ACT - Das Greenpeace Magazin

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01 | März – Mai 2011

Volle Kraft Zurück 25 Jahre nach Tschernobyl verdrängt Europa die Atomgefahr. Österreich ist von Risiko-Reaktoren umzingelt

Sündenfall Fleisch

Schnitzel und Steak ruinieren die Umwelt

Natur geht vor

Finnischer Urwald bleibt unangetastet act

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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser!

Kann man sich an eine Katastrophe jemals gewöhnen? Sie vielleicht sogar verdrängen oder vergessen? Für jene, die unmittelbar davon betroffen sind, ist das schwierig. Vor 25 Jahren explodierte das Atomkraftwerk von Tschernobyl – alles, was die zahllosen Opfer bis heute tun können, ist, die Folgen zu ertragen.

Man möchte meinen, dass die Ereignisse vom 26. April 1986 eines unmissverständlich gezeigt haben: Atomenergie beinhaltet ein niemals auszuschließendes Sicherheitsrisiko. Angesichts der katastrophalen Folgen im Falle eines Unfalls sollen und dürfen Mensch und Umwelt nicht durch diese Risikotechnologie gefährdet werden. Doch heute werden in Europa wieder fleißig Kernreaktoren geplant und gebaut – einige der besonders gefährlichen AKW stehen rund um Österreich. Greenpeace wird so lange gegen die Sackgasse Nuklearenergie kämpfen, bis auch der letzte Reaktor abgedreht ist – die Atomkraft ist kein Faktum, mit dem man sich bis in alle Ewigkeiten abfinden muss (ab Seite 8)!

finden, befasst sich mit Ein weiterer Schwerpunkt, den Sie in diesem dem Thema Fleischkonsum. Neben dem Tierleid in der Massentierhaltung ist die Umweltbilanz von Fleisch schlichtweg desaströs. Im Interview mit Jonathan Safran Foer, Autor des Bestsellers „Tiere essen“, und einem Bericht über die Auswirkungen unserer Ernährungsgewohnheiten können Sie ab Seite 13 lesen, warum der Verzicht auf Fleisch das Beste ist, was jeder Einzelne für die Umwelt tun kann. Mit herzlichen Grüßen,

Birgit Bermann, Chefredakteurin

IMPRESSUM Medieninhaber, Verleger und Herausgeber: Greenpeace in Zentral- und Osteuropa, Fernkorngasse 10, 1100 Wien; Tel. 01/54 54 580, www.greenpeace.at Spendenkonto: P.S.K. 7.707.100, www.greenpeace.at/spenden Redaktion: Birgit Bermann (Chefredak­tion), Brigitte Bach, Lisa Begere, Clemens Behrendt, Antje Helms, Bernhard Obermayr, Niklas Schinerl, Claudia Sprinz, Philipp Strohm, Jurrien Westerhof E-Mail: act@greenpeace.at Bildredaktion: Georg Mayer Artdirektion: Karin Dreher Illustration: Karin Dreher Fotos: Greenpeace, Georg Mayer Lektorat: Johannes Payer Anzeigen­gestaltung: Florian Bolka Druck: Niederösterreichisches Pressehaus erscheint viermal jährlich auf 100-%-Recyclingpapier. Ab einer Jahresspende von € 40 wird Ihnen gratis zugesandt. Die nächste Ausgabe erscheint im Juni 2011.

CoverFoto: © Jo Roettgers/GP Fotos: © GP/Georg Mayer,,© Nicolas Chauveau/GP, © Ricardo Funari/Lineair, © Paul Hilton/GP

Dass sich ausdauernder Widerstand schlussendlich eben immer auszahlt, haben wir zuletzt wieder in Finnland gesehen. Jahrelang hat Greenpeace dort für die Rettung eines Urwaldes kampagnisiert. Die Gegner waren die finnische Holz- und Papierindustrie, nicht gerade kleine Kontrahenten. Doch am Ende haben Greenpeace und der Urwald gewonnen. Wie das gekommen ist, können Sie auf Seite 16 nachlesen.


Inhalt 13 04 In Aktion 06 Versteckte Krankmacher 08 Strahlende Nachbarn 12 Demokratieverst채ndnis der EU am Pr체fstand 13 S체ndige Fleischeslust 14 Im Gespr채ch mit Jonathan Safran Foer 16 Am Ende steht die Urwaldrettung 17 Kommentar 18 Klima auf Wanderschaft 20 Tatort Pazifik

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Kohlekraft: Gemeinsam für eine saubere Energieversorgung

Europas Fischereipolitik: Aktivisten machen mit Schiffsattrappe gegen die Plünderung der Meere mobil Obwohl bereits 90 Prozent der Speisefischbestände in den EU-Meeren überfischt sind, wird weiterhin Kurs auf viel zu hohe Fangquoten und Fischereisubventionen genommen. Greenpeace sieht als einzige Lösung die radikale Reform der europäischen Fischerei­ politik und eine drastische Reduktion der Fangflotte. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, verschrotteten Aktivisten Mitte Dezember vor dem Brüsseler EU-Rats­ gebäude eine 25 Meter lange Schiffsattrappe und signalisierten dem dort tagenden EUFischereirat, dass es beim Schutz der Meere keine Kompromisse mehr geben darf.

Während seiner „Turn The Tide“-Tour durch Südostasien machte das Greenpeace-Flaggschiff „Rainbow Warrior“ auch Station in der philippinischen Stadtgemeinde Massim und ankerte dort ganz in der Nähe des Standorts eines geplanten Kohlekraftwerks. Dieses würde nicht nur die Gesundheit der Anwohner und die Existenzgrundlage der umgebenden Gemeinden massiv gefährden, sondern auch einen Rückschritt auf dem Weg zu einer friedlichen Energie(r)evolution bedeuten. Für ein einstimmiges „No to coal“ schlossen sich rund 1.000 Dorfbewohner der Schiffscrew an, um ihrer Forderung in überlebensgroßen Buchstaben deutlich sichtbar Ausdruck zu verleihen.

Ungarn: Augen auf! Nicht nur am Tag der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft blickt Greenpeace mit ganz großen Augen – symbolisiert durch 27 Aktivisten aus sechs Ländern – auf Ungarn. Für das erste Halbjahr 2011 fordert Greenpeace vom aktuellen Vorsitzland eine „grüne Führung“ der EUMitgliedsstaaten. Die Themen Emissionsreduktion, Energiewende, Agro-Treibstoffe und Gentechnik sind nur einige der Schwerpunkte, denen auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft oberste Priorität eingeräumt werden muss.

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In Aktion

Atomkraft: Nein danke! Widerstand gegen Castor-Transport erreicht neuen Höhepunkt

Fotos: © GP, © Eric De Mildt/GP, © Horváth József/GP, © GP/Prometeo Lucero, © Martin Storz/Graffiti/GP, © Juda Ngwenya/GP, © Nicolas Chauveau/GP

Seit 30 Jahren rollen die Castor-Behälter mit radioaktivem Müll durch Deutschland. Vergangenen November war es wieder so weit. Der strahlende Konvoi machte sich aus Nordfrankreich kommend auf den Weg ins Zwischenlager Gorleben – und brauchte dafür mit 92 Stunden so lange wie nie zuvor in der Geschichte der CastorTransporte. Zehntausende Atomkraftgegner hielten die Einsatzkräfte und das ganze Land mit friedlichem Widerstand ein Wochenende lang in Atem. Ausgefeilte Blockadepläne brachten den Castor-Transport immer wieder zum Stehen. GreenpeaceChef Kumi Naidoo war ebenso wie zahlreiche Greenpeace-Aktivisten an vorderster Front mit dabei, um dem Atom-Wahnsinn endlich Einhalt zu gebieten. Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Protest gegen die Castor-Transporte von immenser Bedeutung – denn kippen die Atommülllager, dann ist es auch mit dem Betrieb von Atomkraftwerken schnell vorbei!

KlimaFlüchtlinge: Suche nach einem neuen Zuhause

ResSourcen: Stopp der weltweiten Gier nach Öl Eigentlich hätten die insgesamt 780 Millionen Liter Öl, die monatelang aus dem Bohrleck der Ölplattform „Deepwater Horizon“ ins Meer geflossen sind, ausreichend zeigen müssen, welche unnötigen Risiken hinter den Plänen der Ölindustrie stecken. Doch sieben Monate nach der Katastrophe im Golf von Mexiko kam es bereits wieder zu Lockerungen der auferlegten Restriktionen für Tiefseebohrungen. Grund genug, mit einer spektakulären Protestaktion an die vielen Gefahren zu erinnern: Vier Greenpeace-Aktivisten erkletterten im November die etwa 100 Kilometer von der mexikanischen Küste entfernte Ölplattform „Centenario“ und forderten die konsequente Abkehr vom Ölzeitalter.

Schmelzende Pole in der Arktis und ausgetrocknete Wasserlöcher in Afrika – der weltweite Klimawandel bringt das Leben auf unserem Planeten in starke Bedrängnis. Dies verdeutlichten Greenpeace-Aktivisten während der internationalen Klimakonferenz in Cancún auch in Johannesburg: Heimatlos gewordene „tierische Klimaflüchtlinge“ tauchten über die gesamte Stadt verteilt immer wieder auf und verbreiteten ihre besorgniserregende Botschaft. Die Aktion sorgte mit diesem spielerischen Ansatz für viel Gesprächsstoff in der südafrikanischen Metropole und unterstrich damit den dringenden Handlungsbedarf von Politik und Wirtschaft in der Klimafrage.

Kernenergie: Protest gegen radioaktive Investments Was passiert mit meinem Geld? Antwort auf diese Frage gab Greenpeace allen Kunden der französischen Bank BNP Paribas, die maßgeblich an der Finanzierung von atomaren Projekten beteiligt ist. Der Bau eines AKW an einem erdbebengefährdeten Standort in Indien war Anlass genug, um am Unternehmenssitz in Paris zu protestieren. Wochen zuvor machte Greenpeace bereits bei den von BNP unterstützten French Masters öffentlichkeitswirksam deutlich, dass die Bank nicht nur sehr viel Geld in das Sponsoring von Tennisveranstaltungen fließen lässt.

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Künstliche Gemeinsamkeiten: Es sind die Zusatzstoffe, die dem Kartoffelpüree, dem Hustenzuckerl, der Grießnockerlsuppe, dem Fruchtgummi, den Erdnusssnacks und den Chips (v. l. n. r.) knallige Farben, verstärkten Geschmack und sehr lange Haltbarkeit verleihen. Einige der mit E-Nummern bezeichneten Zusätze in unserem Essen sind gesundheitlich jedoch nicht unbedenklich.

