurde. Seit der Hamburger Carlsen Verlag die Lizenz an der Serie erworben hat, erschienen ab 1981 in unterschiedlichen Aufmachungen nach und nach alle Folgen unter dem Spirou als Hotelpage Originaltitel „Spirou & Fantasio". In von Bravo der Hauptserie bietet die Backlist derzeit 54 Bände, weitere 24 „Spezial"-Bände offer ieren Ausleg ungen verschiedener Comic-Künstler – darunter Frank LeGall (*1959) Nicolas Bary verfilmt 2017 und Émile Bravo die Streiche des kleinen Spirou (*1964) –, die mit subtilem Blick eigenwillige Aspekte aus der actionreichen Biografie von Spirou thematisieren. Dazu kommen die Titel mit dem Marsupilami sowie Tome & Janrys frech und witzig gedrehte Kurzgeschichten in der mittlerweile auch schon 17 Bände umfassenden Serie „Der kleine Spirou". FranquinBewunderer finden ihr Glück in acht Büchern der „Spirou und Fantasio Gesamtausgabe", in der seine Comics in chronologischer Reihenfolge präsentiert werden, ergänzt um kundige Kommentare. Dass in den französischsprachigen Ländern anlässlich des 80. Geburtstags am 21. Februar Mit dem 384-Seiten-Buch 2018 der Realfilm „Les Aventures Franquin" würdigt Carlsen de Spirou et Fantasio" (Regie: " 2017 den Meister des " Humors". Alexandre Coffre) in die Kinos kam, blieb hierzulande eher unbeachtet. Umso mehr Aufmerksamkeit dürfte dem Album „Spirou in Berlin" zuteil werden, das im Juni 2018 bei Carlsen erscheint. Das Besondere daran: Es ist der erste Titel, den ein deutscher Comic-Künstler, nämlich Felix Görmann (*1976) alias Flix, dem Tausendsassa in Rot widmen wird. Wenn das kein Grund zum Feiern ist …

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Von Nicolas von Lettow-Vorbeck

Foto: © Nicolas von Lettow-Vorbeck

Kirchweih, Kerb, Kirmes, Kerwe, Kirbe, Kermes ... In den regionalen Dialekten Deutschlands hat das Vergnügen viele Namen. Das Fieber und die Begeisterung sind aber immer gleich. Egal ob in Bayern, Hessen, Baden oder am Niederrhein: Alle Kinder – und nicht wenige Erwachsene – lieben das quirlige Treiben auf dem Rummelplatz. In Dörfern und Städten ist das jährliche Volksfest das soziale Ereignis des Jahres, es bringt Nachbarn zusammen und stärkt die Gemeinschaft. Oft sind die Feste mit Kirchenjubiläen verwoben, erinnern einen Bezug zum Schützenwesen, an Heilige oder haben . auf jeden Fall finden sie bevorzugt in den heißen Sommermonaten statt. So mischt sich die Faszination langer Tage und angenehmer Temperaturen mit dem süßlichen Geruch von gebrannten Mandeln und dem Lustgeschrei von Achterbahnpassagieren. ür ein paar Tage ist die Wiese vor der Stadt oder der Dorfplatz wie verzaubert. Der alltägliche, sattsam bekannte Ort scheint verschwunden und durch ein blinkendes, kreischendes Zauberreich ersetzt worden zu sein. Zumindest habe ich das als Junge immer so wahrgenommen. Rasend schnell – sprichwörtlich über Nacht – schossen Karussell und Losbude, Zuckerwattestand und Autoscooter aus dem Boden. Zum ersten Mal im Leben dieser Pracht – diesem überquellenden, hektischen Treiben – gewärtig zu sein: unfassbar, unvergess­lich, entrü­ckend. Reizüberflutung total, die Kinderfantasie schäumt über: Mit welchem Geschäft will ich fahren? Traue ich mich das wirklich? Geben mir meine Eltern überhaupt Geld dafür? An der Losbude gibt es giftgrüne Plüschschlangen zu gewinnen, drei Meter sind die lang! Einmal Paradiesäpfel probieren! Da vorne, die verkaufen frische Kokosnüsse! „Du kannst nicht alles haben. Du musst dich für eine Sache entscheiden. Meinetwegen auch für zwei." Mit solchen und ähnlichen Worten bremsen viele Erwachsene Seite

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die Konsumlust ihrer Sprösslinge aus. Wichtige Lektionen werden auf dem Rummel verinnerlicht: Niemand kann alles haben, man muss sich fokussieren. Und zwar auf die Dinge, die einem wirklich wichtig sind. Kinder müssen das akzeptieren, also vergleichen sie, wägen ab, diskutieren, hadern. Sie beobachten etwa die spektakuläre Fassade der gefährlich aussehenden Geisterbahn intensiv. Der bewegliche Riesengorilla wirkt schon ziemlich bedrohlich, ob drinnen noch wildere Ungeheuer warten? Und falls es dann doch zu gruselig ist ... Aussteigen geht ja nicht. Vielleicht sollte die Geisterbahn erst nächstes Jahr in Angriff genommen werden. Aber der Krake da hinten, der sieht lustig aus! Da fahren ja auch andere Schulkinder mit. Aber wenn es dann doch zu schnell ist ... Vor allem kleinere Kinder sind oft ängstlich, können die Situation schwer einschätzen. Wie toll ist es da, wenn Papa, Mama oder der große Bruder mitfahren, Händchen halten, ein paar beruhigende Worte sprechen. Und meist zeigt sich dann schon während der Fahrt: Ganz so gefährlich ist es gar nicht, es macht sogar großen Spaß! Nach bestandener Mutprobe ist der Stolz umso größer. Bitte, bitte noch mal!

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vorstellen. Jenseits der 30 sind zudem vielen die wilderen Fahrgeschäfte auf einmal zu ruppig, folglich wendet man sich lieber – gerne auch ausgedehnt – den lukullischen Genüssen zu: Bierchen, Reibekuchen, Bratwurst, Weinschorle, Eistüte, Pommes, Lebkuchenherz. Man beobachtet das bunte Treiben lieber und klönt dabei mit Freunden. Die Körpersprache erwachsener Kirmesgäste strahlt aus: Ich kenne das alles schon. Beweisen muss ich mir auch nichts mehr. Mit der Elternschaft erfährt die Meinung zum Volksfest dann eine weitere Wandlung. Der Sohn oder die Tochter drängt jetzt zum Rummelplatz. Mit allen Tricks wird da gebettelt, diskutiert, um den Finger gewickelt – eigentlich genau so wie in der eigenen Kindheit. Im Gegensatz zu früher wird der Tag auf der Kirmes natürlich ausführlich digital konserviert. Da haben die Eltern alle Hände voll zu tun und bloß nicht während der Fahrt auf dem Pferdekarussell das teure iPhone fallen lassen! Geschafft, das erste Kirmesabenteuer des Filius ist sicher auf dem Flash-Speicher verewigt, es wird nun in Sekundenschnelle mit allen Verwandten in der WhatsApp-Familiengruppe geteilt. Das globale Dorf ist längst Realität geworden. Auch der Onkel in Amerika oder die Schwester im Dubai-Urlaub können so virtuell an der „Pforzhemer Mess" teilhaben. Bei den Attraktionen hat sich seit den Achtzigern oder Neunzigern hingegen wenig verändert. Klar, der Trend geht zu immer schnelleren Geschäften, die Gier nach Adrenalin scheint grenzenlos. Trotzdem hat eine Vielzahl von Fahrgeschäften bereits Jahrzehnte auf dem Buckel. Obgleich mehrmals umlackiert, finden Familienväter schnell alte Bekannte aus

langweiligen Alltagswelt. Denn der Zauber ist kurzlebig, schon nächste Woche ist alles vorbei. Jeder Kirmesbesucher weiß das, und vielleicht sitzt deshalb das Geld ein wenig lockerer als sonst. Die Vergänglichkeit schürt die Euphorie. Und Begeisterung und Unbeschwertheit kann man nicht festhalten. Sie ist so flüchtig wie der rosa Riesenteddy aus der Schießbude. Schon in wenigen Wochen wird das pelzige Ungetüm in einer dunklen Ecke auf dem Dachboden stehen, das Viech stinkt nämlich erbärmlich nach billigsten Kunstfasern, und außerdem haart es schrecklich. Apropos Pubertät: Gerade in diesem Lebensabschnitt läuft es oft mit den Eltern nicht so toll, schlechte Noten, knappes Taschengeld ... Der Anschlag „Junger Mann zum Mitreisen gesucht" scheint da vielen wie eine Offenbarung aus einer besseren Welt zu sein, ein gescheiter Plan B für die Zukunft: neue Orte sehen, ganz nah bei der Action sein, spannende Menschen kennenlernen und vor allem keine Schule. Trotzdem wagt kaum einer den Schritt, so schlimm ist es bei Mama und Papa dann doch wieder nicht. Ist die Pubertät geschafft, ändert sich die Beziehung zur Kirmes erneut. Dem Erwachsenen erscheint der Rummelplatz auf einmal seltsam fad. In seiner knappen Freizeit kann er sich bessere Gegenpole zum Arbeitsstress

der eigenen Kindheit wieder: Wiedersehen macht Freude! Dank guter Wartung und Pflege sind die Spaßmaschinen locker ein halbes Jahrhundert auf der Reise. Nostalgie ist ein wichtiger Faktor auf der Kirmes. Einige Geschäfte werden optisch ganz bewusst nicht modernisiert, wirken wie Zeitmaschinen in die Fünfziger oder Sechziger. Der Rummelplatz scheint dynamisch und konstant zugleich zu sein, doch wie sieht die Zukunft des Rummels aus? Wird es in 30 Jahren noch Fahrgeschäfte geben, die mühsam durch das ganze Land transportiert, immer wieder auf- und abgebaut werden? Oder verlagert sich das Vergnügen bald in die virtuelle Realität? Schon jetzt erzeugen VR-Brillen beeindruckende Illusionen. Gehen wir bald in die virtuelle Achterbahn mit 30 Loopings und einem Sturz aus 500 Metern? Gibt es demnächst die superschaurige Geisterbahn-App (mit Monstern zum Selbermachen)? Ich weiß es nicht, drücke der realen Kirmes aber beide Daumen. Denn der alljährliche Rausch ist nicht nur banales Vergnügen, er ist ein wichtiger Teil unserer lokalen Kultur.

