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03 | September – November 2011

Giftiges Wasser Chinas Industrie versorgt den globalen Konsumenten mit Billigware. Der wahre Preis ist eine immer stärker verschmutzte Umwelt.

Gentechnik leichtgemacht EU lockert die Anbaubestimmungen.

Rainbow Warrior II Am Ende des Regenbogens.


Editorial

Inhalt

Seit letztem Jahr ist der Zugang zu sauberem Wasser ein Menschenrecht – offiziell erklärt durch die Vereinten Nationen. Der Antrag auf Initiative Boliviens sah keine Gegenstimmen, wohl aber viele Enthaltungen – darunter auch Österreich. Das ist beschämend. Wer über das „blaue Gold“ im Überfluss und in bester Qualität verfügt, hat offensichtlich wenig Elan, die Länder mit gravierenden Wasserproblemen durch seine Stimme zumindest symbolisch zu unterstützen. Denn einklagbar ist dieses Recht – so wie alle UN-Rechte – nicht. Für eine Milliarde Menschen, die weltweit keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, bleibt nur die Hoffnung, dass ihr symbolisches Recht endlich politische Weichenstellungen zur Folge hat. Für jene zwei Millionen Menschen, die pro Jahr an verunreinigtem Trinkwasser sterben, bleibt nichts – außer der Gewissheit, dass ihnen Unrecht getan wurde. Die zunehmende Verschmutzung von Trinkwasser durch industrielle Abwässer ist ein riesiges Umweltproblem, das ein humanitäres Desaster zur Folge hat. Allein in China gelten bereits 70 Prozent der Gewässer als verschmutzt – wenn nicht vergiftet, wie man am Beispiel der Textilindustrie sehen kann. Die aktuelle internationale Greenpeace-Kampagne „Detox our Water“ greift diese Problematik auf und die Verantwortlichen an: Internationale Markenfirmen machen mehr als gute Gewinne mit billigen Textilien, schickem Etikett und global ausgelagerter Umweltzerstörung. Unsere Autorin Claudia Sprinz hat sich in ihrem Bericht ab Seite 8 mit diesem brisanten Thema beschäftigt. Wasser ist kostbar. Denken wir daran – nicht nur, wenn wir den Wasserhahn aufdrehen, sondern auch, wenn wir das nächste Mal auf Shopping-Tour sind. Jedes Schnäppchen hat seinen Preis. Mit herzlichen Grüßen

Birgit Bermann, Chefredakteurin

IMPRESSUM Medieninhaber, Verleger und Herausgeber: Greenpeace in Zentral- und Osteuropa, Fernkorn­ gasse 10, 1100 Wien; Tel. 01/545 45 80, www.greenpeace.at Spendenkonto: P.S.K. 7.707.100 BLZ: 60.000, www.greenpeace.at/spenden Redaktion: Birgit Bermann (Chefredaktion), Brigitte Bach, Lisa Begeré, Jutta Matysek, Antje Helms, Niklas Schinerl, Claudia Sprinz, Martina Steiner, Philipp Strohm, Evi Trummer, Jurrien Westerhof E-Mail: act@greenpeace.at Bildredaktion: Georg Mayer Artdirektion: Karin Dreher Fotos: Greenpeace, Daniel Beilinson, Witali Pagulin Lektorat: Johannes Payer Anzeigen­gestaltung: Florian Bolka Druck: Niederösterreichisches Pressehaus erscheint viermal jährlich auf 100-%-Recyclingpapier. Ab einer Jahresspende von € 40 wird Ihnen gratis zugesandt. Die nächste Ausgabe erscheint im Dezember 2011.

Coverfoto: © Lu Guang/GP Fotos: © Athit Perawongmetha/GP, © Paul Hilton/GP, © GP/Philip Reynaers, © Lu Guang/GP

Liebe Leserinnen und Leser!

06 04 In Aktion 06 Eine Legende sagt Lebewohl 08 Kein Gift ins Wasser! 12 Das Ende der Atomstromimporte 13 Gemeinsam gegen die Atomkraft 14 Im Gespräch mit Heinz Smital 15 Fangen bis zum letzten Fisch 16 Gefährlicher Einsatz für einen bedrohten Wald 18 Europas Ringen mit der Gentechnik 20 Was passiert, wenn nichts passiert? 22 Jahresbilanz 2010 23 Greenpeace CEE 2010 – ein Rückblick

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Klares Votum: 95 Prozent der italienischen Bevölkerung wählen die Atomkraft ab Von einem gigantischen Atomfass auf dem Pincio in Rom über Anti-AtomZeichen an drei weltberühmten italienischen Bauwerken bis hin zu einem Riesenbanner während des Fußballspektakels Coppa Italia – mit zahlreichen aufsehenerregenden Aktionen machten Greenpeace-Aktivisten in den letzten Monaten der italienischen Bevölkerung klar, dass die Entscheidung für die Energiewende in ihrer Hand liegt. Spätestens nach dem Ausgang des Referendums Mitte Juni ist klar: All die Anstrengungen haben sich gelohnt! Berlusconis Politik und seine geplante Renaissance der Atomkraft wurden mit einem klaren „No“ abgestraft. Damit reiht sich Italien in die Liste der europäischen Länder ein, die auf eine Zukunft ohne nukleare Energieversorgung setzen.

