Route der Industriekultur

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FerienstraĂ&#x;en


© Grebennikov Verlag GmbH

Herausgeber Projektleitung Texte & Recherche Redaktion Stillektorat Korrektorat Design Layout, Satz Druck & Verarbeitung

Alexander Grebennikov Yury Kolesnichenko Dr. Gabriele Knoll Cornelia Kaluschke Markus Rinderknecht Friedrich Reip Henriette Damsa, Ricardo Quintas Monica Freise AB „Spauda“ (Litauen)

Mit freundlicher Unterstützung vom Regionalverband Ruhr Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Einzige Ausnahme bilden die unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlichten Abbildungen. ist eine eingetragene Marke des Grebennikov Verlags. www.grebennikoff.de www.explorise.de

ISBN 978-3-941784-45-1 1. Auflage Berlin 2014 Explorise Ferienstraßen • Band 14


Route der Industriekultur Bewahrtes Erbe des Ruhrgebiets Dr. Gabriele Knoll

Berlin . Moskau


Inhaltsverzeichnis

Das neue Image des Ruhrgebiets

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Essen

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Bochum

026

Hattingen

038

Witten

044

Wetter an der Ruhr

052

Hagen

056

Unna

066

Hamm

070

Bergkamen

076

L端nen

080

Dortmund

086

Waltrop

102

Castrop-Rauxel

110


Recklinghausen

114

Herten

124

Marl

132

Herne

140

Gelsenkirchen

148

Bottrop

162

Oberhausen

172

Moers

182

Kamp-Lintfort

188

Duisburg

194

M端lheim an der Ruhr

210

Karten

224

Register

234

Abbildungsverzeichnis

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Das neue Image des Ruhrgebiets Die Zeiten, in denen die Hausfrau erst einmal mit einem kritischen Blick aus dem Fenster entscheidet, ob sie heute die Wäsche zum Trocknen nach draußen hängen kann, sind im Ruhrgebiet längst vorbei! Nahezu blütenweiße Wasserdampf-Wolkentürme steigen zwar noch als Landmarken auf und es gibt hin und wieder an manchen Stellen den unverkennbaren Geruch einer Industrielandschaft – aber das hat alles nicht mehr viel mit dem Alltag vergangener Zeiten zwischen Ruhr und Emscher, Lippe und Rhein zu tun. Wie viel Grün im Ruhrgebiet anzutreffen ist, überrascht die auswärtigen Besucher immer wieder. In Mülheim an der Ruhr, Dortmund und vielen anderen Städten des Reviers, machen die Grünanlagen und Parks inzwischen die Hälfte des Stadtgebiets aus. Nach den Abrisswellen des 20. Jahrhunderts erfahren die Industrieanlagen, seitdem in den 1970er/80er Jahren die Industriedenkmalpflege „erfunden“ wurde,


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eine neue Wertschätzung und oft auch eine kreative Nutzung. Die Entdeckung der Wirtschaftsgeschichte geht sogar zurück bis zur Industrie-Archäologie. Bei der St. Antony-Hütte in Oberhausen kann man durch die Fundamente der ältesten Eisenhütte des Ruhrgebiets spazieren – natürlich alles medial bestens aufbereitet und auf diese Weise vieles über die noch junge Industrie im 18. Jahrhundert und über die „Wiege“ des späteren Weltkonzerns Gutehoffnungshütte erfahren. Die Anfänge des Kohleabbaus, dieser merkwürdigen schwarzen Steine, die so lange brennen, haben eine noch weiter zurückreichende Geschichte als das Raseneisenerz rund um St. Antony. Natürlich sind auch die Ursprünge der Steinkohlegewinnung im Ruhrtal und den Nebentälern ein spannendes Kapitel Wirtschaftsgeschichte, das bis ins Mittelalter zurück führt. Aber nicht nur diese einzelnen Höhepunkte machen den Reiz der Industriekultur aus: Mit den Zechen und Fabriken, den Werkssiedlungen und dem Verkehrswesen ist an vielen Orten eine Industrielandschaft noch erstaunlich vollständig erhalten geblieben, die eine eigene Entdeckungsreise lohnt. Zu diesem Zweck hat der Regionalverband Ruhr mit unzähligen Der Landschaftspark DuisburgNord verbindet verbindet Industriekultur mit Natur.