Versteckte Krankmacher Bunte Farben, intensiver Geschmack und ein Ablaufdatum in weiter Ferne – hinter dem schönen Schein unserer Supermarktnahrung stecken Lebensmittelzusatzstoffe mit unerfreulichen Nebenwirkungen für die Gesundheit. Von Claudia Sprinz

Einem industriell erzeugten Nahrungsmittel auf die Sprünge zu helfen ist die Aufgabe einer ganzen Fülle von Lebensmittelzusatzstoffen. Sie verändern deren Aussehen, Geschmack, Beschaffenheit und/ oder die Haltbarkeit. Auf der Zutatenliste von Lebensmittelprodukten sind solche Substanzen entweder mit ihrer Bezeichnung (z. B. Guarkernmehl) oder mit einer E-Nummer (z. B. E 412) zu finden. Bei manchen dieser Stoffe verbergen sich hinter der Bezeichnung natürliche Zusätze wie z. B. das Verdickungsmittel Agar Agar (E 406). Bei anderen handelt es sich um synthetischchemische Präparate, die auf die Gesundheit der Käufer und Käuferinnen problematische Auswirkungen haben können. Hätten Sie gedacht, dass in Supermärkten erhältliche Ostereier bedenkliche Zusatzstoffe enthalten können? Der rote Farbstoff Ery­ throsin (E 127) kann beispielsweise Allergien auslösen. Der gesetzlich erlaubte Zusatzstoff steht zudem im Verdacht, an der Ausbildung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern beteiligt zu sein sowie Nieren- und

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Schilddrüsenstörungen hervorrufen zu können. Neuere Studien konnten hormonelle Effekte nachweisen. In der EU ist Erythrosin mit „gesundheitsschädlich beim Verschlucken“ eingestuft – was bei der nach wie vor erlaubten Verwendung bei Cocktailkirschen vermutlich zumeist geschieht. KonsumentInnen haben es im EDschungel wahrlich nicht einfach. Der Greenpeace-Online-Einkaufsratgeber www.marktcheck.at untersucht regelmäßig Lebensmittel und seit 2005 gefärbte Ostereier. Einer der Kritikpunkte war der Einsatz problematischer Farbstoffe wie etwa Erythrosin. Dank hartnäckigen Einsatzes konnte Greenpeace mehrere Hersteller davon überzeugen, Ostereier ohne gesundheitlich bedenkliche Zusatzstoffe anzubieten. Langsame Gesetzesmühle Gesetzliche Grundlage zur Regelung von Lebensmittelzusatzstoffen in der EU ist die Richtlinie 89/107/EEC. Demnach dürfen Substanzen nur genehmigt werden, wenn sie technisch notwendig sind, die vorgeschlagene Dosis gesundheitlich unbedenklich ist und Ver-

braucherInnen durch ihre Verwendung nicht irregeführt werden. Ist ein Stoff erst einmal erlaubt, ist es in der Regel sehr schwierig, dessen Verwendung wieder einzuschränken oder ihn gar zu verbieten. In der Praxis dauert es oft Jahre, bis der Gesetzgeber auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse reagiert und als Konsequenz die Verwendung solcher Substanzen untersagt. Dabei ziehen zusätzliche Gesetzesbestimmungen, selbst wenn sie kein Verbot aussprechen, für uns alle manchmal sogar positive Veränderungen nach sich. Seit die Kennzeichnungspflicht für Azofarbstoffe (eine Gruppe synthetischer Farbstoffe) mit dem Hinweis „Kann die Aufmerksamkeit von Kindern beeinträchtigen“ gilt, haben viele Hersteller diese Zusatzstoffe innerhalb eines Jahres durch natürliche Farben ersetzt. Dass Lebensmittel­ hersteller verantwortungsbewusst agieren, sich selbstständig über die problematischen Nebenwirkungen von Zusatzstoffen informieren und diese durch unbedenkliche Alternativen ersetzen, bleibt vorerst noch Wunschdenken. Auch deshalb bleibt Greenpeace mit marktcheck.at am

Ball und kontrolliert laufend unterschiedlichste Lebensmittel auf ihre Inhaltsstoffe. Bio kommt mit weniger aus Für konventionelle Produkte sind mehr als 300 Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen, die EU-Bioverordnung erlaubt jedoch nur rund 50. Farbstoffe, Süßstoffe, Stabilisatoren und Geschmacksverstärker sind vollständig verboten. Darüber hinaus sind Lebensmittelzusatzstoffe in Bioprodukten nur in jenen Fällen erlaubt, in denen die Produkte ohne die betreffenden Stoffe weder hergestellt noch haltbar gemacht werden können. Die Richtlinien einiger Bioanbauverbände, wie z. B. Demeter, sind strenger und erlauben nur einige Dutzend Zusatzstoffe. Doch auch unter diesen befinden sich Stoffe, die nicht als unkritisch eingestuft werden können. Ein Beispiel ist das Verdickungsmittel Guarkernmehl oder E 412, das für fertige Salate, fertige Saucen, Brot, Backwaren und Eiscreme verwendet wird. Es steht im Verdacht, allergische Reaktionen auszulösen, und kann in größeren Mengen zu Blähungen und Bauchkrämpfen führen. Es gibt zudem


E-Nummer Bezeichnung (Azo-)farbstoffe

E 102 Tartrazin E 104 Chinolingelb E 110 FD&C Yellow Nr. 6, Gelborange S, Sunsetgelb FCF E 122 Azorubin, Carmoisin E 123 Amaranth E 124 Cochenillerot A, Ponceau 4R E 127 Erythrosin E 128 Rot 2g E 129 Allurarot E 151 Brillantschwarz BN, Schwarz PN E 154 Braun FK (Gemisch aus sechs Farbstoffen) E 155 Braun HT E 180 Rubinpigment, Litholrubin BK Konservierungsmittel

E 201 Natriumsorbat E 216 Propyl-p-hydroxybenzoat, PHB-propylester E 217 Natriumpropyl-p-hydroxybenzoat, PHB-propylester, Natriumsalz E 220 Schwefeldioxid E 221 Natriumsulfit E 222 Natriumbisulfit, Natriumhydrogensulfit E 223 Natriumdisulfit, Natriummetabisulfit E 224 Kaliumsulfit, Kaliumdisulfit, Kaliummetabisulfit E 226 Calciumsulfit E 227 Calciumhydrogensulfit, Calciumbisulfit E 228 Kaliumbisulfit, Kaliumhydrogensulfit E 230 Biphenyl, Diphenyl E 231 Orthophenylphenol

Fotos: © GP/Georg Mayer

Hinweise, dass es bei Soja-Allergikern zu Kreuzreaktionen durch Guarkernmehl kommen kann. Selbst sind die KäuferInnen Auf dem Greenpeace-Portal marktcheck.at gibt es die Möglichkeit, sich detailliert über Lebensmittelzusatzstoffe zu informieren. In der umfangreichen Datenbank sind Bezeichnungen, E-Nummern, Anwendungsbereiche, mögliche Nebenwirkungen sowie die Einstufung gemäß einem Ampel-Bewertungsschema zu finden. Produkte mit als „Rot“ eingestuften Zusatzstoffen sollten Sie im Supermarktregal stehen lassen. In der nebenstehenden Tabelle finden Sie eine Übersicht über diese mit „Rot“ (ungenügend) klassifizierten Zusatzstoffe. Die Liste gibt es auch online – ausgeschnitten oder ausgedruckt ist sie ein idealer und verlässlicher Einkaufsbegleiter im E-Nummern-Dschungel.

Bitte meiden!

Grundsätzlich gilt immer: Je aufMit dieser wändiger ein Produkt verarbeitet und je länger es haltbar ist, desto Tabelle lassen sich Lebenswahrscheinlicher enthält es Zusatzmittel auf stoffe. Und das können Sie tun: besonders Falls Ihr Lieblingsprodukt gesundbedenkliche heitlich bedenkliche Stoffe enthält, Zusatzstoffe kontaktieren Sie den Hersteller und überprüfen. fordern Sie ihn dazu auf, diese Sub­ Hersteller stanz durch harmlose Zutaten zu ermüssen auf setzen. Bevorzugen Sie saisonale, ihren Produkwenig verarbeitete Biolebensmittel ten entweder aus Ihrer Region. Damit werden die E-Nummer nicht nur unerwünschte Zusatzoder den stoffe vermieden, sondern durch die Namen des umweltfreundliche Herstellung, die Zusatzstoffes Vermeidung energieaufwändiger angeben. Verarbeitungsprozesse und unnötiger Transportwege wird auch ein wichtiger Beitrag für den Klimaschutz geleistet. n Weiterführende Infos finden Sie unter: http://marktcheck.greenpeace.at

E 232 Natriumorthophenylphenolat E 233 Thiabendazol E 284 Borsäure E 285 Natriumtetraborat, Borax Antioxidationsmittel

E 310 Propylgallat E 311 Octylgallat E 312 Dodecylgallat E 320 Butylhydroxyanisol (BHA) E 321 Butylhydroxytoluol (BHT) Säureregulator

E 510 Ammoniumchlorid (Salmiak) Geschmacksverstärker

E 620 Glutaminsäure E 621 Natriumglutamat, Mononatriumglutamat E 622 Monokaliumglutamat E 623 Calciumdiglutamat E 624 Monoammoniumglutamat E 625 Magnesiumdiglutamat SüSSstoff

E 952 Cyclamat, Cyclohexansulfamidsäure, Natriumcyclamat, Kaliumcyclamat

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Strahlende Nachbarn

Atomenergie ist hoch gefährlich, teuer und längst überholt. Dennoch steht die Risikotechnologie vor einem Comeback. Zahlreiche Reaktoren rund um Österreich sind geplant – doch die Regierung legt die Hände in den Schoß. Greenpeace wird wieder an vorderster Front gegen den Atom-Wahnsinn kämpfen. Von Niklas Schinerl

Am 26. April 1986 sollte im Block 4 des Reaktors Tschernobyl ein Experiment über die Sicherheitsvorkehrungen bei simuliertem Stromausfall durchgeführt werden. Konstruktionsfehler und menschliches Versagen lösten eine Kettenreaktion aus, die zum schlimmsten anzunehmenden Unfall, dem Super-GAU, führte – der Reaktor samt radioaktivem Inhalt explodierte. Zehn Tage brannte das AKW, und nur die lebensgefährliche Arbeit der Einsatzkräfte verhinderte eine noch größere Katastrophe. Sie führten die notwendigen De­ kontaminierungsarbeiten durch und bauten den Sarkophag, der bis heute die Ruine des Blocks 4 umschließt. Die Auswirkungen dieser Katastrophe sind bis heute schwer abzuschätzen, da die meisten Todesfälle infolge der Verstrahlung als Spätschäden wie Krebserkrankungen und Im­ munschwächekrankheiten auftreten. Schätzungen gehen dabei von bis zu einer Viertelmillion Opfer aus.

