kult! 03 (1/11)

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kult! 60er · 70er · 80er

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Österreich € 7,50 Luxemburg € 7,50 Schweiz CHF 12,70 Ausgabe 1/2011 (Nr. 3)

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POSTER

L ex B a r k e r + B e a t le s

en Schulmädch

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Rep o r t

Wencke Myhre · HiFi-Kult der 70er · Singende Fußballer · Mit Schirm, Charme & Melone · Chucks Converse


3 CDs Eine Rock-Oper aus besseren Zeiten! „Bessere Zeiten“ ist eine packende Geschichte über die 60er-/ 70er-Jahre und die Träume der Flower-Power-Generation. Jimi Hendrix, der Gottvater des unorthodoxen Klampfenspiels und das Idol einer ganzen Epoche, brachte damals die Welt der grauen Väter mit seinem Sound zum Einsturz. Kriege wurden beendet durch die bunte Kraft der Prilblume

Erhältlich im Musikfachhandel oder direkt online bei:

und Helden aus der Provinz durften ungestraft von der großen Karriere in Swinging London träumen. Auch Peter, die Hauptfigur dieser Geschichte, träumt vom ganz großen Ruhm. Wird er es schaffen oder wird er scheitern? Siegt die Liebe oder der schnöde Mammon? Interpreten: Paul Vincent, Ron Williams, Sonja Reichelt, Manu Lubowski u.v.a. — Spielzeit ca. 200 Minuten (3 CDs).

Marketed by: Bell Musik GmbH, D-72631 Aichtal Bestell-Nr. BLR 50 013 EAN 4 011809 500093

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Norman Bender, Horst Berner, Lothar Brandt, Michael Fuchs-Gamböck, Hans-Jürgen Günther, Christian Hentschel, Bernd Matheja, Helmut Ölschlegel, Stefan Oswald, Thorsten Pöttger, Martin Reichold, Julia Rosenthal, Philipp Roser, Detlev Schröder, Ulrich Schwartz, Eckhard Schwettmann, Alan Tepper, Uli Twelker, Jürgen Wolff

Kaufmännische Leitung: Andrea Leibfried

Grafische Gestaltung:

Andrea Zagmester, kult@nikma.de Kathleen Müller, grafik@nikma.de

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Ingrid Steeger: © Zill/Bildarchiv Hallhuber Lex Barker: Bildarchiv Hallhuber Christopher Lee: Bildarchiv Hallhuber Beatles: Bildarchiv Hallhuber Der Verlag hat sich bemüht, alle Rechteinhaber der abgedruckten Fotos zu erreichen. Leider ist dies nicht in allen Fällen gelungen. Ggf. möchten bisher unbekannte Urheber ihre Ansprüche geltend machen. GoodTimes "kult" ist auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt! Weiterverwendung aller in GoodTimes "kult" erschienenen Artikel, Interviews, Fotos, Rezensionen etc. nur mit der Zustimmung des Herausgebers gestattet.

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mit

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Lex Barker + Beatles

Willkommen bei

kult!

Liebe Leserinnen und Leser! ganz herzlichen Dank für Ihre ausnahmslos positiven Reaktionen auf die ersten beiden "kult"-Ausgaben! Sie haben uns ermutigt weiterzumachen, in Foto- und Textarchiven, vor allem aber in der Erinnerung zu stöbern. Schließlich sind unsere Autoren – wie Sie und ich – unter ähnlichen Umständen aufgewachsen, von vergleichbaren Eindrücken geprägt. Durch teilweise persönlich gehaltene Rückschauen gewinnt der Authentizitätsfaktor dabei noch an Bedeutung. "kult" steht nicht immer nur für Nostalgie nach dem pauschalen Motto "Früher war alles besser". Natürlich werden aber viele Erinnerungen an die eigene Jugend geweckt ("... weißt du noch?! "... stimmt, das war ja damals total angesagt!"). Und die wiederbelebten Erinnerungen können vielleicht auch dabei helfen, so manches aus der Vergangenheit den eigenen Kindern, also der jüngeren Generation, näherzubringen – wenn nicht ohnehin schon die allgegenwärtige Recycling-Maschinerie Trends reanimiert und in die Gegenwart transportiert hat. Außerdem sind manche inzwischen zum Kult erhobene Persönlichkeiten heute, im vorangeschrittenen Alter, weiterhin aktiv und beeindrucken noch stärker als vor einigen Jahrzehnten – man denke nur an Wencke Myhre oder Ingrid Steeger. Lassen Sie uns wissen, welche kultigen Themen Sie persönlich interessieren, über die Sie in einer der nächsten Ausgaben gern etwas lesen würden: Filme, Bücher, Autos, Mode, Ereignisse oder zeitgeschichtliche Phänomene – ganz egal. Gestatten Sie mir als Herausgeber eine Bitte: Sie können uns auch auf andere Weise unterstützen! In der unüberschaubar gewordenen Flut von Publikationen an Kiosken, in Bahnhofsbuchhandlungen oder Zeitschriftenläden hat "kult" es optisch nicht leicht. Weil unser Magazin etwas Besonderes darstellt, kann es keinem konkreten Segment (wie z.B. Auto, Sport, Rätsel, Reisen etc.) zugeordnet werden – und darum ist das Heft oft nur sehr schwierig zu finden. Darum: Werben Sie für uns in Ihrem Freundeskreis, machen Sie Bekannte auf uns aufmerksam, um den Namen "kult" noch bekannter zu machen. Schließlich gibt es noch so viele Themen, die wir gern für Sie aufbereiten würden.

Fabian Leibfried

GoodTimes

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kult! 60er · 70er · 80er

Ausgabe Oktober 2010 1/2011 (Nr. 3)

I N HALT R U B R IKE N 3 Editorial/Impressum 4 Inhaltsverzeichnis 5 Top 5 Kultfilme

Seite 34

Mitarbeiter & Prominenz

6 News from the past Altes neu ausgepackt

13 kult! Shop 47 Beatles/Lex Barker

Airstream – Seite 62

Riesenposter

14 Reisebericht Das erste Mal in London

16 Chucks Immer ein guter Auftritt

18 Wir wollen Wulle Bier her, Bier her ...

20 Das bekäme ich heute nicht mehr durch den Hals! Alkohol und die Jahrzehntwende der 60er/70er

22 Wencke Myhre Gummiboot & Rolling Stones

24 Kult-HiFi der 70er Klang und Namen

28 Schulmädchen-Report Was "kult"-Leser unbedingt wissen sollten …

32 Easy Rider Freiheitstraum einer Generation

Seite 32

34 Lucky Luke Der Mann, der schneller zieht als sein Schatten

Schulmädchen-Report – Seite 28

38 Mit Schirm, Charme und Melone

42 Der Horrorfilm

Sex & Crime ...

Wenn das Blut in den Adern gefriert ...

40 Afri-Cola

55 The Fog – Nebel des Grauens

Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola alles ist in AFRI-COLA!

Hüte dich, wenn der Nebel kommt!

56 Rock auf Rädern/PS-Pop Yeah, Yeah ... Tuut, Tuut

60 Kult in Leder – Lederkult Erdmann-Lederbekleidung

62 Airstream Ikone mit Fußabtreter

66 Hansrudi Wäscher – Pionier der deutschen Comics Sigurd, Akim, Nick & Co.

70 Kultbücher Geschätzt, geliebt, gelobt

72 Singende Kicker

Horrorfilme – Seite 42

Radi, bumm und 44 Beine

76 Es war einmal ... Seite 40

Popstar, Ice Cream, Rotz & Wasser

78 150 Kult-Alben Teil 1: 60er Jahre

80 Cover – Cover – Cover !!! Single-Cover DVD

82 Das Jahr 1980 Auster, Borg & AC/DC

86 Ingrid Steeger Mehr als 'Klimbim'

89 Loriot "Hildegard, warum sagen Sie denn nichts ...?!"

Seite 89

92 40 Jahre Tatort

Krippo, Berti & Luise

96 Die Hornbrille Vom Streber bis zum Panzerknacker

98 Frank Zander

Ingrid Steeger – Seite 86

Fred, Susi & Frankensteins Ur-Ur-Enkel Seite

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GoodTimes

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TOP 5 1. 2. 3. 4. 5.

Die Klapperschlange Straßen in Flammen Fleisch Halloween Die Glücksritter

1. 2. 3. 4. 5.

Wenn Katelbach kommt Ekel Die rote Lola Manhattan Sindbad der Seefahrer

1. 2. 3. 4. 5.

Ein Lied von Liebe und Tod Inglourious Bastards American Beauty Uhrwerk Orange Die Legende von Paul und Paula

1. 2. 3. 4. 5.

Spiel mir das Lied vom Tod Man spricht deutsh Die Klapperschlange Halloween Top Secret

1. 2. 3. 4. 5.

Die Reifeprüfung Easy Rider Lipstick On Your Collar (Dennis Potter UK TV) Der Stadtneurotiker Ray

1. 2. 3. 4. 5.

Winnetou und das Halbblut Apanatschi Das Messer Spiel mir das Lied vom Tod Picknick am Valentinstag Vier Fäuste für ein Halleluja

1. 2. 3. 4. 5.

Spiel mir das Lied vom Tod Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle Blow Up Apocalypse Now James Bond: Leben und sterben lassen

kult! Fabian Leibfried

Hans-Jürgen Günther

Christian Hentschel

Ulrich Schwartz

Uli Twelker

Lothar Brandt

Eckhard Schwettmann

Filme

1. 2. 3. 4. 5.

M – Eine Stadt sucht einen Mörder Citizen Kane Sie küssten und sie schlugen ihn Kes Blow Up

1. 2. 3. 4. 5.

Uhrwerk Orange If Eins, zwei, drei Unter Verdacht Der dritte Mann

1. 2. 3. 4. 5.

Einer flog übers Kuckucksnest Apocalypse Now Der Schneemann Der Pferdeflüsterer Wer früher stirbt, ist länger tot

1. 2. 3. 4. 5.

Blow Up Getaway Die Zeitmaschine 2001: Odyssee im Weltraum Das Schweigen der Lämmer

1. 2. 3. 4. 5.

Winnetou 1–3 Die Mädels vom Immenhof Sissi 1–3 Dschungelbuch Titanic

1. 2. 3. 4. 5.

Die Nacht der lebenden Toten Terminator 2 The Big Lebowski Das Millionenspiel Die Bettwurst

1. 2. 3. 4. 5.

Yellow Submarine Little Big Man Chinatown Blade Runner Greystoke – Die Legende von Tarzan, Herr der Affen

Johnny Logan

Guido Buchwald

1. Ist das Leben nicht schön?

1. Ben Hur

2. Der Sieger (The Quit Man)

2. Dirty Harry

3. Feld der Träume

3. Titanic

Fußballer

Foto: © Jacob Lerche

Sänger

4. Reservoir Dogs 5. Citizen Kane

GoodTimes

4. Einer flog übers Kuckucksnest 5. Der Pate

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Norman Bender

Bernd Matheja

Philipp Roser

Alan Tepper

Andrea Leibfried

Julia Rosenthal

Horst Berner


N from the past

DER NAME DER ROSE

Der Franziskanermönch William von Baskerville, sein Schüler Adson von Melk und ein herzloser Großinquisitor sind die Protagonisten des MittelalterKrimis "Der Name der Rose", der von skurrilen Morden in einer Benediktinerabtei handelt. Ein Film, der auch 25 Jahre nach seiner Entstehung immer noch als Referenz dieses Genres gilt. Die gesamte Schauspielerriege um die Stars Sean Connery, Christian Slater, Helmut Qualtinger, Ron Perlman und Michael Lonsdale agiert in bestechender Form, das Kloster Eberbach im Rheingau liefert die ideale mystische Kulisse für die Innenaufnahmen (mit Ausnahme der labyrinthischen Bibliothek, die in einem Studio in Rom nachgebaut wurde). Regisseur Jean-Jacques Annauds Liebe zum Detail ging so weit, dass sich die Schauspieler, deren Gesichter im Film in Großaufnahmen zu sehen sind, störende Plomben, Stiftzähne und Brücken temporär entfernen lassen mussten – schließlich ereignen sich die mysteriösen Todesfälle im Jahr 1327! Und auch wenn der Film an einigen Stellen stark von Umberto Ecos wunderbarer Buchvorlage abweicht, besticht er in jeder Szene durch seine düstere, geheimnisvolle Atmosphäre. Beste Unterhaltung, die man jetzt auf DVD in High-Definition-Qualität oder auf Blu-ray genießen kann. (Kinowelt GmbH, 126 Min.)

CLINT EASTWOOD Von Richard Schickel

2010, edel ISBN 978-3-94137-859-2 288 Seiten; 49,90 €

Dieser großformatige Band ist eine wunderschön bebilderte Hommage an Clint Eastwood. Im Mai dieses Jahres feierte er seinen 80. Geburtstag, seit gut 60 Jahren ist er als Darsteller, Regisseur und Produzent im Filmgeschäft tätig. Mit der Hauptrolle in Sergio Leones "Für eine Handvoll Dollar" legte Eastwood 1964 den Grundstein für seinen heutigen Status als amerikanische Legende, "Dirty Harry" machte ihn Anfang der Siebziger endgültig zum Superstar. Zwei "Academy Awards" (als Regisseur und als Hauptdarsteller) gewann Eastwood 1992 für den Spätwestern "Erbarmungslos", seinen zweiten Regie-Oscar fuhr er 2005 mit "Million

Dollar Baby" ein. Mit über 200 zum Teil bisher unveröffentlichten Fotos und ausführlichen Kommentaren zu den einzelnen Filmen und zur Biografie Clint Eastwoods ist dieses Buch nicht nur eine komplette Werkschau, sondern macht auch die Stationen im Leben der Privatperson Eastwood sichtbar. Clint Eastwood selbst gewährt dabei einzigartige, persönliche Einblicke in seine Arbeit vor und hinter der Kamera. Gleichzeitig gelingt Autor Richard Schickel (Filmkritiker für die "Life"- und "Time"-Magazine, Ehrendoktor des American Film Institute) eine fundierte Einordnung des EastwoodWerkes in die amerikanische Filmgeschichte.

DAS BESTE AUS SCHEIBENWISCHER

Als es noch kein Satelliten- und Kabelfernsehen gab, konnten regionale Fernsehfürsten (sprich: Rundfunkintendanten) eine Sendung in ihrem Gebiet kurzerhand abschalten, wenn sie ihnen nicht in den Kram passte. So geschehen 1986 mit einer Folge von Dieter Hildebrands "Scheibenwischer" zum Thema Tschernobyl, die wegen "... nicht gemeinschaftsverträglicher Elemente ..." im Sketch "Der verstrahlte Großvater" im Bayerischen Rundfunk nicht zu sehen war. Diese und sieben weitere Folgen der Polit-Satire sind in der 3-DVD-Box "Das Beste aus Scheibenwischer" enthalten. Sie stammen alle aus den Jahren 1980 bis 1999, die Auswahl traf Dieter Hildebrand persönlich. Unterstützt von Wortakrobaten des deutschen Kabaretts wie Hans-Dieter Hüsch, Gerhard Polt, Werner Schneyder, Gisela Schneeberger, Bruno Jonas, Matthias Beltz, Lisa Fitz, Jochen Busse und Richard Rogler (und von Konstantin Wecker mit seinem wohl bekanntesten Lied "Willy") bewies Hildebrand scharfzüngig, wortwitzig und entlarvend ehrlich, dass man sehr wohl gleichzeitig Lachmuskeln und Verstand der Zuschauer strapazieren kann. Als Extra gibt’s das 45-minütige Portrait "Solo für einen Moralisten", das 2002 anlässlich von Hildebrands 75. Geburtstag ausgestrahlt wurde sowie Anekdoten und amüsante Hintergrundinfos zu jeder Folge ("Dieter Hildebrand erinnert sich"). (edel, 3 DVDs, 427 Min.)

VARIOUS ARTISTS

EIS AM STIEL – BEST OF

Der immense Erfolg dieser Teenie-Klamotte ist sicher nicht nur auf die "tiefschürfende" Story um die Freunde Benny, Johnny und Momo, die im israelischen Tel Aviv der fünfziger Jahre angesiedelt ist, zurückzuführen. Die drei inteSeite

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ressierten sich glücklicherweise nicht nur für Mädchen und Partys, sondern auch für dieselbe Musik wie ihre Altersgenossen in Amerika. So ist und bleibt dieser Film für alle SiebzigerJahre-Kinogänger untrennbar mit tollen, aus heutiger Sicht zeitlosen Songs verbunden. Neben dem Original-Soundtrack wurde im Lauf der Jahre (und mit den zahlreichen Fortsetzungen der Reihe) eine fast unüberschaubare Anzahl an Tonträgern unter diesem Namen veröffentlicht, von STRANDHITS über EIS AM STIEL MEGAMIX bis zur HASENJAGD. Jetzt gibt es auf drei CDs die 60 besten Titel aus den "Eis am Stil"-Filmen. Chubby Checkers "Let's Twist Again", "Will You Love Me Tomorrow?" von den Shirelles, die Tremeloes mit "Silence Is Golden", "Leader Of The Pack" der ShangriLas, Pat Boone, Percy Sledge, Del Shannon, Danny & The Juniors, Wayne Fontana – alle sind sie dabei, ein Hit jagt den anderen. Die ideale Beschallung für die nächste Party – oder aber der richtige Soundtrack für wehmütige Erinnerungen an erste Liebe, Stehblues und die unbeschwerte Zeit von Pettycoats und Rock'n'Roll. (edel Records/edel, 3 CDs)

CHRISTOPHER LEE SEINE FILME

Von Tom Johnson und Mark A. Miller 2009, Reinhard Weber Fachverlag für Filmliteratur ISBN 978-3-98093-907-2 310 Seiten; 30 €

Filmfans werden jubeln! Endlich gibt es das schon 2004 in englischer Sprache erschienene Werk "The Christopher Lee Filmography – All Theatrical Releases" 1948–2003 auch in deutscher Übersetzung. Nüchtern und sachlich, ohne jeden überflüssigen Schnickschnack haben Tom Johnson und Mark A. Miller alle Filmauftritte von Christopher Lee gesammelt, listen jeden Regisseur, Drehbuchautor, Musikalischen Leiter, Produzenten und vieles mehr auf – und erzählen dazu noch ausführlich und lesenswert weitere Einzelheiten zur jeweiligen Filmstory. Natürlich wurde die deutsche Übersetzung aktualisiert, auch die Produktionen von 2004 bis zu Lees aktuellem Film "Wicker Tree"


NEWS from the past (2009) sind enthalten. Im Anhang: Kurzinfos zu Christopher Lees TV-, Kurzfilmen und Miniserien sowie ein äußerst nützlicher Personenindex, der alleine schon zum stundenlangen Stöbern verführt.

LEE VAN CLEEF:

EINE BIO- UND FILMOGRAFIE Von Mona Mahmoud und Reinhard Weber 2009, Reinhard Weber Fachverlag für Filmliteratur ISBN 978-3-98093-906-5 160 Seiten; 26 €

Schlicht "Eine Biound Filmografie" nennt sich dieses Werk – und untertreibt damit maßlos! Denn wenn man sich vor Augen führt, in wie vielen (und vor allem in welchen!) Filmen Lee Van Cleef vor der Kamera stand, dann überrascht nicht nur die Menge, sondern auch die Themenbreite: Western ("Zwölf Uhr Mittags", "Der Mann, der Liberty Valance erschoss", "Zwei glorreiche Halunken", "Sabata"), Science-Fiction-Action (John Carpenters "Die Klapperschlange") oder auch mal ein Söldnerfilm wie "Geheimcode: Wildgänse". Hier finden sich sämtliche Infos zu den Produktionen, von der Story eines jeden Filmes über O-Töne und Zitate bis zu Bildern. Eine 14-seitige Biografie, die Auflistung von Lee van Cleefs Fernsehfilmen und ein umfassendes Personenregister ergänzen die Filmografie, die damit zum unverzichtbaren Nachschlagewerk für Filmfans wird.

BERT KAEMPFERT

VINYL-SINGLE-SELECTION (1958 –1969)

Mit seinem US-Nummer-1-Hit "Wonderland By Night" (in der deutschen Version "Wunderland bei Nacht") katapultierte sich Bert Kaempfert Anfang der Sechziger in die erste Liga der Bandleader. Der nächste Coup folgte 1965 mit "Moon Over Naples", das als "Spanish Eyes" für zahlreiche Künstler zu einem Riesenhit wurde. Oder "Strangers In The Night", mit dem Frank Sinatra 1966 an die Spitze der Hitparaden gelangte. 20 BertKaempfert-Singles, die zwischen 1958 und 1969 erschienen, gibt es jetzt in einer wunderschönen, klassischen Schallplatten-Box. Sie ist aufklappbar wie ein Buch – somit findet jede der kleinen schwarzen Scheiben Platz in einem Extra-Schuber, ein bebildertes Begleitbuch lädt zum Mitblättern ein. Neben der zeitlos schönen Musik punktet diese Box vor allem mit ihrem Design, das noch gut aus der Zeit stammen könnte, in der die Singles er-

schienen. Ein wahres Kleinod für Sammler, Nostalgiker, Vinyl-Fetischisten und EasyListening-Fans. (Polydor/ Universal, 40 Tracks auf 20 7"Singles)

DIE BLECHTROMMEL DIRECTOR'S CUT

"Die Blechtrommel" ist immer noch einer der besten deutschen Kinofilme mit internationalem Renommee. 1979 verfilmte Volker Schlöndorff den Roman von Günter Grass mit Top-Schauspielern wie Mario Adorf, Katharina Thalbach, David Bennett, Angela Winkler und Otto Sander. Dabei gelang es Schlöndorff, die anspruchsvolle Romanvorlage so zu entschlacken, dass die Geschichte zwar einerseits kinokompatibel und unterhaltsam erzählt werden konnte, andererseits aber immer noch komplex genug aufgebaut war, um sich vom großen Rest der sonst eher flachen KinoUnterhaltung positiv abzuheben. Als Zusatzmaterial enthält die Blu-ray zahlreiche Kommentare, Interviews und "Making of"-Extras sowie die Einführung zum "Director's Cut" von Volker Schlöndorff, des Weiteren geschnittene Szenen, eine Fotogalerie, Originaldokumente von den Dreharbeiten, eine Kurz-Bio über Volker Schlöndorff und diverse Trailer – also tonnenweise Fan-Material. (Kinowelt GmbH, 163 Min.)

ARTHAUS COLLECTION KLASSIKER II

Zehn Filmklassiker in einer DVD-Box präsentiert die neue "Arthaus Collection – Klassiker II". Harry Lime, dessen Zither-unterlegte Verfolgungsjagd in den Wiener Abwasserkanälen immer noch zu den unvergesslichen Momenten der Kinogeschichte gehört, steht im Mittelpunkt von "Der dritte Mann". Auch "Peeping Tom", in Deutschland unter "Augen der Angst" veröffentlicht, bietet einen Plot, der nach über 40 Jahren nichts von seiner Faszination verloren hat. Wesentlich älter, aber trotzdem immer wieder sehenswert ist der 1942 entstandene Film des deutschstämmigen Regisseurs Ernst Lubitsch. Mit "Sein oder Nichtsein" gelang ihm eine hinreißende, manchmal auch rabenschwarze Komödie um die VerwirGoodTimes

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rungen im Nazi-besetzten Warschau während des Zweiten Weltkrieges. Auch Charlie Chaplins "Der große Diktator" ist vordergründig "nur" eine Komödie, bei der ein jüdischer Frisör mit einem faschistischen Diktator verwechselt wird – doch zwischen den Zeilen gelang Chaplin schon 1940 eine schonungslos treffende Persiflage auf die Schreckgestalt Nationalsozialismus. Verheerende Pestverwüstungen, ein Schachspiel mit dem Tod und die nie endenden Fragen um die Existenz Gottes verarbeitete der schwedische Regisseur Ingmar Bergmann (nach einem eigenen Drehbuch) in "Das siebente Siegel". Bald ist Weihnachten, da kommt der Kult-Klassiker "Ist das Leben nicht schön?" mit James Stewart und Donna Reed genau zur richtigen Zeit. Wem das zu rührselig ist, für den könnte "Im Schatten der Nacht", ein typischer Vertreter des Film Noir, das Richtige sein. Farley Granger (später berühmt geworden als Guy Haines in Hitchcocks "Fremder im Zug") lieferte dabei als Krimineller zwischen den Stühlen die wohl beste Leistung seiner gesamten Karriere ab. Auch "Katzenmenschen" aus dem Jahr 1942 lebt von den herausragenden Leistungen der Schauspieler, erzeugt ohne jegliche effektheischende Tricks einen subtilen Horror, der zu Recht zu den Genre-Highlights zählt. Dazu zählt ohne Zweifel auch "Adel verpflichtet", eine tiefschwarze Komödie, die mit typisch britischem Humor und einem skurril-schrägen Drehbuch glänzt – alleine acht verschiedene Rollen für Alec Guiness. Keine Klassiker-Edition ohne Fellini: "Die Nächte der Cabiria" aus dem Jahr 1957 zeigt vordergründig zwar das Schicksal eines Straßenmädchens. Eigentlich geht es jedoch um die essenziellen Lebensfragen des Menschen und um seine geheimen Sehnsüchte. Somit lässt der Film den Zuschauer tief in den Spiegel der eigenen Seele blicken. (Kinowelt GmbH)

BILD PRÄSENTIERT DIE BESTEN HÖRSPIELE ALLER ZEITEN

Die 2009 erschienene Box mit den ersten 20 CDs des Europa-Labels in Vinyl-Optik war ruckzuck ausverkauft – schon stehen die nächsten zehn KultHörspiele am Start, diesmal allerdings als Einzeltitel. Mit "Old


Surehand I" und "Der Schatz im Silbersee II" sind zwei Karl-May-Klassiker darunter, ebenso Jules Vernes nie langweilige BürgerkriegsBallon-Odyssee "Die geheimnisvolle Insel". Mit dabei sind auch Helden ohne Furcht und Tadel wie "Lanzelot", "Kapitän Hornblower" und "Ben Hur". "Ali Baba und die vierzig Räuber" entführt den Hörer in die orientalische Märchenwelt, richtig dramatisch wird’s in "Die letzten Tage von Pompeji", bevor "Das Gespensterschiff" und "Dracula" zum Gruseln einladen. "Die Besten Hörspiele aller Zeiten" eignen sich ideal zum Auffrischen alter Kindheitserinnerungen. (Europa/Sony Music, 10 CDs)

BIG VALLEY – LONE RANGER – HIGH CHAPARRAL

Gute Zeiten für TV-Western-Fans! Drei legendäre US-Serien der fünfziger bis siebziger Jahre, die auch in deutschen Wohnzimmern für regelmäßige Großversammlungen vor dem Fernseher sorgten, gibt es jetzt als umfangreiche DVD-Boxen. Eine kalifornische Farm im Jahre 1870 steht im Mittelpunkt von "Big Valley", bewohnt von den Barkleys – Victoria (Barbara Stanwyck), Jarrod (Richard Long), Nick (Peter Breck), Heath (Lee Majors) und Audra (Linda Evans). Trotz des Western-Umfeldes ist "Big Valley" viel mehr eine Familiensaga mit allen Höhen und Tiefen, mit unehelichen Söhnen, Intrigen und regelmäßigen Happy-Ends – quasi der Vorläufer von "Dallas" oder "Denver Clan", nur viel, viel schöner! Auf acht DVDs gibt es die ersten 30 Folgen. Ganz anders gestrickt ist die Story um den "Lone Ranger": Sechs Texas-Ranger geraten in einen Hinterhalt, nur ein einziger von ihnen überlebt schwer verletzt: John Reid. Er wird von dem Indianer Tonto gefunden und gepflegt, und als John wieder genesen ist, beschließt er, sich zu rächen – maskiert und unter dem Namen Lone Ranger! Immer an seiner Seite: Pferd Silver und Freund Tonto, ein echter Held, der gegen all das Böse und Schlechte in der Welt kämpft. Insgesamt 52

N from the past

Folgen sind auf den acht DVDs der ersten Staffel. Die High Chaparral Ranch in Arizona, auf der Viehzüchter und Witwer Big John Cannon (gespielt von Leif Erickson) mit seinem Bruder Buck (Cameron Mitchell) und seinem Sohn Billy Blue (Mark Slade) lebt, steht im Mittelpunkt von "High Chaparral". Ständige Konflikte mit Viehdieben, herumziehenden Gaunern und Indianern liefern den Stoff für die erste Staffel, in der 28 Folgen auf 7 DVDs enthalten sind. (Kinowelt GmbH)

HÖRZU PRÄSENTIERT HEINZ RÜHMANN EDITION 1– 4

Heinz Rühmann, wie man ihn kennt und liebt, verteilt auf vier Editionen mit je drei DVDs. Die erste enthält Komödien, die mehr oder weniger stark in der Schulwelt verwurzelt sind: die legendäre "Feuerzangenbowle" (1944) mit Rühmann in der Rolle des "Schülers" Pfeiffer ("mit drei ‚f’ – eins vor dem ‚ei’ und zwei danach"), "Der Pauker" (1958) sowie "Wir werden das Kind schon schaukeln" (1952) mit Theo Lingen und Hans Moser. Zwei Lustspiele und eine Dokumentation finden sich in der zweiten Box: Neben der Travestie-Klamotte "Charleys Tante" (1956) und "Dr. med. Hiob Prätorius" (1965) ist die 1994 (kurz vor Rühmanns Tod) entstandene Biografie "Kleiner Mann ganz groß" zu sehen, in welcher der Schauspieler als 91-Jähriger auf sein bewegtes Leben zurückblickt. Drei beschwingte Komödien mit sich ähnelnden Themen und ohne allzu viel Tiefgang wurden zur dritten Edition zusammengefasst: "Wenn der Vater mit dem Sohne" (1955), "Hurra, ich bin Papa!" (1939) und "Vater sein dagegen sehr" (1957). Edition Nr. 4 besteht aus drei Nachkriegsfilmen Rühmanns: Bei "Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins" (1954) stand er noch im Schatten von Hans Albers, als "Der Hauptmann von Köpenick" (1956) und "Der eiserne Gustav" (1958) kehrte er in die Erfolgsspur zurück. (Kinowelt GmbH, jeweils 3 DVDs)

INGRID STEEGER

INGRID STEEGER SINGT KLIMBIM

Es waren schon seltsame Blüten, die ein TV-Erfolg wie "Klimbim" in den Siebzigern trieb. Besonders, wenn man sich vor Augen führt, welch Seite

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klangvolle Namen der Horror-Tochter Gabi aus der Klimbim-Familie bei den Aufnahmen dieses Albums im Dezember 1974 zur Seite standen. Produziert wurden die schrägen Lieder von Abi Ofarim, aufgenommen von Harold Faltermeyer, die Arrangements kamen von Paul Vincent und Ralf Nowy. Ingrid Steegers Gesang war die (vor allem aus ihrer "Klimbim"-Rolle als Nummerngirl) bestens bekannte Mischung aus Hauchen, Stöhnen und sexy-piepsiger Stimme – eine deutsche Ausgabe von Marilyn Monroe sozusagen. Die Kalauer unterschritten damals selbst die niedrigste Niveau-Grenze, zum Beweis folgende Textprobe: "Ich bin wie der Mount Everest, der sich nur schwer besteigen lässt, genauso steil und steinig. Doch wirf nicht gleich den Rucksack weg, vielleicht wird man sich einig!". Die CDPremiere des Originalalbums kommt mit neuem Booklet-Text, in dem sich Ingrid Steeger an die Aufnahmen in den Münchner Arco-Tonstudios erinnert sowie mit einem auffaltbaren Poster der barbusigen Sängerin. (Sireena Records/Broken Silence, 14/35:34)

THE NEW YORK HARLEM THEATRE PORGY & ME

Auch wenn bei dieser Umsetzung von "Porgy And Bess" natürlich George Gershwins Musik im Mittelpunkt steht, ist diese DVD viel mehr als ein reiner Musikfilm. Seit Jahrzehnten schon tourt das Ensemble des New York Harlem Theatre mit der 1935 uraufgeführten Gershwin-Oper um die Welt. Regisseurin Susanna Boehm durfte den Tross durch Deutschland begleiten, sie zeigt Proben, Gespräche und Auftritte – kurz: Sie dokumentiert den Touralltag. In Interviews mit den Sängerinnen und Sängern rückt sie deren Lebensläufe in den Fokus und zeigt darüber hinaus, wie emotional Evergreens wie "Summertime" oder "It Ain't Necessarily So" immer wieder aufs Neue interpretiert werden können. (Boomtown/Alive, 96 Min.)

PSYCHO

Pünktlich zum 50. Geburtstag gibt es Alfred Hitchcocks Meisterwerk "Psycho" nun auch als Blu-ray. Die kleine BüroAngestellte Marion Crane glaubt an die Chance ihres Lebens, als sie 40.000


NEWS from the past Dollar unterschlägt und sich aus dem Staub macht. Auf ihrer Flucht trifft sie in einem mysteriösen Motel auf den exzentrischen Norman Bates. Der Rest ist Filmgeschichte ... (Universal, 109 Min.)

RÜDIGER HOFFMANN

LIVE – DAS BESTE AUS 25 JAHREN

Ja hallo erstmal, also, ich weiß gar nicht, ob Sie's wussten, aber Rüdiger Hoffmann plaudert seit nunmehr 25 Jahren auf der Bühne über charmante Belanglosigkeiten, zwischenmenschliche Kataströphchen und Horror-Miniaturen des Alltags. Ein Jubiläum, das der sympathische Ostwestfale zum Anlass nahm, im Circus Roncalli das Beste aus 25 Jahren Live-Programm auf die Bühne zu bringen. Vom "Mitbewohner" über "Die acht Kostbarkeiten" bis zum "Duschvorhang", von der Sache mit dem Geschlechtsverkehr bis zum Pärchenurlaub. Ein einmaliges Event vor einer tollen Kulisse, Kult-Comedy vor begeistertem Publikum! (edel, 123 Min.)

SCHLAGER ORIGINALE

Schon ein erster Blick auf die Vorderseiten dieser CDs zeigt: Hier sind die Originale am Start! Aus dem Jahr 1964 stammt CONNIE FRANCIS SINGS GERMAN FAVORITES, Wencke Myhres selbst betiteltes LP-Debüt erschien erstmals 1966, drei Jahre später präsentierte Vicky Leandros VICKY UND IHRE HITS. Roy Blacks 1973er Album GRÜN IST DIE HEIDE ist eine ganz besondere Rarität, hat er doch damals eher Schlager-untypisch Texte des "Heidedichters" Herrmann Löns für seine Lieder vertont. Auslöser für diesen romantischen Ausflug war der mit Partnerin Monika Lundi entstandene Film "Grün ist die Heide". Gleich zwei Alben gibt es von Marianne Rosenberg: FLÜSTERNDES GRAS von 1978 sowie das ein Jahr später veröffentlichte UND DIE LIEBE, SIE KAM. Alle Tonträger erstrah-

len im Original-LP-Artwork sowie in digital remastertem Klang. Wer die eine oder andere dieser LPs mal im eigenen (oder elterlichen) Plattenschrank hatte, bekommt die Chance auf einen Trip zurück in die Jugendzeit. (Koch/Universal Music, 6 CDs)

TATORT

DAS LEXIKON Von Rüdiger Dingemann 2010, Knaur ISBN 978-3-42678-419-8 474 Seiten; 12 €

Der "Tatort" lockt immer wieder sonntags um 20.15 Uhr Millionen von Zuschauern vor den Fernseher. Die Reihe begann am 29.11.1970 mit der Folge "Taxi nach Leipzig" und steht seither wie ein Fels in der Brandung des sich ständig ändernden Geschmacks eines unberechenbaren Publikums. Der Grund für den Erfolg liegt auf der Hand, denn neben einem Heer von Drehbuchautoren, den verschiedenen Ermittlern und der ausgewogenen Besetzung sind es die aktuellen Zeitbezüge, die einen "Tatort" so spannend und interessant machen. Rüdiger Dingemann hat in seinem brillant recherchierten Wälzer nicht nur verschiedenste Fakten gesammelt, wie zum Beispiel Auflistungen der Schauspieler, Regisseure und Komponisten, sondern auch auf eine treffende Kurzbeschreibung der einzelnen Folgen geachtet. Damit verführt er den Leser dazu, mal wieder ein Auge auf die 765 bis zum 30.05.2010 abgekurbelten Folgen zu werfen. Hut ab vor so einer Leistung!

SEAN CONNERY

EINE HOMMAGE IN FOTOGRAFIEN Von Aaron Smyth 2010, Schwarzkopf & Schwarzkopf ISBN 978-3-89602-937-9 160 Seiten; 19,90 €

Sean Connery ließe sich ideal in die Schublade "Vom Tellerwäscher zum Millionär" stecken. In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen – sein Vater war Hilfsarbeiter, seine Mutter Putzfrau –, hatte er das Glück, im ersten James-Bond-Fim "007 jagt Dr. No" mitzuwirken und damit die Rolle des britischen Geheimagenten nachhaltig zu prägen. "Mein Name ist Bond – James Bond" – was für ein herrlicher Satz, auch nach Jahrzehnten noch! Doch Connery auf diese Figur zu reduzieren, GoodTimes

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würde ihm nicht gerecht werden. Hitchcocks Psychothriller "Marnie" (1964), "Verflucht bis zum jüngsten Tag" (1970), "Die Brücke von Arnheim" (1977), "Der Name der Rose" (1986) oder "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" (1989) sind nur einige Streifen, in denen der Mann mit den vielen Gesichtern Filmgeschichte schrieb. In dem kleinformatigen Bildband finden sich neben vielen Abbildungen aus allen Karriere-Abschnitten auch Kurzbeschreibungen zu Connerys Filmen und eine knappe, aber gehaltvolle Einleitung, die den Schauspieler angemessen würdigt.

NEXT STOP IS VIETNAM

THE WAR ON RECORD, 1961–2008

Den Einfluss des Vietnam-Krieges auf die zeitgenössische Musik dokumentiert dieses imposante Gesamtkunstwerk der Spezialisten von Bear Family Records. Die Themen reichen von Amerikas ersten, noch äußerst naiven Vorstellungen eines fernen Landes namens Vietnam über musikalisch geführte Diskussionen zum Thema Krieg und seine Moral bis hin zur Verarbeitung der langen Nachwirkungen des Konfliktes. 13 CDs und ein über 300-seitiges Hardcoverbuch im LP-Format zeigen den Krieg auf intensive und nie zuvor gehörten Art und Weise. 334 gesungene und gesprochene Titel nehmen den Hörer mit auf eine Reise durch eine epochale Phase der jüngeren Zeitgeschichte. Enthalten sind OTöne von Lyndon Johnson, Richard Nixon oder General Westmoreland und jede Menge Musik, die sich quer durch alle Stilrichtungen bewegt: Protestsänger wie Bob Dylan, Joan Baez und Pete Seeger, Stars wie Johnny Cash, Bruce Springsteen und Marvin Gaye. Auch eher unerwartete musikalische Statements von den Bellamy Brothers, Simon & Garfunkel, Connie Francis oder Pat Boone gibt es zu hören sowie eine Vielzahl längst in Vergessenheit geratener lokaler Bands und Künstler. Ein ganz besonderes Highlight dieser Box sind zwei CDs, auf denen ausschließlich Musik von VietnamKriegsteilnehmern versammelt ist – authentischer als aus erster Hand kann man sich diesem Thema nicht nähern. Das farbig bebilderte Begleitbuch – mit einem Vorwort von Country Joe McDonald – informiert ausführlich über jede der 334 Aufnahmen. Dabei geht es um die Songs, die Künstler und die Hintergründe der Kompositionen. Die Geschichte des Krieges wird ausführlich erzählt, ein eigenes Kapitel widmet sich der Musik, die von den Soldaten in Vietnam am liebsten gehört wurde. Trotz des ernsten Themas ist dieses opulente Werk aus Bildern, Texten und Tönen eine unterhaltsame


und lehrreiche Zeitreise, mit Stoff für so manchen langen Winterabend. (Bear Family Records)

DAS GROSSE TIPP-KICKBUCH Von Karin Höfer und Peter Hesse 2008, Humboldt ISBN 978-3-89994-100-5 207 Seiten; 14,90 €

Schon mit dem Prototypen aus dem Jahr 1924 spielte man genau so Tischfußball wie heute noch: mit einer Figur, deren Fuß sich auf K(n)opfdruck bewegen ließ. Lediglich der Torwart durchlief seither eine Metamorphose von der statischen Bleifigur zum hechtenden Kunststoff-Keeper. Im Lauf der Jahre sorgte das "Tipp-Kick-Virus" für unzählige packende Brüderduelle, nachgespielte Weltmeisterschaften oder wutentbrannt ins Eck geschleuderte Spielfiguren. Bevor sie im Buch auf derartige Erlebnisse eingehen, widmen sich die Autoren erst einmal ausführlich der Geschichte und den Regeln des Spiels. Ob es um Bälle, Spielfiguren oder Schussbein-Feilarbeiten geht – alle wichtigen Aspekte werden ausführlich im Bereich "Technik & Zubehör" beschrieben und gezeigt. Nach diesen eher sachlichen Betrachtungen wird es emotional: Das Kapitel "Prominente & Anekdoten" trumpft mit zahlreichen Geschichten rund um das Tipp-KickSpiel auf, die kurzweilig und lesenswert sind und somit für zweierlei Dinge sorgen: erstens Lesespaß pur, zweitens die verzweifelte Suche in Kellern, früheren Kinderzimmern und auf Dachböden – das gibt es doch nicht, das gute alte Tipp-Kick-Spiel muss doch irgendwo zu finden sein ...

VARIOUS ARTISTS

YESTERDAY – DIE KULTJAHRE

Oldie-Sampler gibt es wie Sand am Meer – da ist es nicht einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Definitiv eine gute Wahl hat man beim Kauf getroffen, wenn sich zur hochklassigen Musik – wie hier – noch ein lesenswertes Booklet in deutscher Sprache gesellt. WDR-Moderator Roger Handt hat aus seinen Yesterday-Zeitreisen (jeden Samstag 19.00 – 22.00 Uhr auf WDR2) drei CDs zusammengestellt, DIE KULTJAHRE 1965-1969, 19701974 und 1975-1979. Für die ausführlichen Texte um Musik und Zeitgeschehen war der Bayern-3-Kollege und anerkannte

N from the past

Musikfachmann Ulli Wenger zuständig. Drei CDs randvoll mit wunderschöner Musik: von den Beach Boys, Wonderland, Joe South, Dave Edmunds und Joe Walsh bis zu Birth Control, Free, Golden Earring und den Spotnicks. (Ganser & Hanke/Tonpool, 3 CDs)

CARY GRANT EDITION 4

Die vierte Ausgabe der Cary-Grant-Edition enthält wiederum drei Filme auf DVD. Was passiert, wenn ein zerstreuter Wissenschaftler, dessen Lebenswerk die Rekonstruktion eines Saurierskeletts ist, auf eine exzentrische Erbin trifft, kann man in "Leoparden küsst man nicht" (1938) sehen. Howard Hawks führte Regie in dieser temporeichen Screwball-Komödie, in der Katherine Hepburn Cary Grant mit weiblicher List umgarnt. Auch in "Sylvia Scarlett" (1935) sind die beiden vor der Kamera ein Paar – auf der Flucht nach England verliebt sich die als Mann verkleidete Sylvia in den attraktiven Spieler Jimmy. Überirdisch geht es im 1937 entstandenen "Topper" zu: Das leichtlebige Ehepaar George und Marion Kerby kommt bei einem Autounfall um. Doch die beiden kehren als Unruhe-Geister zurück und beschließen, das betuliche Leben des Bankfilialleiters Cosmo Topper ein wenig in Schwung zu bringen – was natürlich zu zahlreichen Verwicklungen führt. (Kinowelt GmbH, 275 Min.)

DER GESTIEFELTE KATER

Der Animationsfilm von 1969, zu Beginn der siebziger Jahre ein Publikumsmagnet in den DDR-Kinos, war für die japanischen ToeiStudios von so großer Bedeutung, dass der Kater bis heute das Logo der Trickfilmschmiede ziert. Die Abenteuer des Katers Pero wurden frei nach Charles Perrault mit viel Fantasie und Witz zeichnerisch umgesetzt. Pero führt den armen, von seinen Brüdern betrogenen Burschen Pierre in die Arme von Prinzessin Rosa und muss dabei den bösen Luzifer überwinden. Ein fantasievoller und zeitloser Film, an dem sich Jung und Alt erfreuen können. Die DVD enthält eine Menge Extras: Neben der deutschen Synchronfassung (Defa), der originalen japanischen Sprachausgabe sowie Trailern für den Film und seine Fortsetzungen gibt es Malvorlagen und den Text der Märchenversion von Charles Perrault zum AusdruSeite

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cken sowie Hörbücher des Märchens in den Versionen der Brüder Grimm und von Charles Perrault (sowohl als MP3-Datei, als auch visualisiert für den DVD-Player). Außerdem findet man noch eine Bildergalerie mit Storyboards, Entwürfen und Filmplakaten. (Ostalgica/Alive, 77 Min.)

GEISTER-SCHOCKER 9+10

Folge 9 der Hörspielserie, DER HÖLLENGRAF, basiert auf dem Roman "Die Toten Augen" von A.F. Morland, 1974 in der BasteiGruselreihe "Gespenster-Krimi" erschienen. Die Macher hinter den Geister-Schockern überließen nichts dem Zufall: Grusel erzeugen hier nicht irgendwelche billigen Knalleffekte, sondern eine sorgfältig und mit Liebe zum Detail arrangierte Atmosphäre. Zudem legte man viel Wert auf die Geschichte, denn ohne entsprechendes Material wird auch die perfekteste Produktion schnell langweilig. Kriterien, die Fans sehr wohl zu schätzen wissen, und so ist auch der große Erfolg der Reihe erklärbar. "Mit der neuen Ausrichtung versuchen wir, den alten Groschen-Grusel interessanter und moderner zu gestalten, ohne die Ursprünge zu verleugnen", erläutert Produktionschef Joachim Otto das Konzept. Die Jubiläumsfolge 10, DER MAGISCHE SCHRUMPFKOPF, erscheint als limitierte Sonderausgabe im Pappschuber, mit umfangreichem Booklet, aktuellen Interviews, exklusivem Poster und Aufklebern. Der zugrunde liegende Roman stammt von Earl Warren und ist ursprünglich als Band 76 der Reihe "VampirHorror-Roman" erschienen. Die Schauspiel-Profis Claus Wilke (vielen sicherlich noch als Percy Stuart bekannt) und Peter Niemeyer liefern starke Vorstellungen ab, auch der Rest der Geisterstimmen und Zombies ist bis in die Nebenrollen erstklassig besetzt. Ob Hörspielfan oder nicht – wer die alten Groschenromane liebt, wird sich auch an den Geister-Schockern nachhaltig erfreuen. (Romantruhe/Rough Trade, 55 Min. + 66 Min.)

REIFEPRÜFUNG

STUDIOCANAL COLLECTION

Immer wieder gerne gesehen ist dieser Filmklassiker aus dem Jahr 1967. Charmant und attraktiv ist Mrs. Robinson, aber eben auch ungefähr doppelt so alt wie ihr Nachbar, Student Ben. Nach einer kurzen und leidenschaftlichen Affäre verliebt der sich in Elaine, Frau


NEWS from the past Robinsons Tochter – was Mrs. Robinson zur eifersüchtigen Furie macht. Diese temporeiche Story mit Anne Bancroft, Katharine Ross und Dustin Hoffman in den Hauptrollen sowie der betörenden Musik von Simon & Garfunkel ("... and here's to you Mrs. Robinson ...") sorgen für ungetrübten Filmspaß in bester Blu-ray-Qualität. Die Studiocanal Collection hält ein ganzes Paket an Bonus-Material bereit: "Die Reifeprüfung – 25 Jahre später", "Looking Back – Ein Film der 60er Jahre", "Über die Musik", Interview mit dem Romanautor Charles Webb, Audiokommentare, 20-seitiges Booklet, Trailer und – Achtung, jetzt wird's wissenschaftlich! – eine "Analyse der Verführungssequenz"! (Kinowelt GmbH, 106 Min.)