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Die Zeche Zollverein gilt als die schönste Zeche der Welt.

Mitwirkenden die Route der Industriekultur geschaffen. Auf einem Straßenrundkurs von 400 Kilometern reihen sich die wichtigsten, die interessantesten, die ungewöhnlichsten Zeugnisse der industriellen Vergangenheit aneinander: Rekordverdächtiges, wie beispielsweise der größte erhaltene Gasometer Europas in Oberhausen, die größte begehbare Camera Obscura im Wasserturm in Mülheim, das größte Bergbau-Museum der Welt, ein Hebewerk für Schiffe in Henrichenburg und schließlich sogar ein UNESCO-Weltkulturerbe: die Zeche und Kokerei Zollverein Essen. Das Jahr der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 hat bereits vielen Plänen einen großen Schub gegeben. Halden und Deponien sind zu attraktiven Landmarken und abwechslungsreich gestalteten Aussichtspunkten geworden und ermöglichen ganz neue Landschaftserlebnisse, die auch Kinder den „Berg“ hinauf locken. Freizeitgestaltung, Kulturleben und Industriearchitektur passen so gut zusammen, dass die großen Events im Ruhrgebiet ohne historische Werkshallen gar nicht mehr vorstellbar sind. Der Strukturwandel im Revier hat viele


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attraktive Facetten hervorgebracht. Wer das Thema „Industriekultur“ sportlicher angehen und sich besonders gründlich vom grünen Ruhrgebiet überzeugen möchte, für den gibt es die rund 700 Kilometer lange Variante „Route der Industriekultur mit dem Rad“. Aber auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität sind viele Sehenswürdigkeiten aus 150 Jahren Wirtschaftsgeschichte zugänglich. Zu den beiden Hauptrouten mit ihren 25 sogenannten Ankerpunkten gibt es noch zusätzlich 265 Themenrouten, in denen der Besucher manches noch vertiefen kann. Nach neuester Technik multimedial aufbereitete Sehenswürdigkeiten gibt es in Hülle und Fülle. Die Route der Industriekultur kennenzulernen kann viele Wochenenden oder auch manchen Urlaub füllen – fangen Sie einfach einmal an! Wirtschaftsgeschichte kann so spannend sein und so atemberaubend schön, wenn man in der Dunkelheit die angestrahlten historischen Anlagen oder modernen Skulpturen auf den Halden erlebt. Und der Gipfel aller Veranstaltungen ist alljährlich am ersten Julisamstag die „Extraschicht – Die Nacht der Industriekultur“, ein außergewöhnliches Kulturfestival mit mehr als 450 Events an rund fünfzig Spielorten. Die Zeche Ewald war in den 1950er Jahren die produktivste Zeche des Ruhrgebiets.


Essen Krupp komplett

Friedrich Alfred Krupp (1854-1902)

Keine Familie der Neuzeit hat die Geschichte dieser Stadt so geprägt wie die alteingesessene Kaufmannsfamilie Krupp. 1861 ist das Areal der Kruppschen Gussstahlfabrik schon halb so groß wie der mittelalterliche Stadtkern von Essen und zwölf Jahre später ist es um das Zwanzigfache gewachsen: Ein Drittel der damaligen Stadtfläche ist Kruppgelände. Heute ist das so genannte ThyssenKrupp Quartier in der Nachfolge der Gussstahlfabrik Friedrich Krupp AG westlich der Stadtmitte mit seinen rund 230 Hektar dreimal so groß wie die City. Jenseits der Fabrikgebäude prägte die Familie Krupp das Stadtbild mit ihren verschiedenen Werkssiedlungen und sozialen Einrichtungen für die „Kruppianer“. Auf den Spuren der Familie Krupp lässt sich ebenso noch manches Private in Essen entdecken – von der Villa Hügel bis zu den Familiengräbern in Bredeney. Dass es in Essen auch Industriearchitektur als Weltkulturerbe gibt, verdankt die Stadt dem Pioniergeist des Ruhrorters Franz Haniel. Er gründete die Zeche Zollverein in Katernberg, das 1929 eingemeindet wurde.