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Tschernobyl hat den Umgang mit der Atomkraft in vielen Ländern über Jahre entscheidend geprägt und den blinden Glauben an die „saubere Nuklearenergie“ nachhaltig zerstört. Doch der Reaktorunfall in Tschernobyl ist kein Einzelfall, sondern die Spitze eines Eisbergs. So ist das Gebiet um die russische Stadt Majak der meistverstrahlte Ort der Welt. Der Unfall liegt ein halbes Jahrhundert zurück, als ein riesiger Tank mit radioaktiven Restflüssigkeiten explodierte. Mehr als eine Viertelmillion Menschen wurden verstrahlt. Unfälle in Atomanlagen beschränken sich aber nicht nur auf veraltete Ostreaktoren, wie die Unfälle in Three Mile Island in den USA oder in Japan ­zeigen. 25 Jahre nach Tschernobyl scheinen die schrecklichen Bilder, die berechtigten kollektiven Ängste und die wissenschaftlichen Warnhinweise auf die Langzeitfolgen in Vergessenheit zu geraten. Die großen Ener-

giekonzerne versuchen mit allen Mitteln, die für sie rentable Atomkraft zurück auf den Energiemarkt zu bringen. Und viele Regierungen in Europa scheinen für das Drängen der Atomlobby ein offenes Ohr zu haben. Die Laufzeitverlängerung in Deutschland, der Ausbau des AKW Mochovce nur 150 Kilometer von Wien entfernt oder der vom italie­ nischen Regierungschef Berlusconi ­geplante Wiedereinstieg Italiens in die Atomenergie sind nur einige ­Beispiele für die drohende Atom-­ Renaissance. Viele Gefahrenpotenziale Atomenergie ist und bleibt eine Risikotechnologie, denn Probleme im Sicherheitsbereich haben bis heute System. Atomkraftwerke sind mit hohen Kosten verbunden, aber das Interesse der Energiekonzerne liegt vorrangig in der Maximierung ihres Profits. Zahlreich sind daher die Beispiele, bei denen die Sicherheitsvor-

Fotos: © Andrew Kerr, © GP/Waltraud Geier, © Paul-Langrock.de

Bis heute ist die Zahl der Opfer und der Betroffenen des Super-GAUs von Tschernobyl nicht endgültig geklärt – Schätzungen gehen von einer Viertelmillion Menschen aus. Eine Greenpeace-Aktion erinnert an die Katastrophe (r.). Die Reaktorexplosion hat eindringlich gezeigt, dass Atomenergie eine Risikotechnologie ist und bis in alle Ewigkeit bleibt. Für den Atommüll, der 250.000 Jahre hochradioaktiv bleibt, gibt es keine Lösung (l.). Dennoch werden weiter Atomkraftwerke geplant, gebaut und betrieben (großes Bild).


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Bei einem atomaren Störfall in einem grenznahen Atomkraftwerk könnten weite Teile Österreichs durch radioaktiven Fallout verseucht werden. Ausschlaggebend ist dabei weniger die Entfernung als vielmehr die aktuell vorherrschende Wetterlage. Fallout-Studien, wie hier bei Temelin, werden mit einem Stichtag berechnet. Bei einer Verstrahlung wie in der dunkelroten Kernzone (über 1.480 kBqm) wurde beim Super-GAU von Tschernobyl die Bevölkerung abgesiedelt. Im hellgrünen Bereich ist von einer mehrjährigen schweren Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Nutzbarkeit auszugehen. In allen farbigen Zonen ist mit einer schweren Kontaminierung zu rechnen.

Steuergeld für Atomenergie Aber die Sicherheitsfrage ist bei weitem nicht das einzige Argument, das gegen die Atomkraft angeführt werden kann. Die vorgeblich billige Atomenergie ist hoch subventioniert. Greenpeace hat nachgerechnet, dass alleine in Deutschland bereits mehr als 200 Milliarden Euro Steuergelder für die Subventionierung der Atomkraft herangezogen wurden. Ohne steuerliche Begünstigungen würde sich ein Atomkraftwerk bei Konstruktionskosten pro Reaktor von rund fünf Milliarden Euro nicht rentieren. Dabei zahlen die BürgerInnen in erster Linie für die Atommülllagerung und die steuerlichen Vergünstigungen für die Kraftwerksbetreiber. Doch noch nicht genug mit den Minuspunkten: Ein zentraler Aspekt, mit dem sich nicht nur wir, sondern auch die kommenden zehntausend Generationen beschäftigen werden, ist die Frage der Lagerstätten für den Atommüll. Ein solches Lager müsste Sicherheit für rund 250.000 Jahre bieten. Undenkbar, wenn man an die aktuellen Probleme in Atomlagern wie im deutschen Asse oder Gorleben denkt. In Asse traten radioaktive Stoffe bereits nach 40 Jahren aus, das Zwischenlager muss nun für knapp vier Milliarden Euro saniert werden – mit Steuergeldern, versteht sich. Diese Milliardengeschenke hindern die deutsche Bundesregierung

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Grafenrheinfeld

500–1.480 kBqm 185–500 kBqm

Biblis

80–185 kBqm 30–80 kBqm

Philippsburg

NeckarwestHeim

10–30 kBqm

Isar 1

Neckarwestheim 1 In Betrieb seit:

In Betrieb seit: 1972

In Betrieb bis:

In Betrieb bis:

1976 2020 (nach Laufzeitverlängerung, geplant war 2010) Nettoleistung: 785 MW Betreiber: EnBW Kernkraft GmbH Gefahrenpotenzial: Hunderte meldepflichtige Ereignisse bisher. Gebaut auf instabilem Untergrund. 2004 wurde stark kontaminiertes Wasser unbemerkt in den Neckar geleitet. Schwere Unfälle sind bei diesem veralteten Reaktortyp neunmal wahrscheinlicher als bei neueren Anlagen.

2019 (nach Laufzeitverlängerung, geplant war 2011) Nettoleistung: 912 MW Betreiber: E.ON Kernkraft GmbH Grundremmingen Gefahrenpotenzial: Bereits hunderte meldepflichtige Ereignisse. Der Atom­ reaktor liegt inmitten der Einflugschneise eines Flughafens. Mit einer nur sehr dünnen Außenhülle ist er vor äußeren Einflüssen wie dem Absturz eines Kleinflugzeugs kaum geschützt. Isar 1 ist ein veralteter Reaktortyp, schwere Unfälle sind neunmal wahrscheinlicher als bei AKW neueren Typs.

Beznau Gösgen

Bregenz Innsbruck

Mühleberg

aus CDU und FDP nicht, eine Kehrtwende beim geplanten Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie hinzulegen. Die mehr als umstrittene Laufzeitverlängerung beschert den deutschen AKW eine um durchschnittlich zehn Jahre längere Betriebszeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab dem Druck der Lobbykampagnen der großen Energiekonzerne RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW nach. Damit handelte sie gegen den Willen der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, gegen den massiven Widerstand der Opposition, gegen die arbeitsplatzintensive

deutsche Umweltindustrie und gegen die UmweltschützerInnen. Für Österreich bedeutet diese Entscheidung ein großes Sicherheitsrisiko, denn der deutsche Schrottreaktor Isar 1, nur wenige Kilometer von Salzburg entfernt, läuft nun ohne zusätzliche Schutzeinrichtungen über Jahre weiter, obwohl er Ende 2010 bereits hätte abgeschaltet werden sollen. Geforderte Politik Österreich werde diese Laufzeitverlängerung nicht ohne weiteres akzeptieren, hieß es seitens der österreichischen Regierung. Aber es

blieb bei der Worthülse, denn tatsächlich folgte die nackte Tatenlosigkeit. Ein Antrag der Grünen im Parlament, der verschiedene rechtliche Möglichkeiten Österreichs aufzeigte, gegen die deutsche AKW-Laufzeitverlängerung oder gegen Isar 1 vorzugehen, wurde von den Regierungsparteien niedergestimmt. Greenpeace liegt ein Rechtsgutachten vor, das beschreibt, welche juristischen Schritte Österreich gegen die Laufzeitverlängerung einleiten kann. Deutschland hat demnach Artikel 37 des Euratom-Vertrags verletzt, der die Informationspflicht an

Grafik © GP/KArin Dreher

kehrungen genau unter diesem Profitdruck leiden. Österreich ist von solchen Reaktoren umringt: ein Atomkraftwerk mitten auf einer Erdbebenlinie (Krško in Slowenien), ein Reaktor, der mit unterschiedlichen Technologien ohne ein Referenzmodell weltweit agiert und trotzdem keine zweite Schutzhülle hat (Mochovce), oder ein Altreaktor, der nicht gegen einen Flugzeugabsturz geschützt ist, aber mitten in der Flugschneise eines riesigen Flughafens steht (Isar 1 bei München). Das Risiko dafür trägt die betroffene Bevölkerung.

ab 1.480 kBqm


Temelin 1 / 2

Mochovce 1 / 2

2002 / 2002 In Betrieb bis: 2042 / 2043 Nettoleistung: 963 MW / 963 MW Betreiber: EZ (Czech Power Company) Gefahrenpotenzial: Bereits über 90 Störfälle; so auch 2007, wo 2.000 Liter strahlendes Wasser austraten. Laut der Internationalen Atomenergiebehörde handelt es sich um einen sehr problematischen Reaktortyp. Bei einem schweren Unfall mit Kernschmelze kann ein Austritt von radioaktivem Material durch die Bodenplatte nicht ausgeschlossen werden.

In Betrieb seit:

1998 / 1999 / 2030 Nettoleistung: 436 MW / 436 MW Betreiber: Enel/Slovenské elektrárne Gefahrenpotenzial: Unzureichender Schutz vor radioaktivem Austritt aufgrund fehlender Schutzhülle. Das rund 150 Kilometer von Wien entfernte AKW wird als das gefährlichste Europas eingestuft. Zwei weitere Reaktorblöcke veralteter Technik sind seit den 1980erJahren in Bau, derzeit läuft die Fertigstellung. Keine vollständige Anpassung an modernere Systeme möglich.