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Ölrausch Bedroht die Arktis: Bedingungsloser Kampf im ewigen Eis Es war ein beharrlicher Einsatz gegen Ölbohrungen in der Tiefsee, als Greenpeace-Aktivisten den Ölmulti Cairn Energy im Juni von seinen umweltschädigenden Offshore-Aktivitäten abzuhalten versuchten. Schauplatz waren diesmal die sensiblen arktischen Gewässer vor Westgrönland. Vier Tage besetzte ein Zweierteam in einer Überlebenskapsel die Ölplattform „Leiv Eiriksson“, bevor in zwei Etappen 20 weitere Umweltschützer die Bohrinsel in Beschlag nahmen – unter ihnen auch der internationale Greenpeace-Geschäftsführer Kumi Naidoo. Unsere Forderung nach Einsicht in die Notfallpläne wurde bezeichnenderweise nicht erfüllt. Erfolgreich waren die Aktionen dennoch: Die Ölbohrungen konnten fünf Tage gestoppt werden! Und der Kampf geht weiter. Die Inhaftierung der Aktivisten und eine Schadensersatzklage von Cairn Energy werden Greenpeace nicht abhalten, weiter gegen die Rohstoffausbeutung im Arktischen Ozean einzuschreiten.

Fotos: © GP/Patrik Rastenberger, © Francesco Alesi/GP, © Jiri Rezac/GP (2) © Steve Morgan/GP (3), © Ivo Gonzalez/GP, © Shayne Robinson/GP, © Andreas Dekrout/GP

Greenpeace ließ Barbies perfekt scheinende Glitzerwelt aus den Fugen geraten: Als Ken erfuhr, dass sein Herzblatt in die Vernichtung des indonesischen Regenwalds verwickelt ist, folgte nicht nur das inszenierte Ende des Langzeit-Traumpaares, sondern auch eine riesige Protestwelle gegen den Spielzeughersteller Mattel. Greenpeace konnte nachweisen, dass dieser für seine Puppen Verpackungen verwendet, die vom Papier- und Zellstoffgiganten Asia Pulp and Paper (APP), Tochter der Sinar-Mas-Gruppe und Indonesiens größter Regenwald-Zerstörer, stammen. Weltweit zogen Aktivisten mit Motorsägen durch die Städte, Mattel erhielt mehr als 240.000 Protestmails, und auch auf Facebook und Twitter war der Skandal um Barbie das Thema. Den ersten Versprechungen von Mattels Geschäftsführung, etwas zu verändern, müssen nun noch konkrete Taten folgen.

No Nukes: Protest gegen Finanzierung der Atomgefahr Die Nuklearkatastrophe von Fukushima hat Greenpeace weltweit auf den Plan gerufen. So auch in Brasilien, wo Aktivis­ ten vor der nationalen Ent­ wicklungsbank BNDES mithilfe einer orangen Rauchwolke einen atomaren Unfall simulierten und den Ausstieg aus dem AKW-Projekt „Angra“ forderten. Das Kreditinstitut ist maßgeblich an der Finanzierung des dritten Reaktors des Kernkraftwerks beteiligt. Dieses birgt nicht zuletzt durch seine Lage inmitten einer von Erdrutschen gefährdeten Bucht zwischen den Metropolen Rio de Janeiro und São Paulo untragbare Sicher­heitsrisiken.

Aktionsakademie in NÖ: Gemeinsam lernen für eine andere und bessere Welt

In Aktion

Barbarisch: Mattel lässt für Verpackungen von Barbie-Puppen den Regenwald vernichten

Bereits zum dritten Mal veranstaltete Greenpeace zusammen mit Attac und Südwind im Frühsommer die Aktionsakademie im nieder­ österreichischen Eggenburg. In 44 Workshops wurde alles vermittelt, was mit effektivem, gewaltfreiem, lustigem und buntem Aktivismus zu tun hat – wirkungsvolle Werkzeuge, um in der Öffentlichkeit mit den eigenen (umwelt)politischen Anliegen besser durchzudringen. Abgerundet wurde das umfassende Programm mit Konzerten, Jamsessions, Yoga und Lagerfeuer. Auch die Essensversorgung war Teil des „Lehrplans“: Um das Verköstigen großer Menschenmengen bei Aktionen zu üben, wurde in einem Zelt am Areal gekocht – frisch, biologisch und regional. Fazit: ein rundum gelungenes Happening! Und für alle, die heuer nicht dabei sein konnten – die nächste Aktionsakademie kommt bestimmt! Alle Infos & Anmeldungen: jutta.matysek@greenpeace.at

Südafrika: Tausende Megawatt Ökostrom statt Mega-Kohlekraftwerk 5.000 Tonnen Kohle und eine klare For­ derung an Südafrikas führenden Strom­ erzeuger spielten die Hauptrolle bei der ersten großen Aktion von Greenpeace Afrika: Anstatt den Bau des Kohlekraftwerks Kusile voranzutreiben, soll der Eskom-Konzern im großen Stil in Erneuerbare-Energie-Projekte investieren und Südafrika damit den Weg in eine saubere, grüne Zukunft ebnen. Die Aktion mit dem Aufruf „Stop Coal“ fand vor den Toren des Kraftwerks statt, das mit geplanten 4.800 Megawatt zu den größten der Welt gehören würde.