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Rund um die Industrie Zeche Zollverein Die Geschichte des Ruhrgebiets von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum gelungenen kreativen Strukturwandel lässt sich nirgendwo so anschaulich wie auf den 35 Hektar dieser Zeche verfolgen. Als Zeichen der internationalen Anerkennung wurde sie 2001 zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt. 1847 kaufte Franz Haniel 13 Grubenfelder an der Eisenbahnstrecke Köln – Minden beim Dorf Katernberg und teufte bereits den ersten Schacht ab. Vier Jahre später wurde auf einer der ersten Tiefbauzechen des Reviers Kohle gefördert. Ein rasantes Wachstum sollte damit beginnen: Die Fördermenge stieg von 1851 bis 1890 auf das 75-fache und die Zahl der Schächte vergrößerte sich auf zehn. Im Jahr 1900 arbeiteten 5.355 Bergleute auf Zollverein – begonnen hatte man mit 256 Kumpeln. 1926 wurde die Zeche zur Hüttenzeche der Vereinigten Stahlwerke AG, dem zweitgrößten Stahlkonzern weltweit. 1932 begann die Förderung auf Schacht XII, der damals größten Steinkohleförderanlage der Welt.

Familie Gustav Krupp von Bohlen und Halbach 1928 – v.l.: die Kinder Berthold, Irmgard, Alfried, Harald, davor Waltraud und Eckbert, dann folgen die Eltern Bertha und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, rechts Sohn Claus


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Das Doppelstrebengerüst von Schacht XII wurde zum Logo der Stiftung Zollverein.

Zu dieser Zeit erhielt die Zeche Zollverein ihr heutiges architektonisches Gesicht: Fritz Schupp und Martin Kremmer entwarfen den Baukomplex Schacht XII, dabei ordneten sie die nüchternen Kuben mit ihrem Stahlfachwerk und ihrer Backsteinausmauerung in der Form einer barocken Schlossanlage an. Als Höhepunkt ragt das einstige Kesselhaus als „Schloss“ heraus. Das Doppelstrebengerüst von Schacht XII, das zur Landmarke und dem Logo der Stiftung Zollverein geworden ist, brachte einst an einem Tag so viel Kohle an die Erdoberfläche, wie man in der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem ganzen Jahr förderte. 1962 nahm die Kokerei Zollverein ihren Betrieb auf, deren Bauten ebenfalls von Fritz Schupp entworfen wurden. In den 70er Jahren wurde sie zu den größten und modernsten Zentralkokereien Europas. 1986 wurde das Ende der Zeche und Kokerei eingeläutet. Eine Woche bevor die Zollverein-Schachtanlagen zu Weihnachten stillgelegt wurden, stellte man Schacht XII unter Denkmalschutz.