BEAR FAMILY JUBILÄUMS BOX

Im Spätsommer 1975 gründete Richard Weize Bear Family Records. Eigentlich war der Plattenhandel nur als halbjährige Übergangslösung bis zum Beginn eines "vernünftigen" Jobs geplant, doch die Sache lief so gut, dass Weize einfach weitermachte. Zusätzlich durchforschte er alte Archive, hauptsächlich in den USA, und dank akribischer Aufarbeitung und liebevoll gestalteter Werkschauen wurde Bear Family Records ziemlich schnell zum Maß aller Dinge, wenn es um Country, Rockabilly, Bluegrass oder Rock'n'Roll ging. Schnell erweiterte sich das Repertoire um Stile wie Pop, Folk, Schlager und Blues, womit auch Namen wie Doris Day, Friedrich Hollaender und das Kingston Trio ihre Bühne neben Cracks wie Johnny Cash, Hank Snow oder der Carter Family bekamen. Mittlerweile kann das Label auf 35 Jahre zurückblicken – und der Geburtstag wird stilgerecht mit einer speziell für dieses Ereignis gefertigten CD/Buch-Edition begangen. Zum absoluten "Freundschaftspreis" gibt es drei CDs voller exklusiver Bären-Songs. Befreundete Musiker und Songschreiber wie Gunter Gabriel, Götz Alsmann, Bela B., Deke Dickerson, Jim Diamond, Kim Lenz und Roland Heinrich sind darauf zu hören, rücken mit Songs wie "Bear Family", "Sixteen Discs" oder dem "Bear Family Talking Blues" die Verdienste des Wiederveröffentlichungs-Spezialisten in den Mittelpunkt. Exzellent ist auch das 208-seitige Begleitbuch im LP-Format. Weltweit anerkannte Musikkritiker, Experten und Autoren stellen ihre jeweiligen Bear-Fa-

mily-Lieblingsplatten vor, und natürlich gibt es auch ein paar Zeilen zur Geschichte des Labels. Doch der Clou sind die wunderschönen, farbigen Abbildungen aller je erschienenen Bear-Family-Veröffentlichungen. Diese Box ist einzigartig – ebenso einzigartig wie Bear Family Records! (Bear Family Records, 3 CDs)

laufenden Prozesses fluchtartig die USA verlassenen hatte. Sobald er nur einen Fuß auf amerikanischen Boden setzen würde, wäre seine Verhaftung garantiert. "Roman Polanski: Wanted and Desired" zeigt die filmische Aufarbeitung der Akte Polanski WESTERNKLASSIKER – und gewährt einen tiefen Einblick in ein LeRINGO ben voller Tragik. Mit herausragenden Filmen Eine gefährliche Postkutschenfahrt steht den wie "Rosemary's Baby" oder "Chinatown" war Passagieren bevor: Häuptling Geronimo ist Polanski Mitte der siebziger auf dem Kriegspfad! Eine Jahre zu einem gefragten bunte Truppe macht sich auf macht wieder Spaß! Regisseur aufgestiegen. Als den Weg durchs IndianerLebemann ließ er keine Party gebiet, darunter der Glücksaus, war in vielerlei Hinsicht spieler Hatfield, der stets eine der schillerndsten Perbetrunkene Dr. Boone, die In Zusammensönlichkeiten Hollywoods. schwangere Lucy, der mit den arbeit mit dem Doch dann beschuldigte ihn Rücklagen seiner Bank durchdie 13-jährige Samantha gebrannte Gatewood, die Bardame Dallas und kurzfristig präsentiert RETRO- Gailey, sie während eines TV eine einzigarFotoshootings unter Drogen auch Sheriff Wilcox, der den tige Doppel-DVDgesetzt und vergewaltigt zu berühmten Banditen Ringo Box-Serie mit den unvergessensten ... haben. Der darauffolgende (John Wayne) geschnappt hat. Prozess steht im Mittelpunkt Ein Angriff der Indianer auf des Filmes, wobei es Regisdie Postkutschenstation, an seurin Marina Zenovich geder die Reisegesellschaft ge... TV-Momenten der deutschen lingt, die Schicksalsschläge rade eine Rast einlegt, wird Fernseh- und in Romanskis Leben (u.a. zur tödlichen Gefahr. Dass bei Filmgeschichte! wurde seine hochschwangere dieser Bewährungsprobe nicht Nostalgie pur und ganz viel Retro Frau Sharon Tate von Charles nur die Guten, sondern auch Spaß mit den ... Mansons Bande ermordet) die kriminellen Außenseiter sowie die Aussagen zahlihren Mann stehen müssen, ... coolsten Stars, reicher Zeitzeugen geschickt liegt in der Natur der Westernden schönsten einzubinden. Eine hervorraklassiker aus der VorkriegsGeschichten, den raffiniertesten gende Dokumentation, die zeit. "Ringo" wartet neben Ermittlern ... und die konfusen Vorgänge rund einer schnörkellosen Story, unglaublichen Shows, Kulissen um diesen Prozess filmisch atemberaubenden Stunts und und Klamotten! aufarbeitet und verständlich klassischer Dramaturgie auch Ab dem rekonstruiert. mit einer Moral auf, die klar 19.11.2010 im Handel! (Kinowelt GmbH, 99 Min.) zwischen Gut und Böse unterIn Planung: scheidet. B o n u s - • Kult-Box • Musik-Box • DER TOD LÄUFT • Show-Box • Material: HINTERHER AlterEndlich gibt es den legenwww.sonymusic.de dären ZDF-Straßenfeger aus native, dem Jahr 1967 auf DVD! Das spannende Drehdeutsche 8-mm-Fassung, buch stammt von Herbert Reinecker, Joachim FotosGoodTimesKult4c44x134.indd sowie Kinotrailer. 1 29.09.2010 10:26:49 Uhr (KNM Home Entertain"Blacky" Fuchsberger spielt den Ingenieur ment, 108 Min.) Edward Morrison. Der glaubt nicht an den angeblichen Selbstmord seiner Schwester Alice ROMAN POLANSKI und macht sich auf die WANTED AND DESIRED rastlose Suche nach den Roman Polanski ist zweifelsohne ein außerwahren Hintergrüngewöhnlicher Filmemacher. Als er 2002 für den – doch der Tod ist "Der Pianist" den längst überfälligen Oscar Morrison stets auf den als bester Regisseur erhielt, konnte er sich die Fersen ... Goldstatue allerdings nicht persönlich abho(Universal, 210 Min.) len. Was daran lag, dass er 1977 inmitten eines

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MARVEL COMICS DVDs THE INCREDIBLE HULK

"Der unglaubliche Hulk" startete seine TVKarriere 1966 als Teil der "Marvel Super Heroes". Zahlreiche, jeweils zehnminütige Episoden teilte er sich zu Beginn mit den anderen Superhelden Captain America, Iron Man, Thor und Namor. Die kurzen Episoden basieren auf frühen Geschichten der Comics und auf Motiven der "Tales To Astonish"-Serie. Die ersten 13 Folgen enthält der DVD-Doppelpack "Die Komplette Serie – 1966" (252 Min.): Als der Wissenschaftler Bruce Banner bei einem GammabombenExperiment kurz vor der Explosion einen leichtsinnigen Teenager rettet, wird er einer hohen Dosis an Gammastrahlen ausgesetzt. Damit beginnt nicht nur seine Verwandlung in den unkontrollierbar starken und allseits gefürchteten Hulk, sondern auch sein ständiger Kampf gegen den erbarmungslosen General "Thunderbolt" Ross und den so bösartigen wie genialen Leander. Ebenfalls als 2DVD-Sets erschienen: "Die Komplette Serie – 1982" (306 Min.) und "Die Komplette Staffel 1 von 1996". (Clear Vision/Alive, 271 Min)

IRON MAN – DIE ZUKUNFT BEGINNT (SEASON 1.2)

Season 1.2 oder auch Vol. 2, wie es auf dem Cover der DVD heißt, versammelt mit den Folgen 006 bis 009 vier Abenteuer von Marvels Superhelden Iron Man. Seit 1963 gibt es diesen Charakter schon, ab 1968 wurde ihm eine eigene Reihe gewidmet. Die Story: Der Iron Man ist das Alter Ego des Multimilliardärs Tony Stark. Seine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, daraufhin übernimmt Tony den Familienbetrieb Stark Industries. Der Technologie-Konzern entwickelt im Auftrag der US-Regierung Waffensysteme. In Vietnam, als er den Einsatz einer seiner Erfindungen im Krieg besichtigt, wird er durch eine Bombenexplosion schwer verletzt und kann von den Nordvietnamesen gefangengenommen werden. Ein Metallsplitter ist sehr nahe an seinem Herzen in

seinen Körper eingedrungen. Wong-Chu, ein regionaler Warlord, verspricht Stark die rettende Operation, wenn dieser sich dazu bereit erklärt, für die Nordvietnamesen zu arbeiten. Zusammen mit dem ebenfalls in Gefangenschaft befindlichen Nobelpreisträger für Physik, Ho Yinsen, entwickelt Stark seine erste Iron-Man-Rüstung (Mark One). Diese gibt Stark einerseits große Kampfkraft, andererseits ist sie für ihn überlebenswichtig, da sie den Metallsplitter in seinem Körper durch einen eingebauten Elektromagneten zurückhält. Mit Hilfe dieser Wunderrüstung gelingt es ihm, aus dem Lager zu fliehen. Dabei lernt Stark den Hubschrauberpiloten Jim Rhodes kennen – später erhält dieser eine eigene Rüstung mit der Iron-Man-Technologie und wird zum Marvel-Helden War Machine. Zurück in den Vereinigten Staaten gibt Tony Stark Iron Man als seinen Bodyguard aus und lebt fortan mit zwei Identitäten. In den vier Episoden der DVD muss sich der Iron Man mit einem rachsüchtigen Astronauten auseinandersetzen, gegen einen Superschurken kämpfen, der die Lasertechnologie benutzt, den Prototypen des neuen Tarnanzuges vor Feinden in der eigenen Firma schützen und an die Ausgrabungsstätten zurückkehren, an denen Tonys Vater einst den ersten der sagenumwobenen Makluan-Ringe entdeckte. (Clear Vision/Alive, 110 Min.)

THE FANTASTIC FOUR – DIE KOMPLETTE SERIE

Alle 13 Original-Episoden dieser Zeichentrickserie aus dem Jahr 1978 sind jetzt auf zwei DVDs erschienen. Höchste Alarmstufe! Die Sicherheit der Erde ist bedroht, die Fantastischen Vier (THE FANTASTIC FOUR) müssen gegen ein ganzes Arsenal an Bösewichten aus der Marvel-ComicWelt kämpfen: gegen den Erzfeind Dr. Doom, den bizarren Impossible Man und die Todfeinde Die Furchtbaren Vier. Die vier Superhelden Mr. Fantastisch (Mr. Fantastic), das Ding (The Thing), die Unsichtbare (Invisible Girl/Woman) und die menschliche Fackel (Human Torch) erhalten ihre außergewöhnlichen Kräfte und Fähigkeiten durch kosmische Strahlung, die ihre Moleküle verändert, als sie in einem Raumschiff als erste Menschen versuchen, ins All zu fliegen. Die Superkräfte der Vier entsprechen den vier Elementen: "Das Ding" mit seiner steinernen Haut der Seite

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Erde, die brennende "menschliche Fackel" dem Feuer, die durchsichtige "Unsichtbare" verkörpert die Luft und der fast flüssige, dehnbare "Mr. Fantastisch" das Wasser. Die Erschaffer der Heldengeschichten, Stan Lee, Jack Kirby und Roy Thomas, präsentieren im Laufe der Serie auch eine ganz neue Figur, H.E.R.B.I.E. den Roboter, der die Fackel ersetzt. (Clear Vision/Alive, 300 Min.)

FUNKSTREIFE ISAR 12 Staffel 1+2

"Isar 12 – bitte kommen!" – Wenn der Funkspruch ertönte, bedeutete das: Arbeit für Alois Huber, Karl Dambrowski und Dieter Resch. Wer auch immer auf die Idee kam, einen Berliner, einen Osnabrücker und einen waschechten Bayern zusammen in eine Münchner Funkstreife zu setzen – erfolgreich war sie allemal. Und das nicht mit der Jagd nach den großen Verbrechen, sondern mit den kleinen, zwischenmenschlichen Geschichten rund um die alltägliche Polizeiarbeit. Nebenbei gewähren die Folgen 1–13 der ersten und die Folgen 14–26 der zweiten Staffel einen wehmütigen Blick zurück auf die Befindlichkeiten der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Alte, fast schon als historisch zu bezeichnende Filmaufnahmen der Münchner Innenstadt sind hier zu sehen und Streifenwagen, die die Herzen aller OldtimerFans höher schlagen lassen. (Euro Video, 278 Min./284 Min.)

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ie Szenerie sehe ich noch vor mir: Ich saß oben im roten Doppeldeckerbus – es war noch einer dieser alten „Routemaster", bei denen das Auf- und Abspringen geduldet wurde. High Holborn, New Oxford Street, Oxford Street. Ein liebenswertes Chaos, wie ich es mir erhofft hatte. Wir kamen äußerst langsam voran – denn im August 1973 durften neben Bussen und Taxis noch sämtliche Londoner Limousinen und Lieferwagen diese Shopping-Meile verstopfen – und auch das hatte ich herbeigesehnt. Ich starrte in die wogenden Shopper-Massen. Da musste doch einfach mal ein Star dabei sein.

Würde ein Paul McCartney genau hier vor meinen Augen entlangschlendern? Nein, erst 2002. Könnte Steve Marriott verkatert vor einem Café in der Sonne sitzen? Nein, wie ich eine Stunde später im "Melody Maker" las: Steve war gerade mit seinen Humble Pie in die Vereinigten Staaten aufgebrochen. Ich stieg aus, das heißt, ich sprang ab. An der Ecke zur Tottenham Court Road kam mir tatsächlich Joe Brown entgegen – den Gitarrenkoffer in der Hand, lachend mit einem Freund plaudernd. Nächste rechts, Maple Street, rein nach Soho! Laut meinem „A to Z" musste ich hier bald auf die Wardour Street stoßen, seit Jahren die Heimat des berühmten Marquee Club. Gefunden ... Heute Abend: Greenslade, die Band zweier Ex-ColosseumGreenslade Cracks! Astrein, ich würde da sein. Aber zuerst einmal hieß es, eine Seitenstraße der Oxford Street nicht zu verpassen, Newman Street – kurz dahinter besang Donovan seine "Sunny Goodge Street". Aber ich bog nicht wegen Donovan ab, ich wollte meine Unterkunft aufsuchen. Kein Youth Hostel, kein Bed & Breakfast, sondern die Behausung eines Malers – und ich ließ Revue passieren, wie ich überhaupt zu diesem Frühsommer-Trip gekommen war. Seite

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Es war eine laue Sommernacht Anfang Juli 1973, als ich mit meiner Band, Dannys VIPs, bei einer Vernissage der Bielefelder Galerie Jesse spielte. „Warst du jemals in London?", fragte mich Galerist Jürgen. „Nein, das steht aber ganz oben auf der Liste", erwiderte ich – in Gedanken an unsere pub-rockigen Gagen, die kaum derartige Sprünge erlauben würden. „Du könntest umsonst hin, samt Verpflegungsgeld", lächelte er und konterte mein skeptisches Stirnrunzeln mit einem Redeschwall, bevor ich Buckingham Palace ein Wort herausbringen konnte: „Du fährst mit einem Trucker, den ich kenne, schläfst bei einem meiner Maler, Gordon – und besser, ich gebe dir ein bisschen Geld, als dass meine Bilder in der Post verlorengehen." Meine Gedanken wirbelten nur so, und ich hatte Mühe mit dem Wesentlichen: „Wie kriege ich am Ende dessen Bilder auf den Truck – diese dicken Juggernauts kommen bestimmt gar nicht in die City?" – „Du nimmst sie gerollt mit, deklariert als Poster – gerahmt werden sie hier!" Das klassische Angebot, das man nicht ablehnen konnte – und so stieg ich nun Holzstufen in ein dunkles, holzgetäfeltes Apartment hinauf, das sich wahrscheinlich seit anno 1940 nur unwesentlich verändert hatte. Ein betagter Bohèmian öffnete mir die knatschende Tür – graubraune Matte, nicht bis an die Ellbogen wie meine, sondern immerhin bis an die Schultern, noch alle Zähne, bis auf eine feine Pfeiflücke, und hellblauer Pullover XXL, dabei hätte er auch „Small" locker tragen können: Gordon eben. Gordon zeigte mir seine Arbeiten, meist Tusche auf Papier, und ich versicherte ihm schon mal, dass ich sie sowohl mochte als auch kein Problem darin sah, die Dinger als „Poster" durch den Zoll mit nach Good Old Germany zu nehmen. Als er nach meinen Verbindungen zur „Art world" fragte, deutete ich an, dass ich fester in der „Rock world" verwurzelt war, und als ich das Zauberwort Marquee von mir gab, meinte er „Off you go, lad". Weg war ich. Vom anschließenden geradezu feuerspeienden Club-Gig des Dave Greenslade ist mir die Spielfreude der Jungs noch ebenso präsent wie ihre Präzision – inspiriertes Interplay zwischen dem Chef und Dave Lawson am zweiten Keyboard, die alles hinwegfegenden

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Drumkaskaden des Ex-King-Crimson-Trommlers Andrew McCulloch. Alles von Bassist Tony Reeves zusammengehalten, dessen Frau Aj Webber das folkige Vorprogramm bestritt. Der nächste Tag war der reinste U-Bahn-Marathon – 1973 auch für einen Zivi gefühlt sehr billig –, und ich klapperte Big Ben, Buckingham Palace, Tower Bridge ab, und zwischendurch natürlich an die zwanzig Plattenläden: Zehn Minuten Hyde Park reichten dann, um schlicht auf der Wiese einzuschlafen. Danach in der heißen Nachmittagssonne zum Piccadilly Circus, damals (und bis Ende der 90s) noch ein echter Kreisverkehr. Ein älteTower Bridge rer Herr mit weißem Haar und feinem Seitenscheitel nimmt seine Brille ab, um sich dicke, herunterrollende Tränen abzuwischen. Als er meinen Blick spürt, spricht er mich an: „I have not seen this for 30 years – what a change!" Ich schaue die erhaben geschwungenen Gebäude zu beiden Seiten der Regent Street an und erwidere in möglichst tröstlichem Ton „Yeah, it must have!" Nach weiterem Plaudern erweist er sich als Ex-US-GI, der im Krieg nahe London stationiert gewesen war – und bewegt in eine Zeitmaschine geraten ist! Piccadilly Circus Ich überlasse ihn bald seinen Reminiszenzen und laufe in die nächste Buchhandlung, um mir die Regent Street 1943 in einem der vielen „Coffee-table"-Bildbände anzusehen. Die Gebäude waren natürlich identisch, aber in den Augen des alte Yankees stimmte es schon – wie viel lebendiger, farbenfroher, lockerer war London nun, 1973! Beim Frühstück hatte mir Gordon, „the old painter", einen Tipp gegeben: mal zum Chalk Farm Roundhouse an der gleichnamigen Underground-Station fahren, zu einem alten Lokomotivschuppen, der zum Event Centre umgebaut worden war, einem waschechten Hippie Heaven! Dass dort sechs Jahre zuvor „A Technicolor Dream" mit Pink Floyd, Kevin Ayers und den London Chalk Farm Roundhouse Pretty Things stattgefunden hatte, keine Ahnung (ein Lokomotivenschuppen als Konzertsaal) 1973 und … damals. Aber ein Blick ins Londoner Programmheft "Time Out" reichte, um mich in Bewegung zu setzen: Stan Webb's Chicken Shack sollten da spielen, total meine Welle. Ich steige schon in Camden Town aus, kann es gar nicht abwarten, in die Nähe dieser Gegend zu kommen – von da aus sind es auch nur zehn Minuten zu Fuß zum historischen Ringlokschuppen. Karten gibt es noch. Alles total Chicken Shack 1973 (v. l. Bob Daisley, Paul Hancox, Stan Webb) locker, man liegt herum, der süßliche Geruch der Tüten ein Hochgenuss. Ganz unten stehen Camel auf dem Plakat – nie gehört, allgemein waren sie damals noch nicht so angesagt. Beim Bier ins Gespräch gekommen, höre ich, dass deren Organist Peter Bardens mal bei Them war. Greenslade würden sie kaum toppen. Dachte ich – auf diesen Anschlag war ich nicht vorbereitet. GoodTimes

Camel

Camel blasen alles weg, spielen ihr komplettes Debütalbum und haben auch bereits "Lady Fantasy" im Programm. Besonders das Feuerwerk "Six Ate" hat es mir angetan, und meine Liebe zur Hammondorgel wird vertieft. Ihre v. l. Peter Bardens, Doug Ferguson, Andy Ward, Andrew Latimer Platten sollte ich stets weiter kaufen – aber die Magie dieser ersten Stunde erreichten sie für mich bei aller Qualität so nie wieder. Danach stehen Hemlock auf dem Roundhouse-Programmposter – auch nie gehört. Doch ein Blick auf die Bühne reicht: Eric Dillon und Jim Leverton von Fat Mattress, Mick Weaver an den Keyboards und an der Front Miller Anderson – bekannt als Keef-Hartley-Mastermind. Ein tolles, beseeltes Set. Andersons und Levertons Pfade sollten sich mit meinen ebenso weiter kreuzen wie die des danach folgenden Stan Webb. In Ansagen und Gehabe wie so oft schnodderig – er stolziert wie immer an langer Gitarrenleine in die tosende Menge! –, wirkt Webb in seiner Performance hochkonzentriert, und spielt mit Bob Daisley und Paul Hancox in derartiger Intensität, die ich so auch bei ihm nie wieder so erlebte, obwohl er oft nahe an diese Sternstunde herankam. Am meisten beeindruckt mich die Entspanntheit des unglaublichen Hippiesonntags – bereits am Nachmittag hatte diese Gig-Serie begonnen, und die Dauer der Umbaupausen scheint wirklich niemanden unter der Kuppel der ehemaligen Lokomotiven-Drehscheibe zu kümmern. Am nächsten Tag, leider schon dem letzten meiner ersten kleinen Odyssee, verzichte ich völlig auf die London Underground und fahre nur noch Bus – den vertrauten alten „Routemaster", bei dem ich mich inzwischen mit dem größtem Vergnügen auf- und abzuspringen traue. Ich stelle fest, dass Ronnie Lane in seinem Liedtext Recht hatte – einige der älteren Schaffner riefen tatsächlich immer noch „Anymore for anymore?", wenn sie wissen wollen, ob jemand noch ohne Ticket ist – der Ex-Faces-Bassist hatte ein Stück Londoner Folklore per Song unvergesslich gemacht. Mittags geht es in einen Pub mit dem alten Maler Gordon: Und was da am Tresen steht, bildet sozusagen noch einmal die Weltstadt ab: Nadelstreifen-Gents (schon ohne Bowler Hat), Chinamen, ein farbigst betuchter Mann aus Ghana, das halbe Commonwealth trinkt neben uns ein Pint of Fuller's! Unvergesslich sollte mir jedenfalls London bleiben – ein Jahr später war ich zurück und kam mir unter anderem wie zu Hause vor, als ich Stan Webb und dazu gleich drei HemlockHaudegen zusammen bei den … im Jahre 2010 – immer noch populär! Savoy Brown Boogie Brothers wieder begegnete. Weitere zwölf Monate darauf zog ich für ein Jahr ganz hin – da nannten sich Stan Webb & Miller Anderson bereits Broken Glass, mein Idol Steve Marriott hatte in „meinem" Ringlokschuppen The Chalk Farm Roundhouse mit seinen All Stars ein Heimspiel, und ich fuhr statt „Routemaster" oder „Tube" mit meinem alten weißen VW „Beetle" durch das Chaos Londons. Dort, wo bei denen rechts der Fahrer saß, gab es bei mir noch nicht einmal einen Sitz – kein Platz, wegen des kompletten Drumkits! Ich werde nie vergessen, wie ich mit meinem schon damals historischen Klapperkäfer einmal ganz um Big Ben fuhr, zu den Klängen von 5000 Volt und "I'm On Fire": Ich stand unter Feuer – mein erstes Mal als Londoner! Uli Twelker 1/2011

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Chucks

IMMER EIN GUTER AUFTRITT

Es war 1995, das Festivalgelände beim Dynamo Open Air im holländischen Eindhoven ein einziger brauner Matsch. Ein heftiger Regenguss hatte den Rasen vor der Bühne und auf dem Campingplatz total aufgeweicht. Mensch und Material waren klitschnass, vor allem meine Schuhe. Was mich aber absolut nicht störte, ganz im Gegenteil. Endlich sahen meine grauen "All Star" Chucks nicht mehr so furchtbar neu aus. Ihr unglaublich eingesauter Anblick machte mich geradezu glücklich. Denn so – und nicht anders! – mussten Chucks einfach wirken: abgelatscht und schmutzig, exakt so, als wäre man mit ihnen schon um die halbe Welt gelaufen. Für alle, die sich im Treter-Fach nicht so auskennen: Chucks, das waren und sind Schuhe, mit denen ihr Träger einiges erleben kann. Jeder verbindet mit seinen Chucks irgendwas Einzigartiges. Die Geschichte des Kultschuhs begann 1917 in den USA, in Malden, Massachusetts. Neun Jahre zuvor hatte dort Marquis Mills Converse die Converse Rubber Shoe Company gegründet. Vordergründig, um schlichte Gummistiefel herzustellen. Ab 1917 wurde der rutschfeste Basketballschuh „All Star", Farbe Schwarz, ins Sortiment aufgenommen. Ein Hit war geboren. Allerdings rechnete damals niemand damit, dass dieser Sportschuh einmal so erfolgreich werden und sich weltweit auch außerhalb der Sportplätze als Tret-Utensil entpuppen würde. Liebevoll nannte man den „All Star" auch Chucks – nach dem BasketballProfi Charles Hollies „Chuck" Taylor. Er stattete 1921 der Firma Converse einen Besuch ab. Mit im Gepäck hatte er einige Verbesserungsvorschläge für den Schuh. Auf sein Anraten wurde zur

Schonung der Knöchel ein Patch an der Innenseite angebracht. Bei Converse war man begeistert und heuerte Taylor als Promoter an. Auf seinen „Basketball Clinics"-Touren machte Taylor Werbung für den „All Star". Und zwar so erfolgreich, dass ab 1923 seine Unterschrift den seitlichen Patch am Schuh zierte. Die klassische schwarze ChucksVariante erhielt Jahre später bunten Zuwachs, schließlich sollten die Schuhe mit der jeweiligen Trikotfarbe der Basketballteams kombinierbar sein. Die bunten Treter kamen überall sehr gut an – auch bei Nichtsportlern, bei Männlein und Weiblein aller Altersklassen, beim Nachwuchs. Damit jeder, der's mochte, die Schuhe auch tragen konnte, gingen alle Größen in die Fertigung. Seit 1966 gibt es Chucks in allen möglichen Formen und Farben, in der flachen Oxford-Variante, in Leder,

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Jeansstoff oder mit Designer-Muster. Und: Die Träger legen auch selbst noch Hand an, gestalten die Schuhe kreativ um. Mit Kugelschreiber werden bunte Muster oder Blumen aufgemalt. Nieten, glitzernde Steinchen oder Aufnäher mit Namen von Rockbands sind ebenfalls angesagt. Was den Hersteller hingegen nicht unbedingt freut: Chucks werden meist so lange getragen, bis sie den Besitzern von den Mauken fallen. Alle Alterserscheinungen – durchgelatschte Sohlen, Löcher im Stoff oder komplett versiffte Schnürsenkel – sind geradezu eine Auszeichnung ...

Versionen auf den Markt. Den Clash-Schuh wird es sogar in fünf Foto: © A. Zagmester Varianten geben – alle mit Totenkopf und einem ClashPrint versehen. Die Blondie-Versionen: grell, im Leopardenleder-Style oder schwarz-pink – natürlich mit der Silhouette von Frontfrau Debbie Harry.

Heute ist es normal, dass die flotten Treter mit dem schicken Abendanzug Chucks sind längst viel mehr als ein kombiniert werden und ins Theater schnödes Hilfsmittel, das einen von A oder feine Restaurant ausgeführt wernach B trägt. Obwohl sie inzwischen Basketballspieler Chuck Taylor den. Selbst Lady Di hatte Gefallen an weltweit an Millionen Füßen haften (bis 2008 waren mehr als 750 Millionen Paar verkauft), ist der „All den Leinenschuhen gefunden. Rebellion? Das war einmal, inzwischen geht es um modische Lockerheit und bequemen Star" nie zum Mainstream verkommen. Der Grund: Er war nie Tragekomfort. Wer in Chucks auftritt, hat automatisch nur ein bequemes Mode-Accessoire für die breite Masse, sondern hatte immer auch seinen Platz in der aufmüpfigen einen guten Auftritt. Gegenkultur. Die Chucks wurden auch von denen getraJulia Rosenthal gen, die gegen die Gesellschaft aufmuckten. Etwa in den USA der 1950er 950er Jahre, als die Jungen in Chucks, schwarzen Lederjacken und Levi's, mit Pomade im AC/DC Haar (und natürlich mit Rock'n'Roll) gegen den Muff der Alten stänkerten. Elvis ließ seine Hüften kreisen und trug dabei – Chucks. Auch Rebell James Dean favorisierte die Dinger. Foto: © A. Zagmester

Fotos: © Converse

Foto: © Guido Karp/Sony

Die Hippies in der Flower-Power-Zeit bemalten ihre Schuhe mit „Peace"-Zeichen, die Punks pieksten Sicherheitsnadeln durch den Stoff oder bekritzelten ihre Chucks mit Anarcho-Symbolen. Ebenso erfuhr sich eine neue Jugendbewegung auf „Rollbrettern" ihre Freiheit oder das, was sie dafür hielt. In den 70ern und bis spät in die 80er Jahre hinein war der „All Star Chuck Taylor" einer der beliebtesten Skateboard-Schuhe. In den Neunzigern – „Grunge" hieß inzwischen das seligmachende Zauberwort – ergänzten Chucks karierte Holzfällerhemden und Schweizer-Käse-Jeans mit Loch an Loch. Als Nirvana-Sänger und Grunge-Galionsfigur Kurt Cobain seinem Leben per Kopfschuss ein Ende setzte, trug er, klaro, Chucks.

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Helmut Bild: ©

Wenske

Cobain war mit seiner Vorliebe für die Schuhe nicht allein im Rock'n'Roll. Mitglieder von Bands wie den Doors, Rolling Stones, Ramones und Sex Pistols trugen ebenfalls diese Leinen-Kultis. Als Mick Jagger 1971 in St. Tropez bei seiner Hochzeit mit Bianca Pérez-Mora Macias weiße Chucks zum Anzug trug, war das eine kleine Sensation. Darum war es auch nur eine Frage der Zeit, bis Converse auf konkrete Personen fixierte eigene Schuhkollektionen anbot: Jimi Hendrix, The Who, Grateful Dead, AC/DC, Metallica. Und demnächst werden weitere bunt bedruckte Rock-Chucks in den Läden stehen. Zu Ehren von Blondie und The Clash kommen verschiedene

ndrix Jimi He

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Bier her, Bier her ...

Schlenkerla-Rauchbier aus dem Bamberg, oberfränkischen Tannenzäpfle (mit dem feschen Schwarzwald-Mädel auf dem Etikett) der badischen Staatsbrauerei Rothaus, Görlitzer Landskron-Bier, Herrenhäuser Pilsener aus Hannover oder Schwarzbräu aus Zusmarshausen – Bierdurst konnte in früheren Zeiten aufgrund der ungekühlt beschränkten Haltbarkeit von Gerstensaft nur von regionalen Erzeugern gestillt werden. So entstanden unzählige Kleinbrauereien, die ihr Bier in der eigenen Schankwirtschaft, als Lieferware oder bei zahlreichen weltlichen und kirchlichen Festen an Mann und Frau brachten. Selige Zeiten, als selbst 1000-Seelen-Dörfer eine Handvoll Hersteller vorweisen konnten!

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och Veränderungen ließen nicht lange auf sich warten. Mit der flächendeckenden Elektrifizierung und dem Einzug von Kühlaggregaten hatten die alten Eiskeller ausgedient, industriell organisierte Großbrauereien sorgten für den Nachschub, den Getränkemärkte und Lebensmittel-Discounter unter das durstige Volk brachten. Immer mehr der überwiegend von Inhabern geführten Brauereien konnten (oder wollten) diesem Trend nicht folgen, ein „Kleiner" nach dem anderen wurde von den Großen geschluckt. Oft wurden die beliebten alten Marken noch ein paar Jahre am Leben gehalten und wie sauer Bier (sic!) angeboten, um dann umso schneller in Vergessenheit zu geraten. Damit verschwand leider auch die Palette an regionalen Marken-Accessoires – von Bierdeckeln über Gläser und Krüge bis zu wunderschönen Wirtschaftsschildern und hauseigenen Brauereifahrzeugen.

alten Zeit" zu sehnen; nach einer Zeit, in der die Kneipe um die Ecke maximal "Export", "Pils" oder ein "Helles" einer Marke im Ausschank hatte und sich in den Supermarktregalen noch nicht Biersorten mit Apfel-, Kaktusfeige- oder Lemon-Geschmack und „Turbobier" mit Koffeinzusatz tummelten. Exemplarisch für diesen erfreulichen Trend steht die Stuttgarter Biermarke Wulle. Auf der Fachmesse „Intergastra" war Wulle Vollbier 2008 mit einem ordentlichen Plopp plötzlich wieder aufgetaucht. Und jetzt sieht man die Bügelflaschen mit dem unverkennbaren roten Logo immer öfter dort, wo sie über 100 Jahre lang dazu gehört hatten wie die Butter zum Brot: in Kneipen, Lokalen und Wirtschaften im Herzen des Schwabenländles und dessen Hauptstadt Stuttgart, auf Straßenfesten, Jahrmärkten und Privatfeten im Umland.

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o war es auch schon zu Zeiten des Brauereigründers Ernst Imanuel Wulle. Seit der fleißige Ur-Schwabe als Lehrling aus dem ländlichen

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hema durch? Nein! Seit ein paar Jahren scheinen sich viele Bierkonsumenten wieder nach der „guten Seite

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Nehren nach Stuttgart gekommen war und 1861 seine eigene Brauerei eröffnet hatte, war Wulle die Gastronomie-Biermarke schlechthin. Auch in anderen Landesteilen, wie zum Beispiel in Heilbronn, Aalen, Ulm oder Baden-Baden, wurde es ausgeschenkt. Doch wie so oft in dieser Branche fand die Erfolgsgeschichte lange nach dem Tod des ersten Braumeisters ein eher leises und plötzliches Ende.

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ach der Übernahme durch die Brauerei Dinkelacker 1971 gelangte die Marke in die Archive der heutigen Dinkelacker-Schwaben Bräu GmbH & Co. KG; dort schlummerte, gut gehütet, auch die Originalrezeptur. Ganz ohne Prunk – und als sei Wulle nie weg gewesen – präsentierte sich das Bier bei seiner Rückkehr: Quasi als Klassiker wiedergeboren, brauchte es dafür keine großformatigen Werbekampagnen, Das alte Wulle keine PromotionBrauereigelände in Stuttgart Shows oder GalaDinner-Veranstaltungen mit prominenten Gästen. Die Bier-Geschichte wurde einfach dort fortgeschrieben, wo sie geendet hatte. Das jüngste und zugleich älteste Bier der Stuttgarter Traditionsbrauer tritt auch nach außen so authentisch auf, wie es gebraut wird, nämlich nach Originalrezept. Völlig zeitlos, aber wahrscheinlich gerade darum bestechend schön ist auch die Produktausstattung wie Bierkästen und Flaschenetiketten: Sie tragen nichts als das Original-Logo mit dem Wulle-Braustern und entsprechen in der Ausführung weitgehend dem alten Erscheinungsbild. Eine derart in sich stimmige Marke, die großen Erfolg und eine weite Verbreitung in BadenWürttemberg hatte, muss nicht neu eingeführt werden. So fährt die Stuttgarter Brauerei heute ganz bewusst nur äußerst zurückhaltende Werbemaßnahmen; sie sind so gewählt, wie sie in Wulles „erstem Leben" ausgesehen haben könnten.

Fotos: Privatbrauerei Stuttgart

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önnte man den Brauereigründer von 1861, 861, Ernst Imanuel Wulle, heute auf ein Feierabendbier nach Stuttgart einladen – er würde nicht schlecht staunen, was er dort vorfindet: über der Theke ein Emailleschild mit seinem prägnanten runden Wulle-Logo, auf dem Tisch Wulle-Bierdeckel und ein Wulle-Zigarrenascher, im Ausschank Wulle-Vollbier, GoodTimes

wahlweise im bauchigen Wulle-Becher oder in der Bügelflasche serviert. Draußen vor der Tür parkt der knallrote Wulle-Bulli, der auch mal durch die Straßen Stuttgarts tuckert und die eine oder andere Party mit Bier versorgt – alles so, als sei Wulle nie verschwunden gewesen. Bierauslieferungen unternimmt stilecht ein Ford Transit von 1962 unter der Wulle-Flagge, bei Großveranstaltungen wird ein wunderschön restaurierter Mercedes-Lkw von 1957 eingesetzt. Bei gutem Wetter sieht man ab und an eine kleine Propellermaschine mit Wulle-Schleppbanner über der Stadt kreisen – und seit diesem Frühjahr rattert ein Schienenbus aus den 60er Jahren durch die Region, natürlich mit Wulle-Bier an Bord …

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n den angesagten Clubs und in der alternativen Szene der Region macht ein Slogan die Runde, den eigentlich nur noch die Elterngeneration kennen kann: "W i r w o llen Wulle" heißt es da, oftmals in kompletter Unkenntnis von Herkunft und Geschichte dieser Aus- bzw. Ansage. Die älteren Bierkenner sind von der Originalität begeistert. Für die Privatbrauerei Dinkelacker-Schwaben Bräu aus Stuttgart ist der Erfolg eine Bestätigung, nach schwierigen Jahren den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Denn auch hier scheint sich eine Trendwende abzuzeichnen: Nach mehreren Jahren als Teil des Weltbraukonzerns INBEV kaufte sich die Brauerei 2007 frei und ist heute wieder mehrheitlich im Besitz der Familie Dinkelacker. Die Privatbrauer sind der Überzeugung, dass sie langfristig nur mit der Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und mit einer starken regionalen Verankerung Erfolg haben.

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ie sich in den letzten zwei Jahren gezeigt hat, ist das wiedergeborene Wulle Vollbier in der Szene, in Gastronomie und Handel bereits fest positioniert, auch über Stuttgart hinaus. Eine kleine, regionale Geschichte, die Mut macht, sich nicht fatalistisch den Zwängen der viel zu oft bemühten Globalisierung zu ergeben. Vielfalt und regionale Eigenheiten sind wichtige Bausteine unseres täglichen Lebens, die man oft erst dann angemessen zu schätzen weiß, wenn sie nicht mehr da sind. Ulrich Schwartz

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u h t e e m h i e c ä ek b s h a ! c r d u D h m r t e s h c l ni a H n e d Alkohol und die Jahrzehntwende der 60er/70er

Von Uli Twelker

Am Anfang war das Bier. Gefühlt lässig lehnte ich während meiner ersten Karibik-Seefahrt im Juli 1968 an der Reling, als mein Kram in der Pantry erledigt war, und ließ mir ein Becks schmecken. Kaum zwei Schlucke durch den Hals bekommen, meckert mich der Käpt'n laut an: „In deinem Alter, schäm dich, mein Jung!" Wie jetzt? In meiner Clique zu Hause galt ich mit meinen 15 Jahren als Spätentwickler, und ausgerechnet hier bei den Saufziegen mit Kurs auf Kolumbien nicht mal ein kleines Helles? Am Tag drauf schickte mich der Funker in die Kapitänskammer: „Bring dem Alten mal dieses Telex." Als auf mein drittes Anklopfen keine Reaktion kam, öffnete ich: Der Kommandant im QuasiKoma, lallend! Da merkte ich – es musste noch mehr geben als Bier und Heuchelei.

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erbst '68 – „Uli, kommst du mit zu Adolf?" Im Comic hieße es jetzt „Zusammenzuck"! Was die NPD war, wusste und hasste ich schon. Aber nein, es ging um Pool-Billard in der Stadtschänke, und der Wirt hieß eben Adolf. Soll(te) vorkommen. Angesagtes Sportgetränk war „Koko" – Kola-Korn also. Schmeckte gar nicht mal sooo viel schlechter als Cola-Rum. Das kannten wir aus der "Bravo" als Studiostoff der Beatles, hatten es auf Klassenfeten getestet und dazu auch die Definition des Wortes Kater aufgespürt. Nochmal veredelt, konnte ich im Sommer darauf – erneut bei der Christlichen Seefahrt – in Santos auch weißen Bacardi-Rum kosten, wieder einmal mit „Verdünnung" genannter Cola. Als „Nachglüher" reichte man Cachache, einen sehr süßen, äußerst wirksamen Zuckerrohrschnaps. Wie der aus gestandenen Schiffsingenieuren Wracks machte, hätte mir kein TV-Spot der Welt besser beibringen können. Und so beobachtete ich bei einer der vielen Winterfeten 1969/1970 mit einem Gefühl von „Hätte ich dir vorher sagen können", wie ein liebeskummerlädierter Nachbarjunge zunächst eine Seite

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halbe Flasche Dimple aus Vaters Barschrank in zügigen Schlucken leerte und dann mit Toilettenschüssel im Arm mühsam zu sterben versuchte – der war wirklich fast geliefert, bis der erlösende Rückwärtsgang griff!

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leichzeitig wurde die Palette der Möglichkeiten größer. Bald kreiste beim Besuch diverser OpenAir-Festivals korbflaschenweise der Lambrusco. Bei einem sommerlichen Lagerfeuer 1970 glaubten wir die Wirkung dieses „Pennersonne" getauften, erstaunlich preiswerten KeltererWunders ganz gut abschätzen zu können, besonders wenn man gleichzeitig feste Nahrung zu sich nahm – in unserem Falle Kartoffel-Chips. An den späteren Abend erinnere ich mich nicht detailliert, wohl aber an den markerschütternden Aufschrei meiner Mutter am nächsten Morgen. Sie wollte mich zur Schule wecken, fand aber statt ihres ältesten Sohnes nur ein offensichtlich wie ein Schwein aufgeschlitztes stöhnendes Etwas vor: Ich hatte diese gesamte StärkeSalz-Fusel-Melange schlicht in Richtung weißer Bettdecke

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ausgekotzt. „To park a tiger" nannte der Brite das damals. Nur dass mein Tiger eben eher die Farbe des gemeinen Rotfuchses angenommen hatte, aus den ganz offensichtlichen Gründen.

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erienjob. Beschwerdestelle der Tageszeitung. Interessant: Man weiß schon, dass man gleich angemeckert wird, weil die "Neue Westfälische" mal wieder in irgendeinem Briefkasten fehlte. Konnte aber locker bleiben, weil man ja selber gar nicht geschlampt hatte. Aber so locker wie die Mädels der Abteilung? Hellhörig wurde ich, als die immer schon um neun kicherten, wo denn der Frühstückskakao bliebe. Ich reihte mich in die Bestellung ein – und, aha: Die hatten auch wieder Rum drin! Alles klar. So kam man entspannt durch den Reklamationstag.

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ivildienst. Bier, Wein, gar harte Sachen: Im Büro ist sowas natürlich tabu. Wer will da schon mit einer Fahne rumlaufen und einen Rüffel riskieren? Aber Sekretärin Gabi führte mich behutsam an edle VermouthTropfen heran, die ich bis anhin nur von dem Picon-Patron aus dem Werbefernsehen kannte: „„Dubonnet" hieß unser Gesöff. Schmeckte wie eine mittelpreisige Pralinenfüllung und wurde immer mal wieder „für zwischendurch" aus der Schublade geholt. „Ist ja egal, von was einem schlecht wird!", so hieß es damals stets achselzuckend.

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twa zur gleichen Zeit kam ich zum ersten Mal mit handgebrautem, britischem obergärigen Bier in Berührung, in etwa vergleichbar mit dem im Ruhrgebiet beheimateten, ebenfalls obergärigen Altbier. Ich wusste gleich, das bekäme ich jederzeit durch den Hals. Und so ist es bis heute geblieben, obwohl ich für diese doch eigentlich recht harmlose Leidenschaft fast einmal Prügel kassiert hätte. Auf Tour durch Niederbayern zum Besuch eines Ex-Klassenkameraden, der in München studierte, machten wir 1972 Rast in einem kleinen dörflichen Gasthof. Auf unsere arglose Frage „Haben Sie auch Altbier?", packte mich der zünftig lederbehoste Wirt mit Würgegriff am Kragen und knurrte „Wos hom's? Sagen's des noch amol! Wir hom hier nur a frisches Bier, hom's des jetzt?!"

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WENCKE MYHRE

Gummiboot Rolling Stones

&

Es sind einige Jahre seit Ihrer letzten Studioplatte vergangen ... Ja, es ist eine Weile her (lacht). Aber zwischendurch habe ich Konzertaufnahmen gemacht, mit Riesenorchester, es war fantastisch!

Sie haben vier Jahre an der neuen CD gearbeitet – warum so lange? Weil ich viel auf der Bühne war und außerdem nicht wusste, bei welcher Firma wir sie rausbringen sollten. Christoph Leis-Bendorff und Rudolf Müssig, der Texter und der Komponist, kamen zu mir und sagten: „Wir haben Lust, eine Platte mit Dir zu machen." Auf eigene Faust haben wir mal da, mal dort ein Lied aufgenommen, und nach drei Jahren merkten wir, dass wir fast ein Album hatten.

Die Platte klingt modern – und man fühlt Ihren Spaß an der Arbeit. Ja, den hatte ich! Sie ist auch rockiger geworden – das war das Schöne.

Bei den Texten klingt vieles autobiografisch – haben Sie Vorgaben gemacht? Ja, ein bisschen. Ein paar Hinweise sind von mir gekommen, aber es lag auch an den lokalen Gegebenheiten bei der Zusammenarbeit. Ich wohnte in Hamburg in der Nähe der beiden Autoren und während einer Session sogar beim Texter und seiner Frau. Man sitzt

Fotos: © Roelen/Bildarchiv Hallhuber

Die Norwegerin Wencke Myhre gehört seit über vier Jahrzehnten zum Inventar der deutschen Schlagerszene. Nicht nur wegen ihrer Attraktivität, ihres unbefangen-charmanten Plappermauls und ihrer häufigen TV-Präsenz wurde sie über Genregrenzen hinweg bei uns zur Sympathieträgerin und respektierten Showgröße – und das bis heute. Auch mit 63 Jahren ist sie nicht zu bremsen, wie sie gerade mit ihrem neuen Album EINGELIEBT – AUSGELIEBT demonstrierte, ihrem ersten Longplayer nach 16-jähriger Studio-Abstinenz (sieht man von der Orchester-CD VIVA LA DIVA 2002 mit Cover-Versionen ab). Fast parallel wurde ihre erste deutsche LP WENCKE MYHRE von 1966 neu aufgelegt – sie bietet eine reizvolle Vergleichsmöglichkeit zwischen dem naiven Erstling und dem späteren Werk einer gereiften Künstlerin. Dort die Klassiker "Er hat ein knallrotes Gummiboot", "Er steht im Tor" oder "Der Mann auf dem Zehnmarkschein", hier die neuen Songs "Papa lass mich los", "Neue Schuhe" oder "Es gibt sie noch, die guten Sachen". Das folgende Interview wurde geführt, bevor sich Wencke Myhre in Oslo einer Brustkrebs-OP unterziehen musste – klar: Sie wird kämpfen, wie schon oft in ihrer langen Karriere. zusammen und redet, kommt sich sehr nahe. "Ein Schuss zu viel" ist zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen entstanden, als wir darüber diskutierten, wie viel Würze rein sollte ...

Die Songs klingen wie eine Selbstbeschreibung, inklusive Älterwerden ... Genau! Das finde ich auch so schön bei diesen Sachen. Seit ich sieben, acht Jahre alt war und dann in meiner Pop-Zeit mit 16, 17 kamen immer Songs, die zu mir passten. "Gummiboot", "Er steht im Tor", diese plakativen Bilder, diese lustigen Dinger – und plötzlich, wenn man erwachsen wird, kommen nur Rückblicke. Darum hatte ich auch lange keine Lust, Platten zu machen. Denn was sollte ich da singen? Ich stehe mitten im Leben und schaue nach vorn. Und dann hatte Rudi Müssig diese Texte, mit denen ich mich wohlfühlte.

Es ist viel Augenzwinkern dabei, wie "Neue Schuhe", aber auch ein sehr berührender Song, "Papa lass mich los" ... Ich habe natürlich auch von meinem Papa erzählt, denn er war mein erster Manager, überhaupt mein einziger. Ich habe seitdem keinen mehr gehabt. Er ist früh gestorben, und dann musste ich alles übernehmen, Business, Familie. Ich musste das Ruder übernehmen. Schon lange wollte ich ihm einen Seite

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Song widmen, aber es kam nie einer. Als ich diesen Titel hörte, habe ich gesagt: „Das ist ein Song für Papa."

Sie waren immer aktiv, zogen vier Kinder auf, haben acht Enkel. Inzwischen neun!

Wie haben Sie das alles unter einen Hut gekriegt? Das kommt nicht von allein. Ich habe der Familie immer

Priorität gegeben, sie war das Wichtigste. Alles andere musste dazu passen. Ich habe vieles abgesagt, damit ich mich um die Familie kümmern konnte. Ich war nie lange weg, habe erst Tourneen gemacht, als die Kinder groß waren. Ich war höchsten vier, fünf Tage unterwegs, und da hatte ich meine Mama hier.


Haben Sie Ihre Kinder mitgenommen? Ja. Ich habe sie aus der Schule geholt und selbst unterrichtet, als ich in Schweden ein längeres Gastspiel hatte.

In "Komm zu Bett" greifen Sie ein eher ungewöhnliches Thema auf, gerade als ältere Interpretin ... Das Wort „älter" kommt nur von der Presse (lacht). Älter, das ist erwachsen. Man wird erwachsen, das heißt aber nicht älter oder pensioniert. Solange man gesund ist, ist das Alter eigentlich total unwichtig. Ich bin im Kopf viel mehr Rock'n'Roll als meine Kinder, ich habe manchmal viel verrücktere Ideen (lacht). Der Text ist nicht platt, sondern sehr frech und mit Klasse gemacht.

Viele Rockmusiker klagen, dass die Fans nur alte Hits hören wollen, nichts Neues akzeptieren ... Klar wollen die Leute die Hits hören, das ist bei mir aber auch so, wenn ich mich in diese Situation versetze. Gehe ich zu den Rolling Stones, dann will ich natürlich die populären Frech, Nummern hören. Aber charmant und meine eigenen Fans witzig: sind auch offen für Wencke Myhre neue Sachen. (nicht nur) in jungen

1968 sangen Sie beim Eurovision Song Contest für Deutschland "Ein Hoch der Liebe".

Jahren

Ich habe tolle Erinnerungen daran! Das war bis dahin der größte Auftritt, den ich hatte, mit Riesenorchester, vielen Ländern und LiveFernsehen. Es war sehr beeindruckend. Ich hatte ja schon sehr viele Dinge gemacht, aber als Einzelkonzert war das schon umwerfend.

Sie hatten vorher zweimal an der Vorausscheidung in Norwegen teilgenommen, wurden dabei einmal Zweite, einmal Dritte ...

Foto: © Bjørn Opsahl/Universal Music

Ja, ich habe nie gewonnen. Ich war auch letztes Jahr dabei, weil ich finde, dass man

den Eurovision Song Contest gut bewahren sollte. Wir erwachsenen Künstler stehen da in der Pflicht: Man muss zeigen, dass es nicht nur um die Nummer eins geht – das betrifft eher die jungen Leute. Die anderen müssen einfach mitmachen, damit es eine wunderschöne Party wird. Für mich als junges Mädchen war es ein Sprungbrett – und es ist noch immer eine Chance für die Jungen.

An Ihrer Teilnahme für Deutschland war Horst Jankowski beteiligt? Horst Jankowski, ja. Er hatte das Lied geschrieben, arrangiert und dirigiert. Er war ein fantastischer Komponist und Arrangeur, ein lieber, verrückter, schöner Mensch (lacht). Dass er da für mich dieses Lied geschrieben hat – das war seine Entscheidung.

Und es hat Ihnen hier weitere Türen geöffnet ... Ja, es war ja auch ein großer Hit in Deutschland. Philipp Roser

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Kult­HiFi

der 70er

und

KLANG NAMEN

Was als spinnerte Jagd nach hoher Klangtreue begann, wurde in den 70ern zum Volks-Hobby. Die High Fidelity eroberte die deutschen Wohnstuben – und wir Jungs träumten uns in immer höhere KlangGefilde. Von Lothar Brandt können Experten doch irren! Die MarketingWieVerantwortlichen der Firma Sennheiser prophezeiten

ihrem neuen Kopfhörer im Frühjahr 1968 wegen „mangelnden Vorzeige-Effekts" maximal 500 verkaufte Exemplare. Das erinnert ein wenig an die fatale Fehleinschätzung jenes Decca-Managers, der eine vierköpfige Truppe aus Liverpool für seine Plattenfirma ablehnte, weil Gitarrenbands keine Chance hätten. Nur dass die Jungs dann der Konkurrenz EMI unter dem Namen The Beatles Milliardenumsätze bescherten, während sich beim Traditionsunternehmen aus Hannover ein hellhöriges Management gegen die Experten durchsetzte. Und so kam der erste offene Kopfhörer unter dem etwas uncoolen Namen HD 414 auf den Markt. Ende 1969 hatte der zunächst mit blauen, dann mit kanariengelben Polstern versehene Ohrbespaßer bereits 100.000 Käufer gefunden, die erste Million war 1974 geschafft; und 1981 durfte er sich mit rund zehn Millionen Abnehmern als eines der erfolgreichsten HiFi-Produkte aller Zeiten verabschieden. war in den frühen 70ern wirklich All-gegenwärtig Der(dieMillionseller Nasa bugsierte ihn 1973 in den Weltraum!). Es gibt wohl kaum Seite

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einen "kult"-Leser, der ihn nicht selbst mal auf den Ohren hatte oder zumindest einen Menschen kennt, der ihn besaß. In zahllosen Plattenläden baumelte er zudem von den Abhörstationen, so dass der HD 414 (oder seine Ein-Ohr-Version HD 412) bei der musikalischen Sozialisation der „Generation 45 plus" gehörig mitgespielt hat. Gegenüber den damals sonst üblichen Kopfschraubstöcken, die die Ohren unter Luftabschluss buchstäblich zum Glühen brachten, bedeutete der offene Sennheiser auch gewaltigen Komfortgewinn. Das Wichtigste: Mit 69 D-Mark (etwa 35 Euro, nach heutiger Kaufkraft etwa 120 Euro), soviel berappte jedenfalls der Autor, war der Cabrio-Hörer Thorens TD 126, noch gerade so Taschen1975 (850 D-Mark) bzw. Konfirmationsgeld-

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Papa einen Thorens-Plattenspieler, eine Braun-Anlage, eine knopfübersäte japanische HiFi-Kette oder – Spitzenreiter beim Namedropping – eine RevoxBandmaschine zur Nutzung freigegeben oder gar dem Filius spendiert hatte.

kompatibel. In der Klangqualität auch nur ansatzweise vergleichbare Lautsprecher kosteten ein Vielfaches. Auch dank des poppigen Hörers aus Hannover wurde die High Fidelity in Deutschland zum erschwinglichen Volks-Hobby.