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Schiff gekauft und zur „Rainbow Warrior II“ umgerüstet. Die Botschaft an alle, die der Umweltbewegung als Feinde gegenüberstanden und dabei auch vor Gewalt nicht zurückschreckten, war eindeutig: You can’t sink a rainbow (Einen Regenbogen kann man nicht versenken). Und so begann die nächste Ära im Leben einer Legende – und die „Rainbow Warrior II“ füllte von Anfang an die großen Fußstapfen ihrer Vorgängerin mehr als würdig aus: Einer ihrer ersten Einsätze führte just wieder nach Mururoa im Südpazifik, das Frankreich nach wie vor als ausgelagertes Atombombentestgelände benützte. Doch Greenpeace war bei der erneuten Konfrontation mit französischen Kriegsschiffen diesmal nicht allein vor Ort. Durch neue Videotechniken konnte die ganze Welt zusehen, wie rau das vermeintliche „Recht“ auf Atomtests verteidigt wurde. Die schockierenden Bilder aus dem fernen Südpazifik bescherten der Protestbewegung enormen Zulauf. Atemlos um die Welt Doch Mururoa war nicht die einzige große Etappe der „Rainbow Warrior II“ in ihrer Anfangszeit. Allein in den ersten drei Jahren segelte sie durch Europa, war im Süd­ pazifik gegen die Treibnetzfischerei aktiv, protestierte in Kanada gegen die Zellstoffindustrie, untersuchte in Alaska die Nachwirkungen des „Exxon Valdez“-Ölunfalls, begleitete dort eine Waldkampagne zum Schutz der letzten Primärwälder, unterstützte in Brasilien die Anti-Atom-Bewe-

Eine Legende sagt Lebewohl

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rior“-Legende mit einem neuen Schiff fortzusetzen: Nach langer Planungs- und Bauzeit wird die „Rainbow Warrior III“ diesen Herbst zu ihrer allerersten Tour aufbrechen (mehr dazu im nächsten act). Doch in die Freude über dieses neue und wichtige Greenpeace-Kapitel mischt sich auch ein wenig Wehmut – denn es heißt auch Abschied nehmen von der „Rainbow Warrior II“, die nach über zwei Jahrzehnten Einsatz für Greenpeace eine mehr als bewegte Geschichte hinterlässt. Die „Rainbow Warrior II“ war das Nachfolgeschiff der 1985 vom französischen Geheimdienst im Hafen von Auckland (Neuseeland) durch zwei Bomben versenkten „Rainbow Warrior“. Greenpeace

Fotos: © GP/Christian Aslund, © GP/Nick Cobbing, © GP/Steve Morgan

kriegerin ist das legendäre Schiff insgesamt 54 Jahre alt – und der Zahn der Zeit hat unaufhaltsam auch an ihr genagt. Wartungen und Reparaturen werden zunehmend zum Alltag, und sie kann immer schwerer mithalten, wenn illegale Fischfangflotten gejagt werden müssen oder in unzugänglichen Gebieten wie dem Amazonas nach illegalen Holzschlägertrupps gefahndet werden soll. Und die „Rainbow Warrior II“ würde es auch nicht mehr gut verkraften, noch einmal gerammt zu werden – ein ­Risiko, das für ein Greenpeace-Schiff schnell zur Realität werden kann. Aus all diesen Gründen hat sich Greenpeace entschlossen, die „Rainbow War­

Destination Zukunft Nach weiteren Jahren des Einsatzes für Schutzgebiete im Mittelmeer, beim Aufspüren von illegalem Holzhandel, gegen den Walfang, gegen die Giftmüllentsorgung in den Ozeanen und gegen die Überfischung der Weltmeere wurde das Greenpeace-Flaggschiff temporär in den Dienst der humanitären Nothilfe gestellt. Nach dem verheerenden Tsunami 2004 brachte die „Rainbow Warrior II“ gemeinsam mit „Ärzte ohne Grenzen“ Hilfsgüter und medizinische Ausrüstung in die schwer betroffene indonesische Provinz Aceh nach Sumatra. Auch 2006, im Libanon-Krieg, waren Schiff und Crew für den humanitären Hilfseinsatz zur Stelle. Und der Dienst am Menschen ist auch die Zukunft der „Rainbow Warrior II“. Sie wurde noch Ende dieses Sommers an eine NGO

Hunderte von Crew-Mitgliedern sind in den letzten zwei Jahrzehnten mit der „Rainbow Warrior II“ gesegelt (l.). Und viele tausende Menschen haben dem legendären Schiff bei einem Open Boat Day in den Häfen dieser Welt einen Besuch abgestattet (r.).