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1990 begannen die Umbauten auf Zollverein zu einem Kulturareal. 1993 wurden die Koksöfen stillgelegt. Der Strukturwandel auf dem einstigen Zechengelände lockte zahlreiche Kulturinstitutionen und verschiedene Ateliers und Büros der Kreativwirtschaft in die sanierten und umgebauten Gebäude. So residiert zum Beispiel das Ruhr Museum in der ehemaligen Kohlenwäsche, das Design Zentrum NRW im Kesselhaus sowie das Casino im Niederdruckkompressorenhaus. Als markanter weißer Kubus dient das SANAA-Gebäude von 2006 der Folkwang Universität der Künste. Ruhr Museum Hier bleibt keine Frage zum Ruhrgebiet offen! Der Einstieg in das Regionalmuseum des Reviers mit rund 5.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche führt über die orangefarbene, 58 Meter lange Rolltreppe hinauf in die Kohlenwäsche (Eingang A 14). Wie einst die Kohle gelangt auch der Besucher von oben in das größte Einzelgebäude der ehemaligen Zeche und wandert dann wieder über die leuchtend orange Treppe, die an flüssigen Stahl erinnert, zu den verschiedenen Museumsebenen hinab. Immer weiß man, auf welcher Höhe man sich Genuss-Tipp befindet. Auf der 24-Meter-Ebene kommt man an und steigt hinunter Casino Zollverein auf die 17-Meter-Ebene. (Alle BereiGelsenkirchener Straße 181 che des Ruhr Museums sind auch 45309 Essen per Aufzug zu erreichen.) Tel. +49 (0)201 830240 Zwischen Förderbändern und www.casino-zollverein.de Becherwerken – überdimensionalen Trichtern, durch die die Café Restaurant „Die Kokerei“ Kohle geleitet wurde – beginnt die Arendahlswiese, Tor 3 abwechslungsreiche und span45141 Essen nende Entdeckertour zum Mythos Tel. +49 (0)201 8301298 Ruhrgebiet mit allem, was dazugewww.cultural-service.de hört: Malochern, Taubenzüchtern und dem Schmutz.


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Die ganze Vielfalt der Kulturen und typische Phänomene des Alltagslebens sind zu sehen: von den Zechenkolonien bis zur Trinkhalle. Das „Zollverein Herbarium“ zeigt, welche Pflanzen im Gefolge globaler Rohstoffströme hier heimisch geworden sind. Als „Zeitzeichen“ erzählen einzelne Objekte von grundlegenden emotionalen Erfahrungen und persönlichen Erinnerungen der Bevölkerung im Ruhrgebiet. Auf der 12-Meter-Ebene fungieren ein halbes Mammut-Gerippe und das Skelett eines wollhaarigen Nashorns als Türsteher. Stein-, Bronze- und Eisenzeit, auch die römische Kaiserzeit hinterließen ihre Spuren. Sehr atmosphärisch zeigt sich hier die Ausstellung, denn man hat das Gefühl, sich in Höhlen aufzuhalten, doch es sind in Wahrheit ehemalige Kohlenbunker. Auf einem Steg wandert man über Trichter, mit denen die Kohle sortiert wurde, und wird zurückversetzt in In die ehemalige Kohlenwäsche der Zeche Zollverein ist das Ruhr Museum gezogen, das umfangreich wie anschaulich Geschichte und Gegenwart des Ruhrreviers präsentiert.


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die Zeit des 16./17. Jahrhunderts. Über Nacht Auf der 6-Meter-Ebene beginnt die Geschichte des Ruhrgebiets als Alte Lohnhalle „Ruhrrevier“. Der Wandel vom Rotthauser Straße 40 Agrarraum zur Industrielandschaft, 45309 Essen viele Geschichten über Pioniere, Tel. +49 (0)201 384570 www.alte-lohnhalle.de Wirtschaftsförderer und Arbeiter, Umweltverschmutzung – „Der Hotel Petul „An der Zeche” Himmel über dem Ruhrgebiet Distelkamp 1 muss wieder blau werden“, so Willy 45141 Essen Brandt 1961 – und der StrukturTel. +49 (0)201 729470 wandel unserer Tage sind hier die www.petul.de großen Themen, die anschaulich und anregend präsentiert werden. Ruhr Museum, Gelsenkirchener Straße 181, 45309 Essen Tel. +49 (0)201 24681444, Öffnungszeiten: Mo-So: 10-18 Uhr; 24., 25. und 31. Dez. geschlossen www.ruhrmuseum.de