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Foto: © Nicolas von Lettow-Vorbeck

Foto: © Nicolas von Lettow-Vorbeck

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Zweite gelernte Lektion – wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Aber natürlich ist nicht jeder zum Draufgänger geboren. Manchmal merkt man schon kurz nach Fahrtbeginn: Diese Attraktion ist so ganz und gar nicht mein Ding! Da hilft dann nur noch Augen zusammenkneifen, sich in der Gondel festkrallen oder das Mantra „alles wird gut" murmeln. Ausgeliefert sein, der Technik und dem Karussellbediener vertrauen – auch das kann auf der Kirmes verinnerlicht werden. Jeder Mensch ist anders, einige vertragen bestimmte Fahrten einfach nicht; das sind körperliche Befindlichkeiten, die oft wenig mit Mut oder Stärke zu tun haben. Aber von solchen Weisheiten will kein pubertierender Junge etwas wissen! Spätestens nach dem Stimmbruch und der ersten Akne geht es auf dem Rummel nicht mehr in erster Linie ums Vergnügen. Es gilt, die Mädels zu beeindrucken! Und das kann mitunter in waschechte Arbeit ausarten. Schiffschaukel fahren, wilde Loopings in der Achterbahn, Action im Breakdancer – echte Kerle verziehen dabei natürlich keinen Mundwinkel. Cool wollen sie sein, völlig unbeeindruckt wie die Actionhelden im Kino. Darauf fahren doch alle Mädchen ab! Oder etwa nicht? Ängstliche können sich – Zielsicherheit vorausgesetzt – an der Schießbude profilieren. Jeder Schuss ein Treffer, so was macht echte Männer aus. Stolz wie Oskar ziehen sie dann mit der Angebeteten und einem rosa Riesenteddy über den Rummelplatz. An jedem anderen Ort würde das total idiotisch aussehen. Hier aber nicht, Volksfest bedeutet eben Ausnahmezustand, es gelten völlig andere Regeln als in der normalen,

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Das Interieur der 70er Jahre Von Kathrin Bonacker

„Sarah Kay" auf braunem Breitcord In den späten 60er Jahren hatte es sich schon angedeutet: Plastikmobiliar konnte in Formen hergestellt werden, die niemand zu erträumen gewagt hatte, und das nicht einmal besonders teuer. Zur heilbringenden Abwaschbarkeit kamen jetzt auch noch unbegrenzte Farbvariationen. Und irgendjemand, der sich noch nicht geoutet hat (vielleicht zu seinem Glück?), erklärte tatsächlich die Kombination aus frischem Grün, knalligem Orange und sattem Braun für salonfähig. Wer in den 70er Jahren Kind war, weiß das ...

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uf den Schulkind-Schreibtischen, die flexible Schreibunterlagen in Orange, Dunkelgrün, Braun oder Dunkelblau hatten, standen knallgelbe, blaue oder orange Hartplastik-Utensilos aus unterschiedlich hohen Zylindern. Darin fanden sich das wichtigste Schreibgerät, der Tintenkiller, ein Pelikan- oder Geha-Füller (das war eine Glaubensfrage!), ein zerbrechliches Plastiklineal, ein Prittstift vielleicht und eine Schere, im niedrigsten Zylinder tummelten sich zwischen allen möglichen Schnipseln Bleistiftstummel und Radiergummis. Beleuchtet wurde das Ganze von einer knick- und schwenkbaren Klemmlampe, neben der klassischen Eierschalenfarbe ebenfalls in Braun, Blau, Grün oder Orange zu haben.

barer Schreibtischstuhl vielleicht das pädagogische Konzept der Eltern unterstützen sollte. Über das Bett waren Poster gepinnt, die Schaumgummi-Matratze ließ sich für Übernachtungsgäste gut hin- und hertragen. Sie war robust bezogen (oft in Breitcord) und hatte nicht selten auch noch halbrunde Zusatzelemente, die das Bett tagsüber in eine Couch mit Armlehnen verwandeln konnten. Diese waren dabei durchaus spieltauglich, so wie Riesenbauklötze ... Und der aus langen naturweißen Wollfasern bestehende Flokatiteppich, in dem so wunderbar alles verschwand und langsam einfilzte, diente als kuschelige Unterlage zum Plattenhören oder „Bravo"Lesen. Der Ende der 60er Jahre erfundene Sitzsack wurde zunehmend erschwinglich – sehnlicher Wunsch und schwer umkämpftes Mobiliar-Highlight in manch einer Wohnung. Er raschelte so herrlich beim Reinsetzen, und Großmütter machten ihn nie streitig, weil sie ohnehin nicht mehr daraus aufstehen konnten.

Das Jugendbett war neben dem Fußboden der Hauptaufenthaltsort, auch wenn ein erster rollSeite

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die Bettwäsche solche Motive haben mu­ sste. Die in Trägerröcke oder auffallend geflickte Schlaghosen gekleideten Figürchen mit den schweren runden Schnürschuhen (oder barfuß) trugen breitkrempige Gärtnerhüte oder Häubchen, während sie auf Blumenwiesen, Zäunen oder Schaukeln saßen und gelegentlich mit possierlichen Tierchen spielten.

Dazu passende Kleinmöbel wie Couchoder Beistelltischchen, Tabletts oder Hocker waren aus Plastik und abwaschbar, mit DC-fix-Folie konnten sie nach Geschmack noch verwandelt, Brandflecken oder Kratzer kaschiert werden. Zur Plastik­­ be­geisterung der späten 60er und frühen 70er Jahre gesellte sich aber prompt auch gleich die Gegenbewegung: Das Handarbeiten geriet wieder in Mode, der Häkelbikini wurde begleitet von netzartigen Knüpfarbeiten für Partyräume und rubbeliger Raku-Keramik. Selbst die Poggenpohl-Küche, einst das Schlichteste an moderner Ausstattung in Weiß mit Stahlkanten, wartete nun mit einer Rustikalvariante in einem hölzernen Sattbraun auf, das jeder Almhütte Ehre gemacht hätte. Blumensträuße enthielten bevorzugt lange Gräsergrannen oder anderes natürlich gewachsenes Grün, gerne mannshoch, Milchkannen kamen als Schirmständer oder Vasen wieder zu neuen Ehren, oft mit „Bauernmalerei" verziert. Überhaupt war die stabile hohe Bodenvase – wenn schon nicht aus chinesischem Porzellan der Ming-Dynastie, dann wenigs­ tens von der Firma Scheurich in Knallorange mit Lava-Glasur – ein absolutes Muss.

Falls nicht Sarah-Kay-Püppchen darauf­ gedruckt waren, hatte die Wäsche Wellenlinien oder Blumenmuster, Orange auf Weiß, Braun auf Orange, Grün an Orange-Braun, Gelb an Lila, jedenfalls nicht unauffällig oder dezent. Die für das Spülmittel Pril entworfenen schlichten Klebeblümchen sind typisch und manchmal sogar namensgebend für die Ära: Als Folge der Pop-Art waren sie klar in den Kanten und dekorierten mit ihren bunten Kontrasten so manche harmlose Fliesenwand oder Zimmertür (ohne Aufwand und auch wieder rückgängig zu machen). Gerade die blassblauen Küchenkacheln, Relikte der 50er und 60er, wurden besonders gerne damit aufgemotzt.

Dazu kam gegen Ende der 70er eine Nostalgiewelle, die schwingende Rüschenkanten und Streublümchenmuster aller Art im Gepäck hatte, lange Kleider und Wickelröcke wetteiferten darin mit den Vorhängen und Sofakissen. Thonet-Bugholz-Möbel und Jugendstilmalerei kamen wieder in Mode, Plakatkunst der vergangenen Jahrhundertwende wurde nachgedruckt und verkaufte sich wie warme Semmeln als Dekoration von Wohn- und Schlafräumen. Zigaretten-, Cola- und Spiri­ tuosenwerbung sprang auf diesen Zug auf und ließ Barspiegel produzieren, die alte Werbemotive zeigten.