Die neue „Rainbow Warrior III“ ist einsatzbereit. Ihre Vorgängerin, die „Rainbow Warrior II“, verabschiedet sich nun nach über zwei Jahrzehnten im Dienst für Greenpeace in den wohlverdienten Ruhestand. Von Birgit Bermann Über 21 Jahre ist sie für Greenpeace auf den Weltmeeren gesegelt. Gemeinsam mit einer internationalen Crew hat sie Umweltverbrechen auch in noch so entlegenen Gebieten dieser Erde aufgespürt, über die Zerstörung unseres Planeten Zeugenschaft abgelegt und ist in zahllosen direkten Aktionen gegen den Raubbau an der Natur und unserer Lebensgrundlage eingeschritten. Sie hat viele tausende Besucher auf ihrem Deck willkommen geheißen und Millionen Menschen allein durch ihre Präsenz Hoffnung gegeben. Jetzt ist die Zeit gekommen, da das Greenpeace-Flaggschiff „Rainbow Warrior II“ außer Dienst gestellt wird. Nach über zwei Dekaden im Dienst als Regenbogen-

1995 kehrte sie wieder an den Ort ihrer größten Konfrontationen zurück – zum Mururoa-Atoll. Frankreich hatte angekündigt, dort erneut Atombomben zünden zu wollen. Es waren aufreibende Monate. Die Crew wurde in dieser Zeit mehrmals verhaftet und die „Rainbow Warrior II“ geentert, von einem Kriegsschiff gerammt, schwer beschädigt und schließlich beschlagnahmt. Ende dieses Jahres zündete Frankreich dennoch eine Atombombe – es war allerdings seine letzte in der Südsee. Der internationale Protest gegen das Verhalten der Atommacht hatte dank Greenpeace mittlerweile orkanartige Ausmaße angenommen.

hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren friedlich gegen die französischen Atombombentests im Südpazifik protestiert und war gerade wieder zum MururoaAtoll unterwegs, als der Anschlag das Schiff zerstörte und dem Fotografen Fer­ nando Pereira das Leben kostete. 1987 zahlte Paris über acht Millionen Dollar Entschädigung an Greenpeace. Damit wurde ein damals schon 30 Jahre altes

gung, protestierte im Amazonas gegen ungesetzliche Schlägerungen, startete im fernen Osten Russlands die Kampagne gegen illegalen Holzhandel und erreichte schließlich den Norden Japans, um dort die Überfischung der Meere durch internationale Flotten zu dokumentieren. In diesem Takt ging es für die Regenbogenkämpferin weiter – Jahr für Jahr zum Schutz der Natur unterwegs auf den Weltmeeren.

aus Bangladesch („Friendship“) übergeben, der sie als schwimmendes Hospital wertvolle Dienste leistet. Aber selbst wenn Greenpeace alle seine Insignien von diesem Schiff geräumt hat, um Platz für das Neue zu schaffen, bleibt ein Stück davon erhalten. Die „Rainbow Warrior II“ wurde zwar umgetauft, doch ihr neuer, alter Name lautet: „Rongdhonu“ – Regenbogen in Ben­gali, der Sprache Bangladeschs. n

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Chinesische Textilfabriken produzieren gigantische Mengen an Industriemüll und Giften – für die Arbeiter ein oft lebensgefährlicher Job (gr. Bild r.). Die Abnehmer dieser Produkte sind allzu oft westliche Markenfirmen, die Greenpeace mit dem Slogan „Detox our Water“ zum Entgiften aufruft (kl. Bild r.). Auch in Wien trafen sich zum Startschuss der Kampagne Dutzende Menschen zum global choreografierten Tanz vor einem Adidas-Geschäft – samt gemeinsamer Entledigung von „schmutziger Wäsche“ (l.).

Kein Gift ins Wasser! Kunden des Scitech -Outlet-Einkaufszentrums in Peking staunten nicht schlecht, als am 23. Juli punkt 17.00 Uhr am Center Plaza Musik ertönte und mehr als 30 Personen zu tanzen begannen. Eine ähnliche Erfahrung machten Passanten von Madrid bis Wien und Paris bis Manila: Mehr als 600 Menschen verwandelten weltweit den Raum vor Adidas- oder NikeStores zum Dancefloor, tanzten zur gleichen Choreografie und entledigten sich dabei der Bekleidung dieser Hersteller, um darunter aufgeklebte Tattoos oder ­T-Shirts mit der Botschaft „Detox“ (engl. für „entgiften“) zu präsentieren. Sie forderten mit dieser ungewöhnlichen Aktion die Sportartikelhersteller auf, gefährliche Chemikalien aus ihren Lieferketten und ihren Produkten zu verbannen. Grundlage des Protests ist der Mitte Juli von Greenpeace veröffentlichte Report „Schmutzige Wäsche“. Er zeigt am Beispiel von zwei Fabriken in China, wie die Textilindustrie Flüsse mit gefährlichen Chemikalien verschmutzt. In der Nähe der Fabriken Youngor Textile Complex am Flussdelta des Jangtse und Well Dyeing Factory Ltd. an ­einem Nebenarm des Pearl-River-Deltas wurden mehrmals Abwasserproben genommen und im Labor untersucht. Die Ergebnisse waren alarmierend: Beide Produktionsstätten leiten gefährliche Che-