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Genuss-Tipp

Besucherzentrum Ruhr und das Portal der Industriekultur Im Eingangsbereich des Ruhr Museums befindet sich auch das Besucherzentrum Ruhr, in dem man interaktiv das UNESCO Weltkulturerbe Zollverein kennen lernen kann und sich ebenso Anregungen für eigene touristische Entdeckungen der gesamten Metropole Ruhr holen kann. Durch das Treppenhaus beim Besucherzentrum Ruhr gelangt man hinauf zum Portal der Industriekultur. An 18 Bildschirmen, die Förderkörben nachempfunden sind, kann man viele Informationen abrufen. Aber es geht auch bequemer und sinnlicher bei „Ruhr 360°“, einem stimmungsvollen Panoramafilm über das heutige Ruhrgebiet und seine Bewohner. Sie sagen von sich: „Der typische Ruhrpottler ist sehr offen und sehr direkt“ oder „Wenn man sich den Körper eines Menschen anschaut und ihn mit Deutschland vergleicht, sind wir der Magen. Liebe geht doch durch den Magen. Ist doch auch ein wichtiges Organ!“ Besucherzentrum Ruhr Gelsenkirchener Straße 181 45309 Essen; Tel. +49 (0)201 246810 Öffnungszeiten: Mo-So: 10-18 Uhr www.zollverein.de

Butterzeit Welterbe Zeche Zollverein Gelsenkirchner Straße 181, Areal A, Halle 12 45309 Essen Tel. +49 (0)201 43643501 www.butterzeit.com Parkhaus Hügel Freiherr-vom-Stein-Straße 209 45133 Essen Tel. +49 (0)201 471091 www.imhoff-essen.de

red dot design museum Der Stararchitekt Lord Norman Foster wandelte das ehemalige Kesselhaus der Zeche Zollverein in ein Museum um, das als die weltweit größte Präsentation zeitgenössischen Designs gilt. Mehr als 2.000 Exponate, von Küchengeräten über Sitzgelegenheiten, Stoffen, Lampen, Badewannen, Armaturen bis hin zu Autos und Schmuck, zeigen ausgezeichnete Lösungen für Funktion und Design.


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Anfang Juli verleiht das Museum den Red Dot Award für Product Design und präsentiert in einer Sonderausstellung die Wettbewerbsteilnehmer und natürlich auch den Sieger. Die Objekte der Dauerausstellung werden entweder in schlichten weißen „Kabinetten“ gezeigt, oder man muss sie mitten in den historischen Anlagen des Kesselhauses suchen und entdecken. red dot design museum, Gelsenkirchener Straße 181 45309 Essen; Tel. +49 (0)201 3010425 Öffnungszeiten: Di-So, Feiertage: 11-18 Uhr (am 24., 25., 31. Dez.; 1.1. und bei besonderen Veranstaltungen geschlossen); www.red-dot.de/museum Gartenstadt Margarethenhöhe Die Krupp‘sche Vorzeigesiedlung par excellence ist die Gartenstadt Margarethenhöhe. Im Unterschied zu den normalen Werkssiedlungen konnten nicht nur Kruppianer diese Wohnungen mieten, sondern alle Essener Bürger. Die Gartenstadt trägt den Namen von Margarethe Krupp (1854–1931), die ab 1902 für ihre noch minderjährige Tochter Bertha (1886–1957) die Firma und auch das Krupp’sche Sozialwerk leitete. Zur Hochzeit der Tochter gründete sie 1906 die Margarethe

Margarethe Krupp initiierte die nach ihr benannte Gartenstadt Margarethenhöhe.


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Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge. Mit einer Million Mark und 50 Hektar Bauland ausgestattet, engagierte die Stiftung den Stadtplaner und Architekten Georg Metzendorf, der mit seinem Entwurf eines „umfassend reformierten Kleinwohnhauses“ aufgefallen war. Variable Wohnungsgrundrisse und ein hoher technischer Standard mit Kachelofenzentralheizung sowie sanitären Einrichtungen gehörten zu seinem Konzept. 1909 begann der erste Bauabschnitt auf der Margarethenhöhe, im Jahre 1938 war das Projekt abgeschlossen. Die Häuser, die bis 1918 entstanden, erhielten vielfach einen eigenen Garten – doch nicht für die Selbstversorgung, sondern für die Erholung. Viel öffentliches Grün bot die Siedlung, ebenso wie eine „Konsum-Anstalt“ (quasi ein Kaufhaus), ein Gasthaus, eine katholische Kirche, ein evangelisches Gemeindehaus, eine Volksschule und eine eigene Polizeiwache. In den späteren Bauphasen und auch beim Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wurden die Häuser etwas schlichter, doch der besondere Charakter der Gartenstadt blieb erhalten. Eine Musterwohnung aus dem Jahr 1911 gibt dem Besucher eine Vorstellung vom gehobenen Wohnkomfort für jedermann zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Führungen: Besucherdienst Ruhr Museum Tel. +49 (0)201 24681444; besucherdienst@ruhrmuseum.de Standbild eines Gießerei-Arbeiters auf dem Gußmannplatz