In Betrieb seit:

Temelin

In Betrieb bis: 2028

Dukovany

Isar Mochovce Bohunice

Linz St. Pölten

Eisenstadt

Salzburg

Krško 1983 In Betrieb bis: 2023 Nettoleistung: 666 MW Betreiber: Nuklearna elektrarna Krško Gefahrenpotenzial: Krško liegt inmitten eines Erdbebengebietes. Beim Bau wurde die seismische Aktivität in der Region unterschätzt und daher vernachlässigt. Der Reaktor liegt 100 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. In Betrieb seit:

die Kommission behandelt. Diesen juristischen Umstand auszunützen wäre die Gelegenheit für Österreich, seiner Anti-Atom-Politik europaweit mehr Gehör zu verschaffen, Druck aufzubauen, die Europäische Kommission damit zu befassen oder ein Vertragsverletzungsverfahren zu fordern. Lediglich – passiert ist nichts. Dass es daran liegen könnte, dass der ehemalige ÖVP-Parteichef und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Aufsichtsrat des Atomkonzerns RWE sitzt, der massiv von der Laufzeitverlängerung profitiert, wollen wir ja auf gar keinen Fall glau-

Wien

Graz

Paks

Krško

ben – zumindest solange uns keine geheimen Telefonprotokolle vom Gegenteil überzeugen. Angesichts solcher Tatsachen ist es nicht weiter verwunderlich, wenn österreichische AtomgegnerInnen fordern, dass Österreich aus dem Eu­ ratom-Vertrag aussteigt. Millionen Euro an Steuergeldern fließen über dieses Vertragswerk in die Forschung und Weiterentwicklung der Atomenergie, obwohl Österreich kein Interesse an einem Ausbau der Atomenergie hat. Greenpeace engagiert sich europaweit gegen neue Atomkraftwerke, aber auch darüber hin-

aus. Für Greenpeace könnte die österreichische Regierung in dem Kampf, neue AKW zu verhindern, ein wichtiger Verbündeter sein. Doch Österreichs Vertretung im Euratom zeigt sich in den letzten Jahren alles andere als kämpferisch. Im Gegenteil: Die österreichische Anti-AtomPolitik begnügt sich damit, Initiativen lediglich zu Hause groß anzukündigen, ohne auf internationaler Ebene Taten folgen zu lassen. Greenpeace wird daher in den kommenden Monaten schwerpunktmäßig daran arbeiten, die heimische Politik wieder zu einer tatsächlichen Anti-

Atom-Politik zu bewegen und sie aus ihrem gefährlichen Dornröschenschlaf herauszureißen. Denn die atomare Gefahr kennt keine Grenze, und um erfolgreich gegen die deutsche Laufzeitverlängerung anzukämpfen und den Ausbau von Mochovce und Krško zu verhindern, braucht es ausdauernden und entschlossenen Widerstand! n Werden Sie mit Uns aktiv! Näheres zu unserem AntiAtom-Schwerpunkt und was Sie tun können, unter http://atom.greenpeace.at

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Greenpeace hat das neue Recht für eine europäische Bürgerinitiative sofort genützt und eine Million Unterschriften gegen die Gentechnik an den zuständigen Kommissar John Dalli übergeben (r.). Ein 380 Quadratmeter großes 3-D-Straßen­bild zog parallel zum offiziellen Termin im Kommissionsgebäude die Aufmerksamkeit auf sich (l.).

Demokratieverständnis Der EU am Prüfstand Greenpeace hat die erste europäische Bürgerinitiative zum Thema Gentechnik eingebracht. Nun muss die Kommission nach geltender Rechtsprechung eigentlich Lösungen erarbeiten – versucht aber stattdessen, das demokratische Grundrecht auszuhebeln.

Wenn man genau hinschaut, kann man zeitweise wirklich den Glauben an das europäische Projekt verlieren – aber eben nur zeitweise. Denn es gibt Entwicklungen, die Hoffnung geben. Hoffnung auf einen Staatenverbund, der von den Menschen getragen wird und nicht nur von den Lobbyisten der großen Unternehmen. Ein Staatenverbund, der sich der Idee der … wie hieß das gleich noch? … ah, Demokratie verschrieben hat. In den Vertrag von Lissabon wurde das Instrument der Bürgerinitiative – eine Art Volksbegehren – aufgenommen. Sie soll den Menschen Europas die Möglichkeit zur direkten Einflussnahme geben. Wenn nämlich eine Million BürgerInnen aus verschiedenen Ländern Europas diese unterzeichnen, können sie die Europäische Kommission dazu zwingen, zu einem bestimmten Thema Lösungen auf den Tisch zu legen. Das ist ein enormer demokratischer Fortschritt – doch er existiert bislang nur auf dem Papier.

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Greenpeace hat dieses neue Recht sofort wahrgenommen. Im Mai 2010 starteten wir zusammen mit der internationalen NGO Avaaz eine europaweite Petition, die sich gegen die verantwortungslose Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen richtet. Wir fordern die Kommission darin auf, für eine bessere Risikoanalyse bei Zulassungen zu sorgen. Die bisherigen Regeln sind zu weich und werden außerdem oft nicht eingehalten. Nur deshalb konnte die manipulierte Kartoffel „Amflora“ der Firma BASF im Frühjahr 2010 eine Zulassung erhalten. Schon bald knackte die Petition die entscheidende Marke von einer Million Unterschriften, und wir konnten die erste Bürger­ initiative in der Geschichte der EU an die Kommission übergeben. Die Medien berichteten in vielen Ländern, und eines wurde wieder sehr deutlich: Die Mehrheit der Menschen in Europa will keine Gentechnik – weder auf dem Feld noch auf dem Teller! Die Europäische Kommission geriet in Zugzwang und rea-

gierte höchst undemokratisch. Der zuständige Gesundheitskommissar John Dalli wollte die eine Million Unterschriften nicht als offizielle Bürgerinitiative anerkennen. Er begründete seine Aussage damit, dass noch nicht alle erforderlichen Details für eine Bürgerinitiative festgelegt worden waren. Netter Trick, Herr Dalli, aber das wird nicht reichen. Recht auf Mitsprache Es ist richtig, dass zum Zeitpunkt, als die Petition gestartet wurde, noch nicht alle Details festgelegt worden waren. Es ging hierbei zum Beispiel um die Frage, aus wie vielen Ländern der EU die Unterschriften kommen müssen. Es ist aber auch richtig, dass das grundsätzliche Recht zu einer Bürgerinitiative bereits im Vertrag von Lissabon beschlossen wurde, und das ist aus unserer Sicht entscheidend. Denn was hieße das sonst – die Menschen sollen ihr neu festgeschriebenes Recht auf Mitsprache gleich wieder verloren haben, nur weil die Kommission

ihre Hausaufgaben nicht erledigt hat? Bislang steht hier Rechtsmeinung gegen Rechtsmeinung. Inzwischen wurden die genauen Spielregeln für eine Bürgerinitiative festgelegt, und unsere Petition erfüllt sie alle. Jetzt dürfte es also für die Kommission keine Ausreden mehr geben – doch wer weiß, was sich Kommissar Dalli dieses Mal einfallen lässt, um den GentechnikLobbyisten ihren Weg zu bereiten. Die erste europäische Bürger­ initiative wird demnächst mit einer Anhörung das EU-Parlament beschäftigen. Erst dann wird fest­ stehen, wie es mit der GentechnikPetition weitergeht. Klar ist aber schon jetzt: Die Kommission steht unter Druck. Sollte sie die Petition weiterhin nicht als offizielle Bürgerinitiative anerkennen, behält sich Greenpeace rechtliche Schritte vor. Denn es geht hierbei nicht „nur“ um Gentechnik in Lebensmitteln, sondern auch um unser aller demokratisches Grundrecht auf Mitbestimmung. n

Fotos: © GP/John Novis, © GP/Georg Mayer

Von Philipp Strohm


Sündige Fleischeslust Billiges Fleisch hat einen hohen Preis. Nicht nur die Tierquälerei in der Massentierhaltung, auch die bei der Produktion verursachten Umweltschäden überschreiten jede akzeptable Grenze. Von Birgit Bermann

Das Steak am Teller ist ein Klimakiller: Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch belastet die Umwelt so stark wie eine 250 Kilometer lange Autofahrt.

„Nichts ist so unwiderstehlich wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Das Viktor Hugo zugeschriebene Zitat ziert als Rezension den Einband des Bestsellers von Jonathan Safran Foer (>> Interview Seite 14/15) – und prophezeit dem Vegetarismus das Potenzial, eine Wandlung vom Minderheitenprogramm zum Mainstream zu durchlaufen. Foer hat ein Sachbuch über ein Thema geschrieben, das an sich eher nicht für begeisterte Massenlektüre taugt und dennoch ein Verkaufsschlager wurde: „Tiere essen“, so der schlichte Titel, dreht sich um des Menschen Lust am Fleisch und die Auswirkungen, die wir als Esser in Kauf nehmen: Milliarden grausamst behandelter und gequälter Tiere, ­massive Emissionen von Treibhausgasen für die Fleisch­ erzeugung, Grundwasserverschmutzung durch Abermillionen Tonnen Fäkalien aus Tierfabriken, Urwaldabholzung für die Futtermittelerzeugung und die Verschärfung der weltweiten Hungerproblematik durch die Verfütterung von immer mehr Getreide, Mais und Soja an immer mehr Nutztiere. Laut UNO ist die Viehhaltung einer der zwei bis drei wichtigsten Verursacher der aktuell signifikantesten Umweltprobleme. Am Anfang der industriell erzeugten Schnitzel, Koteletts und Hühnerhaxen stand laut Foer ein Irrtum. 1923 erhielt die amerikanische Farmerin Cecilia Steele 500 Küken geliefert – statt der 50, die sie bestellt hatte. Sie entschied sich dafür, alle zu behalten. Drei Jahre später hatte sie bereits 10.000 Hühner in ihrem Stall, eine weitere Dekade darauf 250.000. Aus dem Irrtum ist die Regel geworden. 99 Prozent des am amerikanischen Markt konsumierten Fleisches stam-

men aus Tierfabriken, die Zahlen für Deutschland und Österreich liegen geringfügig darunter. Ein durchschnittlicher deutscher Fleischesser verspeist in seinem Leben 7,4 Tonnen Fleisch, ein durchschnittlicher Amerikaner bringt es auf 21.000 verzehrte Tiere. Um diese gewaltige Menge an Fleisch möglichst billig in Supermärkten, Wirtshäusern und Döner-Buden abzuliefern, ist eine Industrie entstanden, die je nach Schätzung für 18 bis 51 (!) Prozent der weltweit emittierten Treibhaus­ gase verantwortlich ist. Die desaströse Klimabilanz setzt sich aus CO2-Emissionen durch die Abholzung von Urwäldern für die Gewinnung von Weide- und Ackerland, der Herstellung von Stickstoffdünger und dessen massivem Einsatz im Futtermittelanbau und dem Ausstoß von Methan, einem hochaggressiven Treibhausgas aus den Mägen von derzeit 1,5 Milliarden Rindern, zusammen. Würden die Amerikaner pro Woche nur auf eine einzige Fleischmahlzeit verzichten, hätte das für die Umwelt den gleichen Effekt, wie wenn fünf Millionen Autos weniger unterwegs wären. Eine „Hätte-wäre“Rechnung – aber eine eindrucksvolle. Hunger auf immer mehr Während in westlichen Industrieländern der Appetit auf Fleisch auf hohem Niveau stagniert (in Österreich werden pro Kopf und Jahr etwa 67 Kilo verspeist), drängen in den Schwellenländern hunderte Millionen neu in die Mittelklasse aufgestiegene Bürger an die Futtertröge der Fleischindustrie. Allerdings stehen schon jetzt auf einem Drittel der Landfläche des Planeten Nutztiere, und ein Drittel der weltweiten Getreideernte landet bereits in Tiermägen. Es ist also an der Zeit, etwas zu tun. Oder wie Jonathan Safran Foer es ausdrückt: „Sobald wir unsere Gabeln heben, beziehen wir Position.“ n