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mikalien in die Flüsse, darunter auch Alkylphenole, die hormonell wirksame Eigenschaften besitzen, und perfluorierte Chemikalien (siehe Übersicht Seite 10). Nach den Laborproben wurden die Lieferketten der Fabriken recherchiert. Sie führten zu aufsehenerregenden Resultaten: Die globalen Sport- und Lifestyle-Marken Adidas, Bauer Hockey, Calvin Klein, Converse, H&M, Lacoste, Nike und Puma kaufen von diesen beiden chinesischen Fabriken. Dabei können die Schlussfolgerungen des Berichts nur einen Bruchteil der Verschmutzung wiedergeben, unter denen Menschen und Umwelt durch die Textil­ industrie zu leiden haben. Aufwändige Verarbeitung Textilproduktketten können lang und komplex sein und finden in vielen Ländern rund um den Globus statt. Üblicherweise sind es die Markeninhaber, die die Produktentwicklung vorantreiben. Daher sind sie auch in der Verantwortung, Veränderungen bei der Herstellung zu bewirken. Bereits bei der Faserproduktion werden viele Chemikalien verwendet, zum Teil schwermetallhältige Hilfsmittel beispielsweise bei der Produktion von Kunstfasern. Nicht viel besser sieht es bei Naturfasern wie Baumwolle aus, die nicht nur viel Ackerland und Wasser benötigt, sondern auch

synthetisch hergestellten Kunstdünger und Schädlingsbekämpfungsmittel. Noch mehr Chemikalien sind bei gentechnisch veränderter Baumwolle erforderlich, wie sie etwa in den USA oder Indien angepflanzt wird. Vor allem bei der Nassverarbeitung von Textilien (z. B. Färben, Waschen, Bedrucken und Veredeln) werden tausende von unterschiedlichen Chemikalien verwendet, die große Mengen giftiges Abwasser produzieren (200 Tonnen Wasser für eine Tonne produzierter Textilien!). Aus diesen Stoffen genähte Hosen oder T-Shirts treten dann ihre lange Reise auch nach Österreich an. Der Dreck bleibt nicht nur in den verschmutzten Flüssen der Erzeugerländer zurück, sondern ist mitunter auch in bei uns erhältlichen Textilien zu finden – und kann bis zu unserer Haut vordringen. Recht auf sauberes Wasser Sauberes Wasser ist ein Menschenrecht. Es ist lebenswichtig für die Ökosysteme des Planeten und das Überleben der Menschen. Saubere Gewässer versorgen uns mit Trinkwasser, liefern Bewässerung für die Landwirtschaft und dienen uns als Nahrungsmittelreservoir. Die Freisetzung gefährlicher Chemikalien durch industrielle Vorgänge in die Flüsse ist allerdings nicht umkehrbar – und die Verschmutzung bleibt auch nicht lokal begrenzt.

Fotos: © GP/Teresa Novotny, © John Javellana/GP, © Lu Guang/GP

Impossible is nothing – just do it! Sportartikel-Marken wie Adidas und Nike lassen über ihre Zulieferbetriebe in China giftiges Abwasser in Flüsse leiten. Greenpeace erinnert die Unternehmen an ihre eigenen Werbeslogans und fordert ein Umdenken bei der Verwendung gefährlicher Chemikalien. Von Claudia Sprinz


Unsichtbare Folgen Und diese gigantische Menge an Giften verschwindet nicht einfach. Der im Juni veröffentlichte Greenpeace-Report „Hidden Consequences“ hat sich mit den „unsichtbaren Folgen“ beschäftigt, die mit der Einleitung schädlicher Substanzen in Gewässer verbunden sind. In den Ländern des Nordens befinden sich viele stark industrialisierte Frischwasserund Flussmündungssysteme, wie das RheinMaas-Schelde-Delta in Belgien und den Niederlanden oder die Großen Seen in Nordamerika. Jahrzehntelange Verschmutzung mit langlebigen Chemikalien hat zu hohen Konzentrationen an Schadstoffen in den Sedimenten von Flüssen und Häfen geführt. In vielen Fällen ergaben diese Verunreinigungen langfristige und nicht umkehrbare Schäden für Menschen, Umwelt und die lokale Wirtschaft. Für die Verursacher selber, die Industrie, kann sich die Verschmutzung der Umwelt mit Chemikalien als teure Strategie erweisen. So musste beispielsweise die Schweizer Chemieindustrie bislang 600 Millionen Euro aufgrund der Verseuchung von Trinkwasser durch illegale Mülldeponien in den 1970er-Jahren zahlen. Das Identifizieren der Verantwortlichen ist jedoch nicht immer möglich, und die Rechnung