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Die Musterwohnung und das Kleine Atelierhaus können nur im Rahmen einer Führung besichtigt werden. Öffentliche Führung „Margarethenhöhe komplett“: März bis Nov.: jeden 1. So im Monat, 11 Uhr Treffpunkt Am Brückenkopf/Ecke Steile Straße Siedlung Altenhof I und II Bereits ab 1893 entstanden diese beiden Siedlungen für Rentner und Invaliden der Kruppwerke im heutigen Stadtteil Rüttenscheid. Es zeugt von revolutionärer sozialer Fürsorge, dass die ehemaligen Werksangehörigen kostenlos in diesen Häusern ihre alten Tage verbringen durften. Dafür errichtete man kleine Häuser mit Fachwerk im englischen Cottagestil, von denen noch zwei denkmalgeschützt in der Hundackerstraße 14 bzw. 16 stehen. Zwischen 1900 und 1905 wurden die Häuser am Gußmannplatz errichtet. Durch den Kruppschen Waldpark getrennt, den heute die A 52 durchschneidet, entstand von 1899 bis 1907 die Siedlung Altenhof II. Diese Rentnersiedlung ist noch weitgehend erhalten. Der Charakter einer Gartenstadt ist auch hier noch deutlich. Bei Krupp‘schen Werkssiedlungen waren die Gärten nicht für die Selbstversorgung mit Obst und Gemüse gedacht. Die Philosophie des Firmenchefs lautete: „Die Leute verdienen genug, um sich gute Lebensmittel kaufen zu können.“ Dafür bot das Unternehmen einen firmeneigenen Konsumwarenladen. Brandenbuschsiedlung In der Brandenbuschsiedlung wohnte das Personal der Villa Hügel. Damit man vom Balkon der Villa nicht auf die Häuser seiner Angestellten schauen musste, wurde ein Wäldchen als „Sichtschutz“ – in beide Richtungen – angelegt. Die Häuser im Cottagestil wurden 1895 bis 1914 erbaut.

Wohnhäuser für Werksangehörige im Ruhestand – hier in der Siedlung Altenhof


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Villa Hügel Auf einem ehemals kahlen Hügel in Bredeney begannen 1864 große Veränderungen: Der Landschaftspark der späteren Villa entstand. In den 1870er Jahren wurden große Bäume gesetzt, um schnell das Bild eines perfekten Parks zu erreichen. Von 1870 bis 72 wurde auch die Villa Hügel im Park gebaut. Der Entwurf stammt vom Bauherrn Alfred Krupp (1812–1887) selbst, der sich häufig in die Bauarbeiten einmischte und eine Reihe an Leuten „verschliss“, so wurde überliefert. Der Familiensitz mit seinen 269 Zimmern sollte vor allem feuerfest sein und die neueste Technik für den höchsten Wohnkomfort – von der Klimaanlage bis zu den sanitären Einrichtungen – besitzen. Für das Äußere der Villa wurde der Berliner Spätklassizismus gewählt. Die Familie Krupp lebte von 1873 bis 1945 in der Villa, gleichzeitig war sie der Ort für repräsentative Firmenereignisse. Berühmte Persönlichkeiten kamen auf den Hügel, auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. und später Hitler (da die Firma Krupp zu den großen Rüstungslieferanten gehörte, komplette Kriegsschiffe wurden dort produziert) zählten zu den Gästen. Blick auf die Baustelle der Villa Hügel