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UMaschinen zusammen – die Bilder auf diesen Seiten

Dual 1228

nd wir träumten! Stellten uns im Kopf die tollsten

igh Fidelity, abgekürzt HiFi und in Deutschland gern auch zu „Haivai" verballhornt, begann zaghaft um 1948 948 in den USA, als dort die Plattenfirma Columbia die Langspielplatte aus Polyvinylchlorid gegen die rauschende, knisternde und auf wenige Minuten Spielzeit beschränkte SchellackScheibe in Rotation brachte. Das Equipment war teuer, das Musikangebot klein – und auch als 1958 1958 Konkurrent RCA seine 1954 begonnenen kommerziellen Drei- und Zweikanalproduktionen von klassischer Musik auf Stereo-Langspielplatten presste, blieb das heimische high-fidele Abhören lange Zeit einer wohlbeRevox A 77, tuchten, klassisch gesinnten Klientel 1450 D-Mark, 1967 vorbehalten. Der Normalbürger hielt die Jagd nach möglichst ungetrübter Klangtreue für das exzentrische Streben einer elitären Minderheit, das gute alte Dampfradio machte schließlich auch schöne Musik. 60ern klebte auch das jugendInlichedendeutsche Pop-Publikum vorwie-

zeigen einige Objekte unserer Begierde. „Die" Revox A 77, später B 77 aus der Schweiz, Inbegriff unverwüstlicher Mechanik und präziser Elektronik. McIntoshVerstärker aus den USA – da glimmen die Augen noch heute mit den eingebauten Röhren um die Wette. Endstufen der japanischen Nobelmarke Accuphase – zeitlos edel und unkaputtbar. SuperPlattenspieler aus Deutschland (Transrotor), England (Garrard) oder Röhrenendstufe McIntosh C 275, Ende 1973 Schottland (Linn) – Eyecatcher mit klangvollen Namen, die bis heute, falls in Betrieb, nicht nur Nostalgiker in ihren Bann ziehen. befeuerten die Dabei Medien unsere Träume

zunächst gar nicht so sehr. Reciever McIntosh MAC 1900 Lange gab es als Zeitschrift im Grunde nur die altehrwürdige "HiFi Stereophonie", grafisch in etwa gend vor monophonen Rillenfräsern so spannend wie der Lattenzaun um Nachbars Garten und inhaltlich à la „Mr. Hit", die Beatles etwa verso leicht verdaulich wie Kants „Kritik der reinen Vernunft". Legendär öffentlichten ihre Longplayer bis zum Revox B 77, 1978 auch die Plattenrezensionen, bei denen Klassik ganz oben WHITE ALBUM selbstverständlich auch rangierte, Jazz gerade geduldet in Mono. Doch spätestens mit SGT. PEPPER hatten auch die Fab und selbst die größFour ihre Freude an den dank moderner Studiotechnik immer ten Rock-Meilensteine lustigeren Stereo-Effekten, Jimi Hendrix reizte sie schon 1968 regelmäßig abgewatscht auf ELECTRIC LADYLAND wirkungsvoll aus. Langsam, aber gewalwurden. Doch in Sachen tig setzte sich Stereo durch, die japanische Invasion bescherte HiFi waren das Blatt dem deutschen Markt für Unterhaltungselektronik endlich auch und sein langjähriger für Normalverdiener bezahlbare Preise. Die deutschen Hersteller Cheredakteur Karl konnten noch mitziehen, eine ganze Phalanx von Marken rüstete Endstufe Breh unangefochte- Accuphase P300, ihre Musiktruhen zu Hifi-Komplettanlagen um oder spaltete gar ab 1973 ne, fast kultisch verdas Equipment in Einzelbausteine auf. Tuner, Vor-End-Verstärker, ehrte Autorität, mehr noch als die seit 1973 etwas Frischluft brinPlattenspieler, Lautsprecher, Tonbandmaschine, Cassettenrecorder – die musikversessene, weitgehend männliche Jugend machgende Monatszeitschrift "Stereo". 1978 kamen dann te sich das Vokabular schnell zu eigen, begann das mit "Audio" und etwas später "Stereoplay" (in Fachchinesisch aus Frequenzgängen, Klirrfaktoren, ihr ging später die "HiFi Stereophonie" auf) die Magnetsystemen, RIAA-Entzerrungen wiederzukäuPostillen, die der Faszination HiFi mit schönen en. Das HiFi-Virus grassierte. Und statt heutiger Bildern und flotter Schreibe richtig Auftrieb Downloads, Software, Snowboards oder Bikes gaben. Wir indes pilgerten unterdessen beherrschten Watt, Hertz oder Dezibel die Schulhof-Diskussionen – neben den ewigen regelmäßig zu den Händlern, wo exotiThemen Fußball, Musik und Mädels. sche, exorbitant teure Preziosen unsere Linn LP 12, 1972 Fantasien beflügelten. Die Nachsichtigen und Langmütigen unter den Dealern fachsimpelten mit uns, führten it Tonabnehmern von Shure – M 75 für den Einstieg, M 95 für uns die – natürlich auf ewig unerreichbaren – Schätze sogar ab gehobene Ansprüche oder V 15 Typ III für die Wow!-Klasse und an vor, ließen uns gar Hand anlegen. Noch heute meine – oder Plattenspielern von Dual vom 1219 bis hin zum direktgeich manch satt rastenden Schalter zu spüren, triebenen 704 arbeiteten wir uns bei den real das männlich-herbe „Klock" zu hören oder das existierenden Jugendzimmer-Anlagen höher und betörend sanfte Gleiten eines Abstimm-Knopfes höher. Das kostete eine Stange Geld zu fühlen. Was um Himmels willen hatten diese und musste von den meisten hart erarDinger, was heutige Geräte nicht mehr oder nur beitet oder erspart werden. Neidvoll noch selten haben?! Was macht die bewusst im schauten wir deshalb auf – zu älteSeventies Look And Feel gehaltene, aktuelle ren Brüdern oder Kumpels, die Stereo-Komponenten-Serie von Yamaha so dank eigenen Einkommens erfolgreich? Warum erzielen Kultobjekte wie schon eine Evolutionsstufe weiTransrotor AC zum Beispiel ein Plattenspieler Thorens TD 126 ter waren. Oder wo der Herr Shure V 15

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oder ein Receiver (Tuner + Verstärker) ngebrochener Beliebtheit erfreut sich ein Tandberg TR 2075 solche Preise auf dem kleiner Pfiffikus aus England. Rogers fertigte seit 1974, zunächst als Abhör-Monitor Gebrauchtmarkt? Bestimmt ist in für die BBC, die LS 3/5 A. Der schnuckeerster Linie Nostalgie dafür verlige, gerade mal LP-hohe Zwerg verzichteantwortlich, man will sich ein Stück seiner Jugend bzw. ihrer te auf hohen Schalldruck und tiefe Bässe, Begleiter zurückholen. Aber klang ansonsten aber vorbildlich ausgewogen. nicht minder ausschlaggebend: Zu Recht gilt er als Urahn aller audiophilen Diese Zeugnisse einer andeKleinlautsprecher. Andere Firmen wie Chartwell, Rogers ren Zeit repräsentieren eine Spendor, Harbeth oder KEF stiegen auf das Grundig LS 3/5A, 1974 Wertigkeit und Beständigkeit, Konzept mit 110-Millimeter-Tiefmitteltöner Kugellautsprecher die den meisten heutigen Produkten der plus 19-Millimeter-Hochtonkalotte ein immer schnelllebigeren Unterhaltungselektronik einfach abgeht. und boten gleichfalls LS 3/5A an, in Die Erfahrung lehrt zudem, dass diese einst hoch- und Deutschland meist um 500 Mark gehanhöchstwertigen Gerätschaften sich bis heute nicht vor ihren delt. Ein Dauerbrenner bis weit in die 90er. Nachfahren verstecken müssen, was ihre klanglichen und techninzählige Lautsprecher-Hersteller und -Modelle schossen in den 70ern wie schen Qualitäten angeht. Und Pilze aus dem Boden und wurden von selbst die Normalos unter den einem zunehmend gnadenlosen, preisKultgeräten müssen sich nicht und qualitätsbewussten Markt hinwegAsche auf die Schaltkreise streugefegt. Nordmende, Scott, Telefunken, en. Der zu Recht berühmte NAD Yamaha NS 1000, 1975 Fisher, Saba, Sansui, Uher, Eumig, Wega, Tandberg 3020, mit einem Einstandspreis TR 2075, 1975, 2200 Mark von knapp 400 Mark seit 1978 ASC, Hitachi, Luxman, Tandberg, Sanyo, lange der Maßstab für alle Superscope, Micro Seiki, Toshiba, Akai, Aiwa: Sie alle bauten in den preiswerten Vollverstärker, klingt noch heute wirklich akzepta70ern HiFi-Türme oder fertigten wunderschöne Bausteine dazu. bel, wenn man Verschleißteile wie die austrocknungsgefährdeten Und traten später mehr oder weniger sang- und klanglos Netzteil-Elkos pflegt. aus der WohlklangBranche ab. Ob es ur bei Lautsprechern, die Besten waren, das müssen die überlebten – selbst hartnäckilassen wir das mal ge Gestrige zugeCassettenrecorder dahingestellt. Falls ben, hat sich enorm Vollverstärker Eumig FI 100 µP, 1978 den einen oder NAD 3020, 1978 viel getan. Nichts anderen "kult"Revolutionäres, denn Leser wohlig-wehdas für weit über 90 Prozent aller Töner geltende Prinzip mütige Erinnerungen des so genannten elektrodynamischen Wandlers ist älter als heimsuchten beim die High Fidelity. Doch von ganz wenigen Ausnahmen abgeBetrachten dieser sehen, klingen insbesondere die großvolumigen Altvorderen Seiten: Besorgen Sie für heutige Ohren schlapp, aufgedunsen, mumpfig – alt sich doch mal eine eben. Oder sie pfeifen dem Hörer völlig überzogene Höhen Elcaset-Recorder Wega E 4950 aktuelle HiFi- oder um die Ohren. Dieser spektakuläre, auf Dauer aber nervige Highend-Zeitschrift! Sie Sound wehte insbesondere aus Richtung Taunus – im südheswerden staunen, wie viel sischen Mittelgebirge werkelten etliche der damals tonangeKlang man inzwischen benden deutschen Lautsprecher-Hersteller. Weshalb die schrille für vergleichsAbstimmung auch als Beveridge wenig „Taunus-Sound" „Taunus-Sound" in die Elektrostaten, 20.000 weise Geld bekommt HiFi-Geschichte einD-Mark, 1978 und von welging. Beliebt war auch chen Giganten man heute die „Badewanne" – neben den Tuner Sequerra, noch träumen darf. Sie lebt, Höhen wurden auch die Bässe 1974, 2500 Dollar die High Fidelity! Ob sie aber kräftig angehoben. Wenn man je wieder so lebendig, so dann am Verstärker Uher Report 4400, 1970 die damals verbreiwagemutig, so vielfältete „Loudness"-Taste drückte, die gleichfalls den tig, so naiv, so anmaFrequenzgang an den Enden lupfte, bekam man vor ßend, so drollig und lauter Dröhnen und Zischen gar nichts mehr von der so faszinierend sein Musik mit. wird wie in den 70ern Doch natürlich erlangten auch Boxen aus den 70ern – da wagen wir mal K+H FM 2002, Wieschhoff Kultstatus. Wie etwa die kugelrunden Audiorama, mit lieber keine Voraussage. FM 3003, 1976/86 denen Grundig seinerzeit rundum abstrahlend für Furore Auch Experten können schließlich irren … sorgte. Zwar boten auch andere Hersteller diese eckenCanton Gamma lose Gehäuseform an, doch nachhaltigen Erfolg hatten 800 R Reciever, 1977 nur die in mehreren Größen anrollenden Kugeln Lothar Brandt, Jahrgang 1961, spielte in früher Jugend ein bisschen Geige und stieg dann aus Fürth. Und zwar so nachhaltig, dass sich aufs Schlagzeug um, das er für mehrere Lokaldie ehemals deutschen Unterhaltungs-Pioniere Bands quälte. HiFi-Fan und Plattenkäufer seit 2008 unter türkischer Leitung entschlossen, die dem ersten Taschengeld. Journalist seit 1986. Audiorama in leicht abgeflachter Form wieder Lange Redakteur, heute Chefredakteur der Saba 9241 HiFi- und Musikzeitschrift "Audio". aufleben zu lassen. Digital Reciever, 1978

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O R I G I N A L E

Die Original-Alben aus den Universal-Archiven - digital remastert e r s t m a l s ko m p l e t t a u f C D u n d a l s D o w n l o a d !

(1964) – 06007 5328203

ROY BLACK Grün ist die Heide (1973) – 06025 2740292

WENCKE MYHRE Wencke Myhre (1966) – 06025 2740278

VICKY LEANDROS Vicky und ihre Hits (1969) – 06025 2740252

MARIANNE ROSENBERG Und die Liebe, sie kam (1979) – 06025 2740152

MARIANNE ROSENBERG Flüsterndes Gras (1978) – 06025 2740150

DALIAH LAVI Daliah Lavi (1971) – 06025 2727735

DALIAH LAVI Willst du mit mir geh‘n (1971) – 06025 2727734

DALIAH LAVI Liebeslied jener Sommernacht (1970) – 06025 2727733

ALEXANDRA Sehnsucht - Ein Portrait in Musik (1969) – 06025 2724745

ALEXANDRA Alexandra (1968) – 06025 2724744

ALEXANDRA Premiere mit Alexandra (1967) – 06025 2724743

PETER ALEXANDER

KAREL GOTT Weihnachten in der goldenen Stadt (1969) – 06025 2746103

CONNIE FRANCIS Connie Francis sings German Favorites

Schöne Weihnacht mit Peter Alexander

(1965) – 06025 2746084


n e h c d ä Schulm Rep o r t

Was kult!-Leser unbedingt wissen sollten ... Das sind wir, die Mädchen von heute, wir sind neugierig, und wir sind " ehrlich zu uns selbst, dort wo ihr, die Erwachsenen, zu viel gelogen habt ...", so die unschuldig klingende Erklärung eines Teenies aus dem Off. Dazu unbeschwerte Filmsequenzen von hübschen Mädchen und jungen Liebespaaren. Zwischen den Wortpausen werden flippige Popsounds mit Querflöten und FarfisaOrgel eingespielt. Mit "Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten" begann eine ganze Reihe von Pseudo-Aufklärungsfilmen der 70er Jahre, die nicht nur Altherrenfantasien anregten. Denn die schlüpfrigen Streifen lockten bis Anfang der 80er Jahre weltweit über 100 Millionen Zuschauer in die Kinos. Die kommerziell erfolgreichsten Sexfilm-Produktionen Deutschlands wurden mit drei Goldenen Leinwänden ausgezeichnet ...

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as war die Geschäftsidee meines Lebens!", schwärmte Filmproduzent Wolf C. Hartwig noch Jahre später euphorisch von seiner Entdeckung in den späten 60er Jahren, als er zufällig auf die Studie des Psychologen Günther Hunold „ stieß. Dem "Schulmädchen-Report" lagen demnach Interviews mit 36 Schülerinnen aus Gymnasien und Realschulen im Alter von 14 bis 20 Jahren zugrunde. Die nicht protokollierten und archivierten Gespräche, die Hunold 1969 in München geführt hatte, enthielten zahlreiche sexuelle Details, was später die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Unzucht mit Minderjährigen auf den Plan rief. Sie verdonnerte den Verfasser prompt zu 500 DM Strafe, weil Hunold die Aussage verweigerte, um die Anonymität einer Interviewpartnerin zu wahren. Ähnlich wie in den amerikanischen Kinsey- und Masters/Johnson-Reports in den 50er Jahren wollte Günther Hunold die Sexualität der Deutschen untersuchen. Schwerpunkt seiner Untersuchungen war allerdings das Sexualleben pubertierender Schülerinnen. Hunolds Werk landete auf den BestsellerSeite

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Listen. Der studierte Psychologe und Musikpädagoge, der 1952 die DDR verlassen hatte, begann nun eine steile Karriere. Seit 1963 beschäftigte er sich mit Verhaltensforschung und Sexualwissenschaft. Zu dieser Zeit begann er, die Ergebnisse seiner Studien in Zeitschriften zu veröffentlichen. Aber erst mit dem Einsetzen der Sexwelle wurde Hunold durch sein Buch "Schulmädchen-Report" weithin bekannt. Als Produzent Hartwig das Skandal-Buch in die Finger bekam, zögerte er nicht lange, bot Hunold 30.000 DM für die Rechte und startete sofort mit den Dreharbeiten. Seine Münchner Firma Rapid-Film GmbH produzierte von 1970 bis 1980 13 Folgen der „Tatsachen-Berichte", wie es in den Trailern hieß. Den Verleih übernahm die Constantin Film GmbH, die sich mit Edgar-Wallace- und Karl-May-Filmen in den 60ern einen großen Namen gemacht hatte. Ende des Jahrzehnts jedoch sanken die Besucherund Umsatzzahlen, die "SchulmädchenReports" erwiesen sich als die Rettung.

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insgesamt 13 SchulmädchenReporte. Zwar sank die Resonanz mit der Zeit, doch selbst Teil 13 wollten noch über eine Million Besucher sehen. Die Sexwelle der frühen 70er Jahre kam für viele Produzenten, Filmemacher und Drehbuchautoren sprichwörtlich als Rettung in letzter Minute. Denn die großen Kino-Erfolge der jüngeren Vergangenheit waren längst vergessen, und Italo-Western dominierten. Durch die Sexwelle erhielten (damals) junge Schauspieler wie Friedrich von Thun, Jutta Speidel, Ingrid Steeger, Sascha Hehn und Heiner Lauterbach eine Einstiegsmöglichkeit ins Filmgeschäft. Der Plot der Produktionen war meist einfach und billig: Ein verständnisvoller Reporter (in den ersten Folgen verkörpert von Friedrich von Thun) interviewte naive und frustrierte Mädchen auf der Straße, die meist aus einem zerrütteten

Als Regisseur für die ersten acht Teile und Folge 11 wurde der Wiener Ernst Hofbauer engagiert, der in den 50ern und frühen 60ern durch Heimat- und Unterhaltungsfilme bekannt geworden war. Sein Assistent Walter Boos führte Regie bei den Folgen 9, 10, 12 und 13. Für den Soundtrack zeichnete der berühmte Film- und Fernsehkomponist Gert Wilden verantwortlich. Am 23. Oktober 1970 kam "SchulmädchenReport: Was Eltern nicht für möglich halten" in die deutschen Kinos. Der in wenigen Tagen für nur 220.000 Mark gedrehte Film lockte über sechs Millionen Zuschauer an. Eine

ungeheure Zahl, die Hartwig veranlasste, unverzüglich eine Fortsetzung zu drehen. Schon ein halbes Jahr später war "Der neue Schulmädchen-Report. 2. Teil: Was Eltern den Schlaf raubt" fertig und wurde ebenso erfolgreich. Bis 1980 entstanden bei der Rapid-Film GmbH GoodTimes

Elternhaus stammten. Schon nach wenigen Sätzen erzählten die Schülerinnen dann pikante Geschichten über ihre (angeblichen) Liebschaften mit Lehrern oder Gleichaltrigen. Der Erzählung folgte meist die szenische Darstellung. Die Drehzeit betrug durchschnittlich 18 Tage pro Folge. Um einen schnellen und professionellen Filmschnitt zu bekommen, ließ Wolf C. Hartwig fast den kompletten "SchulmädchenReport" stumm drehen und nachsynchronisieren. Als „seriös" konnte man das Ganze wohl kaum 1/2011

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bezeichnen, die Produktionen gingen eher in Richtung pornografischer Filme, die damals in Deutschland noch verboten waren. Die FSK hatte Probleme mit Hartwigs Werken, sie gab die Filme erst ab 18 Jahren (später ab 16) frei. Noch heute sind die ersten Teile in Deutschland nur in gekürzten Fassungen erhältlich.

Wer d i e u n g e schnittenen „nackten Tatsachen" sehen möchte, muss sich seine DVDs in Österreich bestellen.

Bilder: © Kinowelt

Die Grenzen des Sexgenres scheinen heute klarer gezogen zu sein, während sie in den 70er Jahren oftmals noch fließend waren. FKK-Magazine mit kleinen Mädchen und dickbäuchigen Herren konnten am Bahnhofskiosk ganz legal gekauft werden. Die so genannten 68er diskutierten über die Liebe zwischen Erwachsenen und Minderjährigen. Erst später wurde sich die Gesellschaft über diesen Irrweg der „Aufklärung" bewusst. Aus heutiger Sicht ist der Kult um Hartwigs "Schulmädchen-Report" darum nur schwer zu verstehen: hier unfreiwillig naive Komik, dort Lolita-Sex mit reifen Herren. Auch die Erklärungsversuche des Produzenten in einem Interview (Annette Miersch: "Schulmädchen-Report", S. 1 168) 68) wirken eher verstörend: „Sie glauben nicht, wie

Alle 13 Teile auf einen Blick: 1970 Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten 1970 Der neue Schulmädchen-Report. 2. Teil: Was Eltern den Schlaf raubt 1971 Schulmädchen-Report. 3. Teil: Was Eltern nicht mal ahnen 1972 Schulmädchen-Report. 4. Teil: Was Eltern oft verzweifeln lässt 1973 Schulmädchen-Report. 5. Teil: Was Eltern wirklich wissen sollten 1973 Schulmädchen-Report. 6. Teil: Was Eltern gern vertuschen möchten 1974 Schulmädchen-Report. 7. Teil: Doch das Herz muss dabei sein 1974 Schulmädchen-Report. 8. Teil: Was Eltern nie erfahren dürfen 1975 Schulmädchen-Report. 9. Teil: Reifeprüfung vor dem Abitur 1975 Schulmädchen-Report. 10. Teil: Irgendwann fängt jede an 1977 Schulmädchen-Report. 11. Teil: Probieren geht über Studieren 1978 Schulmädchen-Report. 12. Teil: Junge Mädchen brauchen Liebe 1980 Schulmädchen-Report. 13. Teil: Vergiss beim Sex die Liebe nicht Schulmädchen-Report Edition Freigegeben ab 18 Jahren; Kinowelt GmbH; 2007; Bestellnummer: 501856, EAN 4006680042053. 14 DVDs, gekürzte Fassung Seite

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viel Interesse besteht bei Männern älterer Jahrgänge, reifen Alters ... Also im reiferen Alter besteht an den sexuellen Tätigkeiten von Schulmädchen, nämlich von unreifen, jungen Dingern, das glauben Sie nicht, ein großes Interesse. Das ist einer der Haupterfolgsgründe ..." Immer wieder versuchte Wolf C. Hartwig, seine Filme zu rechtfertigen, indem er den „wissenschaftlichen Aspekt der Dokumentation" in den Vordergrund stellte. Vorbilder seien für ihn amerikanische Gerichtsfilme gewesen, die stets Rückblenden zu laufenden Verhandlungen lieferten. Darüber hinaus seien für seine Aufklärungsfilme speziell die Naivität und Ausstrahlung seiner Hauptdarsteller wichtig gewesen, die – im Zusammenspiel mit den Reportern – den halbdokumentarischen Stil ausmachten. Ohne es zu wissen, legte Wolf C. Hartwig damit den Grundstein für viele spätere Dokumentationen im populärwissenschaftlichen Bereich: Nicht selten werden stumme Filme von geschichtlichen Ereignissen nachträglich mit Musik und Ton unterlegt, zwecks genauerer Veranschaulichung werden nicht vorhandene Segmente einfach nachgedreht. Tatsächlich hatte sich Wolf C. Hartwig seit den 50er Jahren auch mit Geschichtsdokumentationen beschäftigt. Bereits 1953 drehte er "Adolf Hitler – Ein Volk, ein Reich, ein Führer: Dokumente der Zeitgeschichte". 30 Jahre vor den angeblichen "Hitler-Tagebüchern" erkannte er die Brisanz und den medialen Marktwert des Dritten Reichs. Es folgte eine ganze Reihe solcher Produktionen, bevor er sich Ende der 50er Jahre den weiblichen Bedürfnissen in "Liebe, wie die Frau sie wünscht" (1957) widmete. Als Hartwig 1970 dann den "Schulmädchen-Report" produzierte, wusste er genau, welche Mittel er einsetzen musste, um aus Hunolds Buch einen Kassenschlager zu machen. Mit dem 13. Teil des "Schulmädchen-Reports" endete seine Sexfilm-Reihe. Ins Pornogeschäft wollte er indes nie wechseln, das sei ihm „zu ordinär" gewesen. Vor rund 20 Jahren erlitt Hartwig einen schweren Herzinfarkt und zog sich aus dem Filmgeschäft zurück. Seine Rechte am "Schulmädchen-Report" verkaufte er an den damaligen Medien-Zaren Leo Kirch. Seit 1992 waren alle 13 Teile bereits mehrfach im TV zu sehen. Dank seiner Urheberrechte erhält Hartwig nach wie vor für jede Ausstrahlung rund 15.000 Euro.

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e lose Weite des Landes erleben, sein end die n, me neh t Zei sich en, ahr Einfach losf g verklärten s auf dem Weg zu einem sehnsüchti Einwohner kennen lernen … Das alle heißt, gar ein El Dorado" sein könnte. So etwas ver " großes Ort, der einen ganz besonderen Kick Außerdem braucht man ein möglichst ad. torr Mo dem mit ten bes am n ma e. macht ürlich ein, zwei gleichgesinnte Freund Land und ausreichend Bargeld. Und nat

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Fotos: Bildarchiv Hallhuber

u diesem Thema existieren unzähund Hopper greifen den progressiven Zeitgeist auf, setzen sich damit lige „Road Movies" (ein Subvom hinterher hinkenden Mainstream zwar genügend ab, überfordern Genre des Abenteuerfilms), die aber auch das Massenpublikum nicht. Die Bild-Musik-Verquickung hat seither Schule gemacht; sie ist heute ein selbstverständliches den Traum vom ungebundenen Leben Ausdrucksmittel. im Dauerfortbewegungszustand romanWyatt (Peter Fonda) und Billy (Dennis Hopper), zwei junge tisieren. Aber keiner dieser Filme ist Amerikaner, sind die Helden des Films, der nichts über ihr bisheriges vergleichbar mit "Easy Rider". Denn Leben erzählt. Es werden keine Porträts von ihnen gezeichnet, sondern um zum Kultstreifen zu avancieren, bedarf es vor allem einer auf den Punkt gebrachten philosophischen Aussage, nur Profile, die aber völlig genügen. Wyatt und Billy die einerseits so allgemeingültig ist, dass sie nur breite wollen ihr eigener Herr sein. Also kaufen sie auf einem Zustimmung finden kann, die andererseits aber auch kommexikanischen Schrottplatz Kokain, schmuggeln es in promisslos formuliert wird. die USA, verkaufen es weiter (an "Connection", gespielt "Easy Rider" funktioniert, weil es den Drehbuchautoren von Phil Spector). Sie verstecken das Geld im Tank ihrer Peter Fonda und dem im Mai 2010 verstorbenen Dennis umgebauten Harley Davidsons und brechen von Los Angeles auf nach New Orleans; sie wollen zum Mardi Hopper, der auch Regie führte, gelingt, den ActionGras. Es ist 1969; die beiden sind langhaarige, Marihuana betonten „Motorradrocker-Film" auf eine neue Ebene rauchende Hippies, betont bürgerfern gekleidet in dunkzu hieven. Es geht vor allem um die Erkenntnis, dass das les, flaggengeschmücktes Leder (Wyatt, der sich nach Reden über Freiheit nicht dasselbe ist, wie tatsächlich einer Comicfigur aus den 40er Jahren Captain America frei zu sein. Der uramerikanische Freiheitstraum wird Dennis Hopper nennt) bzw. braune Fransenjacke und Cowboyhut (Billy, anhand einer Handlung kritisch thematisiert, die nur bei der Westernlegende Billy The Kid nachempfunden). Auf oberflächlicher Betrachtung nicht allzu komplex ist. Bei der Fahrt durch eine atemberaubende Landschaft unter exaktem Hinsehen ergibt sich das ziemlich vollständige einem in psychedelisch anmutenden Farben leuchtenden Bild eines alternativen Entwurfs zum offiziellen „American Himmel nehmen sie einen Tramper (Luke Askew) mit, der Way of Life". Die Spießbürgerlichkeit von Leuten, die nur sie zu seiner aus Stadtflüchtlingen bestehenden Hippiezu gern von Freiheit reden, aber empfindlich bis bösartig Kommune bringt. Diese versucht mühsam, mit einem reagieren, wenn sie diese bei anderen konkret erleben, Freilichttheater und eigenem Säen und Ernten mögwird präzise dargestellt. Hopper und Fonda bedienen sich lichst autark über die Runden zu kommen. Wyatt und dafür einer intensiven Bildsprache, die mit relativ wenigen Billy nehmen gern die gebotene Gelegenheit wahr, mit Dialogen auskommt. An deren Stelle tritt, quasi als nonzwei Frauen (in einer übrigens sehr züchtig gedrehten verbales Kommunikationsmittel, die geniale Verzahnung Peter Fonda Sequenz!) nackt zu baden. von Bild und Musik, die in diesem Fall von Steppenwolf ("Born To Der nächste Stopp ist eine Südstaaten-Kleinstadt, in der sie wegen Be Wild", "The Pusher"), den Byrds ("Wasn’t Born To Follow"), Roger McGuinn ("Ballad Of Easy Rider"), Jimi Hendrix ("If Six Was Nine"), The „unerlaubter Teilnahme an einer Parade" im Knast landen. Dort lernen Fraternity Of Man ("Don’t Bogart Me") und anderen stammt. Fonda sie den Mithäftling George Hanson (Jack Nicholson) kennen, einen Seite

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n io t a r e n e G r e in e m u a r t Freiheits


Foto: Bildarchiv Hallhuber

Wir können versoffenen Anwalt, der Jim Beam aus der Flasche trinkt. Er sorgt aber auch für ihre gleichzeitige Entlassung, setzt sich einen goldenen Helm auf und schließt sich ihnen an. Denn er will in New Orleans ins beste Bordell der Südstaaten gehen, wo es nur „prämierte Puppen" gibt. Am Lagerfeuer raucht er seinen ersten Joint und fängt sofort an, von UFOs und Venusmenschen zu spinnen, die in einem sozialen Utopia leben. Kommentar von Wyatt: „Morgens einen Joint, und der Tag ist dein Freund." Sie kommen in ein Kaff in Louisiana, wo sie im Restaurant zwar nichts zu essen kriegen, dafür aber die Aufmerksamkeit einiger pubertierender Mädchen auf sich ziehen. Leider auch die von strengstens reaktionären Rednecks, die – den Sheriff des Ortes miteinbezogen – offen darüber reden, dass „diese Affen" nicht unbeschadet die Gemeindegrenze erreichen dürfen. Für Hanson wird das bei einem nächtlichen Überfall zum finalen Schicksal: Die Südstaaten-Spießer erschlagen ihn im Schlaf. Wyatt und Billy setzen ihre Fahrt an Körper und Seele lädiert fort und stürzen sich in New Orleans in den – ebenso authentisch wie stimmungsvoll mit wackeliger Kamera unscharf gefilmten – Mardi Gras. Sex im Luxusbordell ist nicht ihre Sache, lieber gehen sie mit zwei Huren auf einen Friedhof, schlucken LSD und vergnügen sich während ihres psychedelischen Trips. Diese Szenen haben nach über 40 Jahren viel von ihrer optischen Sprengkraft verloren, verfehlten damals aber keineswegs ihre Absicht, die Wirkung einer nichtbürgerlichen Droge drastisch zu vermitteln. Am nächsten Tag fahren Wyatt und Billy weiter in Richtung Meer. Auf einer ansonsten menschenleeren Landstraße werden sie von zwei Rednecks in einem Lastwagen überholt. Für die ist der Fall sonnenklar: Sie wollen an den beiden Outlaws ein Exempel statuieren. Der Beifahrer erschießt zuerst Billy und dann Wyatt – ganz nebenbei und mit einem sadistischen Grinsen. Er gehört offensichtlich zu denjenigen, die sich nur dann frei fühlen, wenn sie ein Gewehr in der Hand halten. Die Macht, jemanden zu töten, ist für ihn ein Beleg für echte Freiheit, dafür, dass er über allen Gesetzen steht. Die Szene erinnert fatal an das idiotische Abknallen von ganzen Bisonherden Ende des 19. Jahrhunderts – gewissermaßen wird hier eine zutiefst böse amerikanische Tradition, die jenseits aller Vernunft und Moral liegt, fortgesetzt. "Easy Rider" war der offizielle Beitrag der USA zum Filmfestival in Cannes im Frühjahr 1969. Ein faszinierender Streifen – bis heute. Und ein echter Kult-Film. Hans-Jürgen Günther

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Von Horst Berner

Der Mann, der schneller zieht als sein Schatten Maurice de Bévère, der geistige Vater von Lucky Luke, ist vielen Lesern in aller Welt besser bekannt unter dem Künstlernamen Morris. Am 1. Dezember 1923 im belgischen Courtrai geboren und am 16. Juli 2001 in Brüssel verstorben, gilt er als einer der herausragenden Comicautoren des 20. Jahrhunderts. Sein komplettes Lebenswerk, zum großen Teil in Zusammenarbeit mit dem begnadeten Texter René Goscinny (1926–1977) entstanden, liegt in deutschsprachiger Ausgabe im Egmont Ehapa Verlag (Berlin) und den Egmont Verlagsgesellschaften (Köln) vor – bisherige Gesamtauflage: nahezu 39 Millionen verkaufte Bände. Morris & Lucky Luke

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on frühester Kindheit an verschrieb sich Morris dem Zeichnen, darum erstaunt es auch nicht, dass er diese Passion zum Beruf machte. Erste Meriten erwarb er sich bei der Familienzeitschrift "Le Moustique", für die er ab 1944 eine Vielzahl an Titelbildillustrationen fertigte. Für das ebenfalls im belgischen Verlag Dupuis seit 1938 erscheinende Comicmagazin "Spirou" kreierte er 1946 den Westernhelden Lucky Luke, der zusammen mit seinem Pferd Jolly Jumper in der Kurzgeschichte "Arizona 1880" zum Jahreswechsel 1946/47 im "Almanach Spirou 1947" aufgaloppierte. Bereits damals mit einem launigen Jodler auf den Lippen – und damit ganz im Sinn der singenden Cowboys Roy Rodgers und Gene Autrey. Ab "Spirou"-Nummer 478 vom 12. Juni 1947 gehörte die Serie "Lucky Luke" dann bis 1968 zum festen Bestandteil des Hefts. Zur populären und höchst feinsinnigen Westernparodie gerieten die Abenteuer von Lucky Luke ab 1955, als René Seite

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Goscinny mit "Des rails sur la prairie" ("Die Eisenbahn durch die Prärie") das Schreiben der Storys übernahm. Kennen gelernt hatten sich die beiden zu Beginn der fünfziger Jahre in New York, wo sie ihr berufliches Glück suchten. Goscinny lieferte von nun an die genialen Plots, kreierte aberwitzige Charaktere wie die dreisten Gebrüder Dalton oder den dämlichen Hund Rantanplan und führte historische Figuren wie Billy The Kid, Calamity Jane und Jesse James in den humoristischen Kontext ein. Morris zelebrierte mit reduziertem Strich die hohe Kunst der effektiven Aussage und bereicherte das illustrierte Universum um unvergessliche Karikaturen von Jean Gabin, Michel Simon, David Niven, Lee van Cleef und etlichen anderen mehr. Gemeinsam schuf das Duo Morris/Goscinny 37 albumlange Abenteuer mit Lucky Luke, dazu noch diverse Kurzgeschichten, die ab April 1968 im französischen Magazin "Pilote" ihren Vorabdruck erfuhren; dort arbeitete Goscinny als Chefredakteur, und dort hatte somit auch "Asterix" seine Plattform. Die erfolgreiche, über drei Jahrzehnte währende Zusammenarbeit mit dem überragenden Texter kommentierte Morris nicht ohne Stolz mit den Worten: „Ich habe das große Privileg, dass ich der Erste war, für den Goscinny Szenarios machte. Und ich habe es Lucky Lukes erster Auftritt nicht bereut."

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ach dem Tod von René Goscinny hielt Morris am bewährten Erzählmuster fest und blieb mit wechselnden Autoren (Bob de Groot, Lo Hartog van Banda, Xavier Fauche, Jean Léturgie, Patrick Nordmann und anderen) auf Erfolgskurs. Unter der gestaltenden Hand von Morris wurde der „lonesome cowboy", der das Glück im Namen trägt und das Herz am rechten Fleck hat, zum überragenden Charakter und Klassiker der französischen Comicliteratur; sie wird in Anlehnung an eine Begriffsfindung von Morris auch als die Neunte Kunst bezeichnet.

soll. Der dafür auserwählte Zeichner Hervé Darmenton alias Achdé, 1961 in Lyon geboren, hat inzwischen mit den drei Alben "La Belle Province" ("Schikane in Quebec"), "La Corde au cou" ("Die Daltons in der Schlinge") und "L'Homme de Washington" ("Der Mann aus Washington") sein Können unter Beweis gestellt – er ist ein würdiger Nachfolger. Damit ist klar: Die Saga vom einsamen Cowboy, der am Ende seiner Abenteuer stets der untergehenden Sonne entgegenreitet, geht weiter ...

Morris und René Goscinny

Kuriositäten aus Lucky Lukes Welt In "Hors-la-loi" ("Die Gesetzlosen") zeigt Morris 1951/52 erstmals die Daltons in Aktion. Es handelt sich dabei um die Banditen Bob, Grat, Bill und Emmett Dalton, die von Lucky Luke zur Strecke gebracht werden. Da die Leser an dem wie Orgelpfeifen gewachsenen Quartett ihren Spaß haben und sich neue Abenteuer mit ihnen wünschen, wendet René Goscinny einen Kunstgriff an. In "Les Cousins Dalton" ("Vetternwirtschaft") erweckt er 1957 die Viererbande in Form von deren unsäglichen Vettern Joe, William, Jack und Averell Dalton zu neuem Leben.

Billy The Kid, Calamity Jane, Jesse James

Lucky Luke, als gezeichnete Figur auf dem Papier gestartet, zieht aber längst nicht mehr nur eine auf Comics abonnierte Leserschaft in seinen Bann. Bewunderung widerfährt ihm außerdem als Titelheld unzähliger für das Fernsehen produzierter Zeichentricksowie abendfüllender Kinofilme. Jüngstes Beispiel ist der von Regisseur James Huth realisierte Spielfilm "Lucky Luke" mit Jean Dujardin in der Hauptrolle. In Frankreich feierte die amüsante, 104 Minuten lange Komödie am 21. Oktober 2009 Premiere. In Deutschland kam der Film hingegen bislang noch nicht in den Verleih – womöglich infolge des gnadenlosen Verrisses, der dem Vorläufer "Die Daltons gegen Lucky Luke" mit Til Schweiger in der Rolle des Cowboys 2004 zuteil wurde.

Der dümmste Hund im Wilden Westen, Rantanplan, ist eine Parodie auf den super-

intelligenten Schäferhund Rin Tin Tin aus den gleichnamigen amerikanischen Kino- und Fernsehfilmen. Seinen ersten Auftritt hat er in "Sur la piste des Dalton" ("Den Daltons auf der Spur"). Ende der 1980er Jahre wird Rantanplan sogar Titelheld einer eigenen Serie. "Lucky Luke" ist als einer der wenigen Comics in Deutschland seit mehr als fünf Jahrzehnten am Markt präsent. Die erste hiesige Fassung kommt im Dezember 1958 in "Der heitere Fridolin" zum Abdruck. Später sind die Abenteuer des einsamen Cowboys in den Comiczeitungen "Lupo modern", "Tip Top", "Primo", "Fix und Foxi", "Yps" und "ZACK" zu sehen. 1972 startet der Koralle Verlag eine "Lucky Luke"-Albumreihe, die nach 14 4 Titeln von Egmont Ehapa weitergeführt wird. Ein Merkmal der mittlerweile bei Band 87 angekommenen Serie: Sie ist am Kiosk in einer Softcover-, im Buchhandel in einer Hardcoverausgabe erhältlich.

Jean Gabin, Michel Simon, David Niven, Lee van Cleef

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it welchem Elan und welch zeichnerischer Eleganz Morris Lucky Luke in mehr als fünf Jahrzehnten animiert hat, erschließt sich bei bewusster Lektüre der umfangreichen Albumkollektion. „Das einzige, was ich kann, ist Comics zeichnen", sagte Morris einmal. Mit dieser Gabe hat er unvergängliche Wildwest-Legenden zur Entfaltung gebracht und damit auf der ganzen Welt hunderte Millionen von Lesern begeistert. Damit Achdé sein Mustercowboy auch in Zukunft für Recht und Ordnung sorgt, hat Morris frühzeitig testamentarisch verfügt, dass es auch weiterhin Geschichten mit seinem Helden geben

Nach dem Wechsel von "Spirou" zu "Pilote" 1968 968 ist die erste Geschichte von Lucky Luke auf den Seiten des französischen Comicmagazins mit "Dalton City" betitelt. Chefredakteur René Goscinny liefert dazu den längst legendären Spruch: „Lucky Luke – Der Mann, der schneller zieht als sein Schatten." GoodTimes

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von Goscinny/Morris erscheinen 1972 in einem Werbeheft der Benzingesellschaft Total unter dem Titel "La bataille du Riz". Für sein Lebenswerk wird Morris 1992/93 beim renommierten Salon International de la Bande Dessinée in Angoulême mit dem "Grand Prix Spécial 20ième Anniversaire" ausgezeichnet. "Eine Wildwest Legende" heißt bezeichnenderweise das letzte Abenteuer von Lucky Luke, das Morris kurz vor seinem Tod 2001 vollendet hat. Zu Ehren des 80. Geburtstags von Morris startet die Ehapa Comic Collection Ende des Jahres 2003 "Lucky Luke: Die Gesamtausgabe". In 24 Büchern erhält der Fan darin den kompletten Morris-Fundus in chronologischer Reihenfolge, ergänzt um unveröffentlichte Comics und Illustrationen. Buch 25 präsentiert die jüngsten Abenteuer aus der Feder von Achdé. 25 Jahre nach seiner Geburt kommt Lucky Luke 1971/72 im Zeichentrickfilm "Daisy Town" erstmals in bewegten Bildern auf die große Leinwand. Drei weitere animierte Kinoproduktionen folgen: "Sein größter Trick" (1978), "Das große Abenteuer" (1982) und "Auf in den Westen!" (2007). Mehrere Trickfilmstaffeln, die fürs Fernsehen entstehen und bekannte Geschichten aus den Alben adaptieren, sind inzwischen als DVD erhältlich.

In der Tradition von Morris führt Zeichner Achdé die Abenteuer von Lucky Luke fort. Nachdem Laurent Gerra zu den ersten drei Titeln das Szenario beigesteuert hatte, übernehmen diesen Part nun die beiden Schriftsteller Daniel Pennac & Tonino Benacquista. Mit "Lucky Luke contre Pinkerton" ("Lucky Luke gegen Pinkerton") ist der neueste Band überschrieben, der im Oktober 2010 in Frankreich und im März 2011 in Deutschland veröffentlicht wird.

1974 974 wird Lucky Luke in Frankreich zum 1 Titelhelden eines eigenen Magazins, das es allerdings nur auf zwölf Ausgaben bringt.

Im Album "Fingers" hat Lucky Luke statt der Zigarette erstmals einen Strohhalm zwischen den Lippen. Eine Konsequenz aus den Trickfilmen, die den Helden als Nichtraucher präsentieren. Morris wird für diese Entscheidung 1988 in Genf von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Vereinten Nationen ausgezeichnet. In der deutschsprachigen Albumausgabe führt dies zu einem Kuriosum, denn rückwirkend wird auch auf allen früheren Titelbildern die Zigarette wegretuschiert, selbst wenn der Cowboy im Innenteil des Bandes weiter seinem Laster frönt.

Die "Lucky Luke"-Bände in der Reihenfolge ihrer Originalveröffentlichungen In Klammern: Erscheinungsjahr in Frankreich und in Deutschland plus Bandnummer im Rahmen der "Lucky Luke"-Reihe im Egmont Ehapa Verlag.

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1990 1990 schmückt die Comicfigur Lucky Luke eine Briefmarke der belgischen Post.

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Zwischen 1990 und 1995 erscheinen in der Ehapa Comic Collection neun Bücher mit Nachdrucken des frühen "Lucky Luke"Materials im Buchhandel. Sie gelten heute als gesuchte Raritäten. Mittlerweile jedoch sind diese Titel bis auf drei in die reguläre Albumreihe eingegliedert.

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Eine Besonderheit ist Band 78: "Die Reisschlacht", die in der französischen "Lucky Luke"-Reihe nicht publiziert wird. Die darin abgedruckten vier Kurzgeschichten

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La Mine d'or de Dick Digger (1949) Rodéo (1951) Arizona (1951) Sous le ciel de l'Ouest (1952) Westwärts (2009, Band 85) Lucky Luke contre Pat Poker (1953) Lucky Luke gegen Pat Poker (2010, Band 87) Hors-la-loi (1954) Die Gesetzlosen (2007, Band 81) L'Élixir du docteur Doxey (1955) Das Elixier von Doc Doxey (2010, Band 86) Lucky Luke et Phil Defer (1956) Lucky Luke gegen Phil Steel (2008, Band 83) Des rails sur la prairie (1957) Die Eisenbahn durch die Prärie (2006, Band 79) Alerte aux Pieds-Bleus (1958) Der falsche Mexikaner (1987, Band 51) Lucky Luke contre Joss Jamon (1958) Lucky Luke gegen Joss Jamon (1980, Band 24) Les Cousins Dalton (1958) Vetternwirtschaft (1979, Band 21) Le Juge (1959) Der Richter (1981, Band 31) Ruée sur l'Oklahoma (1960) Auf nach Oklahoma! (1981, Band 29) L'Évasion des Dalton (1960) Die Daltons brechen aus (1978, Band 17) 1/2011

Abbildungen: © 2010 LUCKY COMICS / EGMONT EHAPA VERLAG

"Le Fil qui chante" ("Der singende Draht"), in dem unter anderem Buffalo Bill und Präsident Lincoln auftreten, ist das letzte Dokument der Zusammenarbeit von Morris und René Goscinny, der am 5. November 1977 stirbt.


16. En remontant le Mississippi (1961) Am Mississippi (1979, Band 20) 17. Sur la piste des Dalton (1962) Den Daltons auf der Spur (1980, Band 23) 18. À l'ombre des derricks (1962) Im Schatten der Bohrtürme (1982, Band 32) 19. Les Rivaux de Painful Gulch (1962) Familienkrieg in Painful Gulch (1980, Band 26) 20. Billy The Kid (1962) Billy The Kid (1983, Band 37) 21. Les Collines Noires (1963) Die Schwarzen Berge (1990, Band 59) 22. Les Dalton dans le blizzard (1963) Die Daltons im Blizzard (1980, Band 25) 23. Les Dalton courent toujours (1964) Die Daltons auf dem Kriegspfad (1990, Band 60) 24. La Caravane (1964) Kalifornien oder Tod (1984, Band 39) 25. La Ville fantôme (1965) Goldrausch! (1992, Band 64) 26. Les Dalton se rachètent (1965) Die Daltons bewähren sich (1981, Band 30) 27. Le 20e de cavalerie (1965) Lucky Luke reitet für die 20er Kavallerie (1979, Band 19) 28. L'Escorte (1966) Die Eskorte (1985, Band 44) 29. Des barbelés sur la prairie (1967) Stacheldraht auf der Prärie (1982, Band 34) 30. Calamity Jane (1967) Calamity Jane (1979, Band 22) 31. Tortillas pour les Dalton (1967) Tortillas für die Daltons (1981, Band 28) 32. La Diligence (1968) Die Postkutsche (1977, Band 15) 33. Le Pied-tendre (1968) Das Greenhorn (1979, Band 16) 34. Dalton City (1969) Dalton City (1983, Band 36) 35. Jesse James (1969) Jesse James (1983, Band 38) 36. Western Circus (1970) Western Circus (1991, Band 62) 37. Canyon Apache (1971) Canyon Apache (1990, Band 61) 38. Ma Dalton (1971) Ma Dalton (1986, Band 47) 39. Chasseur de primes (1972) Der Kopfgeldjäger (1984, Band 43) 40. Le Grand Duc (1973) Der Großfürst (1985, Band 46) 41. L'Héritage de Rantanplan (1973) Die Erbschaft von Rantanplan (1988, Band 53) 42. Les 7 histoires de Lucky Luke (1974) Eine Woche Wilder Westen (1993, Band 66) 43. Le Cavalier blanc (1975) Der weiße Kavalier (1987, Band 50) 44. La Guérison des Dalton (1975) Die Daltons und der Psycho-Doc (1988, Band 54) 45. L'Empereur Smith (1976) Der Kaiser von Amerika (1989, Band 57) 46. Le Fil qui chante (1977) Der singende Draht (1978, Band 18) 47. La Ballade des Dalton et autres histoires (1981) Die Dalton-Ballade und andere Geschichten (1986, Band 49) 48. Le Magot des Dalton (1980) Die Daltons auf Schatzsuche (1981, Band 27) 49. Le Bandit manchot (1981) Der einarmige Bandit (1982, Band 33) 50. La Corde du pendu et autres histoires (1982) Der Galgenstrick und andere Geschichten (1984, Band 42) GoodTimes

51. Sarah Bernhardt (1982) Sarah Bernhardt (1983, Band 35) 52. Daisy Town (1983) Daisy Town (1984, Band 40) 53. Fingers (1983) Fingers (1984, Band 41) 54. Le Daily Star (1984) Der Daily Star (1985, Band 45) 55. La Fiancée de Lucky Luke (1985) Die Verlobte von Lucky Luke (1986, Band 48) 56. Le Ranch maudit (1986) Die Geister-Ranch und andere Storys (1989, Band 58) 57. L'Alibi (1987) Das Alibi und andere Geschichten (1988, Band 55) 58. Nitroglycérine (1987) Nitroglyzerin (1987, Band 52) 59. Le Pony express (1988) Der Pony-Express (1989, Band 56) 60. L'Amnésie des Dalton (1991) Gedächtnisverlust (1991, Band 63) 61. La Chasse aux fantômes (1992) Die Jagd nach dem Phantom (1992, Band 65) 62. Les Dalton à la noce (1993) High Noon in Hadley City (1993, Band 67) 63. Le Pont sur le Mississipi (1994) Die Brücke am ol’man river (1994, Band 68) 64. Kid Lucky (1995) Am Fluss der rosa Biber (2008, Band 82) 65. Belle Starr (1995) Belle Starr (1995, Band 69) 66. Le Klondike (1996) Am Klondike (1996, Band 70) 67. O.K. Corral (1997) O.K. Corral (1997, Band 71) 68. Oklahoma Jim (1997) Oklahoma Jim (1999, Band 73) 69. Marcel Dalton (1998) Marcel Dalton (1998, Band 72) 70. Le Prophète (2000) Der Prophet (2000, Band 74) 71. L'Artiste Peintre (2001) Der Kunstmaler (2001, Band 75) 72. La Légende de l'Ouest (2002) Eine Wildwest Legende (2002, Band 76) 73. La Belle Province (2004) Schikane in Quebec (2004, Band 77) 74. La Corde au cou (2006) Die Daltons in der Schlinge (2007, Band 80) 75. L'Homme de Washington (2008) Der Mann aus Washington (2009, Band 84) 76. Lucky Luke contre Pinkerton (2010) Lucky Luke gegen Pinkerton (Arbeitstitel, 2011, Band 88)

"Lucky

Luke"Sonderpublikationen

La bataille du Riz (1972) Die Reisschlacht (2005, Band 78) La Face cachée de Morris (1993) Das illustrierte Morris-Buch (1995)

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Sex & Crime ...