Überhaupt war das An- und Vollkleben von Dingen eine beliebte Sache, die Raumgestaltung wurde ohnehin flexibler, möglichst nichts fest geschraubt. Diese freie Gestaltbarkeit war auch für das Mobiliar erstrebenswert, und hier gab es einige bahnbrechende Innovationen. 1972 kam beispielsweise der Tripptrapp-Kinder-Hochstuhl auf den Markt: Die Sitzfläche, und das ist der Clou, lässt sich bei dem patentierten Möbelstück der jeweils gewandelten Körpergröße angepasst neu einschieben, so dass das hochwertig gearbeitete Holzobjekt auf lange Sicht seinen stolzen Preis wert ist, weil es mit dem Kleinkind und später Schulkind mitwächst.

Außerdem wurde gesammelt, was sich nur irgend auf Trödelmärkten finden ließ. Kulleräugige Puppen mit Schutenhüten saßen, in niedlichen kleinen Gruppen arrangiert, auf Miniatur-Korbmöbeln dekorativ in ihren Ecken, und speziell die SarahKay-Produkte waren ein großer Sieg der Merchandise-Industrie. Die australische Künstlerin Vivien Kuboš hatte das großköpfige Puppengesicht Sarah Kay mit den Pausbäckchen ursprünglich für Bild-Postkarten entwickelt, und offenbar traf sie damit einen Nerv. Alle kleinen und größeren Mädchen fanden sie sooo süß, dass unbedingt sogar GoodTimes

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Als eher weniger stabil gearbeitet galten damals noch die Selber-BauMöbel der großen, bereits in den 50er Jahren dort populären schwedischen Möbelhauskette, die in den 70ern auch Deutschland eroberte: Das erste Ikea-Gebäude entstand 1974 in Eching bei München. 1978 gab es bereits das Kellerregal Sten, ab 1979 wurde dort auch das legendäre Ich bin Billy-Regalsystem " gewachsen!" verkauft. Das K a t a l o g ­m o t t o da­mals brachte es auf den Punkt: „Wer jung ist, hat mehr Geschmack als Geld." Günstig zu be­­kommen waren auch die hölzernen Setzkästen, manche noch alt und braucht aus der ge­ Druckerei, andere diesen nachempfunden aus s cheidend dem Handel. Ent­ waren die kleinen Fächer, die wahrung zur dekorativen Aufbe­ von allerlei seltsamen kleinen Gegenständen dienten: Beliebt waren Parfümminiaturen und -pröbchen, kleine Figürchen, darunter gerne Schlümpfe, die es, seit 1965 hergestellt von der Firma Schleich, zu erwerben gab, oder Puppenstubenzubehör. Naturmotive, Reiseträume und Exotik bestimmten die großen Seite

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Dekorationen: Flugreisen waren zwar immer noch teuer, aber nicht mehr komplett unerschwinglich, und beim Dia-Abend wurde so man-

ches Bild aus der Ferne gezeigt, das die restlichen Träume des Jahres bestimmte. Unter Schülerinnen und Schülern kursierten Kataloge der Firma Fotographica, bei der als Sammelbestellung mit satten Rabatten Poster geordert werden konnten: Zu den beliebtesten Motiven der Jugendzimmer gehörten dabei ein stimmungsvoller orange-rosa „Sonnenuntergang", „Palmen vor Sonnenuntergang am Strand" oder „Paar in Umarmung vor Sonnenuntergang am Strand" – Letzteres gern auch mit nackten Oberkörpern, aber dann keusch, das langhaarige Mädchen von hinten. Wer es schlichter mochte, bekam einen schönen grünen Laubwald als Fotodruck, Mohnblumenfelder, springende Delfine oder natürlich ein Pferd auf der Wiese. Dieses allerdings war meist so Einhorn-magisch fotografiert, dass alle Betrachtenden das Gefühl haben konnten, nur

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ihnen bliebe das Horn des Fabelwesens auf der Stirn des Tieres verborgen, die wahre Jungfrau könne es bestimmt sehen. Wichtig war in jedem Fall die möglichst atmosphärische Beleuchtung der Szenerie, und besonders beliebt war auch das Tür- oder gar Wandposter, das illusionistisch den Raum in eine fiktive Landschaft erweiterte. Die Bilder des Fotografen David Hamilton waren – trotz oder wegen der Kritik, es handele sich um Werke an der Grenze zur Pornografie – ebenfalls sehr beliebt: Junge Frauen, oft nackt oder mit einem Hauch von Nichts bekleidet, tanzten oder schwebten eher durch nebelhafte Landschaften.

nicht selten zu einer rustikalen Eckbank, der Landhausstil eroberte die Küchen, in denen nun rot lackierte Pfeffermühlen zum Würzen standen. Fröhlichkeit war angesagt und durfte auch im Interieur zu sehen sein, Gardinen und Tapeten waren oft ebenfalls sehr farbig und wild gemustert. Warm wirkende Dekoration durch wollige Wandbehänge mit eher abstrakten, großflächigen Mustern kontrastierte die oftmals unverputzt gelassenen Backsteinwände, und wer handwerklich geschickt war, zeigte seine Fähigkeiten beim Makramee. Diese Flecht-, Knotenund Knüpftechnik hatte in den 70er Jahren Hochkonjunktur: Von der Blumenampel bis zum Wandbehang, von der Henkeltasche bis zum Lampenschirm wurde aus recht grober Schnur – nicht immer, aber besonders häufig in sattem Dunkelbraun – gewirkt, was das Herz begehrte.

Die Freude an der Nacktheit an sich erlebte in diesen Jahren einen Aufschwung, der beim Hausbau der 70er Jahre den Sauna- und Pool-Freunden zupass kam. Wer noch vor der Energiekrise im Winter 1973/74 sein Eigenheim entwarf (oder diese schlicht ignorierte) und es sich leisten konnte, verkleidete die Wände mit Kiefernholz und baute eine Klapptür zur Heimsauna, traf sich zur Party an der Kellerbar mit Freunden und teilte mit ihnen seinen von unten beleuchteten Pool. Zum Party-Equipment gehörte manchmal außerdem eine dieser futuristisch erscheinenden Glasfaserlampen, deren von der Mitte puschelig auseinanderfallende Fäden in wechselnden Farben Licht machten, wo Disco-Atmosphäre erwünscht war. Der Chemiefaser-Teppichboden, der sich im Haus mit Fliesen abwechselte, war kurzflorig

und weich, angenehm für die nackten Füße und nun wegen der besagten Flexibilität auch als Polyamid„Teppichfliesen" von Metzeler „weich, warm, waschbar", also in zusammenpuzzlebaren Einzel­ teilen zu haben, gerne bis an den Wannenrand aus einem Guss: der Fußboden genauso plüschig belegt wie der Klodeckel. Daneben stand dann vielleicht ein runder, trompetenförmiger Plastik-Badhocker von Emsa mit Kord- oder Wuschelbezug in Braun, Olivgrün oder knalligem Orange. Wer im großgeblümten Frottee-Bademantel aus dem Bad an den Esstisch kam, fand dort keine Tischdecke, sondern Sets, keine Tassen auf Untertellern, sondern stabile Henkelbecher, das Geschirr oft robust braun glasiert, Kinder-tauglich und jedenfalls spülmaschinenfest. Die Sitzmöbel gruppierten sich GoodTimes

Grob gewebte Effekte fanden sich auch auf den Pinnwänden, die nicht alle aus Kork waren: Manch eine dieser geliebten Merk- und Sammelstellen an der Wand hatte einen Jute-Bezug, der ihr das Flair alter Kaffeesäcke gab. Aber getrunken wurde im Jugendzimmer selbstverständlich und gerne aus selbst getöpferten Tassen nur Tee, während die Asche des Räucherstäbchens ganz zart und unauffällig in den Flokati rieselte ...

Literatur:

Wer Zeitgenössisches dazu lesen oder sich einfach an Bildern ergötzen möchte, dem seien die „Schöner Wohnen"-Zeitschriften und Möbelprospekte der 70er Jahre ans Herz gelegt. Als Fachbücher empfehlenswert: Werner Jacobs/Hans Krajewski: Wohnen mit Keramik, Rudolf Müller Vlg., Köln-Braunsfeld 1976 Arbeitsgemeinschaft Wohnzirkel Detmold: Farbige Wohnfibel, Ernst Klett Vlg., Stuttgart o.J. (diverse Ausgaben) Barbara Plumb: Mit Farben wohnen, Schuler Vlg., München 1973 Roland Gööck: Schöner Wohnen. Das große praktische Einrichtungsbuch, Mosaik Vlg., München 1976 2/2018

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Fanta Fetisch s u m s i r u Fut

: e g i e Fehlanz Albumhüllen zwischen Promotion und Provokation Von Uli Twelker

Sie schmücken teure, tonnenschwere Coffee-Table-Bildbände, beleben Kunstausstellungen und sind längst für wissenschaftliche Abhandlungen in aller Welt gut – Schallplattenhüllen (oder zur Not auch ihre Minimalandeutung im CD-MiniFormat). Dabei waren sie doch einst vor allem ausersehen, eine völlig andere Wertigkeit zu erzeugen als die oft genug nur in Firmentütchen untergebrachten Singles. Dieses Aufpimpen ist derart gründlich gelungen, dass es inzwischen Fans gibt, welche die Umschläge sammeln, ohne sich für die Musik zu interessieren.