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„Je mehr man darüber nachdenkt, desto weniger will man es“ Jonathan Safran Foer hat vermutlich mehr Menschen zum Fleischverzicht bewegt als jedes Schockvideo aus bat den Autor des Massentierhaltungsbetrieben. Bestsellers „Tiere essen“ zum Gespräch. Interview Birgit BermanN

wenn sich die Information verbreitet. Ich kenne viele Vegetarier, denen es nicht um die Tiere geht, sondern die wegen der UmVom Umweltstandpunkt betrachtet ist welt oder der weltweiten Hungerproble­ Fleisch eine Katastrophe. Die Tierzucht matik auf Fleisch verzichten. produziert mehr Treibhausgase als alles Wie problematisch sind andere Tierandere zusammen – mehr als alle Flug- produkte wie Milch, Käse und Eier? zeuge, Autos, Schiffe, Glühbirnen und Vom Umweltstandpunkt betrachtet sind Kohlekraftwerke gemeinsam. Die Fleisch- sie nicht ganz so zerstörerisch, bei den produktion ist für Urwaldabholzung und Tierrechten sieht es hingegen noch Luft- und Wasserverschmutzung verant- schlimmer aus. Ich esse diese Produkte, wortlich. Wenn wir so weiterfischen wie weil es einfach ist, und ich wünschte mir, bisher, dann gibt es 2048 keinen einzigen ich würde es nicht tun. Ich esse allerdings wilden Fisch mehr. Das bedeutet nicht, nur mehr halb so viel wie früher, und ich dass man beim Sushi dann eine Lachs- kaufe es bei einem Landwirt, den ich kenstatt einer Tunfischrolle bestellt. Oder ne. Wenn man mir jetzt vorwirft, ich wäre dass Fish and Chips doppelt so teuer ist. ein Heuchler: Dann gut! Ich mag diese Es bedeutet, dass es keinen einzigen Diskussion. Viele wollen lieber irgendwo wilden Fisch mehr gibt. Aber wir haben eine Heuchelei entdecken, als zu sagen: den Point of no Return noch nicht über- Wow, du isst nur mehr halb so viel davon schritten. Wir stehen derzeit noch am wie früher – das ist unglaublich! Scheideweg. Aber nicht mehr sehr lange. Die überwiegende Mehrheit der Men-

Massentierhaltung ist ein enormer Umweltverschmutzer. Was passiert, wenn wir weiter so viel Fleisch konsumieren?

Einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten scheint einfacher denn je: Einfach weniger Fleisch essen!

schen lehnt Massentierhaltung ab, sagen sie. Werden sie aufhören, billiges Fleisch zu essen?

Ja, aber stattdessen kaufen sich die Leute Hybridautos für 25.000 Dollar, und die Auswirkung ist dabei viel geringer, als wenn man sich im Restaurant einfach etwas anderes von der Speisekarte bestellen würde. Ich denke, dass die Leute über den Umweltaspekt noch nicht wirklich Be­ scheid wissen. Aber das wird sich ändern,

Wir leben in einer Kultur, wo es akzeptiert ist. Amerikaner zum Beispiel essen 180mal so viel Huhn wie vor einem Jahrhundert. Mit der Verfügbarkeit von so viel ­billigem Fleisch haben sich die Essgewohnheiten geändert. Ich glaube, dass die Leute, die sehr viel Fleisch essen, bald die Frage gestellt bekommen werden, warum

»Vom Umweltstandpunkt betrachtet ist Fleisch eine Katastrophe.« 14 act


Wie argumentieren Produzenten und Konsumenten?

Konsumenten haben keine Argumente, und ich denke, sie sollten das auch nicht müssen. Es sollte ihnen nicht zufallen, wissen zu müssen, was zerstörerisch ist und was nicht. Konsumenten sagen: Ich will Fleisch essen, und es steht zur Ver­ fügung. Ich verurteile niemanden, der Fleisch essen will, ich möchte das selber gerne. Aber ich mache es nicht. Die Industrie sagt: Wir ernähren die Welt, wir geben den Menschen billiges Essen. Aber das stimmt nicht. Sie geben der Welt Fleisch, billiges Fleisch. Wenn sie wirklich die Welt

ernähren wollten, dann würden sie etwas anderes produzieren, denn Fleisch ist unglaublich verschwenderisch. Es braucht eine bis 26 Kalorien, um eine tierische Ka­ lorie zu produzieren. Eine Umweltorga­ nisation hat unlängst die tatsächlichen Kosten eines Hamburgers bei McDonald’s errechnet und sich dabei nur auf die Umweltkosten konzentriert. Das Ergebnis ist 203 Dollar. Wir müssen das vielleicht noch nicht bezahlen, aber irgendjemand wird es eines Tages einmal müssen. Die Dritte Welt zahlt diesen Preis schon heute.

Muss man als Konsument nicht fürchten, sich bald für seinen Fleischkonsum rechtfertigen zu müssen?

Ich glaube, unsere Enkel werden fragen: Warum hast du das gegessen? Die Zeit hat begonnen, wo unser Essen wirklich zu unserer Verantwortung wird. Es wird immer schwieriger werden, sich auf die Unwissenheit zu berufen. Ist Biofleisch eine Alternative?

Interview

sie das tun. Fleisch wird nicht illegal werden, aber unsere Wahrnehmung wird sich ändern. Ich glaube nicht, dass in zehn Jahren 50 Prozent der Europäer Vegetarier sind. Aber dass in zehn Jahren 50 Prozent der Mahlzeiten vegetarisch sind, das könnte möglich sein.

Sie sagen, die Industrie versteckt Fakten. Wie ist es Ihnen bei der Recherche zu „Tiere essen“ ergangen?

Nur das Militär ist geheimniskrämeri­ scher als die Fleischindustrie. Das brau­ chen Sie mir jetzt nicht einfach so glauben, probieren Sie es selber. Nehmen Sie ein Stück Fleisch aus dem Supermarkt, rufen Sie die Firma an, und stellen Sie die sehr vernünftige Frage: Wie wurde das herge­ stellt? Sie können sagen, man hört so viel über Chemie im Fleisch, die Umwelt­schä­ den usw., und Sie sind jetzt einfach neugierig und möchten es gerne sehen. Das werden die nicht zulassen. Um es sehen zu können, musste ich mitten in der Nacht in die Betriebe einsteigen. Nur um herauszufinden, wo mein Essen herkommt. War­ um? Der Industrie ist klar: Je mehr man über Fleisch aus Massentierhaltung nachdenkt, desto weniger will man es essen. Die Industrie ist von unserer Ingnoranz und unserem Schweigen abhängig.

Es gibt gute Betriebe, wo die Leute die Wie haben Sie sich bei diesen ExpeditiTiere besser behandeln als ich meinen onen gefühlt?

»Ich möchte selber gerne Fleisch essen. Aber ich mache es nicht.« zur Person

In seinem Buch „Tiere essen“ beschreibt der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer die Massentierhaltung und ihre gängigen Praktiken – ruhig, sachlich und daher umso eindringlicher. Drei Jahre lang hat Foer für das Buch recherchiert, mit kleinen Bauern und Industriefarmern gesprochen, ist bei Nacht in Massentierhaltungsbetriebe eingebrochen, hat wie besessen Fakten gesammelt und vor allem auch seine eigene Geschichte des Fleischessens samt der Abkehr davon genauestens unter die Lupe genommen. Der 33-jährige Schriftsteller hat in Princeton Philosophie studiert und vor der Veröffentlichung von „Tiere essen“ zwei vielfach beachtete Romane geschrieben. Er ist mit der Schriftstellerin Nicole Krauss verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder und lebt in New York. Die Familie ernährt sich vegetarisch.

Ich hatte schreckliche Angst und wollte es nicht tun. Aber man muss nicht unbe­ dingt in Betriebe einsteigen, um Nachforschungen zu betreiben. Man kann zum Beispiel in ein Restaurant gehen und den Kellner fragen, wo das Essen herkommt. Der Kellner fragt dann den Chef, und der Chef fragt den Einkäufer usw. Je mehr diese Frage gestellt wird, desto klarer und offensichtlicher wird, dass die Antwort von Bedeutung ist. Die Herausforderung ist, dass es nicht nur akzeptierter wird, dass man wissen will, wo das Essen herkommt, sondern auch, dass es inak­ zeptabel ist, nicht zu wissen, wo das Sie gelten dennoch als Optimist. Wie Fleisch herkommt.

Hund. Ich esse es nicht, weil es die Welt nicht ernähren kann. Es ist teuer, die meisten Menschen können sich das nicht leisten. Fair gehaltene Tiere brauchen ei­ nen gewissen Platz, und es ist schon jetzt nicht genug davon da. Fleisch wird immer ein System sein, wo die Gefahr der Umweltverschmutzung groß und Tierleid wahrscheinlich ist. Ich sage nicht, dass ­Essen perfekt sein muss. Aber wir wollen etwas haben, das weniger mangelhaft ist. Und jetzt haben wir das mangelhafteste System überhaupt. Es ist wirklich schwer, sich vorzustellen, wie es noch schlimmer sein könnte, als es jetzt ist. gelingt Ihnen das?