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Nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten die amerikanischen Streitkräfte die Villa und richteten darin den Sitz der Alliierten Kohlenkommission ein. 1952 erhielt Familie Krupp das Anwesen zurück, doch es sollte nicht wieder ihr Wohnsitz werden. Im folgenden Jahr wurde die erste Kunstausstellung im Großen Haus gezeigt und damit wurden die Weichen für die neue Nutzung der Villa Hügel als Ausstellungsort gestellt. Die Kulturstiftung Ruhr zeigt Ausstellungen zur Kunst- und Kulturgeschichte von internationalem Rang. Heute gehören die Villa Hügel und der Park der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Im Kleinen Haus der Villa präsentieren zwei Ausstellungen die Geschichte der Familie Krupp und ihres Unternehmens sowie die Aktivitäten der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung – Villa Hügel; Hügel 1, 45133 Essen; Tel. +49 (0)201 616290 Öffnungszeiten Hügelpark: Mo-So, Feiertage (außer Weihnachten, Neujahr): 8-20 Uhr; Öffnungszeiten Villa Hügel (historische Wohnräume und historische Ausstellung Krupp) Di-So: 10-18 Uhr. Abweichende Öffnungszeiten bei Wechselausstellungen, zu besonderen Anlässen ist oftmals die Besichtigung der Villa Hügel nicht möglich. www.villahuegel.de

Die Villa Hügel, einst Wohnsitz der Familie Krupp, ist heute ein Ort bedeutender kunstund kulturgeschichtlicher Ausstellungen.


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Alfred Krupp (1812-1887) Das repräsentative Grab von Alfred Krupp auf dem Friedhof Bredeney

Krupp Familienfriedhof in Bredeney Mit ihrer ersten Grablege war der Familie Krupp keine ewige Ruhe vergönnt. Jener Friedhof befand sich vor dem Kettwiger Tor der mittelalterlichen Stadt, wo in den 1950er Jahren die Trasse der Autobahn A 40 den Hauptbahnhof tangieren sollte. Daraufhin wurden die verschiedenen Gräber nach Bredeney verlegt. Das Grabmal von Alfred Krupp dominiert den privaten Bereich auf dem öffentlichen Friedhof. Unscheinbar sind dagegen die Grabplatten des Firmengründers Friedrich Krupp (1787–1826) sowie seiner Frau Therese Johane Helene Wilhelmi (1790–1850). Ihr kompletter Geburtsname wird zwar auch auf dem Grabstein genannt, aber in buchstäblich erster Reihe ist sie „Frau Friedrich Krupp“! Deilbachtal Die Kulturlandschaft Deilbachtal veranschaulicht die Anfänge der Industrialisierung im Ruhrgebiet. 1550 wird der Kupferhammer gegründet, den das Wasser des Deilbachs antreibt und auch die Gründung des Deilbachhammers wird im 16. Jahrhundert vermutet. Oberflächennahe Steinkohle und Holzkohle aus den Wäldern werden zunehmend gewonnen und vermarktet, dabei profitiert man von der Schiffbarmachung der Ruhr ab 1770. Kleine Zechen entstehen, die im 19. Jahrhundert zum Tiefbau übergehen.


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1831 nimmt Friedrich Harkorts von Pferden gezogene Schmalspurbahn den Betrieb auf. Die Harkort‘sche Pferdebahn diente der Kohleversorgung des frühindustrialisierten Wuppertaler Raumes. Seit 2004 gehören der Kupfer- und der Eisenhammer, die Deiler Mühle und die Hundebrücke zur Route der Industriekultur, 2011 wird die Kulturlandschaft Deilbachtal zum zusammenhängenden Denkmalbereich erklärt. Führungen durch die Kulturlandschaft Deilbachtal: Besucherdienst Ruhr Museum, Tel. +49 (0)201 24681444 Halde Schurenbach Im Norden Essens erhebt sich die Schurenbachhalde über dem südlichen Ufer des Rhein-HerneKanals. Während der untere Bereich der Halde mit Wald bedeckt ist, bietet der Gipfelbereich mit seiner weiten Schotterfläche das Bild einer Mondlandschaft. Wie von einem anderen Stern heruntergefallen, steckt im Gipfel die fast 15 Meter hohe „Bramme für das Ruhrgebiet“ von Richard Serra. Die Vorlage für die Riesenskulptur stammt aus der Stahlverarbeitung: Eine Bramme ist ein überdimensionales „Stahl-Brett“, ein Stahlblock, aus dem dann schmale Bänder gewalzt werden.