für die Sanierung bleibt am Staat – und damit an den Steuerzahlern – hängen. In den Industrieländern hat man aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und Richtlinien erlassen, um die Verwendung und Freisetzung besonders gefährlicher Chemikalien zu beschränken. In China und vielen Ländern des Südens gibt es solche Reglementierungen dagegen noch kaum. Viele internationale Firmen der Bekleidungsbranche haben ihre Produktionsstätten in diese Länder verlagert und profitieren von den niedrigeren Fertigungskosten und der laxen Umweltgesetzgebung. Das Ergebnis: ­ ­China hat eine der schlimmsten Wasserverunreinigungen weltweit. 70 Prozent der Flüsse, Seen und Wasserreservoirs sind verschmutzt. Aus für problematische Chemikalien Da die Entsorgung gefährlicher Chemikalien mit immensen technischen, ökonomischen und politischen Schwierigkeiten verbunden ist, muss die Vermeidung dieser Substanzen klarerweise im Vordergrund stehen. Nach Auffassung von Greenpeace müssen Marken, die Produkte aus Ländern mit niedrigeren Umweltstandards beziehen, Verantwortung übernehmen und gefährliche Chemikalien in ihrer Lieferkette und in ihren Produkten durch unbedenkliche Stoffe ersetzen. Puma ist als erster Hersteller den Forderungen von Greenpeace gefolgt: Kurz nach Start der Detox-Kampagne hat sich Puma öffentlich verpflichtet, bis 2020 aus der Verwendung gefährlicher Substanzen auszusteigen. Es wird Zeit, dass auch die anderen Marken handeln: Die Verwendung und Freisetzung von gefährlichen Chemikalien muss endlich ein Ende haben: Detox – kein Gift ins Wasser! n

Gefährliche Substanzen in der Textilindustrie Alkylphenole: Nonylphenol, Octylphenol und Ethoxylate; werden zum Waschen der Textilien beim Färben verwendet; wirken wie Östrogene und können die Entwicklung der Geschlechtsorgane stören. Phthalate: dienen als Weichmacher, etwa für PVC; werden für Kunstleder, Gummi und in Farbstoffen genutzt; speziell gefährlich sind DEHP und DPB, da sie die Entwicklung der Geschlechtsorgane bei Säugetieren hemmen. Bromierte und chlorierte Flammschutzmittel: Brandschutz bei Textilien; sind hormonell wirksam und können Wachstum und Entwicklung der Geschlechtsorgane beeinträchtigen.

Zinnorganische Verbindungen: Verwendung als Schädlingsbekämpfungsmittel und Anti-Pilz-Mittel (antibakteriell und soll Schweißgeruch verhindern); besonders gefährlich ist TBT, kann das Immunsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit schädigen. Perfluorierte Chemikalien (PFC): machen Textil- und Lederprodukte wasser- und schmutzabweisend. Langlebig, reichern sich in menschlichem Gewebe und Blut an; können die Leber schädigen und das Hormonsystem stören.

Chlorbenzole: Schädlingsbekämpfungsmittel und Lösungsmittel; einige Chlorbenzole schädigen Leber, Schilddrüse und das zentrale Azofarben: Farbstoffe; können Nervensystem; HCB ist hormonell wirksam. Krebs auslösen.

Chlorierte Lösungsmittel: reinigen Textilien von Chemikalienrückständen; Substanzen wie TCE zerstören die Ozonschicht und können das zentrale Nervensystem, Leber und Nieren schädigen. Chlorphenole: Schädlingsbekämpfungsmittel; speziell PCP ist hochgiftig und kann die Organe schädigen. Kurzkettige Chlorparaffine (SCCPs): Verwendung als Flammschutz und zur Veredelung von Textilien und Leder; reichern sich im lebenden Organismus an. Schwermetalle: in Farb­ stoffen (Cadmium, Blei, Kupfer); können sich im Körper anreichern und Organe sowie Nervensystem schädigen.

Alle genannten Chemikalien sind bei der Textilproduktion innerhalb der EU streng reglementiert oder verboten.

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Der Weg der Gifte Industrieunternehmen verschmutzen unsere Umwelt über verschiedene Wege mit gefährlichen Substanzen, die über Luft- und Meeresströmungen rund um die Welt transportiert werden können. Damit werden Ökosysteme weit entfernt von der Einleitungsquelle verunreinigt. Besonders bedenklich ist die Verschmutzung mit Chemikalien und Schwermetallen, die nicht oder nur schwer abbaubar sind und sich entlang der Nahrungskette anreichern können.

VerschmutZungswege Flüsse können durch das direkt eingeleitete Abwasser von Industriebetrieben mit Chemikalien und Schwermetallen verunreinigt werden. Aber auch Düngemittel und Pestizide aus der Landwirtschaft verschmutzen Flüsse. Über Mülldeponien können Gifte durch den Boden ins Grundwasser sickern.

Hochgiftige Chemie von der Textilfabrik direkt in den Fluss im Pearl-River-Delta (o.). In dieser Abwasserprobe wurden hormonell wirksame Alkylphenole gefunden. Der Preis für diese Umweltvernichtung ist hoch: Mittlerweile gelten 70 Prozent aller chinesischen Gewässer als verschmutzt. Das Video zur aktuellen Detox-Kampagne gibt es unter www.greenpeace.at/ detox zu sehen (u.).

Lieferwege der Textilindustrie Laut GreenpeaceRecherchen haben Unternehmen, denen verschmutzende Textilfabriken in China gehören, Geschäftsbeziehungen mit einer Vielzahl großer Textilmarken. Dazu gehören zum Beispiel die globalen Sportund Lifestyle-Marken Adidas und Nike.