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as den allgemein künstlerischen oder ikonischen Wert der „30 mal 30 cm"-Werke oder ihr L a yout ni veau angeht, so können und dürfen – ja müssen – die Meinungen auseinandergehen. Für Millionen Betrachter ist die Velvet-Underground-Banane ein Geniestreich, andere finden sie profan; selbst beim Sergeant-Pepper-Gruppenbild mit Damen schwanken die Auffassungen zwischen Artwork und Collagenroutine.

schnappschüsse, eher schon Zeitgeist ausstrahlende Zeichnungen wie auf den FrankSinatra-Alben der 50er Jahre. Oder witzige Comic-Cartoons vom Schlage des GratefulDead-Nebenprodukts OLD AND IN THE WAY, CHEAP THRILLS von Big Brother & The Holding Company oder Y ELLOW SUBMARINE. Es gibt auf Covern Kunst­ zitate aus Epochen des Mittelalters bis hin zum Im pr e s s ion is mus , Ex pressionismus und Abstrakten: Deep Purple mochten Hieronymus Bosch, Orchestral Manoeuvres In The Dark näherten sich, neben vielen grafisch genialen Meistercovern, bei CRUSH Edward Hopper, Gladys Knight & The Pips setzten VISION auf Magritte.

Alles ist erlaubt, außer Langeweile natürlich: Landschaften – wie der Canyon in Godley lieber der hässliche, torkelnd-tanzende Opa & Cremes GOODBYE BLUE SKY – reimit dem Jürgenzen ebenso wie Vogel-Gebiss auf urbane Szenarien SIMPLE MAN aller Art. Der von Cuby & Londoner Alltag Blizzards als die auf ABBEY ROAD: öden Backsteinstriche auf THE WALL von nur ein langweiPink Floyd. Vieles wird explizit gejagt und gehortet: nicht unbedingt schlichte­ liges Foto? Es traf auf ewig: Noch 2017, 48 Jahre nach Erscheinen, lassen sich Touristen Künstlerporträtfotos oder Bühnen­ Seite

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todesmutig und verkehrsbehindernd auf dem Zebrastreifen ablichten! Viel kopiert wurde der Überweg auch, von Booker T. etwa – und bald genial-genital in Socken gehüllt, fast nackt querend, von den Red Hot Chili Peppers. London von oben gibt es dutzendfach, nicht zuletzt beim „In Flagranti"-Cover von 10cc bei TEN OUT OF TEN. New York City eignet sich als gar unerschöpf liches Sammelgebiet, schön dargeboten von Blondie auf AUTOAMERICAN, Katastrophen-trächtiger schon bei FLYING THE FLAG der Climax Blues Band. Das schreckliche 9/11 wurde schon 1986 gruselig-hellsehend vorweggenommen von den Beastie Boys mit LICENCED TO ILL! Überhaupt: Provokationen machten schon immer neugierig – und sie erfüllten über den Kauf des Tonträgers hinaus so manchen Zweck. Der Pubertierende schockiert­seine Erziehungsberechtigten, der Partyveranstalter punktet bei gesättigten Gästen: Jimi Hendrix’ SaunaAmazonen auf der Doppel-LP ELECTRIC LADY­ LAND waren 1968 ein sicherer Hingucker – und wurden von Deutschlands Polydor-Päpsten glatt durch ein Bandporträt ersetzt, ebenso wie die freizügige Zwölfjährige ein Jahr später bei BLIND FAITH. Der im Bärlauch offen seine Notdurft verrichtende Wehrpflichtige auf dem Deutsch-Jazz-Rockigen EMERGENCY ENTRANCE von 1972 dagegen konnte wohl nur alte Feldwebel provozieren, ihre Rekruten noch einmal in den Schlamm zu schicken! Alle Omis dagegen schimpfen, wenn sich ein Fünfjähriger cool anschickt zu rauchen, siehe DANGEROUS AGE von Bad Company. Und wie konnte man den schwelenden Streit zwischen Jagger und Richards bei den Rolling Stones anno 1985 treffender skizzieren als mit einem kindertümlich bunten Cover, bei dem Keith dem armen Mick das Knie in den Schritt rammt? Zu besichtigen auf DIRTY WORK. Womit wir bei den Gimmickcovern wären: von der Schlüssellochfrivolität bei Humble Pies frisch reaktivierter THUNDERBOX, GoodTimes

dem Kaleidoskop auf LED ZEPPELIN III oder dem Volksempfänger auf Familys BANDSTAND bis zur runden Tabaksdose der Small Faces für OGDEN’S NUT GONE FLAKE. Allein dieses Genre wäre einen weiteren schwer tragbaren Bildband wert. Dabei sind einige Gags hart an der Grenze zum Gähnen – etwa die zahlreichen Post paket­ cover wie FROM HANK, BRUCE, BRIAN & JOHN von den Shadows, das zwei Jahre später von Humble Pie per AS SAFE AS YESTERDAY IS zitiert wurde, k o m p l e t t mit­Musikerfotos auf den Briefmarken. Visualisierte Kalauer werden immer wieder gerne genommen – man erinnere sich nur an COME TASTE THE BAND, auf dem Deep-Purple-Konterfeis sich im Alk-Cocktail auflösten, wahrscheinlich damals lebensnah. Unterwasseraufnahmen laufen einfach – wer hätte 1973 gedacht, dass Argent mit tiefblauer Poolszene auf IN DEEP nach fast zwei Jahrzehnten von Nirvana beim Grunge-Großwurf NEVERMIND zitiert werden sollten; und noch dazu durch Ersetzen des tauchenden Hippies durch ein in die Fluten geworfenes Baby! Tiere aller Art sind ein unerschöpfliches Feld, nicht nur, was die Salamander auf MOT T THE HOOPLE (1969) und die Elefanten Elvis Costellos bei ARMED F O R C E S an­g eht. Oder Filmplakate, Wimmelbilder, Science-Fiction. Es gibt Sammler, die brauchen Palmen, von den Eagles bei HOTEL CALIFORNIA bis zu den Racing Cars auf WEEKEND RENDEZVOUS. Und natürlich die Mädels, immer wieder Mädels: von der Pin-up-Romantik einer Julie London zu den vielen Dessous-Covern im Rock (oder oft genug ohne Rock): WE CAN’T GO ON MEETING LIKE THIS des JeffBeck-Ablegers Hummingbird, Eric Stewarts FROOTY ROOTIES oder DRESSED UP TO 2/2018

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GET MESSED UP der Roomful Of Blues, die Liste ist endlos. An der Kontroverse „Ist es sexy oder sexistisch?" hat man sich dabei stets reiben können. Ob nun der berühmte Bubblegum-Busen der Scorpions bei LOV E DRIV E oder Stan Webb’s Chicken Shack mit ihrer Obenohne-Geierwally auf roter Gibson Les Paul reitend auf THAT’S THE WAY WE ARE: Stets geht so mancher WackenWallfahrer-Daumen eher hoch, während der Femi­nismus-Daumen nach unten zeigt. Unvergessen der vielgeschmähte „Sounds"Kommentar zum Linda-Ronstadt-Longplayer HASTEN DOWN THE WIND: „Trägt sie einen oder trägt sie keinen?"! Ein Kaufanreiz sind Hüllen (im doppelten Sinne) wie diese noch immer gewesen. Jahrzehnte vor Guantanamo Bay präsentierten Golden Earring bereits beliebte Foltermethoden auf TO THE HILT: Mit dem Kopf nach unten hängen, unter Wasser einbetonieren, oder – Frontcover – in Ketten gelegt mit dem Kopf auf die Schienen legen. Dabei sind Barry, George, Rinus & Cesar so nette Jungs! Alles, was glänzt, neugierig macht, schockiert, zum Lachen bringt, provoziert, nostalgisch stimmt, anregt, romantische Gefühle erzeugt, anekelt oder erstaunt, nimmt den Betrachter mit zur Musik. Von Kunst über Kino bis zu Kontroversem scheint also alles geeignet, den potenziellen Hörer und Käufer neugierig zu machen. Wer brauchte den Uriah-Heep-Schädel von VERY ’EAVY, VERY ’UMBLE? Wer wollte all jene Fabelwesen betrachten, mit denen Roger Dean nicht nur Heep, sondern auch gleich noch Yes, Osibisa, Alexis Korner, Greenslade, Atomic Rooster, Budgie und Dutzende weiterer Musikanten ausrüstete? Wir alle natürlich! Diese Kreaturen bleiben Markenzeichen für Blues, World-Music und Progressive-Rock. Ebenso die FantasieFertigkeiten der Hipgnosis-Magier zwischen feurigen Floyd-Handshakes, maskierten Rainbow-Chirurgen und ELO-Glühbirne. So mag denn eine Lesepause eingelegt werden, in der man eigene Cover aus wer weiß wie vielen Jahren inspiriert Revue passieren lässt ... War das nicht schön? Nur so sind wir gestärkt, uns die Ausrutscher vor Augen zu führen, bei denen man das jeweilige Tonprodukt nur trotz der Verpackung kaufte, nicht etwa ihretwegen: Die geschwärzte Stasi-Akte, mit der Roger Waters sein aktuelles Album IS THIS THE LIFE WE REALLY WANT? an den Floyd-Fan bringen will, lässt die Nackt-Tramperin auf THE PROS & CONS OF HITCH-HIKING geradezu sensationell wirken. Auch der MegaBarcode auf der Kink-Solo-LP DAVE DAVIES (1980) stellt einen krassen Tiefpunkt lustlosen Verpackens dar. Sprachlich clevere Zeitungscover wie John Lennons SOME TIME IN NEW YORK CITY oder THICK AS A BRICK von Jethro Tull hätten gute Innenhüllen dargestellt – visuell gaben sie als „Album Artwork" nichts her. Seite