SCHIRM, CHARME UND MELONE Im Oktober 1966 wurden Männerträume „Mrs. Peel, wir werwahr: Sie war schön, charmant den gebraucht!" und trug ein schwarzes, hautenges Millionen FernsehLederkostüm. Sie war aber auch selbstzuschauer werden bewusst, klug und schlagkräftig. Ihre Gegner sich an diesen legte sie mit wenigen Karatehieben reihenweise Satz von John aufs Kreuz. Mit Emma Peel (Diana Rigg) in der Steed (Patrick britischen Erfolgsserie "Mit Schirm, Charme Macnee), Emma und Melone" (Originaltitel: "The Avengers") Peels smarbrach auch im deutschen Fernsehen ein tem Partner, zu neues Zeitalter an –"frau" ermittelte nun Beginn einer jeden selbst handfest, war nicht länger nur Folge erinnern. Gespielin und/oder Staffage "Mit Schirm, Charme für Kerle aller Art. und Melone" war nicht nur gesellschaftlich zukunftsweisend, auch technisch gab es Verblüffendes, das erst 30 Jahre später Realität wurde. Gleich in der ersten in Deutschland ausgestrahlten Folge "Die Roboter" (1966; O: "The Cybernauts") arbeitete man mit vielen Finessen – von raumgroßen Computern bis hin zu Mikrochips. Das ZDF-Publikum war gleichermaßen schokkiert und begeistert. So sah also das pulsierende Swinging London aus: moderne junge Frauen in LederCatsuits und gutausDiana Rigg als Emma Peel sehende Gentlemen in maßgeschneiderten Anzügen mit Bowler und entsprechenden Umgangsformen. Sie lebt in einer hippen Loftwohnung, fährt einen Seite

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Foto: Bildarchiv Hallhuber

MIT

Von Norman Bender Lotus Elan und liebt Champagner. Er steuert einen 1927er Rolls-Royce Silver Ghost oder Bugatti, hat eine Wohnung im viktorianischen Stil – und liebt ebenfalls Champagner. Alles nur Wunschdenken? Nein – kaum eine andere britische Serie verkörperte den Zeitgeist der wilden Jahre so wie "Mit Schirm, Charme und Melone". Steed und Peel führten mit Sarkasmus und Selbstironie das britische Empire in die Moderne. Gestartet war die Serie in England bereits 1961. Damals ermittelte John Steed noch an der Seite von Dr. Keel, dargestellt von Ian Hendry, der den Mord an seiner Verlobten rächen wollte. So entstand der britische Titel "The Avengers" ("Die Rächer"). Die erste TV-Staffel wurde zumeist live eingespielt. Nur Außenaufnahmen wurden vorab gedreht und später eingefügt. Darum sind von der ersten Staffel nur wenige Folgen komplett erhalten. Wegen des großen Erfolgs sollte Patrick Macnees Rolle ausgebaut werden. Ian Hendry reagierte sauer und stieg bereits nach der ersten Staffel aus. Die Produzenten der ABC suchten nach einer neuen Lösung, da bereits diverse Drehbücher fertig geschrieben waren. Da immer mehr Frauen ins öffentliche Leben traten und wichtige Positionen in Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur einnahmen, sollte eine „Catherine Gale" an John Steeds Seite treten. Sie entsprach dem neuen Frauenbild und sollte Kühle, Strenge, Schönheit und Intelligenz verkörpern.

Ian Hendry

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Sechs Monate suchte die ABC nach der passenden Darstellerin Honor Blackman und fand sie in Honor Blackman. Zunächst wurden nur sechs Folgen mit ihr geplant – man wollte kein Risiko eingehen. Doch der Erfolg beseitigte alle Bedenken. Die komplette Produktion wurde nun professioneller aufgezogen. Beide Hauptdarsteller erhielten zum Beispiel Judo-Unterricht und wurden in Maßanzüge bzw. -kostüme gesteckt, die


Die ABC versuchte den herben Verlust mit einer neuen Darstellerin zu kompensieren. Doch obwohl die Kanadierin Linda Thorson ihre Sache ab Januar 1969 durchaus gut machte, wurde ihre Figur der „Tara King" vom Publikum nicht akzeptiert. Sie ertrug die permanenten NegativKritiken fast ein Jahr lang. Im Laufe der Zeit waren die Kosten der Serienproduktion überdies immens gestiegen. Die Folge: ABC stellte "Mit Schirm, Charme und Melone" Ende 1969 ein. Eine Wiederbelebung der Kultserie 1976 (als "New Avengers", in Deutschland weiter als "Mit

Neuer und letzter Versuch! Mit "Schirm, Charme und Melone" ab 1976 zu dritt

Die deutschen DVD-Veröffentlichungen, 4 Editionen: "Mit Schirm, Charme und Melone", © 2009 Kinowelt GmbH

Die neue Staffel schaffte den internationalen Durchbruch. Auch in Deutschland lief die Serie an, im ZDF. Hier blieben einige Folgen im Archiv: "A Touch Of Brimstone" etwa wurde nicht gezeigt, da Diana Rigg in einem Sado-Maso-Kostüm zu sehen war und ausgepeitscht wurde. Erst 30 Jahre später strahlte Sat1 die verbannte Episode aus. Das ZDF ging sogar noch weiter. Jede Folge wurde um rund sechs Minuten gekürzt. Die Folge: Es dauerte ewig, bis eine DVD-Veröffentlichung realisiert werden konnte. Eine Restaurierung der deutschen Fassungen war durch die Kürzungen und die oftmals vollzogenen chronologischen Veränderungen der Episoden durch den verantwortlichen Redakteur Joachim Tettenborn fast unmöglich geworden. Seit der Besetzung mit Diana Rigg spielte die Serie weltweit mehr als 60 Millionen Pfund ein. Die Fangemeinde wuchs ständig. Als die Engländerin 1969 ausstieg, kam es zu geradezu hysterischen Reaktionen der Fernsehzuschauer. Die Medien griffen das Thema auf, das ZDF

wurde mit Protestbriefen überhäuft. Doch Riggs Entscheidung stand fest. Sie übernahm die Rolle der Tracy Di Vicenzo im James-Bond-Streifen "Im Geheimdienst Ihrer Majestät", der mit dem neuen "007"-Darsteller George Lazenby floppte. Trotz vieler weiterer Filme erreichte Diana Rigg nie mehr die Popularität, die sie während der "Avengers"-Zeit genossen hatte.

Foto: Bildarchiv Hallhuber

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bei einer Pressekonferenz im Oktober 1963 erstmals vorgestellt wurden. John Steed präsentierte den edwardianischen Look – mit Röhrenhosen, Jackett mit Samtkragen, Chelsea-Boots und Bowler. Cathy Gale wurde vom Star-Designer Frederick Starke in schwarzes Leder gesteckt. Dazu trug sie meist Stiefel mit hohem Schaft und schwarze Rollkragenpullover. Für die engen Kostüme und die komplizierte Befestigung ihrer Waffe am Strumpfband war Spezial-Designer Michael Whittaker zuständig. Der Begriff „Kinky" tauchte zu dieser Zeit des Öfteren auf, er stand (und steht) für schrullig, spleenig. Die Produzenten ließen Macnee und Blackman 1964 die Single "Kinky Boots" einspielen. Zu jener Zeit nutzte auch eine Band aus dem Londoner Stadtteil Muswell Hill diesen Begriff, änderte ihren Namen von The Ravens in The Kinks und Patrick Macnee als John Steed ließ „Kinky Boots" auf ihre Basstrommel malen. Honor Blackman blieb zwei Schirm, Charme Jahre bei den "Avengers", bevor sie das Kino und Melone") lockte. Blackman vermutete das baldige Aus für scheiterte ebendie Fernsehserie und übernahm deshalb eine falls. Obwohl das Rolle im neuen James-Bond-Film "Goldfinger" gesamte Produkt als „Pussy Galore". Doch trotz des weltweiten aus heutiger Erfolgs des Films verlief Honor Blackmans weiSicht durch seine tere Kinokarriere eher unauffällig. zum Teil psychedelischen Plots zeitlos wirkt, Und dann kam sie, die Legende in spe – blieb die Affinität „Emma Peel", dargestellt von der Shakespearezu den sechziSchauspielerin Diana Rigg. Honor Blackman ger Jahren doch war schnell vergessen. Die Neue verkörperte unübersehbar. nun noch konsequenter den neuen FrauenTyp. Sie war modern, emanzipiert und verströmte eine unnahbare Erotik. Bereits ihr Name, der "Avengers"-Presse-Agentin Marie Donaldson eingefallen war, wirkte wie eine Provokation: Ein Wortspiel aus „Sex-Appeal" und „Man-Appeal" wurde zu M. Appeal verkürzt – gesprochen: Emma Peel. Peel, das war auch „die Pelle", eine Anspielung auf Emmas hautenge Anzüge.

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DIANA RIGG

Diana Rigg GoodTimes

Als Shakespeare- und Brecht-Darstellerin auf britischen Bühnen, als internationaler Filmstar (u.a. bei James Bond), vor allem aber als Emma Peel in der TV-Serie "The Avengers" ("Mit Schirm, Charme und Melone") ist Diana Rigg berühmt. Kaum bekannt ist hingegen, dass sie 1972 auch eine Mikro-Karriere als Sängerin machte: Für Tom Stoppards Theaterproduktion sang sie den Titel "Forget Yesterday"; außerdem entstand in einem Londoner Studio der Evergreen "Sentimental Journey". Die CD DIANA RIGG SINGS! (Harkit Records HRKCD 8051) aus dem Jahr 2002 enthält die beiden Songs in den Single-Versionen, in alternativen Fassungen sowie "Sentimental Journey" auch als instrumentale "Sing Along Without Diana Rigg"-Version. Die insgesamt fünf Tracks bringen es nur auf eine Laufzeit von 14:29 Minuten, sind aber für glühende Fans Gold wert. Zu hören ist artig gesungene, gehobene Schlagerkost, mit der Miss Rigg niemals zur Konkurrentin für Shirley Bassey hätte werden können. Was sie dann wohl auch sofort einsah. In den 80er Jahren wirkte sie zwar in einigen Musicals mit, doch als "echte Sängerin" verstand sich Diana Rigg nie. Hans-Jürgen Günther

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Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola alles ist in AFRI-COLA!

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ie Firma Blumhoffer Nachfolger stellte schon damals Grundstoffe und Essenzen für Getränke und Arzneien her. Die jeweiligen Anfangsbuchstaben des Firmennamens wurden 90 Jahre später zum Limonaden-Namen "Bluna" zusammengesetzt, der süßen jüngeren Schwester von afri-cola. damals noch blauen Spitzquadrat-Reklameschilder mit der unverwechselbaren Palme. Doch dann kam der Zweite Weltkrieg. Noch bis Kriegsende lieferten sich afri-cola und der große Konkurrent CocaCola ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Marktanteile. Nach dem Krieg gab es Probleme wegen fehlender Rohstoffe. Außerdem wollten die Alliierten lieber ihre eigenen Cola-Marken in Deutschland vertreiben. Flach erwies sich auch hier erfinderisch, indem er etwa Rohstoffe aus Casablanca über das damals französische Saarland organisierte. Das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre sorgte für Wachstum, und afri-cola wurde zum "Red Bull" jener Zeit. Keine Cola hatte mehr Koffein, und unter dem Motto „jung und sportlich" engagierte man sich im Radsport, beim Boxen und Fußball. Auch in den Nachbarländern kam afri-cola gut voran, in Salzburg wurde sogar eine österreichische Niederlassung gegründet, eine weitere Konzentratfabrik in Bochum eröffnet. Werbung und Marketing wurden immer wichtiger, und die in die Jahre gekommene Relief-Flasche wirkte bald altmodisch. Ein Designwettbewerb rief den Direktor zweier Werkkunstschulen und angesehenen Designer Jupp Schmitz auf den Plan: Er entwickelte in einem aufwändigen Prozess die neue und seit 1962 unveränderte „Formflasche". Zwei nach innen gewölbte, seitliche Mulden, die perfekten

Zur weiteren Expansion fehlte ihm aber das nötige Kleingeld. Seine rettende Idee: Die Suche nach verlässlichen Geschäftspartnern im ganzen Land, kleine bis mittelständische Getränkebetriebe und Brauereien, die aus eigener Kraft keine Cola herstellen konnten. Flach lieferte von Köln aus das afri-cola-Konzentrat, Flaschen und die Werbung. Er wurde damit zu einem der ersten FranchiseSystem-Lizenzgeber in Deutschland. So begann der Aufstieg von afri-cola – kaum ein Radrennen oder Boxturnier fand nun statt ohne die Seite

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Fotos: © afri-cola Archiv

Geschäftsführer Karl Flach war nach einer USA-Reise völlig begeistert von Cola als Erfrischungsgetränk. Unzählige Marken gab es dort, und so entwickelte er die Vision einer eigenen Cola für Deutschland: Afrika war zu dieser Zeit für viele Deutsche ein faszinierender Kontinent, und auch die Cola-Nuss hat dort ihren Ursprung. Palmen stehen seit jeher für die Sehnsucht nach Exotik ... 1931 ließ Karl Flach seine Marke "africola" und die dazugehörige stilisierte Palme als internationales Warenzeichen eintragen und sichern. Er entwickelte ein eigenes, streng gehütetes Cola-Rezept, ließ einige Relief-Glasflaschen mit der markanten Palme in einer Glashütte produzieren und füllte damit in Köln die ersten Flaschen afri-cola ab.


Halt beim Zugreifen geben und – mit der passenden Vorstellungskraft – geichzeitig erotisch-anmutig wirken. Diese Form gilt bis heute als Meilenstein der DesignKunst. Karl Flach war auf der Suche nach weiteren neuen Marketingideen und traf dabei auf Charles Wilp, einen Düsseldorfer Fotografen und Werbekünstler. Wilp beschrieb dieses werbe-historische Treffen: „Ich kniete vor dem Kölner Dom und malte in leuchtendem Aquamarinblau, Indigo und herrlichem Karmesinrot das KathedralenAntlitz mit meinen Händen auf den Boden. Ein Mann im Anzug sprach mich an und fragte, ob ich so was in der Art auch für ihn entwerfen könne." Typische Werbung der 50er/60er Jahre

Wilp überzeugte Karl Flach von der Wirkung einer millionenschweren Fernsehund Zeitschriftenkampagne und erhielt ab 1968 freie Hand bei der künstlerischen Gestaltung. Er schuf eine neuartige, verstörende und extrem prägnante Bildästhetik. Und er erfand den „afri-cola-Rausch": Bilder, Klänge und Sprache als provokante Werberevolution. Sängerin und "Hair"-Ikone Marsha Hunt saugte lasziv hinter vereisten Glasscheiben am afri-cola-Elixier, ebenso die spätere Disco-Queen Donna Summer und Marianne Faithfull. Gleichzeitig wurde der erste nackte Mann der deutschen Werbegeschichte präsentiert. Und das alles unterlegt mit atonaler Musik, die Wilp mit dem London Symphony Orchestra aufnahm – die dazu erschienene Vinylsingle ist heute eine gesuchte Rarität ... Als ob das noch n i c h t genug gewesen wäre, tönte es hypnotisch am Ende eines jeden Spots: „… sexy-minisuper-flower-pop-op-cola – alles ist in afri-cola!"

Josef Frings sprach gar von Blasphemie. „Die Spannweite des africola-Credos ging von Rudi Dutschke bis Willy Brandt, die sich auf einmal mit afri-cola zeigten", so Charles Wilp, der 2005 verstarb. Die Kampagne wurde bis Mitte der 1970er Jahre in immer neuen Variationen fortgesetzt. Noch heute profitiert afri-cola von diesem spektakulären Werbeauftritt. Die 1980er Jahre waren dennoch schwierig für die Marke. Marsha Hunt und Werbeguru Charles Amerikanische Produkte wurWilp 1968 bei Aufnahmen für die den weltweit bei den Kids „afri-cola-Rausch“-Kampagne immer populärer, MTV entwicklte sich zum Sprachrohr einer neuen Generation. Afri-cola blieb aber als einziger deutscher Brause-Hersteller unabhängig, vor allem dank eines erfolgreichen Exportgeschäfts: In Saudi-Arabien, Ghana oder in der Türkei war man präsent, dazu gab es rund 150 Lizenzpartner im In- und Ausland. Ende der Achtziger übergab Karl Flach seinem Sohn Alexander das Steuerrad. Er entwickelte neue Konzepte: afri-cola gab es von da an nur noch in der originalen 0,2-Liter-Glasflasche und mit der nach deutschem Lebensmittelrecht gerade noch erlaubten Höchstmenge an Koffein. Mitte der Neunziger wurde so die Raveund Techno-Bewegung erobert. Nun war auch wieder Potenzial für einen größeren Markt und Expansion vorhanden. Darum entschied sich Alexander Flach 1999, die internationalen Markenrechte exklusiv an die süddeutsche Mineralbrunnen-Teinach AG zu lizenzieren. Der Kult um afri wurde dort fortgesetzt: Der bekennende afri-colaFan und Regisseur Wim Wenders drehte 2001 eine eindrucksvolle Werbeclip-Hommage zum 70. Jubiläum, unterlegt mit Musik der Wiener Trip-Hop-Formation Waldeck. Die Titelmusik "Everytime" der Mannheimer Band The Flames eroberte 2002 die Hitparaden.

Alle verfügbaren freien Werbeblöcke wurden gebucht, der „afri-colaBis heute trotzt afri-cola großen Weltkonzernen. Das Getränk Rausch" überflutete die deutschen ist erhältlich in leichten PET-Flaschen, sogar in Dosen, vor allem aber in der markanten Glasflasche. Ohne Zweifel: Der Mattscheiben, flankiert von ganzMythos lebt! seitigen Anzeigen in "Stern", "Spiegel" Peter Verhoff und vor allem Autor Peter Verhoff verbinden neun gemeinsame "Twen", der Der erste nackte Mann in Jahre mit seiner Herzblut-Marke" afri-cola, vom damals angesag" einer deutschen Werbung freien Marken-Berater bis zum Leiter Marketing ten Zeitschrift für und Export. Popkultur. Das bis heute bekannteste Motiv dieser Werbekampagne sind drei Nonnen, die durch eine vereiste Glasscheibe blicken, verzückt von der Ein alter Zahlteller aus der „Götterquelle" namens afri-cola. Natürlich hatte Gründungszeit: Ursprünglich diese Provokation in den prüden 1960er Jahren war die Marke blau ein heftiges Nachspiel: Der Freistaat Bayern verweigerte die fortlaufende Ausstrahlung aller afriSpots, Kardinal afri-Flaschen im Wandel der Zeit GoodTimes

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Der Horrorfilm Der

Wenn das Blut in den Adern gefriert ... D

ie Wolkendecke reißt auf. Das kalte Licht erhellt Vollmonds des edhof. Fri alten den Mann ein Schemenhaft ist ßgrö in zu erkennen, der em ein ter Eile Erde aus t häl Grab aushebt. Er h sic kurz inne, wischt rn den Schweiß von der Sti und arbeitet wie besessen

weiter. Plötzlich erklingt ein dumpfer, hölzerner Ton. Das Ziel ist erreicht. Er befreit die Oberfläche des Sarges vom Rest des modrigen Erdreichs, nimmt eine alte Laterne in die Hand und öffnet mühevoll den Deckel, der ächzend und knarzend nachgibt. Ein Schauer läuft dem Mann über

den Rücken, als er in das leere Innere starrt. Sein Bewusstsein arbeitet zu langsam, um die Abnormität der Geschehnisse zu realisieren. Die Lösung des Rätsels wird es nie geben, denn knöcherne Hände haben sich um seinen Hals gelegt und würgen ihn mit unbarmherziger Gewalt ... Von Alan Tepper

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o oder ähnlich könnte die Eröffnungssequenz eines Horrorfilms aus den Fünfzigern ablaufen. Doch das Genre kann auf eine wesentlich längere Geschichte zurückblicken, denn schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts ließen sich Regisseure und clevere Produzenten der Stummfilmära von literarischen Werken wie "Frankenstein", Gustav Meyrinks "Der Golem" oder den in Großbritannien populären "Gothic Novels" inspirieren. Der erste Höhepunkt war 1919 mit dem Meisterwerk "Das Cabinet des Dr. Caligari" aus Deutschland erreicht, es schob die Zelluloid-Gruseltour nachhaltig an. Seitdem bevölkern Heerscharen von Vampiren, Dämonen, Gespenstern und Psychos die Leinwände. Wie bei kaum einer anderen Filmgattung versuchen kluge Kritiker (die sogar manchmal richtig liegen), den Zuschauern zu erklären, was denn nun wertvoll ist und was für das „Unterschichten-Publikum" gemacht wurde. Doch davon sollte sich jeder selbst ein Bild machen ... Liebes Publikum, die Führung durch das Haus des Horrors beginnt ...

Dracula & Co.

Der Vampir: Zu den wohl faszinierendsten

Protagonisten des Horrorfilms zählt der Vampir. Schon seit Jahrhunderten treibt der sich in eine Fledermaus verwandelnde Blutsauger sein Unwesen in der Literatur, in Volksweisen, in der Mythologie und im Aberglauben – und das nicht nur in Transsilvanien, sondern auch in China, Russland, Deutschland und Griechenland. Spätestens seit Bram Stokers Roman "Dracula" (1897) erfreut sich der tageslichtscheue Bösewicht internationaler Popularität. Die gängigen und erprobten Abwehrmittel sind immer noch Knoblauch, Weihwasser und das Kruzifix, doch erst ein Pfahl mitten ins Herz oder Köpfen machen dem Spuk endgültig den Garaus. Der Vampir steht mit über 200 Verfilmungen an der Spitze der Horror-Charts. Schon zu Beginn der Kinogeschichte gab es Vampirfilme, aber erst mit "Nosferatu – eine Symphonie des Grauens" (1922) konnten sich die Besucher der Lichtspielhäuser von einem handfesten Schocker überwältigen lassen. Die Stoker-Adaption wirkte Seite

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durch die starken Bilder und den Kontrast zwischen der Rolle des Mädchens Ellen und der des Nosferatu: Er reist mit einem Ratten-verseuchten Schiff aus Transsilvanien in eine fiktive Ostseestadt, um das Objekt seiner Begierde endlich zwischen die Beißer zu bekommen. Um sich vor dem Kauf der Filmrechte zu drücken, veränderte Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau die Handlung und die Namen. Dennoch wurde er von Stokers Witwe erfolgreich verklagt und musste den Film vernichten. Glücklicherweise waren schon einige Verleihkopien ins Ausland gelangt; so blieb der Streifen erhalten, von dem Regisseur Nosferatu – eine Symphonie des Grauens Werner Herzog 1979 das Remake "Nosferatu – Phantom der Nacht" produzierte, das trotz der schauspielerischen Leistung Klaus Kinskis nicht an das Original heranreichte. er nächste bedeutende Vampir-Knüller war "Dracula" (1931) mit dem unvergesslichen Bela Lugosi in der Hauptrolle, der Film diente als Vorlage für weitere Varianten. Synonym für den weltweiten Erfolg des Untoten ist aber unumstritten ein Schauspieler – Christopher Lee! Mit "Dracula" (1958) Bela Lugosi würgt ndler ("Dracula" 1931) drehte er den ersten Farbfilm, Helen Cha der dem Publikum das Blut in den Adern gefrieren ließ. In den Schaukästen der Kinos wurde der Hinweis „Ab 18 Jahren" von da an zur festen Regel, denn die von den Hammer Film Productions in Fließbandarbeit hergestellten Knaller zogen bis Bela Lugosi Anfang der Siebziger ein

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Millionenpublikum an, das von Lees Charme gefesselt war. "Blut für Dracula" (1965), "Draculas Rückkehr" (1968) und "Dracula jagt Minimädchen" (1972, albern) sind nur einige der Produktionen. ar der Vampir danach tatsächlich auf seinen Schwingen in die Weiten der Nacht entschwunden? Nein, denn "Bram Stoker’s Dracula" (1992), "From Dusk Till Dawn" (1996, mit Schönling George Clooney), "Van Helsing" (2004) und die aktuell enorm erfolgreiche, mehrteilige "Twilight"-Saga sind nur die Spitze des blutroten Eisbergs. Natürlich zogen die ernsthaften

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Christopher Lee

Vampirfilme auch Parodien nach sich. "Draculas lüsterne Vampire" (1970) war ein gescheiterter „Dracuporno"-Versuch, der Teenfilm "Fright Night" (1985) und vor allem "Tanz der Vampire" (1967) von Roman Polanski hingegen überzeugten. Unvergessen die Szene, in der sich Polanski als „Alfred" eines liebestollen schwulen Vampirs erwehren muss und ihm beim finalen Biss schnell ein Buch zwischen die Zähne schiebt. Frankenstein: Mary Shelley schrieb 1818 "Frankenstein oder der moderne Prometheus", ein bedeutendes Werk der Weltliteratur, das seitdem allen Literaturkritikern vielschichtige Interpretationsmöglichkeiten bietet. Bei den Verfilmungen setzte man dagegen ausschließlich auf den Horroreffekt des Monsters, das in "Frankenstein" (1931) mit Boris Karloff, einem Meister des Genres, ideal besetzt Boris Karloff wurde. Der Schauspieler musste jeden Tag geschlagene drei Stunden in der Maske verbringen, um wie ein aus Leichenteilen gebasteltes Ungetüm auszusehen. Für die bereits erwähnten Hammer Productions wurde die Umsetzung des Stoffes in "Frankensteins Fluch" (1957) der erste große Erfolg, doch generell stand das Monster im Schatten von Dracula. Lediglich die lustige Persiflage "Frankenstein Junior" (1974) von Mel Brooks

(mit einem schielenden Marty Feldman in der Hauptrolle) und der ernsthaftere Film "Mary Shelley’s Frankenstein" (1994) sind erwähnenswert. Mumien: Diese Eingewickelten ließen sich selten auf der Leinwand blicken und führten nur in Schüben zu einer florierenden Mullbindenproduktion. Angeregt von Howard Carters Fund der Grabstätte Tutanchamuns im Jahr 1922 und den darauffolgenden, unerklärlichen Todesfällen, drehte Karl Freud 1932 "Die Mumie"; Hauptrolle: Boris Karloff als Hohepriester Imhotep, der durch ein Menschenopfer seine Geliebte Ankh-es-en-Amon zum Leben erwecken will. Das gleichnamige Remake von 1999 setzte auf Special Effects und reichlich Action, konnte aber wie die Nachfolger mit selbstironischen Szenen punkten. Zombies: Basierend auf dem haitianischen VoodooKult, durch den Tote zum Leben erweckt und danach zu willenlosen Sklaven gemacht werden können, erschien mit "White Zombie" der erste interessante Film des Subgenres. Hier spielt Bela Lugosi einen bösen Zauberer, der von einem Plantagenbesitzer angestiftet wird, die von ihm innig begehrte Madeline in einen Scheintod zu versetzen, um sie danach zu seiner Sklavin zu machen. Im – natürlich – letzten Moment wird sie von Zombie-Jäger Dr. Brummer gerettet. Nach weiteren Adaptionen en" cht der lebenden Tot Szenen aus "Die Na

kreierte George A. Romero mit "Die Nacht der lebenden Toten" 1968 einen Kassenknüller, der eine ganze Zombie-Schwemme nach sich zog, bei dem die Brut die reduzierte Speisekarte – menschliches Fleisch in allen Zubereitungsformen – rauf- und runterfutterte. Zwar gab es viele Schockelemente (zum Beispiel abgetrennte Gliedmaßen, Kinder, die ihre Eltern massakrieren, und fiese Nahaufnahmen), doch der geschickte Schnitt und die Dramaturgie, die oft durch das Gefühl der Vorsehung und der Hilflosigkeit erzeugt wird, sorgten für das Kultsiegel! Aber Romero wollte seine Zombies weiter über die Leinwände torkeln lassen und drehte 1978 "Zombie" und "Zombie 2" (1985). Besonders die miesen Filme – wie etwa "Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies" (1979) oder "In der Gewalt der Zombies" (1980) – sind für den schlechten Ruf dieses Untergenres verantwortlich. Leichen: Verglichen mit den Zombies sind die Leichen Skelette, die den Zuschauer in Panik versetzen sollen. Amando de Ossorio bannte die unliebsamen Gesellen 1971 auf Zelluloid ("Die Nacht der reitenden Leichen") und eroberte damit die europäischen Kinos. Die Filme mit stark sexuellem

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und sadistischem Unterton basieren auf dem Templerorden, dessen Ritter – laut Regisseur – durch einen Bluttrank (natürlich von einer Jungfrau) unsterblich geworden sind und nun neue Opfer suchen, um ihren Durst zu stillen. Die im Halbdunkel gedrehten Streifen bestechen durch die ausgefeilte Maske, die den Skeletten einen wirkungsvoll „lebendigen" Charakter verleiht. Nach dem Debüt erschienen noch "Die Rückkehr der reitenden Leichen" (1972), "Das Geisterschiff der schwimmenden Leichen" (1973) und – wer hat sich so einen Titel ausgedacht? – "Das Blutgericht der reitenden Leichen" (1974).

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as Gute und das Böse vereint in einem Menschen – das Thema hätte niemand treffender zu Papier bringen können als der „Schatzinsel"-Autor Robert Louis Stevenson in seinem Roman "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" (1886). Die wohl packendste Verfilmung des literarischen Stoffes, der die Doppelnatur des Menschen thematisiert, wurde 1941 unter dem Titel "Arzt und Dämon" mit Spencer Tracy und Ingrid Bergman in den Hauptrollen veröffentlicht. Der „gute" Arzt Dr. Jekyll erfindet in seinem Laboratorium ein Elixir und verwandelt sich in den „bösen" Mr. Hyde, der Untaten begeht und damit die Schattenseite der Psyche des Doktors widerspiegelt. Am Schluss verwandelt sich der Unhold wieder in den Arzt, der Gott spielen wollte. Nur drei Jahre später sorgten die beiden Psycho-Omis Abby und Martha in "Arsen und Spitzenhäubchen" für einen schrillen Mix aus Horror und "Arsen und Spitzenhäubchen"

Klamauk. Mortimer Brewster (Cary Grant) besucht die beiden älteren Damen in ihrem Haus neben dem Friedhof und muss feststellen, dass sie arme, alleinstehende Männer auf eine ganz spezielle Art von ihrer Einsamkeit erlösen – durch eine kräftige Portion Arsen im Holunderbeerwein! Die Seniorinnen lassen die Leichen im Keller verschwinden, in dem der durchgeknallte Vetter Teddy (der sich für Präsident Roosevelt hält) „Schleusen" für den Panamakanal aushebt. Obwohl der Film schon über 60 Jahre alt ist, sorgt er immer noch für klasse Unterhaltung. in Film steht ganz klar an erster Stelle der Psycho-Top-10, niemand wird die Bedeutung von Alfred Hitchcocks "Psycho" (1960) bestreiten. Der „Meister der Hochspannung" kreierte hier einen Klassiker der Filmgeschichte, indem er das Buch von Ernst Bloch an genau den richtigen Stellen aufpeppte und damit die Nerven seines Publikums bis zum Zerreißen malträtierte. Eigentlich ein Thriller, webt Hitchcock psychologische Momente in die Handlung ein, neben der Spannung appelliert er massiv an Urängste der Menschen und führt sie auf einen Horrortrip. Die Sekretärin Marion Crane stiehlt 40.000 Dollar, flüchtet mit dem

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Geld und will in einem Motel übernachten. Der schüchterne, gehemmte Norman Bates empfängt sie freundlich und zuvorkommend. Als sich Marion in ihrem Zimmer frisch macht, zerreißt plötzlich ein Schrei die Stille. Bates entschuldigt sich für seine psychisch kranke Mutter. Entspannt stellt sich Janet Leigh – Duschhorror extrem! Marion unter die Dusche und wird hinterrücks mit einem Messer erstochen. Diese Szene ist einer der größten Momente des Films, denn anstatt die Tat direkt zu zeigen, sind immer nur Ausschnitte (Duschvorhang, ein Messer, Blut, das in den Abfluss läuft) zu sehen, aus denen für den Zuschauer vor seinem geistigem Auge ein komplettes Bild entsteht. Norman Bates wird schließlich überführt. Er leidet an einer schweren Form der Schizophrenie, bei der sein „Ich" zeitweise von der Persönlichkeit seiner Mutter erdrückt wird, die ihn dann die Morde begehen lässt. Mutti ist allerdings seit acht Jahren tot und sitzt mumifiziert in einem Stuhl! Wer konnte nach "Psycho" noch ruhig unter der Dusche stehen und erstarrte nicht vor Schreck, wenn er hinter seinem Rücken ein Geräusch hörte? Dass hier noch vier Fortsetzungen folgten, liegt auf der Hand. ach seinem faszinierenden Abenteuer "2001: Odyssee im Weltraum" beackerte Stanley Kubrick mit "Shining" (1980) ein neues Terrain und führte den Horrorfilm auf ein hohes Niveau – musste sich aber zuerst über Verrisse amerikanischer Kritiker ärgern. Die Handlung ist fast ausschließlich auf ein Hotel beschränkt, in dem Jack Torrance (Jack Nicholson), sein Sohn Danny, der die Gabe des „zweiten Gesichts" (Shining) hat, seine Frau Wendy und ein Koch

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sich zunehmend in den Wahnsinn steigern. Verschiedene Zeitund Realitätsebenen, Visionen und die Abgründe der menschlichen "Shining" Psyche werden von Kubrick durch eine begeisternde Bildsprache vermittelt, bei der die eigenen verdrängten Ängste der Zuschauer angeregt werden. Einen weiteren Psychopathen brachte KultRegisseur John Carpenter mit Michael Myers in "Halloween – Die Nacht des Grauens" (1978) ins Spiel und sorgte gleichzeitig mit der simplen Titelmelodie für ein unverwechselbares, penetrantes Erkennungsthema. Myers, Michael Myers der vor Jahren seine kleine Schwester an Halloween umgebracht hat, bricht aus der Psychiatrie aus und begeht am wiederkehrenden Festtag erneut 1/2011


Untaten. Mit einem Messer bewaffnet und einer Maske verkleidet, meuchelt Myers, wo er nur kann, und hat sich als nächstes Opfer die Babysitterin Laurie ausgesucht. Mit der Figurenkonstellation des attraktiven jungen Mädchens Laurie (Jamie Lee Curtis) und ihres mordenden Gegners erschuf Carpenter ein Vorbild, Jamie Lee Curtis als Laurie das nicht nur in der Halloween-Reihe, sondern in diversen Teen-Splashern wie "Scream – Schrei" (1996) oder "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast" (1997) endlos und manchmal sogar mit makaberem Witz kopiert wurde (beiden Streifen folgten Fortsetzungen). Auch "Freitag der 13." basierte auf Carpenters Motiven, hob sich allerdings durch explizite Gewaltdarstellungen ab, die mit jeder weiteren Verfilmung (mittlerweile zehn) an Grausamkeit zunahmen. u erwähnen ist noch ein Protagonist mit fieser Visage – Freddy Krüger, der Mann mit den Schlitzerhändchen aus "A Nightmare On Elm Street", der 1984 sein Leinwanddebüt gab. Der eklige Kerl besucht seine Teenie-Opfer in deren Träumen und bringt sie reihenweise um – erneut wird Carpenter zitiert. Dass Angst vorm Einschlafen an der Nachtordnung stand – logisch ... Der Erstling und seine zahlreichen Nachfolger wurden für die deutschen Ausstrahlungen meist massiv gekürzt, was Freddy Krüger die Handlung oft wirr erscheinen lässt. Apropos Teens: 1984 kam auch der erste Teil von "Ghostbusters" ins Popcorn-Kino, der (nicht zuletzt wegen des Songs von Ray Parker jr.) schnell Kultcharakter erlangte.

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"Splatter"-Filme

Lösten in den Sechzigern schon Andeutungen massiven Grusel aus, wurde das Publikum mit der Zeit immer abgestumpfter und ließ sich nicht mehr von einem harmlosen Edgar-WallaceFilm verängstigen. Natürlich gab es auch schon damals Eingeweide-Orgien und extrem gewalttätige Szenen, doch mit "Blutgericht in Texas/Das Kettensägenmassaker" (1974) wurden dann eindeutig Grenzen überschritten. Die darauffolgenden „Splatter"-Filme setzten auf herumspritzendes Blut, durch die Luft fliegende Körperteile und mit viel Tricktechnik in Szene gesetzte Nahaufnahmen aller nur erdenklichen Verstümmelungen. Zwar war im "Kettensägenmassaker" nicht viel Blut zu sehen, und es wurde auch auf eklige Close-Ups verzichtet, doch der Anblick des „Leatherface", der mit der Säge Teenager verfolgt, inspirierte zahlreiche Regisseure zu noch härteren Movies. Auch der kürzlich verstorbene deutsche Filmemacher Christoph Schlingensief nahm sich des Stoffs an und produzierte "Das deutsche Kettensägenmassaker" (1990), bei dem eine Metzgersfamilie auf den Brutalo-Trip gerät. Gewalt, Sex und Folter wurden in Filmen wie "Die weiße Göttin der Kannibalen" (1977, mit Ursula Andress in der Hauptrolle), "Nackt und zerfleischt" (1976) oder "Sadomania – Hölle der Lust" (1980) umgesetzt; sie stehen eindeutig am unteren Ende der Geschmacksskala und sind offen-

sichtliche Versuche, derbe S/MFantasien unter dem Deckmäntelchen des Horrorfilms zu verkaufen. Auch "Hexen bis aufs Blut gequält" (1969) und die „religiöse" Version "Nonnen bis aufs Blut gequält" (1974) gehören in diese Kategorie. Doch es geht noch eine Stufe tiefer in den Keller: Wer sich "Ilsa, She Wolf Of The SS" (1974) aus den kranken Gehirnwindungen gepresst hat (ein Jonah Royston) und damit ein Subgenre eröffnete, in dem die Leiden der Menschen im Dritten Reich in Form sadistischer Sex-Horrorfilme für ein perverses Publikum dargestellt wurden, gehört in die Psychiatrie.

Zoologie extrem – Vögel, Haie, Dinos und Japan-Importe

Den Auftakt der animalischen Horrorfilme besorgte "King Kong und die weiße Frau" (1933). Der Film mit seinen für die damalige Zeit atemberaubenden Trickszenen versetzte die Amerikaner in Furcht und Schrecken, da der Riesengorilla nicht im Dschungel versumpfte, sondern in New York für Randale sorgte. Danach waren Riesenspinnen, Monsterfliegen und mutierte Ratten eher dem Science-Fiction-Genre vorbehalten, bis 1957 "Der Tod hat schwarze Krallen" ("I Was A Teenage Werewolf") mit Michael Landon (Little Joe Cartwright aus Bonanza!!!) für Entsetzten sorgte. Alfred Hitchcock steigerte dies noch, er ließ 1963 "Die Vögel" Amok fliegen. Unbestreitbaren Kultcharakter hat Steven Spielbergs "Der weiße Hai" (1975). Der Regisseur sprach mit diesem Blockbuster die menschliche Angst vor der Tiefe und dem Unbekannten an und ließ selige "Flipper"-Zeiten vergessen. Ein vergnüglicher Nachmittag am lokalen Baggersee? Aber erst, nachdem die Wasseroberfläche nach Rückenflossen abgesucht worden war! Mit "Der Rattengott" (1977) und "Piranhas" (1978) wurde das tierische Thema dann ausgereizt – wären da nicht noch die Japaner gewesen! Die schufen nämlich Der Tod hat schwarze Krallen mit ihrem Kunstmonster Godzilla ein gar schreckliches Ungetüm, das schon seit 1954 über Stock und Stein gestapft war. Besonders in Deutschland genoss die durch Atomstrahlung mutierte Riesenechse zu Beginn der Siebziger massive Popularität und lieferte sich mit Gorosaurus, Space Godzilla Godzilla und einem Riesen-Frankenstein wilde Kämpfe. Titel wie "Godzilla und die Urweltraupen" (1964) oder "Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster" (1971) sprechen für sich. Völlig unerwartet kam der Erfolg von Steven Spielbergs "Jurassic Park" (1993), der mit seiner Geschichte der aus DNS erschaffenen Dinosaurier nicht nur den ultimativen Mega-Blockbuster der Neunziger in die Welt setzte, sondern gleichzeitig eine wilde „Dinomanie" auslöste.

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Der Teufel, Damonen und polternde Geister T

hemen wie Besessene, Dämonen oder der Leibhaftige persönlich standen besonders in den Siebzigern hoch im Kurs. Ein früher Film des Subgenres war "Rosemaries Baby" (1967), verfilmt von Roman Polanski und faszinierend von Hauptdarstellerin Mia Farrow umgesetzt. Rosemary und Guy Woodhouse beziehen eine Wohnung in New York und werden mit zunehmend unheimlicheren Geschehnissen konfrontiert, etwa dem nicht klar zu verstehenden Gesang einer Gruppe von Menschen, die sich als Satanistenzirkel entpuppen. Nach einigen Monaten bringt Mia Farrow Rosemary ein Baby zur Welt, das unter in "Rosemaries Baby" dem Vorwand, es wäre gestorben, entführt wird. Als sie aus der Nachbarschaft ein leises Weinen wahrnimmt, fasst sie allen Mut zusammen und betritt mit einem Messer die andere Wohnung. Die Satansjünger ehren das Baby als den Sohn des Teufels, doch Rosemary entreißt ihnen das Kind. Am verblüffenden Schluss sieht man sie lächelnd in einem Schaukelstuhl sitzen, den Sohn in den Armen. Die ungelöste Handlung verstärkt beim Zuschauer das Gefühl des Unheimlichen, was Polanski beabsichtigte, da er sein Publikum zum „Weiterspinnen" anregen wollte. Für reichlich Gesprächsstoff sorgte dann "Der Exorzist" (1973), in dem Pater Merrin dem besessenen Mädchen Regan (Linda Blair) den Teufel "Der Exorzist" austreiben musste. TopSzene: Regan schwebt über ihrem Bett in der Luft, ganz zum Entsetzen des Exorzisten. Wie auch bei "Das Omen" (1976; hier ist Damien Thorn der Sohn Satans) folgten Fortsetzungen. Im Reißer "Poltergeist" (1982) treiben Geister Verstorbener eine ganze Familie an den Rand des Wahnsinns, das kleine Mädchen Carol Anne wird zur Zielscheibe der in ihrer Ruhe gestörten Toten. Klar – zwei Fortsetzungen.

King Poe – Literatur im Kino

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© Larryfire.wordpress.com

iele Horrorfilme aus den Jahren 1960 bis 1990 basieren auf literarischen Vorlagen, zwei Autoren standen nach Überzeugung der Regisseure an der Spitze der Popularitätsskala. Stephen King zählt zu den Stephen Vielschreibern und begeisterte King schon zahlreiche Regisseure, die sich seiner aufs Papier gebrachten Ideen mit unterschiedlichem Erfolg annahmen. Das Resultat besteht aus 80 (!) Verfilmungen, von denen "Carrie – Des Satans jüngste Tochter" (1976), das bereits erwähnte "Shining", "Christine" (1983) und "Friedhof der Kuscheltiere" (1989) zu den sehenswerten Arbeiten gerechnet werden können; sie stehen in krassem Gegensatz zu Langweilern wie "Rhea M – Es begann ohne Warnung" (1986). Zu Beginn der Sechziger stand der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe Edgar Ellan Poe hoch im Kurs, dessen Kurzgeschichten Seite

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und Gedichte filmisch fast immer sehr frei umgesetzt wurden. Der König des B-Movies, Roger Corman, und Vincent Price, einer der wohl überzeugendsten Horror-Darsteller, brachten unter anderem "Der Untergang des Hauses Usher" (1960), "Das Pendel des Todes" (1961) und Vincent Price den ironischen, humorvollen "Der Rabe – Duell der Zauberer" (1963) auf den Markt – hier treffen sich die Chef-Gruseler Price, Peter "Das Pendel des Todes" Lorre und Boris Karloff auf der Leinwand. Ein eher unbedeutender, aber Lex-Barker-Fans zu empfehlender Film ist "Die Schlangengrube und das Pendel" (1967), in dem als einziges Poe-Element das Pendel übrigbleibt. Für den allgemein faden Erguss entschädigt zumindest die attraktive Karin Dor in der Rolle der Jungfrau Lilian.

Das ist der Hammer!

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er Boom des Horrorfilms in Europa wurde maßgeblich von einer Firma forciert – von den britischen Hammer Film Productions, die ihre Beiträge in Fließbandarbeit in den Bray Studios in Windsor abkurbelte. Meist mit einem niedrigen Budget ausgestattet, waren es die Liebe zum Detail sowie die fantastischen Dekorationen und grellen Farben, mit denen die Macher dem Publikum einen starken Nervenkitzel verpassten. Nicht nur Christoper Lee Caroline Munroe – wurde durch Hammer zum Star, auch Die Schöne unter den der unnachahmliche Peter Cushing, "Hammer-Biestern" der Sherlock Holmes, den Vampirjäger Dr. Van Helsing und darauf den Widersacher von Piraten, Gespenstern und dem Monster von Frankenstein meisterhaft umsetzte. 1980 musste Peter Cushing Hammer Konkurs anmelden, wurde aber 2007 vom niederländischen Produzenten John de Mol (TV-Erfolg u.a. "Die Traumhochzeit") reanimiert.

Aussichten

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ampiren, Werwölfen und Monstern unterschiedlichster Couleur kann zwar der Garaus gemacht werden, der Horrorfilm aber wird überleben! Ob Remakes wie vom britischen "The Wicker Man" (2006) mit Nicolas Cage oder unerwartete Erfolge wie der No-Budget-Film "The Blair Witch Project" (1999) – es gibt genügend Material, das zur Unterhaltung und manchmal auch zu einer metaphorischen Gesellschaftskritik verwurstet werden kann. Dazu kommt der Kultfaktor, der alte Serien wie die witzigen "Munsters" wieder an die Oberfläche spült und einen Film wie "The Fog – Nebel des Grauens" zum Dauergruseler werden lässt. Auch der seit einigen Jahren existente VampirBoom beflügelt das Horrorgenre und wird weitere Regisseure zu neuen Schockern inspirieren. 1/2011

"The Munsters"


Foto: Bildarchiv Hallhuber

The Beatles

kult!


Foto: Bildarchiv Hallhuber

kult!

Lex Barker


Hute dich, wenn der Nebel kommt! Ein alter Seebär sitzt am Strand und erzählt einigen Kindern am Lagerfeuer eine Gespenstergeschichte. Sie ist viel zu gruselig, um wahr zu sein. Vor hundert Jahren soll ein Schiff an der Küste des verschlafenen Örtchens Antonio Bay zerschellt sein und die Besatzung mit ins nasse Grab gerissen haben. Kapitän Blake wurde von den Einwohnern durch ein falsches Leuchtfeuer in die Irre geleitet und hatte keine Chance, den scharfen Klippen zu entkommen. Seit dieser Zeit sinnen die verstorbenen Seelen auf Rache – eine Rache, die schrecklicher nicht sein könnte ... habend, wollte in Antonio Bay eigentlich ein Refugium für Kranke errichten. Mit dem ergaunerten Gold wurde die Kirche gebaut, aus dem Rest schmolz der gierige Pfaffe ein riesiges Kreuz. Malone wird klar: Die Einwohner sind verflucht! Bei Tagesanbruch scheint die Sonne, die Bewohner bereiten die Feier vor, doch Unbehagen macht sich breit. Der Sohn der Moderatorin findet am Strand ein morsches Brett, in das der Name eines alten Schiffes eingeritzt ist – er gibt es seiner Mutter. Während sie ihre Nachmittagssendung beginnt, fließt Salzwasser aus dem Holz. Kurz erblickt sie den Schriftzug „Sechs müssen sterben" … Nick Castle, der ein Schäferstündchen mit der Tramperin Elisabeth Solley verbracht hat, entdeckt den alten Kutter auf See und starrt in die leeren Augenhöhlen eines Matrosen, dessen Leiche schon mehrere Wochen unter Wasser gewesen sein muss. Zur Geisterstunde zieht wieder Nebel auf, noch dichter und gespenstischer als am Tag zuvor. Die ruhelosen Geister von Blake und seinen Mannen entern das Festland und dringen mordend bis zur Kirche vor. Dort will Pater Malone für die Tat seiner Ahnen büßen, er überreicht dem Kapitän das goldene Kreuz. Plötzlich hat der Spuk ein Ende. Stevie, die sich vor den Schauergestalten auf die Kuppel des Leuchtturms retten musste, bleibt verschont. Malones letzte Gedanken, „Es müssen doch sechs sein, warum wurden nur fünf getötet?", werden schnell geklärt: Blake kehrt in die Kirche zurück und enthauptet den Büßer … "The Fog" hat sich zu einem ultimativen Kultklassiker entwickelt, und daran konnte auch das äußerst langweilige Remake aus dem Jahr 2005 nichts ändern. Es sind besonders die Gegensätze, durch die der Regisseur Spannung erzeugt. Stevies Easy-Listening-Musik wird von Carpenters Dreitonmelodien unterbrochen; eine Autofahrt im hellen Sonnenschein steht im Kontrast zu den nächtlichen Gruselszenarien; die attraktiven Darsteller werden mittels der verwesenden (aber nur schemenhaft gezeigten) Piratengesichter konterkariert. Gewollt ist die schwierige Orientierung für den Zuschauer: Carpenter schickt bis auf Stevie keinen eindeutigen Sympathieträger ins Geschehen, sondern gewichtet Handlungsstränge und die unterschiedlichen Charaktere gleichwertig – er lässt durch diesen Kunstgriff das Publikum sprichwörtlich im Dunkeln tappen. Von wenigen Horrorelementen abgesehen, spielt er mit Andeutungen und einer vermeintlich dichten Atmosphäre (Nebel!); er verfällt nicht in die aktuelle Tendenz, alles mit überhöhtem Tempo runterzukurbeln. Carpenter hat mit "The Fog" ein Stimmungsgemälde kreiert, das den Zuschauer packt, durchschüttelt und ihn dann beruhigt wieder entlässt. Alan Tepper

John Carpenter hatte sich 1974 mit dem Science-Fiction-Film "Dark Star" einen Namen gemacht und seinen guten Ruf mit "Halloween – Die Nacht des Grauens" (1978) untermauert. Als jahrelanger Fan von Geistergeschichten wollte er sich danach auf eher traditionelles Terrain begeben und schrieb mit Debra Hill das Drehbuch zu "The Fog – Nebel des Grauens", den er, wie für ihn üblich, mit guten Bekannten und Verwandten verfilmte. So spielte seine Frau Adrienne Barbeau die Radiomoderatorin Stevie Wayne, Janet Leigh (bekannt als Duschnixe aus "Psycho") war als Bürgermeisterin zu sehen, und ihre Tochter Jamie Lee Curtis übernahm die Rolle einer Tramperin. Einen kleinen Witz konnte sich Carpenter nicht verkneifen, denn eine Figur des Films nannte er Nick Castle – das ist der bürgerliche Name des Schauspielers, der Mike Myers in "Halloween" verkörpert. 1979 nutzte der Kultregisseur landschaftlich beeindruckende Orte in den USA, die außerdem für ein intensives Nebelaufkommen bekannt sind. Auch die Musik stammt von Carpenter – gewiss kein begnadeter Komponist, doch er vermag mit wenigen Tönen ein Gefühl des Unbehagens und der Klaustrophobie zu erzeugen. Antonio Bay will sein hundertjähriges Bestehen feiern. Es ist Mitternacht, unerklärliche Ereignisse verstören die Bewohner des Küstenstädtchens. Autos beginnen zu hupen, Glas zersplittert, gespenstische Schwaden wabern übers Meer. Die attraktive Radio-Lady Stevie Wayne sitzt in ihrem Leuchtturm, schaut auf die See hinaus und erhält plötzlich den Anruf eines Meteorologen, der von einer dichten Nebelwand berichtet. Stevie unterbricht die Sendung, sie warnt die Seeleute mit ihrer verführerischen, hoch erotischen Stimme; doch der Hinweis wird nicht beachtet, denn die Besatzung eines kleinen Trawlers nimmt exzessiv alkoholische Getränke zu sich. Als ein Matrose an Deck geht, sieht er den hell leuchtenden Nebel. Da tauchen wie aus dem Nichts die Umrisse eines uralten Segelschiffs auf. Der Sailor registriert schemenhaft Mitglieder der Besatzung, die mit Dolchen und Enterhaken bewaffnet sind. Mehr sieht er nicht, denn im selben Augenblick durchbohrt ihn ein rostiges Schwert. Kameraschwenk aufs Festland. Pater Malone sitzt in der Sakristei seiner Kirche. Ein Ziegel hat sich aus der Wand gelöst und gibt den Blick auf ein altes Buch frei. Malone nimmt es, erkennt die Schrift seines Großvaters, der vor hundert Jahren der Geistliche am Ort war, und beginnt zu lesen. Während der Lektüre packt ihn das Entsetzen, denn er hält das Geständnis eines schrecklichen Mordes in der Hand. Mit fünf weiteren Bewohnern des Ortes hatte sein Vorfahre das Schiff und das Vermögen eines an Lepra leidenden Mannes namens Blake vereinnahmt. Blake, wohlGoodTimes

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The Fog - Nebel des Grauens

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YEAH, YEAH ... TUUT, TUUT

Rock auf Rädern / PS-Pop

Popmusik und Autos, das gehör gehört (e) zusammen wie Lead und Gitarre, wie Live und Konzert, wie Led und Zeppelin. In den piefigen Fünfzigern räumten die neuen Klänge erstmals den Muff der Vergangenheit weg, Jungvolk muckte auf. Ein bis dahin nicht für möglich und machbar gehaltenes, neues Bewusstsein bei den Nachwachsenden legte sich über weite Flächen der westlichen Welt – und ein Bestandteil waren (die oft ersten eigenen) fahrbare(n) Untersätze: Bewegungsfreiheit im Hirn und auf Highways, die aber auch King's Road oder Königstraße hießen. Und wenn amerikanische Junioren – Mitte der Sechziger als Antwort auf die britischen SoundInvasoren – selbst zur Tat schritten, geschah diese Übung nicht von ungefähr sehr oft zunächst in Vatis überdachtem Stellplatz für die Familienkutsche: Garagen-Rock!