Ich hatte schon einige tausend Gespräche über Fleischkonsum und Massentierhaltung, und noch nie war jemand dabei, dem das alles gleichgültig war. Es gibt viele erns­ te Themen auf der Welt, wo die Menschen unterschiedlicher Meinung sind, aber hier ist es nicht so. Hier glaubt jeder dasselbe, nämlich dass wir ein kaputtes und destruktives System der Fleischproduktion haben. Außerdem wird immer mehr darüber geredet, und viele junge Leute machen sich Gedanken. Deshalb bin ich optimistisch.

Warum ist uns Fleisch so wichtig?

Es ist, wie so oft, eine emotionale Abhängigkeit – und deswegen auch so schwer zu überwinden. Wir haben außerdem die Einstellung, alles haben zu können, und das zu keinem Preis, oder essen zu können, was man will – und denken dabei, dass sich am Ende alles ausgeht. Das wird uns einholen. Es kommt eine Zeit der Entbehrungen auf uns zu. Ich glaube nicht, dass die Leute das Fleischessen aufgeben, aber ich glaube, viele sind bereit, weniger zu essen. n

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Abgeschiedene Wildnis am nördlichsten Zipfel Finnlands: Nur ein intakter Wald liefert den Rentieren im langen und dunklen Winter ausreichend Futter.

Am Ende steht die Urwaldrettung Kalevi Paadar aus Nellim lebt wie seine Vorfahren von der Rentierzucht. Der Hirte gehört den Sami, dem indigenen Volk Finnlands, an. Er streift mit seinem Schneemobil den Spuren der Rentiere folgend durch die Wälder Lapplands. In den langen, dunklen Wintern ernähren sich seine Rentiere von Bartflechten, die nur an Ästen der teilweise jahrhundertealten Bäume wachsen. 500 Kilo Flechten liefert ein Hektar Urwald, nur fünf Kilo ein bewirtschafteter Forst. Finnland trägt mittlerweile nur noch drei Prozent zum Restbestand des europäischen Urwaldes bei. Die fortschreitende Entstehung von eintönigen Forstplantagen ist Grund für die Bedrohung hunderter Tier- und Pflanzenarten. In den Forsten fehlt es an Totholz, dem Lebensraum vieler Nützlinge und Zeichen für einen lebendigen Wald. Bereits kleinere Kahlschläge zerstören den Urwald – zuerst sukzessive, dann unwiederbringlich. Durch die rauen Bedingungen in der

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polaren Region wächst die Vegetation dort extrem langsam – was einmal abgeholzt ist, kann nicht wieder aufgebaut werden. Obwohl sich die finnische Papier- und Holzindustrie als nachhaltig bezeichnet, opfert sie die letzten Reste des Urwalds für Zeitschriften und Verpackungsmaterial. Jahrelang hat Paadar gegen die brummenden Motorsägen in seinem Wald gekämpft. In den 1970er-Jahren begann der staatseigene finnische Forstbetrieb Metsähallitus im großen Stil zu roden und das Gebiet der Sami dadurch Jahr für Jahr zu verkleinern. Paadar sah das Überleben der Rentiere gefährdet und begann mit dem Forstbetrieb zu verhandeln, der jedoch stets weitere Gebiete einforderte. Angesichts des Ernstes der Lage wandte sich der Rentierzüchter an Greenpeace. Bei nächtlichen Temperaturen von bis zu –30°C wurde im Frühjahr 2005 ein „Forest Rescue Camp“ im hohen Norden errichtet

und bezogen. Die Aktivisten liefen mit dem Sami durch den verschneiten Wald, hängten Schilder mit „Achtung! Wichtiger Wald für die Rentierwirtschaft!“ auf und nutzten Hundeschlitten, um den Wald zu vermessen. Nicht alle Dorfbewohner waren begeistert – neben den Hirten leben auch Holzfäller in der Region. Sie errichteten ein „Anti-Terror-Camp“. Bäume wurden gefällt und angezündet, die Feuersirenen liefen in der Nacht, und die Aktivisten wurden mit Schneemobilen eingekreist. Doch Greenpeace blieb und nahm Kontakt zu Unternehmen auf, die an der Rodung beteiligt sind. Nach dem Besuch des Geschäftsführers von Stora Enso, einer Papierfirma, blieb der Forstbetrieb dem Wald fern. Das Camp wurde abgebaut. Kurze Zeit später waren die Motorsägen wieder zu hören. Paadar klagte beim Amtsgericht in Ivalo gegen den finnischen Staat und nach Beratung mit Greenpeace auch beim UN-Men-

schenrechtsrat. „Die Abholzung beeinträchtige die Rentierhaltung und bedrohe so die Kultur der Sami“, lautete deren Einschätzung. Auf Empfehlung der UNO ließ die Forstbehörde ihre Arbeit rund um Nellim vorerst ruhen. Greenpeace blieb weiterhin am Ball – unter anderem mit großangelegten Protestaktionen im Hafen von Lübeck, wo Frachter finnisches Papier nach Deutschland brachten. Heute sind 1.500 Quadratkilometer Urwald, ein Gebiet so groß wie der Wienerwald, vor den Kettensägen der Papierindustrie dauerhaft geschützt. Der langjährige Einsatz von Greenpeace im Verbund mit den Sami hat sich gelohnt. Ein entsprechender Vertrag wurde im Dezember 2010 in Helsinki unterzeichnet. Die genaue Kartografisierung lokalisierte den schützenswerten Wald, in dem in den nächsten 20 Jahren auf Holzeinschlag verzichtet wird. Davon, dass dieser danach wieder aufgenommen wird, geht keine der Parteien aus. n

Foto: © Antti Leinonen/GP, © GP/Kurt Prinz

Jahrelang hat Greenpeace für den Erhalt eines Urwaldgebiets in Lappland gekämpft – und gewonnen. Für die traditionellen Rentierzüchter der Sami ein überlebenswichtiger Erfolg. Von Lisa Begere


Kommentar

Asketen oder Tüftler – Wer rettet die Welt?

Reicht der flächendeckende Einsatz von neuen Technologien, um den Klimawandel noch einzubremsen, oder müssen wir uns auf Wohlstandsverzicht einstellen? Eines vorweg: Es gibt keine schnellen Antworten. Von Jurrien Westerhof

»Ein hoher Energieverbrauch sorgt nicht für mehr Lebensglück.«

Fokussieren wir uns mal auf das Hauptproblem: den Energieverbrauch und die damit verbundenen CO2-Emissionen. Derzeit liegen wir in Österreich bei knappen zehn Tonnen Treibhausgasen pro Person pro Jahr. Zum Vergleich: Ein US-Bürger liegt im Schnitt bei 23 und ein Durchschnitts-Inder bei anderthalb Tonnen. Und diese anderthalb Tonnen sind auch in etwa das, was uns allen zusteht, wenn wir die Kapazitäten der Erde nicht überschreiten wollen. Jetzt denken Sie vielleicht: Ich muss also so leben wie ein Inder – dreimal täglich Reis, baden im Fluss, Rikscha, Lendenschurze – nein danke! Der Gedanke ist verständlich, aber ganz so einfach ist es trotzdem nicht. Denn immerhin liegen wir in Österreich mit unserem Energieverbrauch viel näher am Inder als am Amerikaner. Aber weder sind die Amerikaner viel glücklicher als wir, noch sind wir viel glücklicher als der Durchschnitts-Inder. Denn sobald

man sich über die grundlegenden Lebensbedürfnisse keine Sorgen mehr machen muss, nimmt das Glücks­ niveau kaum noch zu. Ein hoher Energieverbrauch sorgt halt nicht für mehr Lebensglück. Dann gibt es noch was anderes. Mehr als 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauches gehen auf das Konto von Steinkohle, Öl und Gas. Aber nur ein Viertel dessen, was wir von solchen fossilen Energien zutage fördern, wird auch wirklich in die von uns gewünschte Form (meist Strom, Raumwärme oder Fortbewegung) umgewandelt. Drei Viertel gehen verloren – meist als unnütze Abwärme. Und mit der Technik aus dem 20. Jahrhundert ist es oft gar nicht so leicht, daran was zu ändern. Sowohl Automotoren als auch Kohlekraftwerke sind halt wahre Energieschleudern mit einem Wirkungsgrad von meist unter 30 Prozent. Aber gerade hier gibt es interessante Entwicklungen: Elektroautos sind, wenn mit erneuerbarer Energie betrieben, sehr viel effizienter. Und Photovoltaik, also Strom aus der Sonne, steht voraussichtlich vor dem Durchbruch. Viel Energie wird derzeit verschwendet, aber die Technologie des 21. Jahrhunderts kommt zu Hilfe. Viel Sparpotenzial Schauen wir, wie die Situation in Österreich ist. Gerade im Verkehr und bei der Raumheizung wird viel Energie verschwendet. Es kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, dass ein Durchschnittsauto über 1.000 Kilo hat, sieben Liter braucht und gerade mal 1,4 Personen transportiert. Da gibt es viel Energiesparpotenzial –

nur es geht viel zu langsam. Im Wohnbau findet dafür eine kleine Revolution statt – allmählich setzen sich im Neubau Passivhäuser durch, praktisch ohne Heizenergiebedarf. Der Schritt zum Haus als Kraftwerk (mittels Sonnenstrom) ist dann nicht mehr sehr weit. Wenn wir im Verkehr und im Wohnbau alles tun, was möglich ist, um Energie zu sparen, auch sonst die Effizienz steigern und dabei massiv in den Ausbau von erneuerbaren Energien investieren, können wir in Österreich unsere CO2-Emissionen voraussichtlich auf weniger als zwei Tonnen verringern. Und damit wären wir dort, wo die Inder derzeit auch sind – ohne Umstieg auf Rikscha oder Lendenschurze, aber mit neuen Technologien. Billige Verschwendung Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass eine umweltverträgliche Gesellschaft möglich ist, ohne dabei auf Wohlstand zu verzichten – wenn wir die Verschwendung durch ineffiziente Technologien stoppen. Es ist nur oft billiger, Energie zu verschwenden, als Energie zu sparen. Was wir auf jeden Fall nicht tun sollten, ist zuerst mal abzuwarten – denn so viel Zeit haben wir nicht mehr. Und von den Asketen sollten wir uns abschauen, wie man ohne Überkonsum und Verschwendung zufrieden leben kann – damit die Tüftler mehr Spielraum haben. Denn wie Lendenschurzträger Gandhi sagte: Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier. n Jurrien Westerhof ist Energieexperte bei Greenpeace CEE.