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Rätselhaft wird es eben immer dann, wenn der Eindruck vorherrscht, das Audiowerk habe gar keine attraktive visuelle Präsentation nötig: Wer 1965 bis 1968 im Alter zwischen zwölf und fünfzehn Jahren die künstlerische Entwicklung vom eher konventionellen Wintercover HELP! zum SGT.-PEPPER-Paukenschlag mitmachte, durfte bei der schlichten Pappe des weißen Doppelalbums THE BEATLES als romantischer Teenager/Fan schon sehr ernüchtert sein! Klar, es gab die vier schönen Hochglanzporträts der Fab Four im Inneren und ein Riesenposter, aber das Frontcover macht doch die „Musik". BEGGAR’S BANQUET der Rolling-StonesKonkurrenz er­schien zwar auch nur wie eine stilisierte weiße Einladungskarte, doch das Kellergelage in der aufklappbaren Innenhülle faszinierte doch derart eindringlich, dass die Mystik gerettet war. Zwei Jahre später entschieden sich die Hollies, ihr CONFESSIONS OF A THE MIND nur in weißer Schrift auf schwarzem Grund zu vermarkten – derart nüchtern, dass Ariola für Deutschland die Reißleine zog und das Album als MOVE ON brachte: Die schicken Jungs im offenen Cabrio waren immer noch attraktiver als ein schnöder Schriftzug. Was Emerson, Lake & Palmer nicht davon abbrachte, ihre WORKS exakt genauso zu verpacken wie die Hollies. James Taylor erweckte 1976 auf seinen GREATEST HITS den Eindruck, als habe man nur die Innenhülle ins Regal gepackt. Warner Brothers hinderte dies nicht daran, zwölf Millionen von dem Teil loszuschlagen. So konnte Taylor doch gleich 1979 mit FLAG ein weiteres Langweiler­ cover wagen: Es zeigt ein rotes und ein gelbes Dreieck. Natürlich ist das, wie alles von Taylor, sehr klug: Die Flagge steht für O (Oscar) und signalisiert „Mann über Bord". Trotzdem ein ödes Teil, das keinesfalls die Fantasie anregt, ebenso wenig wie das lieblos dahingepinselte THAT’S WHAT FRIENDS ARE FOR vom Georgie-Fame-Album 1979, auch wenn es von dem renommierten Künstler Teddy Millington-Drake stammt! Dabei reichen oft ganz bescheidene Mittel, um unsere Vorstellungskraft zu wecken. Das Zauberwort heißt Minimalismus: LIVE PEACE IN TORONTO nahm mit einer einzigen weißen Wolke mit auf die Reise (und verschwieg den nervigen Dauerton Yokos auf der zweiten Seite!) Bei Cat Stevens und MONA BONE JAKON reichte eine kleine Abfalltonne – wir dachten sofort eher an die Peanuts als an Mülltrennung. Oder die Liegestühle auf CHANCE von Manfred Mann’s Earth Band, ikonischer Urlaubsgarant – jeder findet im Handumdrehen seine Top 5 der minimalistischen Lieblingscover. Unsere Traumwelt braucht nicht viel, aber ohne den kleinsten Funken zündet nichts!

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kult! -Preisrätsel

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Füllen Sie das Kreuzworträtsel aus. Die Buchstaben in den mit Ziffer und Kreis markierten Kästchen ergeben das Lösungswort. Senden Sie uns eine E-Mail, ein Fax oder eine frankierte Postkarte mit dem Lösungswort an: NikMa Verlag · Kennwort kult!-Verlosung" " Eberdinger Str. 37 · 71665 Vaihingen/Enz Fax: 0 70 42/37660-188 · E-Mail: goodtimes@nikma.de

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Lösungswort kult! Nr. 17: Southfork Ranch

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Werbe-Ikonen – Teil 6 Von Andreas Kötter

Käpt’n Nuss – gibt Kraft und Mumm Häufig lassen sich Dinge von zwei Seiten betrachten. So ist es für eine Marke ein Segen, wenn ihr Name zum Gattungsbegriff reift, siehe die bekannten Papier-Taschentücher. Für den Kunden aber können diese – zumindest gefühlten – Monopole zur Pest werden. Wie im Fall des bekanntesten Schoko-Brotaufstrichs des Landes. Dieser zuckersüß-klebrige Dickmacher geriert sich seit Jahren, auch dank der Unterstützung deutscher Kicker, höchst erfolgreich als gesunde Nascherei für Jung und Alt. Nur einmal traute sich einer, dieses Monopol in Frage zu stellen. In den 1970er Jahren war das, als Käpt'n Nuss den ungleichen Kampf aufnahm ...

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äpt’n Nuss war ein Held von altem Schrot und Korn, unerschrocken und zudem blendend aussehend im klassischen Look der Seefahrer des 17. und 18. Jahrhunderts, mit blauem Dreispitz und eben solchem Seemannsrock. Sogar der obligatorische auf der Schulter ho­ ckende Papagei, wie man ihn spätestens seit dem ZDFVierteiler „Die Schatzinsel" kannte, war stets mit von der Segelpartie. Mag zwar sein, dass man ergänzen sollte, dass der Käpt’n „nur" eine Comic- bzw. Zeichentrickfigur war, die sich ein cleverer Werbefachmann ausgedacht hatte, um das Nutella-Konkurrenzprodukt des US-Lebensmittelkonzerns Kraft Foods auf dem deutschen Markt hoffähig zu machen. Aber wen störte das schon in einer Zeit, als AbenteuerComics aus der unerschöpflichen Fantasie des großen Jean-Michel Charlier wie „Der Rote Korsar", „Leutnant Blueberry" oder „Rex Danny" („Buck Danny") unser Weltbild bestimmten?! Käpt’n Nuss war vielleicht eine Spur zu glattrasiert, aber er hatte das Herz auf dem rechten Fleck und wurde noch mit jeder Herausforderung fertig. Zumindest sollten das die in Kinderzeitschriften wie „Fix und Foxi" geschalteten, als ComicAbenteuer getarnten Anzeigen vermitteln. Längst nicht alles übrigens, was Kraft Foods unternahm, um Käpt’n Nuss schmackhaft(er als Nutella) zu machen. Ein Käpt’n-NussKartenspiel gehörte ebenso zum Repertoire wie das Käpt’n-Nuss-Lied, in dem die Abenteuer des Helden zu einer selbst heute gar nicht mal so uncool klingenden Easy-Listening-Jazz-Funk-Melodie besungen wurden. „Unser Schiff kennt alle Meere, flotte Betty heißt das Schiff, es kennt die Kreuz und Quere, Blitz und Sturm und Felsenriff ...", hieß es da, und weiter: Seite

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„... Käpt’n Nuss, der führt uns an, sapperlot ist das ein Mann ... es zittern die Piraten, selbst den schlimmsten Satansbraten hauen wir die Jacke voll, Käpt’n Nuss macht kurzen Schluss, Donner und Kanonenschuss, auch den üblen Menschenfressern hauen wir feste auf die Nuss ..." Selbstverständlich vergaß man auch nicht zu erwähnen, dass Käpt’n Nuss, die Nougat-Crème, einen nicht unmaßgeblichen Anteil hatte an den Großtaten von Käpt’n Nuss, dem tollkühnen Helden, und seinen Männern: „Der Steuermann heißt Heiner, Lorchen heißt der Papagei, Tommi, unser tapferer Kleiner, ist immer vorn dabei ... der Tommi ist nicht dumm, der weiß ganz genau warum, Käpt’n Nuss gibt eben allen kleinen Leuten Kraft und Mumm ... potz Blitz! wie gut schmeckt Käpt’n Nuss, die Nougat-Crème fürs Brot. Ahoi!" Apropos Tommi: 1978 gründete Tommi Stumpff, eine der prägenden Gestalten der deutschen Punkszene im und um den Ratinger Hof in Düsseldorf seine Band Der KFC. Und wer spielte Bass? Käpt’n Nuss! Man darf wohl wetten, dass Herr Ferdinand Mackenthun, wie sich der Mann auch nannte, seinen Zweitnamen sehr bewusst gewählt hatte. Am Ende aber half diese prominente, wenn auch proletarisch-ungehobelte Unterstützung – die Band genoss selbst in der nicht gerade zimperlichen Ratinger-Hof-Szene den Ruf, gerne mal über die Stränge zu schlagen – nichts. Käpt’n Nuss musste erkennen, dass selbst ein Mann wie er Nutellas Anspruch auf Weltherrschaft nichts entgegenzusetzen hatte. Und so strich der Käpt’n Anfang der 80er Jahre schließlich die Segel. Dass seine Großtaten nicht vergessen sind, zeigen aber eine FacebookSeite sowie der – wenn auch vergebliche – Versuch, das Nachfolge-Unternehmen von Kraft Foods, Mondelez International, via Petition zur Wiedereinführung von Käpt’n Nuss zu bewegen. Eine Frage allerdings muss unbeantwortet bleiben. Ob Käpt’n Nuss nämlich tatsächlich ein „einmaliges Geschmackserlebnis" war und nussiger schmeckte als Nutella, wie mancher Nostalgiker glaubt – das zu beurteilen, entzieht sich dem Geschmackserinnern des Autors.