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lar, all dies hielt auch Einzug in Texte des Rock'n'Roll, Pop und Rock. Chuck Berry – als damals völlig revolutionär dichtender Künstler – hatte schon in den 50s immer wieder real existierende Marken in seine Songs eingebaut. Im Folgejahrzehnt waren es oft die Beach Boys. Und seit den Mittsiebzigern bediente sich vor allem Bruce Springsteen gern in den Katalogen der Automobilhersteller.

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s gab natürlich auch „neutrale" populäre Titel wie "Drive My Car" (Beatles), Elton Johns "Let Me Be Your Car" (na, na ...!) oder, noch knapper gefasst, den Riesen-Hit "Cars" von Gary Numan. Ebenfalls ohne Markenfestlegung, dafür aber mit Herstellungsland und Preis („drei Riesen"), versahen Status Quo eine Kiste in "Paper Plane": „Riding in a three grand Deutsche car ...". Andere wiederum verlegten sich auf unterschiedliche Formen der Vierrädrigkeit: So besangen The Who den "Magic Bus", die Rolling Stones eine "Black Limousine" und Wreckless Eric das "Final Taxi". Lynyrd Skynyrd verewigten den "Truck Drivin' Man", Van (!) Morrison fragte "Who Drove The Red Sports Car?", und Countrysänger Kenny Chesney wusste sogar zu berichten: "She Thinks My Tractor's Sexy". Oder es ging an die Innereien wie den "Driver's Seat" (Sniff 'N The Tears), den unverzichtbaren Oktansaft ("Fuel"/Metallica; "Last Chance Texaco"/Rickie Lee Jones), während die Tyla Gang davor warnte, während der Fahrt Hand an den Schaltknüppel zu legen, falls wirklich der gemeint war ... ("Don't Shift A Gear"). Extrem detailliert wurde Donovan mit "The Stromberg Twins" – und damit waren keine Zwillinge auf zwei bzw. vier Beinen gemeint, sondern ein ganz besonderer Doppelauspuff ...

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ass sich relativ gut verdienende Megastars vom schwer Erspielten regelrechte Fuhrparks anschafften (in Memphis zum Beispiel steht Seite

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das Elvis Presley Automobile Museum) passt ebenfalls ins Bild – genau wie die Tatsache, dass ein Mann wie Jeff Beck jede freie Minute dazu nutzt, die Stratocaster mit dem Schraubendreher zu vertauschen, um an seinen diversen Oldtimern zu fummeln. Als „car crazy" gilt auch sein ZZ-Top-Kollege Billy Gibbons: Er besitzt mehr als 70 fahrbereite, sündhaft teure Modelle diverser Marken, das älteste ist ein 1932er Ford. Band-Songs wie "Chevrolet", "Manic Mechanic" und "She Loves My Automobile" zeugen von der Affinität des Texas-Trios für alles rund um fahrbare Untersätze.

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nd immer wieder – statt sich in Lexika und Wörterbüchern wund zu suchen – kamen Bands auch auf die Idee, ihren Namen doch gleich aus dem endlosen Begriffsfeld rund um Auto & Co. zu entlehnen. The (Racing) Cars gehören natürlich dazu, REO Speedwagon, T(h)in Lizzy, die UK-Blueser Buick 6, Mitch Ryder & The Detroit Wheels, The Cortinas, The Drive-By Truckers, aber auch Diesel Park West oder die dänischen Gasolin', während sich lautstärkere Combos wie Tank oder T2 gleich in die gepanzerte Abteilung begaben. Um lediglich einige zu nennen. Und auch das folgende Angebot mit Rock (und Pop) auf Rädern kann natürlich nur eine Auswahl dessen sein, was sich über Jahrzehnte zu einem riesigen Blechberg angesammelt hat.

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m Mittelpunkt stehen attraktive amerikanische Modelle, dies liegt in der Natur der Sache. Eine augenzwinkernde Begründung – mit einer großen Portion Wahrheit – lieferte die Firma Chevrolet in einer Anzeige aus dem Jahr 2001. Zur Abbildung einer Corvette Sting Ray hieß es im Werbetext lapidar: „They don't write songs about Volvos." Anlassen, los geht's ...

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ten Song, den sie 1970 mit dem Singer/Songwriter Bob Neuwirth und dem Dichter Michael McClure komponierte: Einen "Mercedes Benz" wünschte sie sich, denn „... ... my friends all drive Porsches ...". Ihr Bitten kam zu spät, Joplin starb drei Tage nach der Aufnahme, die 1971 971 auf den Markt kam.

Der große Bo Diddley hat den „BuchstabierSong" ("C-a-d-i-l-la-c") komponiert und gespielt. Richtig bekannt wurde er durch die Version der Kinks von 1964. Immer wieder dienten Modelle des klassischen Straßenkreuzers – im Bild ein „Eldorado" (1959) – als Bestandteil von Rocknummern, u.a. von den Renegades und Moon Martin beziehungsweise Mink DeVille ("Cadillac Walk").

Julie Driscoll sang David Ackles' wunderbares "Road To Cairo" (im Bundesstaat Missouri gelegen). Nach einem Unfall sucht sie, laut Text, eine Mitfahrgelegenheit, denn: "I wrecked my Lincoln in St. Jo" (Saint Joseph). Schönes Teil, das sie da geschrottet hat – es gehörte zu den nobleren Karossen, die ab 1939 von Ford in einer Dauerserie gebaut wurden.

Nicht im Titel selbst, aber im Verlauf des Textes brachten ihn 1966 die ruppigen Pretty Things unter: „Man sits in his DB5 ..." heißt es in "£.S.D.". Gemeint ist ein Aston Martin DB5. Der britische Edelschlitten erlangte Berühmtheit, als er zum fahrbaren Untersatz für den „Geheimagenten Geheimagenten 007", James Bond, auserkoren wurde.

Namedropping aller Art – Persönlichkeiten, Städte, Straßen, Gebäude etc. – ist fester Bestandteil der Songs von Bob Dylan. 1965 schrieb er (deutlich „inspiriert" von Sleepy John Estes' "Milk Cow Blues") einen Text für eine nicht konkret genannte Frau. Vielleicht war ihm der Titel während einer Autofahrt eingefallen und heißt darum "From A Buick 6".

Manchmal spendierte ein Fahrzeug sogar den Namen für eine Rockband, zum Beispiel beim legendären REO Speedwagon. Dabei handelte es sich um ein schnelles Feuerwehrauto aus den dreißiger Jahren, aber auch um Transport-Lkw. REO sind die Initialen des Firmengründers Ransom Eli Olds (1864 – 1950) aus Ohio, der ferner die Marke Oldsmobile erfand.

Hotrods, frisierte US-Automodelle (Originalmotor + aufgemotzte Karosserie), kamen im London der Sixties nicht so häufi g vor. Pete Townshend, Chefkomponist von The Who, war's egal. Er kreierte 1965 "Bucket T", den Song über eine Kutsche, die auf dem legendären Ford Model T basierte, der zwischen 1908 und 1927 in Serie gefertigt wurde. Eben jener Klassiker auf vier Rädern war außerdem Namensgeber für eine der berühmtesten Bands, die jemals aus Irland kamen. Als sich Phil Lynott (voc, b), Eric Bell (g) und Brian Downey (dr) 1969 einen Namen für ihr Trio überlegten, fiel ihnen ein, dass jener steinalte Ford im Volksmund auch Tin Lizzie genannt wurde – die Geburtsstunde von Thin Lizzy.

„Und läuft ... und läuft ... und läuft" lautete später der Werbeslogan für den VW, der bei den Nazis noch K(raft)-d(urch)F(reude)-Wagen hieß. Auch bei den Amerikanern waren die robusten Anti-Benzinfresser von jeher beliebt. Ein US-Sänger, der gebürtige Schotte Johnny Cymbal (1945 – 1993), 993), machte das Modell „Käfer" Käfer" sogar zum Single-Star – 1964 964 mit "Go V.W. Go". Chuck Berry revolutionierte den Rock'n'Roll (auch) mit völlig neuartigen Texten, in denen er u.a. das (Teenager-)Leben ringsum realistisch schilderte. Klar, dass auch Autos darin vorkamen, die – Schleichwerbung hin oder her – immer wieder namentlich genannt wurden. In "My Mustang Ford" baute er den Ford Mustang sogar in den Titel ein.

„Halte lange durch" wünschte sich Neil Young 1976 in "Long May You Run" – aber keine Person ist gemeint, sondern ein ... Leichenwagen. Der Kanadier war in den Mittsechzigern

Einen Marken-Doppelschlag verewigte Janis Joplin in ihrem letzGoodTimes

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mit

zweien

Buick

unterwegs,

baute er 1981 in seine Solo-LP WHAT A BLOW den Titel "Jaguar" ein; und als patriotischer Engländer dürfte er eigentlich kein anderes Modell gemeint haben als eines der schönsten Autos überhaupt – die E-Type.

einem

Roadmaster

(1948) 948) und einem Pontiac (1953). 953). Um welchen von beiden es geht, darüber streiten sich Kenner. Die Tendenz geht zum jüngeren Modell.

„My Maserati does one-eightyfive, I lost my license, now I don't drive": Auch wenn Rockstar Joe Walsh im Text von "Life's Been Good" bei der Höchstgeschwindigkeit seines italienischen 5000 GT ein paar Meilen "nach oben" hinzugeschummelt hat – die Auto-Song-Single brummte 1978 dennoch kraftvoll bis auf Platz 12 der amerikanischen Charts.

Joni Mitchell fuhr, lang ist's her, im Hawaii-Urlaub per Taxi in ihr Hotel. Es war einer dieser unverwechselbaren gelben Wagen, bis 1982 exklusiv hergestellt von der Firma Checker Motors Corporation in Kalamazoo, Michigan. Die Sängerin schrieb danach ihren vielfach gecoverten Evergreen "Big Yellow Taxi", der 1970 das Album LADIES OF THE CANYON zierte.

Der verstorbene Warren Zevon hat einen Song hinterlassen, den sein Sohn Jordan 2004 auf einer Tribute-CD für Daddy ans Licht brachte (ENJOY EVERY SANDWICH). Laut Text gibt es Ärger mit einem Auto, „... it keeps on breaking down again ...". Ob es um das Modell Commander geht, ist nicht bekannt – in jedem Fall war's ein klassischer „Studebaker".

Einer englischen Edelmarke widmete sich der Amerikaner John Moon" Martin 1980: Rolls" Royce. Auf der LP STREET FEVER gibt es den Titel "Rollin' In My Rolls" – und der Sänger behauptet: „I've seen Presley in his '37 Rolls". Glauben wir's ihm mal und zeigen ein Modell Phantom (Mitte der dreißiger Jahre), das Elvis besessen haben soll ...

Autor Donovan legte vor, die Animals peppten den Song "Hey Gyp (Dig The Slowness)" dann auf. Im Titel noch unverdächtig, geht's im Text dann fast nur noch um US-Kisten. Neben den hier schon abgefeierten Cadillac und Ford Mustang wird einer Herzdame immer wieder versprochen: „I'll buy you a Chevrolet ... if you just give me some of your love now."

Anglo-amerikanische Wortschöpfungen in Rocksongs sind Legende. Ein besonders schönes Exemplar gelang Gitarrist/ Komponist Bill Carter aus London 1987 für einen Titel seiner unterbewerteten Formation Screaming Blue Messiahs auf dem Album BIKINI RED: In "Jesus Chrysler Drives A Dodge" brachte er augenzwinkernd in 4:01 Minuten gleich zwei Marken unter.

Nur rund 50 Stück wurden zwischen 1948 und 1953 953 für den Rennsport gefertigt. Doch der superrare Ferrari 166 MM galt von jeher als Traum für Lenker offener Zweisitzer. 1981 981 besangen ihn Rush als "Red Barchetta" (rotes, kleines Boot). Bei einem Onkel auf dem Land, so der Text, fand man „a brilliant red Barchetta from a better, vanished time."

Skoda, Lada, Wartburg, Moskwitsch, Dacia – keiner dieser Ostblockuntersätze schaffte es ins textliche Repertoire einer internationalen TopBand. Aber die sowjetische Edelkarosse: Ian Anderson eröffnete "Nobody's Car" (LP: UNDER WRAPS; 1984) von Jethro Tull mit "Black Volga following me ..." und sorgte damit für einen raren Dreh bei Auto-Songs.

Surf, Pop und Rock'n'Roll legten Ronnie & The Daytonas aus Nashville Anfang der Sixties aufs Band – und das sehr erfolgreich. Bis auf Platz 4 der US-Charts krabbelte 1964 964 ihre populärste Nummer, schlicht "G.T.O." (Gran Turismo

Zu Britanniens besten Songschreibern der 70s/80s gehörte der Pubrocker Ian Gomm (voc, g; Ex-Brinsley Schwarz). Nachdem er auf eigene Rechnung arbeitete, Seite

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Und weil Musik nicht nur aus den USA und UK kam, darf dies nicht unterschlagen bleiben: Wem außer Heinz Erhardt hätte für die Single "Fährt der alte Lord fort" eine Zeile wie „Fährt der alte Lord fort, fährt er nur im Ford fort ..." einfallen können?! Zur WirtschaftswunderZeit dürfte es sich mit einiger Sicherheit um einen Ford Taunus 12 M gehandelt haben ...

Omologato) betitelt. Damit setzten die jungen Musiker dem Modell aus dem Hause Pontiac ein musikalisches Denkmal. Ian Gillan und Roger Glover (später bei Deep Purple) gehörten zur Band Episode Six, die 1966 mit der Single-B-Seite "Mighty Morris Ten" augenzwinkernd ein Modell der englischen Morris-10-Serie (hergestellt zwischen 1933 und 1948) besangen. Der Hobel, stellte sich Texter Glover vor, soll trotz seiner Betagtheit locker ein Rennen gewonnen haben.

Rund 15 Jahre später schaffte Henry Valentino (= Hans Blum) sogar einen deutschen Top-10Hit mit einem Auto-Song: "Im Wagen vor mir". Europäisch wird es im Text, wenn Sänger HansHenry den kultigen BlätterteigPorsche erwähnt: „Mensch, fahr an meiner Ente doch vorbei ..." – womit auch der französische Citroën 2 CV im Schlager verewigt war, den sich auch die Schotten LLOYD COLE & THE COMMOTIONS 1984 nochmals griffen: „„She She drove her mother's car, 't was a 2 CV" heißt es in ihrem Song "2 CV" vom Debütalbum RATTLESNAKES.

GREATEST CAR SONGS heißt eine CD-Compilation der Beach Boys, u.a. mit "Little Honda", "Custom Machine", "Little Deuce Coup" und "This Car Of Mine". Von einer Single-B-Seite (1962) kommt "409" über das gleichnamige Modell, das von Chevrolet zwischen 1961 und 1965 hergestellt wurde. Nur wenige Bands haben derart viele Auto-Titel eingespielt. Zu den populärsten Nummern des Altmeisters Sonny Boy Williamson II (= Rice Miller) gehörte der "Pontiac Blues". Er ist unter anderem im Rahmen einer gemeinsamen Live-Aufnahme mit den Yardbirds aus dem Londoner Crawdaddy Club vom Dezember 1963 zu hören. Sonny Boy starb 1965, die unterschiedlichen Modelle des Autos sind ebenso unvergessen.

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nd heute? Wo sind tolle, neue Songs über und mit Autos? Fehlanzeige. Schon Ende der siebziger Jahre rollte die ganze Sache merklich aus. Bereits damals hatten die Kisten – vor allem bei jungen Leuten – nicht mehr den Stellenwert wie in den Jahrzehnten zuvor: Viele besaßen eine, anderen waren sie (Statussymbol und so ...) ganz einfach weniger wichtig; und als blecherne Aufrisshilfe hatten sie ebenfalls ausgedient. Kaum verwunderlich also, dass Texter/Komponisten nur noch äußerst verhalten den Fundus rund um Lancia, Lack und Liegesitze aufstockten. Auch der "Airbag" von Radiohead („... In a fast german car/An airbag saved my life ...") hat schon wieder zwölf Jahre auf dem Buckel, Roxettes "Sleeping In My Car" ist noch älter, das "Black Devil Car" von Jamiroquai (2005) mag gerade noch bekannt sein.

Im R&B-Standard "Rocket 88" von 1951 auf Chess Records geht es nicht etwa um ein Klavier (88 Tasten), sondern um einen Oldsmobile 88, von 1949. Eingespielt haben's Ike Turner und seine Kings Of Rhythm. Veröffentlicht wurde der Song unter dem Bandnamen Jackie Brenston And His Delta Cats (Brenston war Turners Sänger/Sax-Mann).

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er Songmangel erhält noch zusätzliche Unterstützung durch die kreative „Entwicklung" bei der Hardware: futuristische Heckfl ossen, schnörkeliger Kühlergrill, auffällig geformte Scheinwerfer oder Rückleuchten – alles nicht mehr gefragt bzw. erlaubt, die Zeiten sind passé. Heute regiert die optische Gleichschaltung. Und man fragt sich beim Blick auf so manche gefüllte Mehrfach-Parkbox am Straßenrand nicht selten, was die verantwortlichen Designer eigentlich beruflich machen.

Auch der große Songschreiber und Interpret Tom Waits integrierte in seine szenischen Texte sehr gern klassische US-Fahrzeuge vergangener Jahrzehnte – zum Beispiel im Song "Ol' 55". Nach eigenen Aussagen hat er damit den Buick Roadmaster, Baujahr 1955, gemeint. Ein akustisches Denkmal für eine der charakteristischsten Limousinen jener Ära.

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ieser Trend hat sich seit langer Zeit nicht mehr verändert. Dann und wann finden sich noch einzelne populäre Song-Beispiele, in den Charts und anderswo herrscht dennoch eher Leerlauf – kein "Toyota Boogie", "Show Me Your Hummer" oder "Kissin' In A Kia"; nicht mal abgenudelte Blues-Stereotypen à la "I woke up this morning/my Mazda was gone" sind bekannt. Und wenn doch mal was durchrutschte (wie 1981 in Blondies "Rapture"), klang das so: „You go out at night, eatin' cars/You eat Cadillacs, Lincolns, too/Mercurys and Subarus ...". Dichterischer Kolbenfresser. Bernd Matheja

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Kult in Leder – Lederkult Leder Lede rkult Erdmann Doch Lederbekleidung blieb die Leidenschaft des innovativen Tüftlers. Rennfahrer wie Hans Stuck oder Peter Collins schätzten die „zweite Haut", wie auch unzählige Motorradfahrer, die in den Fünfzigern mit ihren Knatterkisten und später mit hochgezüchteten Renngeschossen auf den Straßen unterwegs waren. Auch die „Freunde und Helfer" standen auf den Lederdress. Schon in den ersten Jahren nach der Firmengründung stellte Erdmann in München Jacken für die Polizei her; ab 1961, als sie in der ARD-Vorabendserie "Isar 12" zu sehen waren, wurden sie zum Kult. Wenn dann Rocker und die Obrigkeit aufeinandertrafen, gab es eine Menge Zoff, der in handfesten Prügeleien endete. Ironie der Geschichte: So unterschiedlich die Gruppierungen auch waren, es gab dennoch ein Bindeglied – die Garderobe des Münchner Lederfabrikaten!

Für Jugendliche ist Markenbewusstsein ein Glaubensbekenntnis. Modelabel wie G-Star, Hilfiger, Marco Polo oder Adidas gehören zum alltäglichen Wortschatz der Kids. Ob sie jedoch eine Firma kennen, die auf heimischer Scholle auf eine längere und noch kultigere Tradition zurückblicken kann? Wohl eher nicht. Seit fast 60 Jahren beliefert Leder Erdmann Rocker und Biker, die Polizei, Otto & Ottilie Normalverbraucher und auch viele Musiker, für die der Lederdress ebenso zum guten Ton gehört wie das passende Instrument.

eutschland zu Beginn der fünfziger Jahre: Nach dem Horror des Zweiten Weltkriegs wurde in die Hände gespuckt und aufgebaut. Ein neuer Optimismus erfasste die Menschen und regte sie zu kreativen Höchstleistungen an. HansWerner Erdmann kehrte aus russischer Gefangenschaft zurück, den Kopf voller Ideen. Er hatte im Krieg ein Jurastudium begonnen, doch als Mann der Tat wollte er nicht hinter einem Schreibtisch versauern, sondern greifbare Ergebnisse seiner Ideen sehen. 1952 gründete er seine Firma und verteilte vor den Toren der Bayerischen Motorenwerke nach Schichtende Flugblätter an die Arbeiter, mit Werbung für eine von ihm entworfene Lederjacke. Da sich damals noch kaum jemand einen vierrädrigen Fahruntersatz leisten konnte, durfte sich Erdmann über rege Nachfrage freuen, denn Schutz vor Wind und Wetter wurde großgeschrieben. Wenn das aktive Wirtschaftswunderkind sich dann doch mal eine Textilpause gönnte, erfand es neue Konzepte, wie zum Beispiel ein speziell auf Tonstudios ausgerichtetes Akustik-Design, das in London und Tokio umgesetzt wurde, oder die Zirkus-Revue „Erdmanns Picadilly Musical", die von über einer halben Million Zuschauern gesehen wurde.

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Autogrammkarte 1961

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Von Alan Tepper

Die Beatles "in" Erdmann

Mit Erdmann-Lederjacken wollte sich fast jeder schmücken. Schauspieler Heinz Rühmann, Regisseur Rainer-Werner Fassbinder, der englische Schriftsteller William Somerset Maugham, Box-Star Bubi Scholz, Sängerin Vivi Bach und viele andere trugen sie, wo und wann immer es ging. Die zugkräftigste Werbung kam aus Hamburg. Der bayerische Geschäftsmann hatte nach Eröffnung einer Münchner Filiale eine weitere Verkaufsstelle eröffnet: Reeperbahn 155, St. Pauli, genau gegenüber der Großen Freiheit. Als die Beatles erstmals offiziell von Astrid Kirchherr abgelichtet wurden, trugen sie lederne ErdmannLumber-Jackets. Klar, dass von den Fab Four eine Signalwirkung ausging und sich von da an die Halbstarken in die angesagte Haut warfen. Aber auch andere Accessoires, die den Look der Jugendkultur bestimmten, konnten bezogen werden. Hans-Werner Erdmann hatte

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schon früh damit begonnen, per Direktimport Levi’s-Produkte einzuführen, die dankbare Kunden fanden – Jeans, US-Hemden und BeatBoots. Schon seit den Siebzigern ist Peter Rischer, der derzeitige Firmeninhaber und Geschäftsführer, ein Erdmann-Fan: „Ich war 1972 im Kino und sah als 15-Jähriger den Film 'Rocker', eine in Hamburg von Klaus Lemke gedrehte Milieustudie. Natürlich musste ich auch so eine kultige Jacke besitzen, konnte mir aber nur eine gebrauchte leisten." Rischers

würde überhaupt nichts bringen, Einsparungen vorzunehmen, die zu Lasten der Umwelt und der Qualität gehen. Es ist wirklich kurios, wenn alte Kunden kommen, die zum Beispiel eine Naht nachgenäht haben wollen und mir dabei verraten, dass sie die Jacke oder Hose schon seit über 30 Jahren besitzen. Trotz häufigen Tragens hat sich erst jetzt dieses winzige Problem eingestellt. Genau das verstehe ich unter Nachhaltigkeit – etwas zu produzieren, an dem die Kunden viele, viele Jahre lang ihre Freude haben. Leider ergeben sich so auch längere Lieferzeiten."

Deutsche Motorrad-Cops

Mehr als lobenswert, denn Konsumenten ist immer öfter Billigramsch ein Dorn im Auge – Kinderspielzeug mit Garantie auf Bleivergiftung oder importierte Turnschuhe, mit denen man schon nach dem ersten Regen in der Traufe steht. Rischer: „Zu unserem Service gehört es, neben den gängigen Größen auch Jacken und Hosen herzustellen, die auf den Leib zugeschnitten sind. Mal müssen die Ärmel ein wenig verlängert, mal andere Partien angepasst werden. Für uns ist das überhaupt kein Problem, denn in unserem Showroom im bayrischen Dörfchen Glonn können wir sofort auf Kundenwünsche eingehen. Natürlich nehmen wir auch Maßangaben entgegen, aber die müssen von Profis gemacht sein." Ganz im Sinne des Firmengründers denkt Rischer über Expansion nach. Er hat einen Exklusivvertrag mit Manufaktum abgeschlossen, einem Öko-Kaufhaus mit einem riesigen Sortiment handgefertigter Produkte, die bis in alle Ewigkeit halten, und das nun eine der Polizei-Jacken vertreibt. In der näheren Zukunft sind weitere Unternehmungen geplant, die einen gewissen Rahmen aber nicht übersteigen sollen, denn es ist unmöglich, „Qualität von der Stange" zu produzieren. „Ich möchte", erklärt Rischer, „„die Firmengeschichte und den Kult, der verschiedenste Menschen verbindet, in die Zukunft tragen und einer neuen Generation zugänglich machen. Momentan arbeite ich an einem Buch über die Geschichte dieses einzigartigen Unternehmens; der Band wird reichlich illustriert sein. Der Lebensstil und die damit verbundewieder." nen Emotionen faszinieren mich immer wieder.

Foto: © Bavaria Film GmbH

Szene aus "Funkstreife SAR" Begeisterung blieb ungebrochen, er übernahm die Firma 2005 mit viel Idealismus und Freude. Für ihn ist es wichtig, Produkte zu fertigen, die dem flüchtigen Zeitgeist trotzen und Bestand haben: „Wir gehören zu den wenigen Unternehmen, die nur in Deutschland fertigen lassen. Unsere Lederbekleidung Das wohl schönste Kompliment kommt vom Anarchowird seit 1952 handgefertigt. Hippie-Kiffer-Künstler Hans Söllner, der sich regelmäEine Jacke zum Beispiel wird aus ßig mit Bayerns Obrigkeit anlegt und überhaupt nicht in über 80 Einzelteilen geschneiVerdacht steht, käuflich zu sein oder Schleichwerbung dert. So ist jedes Kleidungsstück zu machen. Der Musiker hat den Kult-Klamotten nämein Unikat." Der engagierlich einen speziellen Song gewidmet: "Kauf ma uns a te Firmenbesitzer betont die Lederjack’n" ... Bedeutung von Nachhaltigkeit und ökologischer Verantwortung. „Vom Kontakt: Gerben des Leders bis zu möglichst kurzen Transportwegen muss es Erdmann Lederbekleidung | einen roten Faden geben. Ich habe in der Vergangenheit schon oft Peter Rischer | Kirchenweg 2 | 83562 Rechtmehring Angebote bekommen, im Ausland fertigen zu lassen, lehne das aber www.erdmann-lederbekleidung.com strikt ab. Erdmann-Bekleidung hat ihren Preis, das ist richtig, aber es GoodTimes

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Ikone mit Fußabtreter Hinterhof zu basteln. „Kaum war der fertig, wollte der Nachbar eine Tür weiter auch einen", schrieb Wally später. Das Geschäft entwickelte sich. Und weil der Lärm im Hof allmählich zu laut wurde, entstand eine kleine Werkstatt – 1932 gingen die ersten kompletten Wohnwagen in den regulären Verkauf. Ihr Name: Airstream, denn „sie bewegen sich auf der Straße wie ein Luftzug" – „like a stream of air".

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arion ist an allem schuld. Im Jahre 1929 kaufte sich Wallace Merle Byam, genannt Wally, das Fahrgestell eines Ford-T-Modells und montierte darauf eine Plattform. Die fuhr er – angehängt an sein Auto – auf einen Campingplatz in den romantischen Blue Mountains von Oregon und baute darauf ein Zelt. Ein mühsames Geschäft, vor allem bei Wind und Regen. Entsprechend ungnädig reagierte seine Frau Marion auf das raue Camperleben. Als braver Ehemann nahm sich Wally die Klage zu Herzen und sann auf Abhilfe. Aus Leinwand und Sperrholz baute er recht simpel auf der Plattform eine aerodynamisch gestylte dauerhafte Unterkunft, die mit Kerosinofen und Kühlschrank sogar schon einen gewissen Komfort besaß. Es funktionierte – und versöhnte seine Marion mit dem wilden Camperleben.

Das war erst der Anfang der Erfolgsgeschichte: In einem Magazin beschrieb er kurz darauf, „wie man für 100 Dollar einen Wohnwagen baut". Vielen Lesern war das noch nicht genau genug – sie fragten die Redaktion nach weiteren Informationen und einer

detaillierten Bauanleitung. Für zehn Cent pro Stück, so bat ihn daraufhin der Herausgeber, möge Wally die Anleitungen verschicken.

Airstream "Torpedo", um 1935

Doch der Tüftler witterte schon damals viel mehr Potenzial hinter dem Interesse der Magazinleser: „Mir wurde klar, dass dies ein verdammt gutes Geschäft werden könnte", erinnerte er sich später. Aus der schmalen Bauanleitung machte er ein etwas weniger schmales Heft, das er über eine Anzeige in der Zeitschrift "Popular Mechanics" als „vervielfältigtes Büchlein mit Zeichnungen" zum Nachbau seines Wohnwagens selbst zum Kauf anbot. Der Erfolg war gewaltig: Binnen kurzer Zeit brachte ihm seine Beschreibung über 15.000 Dollar ein – damals eine gewaltige Menge Geld. Wenig später wurde Wally von einem Nachbarn gebeten, ihm doch so einen Wohnwagen gleich komplett zu bauen. Er sagte zu und beauftragte einen Handwerker, das gute Stück in seinem Seite

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Drei Jahre später übernahm Wally die BowlusTeller Trailer Company. Deren stromlinienförmige Wohnwagen waren konstruiert wie ein Flugzeug ohne Flügel – kein Wunder: Hawley Bowlus war eigentlich Luftfahrtingenieur und Chefdesigner der Spirit Of St. Louis, des Flugzeugs, mit dem Charles Lindbergh als erster den Atlantik überquerte. Ein Monocoque aus Aluminiumrohr, mit zusammengenieteten Aluminiumblechen beplankt – das ergab eine sehr stabile und gleichzeitig relativ leichte Konstruktion. Damals wanderte die Tür auch von der Frontpartie an die Seite, der Einstieg war dort einfacher als das mühsame Klettern über die Deichsel. Seither gab es nur fünf Korrekturen am Design: „Wir machen keine Veränderungen – nur Verbesserungen", sagte Wally einmal. Nach einem Produktionsstopp während des Zweiten Weltkriegs gründete Wally die Firma als Airstream Trailers Inc. neu. Noch heute

Diwan mit 350.000 Meilen hinter sich – Airstream 1937


wird jedes Modell in Jackson Center, Ohio, arbeitsintensiv von Hand und mit mehreren tausend Nieten zusammengesetzt – nach den Regeln des Firmengründers. Dazu gehört auch, dass zunächst der Rumpf und das Fahrgestell montiert werden. Dann folgen bei jedem Fahrzeug im Windkanal Tests bis zur Orkanstärke, ob auch alles wasserdicht ist. Alle Teile für den gediegenen Innenausbau müssen durch die Seitentür in den Airstream transportiert werden. Das sorgt dafür, dass sämtliche Teile bei etwaigen Reparaturen leicht zugänglich und austauschbar sind.

wollen es sehen." Im Airstream hat die „Last Frontier"-Philosophie der amerikanischen Pioniere und Literaten glitzernde Formen angenommen.

Mittlerweile gibt es die Airstreams auch als Europa-Version, angeboten von einer Firma in Nordhessen. Keine leichte Aufgabe: Denn von den Größen- und Gewichtsverhältnissen

Und die sind längst auch von der etablierten Kunstkritik geadelt – Art-Deco auf Rädern. „Airstream-Wohnwagen sind domestizierte, stromlinienförmige Industrieerzeugnisse", schrieb zum Beispiel Margaret McCurry im "Architectural Digest": „Sie sind immer noch unübertroffen." Im Mai 2007 schaffte das New Yorker Museum

bis zur Inneneinrichtung musste erst einmal so gut wie alles auf europäische Gesetze und Dimensionen zugeschnitten werden – vom Zugfahrzeug bis zur Straßenbreite. Zu den Veränderungen gehören höhere Böschungs- und Rampenwinkel für steilere Einfahrten genauso wie eine ausgeglichenere Lastenverteilung, eine reduzierte Stützlast, 230 Volt-Stromversorgung und größere Betten.

Über die Jahrzehnte hat sich der Silberling zu einer amerikanischen Ikone entwickelt, vergleichbar mit der Harley, der Route 66 oder der Monroe. Die „silberne Zigarre" taucht in HollywoodFilmen auf und in Kultromanen. Eine Sternstunde hatte er 1969 nach der Mondlandung, als die ganze Welt zusah, wie die zurückgekehrten Apollo-11Astronauten in Airstream-Trailern verschwanden, die Ausstellungsstück – der Airstream "Clipper" (links) auf einer Camping-Messe zu QuarantäneOf Modern Art einen Airstream Bambi Stationen umgebaut worden waren. Mit dem Travel Trailer aus dem Jahre 1963 für seine Airstream am Haken lässt es sich ebenso über Sammlung an und präsentierte ihn stolz in breite Highways rollen wie durch verschlammder Eingangshalle: „Mit seiner aerodynamite Feldwege abseits jeder asphaltierten Straße. schen Form aus gleißendem Aluminium ist der Bambi eine Maschine zum Leben und „Einen Airstream zu besitzen hat etwas Reisen. Als eine kulturelle Ikone beschwört Spirituelles", verkündet Airstream-Chef Larry der Bambi die Freiheit der offenen Straße Huttle: „Menschen, die ihn kaufen, haben die und die Bequemlichkeit und den Komfort Seele eines Wanderers. Sie wissen nicht, was eines Heims auf Rädern." sich hinter dem Horizont befindet, aber sie GoodTimes

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So wie in den USA ist auch in Europa der Airstream nicht eben preiswert. Während der durchschnittliche deutsche Caravaner für sein rollendes Wochenend-Apartment in der Regel keine 15.000 Euro ausgibt, muss er für einen adaptierten Airstream Bambi mindestens 43.000 Euro anlegen. Das Topmodell mit Tandemachse kostet mit fast 70.000 Euro Basispreis und nach oben offener Ausstattungsliste gar so viel wie ein Mittelklasse-Wohnmobil. Jürgen Wolff

Der moderne Airstream "Basecamp" erinnert an den klassischen "Torpedo"


Mit dem Airstream unterwegs Hotel am Haken

und der Jeep den Trailer verlieren sollte, reißt ein Drahtseil einen Stift aus seiner Halterung, und der herrenlose Airstream legt eine Vollbremsung hin. In einem Land, in dem eine heiße Tasse Kaffee erst Verbrühungen und dann Schadenersatz in Millionenhöhe nach sich zieht, sichert man sich eben doppelt und dreifach ab. Es geht nach Süden, zunächst auf dem Highway 110, dann ein gutes Stück auf dem 405. Newport Beach ist das erste Ziel. Und erst einmal ist gegenseitiges Herantasten angesagt. Wie fährt sich das Gespann, wie reagiert es beim Bremsen? Wie in Kurven? An Steigungen? Schnell zeigt sich: fast so, als wäre man in dem Jeep Grand Cherokee ganz ohne sieben Meter Airstream am Haken unterwegs. Schneller als 65 Meilen pro Stunde darf man eh nicht fahren – American Way Of Drive. An das Knarzen in jeder Kurve gewöhnt man sich schnell: Das heißt aber nicht, dass der Trailer gleich umkippt, sondern dass er noch da ist.

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lbert Hammond lügt! Von wegen, „It Never Rains In Southern California"! Los Angeles empfängt uns mit einem trostlos grauen Himmel und strömendem Regen. Das soll die Stadt sein, die wegen ihrer garantierten Sonnentage zur Filmmetropole geworden ist? Doch, sie ist es. Denn kaum erscheint der Star, reißt der Himmel auf. Spot an, Auftritt Airstream: Strahlend steht er da im hellen

Licht, frisch gewaschen und poliert, mitten in Hollywood auf dem Hof von Galpin Studio Rentals. Direkt davor, in perfekter Farbregie, der Jeep Grand Cherokee in Rotmetallic, der uns als Zugfahrzeug dienen soll. Galpin vermietet Fahrzeuge für Film- und Fernsehproduktionen. Meist Lieferwagen zum Transport von Scheinwerfern, Kameras und Requisiten. Aber auch Wohnwagen für Stars und Crews. Wenige hundert Meter Luftlinie von hier lassen sich Touristen gegen ein

paar Dollar vor dem Kodak Theatre zusammen mit Doubles von Charlie Chaplin, Marilyn Monroe oder Captain Jack Sparrow fotografieren. Neigt man den Kopf leicht zur Seite, kann man zwischen den Häusern den Hollywood-Schriftzug sehen. Und schräg gegenüber liegt das Knickerbocker, eines der alten HollywoodHotels, die mehr durch sie umrankende Legenden als durch Mörtel zusammengehalten werden.

Die Navigation im Jeep lotst das Gespann auf breiten Straßen bis zum Newport Dunes RV Park. Hier ist die erste Nacht im Airstream eingeplant. Kein billiges Vergnügen. Ein Standplatz kostet hier pro Nacht deutlich über 100 Dollar. Aber dennoch ist der Park selbst um diese Jahreszeit schon beinahe ausgebucht. Er ist groß, weitläufig und liegt an einem künstlich angelegten See gleich gegenüber einem kleinen Yachthafen. Morgens wird hier Wasser-Aerobic angeboten, samstags ab 16 Uhr Bingo für die ganze Familie. Es sind vor allem riesige „Motorhomes", die sich hier nebeneinander reihen. Trailer sind eher selten.

Wir haben Glück mit dem Standplatz: Auch der Airstream ist eine amerikaDirekt neben uns hat Ted seinen Airstream nische Legende. Und einer solchen Ikone nähert man sich mit Ehrfurcht. Oder mit der Brechstange. So wie Bob Dykes, der das Gespann reisefertig macht, bevor die kleine Tour durchs südliche Kalifornien beginnt. Denn nur mit Hebelwirkung lassen sich die Ketten spannen, die den Trailer am Zugfahrzeug sichern. Unter anderem. Denn natürlich hängt er an der Deichsel, klar. Und an zwei massiven Spurstangen. Wenn trotz- Dezenter Lounge-Stil prägt den Innenraum dem mal alles schiefgehen Seite

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geparkt. Er ist ein „Airstreamer", wie hier die organisierten Fans der „silbernen Zigarre" genannt werden. Der 67-jährige hemdsärmelige Unternehmer wohnt eigentlich in

Nächte an der kalifornischen Pazifikküste sind im Frühjahr kalt – und der Airstream ist nicht wirklich isoliert. Hinzu kommt: Dusche und Toilette sind zwar eingebaut, aber seit den

SIREENA RECORDS ... Das ist KULT!

INGRID STEEGER „Singt KLIMBIM“

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Die deutsche Sexgöttin der Siebziger mit einem Album von 1975, erstmals auf CD. Ingrid Steeger singt Lieder aus Klimbim und andere Schlüpfrigkeiten. Begleitet wird sie dabei von so Größen

wie Abi Ofarim, Harold Faltermeyer und Paul Vincent. Kult pur! Sehenswertes Poster-Booklet!

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Alles drin, alles dran – unser Airstream strahlt in der kalifornischen Sonne

Huntington Beach, ein paar Kilometer nördlich von Newport, und kommt mit seiner Frau Carol und Hund Peggy Sue immer mal wieder für ein paar Tage her. Den Airstream besitzt er seit vielen Jahren. Vor allem aber ist er ein großer Motivator. Den Airstream auf

Fotos: © Jürgen Wolff

dem engen Platz zum ersten Mal im Leben rückwärts eingeparkt? Und gleich schon fast perfekt? Das habe er auch noch nicht erlebt! Sohn zeugen, Haus bauen, Baum pflanzen, den Airstream rückwärts parken? Die klassischen Lebensziele sind also durchaus erweiterungsfähig … „Zu Hause ist dort, wo Sie ihren Airstream parken", sagte sein Erfinder Wally Byam einmal. Und das stimmt: Für zwei Personen ist der Airstream nahezu perfekt. Breites Bett hinten, zusammenbaubare Liegestatt vorne, Gasherd, Backofen, Mikrowelle, Flachbildfernseher – alles ohne Camper-Plüsch und im gepflegten Lounge-Stil. Wie auf jedem anständigen Campingplatz gibt es auch in Newport Beach neben den Anschlüssen für Wasser, Strom und Abwasser einen fürs Kabelfernsehen. CNN hält den Kontakt zu den Krisenherden dieser Welt. Doch auch in der eigenen kleinen Alu-Welt kann es manchmal ungemütlich werden. Die

Pilgervätern haben sich die Körpermaße des „Homo travelicus" doch ein wenig verändert. Gut also, dass es auf jedem Campingplatz warme Duschen gibt. Es braucht schon ein, zwei Nächte, um sich zu arrangieren. Und manchmal auch nicht. Denn bei aller schnell gewachsenen Sympathie für das silberne Vier-SterneHotel auf Rädern: Gelegentlich kommt man allein mit dem Jeep besser ans Ziel, obwohl viele öffentliche Parkplätze in den USA – selbst in den Innenstädten Bob Dykes macht das – spezielle Bereiche Gespann in LA reisefertig für Gespanne und „Motorhomes" anbieten. Ob auf einem privaten Weingut im Temecula-Tal oder auf einem kommunalen Parkplatz am Rande der Altstadt von San Diego – die gut zwölf mal drei Meter Platz für Jeep und Airstream sind immer irgendwo zu finden. „Adventure, inspired by Airstream" („Abenteuer Marke Airstream") steht auf der Fußmatte im Eingang zum Allerheiligsten, gleich dort, wo die Pantoffel warten. „Abenteuer ist an jedem Ort, wo du es suchst", lautet ein Bonmot von Schöpfer Wally Byam, „außer zu Hause in deinem Schaukelstuhl." Insofern ist selbst ein Kurztrip durch den Süden Kaliforniens ein Abenteuer. Jürgen Wolff

Nur für Erwachsene! Die 18 legendären INTIMUS Singles - A & B Seiten - erstmals auf einer CD Sireena 2038 DoppelCD vereint. Das machte unsere Eltern scharf, wir findens lustig. Höchster Trashfaktor, für jede Party ein Bringer. Tanzt die Pflaumenpolka!

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Hansrudi Wäscher: Pionier der deutschen Comics Nur 20 Pfennige kosteten in den fünfziger- und sechziger Jahren farbige Abenteuer mit den Rittern Sigurd und Falk, den Dschungelhelden Tibor und Akim sowie Comics mit den futuristischen Geschichten von Nick, dem Weltraumfahrer. Auf jedem Schulhof wurden die Heftchen im Querformat getauscht und heimlich schon unter der Schulbank gelesen. Der Comiczeichner Hansrudi Wäscher hat einen eigenen Stil geprägt, damit ganze Generationen unterhalten und ist bis heute aktiv. Allen Verboten der Bundesprüfstelle, die damals durch Comics eine Gefährdung der Jugend ausmachte, und den konkurrierenden amerikanischen Superhelden zum Trotz.

Von Eckhard Schwettmann

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uf Sammlerbörsen erzielen die schmalen Piccolo-Hefte aus der Gründerzeit heute Preise von bis zu 2000 Euro. Im Walter Lehning Verlag in Hannover wurden die Abenteuer von Wäschers Helden 1953 erstmals veröffentlicht. Sie unterhielten mit aus heutiger Sicht gigantischen Auflagen die Kinder und Jugendlichen der Nachkriegszeit. Wäschers Helden waren immer in akuter Gefahr, kämpften sich aber regelmäßig (natürlich) erst im Fortsetzungsheft frei oder befreiten eine atemberaubend schöne Frau aus den Klauen finsterer Bösewichte. Eine Ausgabe zu verpassen glich einer Katastrophe: In perfekter CliffhangerManier machte Hansrudi Wäscher die junge Leserschaft geradezu süchtig nach den wöchentlichen Piccolos und sorgte jahrzehntelang für treue Käufer. as heute wie harmlose Unterhaltung vorkommt, wurde 1953 mit dem Gesetz über die Verbreitung j u g e n d g e f ä h rd e n der Schriften (GjS) und 1954 mit der Einführung der Bundesprüfstelle sehr kritisch gesehen: „Schriften, die geeignet sind, Jugendliche sittlich zu gefährden" (§1 GjS), durften nach einer Prüfung nicht mehr vom Handel beworben und öffentlich sichtbar angeboten werden. Gewalt und

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Nacktheit in jeder Form wurden von den Moralhütern der Adenauer-Ära zensiert. Häufig musste Hansrudi Wäscher knapp bekleidete Damen retuschieren und ganze Seiten neu zeichnen, was gelegentlich den Erzählfluss etwas unterbrach. Vor Eltern und Lehrern mussten Comics natürlich versteckt werden. Dieser Reiz des Verbotenen führte aber dazu, dass die Comics in den biederen fünfziger- und sechziger Jahren noch beliebter wurden. Man las sie unter der Schulbank und versteckte sie in Büchern und Schulheften. Wer erwischt wurde, musste mit einer Strafe rechnen! Erst Ende der Sechziger setzten sich die Superhelden aus Amerika auf dem deutschen Comicmarkt als immer größer werdende Konkurrenz durch, Comics wurden immer stärker akzeptiert und die Auflagen der Bundesprüfstelle gelockert. Bis heute sind die HansrudiWäscher-Anhänger ihrem „Meister” treu. Seine Comic-Zeichnungen in unverwechselbarem Stil gelten heute als eigene Kunstform. In Bayern gibt es einen Fanclub und zahlreiche ausgewiesene Experten, darunter Gerhard Förster, der einige Publikationen über Wäscher veröffentlicht hat. Der Fankult reicht heute sogar so weit, dass einige eingefleischte Anhänger die Ritter-Abenteuer auf Burgen nachspielen.

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ansrudi Wäscher wurde am 5. April 1928 in St. Gallen in der deutschsprachigen Schweiz geboren. Dann zogen seine Eltern nach Lugano, in den italienischsprachigen Teil des Landes. In Italien waren Comics damals sehr verbreitet, in Deutschland noch nicht. Wäscher lernte durch die Comics sogar Italienisch und verschlang die Hefte geradezu. Es war der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft. 1940 zog Wäscher mit seinen Eltern nach Hannover, wo er 1944 zunächst eine Lehre als Plakatmaler begann, sich dann aber für ein Studium der Gebrauchsgrafik an der Werkkunstschule entschied. Schon

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damals publizierte er gezeichnete Geschichten, etwa ein Verkehrserziehungsheft mit dem Titel "Der Herr Boll für die Stadt Hannover” oder ein "Peterle”-Heft für den Schwarzwald Verlag, das aber nicht erschien, weil die Reihe eingestellt wurde. Hauptsächlich verdiente er sein Geld als Illustrator für Zeitschriften und als Plakatmaler für Kinofilme. Die riesigen Kinoplakate, die damals noch über den Eingängen hingen, waren einzeln angefertigte Unikate.

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on 1953 bis 1968 war Hansrudi Wäscher der meistbeschäftigte Comiczeichner und -Texter des Walter Lehning Verlages, für den er praktisch rund um die Uhr arbeitete. Es ist heute kaum vorstellbar, aber Wäscher entwarf alle Geschichten selbst und ist noch heute als Zeichner ohne zusätzlichen Autor tätig. Er begann mit den Abenteuern des Ritters Sigurd, entwickelte dann historische Geschichten um Gert und Jörg und setzte die Dschungelserie Akim des Italieners Augusto Pedrazza fort. Akim wurde eingestellt, weil es Streit mit dem italienischen Lizenzgeber gab, und Wäschers Dschungelheld Tibor entstand. Es folgten der Ritter Falk, Weltraumfahrer Nick, die Piloten Bob und Ben und der Stuntman Roy Stark. 1969 ging der Lehning Verlag in Konkurs, und Wäscher wechselte zum Bastei Verlag. Dort zeichnete er die Serie "Buffalo Bill", die abwechselnd mit anderen Westernhelden in der Heftreihe "Lasso" erschien. Für diese Reihe schuf er 145 Abenteuer, und ab 1982 zeichnete er für die Reihe "Gespenster Geschichten” 49 Episoden. Im selben Jahr entwickelte der Künstler für den Norbert Hethke Verlag die Fantasy-Figur Fenrir. Gleichzeitig druckte Hethke alle Hefte und Serien der bereits etablierten Helden nach, neue Abenteuer kamen hinzu. Hethke war auch Herausgeber der Zeitschrift "Sprechblase”, die mit über 200 Ausgaben zum langlebigsten Comicmagazin Deutschlands wurde – für Comicfans ein wahrer Quell an Hintergrundinformationen rund um das liebste Hobby! Es finden sich darin zum Beispiel ganze Abhandlungen über den häufig auftretenden Einsatz von Falltüren in den Wäscher-Comics. Hethke veröffentlichte auch den „Allgemeinen deutschen ComicPreiskatalog" und wurde damit zu einer Leitfigur der Comicsammler in Deutschland. Nach N ach schwerer Krankheit starb Hethke 2007, und der Verlag stellte die Arbeit ein. Zuvor wurden alle Ritter-Geschichten von Sigurd, der erfolgreichsten Comic-Reihe von Hansrudi Wäscher, noch einmal in Buchform aufgelegt. Für die Nachdrucke im Hethke Verlag produzierte Wäscher noch einige ganz besondere Comics: So beendete er die im September 1959 mitten in der Geschichte unterbrochene Serie Akim 30 Jahre später mit dem neuen Heft 197. Die zweite FalkPiccolo-Serie, die 1968 nach 17 Ausgaben „offen" geendet hatte, schloss er nach 20 Jahren in einem Softcover-Album ab. Diese Geschichte wurde später auf fünf Piccolos ummontiert und mit den Nummern 18–22 als Finale der zweiten Serie herausgegeben. Aktuell publizieren noch zwei Verlage Comics von Hansrudi Wäscher: Der Ingraban Ewald Verlag verlegt Piccolos von Falk, Nick und Sigurd. Der Manfred Wildfeuer Verlag hat weiterhin das Comicprogramm des Norbert Hethke Verlags im Angebot und legt fehlende Alben neu auf, etwa Sigurd als Farbgroßband. GoodTimes

Hansrudi Wäscher bei der Arbeit in seinem Atelier.