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Klima auf Wanderschaft Was tun, wenn der Patient bereits für klinisch tot erklärt wurde und ein Teil der „Trauer“gäste sich schon händereibend auf den Leichenschmaus vorbereitet? Ruhe bewahren und lebensrettende Maßnahmen einleiten! Genau das ist in Cancún mit den internationalen ­Klimaverhandlungen passiert. Wir alle erinnern uns an die hohen Erwartungen, mit denen die Klimakonferenz in Kopenhagen im ­Dezember 2009 überfrachtet war – und an ihr spektakuläres Scheitern. Unmittelbar danach verkündeten die größten Klimasünder wie die USA, Russland und Kanada und die fossile Industrie, dass der UN-­ Prozess tot sei und man im Klimaschutz neue – auf Freiwilligkeit ­basierende – Wege gehen müsse. Gleichzeitig tauchten aus den Tiefen der pseudowissenschaftlichen Kloake, großzügig finanziert von Teilen der fossilen Industrie, auch die Klimaleugner wieder auf und widmeten sich ihrer primär aus Verharmlosung und Lügen bestehenden Arbeit. Als dann in den USA die Republikaner die Kongresswahlen gewannen, schien der Ofen endgültig aus zu sein. Mit Verweisen auf die Bibel („Gott hat Noah versprochen, dass es keine zweite Flut geben wird“)

und der Idee, dass die Regulierung des CO2- Ausstoßes „unamerikanisch“ sei, wird seither die US-Legislative blockiert. Und damit auch der globale Verhandlungsprozess. Wiederbelebung in Cancún Das waren keine günstigen Voraussetzungen für die Klimaverhandlungen im mexikanischen Cancún im Dezember 2010. Trotzdem, oder gerade deswegen, waren die Gespräche so konstruktiv wie seit Jahren nicht mehr. Doch für Euphorie gibt es keinen Grund: Immer noch wurden keine echten Taten gesetzt. Allerdings wurde der Gesamtprozess gerettet. Die Verhandlungen bei der UNO zu belassen garantiert auch kleinen Ländern, wie den hoch betroffenen pazifischen Inselstaaten, ein Mitspracherecht. Die Alternative, dass nur die großen Länder und damit die Verschmutzer miteinander reden, würde die Dominanz ihrer ökonomischen Interessen über die Umweltinteressen nur verstärken. Damit ein globales Klimaabkommens endlich gelingen kann, muss von globaler Ebene ein klares Signal an die nationale Politik und die Wirtschaft gesendet werden, dass Klimaschutz Zukunft bedeutet – und die Zeit der faulen Kompromisse vorbei

Rettet das Klima! Diese eindringliche Botschaft ließ Greenpeace zu Beginn der UN-Klimakonferenz in Cancún über der Ruinenstadt Chichén Itzá aufsteigen (großes Bild). Eine weitere ungewöhnliche Protestaktion fand unter Wasser statt: Aktivisten tauchten zwischen den Statuen einer Kunstinstallation – und symbolisierten die Gefahr steigender Meeresspiegel (r.). Menschen in Entwicklungsländern rauben die Klimakapriolen bereits heute ihre Lebensgrundlage (l.).

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ist. So weit war es in Cancún zwar noch nicht, aber der Prozess stimmt durchaus vorsichtig optimistisch. Die Klimakarawane ist weitergezogen und wird Ende des Jahres in Südafrika Station machen – und laut Planung einen konkreten Vertragsentwurf verhandeln. In vielen Teilbereichen, etwa dem Waldschutz oder der Technologiekooperation, sind Durchbrüche möglich. Auch steht die grundsätzliche Handlungsnotwendigkeit endlich außer Streit. Doch die Integration der USA in ein globales Klimaregime und die Gesamtreduktionsverpflichtungen der Industrieländer bleiben nach wie vor die entscheidenden Knackpunkte. Klimaferkel Österreich Österreich ist in den Klimaverhandlungen übrigens immer noch besonders umtriebig – leider nicht im positiven Sinn. Anstatt sich für die verheerende Klimabilanz zu schämen, wie sie erst jüngst wieder vorgelegt werden musste, fällt die Verhandlungsdelegation regelmäßig durch aggressiven Einsatz für Schlupflöcher auf. Insbesondere bei den Anrechnungsregeln für Waldbestand wird seitens der österreichischen Verhandler fleißig lobbyiert – Seite an Seite mit großen Klimasün-

dern wie Australien oder Russland. Der klimaschädliche Vorschlag lautet: Gemessen und bewertet soll nicht die reale Veränderung des Waldbestandes werden, sondern die Veränderung zu einem fiktiven und selbst gewählten Szenario. Damit könnte jedes Land ein Fantasiemodell als Referenz wählen, die Bilanzen schönen und eine Menge CO2Ausstoß verstecken. Nationale Ergebnisse präsentieren sich dann durchaus ansehnlich – die Treib­ hausgase sind aber trotzdem in der Atmosphäre. Nach den Verhandlungen in Durban steht im Sommer 2012 ein wichtiges Jubiläum an. 1992 wurde bei der historischen UN-Nachhaltigkeitskonferenz in Rio der Grundstein zum internationalen Klimaschutz gelegt. 20 Jahre später wird die brasilianische Metropole erneut Gastgeber einer UN-Klimakonferenz sein – und würde für den Abschluss eines neuen Klimaabkommens den entsprechenden Rahmen bieten. Bis dahin wird der Patient noch überleben. Ob wir dann seine Genesung feiern oder sein Dahinscheiden nach langem, schwerem Leiden betrauern müssen, ist aus heutiger Sicht noch nicht zu prognostizieren. n

Fotos: © Peter Caton/GP, © Jason deCaires Taylor/GP, © Prometeo Lucero

Kopenhagen, Cancún, Durban und Rio de Janeiro sind die Etappen auf dem Weg zu einem globalen Klimaabkommen. Eine Bilanz und ein Ausblick zur Halbzeit. Von Bernhard Obermayr


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Die „Rainbow Warrior“ ist zu ihrer letzten großen Reise aufgebrochen und legt in Ostasien den Grundstein für eine erfolgreiche Fischereikampagne. Der neue Regenbogen wird noch dieses Jahr in See stechen. Von Antje Helms

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Es ist die letzte große Reise für die alte „Rainbow Warrior“ – das ist der Crew an Bord klar, als sie kurz nach Neujahr im Hafen von Keelung auf Taiwan einläuft. Ein Neubau wird das 50 Jahre alte GreenpeaceFlaggschiff noch dieses Jahr er­ setzen. Doch noch mehr als ein ­Abschied ist es ein Willkommen: Zum ersten Mal läuft ein Greenpeace-Schiff in Taiwan ein. Viele Menschen stehen in neonpinken ­T-Shirts am Hafenkai und begrüßen Schiff und Crew mit bunten Fahnen und strahlenden Gesichtern. Unter ihnen sind auch Apple Chow und Yu

Fen Kao. Die beiden Kampaignerinnen arbeiten seit kurzem für Greenpeace in einem der jüngsten Büros. Und sie sind nicht die einzigen neuen Gesichter: Greenpeace hat seine Fischereiarbeit in Ostasien mit sieben Kampaignern in Taiwan, Hongkong, China, Korea und Japan verstärkt. Der Vision einer nachhaltigen Fischerei zusammen mit ausgedehnten Meeresschutzgebieten ist Greenpeace durch hartnäckige Kampagnenarbeit vor allem für den Pazifischen Ozean bereits viele Schritte näher gekommen. Die Inselstaaten

im Pazifik wollen die Gewässer vor ihrer Haustür nicht länger der rücksichtslosen Plünderung durch fremde Fischereiflotten preisgeben. Auch in Europa – auf der anderen Seite des Globus und der Handelskette – hat der Einzelhandel inzwischen das Wort „Nachhaltigkeit“ als Vision für seinen Fischeinkauf angenommen. Doch ein wichtiger strategischer Faktor in der globalen Kette der Überfischung blieb bisher von den Veränderungen unbeeindruckt: die asiatische Fischerei-Industrie mit ­ihren riesigen, weltweit agierenden Flotten.

Fotos: © Sean Gardner/GP (2), © Mannie Garcia/GP, © Todd Warshaw/GP

Tatort Pazifik


»Taiwan kann als große Fischereination ein Vorbild werden. Das ist unser Traum.« Apple Chow, Greenpeace-Kampaignerin

Erfolgreiche Blockade Als die „Rainbow Warrior“ Ende Jänner auf einer weiteren Etappe ihrer Reise in den Hafen von Kaohsiung einläuft, ist es daher wohl mehr als Zufall, dass dort gerade ein taiwanesisches Schiff mit einer langen illegalen Vergangenheit Station macht: der Kühlfrachter „Lung Yuin“. Für Apple und Yu Fen sollte es die perfekte Gelegenheit für die erste Greenpeace-Aktion in Taiwan werden. Frühmorgens blockierten Aktivisten mithilfe der „Rainbow Warrior“ das Auslaufen der „Lung Yuin“. „Kühlschiffe wie die ‚Lung Yuin‘ sind maßgeblich für die Plünderung des Pazifiks verantwortlich. Sie sammeln durch illegale Umladung auf hoher See den Tunfisch von hunderten Langleinen-Schiffen ein. Il­legal gefangener Großaugen- und

FISCH-RATGEBER 2011 www.greenpeace.at/fisch-ratgeber

Essen Sie seltener und bewusster Fisch. Kaufen Sie Fisch aus gesunden Beständen, der mit schonenden Fangmethoden gefangen wurde. Die folgende Liste bietet Ihnen Informationen für die richtige Wahl. Grundsätzlich vertretbar

Die genannten Fischereien und Fangmethoden sind bessere Alternativen beim Fischkauf.

 Nicht vertretbar

Diese Fischbestände werden nicht nachhaltig befischt. Aquakultur ist keine Alternative (es sei denn Bio-Zucht). Ausnahmen von vertretbaren Fischereien/Aquakulturen werden genannt.

 Karpfen Zu bevorzugen: Bio-Aquakultur aus Österreich

Fotos: © Athit Perawongmetha/GP, © Paul Hilton/GP

Die „Rainbow Warrior“ auf dem Weg nach Ostasien zur Ocean Defenders Tour (großes Bild l.). Dort verstärken neue, engagierte KampaignerInnen wie Apple Chow (u. l.) und Yu Fen Kao (u. r.) die Arbeit von Greenpeace zur Fischerei. Das jüngste Greenpeace Büro in Taiwan hat gleich mit zwei Aktionen für einen furiosen Einstand gesorgt: der Blockade des Kühlschiffes „Lung Yuin“ (o.) und einem Tauchgang mit Fischattrappen und der bedrohlichen Frage „Der letzte Tunfisch?“ (u.).