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50 Jahre Titelgewinn des 1. FC Nürnberg

Der legendäre Sieg der Hochgetrimmten" "

Der Club is ä Debb" – in Franken ist diese Merkels „Zuckerbrot und Peitsche". Oder wie es Abwehrchef "Kategorisierung des heute noch bei jedem Heimspiel Ferdinand „Nandl" Wenauer einmal formulierte: „Wir waren als Ruhmreicher" besungenen 1. FC Nürnberg ein im keine Spitzenmannschaft, aber Merkel hat uns hochge" Dialekt geflügeltes Wort. Schließlich hat es breitesten trimmt." lediglich der nur Club" genannte Verein geschafft, sowohl Ganze 15 Spieler kamen während der Saison zum Einsatz, " wie auch als aktueller Pokalsieger als amtierender Meister nachdem Merkel schnell seine Stammaufstellung gefunden aus der Bundesliga abzusteigen. Dabei war er – vor der hatte: Roland Wabra stand im Tor, Horst „Leo" Leupold und Ära des FC Bayern München – deutscher Rekordmeister: Fritz Popp waren die beiden Verteidiger, Ludwig „Luggi" Müller, Der vor 50 Jahren gewonnene Titel war immerhin schon Wenauer und Karl-Heinz „Charlie" Ferschl bildeten die Läuferreihe, die neunte Meisterschaft in der Vereinsgeschichte und noch einige Jahre die Bestmarke in Deutschland. während die damals gepflegte offensive Fünferreihe aus Cebinac, Heinz Strehl, Brungs, Heiner Müller und Georg Volkert bestand. anuar 1967: Der 1. FC Nürnberg zierte das Tabellenende der Exakt zu Saisonbeginn war damals eingeführt worden, dass einmal Bundesliga. Als „Retter" verpflichtete man den Österreicher Max pro Partie gewechselt werden durfte. Davon profitierte vor allem Merkel, der in der Vorsaison mit 1860 München Meister geworden Spielmacher Starek als Edeljoker, daneben kamen im Verlauf der war – und 1961 als Coach von Borussia Dortmund das Endspiel um die Saison Keeper Gyula Toth sowie die Defensivakteure Helmut Hilpert Meisterschaft gegen eben jenen 1. FC Nürnberg 0:3 verloren hatte. Im und Hubert Schöll zum Einsatz. Ein Sommer hatte er den Club bis auf Rang Talent wie Horst Blankenburg, der 10 geführt, ehe er sich daran machte, spätere Europa-Pokal-Gewinner mit den Kader mit einigen Neuzugängen Ajax Amsterdam, stand keine einzige zu verstärken. Bestand die Mannschaft Minute auf dem Feld! bis dahin doch nahezu ausschließlich Nach drei Spieltagen und einem aus Spielern aus der einstigen Freien 4:0-Sieg über den Hamburger SV Reichsstadt und ihrer Umgebung (plus führte der Club die Tabelle an – und Torjäger Franz „Goldköpfchen" Brungs es sollte keine Momentaufnahme bleiaus dem Rheinland). Mittelfeldspieler ben, wie seinerzeit spekuliert wurde. August „Gustl" Starek kam von Rapid Mit einem 1:0 gegen die aufstrebenWien, der Jugoslawe Zvezdan Cebinac, de Borussia aus Mönchengladbach ein Flitzer und Dribbelkönig auf dem rechten Flügel, von PSV Eindhoven Udo Jürgens saß beim letzten Saisonspiel auf der – nach Zeitzeugenberichten eines Club-Bank neben Landsmann Max Merkel und sang der besten Spiele überhaupt in jener (damals spielten insgesamt gerade mal abends als Ehrengast bei der Meisterfeier. Saison, das der Autor als achtjähriger 24 Ausländer in der obersten Liga). Steppke im überfüllten Stadion von der Aschenbahn aus als Augenzeuge Mit einer knüppelharten Vorbereitung machte Merkel sein Team miterlebte – ging der Höhenflug weiter und fand ein erstes Highlight am fit – und er verdiente dabei fürstlich: Nach lokalen Zeitungsberichten 2. Dezember 1967: Die Flügelzange Cebinac/Volkert riss im Nürnberger erhielt er 11.000 Mark monatlich, mehr als der damalige Bundeskanzler „Jahrhundertspiel" die Bayern-Abwehr unter Regie von Starek auseinKurt Georg Kiesinger, der 8822 Mark einstrich, und doppelt so viel wie ander, und Brungs traf fünfmal (plus Treffer von Volkert und Strehl). Zlatko „Tschik" Cajkovski, sein Kollege bei Bayern München, der den Damit war die erste Saisonniederlage am 13. Spieltag, ein 0:2 beim Club später auch mal coachen sollte. Von der „härtesten Vorbereitung, Meidericher SV Duisburg, wettgemacht. Sieben Zähler Vorsprung hatten die ich je erlebt habe", spricht Brungs heute noch, ebenso von

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die Nürnberger bei Vorrundenschluss bei 27:7 Punkten. Doch sie kamen in der Rückrunde nur mühsam in die Gänge: Ein einziger Sieg stand nach fünf Partien zu Buche, die vorherige Leichtigkeit schien verloren, zumal eine zweite Durststrecke mit vier Spielen ohne doppelten Punktgewinn folgte. Dennoch: Die Konkurrenz konnte kein Kapital daraus schlagen, und am vorletzten Spieltag machte der 1. FCN beim Tabellenzweiten und härtesten Konkurrenten Bayern München auswärts im altehrwürdigen Stadion an der Grünwalder Straße mit einem 2:0 sein Meisterstück. Und wer sonst als Brungs und Strehl, die insgesamt 43 der 71 Club-Saisontreffer erzielten, sollten es sein, die die neunte Meisterschaft unter Dach und Fach brachten? Übrigens: Einer der ersten Gratulanten in der engen Kabine war Mister „Goldfinger" aus dem gleichnamigen James-Bond-Film, der Schauspieler Gert Fröbe. Am 18. Mai 1968 setzte sich gegen 20 Uhr auf dem Münchner Hauptbahnhof ein merkwürdiger Zug – er bestand lediglich aus einer E-Lok und einem einzigen Wagen – in Bewegung Richtung Nürnberg. Der Alkohol – damals wurde der Sekt dem heute üblichen Weizenbier noch vorgezogen – floss in Strömen. Einige tausend Fans erwarteten die Meisterspieler am Nürnberger Hauptbahnhof. Und die Franken verstanden es damals durchaus zu feiern: Die offizielle Meisterfeier stieg eine Woche später im restlos ausverkauften Stadion am Dutzendteich. Nach dem krönenden sportlichen Abschluss mit dem 2:1-Sieg über Borussia Dortmund überreichte DFB-Präsident Hermann Gösmann die Meisterschale, nur „Salatschüssel" genannt, an Kapitän Strehl. Ganz Franken befand sich in einem einzigen Freudentaumel, Zehntausende jubelten den Meistern auf dem Hauptmarkt inmitten der Stadt zu. Und da schaute selbst der harte Hund Max Merkel ganz selig drein, hinter dessen rauer Schale durchaus auch ein weiches Herz steckte, wie eine Episode belegen mag, die Dieter Bracke, der damalige Sportchef der „Nürnberger Zeitung" später schilderte: Nach dem Vormittagstraining feierten die Spieler in einem Autohaus und genossen fröhlich Champagner. Das Ergebnis des Umtrunks: Torhüter Wabra

Fotos: © Archiv Schmidtpeter

Franz Goldköpfchen" Brungs (hier im Spiel gegen Borussia Dortmund mit "der Nr. 9) trug mit 25 Toren maßgeblich zur Meisterschaft bei.

erschien nicht zur nachmittäglichen Übungseinheit. Merkel reagierte heftig. Vor den extra von ihm in die Kabine gebetenen Pressevertretern forderte er Zeugwart Hans Meyer auf: „Schmeiß alle Sachen vom Wabra raus. Den will ich hier nie mehr sehen!" Die Fortsetzung erzählte der Trainer später öfter: „Ich saß am Abend in meinem Stammlokal Bratwurst Friedel, als plötzlich eine schwankende Figur durch die Tür kam. Es war ‚Rolly’ Wabra, der stammelte: ‚Trainer, Trainer, ich will ... – Trainer, ich habe einen großen Durst.'" Sprach’s, nahm Merkels Glas Weinschorle und trank daraus. Des Trainers Reaktion: Er spendierte seinem Keeper ein Getränk, ließ ihn danach heimfahren – und stellte ihn einige Tage später beim Auswärtsspiel in Kaiserslautern wieder zwischen die Pfosten. Wabra ist einer der zahlreichen Meisterspieler von 1967, die jetzt beim Fünfzigjährigen fehlen werden. Er wurde 1994 mit gerade mal 59 Jahren Opfer eines Geisterfahrers, während der 1962er-WM-Teilnehmer Strehl schon 1986 mit 48 Jahren einem Herz- und Kreislaufversagen erlegen war. Hilpert starb 1997 ein Vierteljahr vor seinem 60. Geburtstag, fünf Jahre, nachdem sich Schöll mit nur 46 Jahren aus Verzweiflung über geschäftliche Misserfolge selbst erschossen hatte. Während im selben Jahr Herzversagen als Ursache im Totenschein von Wenauer stand. 2012 starb schließlich Cebinac, Parkinson kostete Toth 2014 das Leben. GoodTimes

AUGUST STAREK Ein Österreicher bei den Piefkes" "

August „Gustl" Starek (*16.2.1945) ist ein früherer österreichischer Fußballer, der bei Rapid Wien bekannt wurde, auch in der Bundesliga für den 1. FC Nürnberg und Bayern München spielte, 22 Länderspiele bestritt und später als Trainer (Salzburg, Graz, Austria und Rapid Wien, VfB Leipzig) arbeitete sowie auch als „Co" bei Austrias Nationalteam. Für kult! blickt er auf das Meisterjahr in Nürnberg zurück.