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ansrudi Wäscher ist inzwischen 82 Jahre alt. Er lebt mit seiner Frau Helga in der Nähe von Freiburg. Mit Vorliebe zeichnet er Unikate für Privatkunden und verfolgt ansonsten persönliche künstlerische Ambitionen. Seine Bilder tragen immer eine eigene Handschrift, sein Stil ist unverwechselbar – das Ergebnis professioneller Zeichenkunst im Verlauf eines halben Jahrhunderts!

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ür sein Werk wurde Hansrudi Wäscher mehrfach ausgezeichnet: 1994 erhielt er den Künstlerpreis „Golden Pen” von der Verbrauchervereinigung Medien e.V., 1999 wurde er mit dem „Deutschen Fantasypreis” des edfc (Erster Deutscher Fantasy Club e.V.) geehrt. Die Jury würdigte dabei „seine Comicschöpfungen, mit denen er in der tristen Nachkriegszeit Licht in die Herzen der Kinder brachte”. Im Mai 2008 wurden Teile seines Schaffens aus der Lehning-, Basteiund Hethke-Zeit im Rahmen des Comic-Salons Erlangen ausgestellt. Außerdem erhielt Hansrudi Wäscher den Spezialpreis des Comic-Salons Erlangen, den Max-und-Moritz-Preis. Die Jurymitglieder würdigten damit seine Pionierleistung für den deutschen Comic. 2009 erhielt Wäscher den PENG-Preis auf dem Comicfestival München, verliehen vom Kulturreferat der Stadt, für sein Lebenswerk. Im Mai 2010 folgte die Auszeichnung "Ritter der Neunten Kunst”, verliehen für sein Lebenswerk vom Veranstalter der Intercomic – Messe Köln in Zusammenarbeit mit Hansrudi Wäscher in seiner dem Hansrudi Wäscher Ausstellung beim Comicfestival Club, Bayern. München 2009.

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rotz seines hohen Alters ist Hansrudi Wäscher häufig in der Öffentlichkeit präsent: Er war am 8. Mai 2010 als Ehrengast auf der Kölner Comic-Börse Intercomic anwesend und signierte dort an verschiedenen Ständen seine Portfolio-Mappe "50 Jahre Falk", das neue Buch "Falk: Das Schlangennest" sowie die regelmäßig erscheinenden nostalgischen Piccolo-Produktionen Sigurd, Nick, Falk und Tibor.

Der Hansrudi-Wäscher-Fanclub veröffentlicht regelmäßig ein Clubmagazin mit vielen Informationen und Artikeln rund um den "Meister”, aber auch zum Thema Comics allgemein. Außerdem gibt es das ganze Jahr über Veranstaltungen. Alljährlich wird der Preis "Ritter der 9. Kunst” gestiftet, der 2009 an den Zeichner Ertugrul Edirne ging. Weitere Informationen: www.hrw-fanclub.de 1/2011

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RITTER I: SIGURD

NICK, DER WELTRAUMFAHRER

Mit einem Raumschiff die Erde verlassen, fremde Planeten erkunden und Abenteuer erleben. Dieser Traum schien 1957 in greifbare Nähe zu rücken, als der legendäre russische Satellit Sputnik die Erdumlaufbahn erreichte und die Welt in Aufregung versetzte. Auf der Woge dieser Begeisterung für den Weltraum erfand Hansrudi Wäscher 1958 den Weltraumfahrer Nick. Der Biologe Tom Brucks, Professor Raskin, der Marsianer Xutl und die überaus attraktive Zoologin Jane Lee unterstützen Nick auf seinen Reisen in die Weiten des Universums. Gemeinsam erforschen sie unsere Galaxis und benutzen (zehn Jahre vor "Star Trek" und fünf Jahre vor Perry Rhodan) einen Materietransmitter, der ihnen so genannte Nullzeitreisen ermöglicht. Durch diesen Trick gab es in den Science-Fiction-Abenteuern genügend Stoff für zahlreiche Fortsetzungen. Von 1958 bis 1960 erschienen im Walter Lehning Verlag 139 Piccolos. Von 1959 bis 1963 gab Lehning die Fortsetzungsgeschichten in 121 Großbänden heraus. 1958 gab es Nick in drei Piccolo-Sonderbänden, die später in der Reihe "Bild Abenteuer” nachgedruckt wurden. 1976 wurde Nick im Melzer Verlag neu aufgelegt. Zwischen 1977 und 1979 wurden die Abenteuer aus den fünfziger Jahren nochmals im CBC Verlag veröffentlicht. Von 1982 bis 2007 hat Hansrudi Wäscher für den Norbert Hethke Verlag immer wieder Fortsetzungen von Nick gezeichnet. Außerdem erschienen dort zahlreiche Nachdrucke in anderen Formaten und als hochwertige Ausgaben. Nick war 1993 sogar zu Gast beim deutschen Astronauten und NickFan Ulrich Walter an Bord der Raumfähre Columbia bei der D2-Mission. Ein Echtheitszertifikat der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa bestätigt die Raumfahrt von drei Zeichnungen der erfolgreichen utopischen Comicserie.

RITTER II: FALK

Schon 1960 lösten die Abenteuer des Ritters Falk die Sigurd-Piccolos ab. Wie sein Vorgänger ist auch Falk moralisch ohne Fehl und Tadel. Allerdings trägt er keine Elvis-Tolle mehr, sondern zeitgemäß längere Haare, was in den Sechzigern bekanntlich als Ausdruck jugendlichen Protests gesehen wurde. Mit seinem Freund Bingo kämpft sich Falk durch die Welt des Mittelalters und rettet schöne Frauen. Er gilt heute als Kultfigur der deutschen Comicgeschichte. Von 1960 bis 1963 erschienen im Lehning Verlag die ersten 164 Piccolos. Von 1963 bis 1967 gab der Verlag zusätzlich 119 Großbände heraus, ab Nummer 86 mit neuen Fortsetzungen. Zeitgleich erschienen in "Bild Abenteuer", einer Comic-Zeitschrift aus dem Lehning Verlag, in den Jahren 1965 bis 1967 abgeschlossene Einzelepisoden. Die Geschichte der 17 FalkPiccolos, die 1968 als zweite Serie kurz vor dem Verlagskonkurs erschienen waren, wurde mitten in der laufenden Handlung unterbrochen. Ab 1985 brachte der Hethke Verlag Nachdrucke von Falk in verschiedenen Formaten sowie Fortsetzungen der unvollendeten Comicreihe auf den Markt. So wurde 1988 die zweite Falk-Piccoloreihe ab Nummer 18 wieder aufgenommen und abgeschlossen. Auch die erste Staffel konnten die Fans ab Nummer 165 nach über drei Jahrzehnten weiterverfolgen. Zusätzlich wurden alle Hefte in Großbänden neu aufgelegt.

DSCHUNGEL-HELD I: AKIM

Weltraumfahrer Nick bei der D2-Mission zur ISS 1993, signiert von Astronaut Ulrich Walter und Hansrudi Wäscher. Seite

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Über den berühmten Tarzan, eine bereits 1914 von Edgar Rice Burroughs erdachte Figur, wurden mehr als 100 Filme gedreht. Das Leben im Urwald faszinierte offenbar die Menschen in den zunehmend industrialisierten Städten. Kein Wunder also, dass im Lauf der Jahrzehnte zahlreiche ähnliche Charaktere erdacht wurden, die mit knappem Fellhöschen bekleidet im Dschungel Abenteuer bestehen. Akim, Tibor

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NICK, SIGURD, TIBOR – Name und Charaktere: © Hansrudi Wäscher/Becker-Illustrators, Fotos: © Sepp Blattner

Hansrudi Wäscher signiert seine Arbeiten auf der Kölner Comic-Börse.

Muskulöser Oberkörper, rotes Wams, darüber ein goldenes Medaillon an einer Kette, dazu eine blonde Haartolle, die sicher auch Elvis Presley beeindruckt hätte. Sigurds Erkennungszeichen ist identisch mit dem Symbol der rebellischen Jugendbewegung, den „Halbstarken" der fünfziger Jahre, und sicher auch einer der Gründe für den lange währenden Erfolg. Mit Mut, Stärke und Ausdauer, vor allem aber mit Hilfe seiner treuen Freunde Bodo und Cassim besiegt er in seinen Abenteuern die Bösewichte des Mittelalters und trifft charmante Burgfräuleins. Sigurd ist die erste Comicfigur, die Hansrudi Wäscher in den Fünfzigern selbst entwickelte. Obwohl Sigurd geradezu als Vorbild eines edlen, moralisch anspruchsvollen Helden geschaffen wurde, beanstandete die Bundesprüfstelle einige Hefte als zu brutal. In den Neuauflagen mussten Sequenzen gestrichen und teilweise neue Titelbilder gezeichnet werden. Dennoch setzte Sigurd sich durch und wurde schnell sehr erfolgreich. Von 1953 bis 1960 erschienen im Walter Lehning Verlag 324 Piccolohefte. Zwischen 1958 und 1968 wurde die Geschichte in Großbänden stark gekürzt wieder aufgelegt. 1965 veröffentlichte Walter Lehning einen Sigurd-Sonderband. 1976 gab der Melzer-Verlag, Darmstadt, 20 Hefte des Lehning-Großbandes neu heraus (Nr. 125–144). Ab 1977 hat der Hethke Verlag Sigurd in verschiedenen Formaten nachgedruckt und mit Fortsetzungen ergänzt. Bei Hethke erschien auch die dritte Piccolo-Serie, die von Hansrudi Wäscher bis Band 100 geschrieben und gezeichnet wurde. Ab 1991 gab es regelmäßige Sigurd-Sonderbände im Hardcoverformat. Noch bis 2007 wurden Sigurd-Bände veröffentlicht. Die Reihe gilt heute als einer der populärsten und langlebigsten Comics in Deutschland.


oder der etwas weniger bekannte Nizar (eher an Mogli aus dem "Dschungelbuch" angelehnt) wurden sämtlich von Hansrudi Wäscher gezeichnet. Schon 1954 setzte er die Akim-Serie des italienischen Zeichners Augusto Pedrazza fort, der die ersten 78 Hefte gezeichnet hatte. Mit Gorilla Kar und dem Affen Zig sorgt Akim für Ordnung im Urwald. Natürlich hat er auch eine schöne Frau an seiner Seite: Rita, die mit ihrem knappen Fellbikini prompt starken Anstoß bei der Bundesprüfstelle erregte und daraufhin nur noch in sittsamer Kleidung gezeichnet wurde. Vorsorglich ließ Wäscher die unverheirateten Dschungelbewohner auch in getrennten Räumen übernachten ... Er zeichnete die ersten drei Hefte der zweiten Staffel. Als deutsche Gerichte den Verlag nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem italienischen Rechte-Inhaber zur Aufgabe des Titels zwangen, tauchte nur wenige Wochen später sein Nachfolger Tibor an den Kiosken auf. Von 1977 bis 1979 erschien eine Neuauflage von Wäschers Akim. Der Comic-Buchclub CBC publizierte mit einer neuen Zählung die Hefte Nr. 1–152. Aus rechtlichen Gründen wurde die unvollständige Neuauflage in Kim umbenannt. Der Hethke Verlag übernahm die Rechte 1980 und veröffentlichte die Serie als Sammler-, Sonder- und Luxusausgaben. Bis zur Schließung des Verlags 2007 gab es neue Titelbilder, Vorsatzseiten und zahlreiche Merchandising-Produkte.

Hannover, die ersten 25 Hefte im Kleinbandformat. Der neue Verleger unterlegte die schwarzweißen Zeichnungen mit einem Grünton, um die Dschungelszenen realistischer wirken zu lassen. 1968 erschienen drei abgeschlossene Nizar-Abenteuer bei Kölling, diesmal mehrfarbig. Norbert Hethke brachte 1997 einen Faksimiledruck der ersten NizarSerie heraus, 1999 erschienen die drei Abenteuer von 1968.

STUNTMAN ROY STARK

Im Vergleich zu den anderen Helden aus Wäschers Ideenwerkstatt setzt Roy Stark – nomen est omen – die starken Muskeln häufiger ein, während er mit einer Zeitmaschine unterwegs ist. Und er ist ähnlich skrupellos wie die Helden in den Italo-Western, die zu dieser Zeit die Kinos eroberten. Ein kurzer Blick auf die Handlung belegt dies: Ein indischer Fürst setzt einen Preis für den besten Freistilringer der Welt aus: 500.000 Dollar! Roy Stark und vier weitere Kandidaten werden auf eine Insel gebracht. Roy ist am Ende der einzige Überlebende und kassiert das Geld. Von Mai 1967 bis Januar 1968 erschienen im Walter Lehning Verlag 18 Großbandhefte. Roy Stark gehört zu Hansrudi Wäschers Kurzserien, die in wenigen Ausgaben nur ein Abenteuer erzählen. Roy Stark war bei weitem nicht die erfolgreichste Serie Hansrudi Wäschers, dafür aber sehr ungewöhnlich.

DSCHUNGEL-HELD II: TIBOR

Tibor ist in Wahrheit der Millionär Gary Swanson, der im Dschungel abstürzt, anfangs unter Gedächtnisschwund leidet und dann im Urwald heimisch wird. Er lebt in einer Hütte mit dem Gorilla Kerak und den kleinen Äffchen Pip und Pop, die gern den Gorilla ärgern. Ähnlich wie Tarzan hat auch Tibor einen eigenen markanten Schrei: „Aaaaooooooooouuuu!” Die Serie um Tibor war das Produkt eines jahrelangen Lizenzstreits um den Namen seines Vorgängers Akim. Der italienische Verlag Tomasina setzte 1959 die Einstellung sämtlicher Veröffentlichungen mit diesem Namen durch. Daher gab der Lehning Verlag kurz darauf die WäscherComics als umgezeichneten Tibor heraus, der anfangs Akim auffällig ähnlich sah. Einmal mehr musste Wäscher sehr schnell arbeiten, um an die Verkaufserfolge von Akim anzuknüpfen. Es dauerte dann einige Zeit, bis Wäscher seinen „Nachbau" zu einem unverwechselbaren Helden werden ließ. Die ersten 187 Tibor-Piccolos erschienen von 1959 bis 1963. 90 weitere Abenteuer gab es im Lehning Verlag zwischen 1964 und 1965 in der Reihe Piccolo-Großband. Von 1961 bis 1968 wurden Nachdrucke in Großbänden verlegt. Norbert Hethke veröffentlichte ab 1981 Neuauflagen sämtlicher Tibor-Bände mit neuen WäscherTitelbildern und reanimierte die Serie mit neuen Geschichten, Titelbildern und Sammelpostkarten.

DSCHUNGEL-HELD III: TIGERBOY NIZAR

Nizar ist der dritte von Hansrudi Wäschers Dschungelhelden. Wie seine Vorgänger Akim und Tibor hat auch er eine mystische Verbindung zur Natur. Der Sohn einer Teepflanzerfamilie und der Hauslehrer seiner Schwester überleben als einzige einen brutalen Raubüberfall, bei dem seine Familie ums Leben kommt. Sie flüchten sich in eine Tempelruine in die Urwälder Indiens, in denen vor über 100 Jahren Rudyard Kipling die Handlung seiner Dschungelbücher ansiedelte. Nizar lernt die Sprache der Tiere. Zu seinen engsten Freunden gehören der Affe Dodo und der Tiger Kali. 1964 erschienen im Kölling Verlag, GoodTimes

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kult! Von Alan Tepper

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Bücher

Kultbücher – Geschätzt, geliebt, gelobt

ft zitiert, häufig verschenkt und auch nach Jahren noch aktuell – Bücher, um die herum sich ein Kult entwickelt hat, sorgen für eine Beständigkeit auf dem sich immer schneller drehenden Literaturmarkt. Feministische Aufsätze von Simone de Beauvoir, Bücher über Zen und das Motorradfahren, das chinesische Weisheitsbuch der Wandlungen, das I Ging oder Gedichte

von Hermann Hesse dürfen sich über eine Halbwertszeit freuen, die lieblose Auftragsarbeiten und zusammengeschusterte Trivialliteratur nicht im Entferntesten erreichen werden. Es sind Werke, die Ideen anregen, die Perspektive erweitern, einfach nur brillant unterhalten und manchmal sogar das ganze Leben verändern können. Auch wenn im Regal absolute Unordnung herrscht – wo das Kultbuch zu finden ist, weiß jeder ...

William Faulkner – "Licht im August"

Charles Webb – "Die Reifeprüfung"

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illiam Faulkner (*25.9.1897, †6.7.1962) wird als einer der größten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts verehrt. Seine Sprachgewalt, experimentelle Erzählstrategien und das Gefühl für plastische Stimmungsbilder, die er schon seit den Dreißigern konsequent umsetzte, unterschieden ihn von Autoren, die sich eher konventioneller Stilistiken bedienten. 1949 erhielt er für "Licht im August" den Nobelpreis für Literatur. Der sicherlich nicht einfach zu lesende Roman schildert das Schicksal von Joe Christmas, einem Weißen, in dessen Adern angeblich „Niggerblut" fließen soll, der schwangeren Lena Gove, die auf der Suche nach dem Vater ihres Kindes von Alabama nach Mississippi wandert, und den von seiner Gemeinde ungeliebten Geistlichen Gail Hightower. Durch diese Personen, die aus verschiedenen Perspektiven beschrieben werden, verdeutlicht Faulkner die Brutalität des Rassenkonflikts im Süden, die Verlogenheit der Gesellschaft und die brüchige Fassade, hinter der die Menschen ihr wahres Ich verbergen. Ein literarisches Monument.

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er 1963 von Charles Webb (*9.6.1939) veröffentlichte Roman "Die Reifeprüfung" diente als Vorlage für den gleichnamigen Film, der zu einem Klassiker des modernen Kinos wurde. Er erzählt die Geschichte von Benjamin Braddock (im Film gespielt von Dustin Hoffman), der gerade seine Universitätsausbildung abgeschlossen hat. Orientierungslos und unerfahren lässt er sich von Mrs. Robinson, der Frau eines Geschäftspartners seiner Vaters, verführen und lernt so die Liebe kennen – zumindest die körperliche. Doch die Affäre nimmt einen unerwarteten Verlauf, als sich Benjamin in die Tochter von Mrs. Robinson verliebt, die eigentlich einen anderen Mann heiraten soll. Sprachlich eher schlicht gehalten, besticht das Buch durch die aussagekräftigen Dialoge, die den „American Way Of Life" kritisieren und den Leser motivieren, feststehende Gesellschaftsstrukturen zu hinterfragen. Die Filmversion wird durch die zauberhafte Musik von Simon & Garfunkel (Soundtrack: THE GRADUATE) untermalt, doch auch das Werk von Charles Webb überzeugt auf ganzer Länge und lässt sich locker an einem Abend „weglesen".

Erich von Däniken – "Erinnerungen an die Zukunft"

Günter Wallraff – "Ganz unten"

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Erich von Däniken, Foto: © Sven Teschke

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ls Günter Wallraff (*1.10.1942) "Ganz Unten" 1985 publizierte, löste er eine Welle der Empörung von konservativer Seite und Zustimmung der Linken aus. In dem als Reportage aufgebauten Buch beschreibt der Enthüllungsjournalist seine Erlebnisse als sogenannter Gastarbeiter in Deutschland. Wallraff war für das Buch zwei Jahre in die Rolle des Türken Ali geschlüpft und hatte dabei Demütigungen, Ausgrenzungen und unmenschliche Arbeitsbedingungen erlebt. Er arbeitete bei einer großen FastFood-Kette, in einem Atomkraftwerk ohne vorgeschriebenen Schutzanzug, als Tagelöhner und lernte dabei ein zweites Deutschland kennen, fernab jeglicher Sicherheit und Menschenwürde. Nach wenigen Monaten hatte "Ganz unten" schon die Millionenmarke an Umsätzen geknackt und führte zu einem Umdenken und zu intensiveren Integrationsbemühungen. In den folgenden Jahren verstärkte der Autor seine Bemühungen für unterdrückte Bevölkerungsschichten und musste sich dabei Kommentare wie „Sozialistensau" und „Nestbeschmutzer" gefallen lassen. Foto: © Elke Wetzig

968 veröffentlichte der Schweizer Autor Erich von Däniken (*14.4.1935) sein Debüt "Erinnerungen an die Zukunft" und verpasste der Welt der Wissenschaft damit einen Kinnhaken. Er vertrat die Theorie, fremde Intelligenzen hätten die Erde vor Jahrtausenden besucht und die Entwicklung der Menschheit maßgeblich gesteuert. Als Belege für seine Thesen führte Däniken unter anderem den Pyramidenbau, die gigantischen Zeichnungen von Nazca und „Beweise" aus der Bibel oder vergleichbaren Schriften an. Wie sein amerikanischer Kollege Charles Berlitz traf er den Zeitgeist, denn die Leser wollten nicht mehr alles glauben, was renommierte Akademiker ihnen servierten. Egal, ob man seinen Theorien folgen will oder sie als Unfug niederschmettert – Tatsache ist, dass er eine gesunde Skepsis förderte und die Fähigkeit des Hinterfragens anregte – und natürlich faszinierende Szenarien entwickelte. Eines aber ist sicher: Würden heute Außerirdische Mutter Erde besuchen und ihren desolaten Zustand erkennen, würden sie ganz schnell wieder „den Abflug machen".

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William S. Burroughs – "Junkie"

Douglas Adams – "Per Anhalter durch die Galaxis"

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er britische Schriftsteller Douglas Adams (*11.3.1952, †11.5.2001) verfasste "The Hitchhiker’s Guide To The Galaxy", die einzige „Trilogie in fünf Bänden", ursprünglich als Hörspielserie für die BBC. Nach den positiven Reaktionen des Radiopublikums erschien der erste Band 1979 und ereichte seitdem Leser unterschiedlichster Vorlieben. Die Mischung aus Monty-Python-Klamauk, Komödie und ScienceFiction-Roman beschreibt die wilde Reise von Arthur Dent, der eines Morgens aufwacht und feststellt, dass sein Haus einer Umgehungsstraße weichen muss. Kurze Zeit später kommt es noch schlimmer, denn Dent erfährt von seinem Freund Ford Prefect, einem Außerirdischen, der einen intergalaktischen Reiseführer verfasst, dass die komplette Erde zerstört werden muss, da sie einer HyperraumAutobahn im Wege steht. Per RaumschiffAnhalter machen sich die beiden aus dem Staub und erleben haarsträubende Abenteuer, unter anderem mit Zaphod Beeblebrox, dem Präsidenten der Galaxie, und dem depressiven Roboter Marvin, der vor dem Einschlafen immer mindestens eine Million Schafe zählen muss. Die Wahnsinnstour endet mit dem Entschluss, etwas zu essen, womit eine Überleitung zum zweiten Band "Das Restaurant am Ende des Universums" gesichert ist. Die vielen Anspielungen (ein Computer heißt „Deep Thought", was auf den Siebziger-Porno "Deep Throat" verweist), die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest" (sie lautet 42!!!), aber auch tiefgründigere Betrachtungen sichern dem Roman auch nach 30 Jahren noch seinen Kultcharakter. Für den April 2011 ist mit "Und übrigens noch was ..." von Eoin Colfer ein sechster Teil geplant, der Adams’ humorvollen Schwung in nichts nachstehen soll!

Foto: © Michael Hughes

in schwuler, drogensüchtiger Mann aus den Südstaaten schreibt einen Roman über Heroin und hat in den Fünfzigern – natürlich – Probleme, einen Verlag zu finden, der ihn veröffentlicht. Ach ja, seine Alibifrau hat er bei einem Wilhelm-Tell-Spiel auch noch erschossen. Glücklicherweise war da Allen Ginsberg, der mit seinem epischen Gedicht "Howl" selbst ein Meisterwerk der Nachkriegsliteratur in den USA verfasst hatte, der William Burroughs (*5.2.1914, †2.8.1997) unterstützte und einen Verleger fand – und zwar in der Psychiatrie, in der Ginsberg A.A. Wyn begegnete, dem damaligen Besitzer von Ace Books! 1953 zuerst in einer Reihe von Trivialbüchern veröffentlicht, stieg das Ansehen von "Junkie" in den folgenden Jahren. Das auf eigenen Erfahrungen basierende Buch – Burroughs war zeitlebens von diversen Drogen abhängig – schildert den Alltag einer Heroinsüchtigen in verschiedenen Städten, wobei die Zeit in New York besonders hart wirkt. Schonungslos, ehrlich und unverblümt erzählt der Autor in einem trockenen, fast schon lakonischen Ton vom Teufelskreis, in den ein Junkie gerät, vermeidet aber, und das setzt den Text von dämonisierenden Antidrogenpamphleten ab, jegliche Moralisierung. Dies verleiht ihm ein bis dahin noch nie erreichtes Maß an Authentizität. In den folgenden Jahren erschienen von Burroughs zahlreiche, meist hoch experimentelle Romane (er gilt als Verfechter der „Cut up"-Technik, durch die er Textfragmente beliebig neu anordnete und die von vielen Musikern aufgegriffen wurde, unter anderem von den Beatles). In den Achtzigern und Neunzigern wurde er von der Popkultur gefeiert und war auf zahlreichen Platten zu hören.

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Singende Kicker

Von Philipp Roser

Radi, bumm und 44 Beine Multimediale Vermarktung auf allen Kanälen ist heute Standard. Zarte Ansätze, aus der Berühmtheit einzelner Fussballer auch in anderen Bereichen Kapital zu schlagen, gab es allerdings bereits in den 60er Jahren. So waren schon damals als Schwiegersohn taugliche Kicker wie Franz Beckenbauer beliebte Werbeträger, beispielsweise für Suppen … Von Philipp Roser

Rkalte und durchkommerzia-

auf – und wurden nicht nur von der Werbe-Industrie, sondern auch von der Musikbranche als Umsatzbringer entdeckt.

ückblende: Das heute eis-

lisierte Geschäft mit dem Sport und der Musik steckte Mitte der 60er Jahre noch in den Kinderschuhen. Die FußballBundesliga war im Sommer 1963 eingeführt worden. Die meisten Spieler waren noch keine Profis, sondern Vertragsspieler, die im eckenbauer erkannte schon Schnitt auf dreistellige vereinsdamals: „Ich kann doch seitige Gehaltszahlungen kamen, eigentlich gar nicht singen", auch wenn schon damals hinter und er wiederholte dies in vieden Kulissen unter der Hand len Rückblicken zu seinem 65. reichlich Schwarzgeld gezahlt Geburtstag vor kurzem mehrwurde. Allerdings war nur die fach. Dennoch bewog ihn gutes Skandalnudel Hertha BSC so Zureden (und wohl auch ein deppert, sich gleich in der zweiüppiger Scheck), sich in ein ten Spielzeit wegen unerlaubt Münchner Tonstudio zu bege1974 sang die deutsche Nationalmannschaft um Kapitän hoher Zahlungen erwischen zu ben und die Stimmbänder mal Franz Beckenbauer (r.) "Fußball ist unser Leben" lassen – der erste Lizenzentzug nicht zum Kommandogeben auf und Zwangsabstieg waren die Folge. Das heutige internationale dem Rasen zu aktivieren, sondern um zu singen: "Gute Freunde Söldnertum war kaum verbreitet, nur vereinzelt tauchten in den kann niemand trennen" und "Du allein" hießen die Ergebnisse. deutschen Vereinen Fußball-„Gastarbeiter" auf. Die bei Polydor erschienene Single des von allen Generationen geliebten Jungkickers schaffte es im Dezember 1966 bis auf Rang we Seeler und der junge Senkrechtstarter Franz Beckenbauer 31 der deutschen Charts, in denen sie sich vier Wochen hielt – was wurden 1966 in London mit der deutschen Nationalelf in einem die Neuauflage von 2005 nicht wiederhodenkwürdigen Finale Vizelen konnte. „Ich weiß nicht, warum – aber Weltmeister – das legendäre plötzlich war ich auf Platz 7 der Hitparade, in einer Zeit, in der die Beatles jeden Monat „Wembley-Tor" kostete den einen neuen Schlager auf den Markt brachTitel. Doch nach dem „Wunder ten", schrieb der „Kaiser" später in seinem von Bern" und den 1954er Buch "Ich – Wie es wirklich war" (wobei er Weltmeistern um Fritz Walter es mit den Fakten – wie so oft – nicht ganz war eine neue Generation von genau nahm). Publikumslieblingen geboren. Dazu mischten Beckenbauer, Sepp Maier und Gerd Müller emerkenswert ist aber auch der folgende Satz: „Die 100.000 mit dem FC Bayern München Mark Garantiehonorar könnten sich für den Produzenten also in der Folge die Bundesliga gelohnt haben." Trotzdem beließ es der Ausnahmefußballer bei nur

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zwei Sangesausflügen, nachdem er 1967 noch die Single "1:0 0 für die Liebe"/"Du bist das Glück" aufgenommen hatte: Weitere Versuche als Sänger „möchte ich der Öffentlichkeit nicht mehr zumuten. Ich dachte mir: Wenn die Leute mich nur hören, geht es ja noch, aber sehen lassen beim Singen, das will ich dann doch nicht", begründete Beckenbauer später diese Entscheidung. Und absolvierte auch nur einen Versuch als Schauspieler (1973 in "Libero").

Wvor ihm bei Bayern München und im DFB-Trikot die Nummer

as wiederum seinen Kumpel Gerd Müller aus Nördlingen, der

9 trug und zum „Bomber der Nation" mutierte, nicht davon abhielt, aus seiner wachsenden Berühmtheit Kapital zu schlagen. „Kleines dickes Müller", wie ihn sein damaliger Trainer Zlatko „Tschik" Cajkovski taufte, setzte nicht nur seine strammen Waden zum Ballern ein, sondern versuchte ebenfalls, mit seinen Stimmbändern ins Schwarze zu treffen. Und natürlich war ihm 1969 der Titel "Dann macht es bumm" vom Autorengespann Geiger/ Thumser auf den Leib geschneidert, ebenso die B-Seite "Wenn das runde Leder rollt" – damals waren Fußbälle ja wirklich noch aus dem Naturprodukt gefertigt. Und der damals 23-jährige Müller (der heute als Co-Trainer der Amateurmannschaft von Bayern München sein Geld verdient) hatte in besagtem Jahr mit 30 Treffern die Torjäger-Kanone der Bundesliga zum zweiten Mal 'erbombt', was ihm in seiner Karriere insgesamt siebenmal gelang.

Fnicht

ür eine Hitparaden-Platzierung reichte es bei Müller allerdings – ebenso wenig bei seinen weiteren Vokaleskapaden "Raba-Da-Da" (1967), "Bleib am Ball" (1968) und "Das gibt ein Schützenfest" (1974). Auch seinem stets für einen Spaß zu habender Torhüter-Kumpel Sepp Maier war dies nicht vergönnt, als er ein Jahr zuvor "Die bayerische Loreley" besungen hatte. Gleiches gilt für Maiers Studiobesuch von 1998, als der damalige BundesTorwarttrainer die Hymne "Hallelujah (Ein Münchner im Himmel)" aufs Band brachte. Wesentlich erfolgreicher war da schon ein paar Jahre früher sein Torwart-Kollege vom Lokalrivalen 1860 1860 München gewesen, der für diverse Verrücktheiten (etwa weite Ausflüge über das ganze Spielfeld) berühmt-berüchtigte Jugoslawe Petar Radenkovic: "Bin i Radi – bin i König" hatte nicht nur den Reigen der singenden Kicker eröffnet, sondern es im April 1965 bis auf Platz 5 in den deutschen Hitlisten geschafft! Dort blieb er satte zwei Monate.

A"Bisschen Glück in Liebe" im Radi-typischen Radebrech-Deutsch uch mit der ein halbes Jahr später veröffentlichten Single

reichte es für immerhin zwei Hitparaden-Wochen, dann war es mit der Sangeskarriere des späteren Wirts und Unternehmers auch schon wieder vorbei. Bis dahin hatte er mehr als 400.000 „Radi"-Exemplare verkauft. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass viel Humor, aus heutiger Sicht aber auch manch NachdenklichBedenkenswertes und Authentisches über den menschelnden Torhüter in dem Lied steckte: "Kommt mir manchmal vor / Leute nehmen Spiel zu ernst / haben nicht Humor / Ball kommt wie der Blitz / dass i manchmal schwitz / doch ich fang fast alle / mit Humor und Witz ... Spiel ist für mich Spiel. Und das Spielfeld ist mein Reich." Sepp Maier hatte „Radis" Nummer verbal gekontert: "Bin i Radi, bin i Depp. GoodTimes

König ist der Maier Sepp!" An Radenkovics Ausstoß von insgesamt fünf Singles ("Bin i Radi" wurde sogar zweimal aufgelegt) kam er aber nicht heran.

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Münchner Fußballer waren die einzigen, die sich schon früh als mehr oder weniger intensive Musikliebhaber entpuppten. Auch an der Waterkant gab es solche Kandidaten, allen voran Stimmungskanone Gert „Charly" Dörfel, der sich mit „Das kann ich dir nicht verzeih'n"/"Erst ein Kuss" zwar verdribbelte, doch das Opus verkaufte sich – so der Künstler – 1965 immerhin 20.000 Mal. Von seinem Mitspieler und Torhüter Horst Schnoor ist die Aussage überliefert: „Am Dammtor-Bahnhof sind wir so manches Mal herumgegangen und haben gesammelt, damit Charly nicht singt." Veröffentlicht wurde die Single (wie auch viele andere FußballerLiedkreationen) auf dem damaligen Major-Label Polydor.

DEngland-Import Kevin Keegan mit "Head Over Heels In Love":

eutlich erfolgreicher als Dörfel war 14 Jahre später der

15 Wochen in der deutschen Hitparade mit der Top-Platzierung auf Rang 10, ein Jahr später Platz 61 und fünf Wochen Aufenthalt in den UK-Single-Charts stehen für sehr ordentliche Verkaufszahlen. Allerdings hatte der Wahl-Hamburger dabei prominente Unterstützung: Komponist der Nummer war Chris Norman, und dessen Band Smokie hatte Keegan im Studio Rückendeckung gegeben – im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF durfte die auf dem Fußballplatz so schuss- und ideengewaltige "Mighty Mouse" den Song auch einem großen Publikum präsentieren. Weniger erfolgreich war zuvor sein 1973er 1973er Tonträger "It Ain't Easy" gewesen, ebenso das 1980 980 veröffentlichte "England".

Anenderweise

uch für Jimmy Hartwig – bezeichfür die sangeserfahrenen Klubs 1860 München und den Hamburger SV aktiv – war das Fußballfeld als Betätigungsareal zu eng gesteckt. Mit "Mama Calypso" tanzte er 1980 bei RCA in die Nacht und beklagte sich auf dem Metronome-Label zwei Jahre später "Ich bin immer zu früh". Und so dauerte es nach Überwinden seiner Krebserkrankung Ende der 80er Jahre nicht allzu lange, bis er als Moderator der Show "Mittendrin" im Deutschen Sportfernsehen (DSF, heute Sport 1) sowie als Theaterschauspieler wieder von sich reden machte.

Ukünstlerisch als Maler betätigt. 1977 publizierte er die LP AUCH nd dann wäre da noch HSV-Keeper Rudi Kargus, der sich heute

ELFMETER KANN MAN HALTEN – MEIN FREUND DER NATIONALTORWART. Dabei handelte es sich allerdings nicht um Lieder, sondern um ein Hörspiel, bei dem er mit dem Experten Peter Lach kooperierte. Als Sänger betätigte sich dagegen ein anderer Torhüter, der wie Kargus auch beim 1. FC Nürnberg und der Nationalelf zwischen den Pfosten 1/2011

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gestanden hatte: Der heutige Bundes-Torwarttrainer Andreas Köpke ließ sich 1992 für die Single "Nummer 1" von der Euro-Dance-Crew TT Fresh im Studio unterstützen.

Ssen. Da interpretierten nicht nur die Profis Stefan Engels und

angestradition hat auch die Karnevals-Metropole Köln vorzuwei-

Paul Steiner 1982 die „Fußballshow" – schon 1968 hatte der 1954erWeltmeister Hans Schäfer mit seinen FC-Kollegen Heinz Hornig und Karl-Heinz Thielen per Single festgestellt: "Auf die Beine kommt es an". Grenzüberschreitend tönte der zeitweilige Domstädter und österreichische Nationalspieler Toni Polster, der immer für einen lockeren Spruch zu haben war und später auch als Manager bei Borussia Mönchengladbach tätig war. Mit Unterstützung der Indie-Rockband Die Fabulösen Thekenschlampen stimmte er 1987 live beim Kölner Ringfest "Toni, lass es polstern" an. Was ihm eine Geldstrafe und Abmahnung durch den Geißbock-Klub bescherte. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, erst etwas anzüglich mit einer gewissen Antonia "Auf alle Fälle: 2 Bälle" zu trällern und später noch zwei Alben zu veröffentlichen: TONI WALK ON 9 (2006) und 12 MEISTERTITEL (2008) nahm er mit der Band Achtung Liebe auf. In Köln war auch Dirk Lottner aktiv, der in der Kamellen-Hochburg als Fußballer Kultstatus genoss und mit Et Fussich Julchen ein musikalisches Bekenntnis ablegte: "Mir sin kölsche Jungs".

Kger abseitigen, manchmal auch als ooperationen mit mehr oder weni-

Kult gefeierten Bands gab es noch weitere: Die Schluckspecht-Heavy-Rocker Dimple Minds waren mit dem Bremer/ Mönchengladbacher Kicker Uli Borowka im Studio ("Barfuß oder Lackschuh", 1998). Als Ex-Nationalkeeper Eike Immel (Borussia Dortmund, VfB Stuttgart, Manchester City) pleite war (Privatinsolvenz), trällerte er 2008 mit dem Schlager-Veteranen Bata Illic "Wie ein Liebeslied". Und schob ein Jahr später die Single "Meine andere Seite" nach. In diesem Jahr tat sich der von Werder Bremen zu Real Madrid gewechselte Mesut Özil (früher auch mal bei Schalke 04) mit Jan Delay für "Large" zusammen.

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Nkomplette Teams, die mit mehr oder weniger großer Begeisterung eben weiteren sangesfreudigen Einzelakteuren gab es stets auch

die Stimmbänder vibrieren ließen. Schon 1966 feierte Die BorussiaElf aus Dortmund auf CBS den Gewinn des Europapokals mit "Wir halten fest und treu zusammen"/"Die Borussia-Elf". 38 Jahre später nahmen die Spieler von Bayer Leverkusen eine eigene Fassung von "We Are The World" auf, trällerten die Münchner Bayern mit Andrew White und dem Tölzer Knabenchor auf einer kompletten CD DIE SCHÖNSTEN WEIHNACHTSLIEDER (1995).

ANationalmannschaft: Zwischen den Weltmeisterschaften 1974 ls

wahrer

Dauerbrenner

betätigte

sich

die

deutsche

und 1994 quälten sich die jeweiligen Akteure zu jedem Turnier im Aufnahmestudio ab. Beim Heimspiel 1974 entwickelte sich der von Jack White gelieferte Schlager "Fußball ist unser Leben" zum Gassenhauer und Mega-Hit, was sich bei der Neuauflage 2006 wiederholte. Zweimal half als Vorsänger Udo Jürgens (1978 (1978 hieß es "Buenos Dias, Argentina", zwölf Jahre später "Wir sind schon auf dem Brenner"), einmal übernahm dessen österreichischer Landsmann Peter Alexander diesen Job (1986: "Mexiko, mi amor"), zwischendurch durfte der ( Deutsche Michael Schanze ran ("Ole Espana"). Richtig in die Hosen bzw. am Gehör der Fans vorbei ging die Kooperation mit den Village People für die WM 1994, "Far Away In America".

Urunden: Thomas Brdaric ging m das Solistenaufgebot abzu-

für Bayer Leverkusen, den VfL Wolfsburg und achtmal in der Nationalelf auf Torejagd und fand 2003 zwischendurch die Zeit, "Die Wilde 13" zu besingen. Der Ex-Münchner Peter Közle hatte 1 1994 994 seinen damaligen Klub "Duisburg" als musikalisches Thema. Carsten Ramelow (ebenfalls Leverkusen) versuchte es auf Englisch: Er griff sich 2005 "As Long As You Love Me" von den Backstreet Boys, außerdem Lionel Richies "Hello" und "Still In Love With You" von den No Angels. Immerhin diente all das einem guten Zweck, der Verkaufserlös ging an ein heilpädagogisches Jugendzentrum.

NAufnahmen von Spielern, bei denen och

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Datums

sind

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in die Jahre gekommene Fußballfans genüsslich in Erinnerungen schwelgen: etwa die Kremers-Zwillinge, die einst von Kickers Offenbach auf Schalke übersiedelten, es ins Nationalteam schafften (EM-Sieg 1972) und natürlich als Duo ans Gesangsmikro traten, um 1974 "Das Mädchen meiner Träume" zu besingen (zweiter Versuch: "Tanz nur mit mir, schönes Mädchen"/"Kein Addio, kein Goodbye", ebenfalls 1974). Auch der „schöne Hansi" aus dem Schwabenland trat an: ItalienEmigrant Hansi Müller veröffentlichte 1982 "Calcio di rigore" in italienischer Sprache. Der Gelsenkirchener (und spätere Berliner) Keeper Norbert Nigbur blieb bodenständiger, als er 1975 singend feststellte "Wenn Schalke 04 nicht wär (wär das Parkstadion immer leer)" und 1979 1979 musikalisch mehr oder weniger tiefschürfend über "44 Beine" philosophierte.

Kbei

langliches Kapital aus ihren Gastspielen deutschen Klubs versuchten gleich mehrere Auslandsimporte zu schlagen. Nachdem sich der Belgier Jean Marie Pfaff bei seinem ersten Spiel für die Münchner Bayern den Ball praktisch selbst ins Tor geworfen hatte, stellte er sich 1983 singend mit "Jean-Marie" vor. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit bei den Bajuwaren bekannte der Torwart ein Jahr später: "Jetzt bin ich ein Bayer". Jonathan Akpoborie, Stürmer aus Nigeria mit deutschem Zweitpass, verkündete 1998 998 während seiner Zeit beim VfB Stuttgart per Single siegesgewiss "We Will Win".

Brasilianer-Trio Ratinho, Sergio & Elber erfreute sich an "The Laughter Of The Children” (1998).

EDreieck

benfalls zu dritt trat Das Tragische ans Gesangsmikro, um "Steh auf" zu intonieren: Vom magischen Stuttgarter Kicker-Trio auf dem Spielfeld (Bobic, Elber, Balakov), auf das der Gruppenname anspielte, war allerdings nur der einstige Torjäger und heutige VfB-Manager Fredi Bobic dabei. Zur Verstärkung holte er sich Gerd Poschner und Marco Haber. Und hinter dem Pseudonym Keksi & Die falschen Freunde verbarg sich bei der Cover-Version von "Ohne dich (schlaf ich heut Nacht nicht ein)" 1996 das Bayern-München-Trio Dietmar Hamann, Alexander Zickler und Christian Ziege nebst einigen Musikerfreunden – dass alle drei Kicker später ins Ausland wechselten, soll aber nichts damit zu tun gehabt haben, dass sie von den Fans der Münchener Freiheit wegen vermeintlicher Verhunzung von deren Liedvorlage vom Hof gejagt wurden …

DGesangsmikro drängen – mit Blick auf die Erfahrungen und

och die Zeiten scheinen vorbei, in denen sich Kicker ans

Endprodukte der Vergangenheit vielleicht nicht soooo falsch ... Zumal sich in den heutigen profitorientierten Zeiten Gesangsaufnahmen von mehr oder weniger prominenten Kickern kaum noch lohnen. Denn diese Songs würden sich vor allem die jungen Fans wohl eher aus dem Internet herunterladen, um nicht für physische Tonträger löhnen zu müssen. Also besteht für die Kicker kaum mehr Anreiz, Zeit aufzuwenden, Nerven und Stimmbänder zu strapazieren. Mal ganz abgesehen davon, dass Manager, Spielerberater und Vereinsverantwortliche in dieser Hinsicht auch nichts mehr forcieren, sondern eher bremsen.

Eist allerdings der frü-

ine löbliche Ausnahme

here Nationalspieler, Ex-Bayern-Profi und heute für den Zweitligisten FC Ingolstadt aufl aufende Verteidiger Andreas Görlitz: Er unterhält mit Room 77 dauerhaft eine eigene Band. Mit ihr durfte er in diesem Jahr sogar als Opener für AC/DC ran und kann mittlerweile mit AT HOME auch eine CD vorweisen.

Awirkte

uf dem Platz deutlich beeindruckender der ebenfalls aus Nigeria stammende Frankfurter Dribbelkönig Jay Jay Okocha: Er verewigte sich in den UnvergesslichkeitsAnnalen des BundesligaFußballs, als er am 31. August 1993 1993 mehrere Karlsruher inklusive Torwart Oliver Kahn schwindlig spielte, ehe er den Ball dann doch über die Linie schob: Ziemlich genau ein Jahr später schmetterte er dann per 7"- und 12"-Single "I I Am Am Jay Jay" aus den Lautsprecherboxen. Das kickende

"Football’s Coming Home – Die großen Momente der Fußballpopgeschichte" ISBN: 978-3-42678-277-4 Knaur-Verlag; 8,95 €

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Es war einmal ...

Popstar, Ice Cream, eam Rotz & Wasser Von Bernd Matheja

uf Kuba übernahmen Fidel Castros Revolutionstruppen die Macht, in Deutschland wurde Heinrich Lübke Bundespräsident, der sich schon bald im Ausland mit dem unvergessenen „Meine Damen und Herren, liebe Neger!" als Redner profilierte. Regisseur Bernhard Wicki machte "Die Brücke" zu einem der besten Antikriegsfilme der Geschichte, in den USA gingen Lorne Greene und seine drei geschlechtslosen Papasöhnchen im TV mit "Bonanza" auf Sendung, und – aus heutiger Sicht eher komisch – Eintracht Frankfurt schlug Kickers Offenbach im Finale der nationalen Fußballmeisterschaft mit 5:3. Richtig, wir befinden uns im Jahr 1959. Und, ebenso richtig, mit Musik hatte ich absolut nichts am Hut – egal, ob nun mit Freddy oder Cliff Richard, ob mit Caterina Valente oder Elvis Presley: null Ahnung, wer das überhaupt war. Was aber für einen Achtjährigen auch nicht unbedingt ein Makel sein musste. Im Sommer besagten Jahres zählte, kein Wunder, sowieso nur was ganz anderes: S-o-m-m-e-r-f-e-r-i-e-n, endlich! Und in diesem Juli wurden es ganz besondere. Denn statt Harz, Harz oder Harz hieß es diesmal: hinaus in die weite Welt, Verwandtenbesuch in ... London! Ich konnte damals – es muss so gewesen sein – wahrscheinlich schon ab Februar nicht mehr richtig schlafen, obwohl sich das Reiseziel erst im Mai ergeben haben dürfte ... Tante Uschi und Onkel John hatten eingeladen, die kargen Taler der Lübecker reichten damals noch gar nicht für eine solche den Sparstrumpf sprengende Unternehmung. Vattern durfte ohnehin zu Hause bleiben – einer musste ja schließlich arbeiten gehen. Am 9. Juli, dem Tag, als der spätere Simple-Minds-Sänger Jim Kerr aus dem Ei schlüpfte, ging es los. Meinen eigenen Geburtstag würden wir dann schon jenseits des Wassers feiern. Abmarsch aus Lübeck mit Sack und Pack per Eisenbahn, Holzklasse. Ziel zunächst: Hoek van Holland. Zeitlich klappte alles, Mutter und Sohn (stolz wie Bolle über seinen ersten „Kinderpass" am Bindfaden um den Hals) staksten die Holzgangway hoch, nette Matrosen halfen beim Schleppen. Keine zehn Minuten darauf half dann schon nichts mehr: Die riesige Fähre war noch vertäut, im Hafen null Wellengang – doch Berni musste seinen blonden Wirsing schon übers Porzellan halten und sich das Essen noch mal durch den Kopf gehen lassen – die Aufregung! Zehn oder auch mehr Stunden später: Landgang in Herritsch (obwohl im fremden Hafen eindeutig "Harwich" am Willkommenschild stand). Rein mit allem Gerödel in ein dack-dack-dack machen-

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des Auto, bei dessen Herstellung man obendrein das Steuer versehentlich auf der falschen Seite montiert hatte. Egal, wir erreichten trotzdem den kleinen Bahnhof. Auch beim Bau der Zugwaggons war offenbar was schiefgelaufen: Tür auf – und schon saß man im Abteil. Ebenfalls egal. Rund zwei Stunden ratterte es, bis zum Ziel: London, Liverpool Street Station, Onkel wartete schon. In seinem Vauxhall, weinrot, rollten zwei übermüdete Germanen Richtung Innenstadt. Ankunft im Stadtteil Marylbone, 30 New Cavendish Street. Die Augen des Kurzen müssen größer gewesen sein als sein Gesicht: alles so schön anders hier! Da störte es auch rein gar nicht, dass man absolut nichts verstand, was die Menschen ringsum alles so von sich gaben. Täglich wurde die nähere und weitere Umgebung erkundet – es ging dabei u.a. durch die Baker Street, Tottenham Court Road und Goodge Street; Namen, denen der Junior erst viele Jahre später wieder begegnen würde: Berni Cool: Regents Park, Juli 1959 in Songs von Gerry Rafferty, Them und Donovan ... Zur Erholung flanierte man im sonnigen, nahegelegenen Regents Park, wo all das

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Erlebte so wunderbar lässig im Liegestuhl verdaut werden konnte. Was für Ferien! Apropos Verdauung: Es kam der schicksalhafte Tag, als Muttern ein neues Sommerkleid verpasst bekam (Eigenbau mit endlosem Abstecken in der Wohnung) und sich der Filius naturgemäß zu Tode langweilte. Tantchen kam auf den – im Grunde guten – Gedanken, dass ein Eis zur Überbrückung doch wohl nicht das Schlechteste wäre. Wie wahr! Unten im Nachbarhaus sei schließlich ein Laden, und mit ein paar braunen Riesenmünzen in den Taschen der kurzen grünen Lederhose wurde das Kind mal eben entlassen. Der Anfang vom Ende! Denn dass es sich überhaupt nicht artikulieren konnte („Eis" hin, „ice" her ...), daran hatten die Damen in ihrem Textilrausch natürlich zu keiner Sekunde gedacht ... Und da stand der arme Minderjährige nun – einsam, allein und fern der Heimat – mitten in der Hökerbude, glatte, abgegriffene Kupfertaler in der Hand und Fremdgeräusche ohne Ende im Ohr. Die liebe alte Dame hinter dem Verkaufstresen schien der Verzweiflung nahe und konnte doch nichts retten: Los ging das Geheule, Handelsklasse A, Weltuntergang der ersten Kategorie! Wat nu?! Mitten im steigenden Hochwasser hinter der Brille klingelte es aus Richtung Ladentür, eine junge blonde Frau betrat das Geschäft. Kurzer Meinungsaustausch mit der Seniorin, erst Schulterzucken, aber dann – patsch, patsch – wurde Klein-Berni auch schon ganz lieb „ei gemacht", was zumindest den Schluchzfaktor 100 schon mal erheblich drückte und das Durchatmen neu sortierte: Beruhigung rundum, die lächelnde Lady hatte es geschafft! Und zugleich den Zeigefinger des Bübchens aktiviert – denn so eine Kühlbox wie im Laden hatte schließlich auch Kolonialwarenhändler Mehlhose in Lübeck-Marli, und bei dem war dort das Objekt der Begierde drin: EIS!!! Volltreffer!!! Die Augen waren in Sekundenschnelle trocken. Und es kam noch viel besser. Die Retterin wusste offenbar, wo Heuli hingehörte, sie musste ihn zuvor schon mal kurz gesehen haben. Denn „Blond/groß" nahm „Blond/ klein" bei der Hand und marschierte mit ihm aus den Laden, eine Tür weiter rein ins Haus und hoch die Treppen. Ring-ring-ring, die Tante öffnete, fast gingen die Schleusen – trotz lecker Eis im Mund – wieder auf, dann aber wurde rundum gelacht, und Kleidabstecken war plötzlich gar nicht mehr so schlimm ... Die freundliche Frau Nachbarin hatte einen unverzichtbaren Teil zur deutsch-englischen Freundschaft geleistet und entschwand. Rund 15 Jahre später. Bernd M. studierte mittlerweile in Göttingen und interessierte sich schon lange für Popmusik. Für Bands natürlich, die Stones, Kinks und die Jimi Hendrix Experience standen dauerhaft auch Mitte der 70er noch ganz oben auf der Liste. „Einzelleute", nööö, die waren nie sonderlich gefragt, und auch die Kenntnisse darüber hielten sich in sehr, sehr engen Grenzen: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht ... Zwecks Informationen aus erster Hand gab es einmal pro Woche, streng abgespart, vom Bahnhofskiosk ein Magazin aus England – entweder den "New Musical Express" oder "Melody Maker", je nach angebotenen Themen. GoodTimes

1959, The Lana Sisters. v. l.: Dusty Springfield, Riss Chantelle, Lynn Abrams Und eines Tages, beim gierigen Durchblättern, passierte es. Unglaublich: Diese Frau, die da zu sehen war ... Andere Haare zwar und, logo, etwas älter geworden, aber ... Sie MUSS es gewesen sein! Und plötzlich war alles wieder da – das Eis, das Geplärre, die Rückführung des Knaben. Die Sache bedurfte jedenfalls zügigster Klärung, egal, was es – damals noch – kostete: abendlicher Anruf (nach 22 Uhr, weil billiger) bei den Verwandten in London, denen der Live-Musik-Club Hatchett's über die Jahre einiges an £.s.d. (Pound, Shilling, Pence ...) und somit ein Häuschen in Wimbledon eingebracht hatte. Und während die Kohle im Münzschlund der Telefonzelle nur so durchrauschte (und die wartende StudiSchlange vor der Tür schon das Pöbeln begann), erfolgte nach Schilderung der Sachlage die wunderbare Klärung. Auch für die Tante war das Drama aus der Vorzeit noch komplett präsent: „Oh, yes, of course it was Mary!" – "Welche Mary?!" – „Dusty, Dusty Springfield!" Sie hatte offenbar vorübergehend im selben Haus gewohnt, gelebt, wie auch immer. Dusty, eigentlich Mary Isabel Catherine Bernadette O'Brien, die große Lady Springfield, war damals gerade mal 20 und noch Mitglied der Lana Sisters gewesen – eines tutigen EndfünfzigerTrios mit Riss Chantelle, Lynn Abrams und eben Mary/Dusty, noch bevor sie mit den Springfields und dann als gefeierte Solistin zum internationalen Star aufstieg. Der sofortige Kauf zumindest eines Preiswert-Samplers zum Einstieg war dann Pflicht, die Wahl fiel auf I CLOSE MY EYES AND COUNT TO TEN für rund 'nen Zehner. Den enthaltenen Song "Anyone Who Had A Heart" habe ich selbstverständlich dem Eiscreme-Zwischenfall „gewidmet" ... Dusty Springfield, die mit nur 59 Jahren 1999 an Krebs verstarb, ist auf meiner Festplatte eingebrannt. Löschtaste gesperrt. 1/2011

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150 KULTALBEN aus den 60er bis 80er Jahren Teil 1 Kultmusiker schließen sich zu Kultgruppen zusammen, spielen Kultsongs ein und bündeln sie zu Kultalben. Manche Kultmusiker bleiben auch Solisten, benötigen für ihre Kultmusik keine Band. Was genau "Kult" ausmacht, ist kaum exakt zu definieren. Fest steht nur, dass Kult kein belangloser Spaß ist, sondern eine Angelegenheit, die höchst ernstgenommen werden muss, wenn sie funktionieren soll. Kultmusik unterscheidet sich vom Rest durch den Faktor X, durch das Gefühl beim Zuhörer, zwischen ihm und den Interpreten existiere eine "gemeinsame seelische Wellenlänge", und sexuelle Aspekte sind selbstverständlich auch im Spiel. Nachfolgend eine Auflistung von 50 Kultalben aus den 60ern (70er & 80er folgen in den nächsten Ausgaben) – nach streng subjektiven Kriterien.