Das Hammergebäude des Kupferhammers


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Städtebau des 21. Jahrhunderts: der Krupp-Gürtel

Sehenswertes Krupp-Gürtel Das ausgedehnte Gelände der ehemaligen Gussstahlfabrik Friedrich Krupp AG westlich des mittelalterlichen Stadtkerns – der heutigen City – zeigt bilderbuchmäßig den Strukturwandel des Ruhrgebiets. Auf seinen 230 Hektar wird der „Krupp-Gürtel“ ein Stadtviertel der Zukunft werden. Der Konzern ThyssenKrupp hat seine Hauptverwaltung von Düsseldorf hierher verlegt und bietet im ThyssenKrupp Quartier ca. 2.000 Arbeitsplätze. Nicht nur Arbeiten, auch Wohnen und Erholen gehören zu den Funktionen des neu gestalteten Gebiets. Schon im ersten Bauabschnitt begann man deshalb mit dem Krupp-Park, der mit seinen 22 Hektar die grüne Lunge in der aktuellen Stadtentwicklung darstellen soll. Als „Park der fünf Hügel“ ist er mit seinem wachsenden Freizeitangebot für Bewohner wie Besucher Essens interessant. Museum Folkwang Dieses Museum genießt unter Kunstfreunden in aller Welt einen vorzüglichen Ruf. Seine Bestände gehen auf die Sammlung des Hageners Karl Ernst Osthaus zurück, von dessen Erben die Stadt Essen 1922 die Kunstwerke kaufte. Berühmte Künstler wie Paul


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Cézanne, Paul Gauguin und Vincent van Gogh brachte Osthaus erstmals in Deutschland an die Öffentlichkeit; nun gehören diese Bilder zu den herausragenden Werken des Essener Museums. Zu den Sammlungsschwerpunkten 19. Jahrhundert und Klassische Moderne (Malerei, Skulptur und Medienkunst) gehört – ebenfalls von Osthaus initiiert – die Abteilung Archäologie, Weltkunst, Kunstgewerbe. In das Museum Folkwang ist ebenso das Deutsche Plakat Museum integriert sowie eine umfangreiche Sammlung Fotografie. Mit dem 2010 eingeweihten Neubau von David Chipperfield besitzt das Museum auch eine architektonische Attraktion. Museum Folkwang Über Nacht Museumsplatz 1, 45128 Essen Tel. +49 (0)201 8845000 Mintrops Stadthotel Öffnungszeiten: Di-So: 10-18 Uhr; Margarethenhöhe Fr: 10-22.30 Uhr, Öffnungszeiten Steile Straße 46 für Sonderausstellungen und 45149 Essen Feiertage auf der Homepage: Tel. +49 (0)201 43860 www.museum-folkwang.de www.mmhotels.de

Kultur und Erlebnis Denkmalpfad Zollverein Durch das ausgedehnte Gelände der Zeche führen verschiedene Denkmalpfade. So kann man auf dem „Denkmalpfad – Schacht XII“ den ehemaligen Weg der Kohle über Tage oder auf dem „Denkmalpfad –Kokerei“ die Arbeitsabläufe der ehemals größten Kokerei Europas kennen lernen. Denkmalpfad Zollverein, Führungen nur nach Anmeldung beim Besucherdienst Denkmalpfad Zollverein unter Tel. +49 (0)201 246810 oder besucherzentrum@zollverein.de

InterCityHotel Essen Hachestraße 10 45127 Essen Tel. +49 (0)201 8218410 www.intercityhotel.com/de/ Essen

Tourist-Information Am Hauptbahnhof 2 45127 Essen Tel. +49 (0)201 19433 www.essen.de


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