Herr Starek, warum wurde der 1. FC Nürnberg 1967/68 deutscher Meister? Das war die Kameradschaft – das war der Schlüssel zum Erfolg, und zwar vom ersten Spiel an. Da entstand eine unglaubliche Begeisterung in der Mannschaft und um sie herum. Ich bin zum Club gekommen, und da sind wir einmal in diesen Wald vis-à-vis vom Valznerweiher (Trainingsgelände des FCN, Anm. d. A.) hineingelaufen, ein Dauerlauf. Wir liefen 10, 15 Minuten, und ich merkte, die wurden immer schneller. Ich, der ich am Ende mitlief (lacht), schaute, und da war ja kein Trainer dabei, und ich rief also nach vorn: „Hallo, was ist? Ist doch kein Trainer dabei, nicht so schnell!" Neben mir lief der Wenauer und sagte: „Gustl, wir brauchen das!" Die haben mich mitgerissen, von Österreich war ich das nicht gewohnt. Das war der Unterschied Legenden unter sich: Kult-Sportreporter Oskar Klose (mit Mikro) im Gespräch mit Max Morlock, dem zwischen deutschen und öster- Weltmeister von 1954, und Club-Kapitän Heinz Strehl. reichischen Spielern. Wir in Österreich hatten es uns immer bequem gemacht. Beim Club haben der Nandl (Wenauer), der Popp Fritz gesagt: „Gemma." Was für mich natürlich gut war, denn wie ich wieder nach Österreich gegangen bin, habe ich versucht, diese Einstellung in die Nationalmannschaft reinzubringen. Das ist nur ein Beispiel. Die Burschen waren so motiviert und ehrgeizig. Und es war natürlich auch der Lauf, wir waren in einem Flow, und das hat sich fortgesetzt. Für Sie war es gar nicht so gut losgegangen? Ich hatte mich verletzt, und der Masseur hat mir einen Umschlag auf mein Sprunggelenk gemacht und dabei vergessen, diesen Alkoholumschlag zu verdünnen. Am nächsten Tag war der Fuß schwarz, die Haut am Knöchel ist abgegangen wie bei einer Zwiebel. Da konnte ich am Anfang nicht spielen. Und der Heiner Müller, der auf meiner Position gespielt hat, war stark, der hat Netzer und Overath abmontiert – da hatte ich es dann schwer, in diesen Lauf hineinzukommen. Später habe ich meine Leistungen gebracht und 28 Spiele gemacht. Der Max (Merkel) hat mich ab und zu rausgenommen (lacht), wenn er gemerkt hat, dass der Schiedsrichter schon aufmerksam geworden ist, wenn ich gefährdet war, weil ich sehr temperamentvoll war – ich konnte nicht verlieren. Ein Highlight der Saison war im Dezember 1967 das Nürnberger Jahrhundertspiel, der 7:3-Sieg gegen Bayern München – welche Erinnerungen haben Sie daran? Es war natürlich zum Teil eine Sensation, dass wir Bayern München so im Griff hatten. Die Mannschaft ist mir vorgekommen wie in einem Rauschzustand. Wir sind gut hineingekommen ins Spiel, vor allem der Franz Brungs hat sehr gut gespielt, und rechts der Cebi (Cebinac) und links der Schorsch Volker haben fantastisch gespielt, und so haben wir halt so hoch gewonnen. Der einzige Wermutstropfen, den uns der Max Merkel nach dem Spiel vorgehalten hat, waren die zwei Bayern-Tore vom Brenninger. Da hat er uns dann noch Vorwürfe gemacht in der Kabine. Das war weniger Wiener Schmäh, wie ich den Max gekannt habe, das war eher ernst. Er war verärgert – natürlich, was soll man machen? Wir hätten auch gern 7:1 gewonnen, aber die Bayern waren ja nicht so schlecht ... 2/2018

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HONDA CB 750 Four

Das Motorrad des Jahrhunderts Es gibt ihn. Den einen Augenblick, von dem an die Welt anders tickt. Es gibt ihn in der Politik und in der Wissenschaft, in der Kunst und in der Technik. Und damit auch im Motorradbau. Als der japanische Hersteller Honda im Oktober 1968 auf der Tokyo Motor Show sein Modell CB 750 Four vorstellte, war dieser Augenblick gekommen. Das Zeitalter der Big Bikes hatte begonnen.

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ut 30 Jahre später, 1999, wurde die Honda CB 750 Four als Anlass dieser Zeitenwende von verschiedenen Institutionen und Medien und natürlich von den Motorradfahrern selbst zum „Motorrad des Jahrhunderts" gewählt. Eine Einschätzung, an der sich bis heute, beinahe exakt ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Auftritt der berühmtesten Honda nichts geändert hat. So betitelte das feine Magazin „Kurve – Klassische Motorräder" eine entsprechende Hommage kürzlich mit „Der Urknall". Ein Bonmot, das einige Jahre zuvor bereits einem Autor des „Handelsblatts" in den Sinn gekommen war, als er einen Artikel zur CB 750 Four mit „Urknall aus vier Zylindern" überschrieb. Zu Recht.

Honda wollte auf dem US-Markt expandieren Tatsächlich war die moderne, der Konkurrenz technisch weit überlegene CB 750 Four mit ihrem Reihenvierzylinder-Motor so etwas wie Seite

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ein Erweckungserlebnis für die gesamte Motorradindustrie. Die hatte Mitte, Ende der 60er Jahre arg damit zu kämpfen, dass das Motorrad als Alltagsgefährt immer weniger gefragt, als reines Lifestyle-Produkt aber noch nicht erfunden war. Viele Menschen konnten sich jetzt ein Auto leisten und bevorzugten es, gerade in der kälteren Jahreszeit, warm und trocken zur Arbeit oder wohin auch immer zu gelangen. Zudem hatte die Branche bereits seit Längerem keine echten Innovationen mehr hervorgebracht. Englische, italienische und deutsche Marken gaben den Ton an in den größeren Hubraumklassen, mit Konzepten allerdings, die bereits deutlich gealtert waren. BSA mit der A65 Rocket oder der Lightning, Norton mit der Atlas und Triumph mit der T 120 Bonneville, ein Exot wie MV Augusta mit der schon im Namen erkennbar vierzylindrigen 600 Quattro Cilindri und BMW mit der selbst von der englischen Konkurrenz respektvoll „Rolls-Royce Of Motorcycles" genannten R 69 S hatten zwar gute Bikes, aber die waren eben längst nicht mehr der ganz „heiße Scheiß". Bei Honda hatte man das erkannt. Das Augenmerk der Japaner lag schon seit einiger Zeit gerade auch auf dem Export, und besonders die USA waren der Markt, auf dem man expandieren wollte. Dafür aber bedurfte es einer Maschine, die dem

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auf die die meisten der populären Marken setzten, wie sollte es da erst um einen Vierzylinder bestellt sein?! Von einem technisch so anspruchsvollen Triebwerk – Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor mit obenliegender Nockenwelle, Elektrostarter, Fünfganggetriebe und einer (später zwei) Scheiben- statt einer Trommelbremse vorne –, noch dazu mit einer für die damalige Zeit unerhörten Leistung von 67 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von rund 200 km/h, könne man wohl kaum Haltbarkeit und Langlebigkeit erwarten, so die damals vorherrschende Meinung.

dortigen Verständnis vom Motorradfahren entsprach. Die Amerikaner, geprägt durch die hubraumstarken V-Twins aus Milwaukee, lieben bis heute das entspannte Cruisen auf den schnurgeraden Highways, wollten aber schon immer auch Bikes, die, wenn gewünscht, über entsprechende Leistungsreserven verfügten.