Sixties

Von Hans-Jürgen Günther – roh, fiebernd, walzend, und der singende Captain im Delirium.

THE YARDBIRDS: HAVING A RAVE UP WITH THE YARDBIRDS (1966) Die Studiotracks sind der beste bluesige Pop-Rock aller Zeiten, die Livetracks eine nette Ergänzung.

THE VELVET UNDERGROUND: THE VELVET UNDERGROUND AND NICO (1967)

DUSTY SPRINGFIELD: DUSTY IN MEMPHIS

THE BEATLES: A HARD DAY'S NIGHT (1964)

Dunkelste, allerschärfste Songs über Drogen, Sex und Zärtlichkeit. Musik zwischen Minimalismus und Noise.

Soul erblondete, aber Dusty bot qualitativ sogar Aretha die Stirn. Songs wie Denkmäler, unglaublich arrangiert, noch besser gesungen.

Die Musik zum ersten und besten BeatlesFilm. Herzerfrischender, unbekümmerter Beat, kein schwacher Song dabei.

THE BEATLES: RUBBER SOUL (1965)

SANTANA: SANTANA (1969)

1. Teil

(1969)

Metallische, schneidende Gitarren treffen auf die musikalische Welt südlich des Rio Grande. Die brillante Geburt eines Genres.

Die perfekte Umformung von schwarzer Musik in weiße Musik, nur Spitzensongs.

Die Vollendung des Merseybeat. Bessere Musik konnten die Beatles nun nicht mehr machen – nur noch eine andere.

THE WHO: MY GENERATION (1965)

ARETHA FRANKLIN: I NEVER LOVED A MAN THE WAY I LOVE YOU (1967)

Ad re n a l i n g e l a d e n e r Gigantenstart mit Songs zwischen Wut, Hass und Aufbegehren.

Arethas Befreiungsschlag der Extraklasse. Aus der einstigen Sängerin leichter Kost wurde die Queen Of Soul – für immer.

Youngs beste frühe Arbeit, mit den ÜberSongs "Down By The River" und "Cowgirl In The Sand".

THE JIMI HENDRIX EXPERIENCE: ARE YOU EXPERIENCED (1967)

THE ROLLING STONES: BEGGARS BANQUET

Blues plus Acid plus nie gehörte Gitarrentöne = ein vulkanisches Album voller einmaliger Songs.

(1968)

THE ROLLING STONES: ROLLING STONES No. 2 (1965)

THE KINKS: FACE TO FACE (1966) Ray Davies' britisches Gemälde zwischen Swinging London, Landleben, Satire und Helden mit persönlichen Problemen.

BOB DYLAN: BLONDE ON BLONDE (1966) Perfekte Lieder über Melancholie und Verzweiflung, wortgewaltige surreale Poesie trifft auf flexibel-handfeste Musik.

THE BYRDS: YOUNGER THAN YESTERDAY (1967) Folk-Rock wird psychedelisiert, CountryKlänge schleichen sich ein, dazu als Gegensatz futuristische Soundeffekte.

CREAM: DISRAELI GEARS (1967) Avantgardistischer Blues auf dem Weg in die Abstraktion. Nie spielte Clapton besser, nie sang Bruce besser.

NEIL YOUNG & CRAZY HORSE: EVERYBODY KNOWS THIS IS NOWHERE (1969)

Jagger & Richards auf dem Gipfel ihrer Kompositionskunst, perfekt Gespieltes für die Ewigkeit.

THE DOORS: THE DOORS (1967)

IRON BUTTERFLY: IN-A-GADDA-DA-VIDA

Vom Blues zum jazzigen Rock zum ÖdipusDrama. Düstere Texte und hypnotische Musik vereinen sich elementar. Und Jim Morrison avanciert zum ewigen Poster-Star.

THE BEATLES: MAGICAL MYSTERY TOUR (1967) Mit den vier besten Beatles-Songs: "Penny Lane", "Strawberry Fields Forever", "Fool On The Hill" und "I Am The Walrus".

TIM BUCKLEY: HAPPY SAD (1969)

(1968)

Der Titelsong, die ganze B-Seite der LP füllend, ist alles, was von Iron Butterfly die Zeiten überlebt. Nie klang LSD-Rock gigantischer.

THE 13th FLOOR ELEVATORS – THE PSYCHEDELIC SOUNDS OF THE 13th FLOOR ELEVATORS (1966)

Die Verwandlung von simplen Folk-Rock-Songs zur Singer/Songwriter-Kunst. Wundervolle Texte, ebenso wundervoll gesungen.

Die Könige des texanischen Garagen-PsychoRock, Lichtjahre entfernt vom Mainstream. Unheimlich, drogenlastig, ausgeklinkt, außerirdisch, einmalig.

CAPTAIN BEEFHEART AND HIS MAGIC BAND: MIRROR MAN (1968)

Der intensivste aller Soulsänger mit Spitzenkost. Gefühle: ja – Schmalz: nein. Der Unterschied ist zu hören und sein Vermächtnis.

Extralange Songs des psychedelischen Blues Seite

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OTIS REDDING: OTIS BLUE (1965)


VAN MORRISON: ­ASTRAL WEEKS (1968)

THE ROLLING STONES: AFTERMATH (1966)

Allerkomplexeste Songs, sensationelle Texte, ­Arrangements zwischen Traum & Wirklichkeit – die Geburt des ArtRock.

SPIRIT: THE FAMILY THAT PLAYS TOGETHER (1969)

Kalifornische Hippies zwischen treibendem Wahnsinns-Hard-Rock und feinsten Traumklängen, lauernd und explosiv.

JEFF BECK GROUP: TRUTH (1968) Jeff Beck auf dem ­Höhepunkt seiner Möglichkeiten. Bestes Songmaterial, eine total inspirierte Band – und Rod Stewart singt göttlich.

RAY CHARLES: MODERN SOUNDS IN COUNTRY AND WESTERN MUSIC (1962) Farbiger R&B-King bläst zum Sturm auf die Bastion des weißen Amerika. Erleuchtungsmoment für die Wissenden, Sakrileg für die Dummen.

THE PENTANGLE: BASKET OF LIGHT (1969)

Britischer Folk plus Jazz plus Jacqui Mc­ Shees Stimme vom anderen Stern. Nie waren Pentangle besser.

IT'S A BEAUTIFUL DAY: IT'S A BEAUTIFUL DAY (1969)

"White Bird", "Bulgaria", "Time Is" – heißer Psycho-Rock mit prominenter Geige statt ­Gitarre. Skurril, aber fantastisch gelungen.

THE STOOGES: THE STOOGES (1969) Hemmungsloser Garagen-Rock, bösartig, ausgeflippt, manisch, dekadent und – genial. Iggy schreit sich die Seele aus dem Leib.

JULIE DRISCOLL + BRIAN AUGER & THE TRINITY: OPEN (1968) Die beste UK-Sängerin der Sixties wringt ihre Stimmbänder aus, und der coole Auger verschmilzt an den ­Tasten Blues und Jazz.

Jagger & Richards erleben ihre Leistungsexplosion als Komponisten. Enorm vielseitige Songkollektion mit "Goin' Home" als Höhepunkt.

THE HOLLIES: BUTTERFLY (1967) Das beste aller HolliesAlben, kraftvoll und verspielt zugleich. Supersongs wie "Dear ­ Eloise" und "Pegasus The Flying Horse".

Keine Füller, nur Klassesongs wie "The Door Into Summer" und "Pleasant Valley Sunday". The Monkees auf Augenhöhe mit den MerseybeatBeatles.

MARIANNE FAITHFULL: MARIANNE FAITHFULL (1965) Die Muse der Stones als engelsgleiche Sängerin von superben Liedern voller Poesie.

BOB DYLAN: HIGHWAY 61 REVISITED (1965) Der elektrifizierte Dylan startet durch. Liebeslieder & 12-Takt-Blues & Texte zwischen Philosophie und Wirklichkeit.

GUN: GUNSIGHT (1969) Britischer Blues-Rock eines infernalischen Trios. Perfekte Songs, kompromisslos hart zupackend gespielt, aber auch die Balladen bringen's.

THE MOODY BLUES: IN SEARCH OF THE LOST CHORD (1968)

Arthur Lee auf dem Zenit seines Könnens. Komplexe Songs mit klugen Texten, irre arrangiert mit heftigem Rockmustern, akustischen Gitarren und vollem ­Orchestereinsatz.

THE UNITED STATES OF AMERICA: THE UNITED STATES OF AMERICA (1968) Fantasievollster Underground-Rock mit waghalsigen Soundtrips und der einmaligen Stimme von Dorothy Moskowitz.

PINK FLOYD: THE PIPER AT THE GATES OF DAWN (1967) Das Genie Syd Barrett war nicht der „Erfinder" des britischen Psycho-Rock, aber er setzte Maßstäbe für immer. Raketenstart der späteren Weltstars.

THE PRETTY THINGS: EMOTIONS (1967) Völlig unterbewertete Kollektion allerbester sanfter Pop-Rock-Songs voller Melancholie, aber auch zupackender Qualitätskost.

CHICAGO TRANSIT AUTHORITY: CHICAGO TRANSIT AUTHORITY (1969)

Schlicht die schönsten aller konventionellen Softbeatsongs der Moodies, noch ohne Riesenambitionen.

Rock, Jazz & Blues fusionieren, die Bläser explodieren, der Blues bleibt erhalten, der Rock walzt jeden Einwand nieder.

THE BYRDS: MR. TAMBOURINE MAN (1965) Start des Rickenbacker-Gitarren-Folk-Rock mit grandiosen Songs von Dylan, Seeger und Gene Clark.

THE MONKS: BLACK MONK TIME (1966) Ein Album wie ein Knockout-Schlag in die Magengrube. Radikal hart, oft hysterisch, chaotisch – aber mit einem Augenzwinkern.

THE MAMAS AND THE PAPAS: DELIVER (1967) Zwei Frauen & zwei Männer servieren den besten SoftPop-Rock aller Zeiten. Ein Quartett aus Schweden beerbte sie ...

CLARK-HUTCHINSON: A = MH 2 (1969)

THE BEAU BRUMMELS: TRIANGLE (1967)

Instrumentaler Avantgarde-Rock von britischen Sonderlingen. Minimalistisch, rhythmisch fesselnd, magisch.

Folk-Rock mutiert zur überwältigenden Kunst. Ingeniös produziert mit Stimmen, Gitarren, Streichern, Cembalo, Akkordeon ... 1/2011

Parsons & Hillman „erfinden" den CountryRock zwar nicht allein, setzen aber Maßstäbe für immer.

LOVE: FOREVER CHANGES (1967)

THE MONKEES: PISCES, AQUARIUS, CAPRICORN & JONES LTD. (1968)

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THE FLYING BURRITO BROTHERS: THE GILDED PALACE OF SIN (1969)

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JEFFERSON AIRPLANE: SURREALISTIC PILLOW (1967) Das erste JA-Album mit Grace Slick, dem Vorbild für Legionen von Sängerinnen. Großartige Texte passen zum adäquat sensationellen Acid-Rocksound.


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seit rund sechs Jahrzehnten. In einer bislang einmaligen Kollektion bietet GoodTimes jetzt rund 55.000 ausgesuchte Abbildungen dieser so beliebten Umschläge an; auf einer Doppel-DVD, die bereits lieferbar ist.

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ie sind künstlerisch wertvoll, manchmal nur "08/15", und es gab auch Schauderhaftes: Single- (und EP-) Cover. Doch wie auch immer: Die meist bunten Papierbildhüllen um die 17-cmScheiben haben eines gemein: Sammler lieben sie, Sammler jagen sie! Und das

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Dass ausgerechnet die Briten (als eines der Pop-Mutterländer) D in der Vergangenheit so armselig wenig zum Fundus der Bildhüllen beitrugen, daran haben Fans und Sammler sich leider gewöhnen müssen. Aber da ist ja noch der nicht unbeträchtliche Rest der Welt ... Und der steuerte von Beginn an dagegen – mit Hüllengestaltungen, die an Vielfalt und Varianten kaum etwas zu wünschen übrig ließen. Eine Veröffentlichungspolitik, die auch der GoodTimes-Doppel-DVD in die Karten spielt. Deutschland und europäisches Festland. Nord-, Mittel- und D Südamerika. Asien, Afrika, Australien. Single- und EP-Cover von allen Kontinenten machen die DVDs zu einer unerschöpflichen Fundgrube für Interessenten. Konzentriert auf die vier pop-historisch wichtigsten Jahrzehnte (50er, 60er, 70er und 80er Jahre), präsentieren sich Hüllen aus allen nur denkbaren Musikrichtungen: Rock, Pop und Beat – Blues, Funk und Soul – Rock'n'Roll, Country und Jazz – Deutschrock, Psychedelia und Progressives. Und auch Schlagertüten haben ein Recht, gezeigt zu werden. Um die kleinen Kunstwerke (und auch die optischen Luschen) discografisch korrekt anzusiedeln, sind die Angaben zu den Künstlern, den A- & B-Seiten, den jeweiligen Plattenfirmen bzw. ihren Labels abrufbar – Katalognummern und das Jahr der Veröffentlichung natürlich inklusive. Ob Eintagsfliegen oder Normalos, ob Megaseller und Superstars: Die DVDs decken ein mächtiges Spektrum ab. Bei den Giganten ist ebenso viel zu sehen – allein mehr als 400 Beatles-Hüllen, über 250 der Rolling Stones, rund 100 Exemplare von The Sweet. Und so weiter ... Erfasst sind automatisch Ausgaben von diversen Herstellern. Mit an der Spitze: Ariola (rund 5000 Beispiele) und Polydor (ca. 4500 Abbildungen); ebenso zu sehen: weitere Klassiker wie Decca, CBS, London, Philips, EMI, Fontana, RCA, StarClub, Vogue, Warner Bros. und ... und ... und, ein Angebot ohne Grenzen. Wollten die Plattenfirmen Kosten sparen, oder legten sie einfach keinen Wert auf optische Attraktivität (wie die eingangs angesprochenen Briten), ließen sie Single-Cover ohne Künstlerbilder oder grafische Gestaltung los. Doch selbst diese „Firmenlochcover" (mit dem Logo des Labels) haben sich längst als Sammelobjekte entpuppt – genau wie „Interpretencover" (Standardhüllen eines Stars wurden mehrfach verwendet, nur die Beschriftung verändert) und natürlich auch spezielle „Promocover" zu reinen Werbezwecken. Aus diesen Bereichen sind allein rund 2700 Beispiele zu bestaunen. Als Bonus können Käufer außerdem Hunderte von Labelabbildungen, farbige Vinyls und Picture Discs Revue passieren lassen! Zur vielfältigen Nutzung der GoodTimes-Cover-DVDs geben besondere Such- und Sortierfunktionen Hilfestellung. Appetit bekommen? Dann los, die Fundgruben sind ab sofort lieferbar: unter der Internetadresse www.goodtimes-magazin.de oder über unseren gut sortierten Shop mit vielen weiteren Topangeboten (in diesem Heft auf Seite 13). Preis der optischen Wundertüte: 34,80 Euro.

Ab sofort ebenfalls erhältlich: die neuen Single- und LP/CD-Preiskataloge! Seit Jahren unverzichtbar für Sammler und Händler. Mit allen Details und dem Super-Farbsonderteil: Cover-Abbildungen aus aller Welt (siehe Bestellformular S. 13)!

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DAS JAHR 1980

AUSTER, BORG & AC/DC Die Aufbau-Fünfziger lagen abgeheftet in den Archiven. Die Umwälzungs-Sechziger wirkten noch länger nach. Und dann waren auch die Siebziger geschafft: mit Hippies, Punk und Watergate. Mit "Star Wars", Willy Brandts Warschauer Kniefall, dem Ende des Vietnamkrieges und der Fußball-WM in Deutschland. Mit der Ölkrise, der RAF und mit Geräten, die als PC allmählich Gestalt annahmen. Viel Holz an allen Ecken. Zur Ruhe kam die Welt, logisch, aber nicht ... "Schwangere Auster", Berlin

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Björn Borg

ZEITGESCHICHTE

Wende in der amerikanischen Politik: „Aus" für den Demokraten Jimmy Carter, der Republikaner Ronald Reagan (1911–2004) gewinnt im November die Präsidentschaftswahlen und nimmt seine Arbeit am 20. Januar 1981 auf. Der B-Movie-Schauspieler und stramme Antikommunist ist bei Dienstbeginn der älteste Amtsinhaber in der US-Geschichte. Ein erstes Attentat überlebt er bereits acht Wochen später. *** Arbeiteraufstand in Polen: Nach massiven Streiks wird in Danzig im September die Gewerkschaft Solidarnosc gegründet. Charismatischer Führer ist Lech Walesa (*1943). *** 13. Januar in Karlsruhe: Verschiedene Ronald Reagen Gruppen aus der Friedens-, Ökologie- und Anti-Atomkraftbewegung formieren sich zur Partei Die Grünen, eines der Vorstandsmitglieder ist Petra Kelly (1947–1992). Bei der Bundestagswahl 1980 kommen lediglich 1,5 Prozent Stimmen zusammen, doch bereits 1983 ist mit 5,6 Prozent der Sprung ins Parlament geschafft. *** Nach 30-jähriger Unterbrechung wird in Deutschland am 6. April wieder die Sommerzeit eingeführt. Umstrittenes Ziel: Energieeinsparung. *** Tod einer Polit-Legende: In Ljubljana stirbt am 4. Mai Lech Walesa (Marschall) Josip Broz Tito (*1892), Staats- und Ministerpräsident von Jugoslawien, der für sein Land einen von der Sowjetunion abgekoppelten Sozialismus reklamierte. Acht Städte trugen seinen Namen. *** Aufruhr I: BGS und Polizei räumen am 4. Juni in Lüchow-Dannenberg (Niedersachsen) die Republik Tito Seite

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Freies Wendland,, ein Dorf, das Atomkraftgegner errichtet hatten. Aufruhr II: Am 2. November kommt es zur ersten Großdemonstration im hessischen Walldorf. Knapp 20.000 Menschen protestieren gegen den beschlossenen Bau der Startbahn West für den Frankfurter Flughafen. *** Der sowjetische Regimekritiker Andrej Sacharow (1921– Oktoberfest 1989) wird am 22. Januar in Moskau festgenommen und in ein Sperrgebiet nahe der Stadt Gorki verschleppt. *** Am 22. September beginnt der Erste Golfkrieg zwischen Irak und Iran (bis 20.8.1988) um die Vorherrschaft in der Region. Die Zahl der Opfer liegt zwischen 400.000 und 800.000. *** Bombenanschlag auf dem Oktoberfest in München am 26. September: 13 Tote, über 200 Verletzte. Der rechtsextremistisch eingestufte Attentäter Gundolf Köhler (21) aus Donaueschingen stirbt dabei. *** Das einst britische Rhodesien wird als Republik Simbabwe am 18. April unabhängig. *** Die Bundesrepublik zahlt der DDR ab 1. Januar eine jährliche Pauschale in Höhe von 50 Millionen Mark für die Benutzung der Transitstrecken nach WestBerlin. Reisende sind damit von den Straßengebühren befreit. Zugleich zockt der klamme Helmut Schmidt Honecker-Staat ab 13. Oktober Besucher aus „dem Westen" mit einer Erhöhung des Zwangsmindestumtausches von 13 auf 25 Mark pro Tag ab. *** Sieger der Bundestagswahlen ist die SPD (Kanzler: Helmut Schmidt) mit 42,9 Prozent der

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Stimmen vor der CDU (34,2 Prozent) und der FDP (10,6 Prozent). *** Auf Veranlassung von Verteidigungsminister Hans Apel wird Bundeswehr-Generalmajor Gert Bastian (1923–1992, Selbstmord) versetzt: Er hatte sich für eine aktive Abrüstungspolitik eingesetzt. *** Nach 47 Jahren hebt ein West-Berliner Gericht am 15. Dezember den Schuldspruch gegen den Niederländer Marinus van der Lubbe (*1909) auf: Er war von der verbrecherischen Nazi-Justiz 1933 als vermeintlicher Reichstagsbrandstifter zum Tod verurteilt worden (Hinrichtung: 1934 in Leipzig). ***

SPORT

Die Olympischen Winterspiele finden vom 13. bis 24. Februar in Lake Placid (USA) statt. Dann wird aus Olympia fast ein (N)Olympia: Aus Protest gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan boykottieren 65 Nationen die Sommerspiele in Moskau. Neben den USA fehlen aus Europa lediglich die Bundesrepublik Deutschland, Albanien, Norwegen, Liechtenstein und Monaco. Die meisten Medaillen entfallen auf die UdSSR (80 Gold/69 Silber/46 Bronze) vor der DDR (47/37/42) und Bulgarien (8/16/17). Als Folge bleiben diverse Ostblockstaaten 1984 den Spielen in Los Angeles fern. *** Rekord: Der Schwede Björn Borg gewinnt am 5. Juli (Gegner: John McEnroe) zum fünften Mal in Folge das Tennisturnier in Wimbledon. *** Die deutsche Muhammad Ali Nationalmannschaft wird FußballEuropameister, sie schlägt am 22. Juni in Rom Belgien durch zwei Endspiel-Treffer von Horst Hrubesch mit 2:1. *** Comeback fehlgeschlagen: Box-Schwergewichtler Muhammad Ali unterliegt am 2. Oktober in Las Vegas gegen Larry Holmes durch technischen Knockout. *** Europas Fußballer des Jahres ist Karl-Heinz Rummenigge von Bayern München, das auch Deutscher Meister wird (DDR: Dynamo Dresden). DFB-Pokalsieger ist Fortuna Düsseldorf, den Uefa-Cup erringt Eintracht Frankfurt in einem rein deutschen K.-H. Rummenigge Finale gegen Borussia Mönchengladbach. *** Am 31. März stirbt der amerikanische Leichtathlet und Kettenraucher James Cleveland "Jesse" Owens (*1913), der bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin (zu Adolf Hitlers Ärger) vier Goldmedaillen gewonnen hatte. Dieser Rekord wurde erst 1984 von Carl Lewis egalisiert. *** Bundesdeutsche Sportler des Jahres: Guido Kretschmer Jesse Owens (Zehnkampf), Irene Epple (Ski alpin) und die Fußballnationalelf. *** Formel-1-Triumph für Piloten aus Übersee: Der Weltmeistertitel geht an Alan Jones (*1946, Australien) auf Williams-Ford. Er siegt vor dem Brasilianer Nelson Piquet und Carlos Reutemann (Argentinien). *** Irene Epple Guter Geburtsjahrgang für FußballNationalkicker in spe: Sebastian Kehl, Tim Borowski, Sebastian Deisler, Christoph Metzelder, Clemens Fritz, Martina Müller und Nia Künzer kommen zur Welt. *** Neuer Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wird der Spanier Juan Antonio Samaranch (1920–2010). *** Am 3. Juni beendet Kult-Torwart Josef Dieter "Sepp" Maier (*1944) von Bayern Sepp Maier München nach einem Verkehrsunfall seine GoodTimes

Profikarriere als Fußballspieler. Von 1966 bis 1979 absolvierte die „Katze von Anzing" 95 Länderspiele und ist damit bis heute deutscher Rekordtorhüter. ***

FUNK & FERNSEHEN

Eine Karriere nimmt Gestalt an: Die Sendung "Telespiele" rückt aus dem Bayerischen Fernsehen ins Erste. Moderator: ein junger Mann namens Thomas Gottschalk. *** Am 20. März kentert vor der Küste von Essex das Sendeschiff des einst populärsten Piratensenders der Geschichte, Radio Caroline. *** In den USA wird am 23. Juni die erste TV-Show mit einer Bildschirmlegende in Thomas Gottschalk spe, David Letterman, ausgestrahlt. *** In Deutschland geht der Abendshow-Renner "Verstehen Sie Spaß?" im ARD-Programm am 31. Januar auf Sendung. Gastgeber ist der Schweizer Kurt Felix. *** In gerade mal 3,3 Prozent aller bundesdeutschen Haushalte steht ein Videorekorder. Videorekorder *** Ted Turner gründet am 1. Juni in den USA den weltweit ersten Nonstop-Nachrichtensender CNN (Cable News Network). *** Am selben Tag beginnen ARD und ZDF mit der Ausstrahlung ihrer Videotextseiten. Bis zum 31. Dezember können 70.000 Haushalte diesen Service empfangen. *** In loser Reihenfolge zeigt die ARD ab 12. Juni Dieter Hildebrandts TV-Kabarett "Scheibenwischer". 1986 blendet sich der Bayerische Rundfunk als einzige Anstalt aus einer Ausgabe zum Thema Tschernobyl aus. Hildebrandt verlässt die Sendung 2003 aus Altersgründen und untersagt 2009 die weitere Verwendung des Sendetitels, als das Programm mit Comedians aufgeweicht werden soll. *** Ein TV-Höhepunkt des Jahres ist ab 12. Oktober die 13-teilige Serie (plus Epilog) "Berlin Alexanderplatz" nach dem Roman von Alfred Döblin. Regie: Rainer Werner Fassbinder, großartiger Hauptdarsteller: Günter Lamprecht als „Franz Biberkopf". *** Am 1. September steigt Radio Bremen aus dem Sendeverbund mit dem NDR aus und startet ein eigenes Günter Lamprecht Regionalprogramm. ***

FILM

Die wichtigsten „Oscars" gehen am 14. April in Los Angeles an Dustin Hoffman (für "Kramer gegen Kramer"), Sally Field ("Norma Rae"), Robert Benton (Regie "Kramer gegen Kramer", der auch die Auszeichnung als bester Film gewinnt). Als erster deutscher Beitrag siegt in der Kategorie „Bester ausländischer Film" Volker Schlöndorffs "Die Blechtrommel" Sally Field nach dem Roman von Günter Grass. Mit dabei: Mario Adorf, Angela Winkler und David Bennent (14) als trommelnder "Oskar Matzerath". *** Zu den toten Filmschaffenden 1980 gehören unter anderem die Regisseure Alfred Hitchcock (*1899), Helmut David Bennent Käutner (*1908) und Raoul Walsh 1/2011

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(*1887) sowie die Darsteller Peter Sellers (*1925), Steve McQueen (*1930), Mae West (*1892), Olga Tschechowa (*1897) und Lil Dagover (*1887). *** Bemerkenswerte Filme des Jahres – gut besucht und/oder gut rezensiert – sind "Die letzte Metro", "Jäger des verlorenen Schatzes", "La Boum – Die Fete", "Ragtime", "Mephisto", "Wenn der Postmann zweimal klingelt", "Flash Gordon", "Star Trek", "The Jazz Singer", "Die Götter müssen verrückt sein". *** Zum größten Hollywood-Flop der Geschichte gerät das 249-Minuten-Epos "Heaven's Gate" (Regie: Michael Cimino, Hauptrollen: Kris Kristofferson, Isabelle Huppert), das – mehrfach umgearbeitet – nur knapp zehn Prozent der Produktionskosten von knapp 45 Millionen Dollar einspielt. *** Zum MusikKultstreifen entwikkelt sich John Landis' "Blues Brothers" mit John Belushi und Dan Aykroyd, auch der Soundtrack und die Mode der "Brüder" werden ein Riesenerfolg. *** Deutsche Filme in Blues Brothers den Top 50 an der Kinokasse sind "Theo gegen den Rest der Welt" (Regie: Peter F. Bringmann), „Fabian" (Wolf Gremm), "Panische Zeiten" (Peter Fratzscher) und "Flitterwochen" (Klaus Lemke). *** Einer der besten DDR-Filme kommt in die Renate Krößner Lichtspielhäuser: "Solo Sunny" (Regie: Konrad Wolf) mit Renate Krößner als Schlagersängerin Ingrid Sommer. *** Die Film-„Ottos" der Zeitschrift "Bravo" erhalten Matt Dillon und Kirsty McNichol. ***

April wird in Hamburg Jasmin Wagner geboren. Sie veröffentlicht unter dem Künstlernamen Blümchen ab Oktober 1995 knapp zwei Dutzend Singles ("Herz an Herz", "Verrückte Police Jungs") und Alben (HERZFREQUENZ, VERLIEBT ...), die sich millionenfach verkaufen und in mehr als 30 Ländern in die Hitlisten einziehen. *** Weltweite Trauer am 8. Dezember: Vor dem Dakota Building in New York wird John Lennon (40) von dem geistig gestörten Mark David Chapman (damals 25) erschossen. Obwohl dessen 20-jährige Gefängnisstrafe längst verbüßt ist, sitzt der Attentäter noch heute ein. Die in den USA vor anstehenden Entlassungen übliche Bewährungsprüfung verlief bislang stets negativ. *** Weitere Musikgrößen verlassen in diesem Jahr für immer die Bühne: Bon Scott (AC/DC; *1946), der deutsche Komponist Bert Kaempfert ("Strangers In The Night"; *1923), der französische Chansonnier Joe Dassin (*1938), Politsänger und -Komponist Ernst Busch (*1900), der italienische Orchesterchef (Annunzio Paolo) Mantovani (*1900; Welthit "Charmaine"), die amerikanischen Bluesmusiker Amos Milburn (*1927) und Professor Longhair alias Roy Byrd (*1918), ihr Landsmann, der Jazzpianist Bill Evans (*1929), R&B-Sänger O.V. Wright aus Tennessee (*1939; "That's How Strong My Love Is"), Rock-Bassist Carl Radle (*1942), Joy-DivisionSänger Ian Curtis (*1956, Selbstmord) und Marc Bolans Partner bei Tyrannosaurus Rex, Steve Peregrine-Took (*1949). *** Die Musik„Ottos" der Zeitschrift "Bravo" gehen an Leif Garrett, Olivia Newton-John und The Teens. *** Am 4. Dezember teilen Led Zeppelin per Presseerklärung mit, dass sie sich außerstande sehen, nach Drummer John Bonhams Tod (25. September) die Arbeit als Band fortzusetzen. ***

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MUSIK

Beim Grand Prix Eurovision (heute ESC) scheitert Katja Ebstein nur knapp: Am 19. April in Den Haag landet sie mit "Theater" auf Platz 2 hinter dem Sieger Johnny Logan ("What's Another Year", für Irland) *** In England berappelt sich eine Stilrichtung, die schon fast erledigt schien: The New Wave Of British Heavy Metal sorgt für kräftige Töne. Zu den beteiligten Bands gehören unter anderem Def Leppard, Iron Maiden, Praying Mantis, Saxon, Angel Witch, Girlschool, Samson, Tank, Mama's Boys und Tygers Of Pan Tang. *** Deren „Vorfahren" AC/DC lassen mit BACK IN BLACK ihr meistverkauftes Album von der Leine. *** Die englischen Hits des Jahres nach Chartnotierungen sind "Don't Stand So Close To Me" von Police (vier Wochen auf Rang 1), The Jam mit "Going Underground" und "Crying" von Don McLean (je drei Wochen). Deutschland: "Funky Town" von Lipps Inc. (zehn Wochen), die Goombay Dance Band ("Sun Of Jamaica", neun) und "Santa Maria" von Oliver Onions (sechs). USA: "Lady" von Kenny Rogers und Blondies "Call Me" (je sechs Wochen) sowie "(Just Like) Starting Over" von John Lennon (fünf). *** Am 20. Seite

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VERMISCHTES AUS ALLER WELT

Am 21. Januar wird die 8851 Kilometer lange (inklusive natürlicher Barrieren) Chinesische Mauer unter Denkmalschutz gestellt. *** Die Dachkonstruktion der Kongresshalle in Berlin (im Volksmund " Schwangere Auster" genannt) stürzt am 21. Mai zusammen. Ein Redakteur des SFB kommt dabei ums Leben. *** Seinen weltweiten Durchbruch feiert der Zauberwürfel, den der ungarische Bauingenieur und Chinesische Mauer Architekt Ernö Rubik bereits 1975 zum Patent angemeldet hatte. Das mechanische Geduldsspiel wurde nach Schätzungen bis heute über 350 Millionen Mal verkauft. *** Naturkatastrophen in aller Welt fordern tausende Opfer: Hurrikan Allen tobt vom 1.–14. August in der Karibik; am 23. November erschüttert ein Erdbeben (Stärke 7,2 auf der Richterskala) Süditalien,

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rund 3500 Tote; noch schlimmer hatte es am 10. Oktober die algerische Stadt El-Asnam getroffen, die durch ein 7,7-Beben fast völlig zerstört wird – mehr als 20.000 Tote; im US-Bundestaat Washington bricht am 18. Mai der Vulkan Mount St. Helens aus. *** Philips und Sony legen die "Red Book Standards" für die Herstellung von Compact Discs aus Po l yc a r b o n a t fest. 1981 wird die CD auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin vorgestellt, am 17. August 1982 geht der neuartige Tonträger in Hannover-Langenhagen in Serienfertigung. *** In Vulkan Mount St. Helens Göttingen, Hamburg und Heidelberg wird am 14. Februar Rolf Hochhuths Theaterstück "Juristen" uraufgeführt. Das Thema – die Rolle der Gerichtsbarkeit im NS-Staat und die weitere Karriere vieler Beteiligter in den Jahrzehnten danach – sorgt für Aufruhr. *** Ein Segen für Kranke: Im Klinikum München-Großhadern wird erstmals erfolgreich ein Nierensteinzertrümmerer der Firma Dornier eingesetzt. *** 68 Tage Hoffen und Bangen: Dann, am 1. Oktober, werden Susanne (15) und Sabine (13; Töchter des TV-Journalisten Dieter Kronzucker) freigelassen. Sie waren in der Toskana entführt worden. Gezahlte Lösegeldsumme: 4,3 Millionen Mark. 1985 werden mehrere sardische Separatisten in Florenz als Tatverdächtige verurteilt. *** Premiere für einen Tierpark in Deutschland: Neue, Besuchermassen anlockende Bewohner des Berliner Zoos sind die Pandabären Tjen Tjen und Bao Bao. *** Schluss mit Endlostelefonaten in Ortsnetzen für nur 23 Pfennig: Am 3. Januar führt die Deutsche Bundespost den Achtminutentakt ein – nach 480 Sekunden muss neu gelöhnt werden. *** Die Gesellschaft für deutsche Sprache gibt das "Wort des Jahres" bekannt: Rasterfahndung. „Vogel des Jahres" ist das Birkhuhn. *** Verstorbene Prominente sind 1980 der österreichische Maler Oskar Kokoschka (*1886), US-Schriftsteller Henry Miller (*1891), Schah Reza Pahlavi (*1919) aus Persien/Iran, der französische Philosoph Jean-Paul Sartre (*1905), der deutsche Psychoanalytiker Erich Fromm (*1900). *** Gebirge I: Nach zehnjähriger Bauzeit wird am 5. September der GotthardStraßentunnel in der Schweiz für den Autoverkehr geöffnet. Länge: 16,9 Kilometer (drittlängster Straßentunnel der Welt). Er verbindet die Kantone Uri und Tessin. *** Gebirge II: Am 20. August Henry Miller besteigt Reinhold Messner (damals 35) aus Südtirol im Alleingang und ohne Sauerstoffgerät über die Nordroute den 8848 Meter hohen Mount Everest in Nepal. *** Der Friedensnobelpreis geht am 10. Dezember an den argentinischen Reinhold Messner Architekten und Menschenrechtler Adolfo Esquivel. *** Der italienische Schriftsteller und Medienwissenschaftler Umberto Eco (*1932) veröffentlicht seinen Roman-Welterfolg "Der Name der Rose". *** Bernd Matheja

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INGRID STEEGER

Von Michael Fuchs-Gamböck

Mehr als 'Klimbim'

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ch erkenne sie sofort. Gut, das mag nicht schwer sein unter den gegebenen Umständen, denn meine Gesprächspartnerin der nächsten zwei Stunden ist an diesem herrlichen Sommertag der einzige Gast in den Innenräumen eines rustikalen Wirtshauses im Münchner Stadtteil Sendling. Alle anderen Gäste tummeln sich lautstark im großzügigen Biergarten des Lokals. Aber ich hätte mein Gegenüber auch sofort erkannt, wenn die Pinte bis zum letzten Platz gefüllt gewesen wäre. Ingrid Steeger, der ich jetzt die Hand schüttle, mag am 1. April ihren 63. Geburtstag gefeiert haben. Doch das Alter hat ihr zumindest äußerlich kaum etwas anhaben können. Tatsächlich sieht sie beinahe aus wie einst in den 1970ern, der Glanzzeit ihrer Karriere. Ingrid Steeger war in jener Ära die erotischste Ulknudel der TV-Nation. Sie besitzt wie damals die

grazile Figur einer zerbrechlichen Puppe. Dieselben langen Haare in einem irgendwie strahlenden Blond. Vor allem aber ist da noch immer dieser zutiefst unschuldig wirkende Blick, dem man sich schwerlich entziehen kann, und der für Naivität wie pure Reinheit gleichermaßen steht. Die gebürtige Berlinerin, die seit Ende der 1990er in München zu Hause ist und trotz aller unterschiedlichen Wohnorte nie ihren heimatlichen Dialekt abgelegt hat, hat in Dutzenden Softpornos mitgewirkt – ihre erotische Ausstrahlung ist von einer Zart- und Offenheit, die bei Männern eher die beschützenden als die niederen Instinkte weckt. „Ingrid „Ingrid Steeger war und ist innen wie außen ein schöner Mensch”, sagt Abi Ofarim, der eines der ersten deutschen Sexsymbole seit rund vier Jahrzehnten kennt und ein enger Freund ist. Über ihren Stellenwert als prominenter Nackedei, der Seite

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ihr bis heute anhaftet, meint die als Ingrid Anita Stengert Geborene: „In den 1970er Jahren war ich jemand, der stellvertretend für den Begriff ‚frivole Show' stand. Dabei war ich privat eine ziemlich schüchterne Person. Ich sah mich überhaupt nicht als Sexbombe. Meine öffentlichen Auftritte – etwa die


bei 'Klimbim' – habe ich als eine Art unwirkliche Zauberwelt betrachtet. An manchen Tagen habe ich mich von außen gesehen und wusste nicht recht, ob ich das war, der sich selbst beobachtet. Trotzdem habe ich mein Image durchgehalten. Schließlich wollte ich in der öffentlichen Wahrnehmung wiedererkannt werden. So stolz war ich dann letztlich doch.”

„die die Steeger” für die Comedy-Serie "Klimbim” – mit dabei: die Klamauk-Größen Elisabeth Volkmann, Horst Jüssen, Wichart von Roell und Peer Augustinski. Bis 1979 wurden fünf Staffeln à sechs Folgen mit Riesenerfolg zur Hauptsendezeit um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Die Rolle der Horror-Tochter Gabi wurde zunächst zum Segen, später zum Fluch für Ingrid Steeger. Fluch, weil man sie bis heute damit identifiziert. "Klimbim” mag extrem witzig gewesen sein, der Humor der Sendung bewegte sich in einer für die damalige Zeit außergewöhnlichen Mischung aus Klamauk, Absurdität und Frivolität. Die Provokation durch starke Sexualisierung in einer eher prüden Medienlandschaft gehörte von Beginn an zum Grundkonzept. Das Problem für Ingrid Steeger war nur, dass sie aus dem "Klimbim”-Kosmos nie mehr recht herauskam. Bis heute singen Menschen ihr die

Schade, denn die Schauspielerin ist längst ins ernste Fach gewechselt. Spätestens seit ihrer Rolle der „Mona” im TV-Vierteiler "Der große Bellheim” (1992) von StarRegisseur Dieter Wedel ist sie in der Film-Szene als „Seriöse” akzeptiert. Das gilt bis heute. Für das Gros der Deutschen ist sie freilich weiterhin das naive Sex-Häschen oder eben die überkandidelte Gabi Klimbim. An ihrer öffentlichen Wahrnehmung war Ingrid Steeger wegen ihres turbulenten Privatlebens (das nie wirklich privat gehalten wurde) nicht unschuldig: 1973 heiratete sie den Kameramann Lothar Elias Stickelbrucks, von dem sie sich zwei Jahre später scheiden ließ. 1974 war "Klimbim”-Regisseur Michael Pfleghar ihr Lebensgefährte. Den wiederum verließ sie 1977 für den Großwildjäger Peter Koenecke, mit dem sie nach Kenia auswanderte. Von 1983 bis 1987 lebte Steeger mit dem Schauspieler Jean-Paul Zehnacker zusammen, die vier Jahre im Anschluss war ihr Lebensgefährte Regisseur Dieter Wedel. Nach der Trennung von ihm heiratete sie den US-amerikanischen Umweltschützer und Indianer Tom LaBlanc, der sich im Nachhinein als dubiose Figur entpuppte. Scheidung 1995. Danach lebte sie ein Jahr lang mit dem Schauspieler Bernd Seebacher in Zürich zusammen. Seit 1997 dringt nichts mehr nach draußen. Ingrid Steeger zog nach Hamburg, schließlich nach München, wo sie bis heute zurückgezogen in einem kleinen Apartment wohnt. Genauer gesagt: in München-Sendling. In diesem Viertel treffe ich das Sexsymbol von einst, an diesem herrlichen Sommertag, in

Foto: © Zill/Bildarchiv Hallhuber

Die Berliner Kaufmannstochter besuchte zunächst die Handelsschule, arbeitete danach als Sekretärin in einem Architekturbüro. Der legendäre, 2005 verstorbene BoulevardFotograf Frank „Frankie” Frankie” Quade machte aus Fräulein Stengert das Fotomodell Ingrid Steeger. Seinem Einsatz war es auch zu verdanken, dass sich die hübsche Blonde nicht nur einen Künstlernamen zulegte, sondern auch zur „Miss Filmfestival” gekürt wurde. Gleich darauf wurde die so naive wie attraktive junge Frau für die damals boomenden Aufklärungsund Sexfilme der „Report”-Reihe entdeckt. Diese schnell abgedrehten Softpornos mit pseudo-pädagogischem Anspruch

1970 ebenfalls in einem Softsex-Schinken, "Die liebestollen Baronessen”. Nur drei Jahre später fragte die ARD an und verpflichtete

trugen so eindeutige wie einfache Titel à la “KrankenschwesternReport”, “Hausfrauen-Report” oder “Schulmädchen-Report”. Ihre erste Hauptrolle ergatterte Ingrid Steeger

legendären Zeilen aus dem Eingangslied der Sendung – “Klimbim ist unser Leben” – vor, wenn sie Ingrid Steeger in der Öffentlichkeit erkennen: “Dann mach’ ich mir ‘nen Schlitz ins Kleid und find’ es wunderbar.” GoodTimes

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dieser rustikalen Wirtschaft. Anlass für unsere Begegnung ist die Wiederveröffentlichung der einzigen Schallplatte, die Ingrid Steeger je aufgenommen hat und die jetzt – 35 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung – auf dem


norddeutschen Sireena-Label erstmalig auf CD in die Läden kommt: INGRID STEEGER SINGT KLIMBIM.

aufnehmen soll. Ich habe mich letztlich darauf eingelassen und gesungen, obwohl ich mich schon damals nicht als Sängerin empfand. Alleine schon wegen meiner komplett falschen Atemtechnik konnte ich keine sein."

An den Reglern saß damals der spätere Hollywood-Komponist Harold Faltermeyer, hier noch als junger Tontechniker. Produzent war Abi Ofarim, der auch für einen Großteil der Songs verantwortlich war. Ingrid Steeger erinnert sich kaum noch an diese so weit zurückliegende Produktion, gespickt mit mal frivolen, mal einfach nur doofen Chansons in deutscher Sprache. Es ist, als würde sie aus einem ihr fremden, weit zurückliegenden Leben Bericht erstatten. Und so ist es wohl auch.

Trotzdem: „Einerseits bin ich stolz auf das Album. Andererseits ist es mir irgendwie peinlich, weil ich vorgab, etwas zu sein, das ich nicht war. Im Normalfall stelle ich sehr hohe Ansprüche an meine Arbeit. Ich erinnere mich an Abi, der souverän und gleichzeitig entspannt auf der Gitarre geklampft hat, immer und immer wieder. So lange, bis ich die Lieder der Scheibe drauf hatte. Abi hat sich wirklich bemüht, damit wir eine spezielle Sache hinbekamen. Die ganze Chose hat etwa vier bis fünf Wochen gedauert. Dieses Hauchen und das Singen in hoher Stimmlage waren reichlich anstrengend für mich. Aber beides war nun mal mein Markenzeichen. Diese hohe Stimme, die mit meiner realen Stimme nicht viel zu tun hat, brachte ich mir selbst bei. Der Fernsehsender wollte damals aus mir die deutsche Version von Marilyn Monroe machen. Dagegen hatte ich selbstverständlich nichts einzuwenden …”

„Jedes Mal, wenn ich Abi treffe, singt er mir die ollen Kamellen, die wir damals aufgenommen haben, laut ins Ohr – obwohl die Kooperation ja schon 35 Jahre her ist. Abi hat die Platte damals produziert. Zuvor hat er die Sachen mit mir einstudiert. Ich war nie eine Sängerin. Ich sehe mich auch heute nicht als eine", erzählt sie. Und: „Diese ganze Geschichte mit dem Album lief ab 1974 über die Macher von 'Klimbim'. Das war ja damals eine der erfolgreichsten TV-Sendungen. In jener Zeit bin ich mir als unmündig vorgekommen, das Fernsehen hat über meinen Kopf hinweg bestimmt, dass ich diese Platte

Wir bestellen die zweite Weißwein-Schorle und etwas zu essen. Und weil über die anachronistische Schallplatte alles gesagt ist, kommen wir auch auf die Tragödie eines Lebens, auf dem das Etikett „Ingrid Steeger” pappt. Es gibt jede Menge Geschichten über diese ungewöhnliche Frau, die meisten davon sind traurig. Wobei Ingrid Steeger die Fragen darüber mit einer Offenheit und Problemlosigkeit beantwortet, als seien die behandelten Themen nicht weiter von Bedeutung. Dutzende Male in ihrem Leben wurde sie vergewaltigt, erklärt sie – in neutralem, nüchternem Tonfall. Bei diesen erniedrigenden Übergriffen habe sie möglichst immer an die Decke gestarrt und „an nichts gedacht. Das ist das Beste, was man in einer solchen Situation tun kann.”

Fotos: © Zill/Bildarchiv Hallhuber

Sie erzählt weiter, monoton, dass fast alle ihre Männer sie betrogen haben. Dass sie gern Mutter geworden wäre, aber es nicht hatte sein sollen. Dass sie aus einem lieblosen Elternhaus stammt, der Vater hat sie regelmäßig verprügelt. Man hört zu und versucht im nächsten Moment zu verdrängen, was man gerade gehört hat.

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Ingrid Steeger, die Ulknudel der Nation. Hätte man 1968 Ingrid Anita Stengert gefragt, ob sie gerne Ingrid Steeger werden möchte – sie hätte wohl mit „nein” geantwortet. Aber wäre ein Leben als anonyme Ingrid Anita Stengert die Alternative gewesen? Auch darauf wäre ein „Nein” erfolgt. Stellt sich nur die Frage, wer Frau Stengert-Steeger tatsächlich ist. Die Antwort weiß vermutlich nicht mal sie selbst. Weil sie das vermutlich gar nicht wissen will.


LORIOT " Hildegard, warum sagen Sie denn nichts ...?! " Wer heute die Flimmerkiste einschaltet, kann ganze Kanäle voller so genannter Comedy finden. Aber bedeuten solche "komischen" Vollzeit-Programme tatsächlich, dass das Fernsehen insgesamt lustiger geworden ist? In den Sechzigern und Siebzigern brachte auf eine bis heute einzigartige Art und Weise ein Mann preußischen Geschlechts Höhepunkte auf die Mattscheibe. Dafür benötigte er vor allem lediglich sechs Folgen einer TV-Serie im Ersten Deutschen Fernsehen: Loriot. Und bis heute gilt: Ein ebenbürtiger Nachfolger ist nicht in Sicht.