„Detox Our Water“: Was jede/r tun kann > Schadstoffgeprüfte, umweltfreundliche und sozial gerechte Mode mit Gütesiegeln wie GOTS, FAIRTRADE bevorzugen. > Auf Mode verzichten, die mit aggressiven Chemikalien behandelt wurde. Erkennbar am Geruch oder Bezeichnungen wie „bügelfrei“, „wash and wear“, „fußpilzhemmend“, „sanitized“, „actifresh“, „sanigard“, „durafresh“, „eulan asept“, „fresco“, „hygitex“, „bio-gard“ oder „easy-wash“. > Kleidung mit Kennzeichnung „separat waschen“ oder „fade out“ enthält viele lose Farbstoffe. > Lieber weniger mit hoher Qualität kaufen als Unmengen Billiges, das nach ein paar Wäschen kaputt ist. Kleine Modelabels bevorzugen, die echte ökofaire Mode anbieten. > Die Detox-Kampagne läuft weiter – informieren Sie sich über den aktuellen Stand auf unseren Websites www.greenpeace.at/detox und http://marktcheck.greenpeace.at/detox

Fotos: © GP/John Novis, © GP; GrAfik: © GP/Karin Dreher

Schwer abbaubare und sich in der Nahrungskette anreichernde Substanzen können über Meeresströmungen oder die Atmosphäre weit über ihre Quelle hinaus transportiert werden. Die UNO schätzt, dass die Industrie weltweit für das Einbringen von 300 bis 500 Millionen Tonnen an Schwermetallen, Lösungsmitteln, giftigem Schlamm und anderem Abfall pro Jahr in Gewässer verantwortlich ist.

Über Nahrung, Luft und Haut Über Essen und Trinken können Gifte in unseren Körper gelangen, aber auch über die Atemluft (Hausstaub) und über die Haut können Umweltgifte aufgenommen werden. Gifte können sich beim Menschen ebenfalls anreichern und finden sich z. B. auch in der Muttermilch.

Kläranlagen Auch Kläranlagen sind nicht imstande, sämtliche Chemikalien vollständig aus dem Abwasser zu entfernen. Die Schadstoffe können die Kläranlage zum Teil unverändert passieren, oder sie werden in andere gefährliche Stoffe umgewandelt. Darüber hinaus können sie sich auch in Rückständen der Kläranlage anreichern, wie beispielsweise im Klärschlamm.

Speisefisch und Trinkwasser Flüsse sind Trinkwasserquellen für die Menschen, und Fisch stellt eine wichtige Nahrungsquelle dar. Sind giftige Substanzen vorhanden, werden diese mitkonsumiert. Bei Fisch sind insbesondere fettreiche Fische und Raubfischarten wie Tunfisch problematisch. Diese können höhere Konzentrationen an giftigen Substanzen aufweisen und sollten deshalb von schwangeren und stillenden Frauen nicht gegessen werden.

Anreicherung in der Nahrungskette Zu Beginn nimmt Plankton das Gift auf. Die Fische ernähren sich vom Plankton und nehmen ihrerseits die gefährlichen Substanzen auf, die dann im Gewebe gespeichert und angereichert werden können. Vögel und Robben ernähren sich von Fisch, nehmen dadurch die Gifte auf und reichern diese wiederum an. Am Ende dieser Nahrungskette kann zum Beispiel der Eisbär stehen, der sich fast ausschließlich von Fleisch ernährt und vergiftete Vögel, Robben und Fische isst. Somit findet man auch bei diesem arktischen Lebewesen, das fern von jeder Industrie lebt, Umweltgifte in höheren Konzen­trationen.

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Das Ende der Atomstromimporte 466

1.493

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EXPORT

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EXPORT 4.756 GWh

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Vor nicht allzu langer Zeit gab es in Österreich kaum Atomenergie und bis zur Liberalisierung des Strommarktes 1999 auch nur sehr geringe Stromimporte. Mit der stufenweisen Freigabe des Marktes betraten die Energieversorger das internationale Stromparkett. Zuerst noch vorsichtig, dann immer mutiger – denn von Händlern zugekaufter Strom bedeutet oft eine Kostenersparnis gegenüber der Eigenproduktion. Da diese Händler den Strom aber auch wieder irgendwo kaufen müssen, sind die Strombörsen entstanden. Und je aktiver die heimischen Stromlieferanten im Ausland Börsenstrom eingekauft haben, desto mehr Atomstrom wurde von Österreich importiert. Wer mehr als zehn Jahre später wissen will, wie viel Atomstrom es in Österreich genau gibt, hat ein Problem. Was auch immer die Liberalisierung gebracht hat – eine lückenlose Erfassung der Importe gehört nicht dazu. Das nutzen die Energieunternehmen aus und „schmuggeln“ billigen Atomstrom nach Österreich. Ob es jetzt die „offiziellen“ sechs Prozent sind oder doch acht oder vielleicht 15 – das weiß keiner so genau, weil es keine Kontrollen gibt. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, den Atomstrom, sobald er die Grenze passiert hat, zu verstecken. Eine