Ikonisches Erkennungszeichen: Die 4-in-4-Auspuff­ anlage Also plante man bei Honda etwas ganz Besonderes. Im Rennsport hatte man bereits große Erfolge einfahren können und so bewiesen, dass man standfeste Hochleistungsmotoren bauen konnte. Ein quereingebauter Reihenvierzylinder in einem Großserien-Motorrad – das allerdings hatte bisher noch niemand gewagt. Nicht bei Honda und – zumindest in einer solchen Größenordnung – auch sonst nirgendwo. Umso g rößer war das Staunen, als Honda die CB 750 Four im Oktober 1968 auf der Tokyo Motor Show zunächst als Vorserien-Modell und nur einige Monate später, im Januar 1969, bereits als Serienmodell in Las Vegas präsentierte. Ikonisches Erkennungs­zeichen war die wunderbare 4-in-4-Auspuffanlage, die jedem Zylinder ein eigenes Auspuffrohr zugestand, was der Honda eine berückende Heckansicht verschaffte. Im Laufe der vielen Modellpflegen während der zehnjährigen Bauzeit setzte man zwar später auch auf eine mittlerweile als modern und sportlich geltende 4-in-1-Anlage, den wahren Charme aber strahlen bis heute die Modelle mit den vier Endrohren aus. So wunderbar die CB 750 Four in den Showrooms allerdings aussehen mochte mit ihrer typischen, eigens entwickelten „Candy"Lackierung und den Farben Ruby Red, Blue Green oder Gold (bis

dahin waren Motorräder meist schwarz gehalten), so sehr überwog zunächst doch die Skepsis bei vielen Experten. Die Laufleistungen von Motorrädern lagen damals bei vielleicht 25.000, höchstens 30.000 Kilometern, bevor sie zumindest eine Motorrevision, wenn nicht gleich einen neuen Motor benötigten. Wenn das aber schon für die Zweizylinder-Maschinen galt, GoodTimes

Laufleistungen über 100.000 Kilometer waren keine Seltenheit Aber die Kritiker hatten sich getäuscht. Viele CB 750 Four erreichten Laufleistungen deutlich über 100.000 Kilo­ meter, ohne größere Probleme wohlgemerkt. Kein Wunder also, dass die CB 750 Four nicht nur zur Ikone auf zwei Rädern, sondern für Honda zu einem der ganz großen Erfolge der Unterneh­ mensge­s chich­t e wurde. Ange­ fangen mit der Version K0 baute man in den kommenden Jahren mehr als eine halbe Million Bikes. Sogar eine, wenn auch wenig er­f olg­ reiche, Auto­ matikversion (CB 750 A) führte man kurzzeitig im Portfolio. Erst zehn Jahre später, 1978, verhallte schließlich mit der Version CB 750 Four K7 beziehungsweise mit der parallel laufenden F2-Baureihe der vielbesungene Urknall. Heute sind besonders die Motorräder der allerersten Baureihe K0 bis zur Nummer 7.417 gesucht, die unter dem Namen „Sandguss-Modelle" bekannt geworden sind. Fälschlicherweise hatte man vermutet, dass die Motorengehäuse dieser Exemplare im Sandguss- und noch nicht im Druckgussverfahren hergestellt worden seien (tatsächlich handelte es sich aber um das Kokillengussverfahren, wie „Kurve" weiß). Findet man heute überhaupt ein derartiges Exemplar, das zum Verkauf steht, muss man ein Vielfaches des ursprünglichen Kaufpreises von 6500 Mark anlegen. 25.000 und mehr Euro für eine „Sandguss"-K0 sind keine Seltenheit. Spätere Versionen, etwa die K2 oder K3 liegen um die 10.000 Euro. Und selbst die weniger attraktiven 4-in-1-Modelle F1 und F2 sind unter 5000 Euro kaum noch zu finden. Was auch für die frühen 4-in-4-Auspuffanlagen per se gilt. Wer hier Ersatz benötigt, muss unter Umständen lange in den Tiefen des weltweiten Netzes suchen. Wem das, respektive ein Klassiker überhaupt, zu unsicher ist, dem macht Honda mit der CB 1100 EX ein durchaus verlockendes Angebot: Zwar ist der NeoKlassiker im direkten Vergleich mit der CB 750 Four schon wegen der 4-in-2-Auspuffanlage chancenlos. Ein bildhübsches Motorrad mit großem Retro-Charme (und den Segnungen modernster Technik wie ABS) ist die CB 1100 EX aber allemal. Andreas Kötter 2/2018

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Von Markus Nöth

Verbrecherjagd vom heimischen Sofa aus

Alles begann mit dem Satz: Den Bildschirm zur Ver­brechens­bekämpfung einzu" setzen, das, meine Damen und Herren, ist der Sinn unserer neuen Sendereihe Aktenzeichen XY … ungelöst', die ich Ihnen heute vorstellen möchte." So begrüßte ' Ganoven-Ede" Eduard Zimmermann (1929–2009) am 20. Oktober 1967 seine ersten " ZDF-Zuschauer noch in Schwarzweiß. Der Beginn einer Kult-Sendung – bis heute!

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ktenzeichen XY … ungelöst" war sozusagen die erste Reality-TVShow in der deutschen Mediengeschichte – eine Dokusoap und „ Talkshow zugleich. Bis zu 18 Millionen Deutsche gingen damals pro Sendung gemeinsam mit Zimmermann vom Sofa aus auf Verbrecherjagd und hofften dabei, den einen oder anderen Verbrecher am Bildschirm erkennen zu können. Was viele jedoch nicht wussten, „Ganoven-Ede" begann seine „Karriere" zunächst selbst als Dieb, Schwarzmarkthändler und Urkundenfälscher. 1950 folgte eine Anklage wegen Spionage mit anschließender Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren. Zimmermann musste davon vier Jahre in der JVA Bautzen absitzen und kam 1954 frühzeitig frei. In der Folgezeit arbeitete er als freier Journalist für verschiedene Hamburger Zeitungen sowie später beim ZDF. Ab den 1970er Jahren saß auch ich freitagabends immer gebannt vor der Glotze. Banküberfälle, die Suche nach Vermissten, ungeklärte Mord­fälle und Personenfahn­ dungen – „Aktenzeichen XY ... ungelöst" war viel spannender als das, was die verbleibenden zwei Sender zu der Zeit so boten. Besondere Gänsehaut-Garanten waren dabei stets immer die nachgespielten Mordfälle: Ein Passant wandert spätabends an einem Maisfeld vorbei und bahnt sich seinen Weg ins Dickicht, um eine Abkürzung zu nehmen. Einem seltsamen Geruch folgend, findet er plötzlich die Leiche einer vermissten Tramperin, die bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt ist ... Das waren die Gruselfaktoren, die mich danach schier in den Wahnsinn trieben, wenn meine Oma mich nach der Sendung noch in den Keller des zweiten Untergeschosses schickte, um die Getränkevorräte bei uns im fünften Stock wieder aufzufüllen. So schnell lief ich nie wieder davor (und auch nicht danach) die sieben Stockwerke runter – und vor allem wieder hoch! Ede Zimmermanns Fahndung lief damals international über den

Bildschirm. Seine Moderatorenkollegen aus Österreich und der Schweiz kamen dabei stets sympathisch rüber – wohl nicht zuletzt wegen ihres Dialekts und zum Teil malerischen Namen wie Teddy Podgorski und Peter Nidetzky (Österreich) bzw. Werner Vetterli und Konrad Toenz (Schweiz). Unvergessen auch die Überleitung Zimmermanns zu seinen Kollegen: „Und nun schalten wir um zu meinem Kollegen in die Schweiz. Was gibt es Neues bei Ihnen, Konrad Toenz?" Die Österreicher stiegen übrigens 2003 aus, die Schweizer nur ein Jahr später. Viele spektakuläre Fälle blieben so in Erinnerung: 1968 etwa wurde der Solinger Verleger Bernhard Boll Opfer eines brutales Raubmordes. Hinweise nach der Sendung führten zur Ergreifung des Täters, der anhand einer geraubten Uhr identifiziert werden konnte. Es war der erste Mordfall, der von „Aktenzeichen XY" aufgeklärt wurde. Viele weitere folgten: Der Soldatenmord 1969 im Saarland, bei dem ein Hinweis der Wahrsagerin Madame Buchela Eduard Zimmermann mit Tochter Sabine schließlich zum Mörder führte. Oder die mehrfach vorgestellten Mordfälle Ursula Herrmann (frühe 1980er Jahre) und Maria Bögerl (2010), der Heidenheimer Bankiersgattin. Letzterer bis dato ungelöst. Genau wie der Fall von Anja Aichele. Die damals 17-jährige Schülerin wurde 1987 in Bad Cannstatt nur unweit meiner Schule ermordet. Ein Fall, der nicht nur mich bewegte – die Polizei-Akte ist bis heute offen! „Bleiben Sie sicher" – so verabschiedet sich stets Rudi Cerne, Moderator seit 2002. Zimmermann moderierte bis 1997, seine Adoptivtochter Sabine kam 1987 als Co-Moderatorin hinzu und war bis 2001 in der Sendung aktiv, bevor Butz Peters von 1997 bis 2001 übernahm. Die Bilanz zum 50. Jubiläum kann sich sehen lassen: 523 Sendungen mit 4586 Fällen, davon 1853 geklärt, was einer Quote von immerhin über 40 Prozent entspricht. Insgesamt wurden 2319 Täter festgenommen. Chapeau! Konrad Toenz

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Rudi Cerne


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