Knollennasen, die Krone der Schöpfung Die entscheidenden künstlerischen Schritte unternahm Loriot, geboren am 12. November 1923 in Brandenburg (Havel) unter dem bürgerlichen Namen Bernhard Victor („Vicco") Christoph Carl von Bülow, nach dem Zweiten Weltkrieg. Für diesen fand er wie so oft markante Worte: Er habe „eine Nebenrolle in einem erfolglosen Stück von 1941 bis 1945" gespielt, dessen „Regisseur" er nicht nennen wolle. 1947 tauschte von Bülow für ein Studium an der Landeskunstschule in Hamburg die Axt eines Holzfällerjobs gegen einen Stift ein. Die damit entstandenen

Produkte erhielten später in der Presse vielfach das Prädikat „mit spitzer Feder gezeichnet". Zwei Jahre später signierte er eine seiner Skizzen erstmals mit dem Künstlernamen „Loriot" (französisch für den Vogel Pirol, das Wappentier der Familie von Bülow) und verdiente Geld mit heiteren Zeichnungen für verschiedene Hamburger Illustrierte. Stilprägend dabei war ein kleines Strichmännchen mit Knollennase, das laut Aussage seines Schöpfers „stellvertretend für alle" und „möglichst farbig" sein sollte. GoodTimes

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Die geforderte Farbigkeit – noch im SchwarzweißZeitalter – erreichte der Karikaturist (so Loriots persönliche Berufsbezeichnung) durch die Bekleidung seiner Figur mit einem weißen Hemd, einem schwarzen Jackett und einer gestreiften Hose. Meist wurde sie in alltäglichen Situationen präsentiert, die das Absurde menschlicher Kommunikation und gesellschaftlicher Konventionen offenlegten. Während diese stets korrekt gekleideten Männchen heute mit Sicherheit als Kult bezeichnet werden können, stießen sie in den fünfziger und sechziger Jahren nicht nur auf Wohlwollen. Besonders ernste Vorwürfe der Geschmacklosigkeit erntete Loriot von Lesern mit seiner Bildersammlung "Auf den Hund gekommen" im "Stern", in der er die Rollen von Männchen und Vierbeiner tauschte: Aufrecht gehende Hunde hielten sich vierbeinige Menschen und diskutierten unter-


einander das Verhalten ihrer „Tiere". Da zu dieser Zeit die Sonderstellung des Menschen als vermeintliche „Krone der Schöpfung" offenbar noch nicht scherzhaft infrage gestellt werden durfte, sah sich "Stern"-Chefredakteuer Henri Nannen gezwungen, die Reihe nach sieben Folgen einzustellen. Loriots Serie "Reinhold das Nashorn" für die Kinderbeilage des Magazins hielt sich dort hingegen fast 20 Jahre. "Auf den Hund gekommen" fand 1954 ein neues Zuhause in der Schweiz – so lautete der Titel des ersten Buches von Loriot, dessen Werke bis heute vom Diogenes Verlag verlegt werden.

Ede, Lembke und Franz-Josef In den sechziger Jahren wagte Loriot den Sprung ins Fernsehen, das Medium, aus dem er trotz vielfältiger Betätigungsfelder am bekanntesten ist. Im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart moderierte er von Februar 1967 bis Dezember 1972 die Sendereihe "Cartoon", in der diverse Trickfilme präsentiert wurden. Zu ihnen gesellte sich pro Folge ein kurzer Streifen aus der spitzen Feder des Künstlers. Das Männchen mit Knollennase lernte sich also zu bewegen, wenn auch in einem wesentlich gemächlicheren Tempo als im Zeichentrick üblich. Kein Zufall also, dass Herr von Bülow für seine Moderationen bevorzugt auf einem gemütlichen roten Sofa Platz nahm. Als nach 13 Folgen die Sendeleitung wechselte, wurde Loriot überredet, auch mit realen Schauspielern gedrehte Filme zu zeigen. Bevorzugtes „Opfer" darin wurde das Medium Fernsehen selbst: So parodierte Vicco von Bülow Fernsehmoderatoren wie Robert Lembke ("Was bin ich?"), Eduard Zimmermann ("Aktenzeichen XY ... ungelöst") sowie Peter Merseburger ("Panorama") und ließ Parlamentsreden von Politikern wie FranzJosef Strauß dialektsicher, aber mit komplett sinnfreiem Gefasel synchronisieren. Auch das Werbefernsehen wurde bissig thematisiert. Ein anderer Höhepunkt: der Meister als Ludwig II. von Bayern, der während einer pathetisch inszenierten Liebesszene, inklusive Seefahrt in einem Schiff in Form eines Schwans, in seinem königlichen Schlafgemach mit einer Horde Touristen bei einer Schlossführung konfrontiert wird. Das alles geschah ewig lange, bevor vor allem das Privatfernsehen „Shows" ins Leben rief, die nach diesem Konzept funktionierten (oder dies zumindest anstrebten).

Das Sofa erhält einen neuen Bezug Während seines ersten Ausflugs ins Fernsehen kam Loriot 1971 erneut auf den Hund, indem er dem Quizmaster Wim Thoelke für seine Sendung "Drei mal neun", aus der spä-

ter "Der Große Preis" hervorging, einen ZeichentrickVierbeiner zur Seite stellte. Dessen Name Wum wurde im Alltag ("Herrenmoden") sind seitin Anspielung dem Kult. Als exzellente weibliche auf Thoelkes Hauptdarstellerin war Schauspielerin Vornamen Evelyn Hamann (†2007) neu zum Team von den TV-Zuschauern ( gestoßen, durfte neben dem Meister auf gewählt. 1975 kam der Elefant dem nun grünen Sofa Platz nehmen. Bereits Wendelin hinzu. Beide Figuren wurzu ihren Lebzeiten würdigte Loriot sie als den von Loriot auch gesprochen (später über(s)einen „Glücksfall". Ein Beispiel dafür nahm der Parodist Jörg Knör diese Aufgabe). ist ihre Paraderolle als Fernsehansagerin, Regelmäßig nach der zweiten Spielrunde die den Inhalt einer englischen TV-Serie der Show zu Gunsten des gemeinnützigen zusammenfassen soll und sich mit unverVereins „Aktion Sorgenkind" mit gleichnagleichlicher Miene an den zahlreichen „th“ miger Spendenlotterie ergriffen Thoelke und in Orts- und Eigennamen die Zunge verseine zwei – natürlich auf einem Sofa sitrenkt. Perfekte Mimik und winzige, wichzenden tierischen Freunde – die Gelegenheit zu einem kurzen Plausch. Nicht selten wurde dabei musiziert, zumal Wum 1972 auf dem Banjo mit "Ich wünsch’ mir 'ne kleine Miezekatze" (Text: Loriot) einen mehrwöchigen Nummer1-Hit in Deutschland hinlegte. Am Ende der Unterhaltung erinnerten Hund und Elefant stets charmant an den Stichtag der Fernsehlotterie, indem sie in die Kamera knutschten und Ohr bzw. Wenn ein Mann eine Frau umwirbt – der berühmte Nudelsketch Rüssel zu einer Gedächtnisstütze tige Gesten der Akteure waren ein weiteres verknoteten. Die Einstellung der Sendung Markenzeichen der „Loriot"-Reihe, von der "Der Große Preis" 1993 bedeutete auch bis 1978 im halbjährlichen Rhythmus sechs Folgen gezeigt wurden (die bis heute unablässig wiederholt werden). Dabei durften Trickfilme mit altbekannten Knollennasen-Männchen ("Herren im Bad") und Parodien (von Bülow als Professer Grzimek) nicht fehlen. Die von Loriot kreierte Steinlaus schaffte gar den Sprung in Fachwörterbücher! Viele Aussprüche in den Sketchen sind zu geflügelten Worten Nicht vergessen - Stichtag Sonnabend in acht Tagen! geworden, zum Beispiel das allzeit verwendbare „Ach was!?". Mittlerweile gehört für Wum und Wendelin den allmählichen der Sketch "Weihnachten bei den Rückzug von der Mattscheibe. Hoppenstedts" zum Christfest Bei Radio Bremen fand wie das legendäre "Dinner for Loriot 1976 eine neue One" zu Silvester. Auch kleiFernsehheimat. Vermutlich ne, feine Polit-Seitenhiebe nur in der eher heimekamen vor – man denke an ligen Atmosphäre des das Geschenk in Form eines kleinen Senders mit optiAtomkraftwerk-Bausets, bei malen Arbeitsbedingungen dem es im Falle eines Fehlers konnten seine bis heute „puff" macht und „die Häuser und bekanntesten Sketche überhaupt Kühe umfallen". Und wenn Opa Hoppenstedt erst in Perfektion entstehen. Mangelnde bei der Betrachtung des Weihnachtsbaums Kommunikation, die Bemerkung „Früher war mehr Lametta!" insbesondere in den Raum wirft, dann hat das – nicht zwischen den nur unterschwellig – auch mit dem Thema Geschlechtern Umweltschutz zu tun. Die Zeitlosigkeit ("Das Ei", der Themen ist ein weiterer Grund für "Kosakenzipfel", den nachhaltigen Erfolg der Serie. Ebenso "Die Nudel" wird in den Sketchen stets die menschliche mit Hildegard) Würde gewahrt – etwas, womit aktuelsowie peinliche le „Comedians" dann und wann so ihre Situationen und Evelyn Hamann Probleme haben. Verhaltensweisen Seite

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indem er sich nun als Vorruheständler dem Familienleben widmete. Preußischpedantisch wie zuvor bei seiner Arbeit will sich Heinrich Lohse bei der Organisation des Haushalts nützlich machen. Er kauft –

deutet? Auch Loriots Opernführer und seine Inszenierungen sollen in dem Set enthalten sein. Damit steht das Gesamtwerk des genialen Allrounders bis in alle Ewigkeit zur Erheiterung zur Verfügung. Thorsten Pöttger

"Ihr Ton gefällt mir auch nicht!" (Beethoven-Trio)

„Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein!“ Mitte der Achtziger erfüllte sich Loriot einen Wunsch: Er führte Regie bei einem Film. Die Rolle des männlichen Hauptdarstellers übernahm er zusätzlich. Im Debüt "Ödipussi" spielte er einen MöbelladenGeschäftsführer, der – bereits Mitte 50

Rabatt! – Senf gleich palettenweise, abonniert bei fliegenden Händlern ein ganzes Wurzelbürsten-Sortiment und so weiter. Krach mit Gattin Renate (Evelyn Hamann) ist da programmiert, er kann erst am Ende des Films bei einer Familienfeier geschlichtet werden. Die Spielfilme und das TV-Werk Loriots sind auf DVD erhältlich. Für Ende dieses Jahres ist die Veröffentlichung einer weiteren Box geplant, die sich mit einer anderen Leidenschaft des Vicco von Bülow beschäftigen wird: der Musik. Wer hat da nicht die Bilder vor Augen, wie ein vermeintlicher Klavierschlepper (Loriot) unmittelbar vor einem geplanten Auftritt der Berliner Philharmoniker auf der Jagd nach einer Biene das Dirigentenpodest betritt und das Orchester seine zuckenden Bewegungen als musikalische Anweisungen

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– noch bei seiner Mutter wohnt. Sie behandelt ihn nach wie vor wie ein Kind, nennt ihn „Pussi" und reagiert gallig-beleidigt, als er eine Psychologin (Evelyn Hamann) kennen lernt, die selbst Probleme mit ihren Eltern hat. Die mit einigen Klamauk-Situationen aufgepeppte feine Liebesgeschichte erreichte zwar nicht das hohe Niveau der besten Loriot-Sketche, wurde 1988 aber immerhin erfolgreichster deutscher Film. Drei Jahre später setzte der Regisseur/Schauspieler Loriot mit "Pappa ante portas" noch einen drauf,

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Es begann als Experiment und endete ... noch immer nicht. Seit nunmehr vier Jahrzehnten läuft die Krimireihe, die als ARD-Konter zum Erfolgs-"Kommissar" des ZDF gedacht war. Alle Sender sollten – nach und nach – Fälle und Figuren beisteuern, dabei für landesweite Vernetzung durch integriertes Lokalkolorit sorgen. Norddeutsches "Platt snacken" war angemessen erlaubt, von "frichen Fichen" durften Rheinländer sprechen, "der Radio" kam aus dem Schwäbischen, und "Hoast mi?" fragten die Bayern. Zum Beispiel. Was dann und wann allerdings für landsmannschaftliche Probleme und Proteste im Rest der Republik sorgte. Nur einer, den verstanden alle: Der sagte – was für ein ungeheuerlicher TV-Skandal! – plötzlich dauernd "Scheiße!"

Seit 1970 im Vorspann: Horst Lettenmayers Augen

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orst Schimanski hieß der Kommissar, der so schnodderte, 29 Mal ab 1980 unkopierbar von Götz George vom WDR in Duisburg in Szene gesetzt: leicht prollig-verlottert, rohe Eier aus dem Glas vertilgend, in vielen Betten tätig, saufend, Grünes im Kühlschrank (aber kein Gemüse), mit Windjacke, die zum realen Mode-Utensil wurde. Wenn er ermittelte, gab es gute Sprüche (Heiligabendbereitschaft: „Unglaublich: Die Kollegen von der Drogenfahndung singen 'Leise rieselt der Schnee!'"), durfte der angemotzte HollandAssi Hänschen mit den Hacken knallen und „Jawohl, mein Führer!" schnarren, und Schimi selbst präsentierte 1990 in der Folge "Unter Brüdern" sein wunderbares, handgeschriebenes Erkennungsschild "Krippo Duisburg". Bis heute, 19 Kult – Götz George (l.) Jahre (!) nach seinem letzten und Eberhard Feik (Schimanski/ Einsatz, rangiert der bodenständiThanner) ge Schmuddel in der Beliebtheitsskala bei jeder Umfrage an der Spitze.

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ber nicht nur die peinlichen „Scheiße"-Zähler bei einschlägigen Boulevardzeitungen sorgten für Aufsehen rund um die "Tatorte". Als erster Polit-Pöbler tat sich schon 1975 der damalige CSU-Vorsitzende und spätere bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß hervor. Er beschwerte sich beim SFB-Intendanten per Telegramm über die Berliner Episode "Tod im U-Bahnschacht" als „Banditenfilm aus Montevideo mit Bordelleinlage" ... Immer wieder fühlen sich auch Seite

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Berufs-, Volks-, Glaubens- oder andere Gruppen verunglimpft, beleidigt oder unrealistisch dargestellt – häufig in Verkennung, dass es sich bei den Filmen um Fiktion und nicht um Dokumentarisches handelt.

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ür ein eher unrühmliches, wenngleich wirtschaftlich gut gemeintes Ärgernis sorgte der damals noch existierende SFB über 20 Jahre später selbst. Um Kosten zu sparen (die Rede war von ca. 50.000 Mark pro Folge), wurden Fälle des Teams Winfried Glatzeder/Robinson Reichel (zwölf Einsätze als Roiter/Zorrowski) statt wie gewohnt mit Filmkameras mit einer Webcam gedreht. Das Ergebnis hatte für viele Zuschauer das Flair eher schlichter Heimvideos. In der allgemeinen "Tatort"-Wiederholungsflut hat bisher lediglich der MDR den Zuschauern einige dieser clipähnlichen Arbeiten nochmals zugemutet.

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er Publikumsresonanz auf den "Tatort" hat all das aber letztlich nie folgenschwer geschadet. Einschaltquoten von über 23 Millionen Zuschauern wie in den siebziger Jahren sind zwar heute nicht mehr möglich, weil sich die Zahl der TV-Sender und -Angebote inzwischen vervielfacht hat; doch so gesehen, sind aktuelle Werte über zehn Millionen sogar exzellent. Fest steht, bei aller Kritik: Als am 29.11.1970 Walter Richter als bärbeißigmuffiger, dampfende Stumpen qualmender Kommissar Paul Trimmel ins "Taxi nach Leipzig" stieg (gleich ein Unding: Bulle fährt verbotenerweise „in die Zone"), begann eine FernsehErfolgsgeschichte Erster Kommissar: Paul Trimmel erster Güte. (Walter Richter, r., Paul-Albert Krumm) Inzwischen sind

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761 Folgen gelaufen, dazu mehrere tausend Wiederholungen – ein unglaubliches Pfund, mit dem die ARD wuchern kann und das auch zukünftig pausenlos das Programm stabilisieren wird.

TATORT-Streiflichter LEGENDEN. Nein, so ganz schlecht können die Herrschaften aus der Frühzeit wohl nicht gewesen sein. Denn es kommt nicht von ungefähr, dass – neben dem schon erwähnten „SchmuddelSchimi" – bei Abstimmungen und Favoritenwahlen auch weitere Altmeister immer wieder gelistet Klaus werden. Ob der verschmitzt-unterkühlte Schwarzkopf (Finke), Finke (Klaus Schwarzkopf; nur sieben Fälle, Nastassja Kinski darunter "Reifezeugnis"), sein brummeliger NDR-Vorgänger Trimmel (Walter Richter; elf Jobs) oder das Nord-Team Stoever/Brockmöller (erst Manfred Krug solo, danach mit Charles Brauer; 41 Fälle) – sie bleiben unvergessen. Was auch für den Frikadellenvertilger Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy, WDR, 20 Einsätze) gilt, für den bayerischen Dackelfreund Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer, 15 Folgen) und den Wiener Schmähmeister schlechthin – Fritz Eckhardt, der oft auch für Buch und/oder Regie sorgte, gab einen Oberinspektor Marek, an dem sich oft die Geister schieden: Mal – "Küss d'Haaaand, gnä' Frau!" – gerieten die Filme zu schlaffem Kaffeehausgesumse, dann wieder war's der spezielle Ösi-Humor, der hiesigen Sehgewohnheiten zu schaffen machte. Immerhin durfte Eckhardt für sich verbuchen, der älteste amtierende "Tatort"-„Kieberer" gewesen zu sein: Beim Abschiedseinsatz am 29.11.1987 ("Der letzte Mord") hatte der Linzer Schauspieler gerade seinen 80. Geburtstag gefeiert ... DAMENWAHL. Inzwischen selbstverständlich (es wird sogar von „Schwemme" gesprochen), war es 1978 noch eine Sensation, dass eine Frau am "Tatort" ermitteln durfte. Am 29. Januar trat Nicole Heesters als Marianne Buchmüller ihren Job beim SWF in Mainz an. Nach Katinka Hoffmann in der ARD-Produktion "Frühbesprechung" aus Düsseldorf (acht Folgen, 1973) war sie erst die zweite Frau, der in einer deutschen Krimiserie ein Kommissariat anvertraut wurde. Heesters' (drei Filme) unmittelbare Nachfolgerinnen kamen vom selben Sender: Karin Anselm als Hanne Wiegand (ab 1981; acht Fälle) und – seit 1989 bis heute im Dienst – Ulrike Folkerts als Lena Odenthal. Der NDR zog 1997 nach – mit einem Kunstgriff: Ermittlerin Die erste Lea Sommer, gespielt von Hannelore Elsner, hatte Kommissarin: Nicole Heesters eigentlich seit 1994 ihre eigene ARD-Abendserie "Die Kommissarin" – aus dieser wurden lediglich zwei Neunzigminüter in den "Tatort"-Reigen ausgegliedert. Im selben Jahr nahm Sabine Postel als Inga Lührsen die Arbeit in Bremen auf; sie ist, wie alle folgenden Kolleginnen, noch immer dabei (siehe Kasten „Aktuelle Teams"): Maria Furtwängler (NDR), Eva Mattes (SWR), Andrea Ulrike Folkerts ist Lena Odenthal Sawatzki (HR; ging im September) und Simone Thomalla (MDR): Sie löste 2008 – als bislang letzter Neuzugang – Peter Sodann (Bruno Ehrlicher) in Leipzig ab, der 1992 als erster beamteter Schnüffler in den damals neuen Bundesländern den Brötchengeber gewechselt hatte. GoodTimes

VERGESSENE. Sie kamen und gingen – mal als Versuchskaninchen oder als vorsätzliche Überbrücker, bis ein fester Nachfolger gefunden oder dienstfähig war. Häufig machten sie nur (sehr) kurz Ganoven unschädlich, sind aber genauso feste Bestandteile wie die Langgedienten – allerdings vielfach schon vergessen. Einige ausgewählte Namen: Heinz Schubert (Ekel Alfred aus "Ein Herz und eine Seele") war 1995 Kommissar Leo Felber in der Folge "Eine mörderische Rolle" (HR); Diether Krebs (Top-Komödiant aus "Sketchup") spielte den Hauptkommissar Nagel (1979, "Alles umsonst", NDR); Einmal als Ermittler Christoph Waltz, "Oscar"-Preisträger, gab dabei: Heinz Schubert 1987 einmalig den Inspektor Passini im ORF ("Wunschlos tot"). Populäre Schauspieler wie Hans Brenner (Scherrer, BR, 1987), Ernst Jacobi (Pflüger, SWF, 1972), Günther Maria Halmer (Riedmüller, BR, 1986), Jörg Hube (Enders, WDR, 1980), Hans-Peter Korff (Behnke, SFB, 1978/79) und Erik Schumann (Greve, War Inspektor am NDR, 1981) waren als Kripomänner Tatort: Christoph Waltz dabei. Nicht zu vergessen Serienstar Uwe Dallmeier: Er verkörperte 1982 den Kommissar Nikolaus Schnoor – in einer der wohl ungewöhnlichsten, umstrittensten "Tatort"-Folgen überhaupt, "Wat Recht is, mut Recht bliewen" (NDR). Im Fokus: vier urige, alte Seebären, die Tag für Tag auf einer Bank sitzen, Fischernetze reparieren, dabei dauerschweigend auf die Elbe schauen und damit des Ermittlers Nerven strapazieren. Viel gesprochen wurde nicht – und wenn Kultfolge "Wat Recht is, mutt Recht bliewen" doch, verstand der Rest der Republik vom vielen Plattdeutsch (fast) nur Bahnhof ...

ÖSTERREICH. Seit 1971 beteiligt sich der ORF mit festgelegten zwei Episoden pro Jahr an der "Tatort"-Reihe. Neben Fritz Eckhardt und Christoph Waltz waren Kurt Jaggberg (Oberinspektor Hirth, vormals Bezirksinspektor Wirtz), Bruno Dallansky (Pfeifer), Klaus Wildbolz (Becker) und Michael Janisch (Fichtl) aktiv. Doch längst nicht alle hergestellten und in Österreich gezeigten Folgen gingen in die gemeinsame Erstausstrahlung! Zwischen 1985 und 1989 produSicherheitsbüro Wien: zierte der Sender Fritz Eckhardt (l.) mit Kurt Jaggberg 13 Sonderfälle, von denen nur einige mit langer Verspätung auch in die Dritten Programme des HR und BR sowie von 3sat kamen, aber nie auch im Ersten zu sehen waren. Einmal ermittelte dabei sogar ein Journalist (Miguel Herz-Kestranek als Alex Lutinsky). Die juristische Lage rund um diese Episoden scheint diffus, Senderechte dafür – so hieß es – seien inzwischen abgelaufen.

SCHWEIZ. Von 1990 bis 2001 schloss sich das Schweizer Fernsehen der ARD/ORF-Gemeinschaftsproduktion an. In Person von Andrea Zogg (Detektivwachtmeister Carlucci) und László Imre Kish (Kommissar von Burg) kam das SF DRS, heute SF, mit nur zwei Polizisten aus. 1/2011

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Überaus bemerkenswert – weil bislang einmalig in der "Tatort"-Historie – bleibt die eidgenössische Einstandsfolge vom 16.4.1990, "Howalds Fall". Sie endete mit einem echten Paukenschlag: Der Hauptermittler, Wachtmeister Howald (Mathias Gnädinger), entpuppte sich als Vergewaltiger, der sich am Ende selbst erschießt. Dass dieser Drehbuch-Coup bis zum Tag der Ausstrahlung nicht an die Schweizer Kripomann: Öffentlichkeit durchsickerte, grenzt im László I. Kish Medienbereich an ein Wunder. Schon bald ist die Schweiz wieder am "Tatort" dabei (siehe AUSBLICK).

FREMDGÄNGER. Viele Krimireihen-Fans, also auch die des "Tatorts", pflegen und lieben Gewohntes. Die Ideen einiger Macher, nämlich dann und wann für Abwechslung zu sorgen, hatten es darum nicht immer leicht. Um aus dem üblichen Kommissar-Schema auszubrechen, wurden andere Ermittler erfunden. Den Auftakt dabei machte Sieghardt Rupp als leicht öliger, Jerry Cotton nicht unähnlicher und beim Publikum polarisierender Damenschwarm und Zollfahnder Kressin (WDR, sieben Folgen, 1971–1973). Aus einer ganz anderen Ecke kam Horst Bollmann. Als Oberstleutnant Delius vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) wühlte er 1982, 1983 und 1985 drei Folgen kurz im Spionagedickicht (Bollmann Zollfahnder Kressin: Sieghardt tauchte 1988/89 nochmals als Rupp, mit Kerstin de Ahna Hauptkommissar Brandeburg/ BR auf). Der Vorliebe von Top-Regisseur Jürgen Roland für die Schutzpolizei in Uniform verdankte Klaus Löwitsch zwei Einsätze als Polizeihauptmeister Rohlfs bzw. PHM Dietze 1982 und 1985 im Auftrag des HR in Frankfurt/ Main. Und seit 2008 ist Mehmet Kurtulus (Cenk Batu) für den NDR als verdeckter Ermittler im atypischen FremdgängerEinsatz. Ob er sich Uniformiert: Klaus Löwitsch (l.), in dieser Funktion Günter Ungeheuer langfristig innerhalb der eher konservativ ausgerichteten Reihe nachhaltig durchsetzt, bleibt nach bisher zwei Fällen abzuwarten. STARS & CO. Nicht nur auf Seiten der Ermittler hat der "Tatort" in 40 Jahren beste, spektakuläre und verblüffende Mitwirkende aufbieten können; in einer Folge (oder mehreren) gespielt zu haben, dürfte in keiner Schauspieler-Vita negativ zu Buche schlagen. Die Liste der Topstars ist naturgemäß endlos. Stellvertretend für viele, viele andere Spitzenkräfte seien genannt: Curd Jürgens, Bruno Ganz, Heinz Bennent, Rolf Hoppe, Armin Mueller-Stahl, Matthias Habich, Robert Vaughn, Jürgen Tarrach, Rolf und Ben Becker hier; dort Judy Winter, Maria Schell, Inge Meysel, Nastassja Kinski, Karin Baal, Gudrun Landgrebe, Katrin Saß, Corinna Harfouch, Agnes Fink und Iris Berben. Prominente Gastrollen sind ebenso beliebt, die Betreffenden kamen aus den Bereichen Sport (Berti Vogts, die Boxer Darius "Tiger" Michalczewski und Axel Schulz), Musik (Dieter Bohlen, Gitte Haenning, Nina Hagen, Vico Torriani, Xavier Naidoo, Bill Ramsey, Die Prinzen, Seite

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Chris Thompson, Konstantin Wecker). Ingolf Lück und Jörg Pilawa waren schon dabei, Anke Engelke, Karl Moik, Ilja Richter, Dieter Hallervorden, Sabine Christiansen, Friedrich Nowottny, Dieter Thomas Heck, Hugo Egon Balder, Staranwalt Rolf Bossi, Modeschöpfer Rudolph Mooshammer; und Joe Bausch (Gerichtsmediziner im WDR-"Tatort" mit dem Duo Behrendt/Bär) ist Regierungsmedizinaldirektor und als realer Arzt in den Vollzugsanstalten Hamm und Werl beschäftigt. Auch auf Seiten der Macher hinter der Kamera wimmelt es geradezu vor erstklassigen Vertretern ihres Fachs. Autoren wie Martin Walser, Karl Heinz Willschrei, Fred Breinersdorfer, Felix Huby, Hansjörg Martin, Wolfgang Menge, Herbert Lichtenfeld, Martin Suter und Friedhelm Werremeier (Auswahl) und Regisseure wie "Tatort"-Gast Berti Vogts mit Kaninchen Wolfgang Petersen, und Jürgen Tonkel Margarethe von Trotta, Klaus Emmerich, Wolfgang Staudte, der Amerikaner Sam(uel) Fuller, Wolfgang Becker, Rolf Schübel, Hartmut Griesmayr, Hajo Gies, Dieter Wedel, Eberhard Fechner und viele weitere haben dem "Tatort" zu seiModezar Rudolph Moshammer (l.), nem langjährigen Miroslav Nemec (M.), Udo Wachtveitl Stellenwert verholfen.

MUSIK. Die Titelmelodie wurde von Jazz-Größe Klaus Doldinger 1970 komponiert, bei der Originalaufnahme saß Udo Lindenberg am Schlagzeug. 1978 und 2004 wurde diese Fassung jeweils leicht modifiziert, statt röhrender Orgel integrierte man nunmehr elektronisches Gezirpe. In diversen Episoden wurden bestehende Songs in einzelnen Szenen unterlegt, andere Titel kamen als spezielle Auftragskompositionen in die Filme. Vor allem in Folgen des WDR sind Titel zu hören, die immer wieder mit dem "Tatort" in Verbindung gebracht werden, etwa "Midnight Lady" (Chris Norman; "Der Tausch"), "Faust auf Faust" (Klaus Lage; "Zahn um Zahn"), "Über Nacht" (Rio Reiser; "Der Pott"), "Against The Wind" (Bonnie Tyler; "Der Fall Schimanski"), "Verschwende deine Zeit" (Die Toten Hosen; "Voll auf Hass"), "Das Mädchen auf der Treppe" (Tangerine Dream; dito), "Vitamin C" (Can; "Tote Taube aus der Beethovenstraße") und viele andere. Die Ermittler Manfred Krug und Charles Brauer griffen im NDR sogar selbst zu E-Piano und Harmonika, spielten und sangen während der Filmhandlung SwingKlassiker, wobei der Kuriositätsfaktor letztlich überwog.

WEGGESPERRT. Es soll mehr als zwei Dutzend "Tatort"-Projekte gegeben haben, die aus nicht bekannten Gründen nie realisiert wurden, u.a. zum Komponierte und Thema Bundesligaskandal und über eine spielte die Titelmelodie: Drückerkolonne. Sechs andere Filme dageKlaus Doldinger gen gingen zwar auf Sendung, verschwan-

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den aber anschließend im Panzerschrank der jeweiligen Sender – gesperrt für Wiederholungen! Die mit nur 73 Minuten Laufzeit kürzeste aller Folgen, "Der Fall Geisterbahn" (HR, 1972), gehört dazu – wegen lizenzrechtlicher Probleme. "Der gelbe Unterrock" (SWF, 1980) dagegen soll vom Sender selbst für zu schlecht befunden worden sein. "Mit nackten Füßen" (HR, 1980): negative Darstellung Epilepsiekranker; "Tod im Jaguar" (SFB, 1996): antijüdische Passagen; "Krokodilwächter" (SFB, 1996): zu brutal; "Wem Ehre gebührt" (NDR, 2007): Vorurteile gegenüber der Religionsgruppe der Aleviten. Die Folge "Drei Schlingen" (WDR, 1977) war ebenfalls weggesperrt, weil zu gewalttätig, kam aber nach einer Schnittkorrektur 2003 mit 26 Jahren Verspätung zur Erstausstrahlung.

VERMISCHTES – KURIOSES – MERK-WÜRDIGES. "Tatort"Theater: Günter Lamprecht (Markowitz/SFB) und Dietz-Werner Steck (Bienzle/SDR) traten nach ihrer TV-Zeit in den Kommissar-Rollen mit Bühnenstücken auf +++ Zwei Schimanski-Folgen kamen erst ins Kino und danach ins Fernsehen: "Zahn um Zahn" (1985/1987) und "Zabou" (1987/1990) +++ Gastkommissare – mit Kurzauftritten in Episoden anderer Sender – gehörten früher fest zum "Tatort"Konzept, heute wird dies kaum noch praktiziert +++ Volltreffer: Das lockere WDRDuo Axel Prahl/Jan Josef Liefers (Thiel/Boerne) gehört aktuell zu den beliebtesten Teams. Dabei war Liefers erst kurz vor Drehbeginn für den vorgesehenen Kollegen Ulrich Noethen eingesprungen +++ Die Augen aus dem Standardvorspann, entwickelt vom Bayerischen Rundfunk, gehören dem Ex-Schauspieler Horst Lettenmayer. Er hatte 1970 einmalig 400 Mark Gage erhalten. 1989 war er dann Launiges Münster-Duo: „komplett" als Gewerkschafter Axel Prahl (r.), Jan Josef Liefers in "Der Pott" zu sehen +++ "Tatort"-Spaß am 28.12.1987: Zur Jubiläumsfolge 200 gönnte sich die ARD die Filmcollage "Blutrausch". Ermittler: Inge Meysel und das Polizeischwein Luise +++ Einmaliger Vorab-Check: Bevor Günter Lamprecht 1991 auf Sendung gehen durfte, wurde die Markowitz-Figur in einem TV-Film getestet: "Dort oben im Wald bei diesen Leuten" kam am 1.4.1990 auf 8,72 Mio. Zuschauer +++ Heute als „Hajo" ein Urgestein in der "Lindenstraße", von 1974–1977 viermal am NDR-"Tatort": Knut Hinz als flippiger Kommissar Brammer – Gitarre im Büro, HippiePelzmantel und Schlapphut über besenbreiten Koteletten +++ Vom "Tatort" zur "Tagesschau": In Folge 26 vom 4.2.1973 spielte Dagmar Berghoff die Kripo-Tippse Fräulein Schäfer im Team von Hauptkommissar Böck (Hans Häckermann), der in einer weiteren Folge auch Gleich knallt's – als Kommissar Beck antrat +++ JournalistenLegende Peter Scholl-Latour war 1969 WDR- Maria Furtwängler als Charlotte Fernsehdirektor. Zitat aus einem "BamS"Lindholm Interview (23.3.2003): „Ich bin der Erfinder des 'Tatorts'. Ich wollte eine Krimiserie mit lokalem Touch haben." +++ Ein identischer Titel, jeweils zwei Filme, acht verschiedene Kommissare: "Aus der Traum" (1986/SWF und 2006/SR), "Herzversagen" (1989/ SR und 2004/HR), "Kassensturz" (1976/SWF und 2009/SDR), "Die Abrechnung" (1975/WDR und 1996/SF DRS). +++ Die Stimme erhielt ein Gesicht: Synchronsprecher Hans-Werner Bussinger (1941–2009; "Denver-Clan"/Blake Carrington, "Ein Colt für alle Fälle"/Colt Seavers, "Quincy") wurde 1984 zu Hauptkommissar Rullmann in der Frankfurter "Tatort"-Folge "Rubecks Traum". GoodTimes

AUSBLICK. Die Grobplanung bis zum Jahresende steht (19.12.2010; BR; "Die Heilige"). Fans der Reihe können sich außerdem auf Veränderungen freuen: Ab 2011 wird das Team Joachim Kròl/Nina Kunzendorf für den Hessischen Rundfunk ermitteln. +++ Und auch die Jubiläumsfolge zum 40. am 28.11.2010 bestreitet ein hochkarätiger Neuling für den HR: Ulrich Tukur gibt einen übergeordneten Beamten des Bundeskriminalamts in Wiesbaden – als Felix Murot soll er seinen Job mit der Episode "Wie einst Lilly" (Arbeitstitel) antreten. +++ Drehbuchideen für zwei weitere NDRFilme lieferte bereits der schwedische Krimi-Starautor Henning Mankell: Seine private Freundschaft zum Kommissar-Darsteller Axel Milberg (Kiel) sorgte für diese Bereicherung. Die Dreharbeiten für "Borowski und der vierte Mann" (Arbeitstitel) sind abgeschlossen, beide Ausstrahlungen für 2011 vorgesehen. +++ Nach neunjähriger Pause wird es auch wieder Schweizer Fälle geben: Stefan Gubser erhält ab kommendem Jahr als Reto Flückiger pro Jahr zwei Einsätze in Luzern. +++ Einen neuen, zusätzlichen Schauplatz plant der Bayerische Rundfunk – das Allgäu. Hier soll ab 2011/12 Herbert Knaup als verschroben-schlauer KHK Kluftinger ermitteln. Die Vorlagen kommen von Volker Klüpfel/Michael Kobr: Deren Krimis um den Kripomann ("Laienspiel", "Rauhnacht", "Milchgeld", "Seegrund") sind in Buchform Verkaufsrenner. "Erntedank" lief außerdem 2009 bereits als eigenständiger Film, und Knaup erhielt 2010 für seine Darstellung den Bayerischen Filmpreis.

Aktuelle Teams (Stand: 18.10. 2010) SWR (Ludwigshafen): Ulrike Folkerts/Andreas Hoppe (Odenthal/Kopper) – seit 29.10.1989

BR (München):

Miroslav Nemec/Udo Wachtveitl (Batic/Leitmayr) – seit 01.01.1991

WDR (Köln):

Klaus J.Behrendt/Dietmar Bär (Ballauf/Schenk) – seit 05.10.1997

RB (Bremen):

Sabine Postel/Oliver Mommsen (Lührsen/Stedefreund) – seit 28.12.1997

ORF (Österreich): Harald Krassnitzer (Eisner) – seit 17.01.1999; neue Assistentin ab 2011: Adele Neuhauser (Fellner)

RBB (Berlin):

Dominic Raacke/Boris Aljinovic (Ritter/Stark) – seit 25.03.2001

NDR (Hannover): HR (Frankfurt):

Maria Furtwängler (Lindholm) – seit 07.04.2002

SWR (Konstanz):

Eva Mattes/Sebastian Bezzel (Blum/Perlmann) – seit 28.04.2002

WDR (Münster):

Axel Prahl/Jan Josef Liefers (Thiel/Börne) – seit 20.10.2002

NDR (Kiel):

Axel Milberg (seit 30.11.2003)/Sibel Kekilli (Borowski/Brandt) ab 24.10.2010

Jörg Schüttauf/Andrea Sawatzki (Dellwo/Sänger) – 2002–2010 Joachim Król / Nina Kunzendorf – ab 2011; Ulrich Tukur (Murot) / – ab 2010

SR (Saarbrücken): Maximilian Brückner/Gregor Weber (Kappl/Deininger) – seit 15.10.2006

SWR (Stuttgart):

Richy Müller/Sebastian Klare (Lannert/Bootz) – seit 09.03.2008

MDR (Leipzig):

Simone Thomalla/Martin Wuttke (Saalfeld/Keppler) – seit 25.05.2008

NDR (Hamburg): SF (Luzern):

Mehmet Kurtulus (Batu) – seit 26.10.2008 Stefan Gubser (Pflückiger) – ab 2011

10 Höhepunkte "Abschaum" (Nr. 562; 04.04.2004) RB "Norbert" (Nr. 428; 28.11.1999) BR "Tod im Häcksler" (Nr. 249; 13.10.1991) SWF "Der dunkle Fleck" (Nr. 511; 20.10.2002) WDR "Kuscheltiere" (Nr. 143; 12.12.1982) WDR "Wo ist Max Gravert?" (Nr. 595; 17.04.2005) HR "Manila" (Nr. 383; 19.04.1998) WDR "Das Mädchen von gegenüber" (Nr. 82; 04.12.1977) WDR "Trimmel hält ein Plädoyer" (Nr. 86; 27.03.1978) NDR "Reifezeugnis" (Nr. 73; 27.03.1977) NDR 1/2011

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DIE HORNBRILLE

Vom Streber bis zum Panzerknacker

Die Typen tauchten in fast jeder Highschool-Filmkomödie der 1980er Jahre auf. Oder – extrem peinlich – sie saßen sogar in der eigenen Schulklasse neben einem: Jungs, die morgens in den von Mutti für sie rausgelegten karierten Pullunder geschlüpft waren, die im Unterricht ständig aufgeregt mit dem Finger schnippten ("Herr Lehrer, ich weiß was ...!") und sich permanent ihre riesengroße und megahässliche Brille zurechtrückten. Fremdschämen war angesagt …

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aum zu glauben, aber wahr: Diese Hornbrillen-Fraktion ist wieder da! Allerdings eher weniger in Gestalt pubertierender Jugendlicher. Nein, vor allem Laufsteg-Models sowie Stars und Sternchen von den roten Teppichen dieser Welt haben die so genannte Nerd-Brille für sich wiederentdeckt – die Sehhilfe für „Langweiler", für „Sonderlinge", für „Streber".

Woody Allen

verprügelt. Auch sein Accessoire muss immer wieder dran glauben, es wird von Kindern liebend gern zertreten.

Die drei Panzerknacker

Immer öfter greifen Brillenträger heutzutage freiwillig zum undezenten und unästhetischen Nasenfahrrad. Und werden dafür nicht mal gehänselt, ganz im Gegenteil: Ein Blick auf die aktuelle Modeszene unterstreicht, dass Männer und Frauen offenbar erst mit diesen Gestellen als richtig hip gelten.

In den 1950er und 1960er Jahren wurden diese Brillen noch aus Hirsch- oder Rinderhorn gefertigt, heute ist es meist Kunststoff. Als vorherrschendes Standardmodell waren sie damals weitverbreitet und bevorzugt auf vielen Politikernasen zu finden. In Deutschland gab es in jenen Jahren aber auch einen Hornbrillenträger, der fast überall äußerst beliebt war: Heinz Erhardt. Der Schauspieler, Humorist und Dichter (1909–1979) begeisterte die Menschen mit seinen feinsinnigen Erzählungen, Sketchen, Gedichten und großartigen Wortspielereien. Die Brille unterstrich dabei seine gewollt unbeholfen wirkende Art, durch die sich eine ganz eigene Komik entwickelte.

Die klobige und schwarze „Nerd-Brille“ hat sich zum trendigen Accessoire modebewusster Menschen gemausert. Selbst diejenigen, die gar keine Sehhilfe benötigen, drücken sich so ein einst verpöntes Hornteil ins Gesicht und betrachten die Welt durch Fensterglas – vielleicht auch des generell besseren Durchblicks wegen ...

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in berühmter Hornbrillenträger ist Woody Allen, dessen Gesicht dieses fast schon zum Markenzeichen gewordene Utensil seit Jahrzehnten dominiert. Der Regisseur hätte aber wohl selbst nie damit gerechnet, dass er damit mal zum Trendsetter avanciert. In seinem Film "Woody, der Unglücksrabe" (1969) greift er sogar das negative Image der Hornbrille als Thema auf – dort wird er in der Rolle des Virgil Starkwell als Brillenträger regelmäßig

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In der Musikszene tauchte Mitte der 1950er Jahre ein junger, unscheinbarer Sänger und Gitarrist namens Buddy Holly auf. Und er erregte nicht nur durch seine Lieder, sondern auch durch sein Äußeres Aufsehen: Buddy trug Horn! Das ließ den gerade mal 20-Jährigen optisch reifer und seine Lieder über die Liebe authentischer wirken. Buddy Holly und seine Sehhilfe haben sogar neuzeitlichere Musikerkollegen zu Songs inspiriert. So singt die amerikanische Rockband Weezer: "I look just like Buddy Holly". Und Die Ärzte schrieben "Buddy Hollys Brille". Am 3. Februar 1959 kam der Rock’n’Roller bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Zu seinem Gedenken stellten Fans eine überdimensionale, schwarze Hornbrille an der Absturzstelle auf.

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s waren immer wieder Künstler, die selbstbewusst die auffällige „Nerd-Brille" zur Schau stellten: Mitte der 1970er Jahre zum

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Beispiel der englische Musiker Elvis Costello, der dieses Teil wieder salonfähig machte. In der Kunstszene unterstrich Andy Warhol sein flippiges Aussehen mit einer extrem großen Variante. Generell hatte sich mit Beginn der 1970er Jahre die Brillenmode sehr verändert, dezentere Metallfassungen waren angesagt. Die Hornbrille wurde fortan als „Kassenmodell" verunglimpft, bestenfalls Klassenstreber, Eigenbrötler oder artverwandte Figuren hielten eisern durch. Andere ließen sich ihre Visage nicht länger von den klobigen Modellen verschandeln. So verwandelten sich – vor allem in amerikanischen Teenie-Komödien – einst naive Strebermädchen in gut aussehende, begehrenswerte Frauen: Rote Karte für die (oft) schwarze Brille, Schluss mit Zopf, von jetzt auf gleich flatterten lange Haare offen im Wind ... Ein jungmännliches Highlight war in der kultigen amerikanischen TV-Serie "Wunderbare Jahre" ("The Wonder Years") zu bestaunen: Hornbrillenträger Paul Pfeiffer, herrlich gespielt von Josh Saviano. Er meisterte auch als Brillenschlange die ganz normalen Pubertätsprobleme eines Teenagers in den 60er Jahren.

ANZEIGE Josh Saviano

In der Sitcom "Alle unter einem Dach" tauchte immer wieder der furchtbar tolpatschige Steve Urkel (Jaleel White) auf. Der intelligente, aber unattraktive junge Mann faszinierte mit unmöglichen Klamotten und, logo, mit einer unsäglichen Hornbrille. Aber gerade sein Witz, sein persönliches Chaos verhalfen der Serie zu großem Erfolg.

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ittlerweile sind es andere, die sich mit Hilfe des klobigen Gestells (zusätz"Tagesschau"-Sprecher Marc Bator lich) Aufmerksamkeit, Seriosität und/oder Reife verschaffen wollen – als ob sie das nötig hätten! Madonna-Tochter Lourdes, Sängerin Britney Spears, die Schauspieler Johnny Depp und Scarlett Johansson, der Musiker Götz Alsmann – die Reihe ist lang. Auch "Tagesschau"Sprecher Marc Bator setzte für kurze Zeit auf den Gesichtszusatz. Folge: Beim Sender trudelten rund 150 böse Briefe ein – mit bissigen Kommentaren wie „Honecker wieder auferstanden" und (auf die griechische Sängerin verweisend) „Die männliche Nana Mouskouri". Bator ruderte zurück, kündigte allerdings in der "Hamburger Nana Mouskouri Morgenpost" einen neuen Versuch an: „Ich bin verliebt in diese 'NerdBrille’. Und deshalb werde ich ein ähnliches Panzerknacker-Modell wieder tragen." Julia Rosenthal


Fred, Susi &

Frankensteins Ur-Ur-Enkel Sänger, Entertainer, Moderator und Comedian – der 68-jährige Berliner hat viel geleistet und nicht nur die Fans begeistert, sondern sich auch einen guten Ruf bei Kritikern verdient. Normalerweise wird ein Spagat zwischen Schlager, Disco und schwarz-britischer Horrorparodie nicht verziehen, doch Frank Zander oder sein Alter Ego Fred Sonnenschein dürfen sich stilistisch nach Herzenslaune ausleben. Vielleicht sind es Offenheit, Ehrlichkeit und die raue, aber herzliche Art des Mannes mit der Reibeisenstimme, die seine Beständigkeit garantieren.

Es gab schon Musik vor den großen Hits ...

Ja, die Band nannte sich die Gloomy-Moon-Singers, ich spielte Gitarre und sang. Zuerst stand Skiffle auf dem Programm. Lonnie Donegan und das folkige Kingston Trio waren unsere Vorbilder. Wir spielten auf Partys und in Jugendclubs und sind sogar im legendären Riverboat aufgetreten. Das lief alles parallel zu meiner Grafiker-Ausbildung. Ja, das war schon eine wilde Zeit! Ich nutzte damals als Verstärker ein umgebautes Röhrenradio! Danach verdienten wir unser Geld als Studioband unter anderem für Bobby Ford, heute besser bekannt als Gunter Gabriel, und für Giorgio Moroder, und wir waren auch als Liveband tätig. Nach einem Konzert, das wir als Begleitgruppe von Christian Anders spielten – natürlich in Glitzeranzügen –, hatten wir einen folgenschweren Unfall, bei dem sich der Anhänger unseres alten Fords um den Wagen wickelte. Die Anlage war hinüber, und ich entschied mich für eine Solokarriere.

Sie produzierten völlig unterschiedliche Singles.

Die Plattenfirma hatte dementsprechend oft Probleme damit! Das Cover des "Nick-Nack-Man", es war tatsächlich der erste deutschsprachige Rap, zierte ein Totenkopf, der 'Ur-Ur-Enkel von Frankenstein" war denen aber zu lang und schwarzhumorig – und mit "Oh, Susi" konnten die erst überhaupt nichts anfangen. Die Idee zu dem Song kam mir, als ich verschiedene elektronische Sounds hörte. Ich schrieb dann einen Text mit vielen Anspielungen auf das Liebesleben, wobei die „unanständigen" Wörter weg-gepiept oder ge-zzzscht wurden. Dem Publikum machte das Erraten ’ne Menge Spaß.

Warum veröffentlichten Sie unter dem Pseudonym "Fred Sonnenschein und seine Freunde"?

Fred Sonnenschein stand für meine humorvolle Seite. Meine Freunde, die Hamster, machten immer die hohen Stimmen, die elektronisch verändert worden waren, um diesen piepsigen Sound hinzubekommen. Hugo Egon Balder, ein guter Freund von mir, der oft zum Essen vorbeikommt, übernahm die Rolle des Fritz. Wir hatten diese Idee also schon, bevor Vader Abraham mit seinem "Lied der Schlümpfe" so richtig abräumte. 1981 gab’s dann für uns einen Riesenhit, denn mit "Ja, wenn wir alle Englein wären", einer Parodie auf den "Ententanz", standen wir zehn Wochen auf dem ersten Platz.

Mit der "Plattenküche", die ab 1976 im WDR 3 lief, war eine Kultsendung geboren ...

Ich erinnere mich gern daran, nicht zuletzt wegen der Zusammenarbeit mit Helga Feddersen. Ich habe viel von ihr gelernt, denn als ausgebildete Schauspielerin hatte sie ein tolles Timing bei den Sketchen. Die Bands standen zuerst nicht auf diese Unterbrechungen. Ich erinnere mich noch an Blondie mit der Sängerin Deborah Harry, die immer murrte: „Fuck, Fuck." Als sie dann merkten, wie gut das Konzept ankam, wurden sie immer freundlicher. Plötzlich wollte jeder mit Rang und Namen bei uns in der Show auftreten. Es war eine tolle Zeit, nicht zu vergleichen mit heute, wo nur noch die Quote zählt. Nach jeder Sendung haben wir zusammen eine Party gefeiert, was für die Leber schon ziemlich anstrengend sein konnte. Es ist sehr traurig, dass Helga so früh sterben musste. Danach habe ich noch viel Fernsehen gemacht – "Bananas", "Frankobella", "Die Superlachparade" und, und, und ...

Sie organisieren seit 15 Jahren Weihnachtsessen für Obdachlose. Warum nutzen nicht andere Künstler ebenfalls ihren Prominentenstatus?

Das frage ich mich auch! Vielleicht habe ich als Berliner Kind einen besonderen Bezug zu ärmeren Menschen, die immer zum Stadtbild gehörten. Ich habe schon in meiner Jugend gespendet und werde mich weiterhin um mittellose Menschen bemühen, die nicht so viel Glück gehabt haben wie ich. Kürzlich habe ich für diese Arbeit von der Diakonie eine Auszeichnung bekommen. Vielleicht bin ich jetzt heilig? Ich wurde auch von der Stadt Berlin für das Engagement geehrt, habe sogar seit 2002 ein Bundesverdienstkreuz.

Ich veröffentliche nach dem Erfolg der "Persönlichen GeburtstagsCD" jetzt die "Ganz persönliche Geburtstags-DVD", auf der jedes Geburtstagskind persönlich angesprochen wird. Ich habe dafür schon 7.000 Namen aufgenommen. Die Idee gab es zwar schon vorher, doch die meisten haben nach den ersten paar hundert Vornamen aufgehört – ich hielt durch. Nach der CD RABENSCHWARZ 2, auf der ich deutsche Schlager zu hammerharten Brutalo-Gitarrenriffs gesungen habe, schwebt mir ein Projekt vor, bei dem ich Lieder meiner Heimatstadt im waschechten Berlinerisch bringen möchte – nach dem Motto „Große Schnauze, großes Herz". Zurzeit male ich auch an einer Bilderserie, die „Zanderfische" heißt. Sie wird in den Walentowski Galerien Hamburg ausgestellt. Den Erlös aus dem Verkauf spende ich. Alan Tepper Seite

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GoodTimes

1/2011

Fotos: © Thomas Nitz

Was steht an im Zander-Kosmos?



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