Genau das wollen Apple und Yu Fen jetzt ändern: Die jungen Powerfrauen haben sich nichts Geringeres vorgenommen, als die taiwanesische Fischerei umzukrempeln. Taiwan ist in den letzten Jahren zu einer der einflussreichsten Fischereinationen aufgestiegen und besitzt die größte Tunfischflotte der Welt. Wie Greenpeace-Recherchen ergeben haben, sind 2.593 Schiffe unter taiwanesischer Flagge auf den Weltmeeren unterwegs. Hinzu kommen mehrere hundert Schiffe, die im Besitz taiwanesischer Firmen sind, aber unter sogenannten „Gefälligkeitsflaggen“ anderer Länder fahren, zum Beispiel Vanuatu, Honduras, Panama oder Belize. Verstrickung in illegale Fischerei und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen an Bord sind dabei vielfach belegt. Greenpeace schätzt, dass 70 Prozent der taiwanesischen Flotte völlig unkontrolliert fischen – und zwar weit mehr als die offiziell erlaubten 830.000 Tonnen Fisch jährlich. Laut Wissenschaftlern von der Universität von British Columbia (Kanada) sind bis zu 41 Prozent aller Fischereiaktivitäten in der asiatisch-pazifischen Region illegal.

 Regenbogenforelle/ Bachforelle Zu bevorzugen: Bio-Aquakultur der Regenbogenforelle (O. mykiss) an Land (Vermeidung von Ausbrüchen). BioAquakultur der Bachforelle (S. trutta fario).  Saibling/ Bachsaibling Zu bevorzugen: Bio-Aquakultur aus Österr.  Hering  Herkunft Nordostatlantik: Nordsee, Ärmelkanal, Skagerrak, Kattegat, Südl. Irische & Keltische See, Ostsee mit Stellnetzen  Herkunft Nordwestatlantik: Kanada, Südl. Golf v. St. Lawrence mit Fallen  Makrele  Herkunft Nordostatlantik (Skagerrak, Kattegat, Nordsee, Island, Faröer)  Zander Wildfang oder Bio-Aquakultur mit minimiertem Einsatz von Futter-Fisch aus Wildfang  Wildfang aus Estland, Finnland, Schweden


 Heilbutt  Pazif. Heilbutt (H. stenolepis) gefangen im Nordpazifik (Beringsee, Alaska, British Columbia) mit Grund-Langleinen

MinamiTorishima

Hawaii Wake

Nördliche Marianen

 Kabeljau  Atlantischer Kabeljau (G. morhua) gef. im Nordostatlantik (Barentssee, Norwegische See, Östl. Ostsee, Island) mit Hand-, Langleinen oder Angelrute  Pazif. Kabeljau (G. macrocephalus) gef. im Nordostpazifik (Alaska, Beringsee, Aleuten) mit Grund-Langleinen/Angel/Fallen

Guam Föder. Staaten von Mikronesien

Johnstonatoll

Marshallinseln Kiribati Howland- & Bakerinseln

Palau

Papua-Neuguinea

 Lachs: Pazifischer und Atlantischer  Pazif. Lachs (Oncorhynchus spp.) gef. im Nordostpazifik (Golf von Alaska)

Nauru

Indonesien Salomonen

Australien

 Sardelle/Anchovis  gefangen im Nordostatlantik (Portugiesische Küste, Golf von Biskaya)

Kiribati Tuvalu

 Pangasius  Bio-Aquakultur aus Vietnam in Teichen und Käfigen

 Sardine  gefangen im Südostatlantik (Westafrika) mit Ringwaden/pelag. Schleppnetze

Tokelau CookWallis & Samoa inseln Futuna Amerik.Fidschi Samoa

Vanuatu Neukaledonien Matthew& Hunterinseln

Niue Tonga

Neuseeland

 Neuseeländischer St. Petersfisch  Scholle/Pazifische Scholle/Seezunge  Seehecht  Sprotte  Steinbeißer (Seewolf)  Wittling

Foto: © Greenpeace/Christian Åslund

 Hoki/Blauer Seehecht

Illustration: © Greenpeace/Lizzie Barber

 Tilapia  Aquakultur aus geschlossenen Systemen in den USA

 Dornhai („Seeaal“, „Schillerlocke“)

Linieninseln

Französisch-Polynesien

Von Greenpeace vorgeschlagene Schutzgebiete

 Shrimps/Garnelen  Kaltwassergarnelen (Pandalus borealis) gef. im Nordost- und Nordwestatlantik mit pelagischen Schleppnetzen, Fallen  Kaisergranat (Nephrops norvegicus) gef. im Nordostatlantik mit Fallen

 Alaska-Seelachs (Pazifischer Polar-Dorsch)

Äquator

Hoheitsgewässer der Staaten

 Seeteufel  Lophius americanus gef. im Nord- und Zentralwestatlantik mit Stellnetzen

 Wolfsbarsch (Branzino)  aus Aquakultur in Lagunen und Tanks an Land (Griechenland, Portugal, Ägypten)

Jarvis

10˚ Nord

Norfolk

 Seelachs (Köhler)  gefangen im Nordostatlantik mit Lang-, Handleinen, Ringwaden, Schleppangel

 Tunfisch: Heller Tun (Gelbflossentun, „Yellowfin“), Weißer Tun (Albacore), Blauflossentun  Skipjack (Katsuwonus pelamis) gefangen mit der Angel

Palmyraatoll

Phoenixinseln

 Schellfisch  gefangen im Nordostatlantik (Barents-/ Norwegischer See, Rockall) mit Langleinen, Fallen  gef. im Nordwestatlantik (Georges Bank, Golf von Maine) mit Langleinen, Fallen

 Tintenfisch/Oktopus/Pfeilkalmar/Sepia  Ilex argentinus gefangen im Südwestatlantik mit Licht-Haken-Fischerei  Loligo pealleii gefangen im Nord-/Zentralwestatlantik mit Fallen  Octopus vulgaris gefangen im Nordostatlantik (Portugiesische Küste, Südbiscaya, Mittelmeerküste Spaniens) mit Fallen/Angelrute

150˚ West

 Dorade/Goldbrasse  Aquakultur aus traditionellen Lagunen im Mittelmeer (Griechenland, Türkei)

Gelbflossentunfisch wird mit legalem Fang vermischt“, erklärt Yu Fen das Problem. Genau wie weitere 235 der insgesamt 384 Schiffe im Besitz einer taiwanesischen Firma ist die „Lung Yuin“ offiziell nicht in Taiwan registriert – sie fährt unkontrolliert unter der „Gefälligkeitsflagge“ von Vanuatu. Taiwans Fischereiaufsichtsbehörde schaut dabei untätig zu – obwohl sie eigentlich einen gesetzlichen Auftrag zum Handeln hätte. „Taiwan ist eines von wenigen Ländern in Asien, die überhaupt eine Gesetzgebung zur Kontrolle der Fischereiflotte haben. Es könnte für den gesamten Raum zum Vorbild werden, wenn unsere Behörden die Schiffseigner endlich zur Verantwortung ziehen“, schildert Yu Fen ihr Ziel. Pazifische Solidarität Für die Pazifikkampagne von Greenpeace spielt das neue Büro auf der kleinen Insel Taiwan vor der Küste Chinas eine zentrale Rolle. Daher ist auch Ronevata Ronaivakulua, genannt Ron, bei der Aktion an Bord der „Rainbow Warrior“ dabei. Er stammt aus Fidschi, dem Inselstaat inmitten des Südpazifiks, den wir Europäer mit einem Traum­ urlaub mit Sonne, Palmen und Meer verbinden. Aber Fidschi ist wie alle Inselstaaten der Südsee vor

allem eines: abhängig vom Meer. Tunfisch ist die überlebenswichtige Ressource der Pazifikregion. Doch viel verdienen die Pazifikstaaten mit dem Verkauf der Fischereirechte in ihren Hoheitsgewässern nicht: Durch unfaire Fischereiabkommen bleiben ihnen im Durchschnitt nur fünf Prozent dessen, was der Fisch tatsächlich auf dem Weltmarkt wert ist, die Millionenprofite machen asiatische und europäische Flotten. Erfolg bei Schutzgebieten Seit einigen Jahren warnen Experten zudem vor dem drohenden Kollaps der Tunfischbestände. „Sollte sich im Pazifik an der massiven Überfischung und den umweltschädlichen Fangmethoden nichts ändern, werden wir in wenigen Jahren nur noch leere Netze vorfinden“, erklärt Ron. „Fernflotten wie aus Taiwan fischen innerhalb von zwei Tagen so viel, wie es unsere lokalen Fischer in einem ganzen Jahr tun.“ Einige Pazifikstaaten sind sich durch die Arbeit von Greenpeace der drohenden Gefahr inzwischen nicht nur bewusst, sie handeln auch. Seit dem 1. Jänner 2011 sind 4,5 Millionen Quadratkilometer Meeresgebiet im Zentralpazifik für den Tunfischfang mit Ringwaden gesperrt (siehe Karte). Jedes Land,

Umgesetzte Fischereiverbotszonen

das Fischereilizenzen zum Fang von Tunfisch in den Gewässern dieser Staaten erwerben will, muss bestätigen, die benachbarten internationalen Hochseegebiete nicht mit Ring­waden zu befischen. „Leider stehen die großen Fischereinationen wie Japan, Südkorea oder die EU einem umfassenderen Schutz der Tunfischbestände auf internationaler Ebene vehement im Weg“, beschreibt Ron die Situation. „Es ist daher umso wichtiger, dass die Pazifikinseln nun ihr Schicksal selber in die Hand nehmen.“ Einige Handelsfirmen haben bereits erklärt, den Vorstoß der Pazifikinseln zu unterstützen – darunter auch die österreichische Firma MPreis. Genau wie die Pazifikstaaten ist auch Taiwan vom Meer und seinen begrenzten Ressourcen abhängig. „Schaffen es unsere Regierung und die Bevölkerung, nachhaltige Fische­ reimethoden und Meeresschutz­ gebiete zu akzeptieren, dann kann Taiwan als große Fischerei­na­tion ein Vorbild für ganz Asien werden. Das ist unser Traum“, sind sich ­Apple und Yu Fen einig. Sie werden auf der letzten Reise der alten „Rainbow Warrior“ genug Inspiration und Kraft tanken, um diesen Traum umzusetzen – und die Greenpeace-Vision zum Schutz des Pazifiks Wirklichkeit werden zu lassen. n


KURS AUF ZUKUNFT: RAINBOW WARRIOR III Danziger Werft, Oktober 2010

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