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beliebte Methode sind zum Beispiel unterschiedliche „Stromprodukte“. Für die Industriekunden gibt es den importierten Billigstrom mit hohem Atomanteil, für private Haushalte gibt es zum Beispiel Strom aus den Donaukraftwerken. Und für besonders kritische Kunden gibt es extra sauberen Naturstrom aus Windund Solaranlagen. Um die Atomspur noch weiter zu verwischen, ist es ­außerdem erlaubt, im Ausland Zertifikate zu kaufen, mit denen man schmutzigen Atomstrom in sauberen Wasserkraftstrom „umetikettieren“ kann (siehe act 02/2011). Zusätzlich zu all dem Ungemach hat die Strommarktliberalisierung ihre Versprechen nicht gehalten: keine niedrigeren Strompreise (was in Ordnung ist – Billigenergie führt zu Verschwendung), kein besserer Service (im Gegenteil: Servicemitarbeiter wurden oft eingespart oder gegen Marketingleute eingetauscht) und kein besserer Umweltschutz (das gefährdet die Aktienkurse). Sogar die vielgelobte Wahlfreiheit hat in der Praxis keine große Bedeutung, denn die Wechselwilligkeit der Kunden hält sich sehr in Grenzen. Und in Österreich haben wir jetzt den Atomstrom. Kann man dagegen nichts machen? Doch! Theoretisch könnten alle Kunden zu einem atomstromfreien Anbieter wech-

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IMPORT

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seln. Aber das funktioniert nicht – vielmehr ist der Staat gefordert, klare Regeln für alle zu schaffen. Denn auch in einem Land, in dem mehr als 90 Prozent der Menschen Atomkraft ablehnen und drei Viertel ein Importverbot für Atomstrom wollen, würde sich die Industrie trotzdem den billigsten Stromlieferanten suchen – also den mit Atomstrom. Regierung am Zug Die Risiken der Atomkraft betreffen aber nicht nur die Atomstromabnehmer, sondern alle – auch jene, die Ökostrom beziehen. Die Wahlfreiheit bringt Nutzen für wenige, aber Kosten und Risiken für alle. Das mag im Sinne mancher Industrieunternehmen sein – im Sinne der Allgemeinheit ist es nicht. Daher muss die Bundesregierung handeln und den Import von Atomstrom stoppen. Geht das? Ja! Niemand kann uns zwingen, etwas zu kaufen, was wir nicht wollen. Genauso wie Österreich Gentechnik von Feld und Teller verbannt, muss auch Atomstrom künftig draußen bleiben. Schritt eins ist eine lückenlose und überprüfbare Stromkennzeichnung ohne Schlupflöcher. Hier haben wir gerade einen wichtigen Etappensieg errungen: Bei einem Gipfeltreffen mit der Bundesregierung haben Greenpeace und Global 2000 erreicht, dass jede Kilo-

Will ein atomkraftfreies Land

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Ionut cepraga

UNGARN

Heinz Smital [Deutschland]

Ein Kernphysiker gegen die Atomkraft

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SLOWENIEN

wattstunde Strom künftig gekennzeichnet werden muss. Damit kann der Atomstrom nicht mehr versteckt werden. Der zweite Schritt ist ein Importverbot für jene Kilowattstunden mit dem Zertifikat „Atomstrom“. Diesen Herbst findet ein zweiter Gipfel statt, bei dem diese Forderung verhandelt wird. Kommt es zu einem Beschluss, wird Österreich atomstromfrei! Das ist gleich mehrfach von größter Bedeutung. Erstens gewinnt Österreich wieder an Glaubwürdigkeit – denn das Wettern gegen AKW bei gleichzeitigem Bezug von Atomstrom ist nicht besonders überzeugend. Und zweitens: Atomkraftwerke sind sehr teuer und ihre Wirtschaftlichkeit oft fraglich. Wenn die Kunden ausbleiben, werden sich Banken die Frage stellen, ob sie derart risikoreiche Projekte überhaupt finanzieren wollen. Ein österreichisches Atomstromverbot alleine wird die Atomkraft nicht stoppen. Aber die Signalwirkung ist sehr wichtig – denn zusammen mit dem deutschen Atomausstieg, dem italienischen „No“ zur nuklearen Energieversorgung oder dem Rückzug von Siemens aus dem AKW-Bau zeigt diese Entwicklung ganz deutlich: Die Ära der Atomkraft geht zu Ende! Jetzt geht es darum, diesen Prozess zu beschleunigen. n

Die Aufgabe ist groß und der Weg lang und steinig. Dennoch sind Engagement, Begeisterung und Ausdauer das Markenzeichen dieses Greenpeace-Teams: unser Atom-Eingreiftrupp. Von Birgit Bermann

Arbeitet gegen den Ausbau von Cernavoda

1.011 GWh

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Gemeinsam gegen die Atomkraft

[Rumänien]

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andere Erneuerbare

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Import- und Exportanalyse in GWh nach Daten der E-Control 2010

Wasserkraft

[Schweiz]

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Österreichischer Stromtransfer fossile Energie

Florian Kasser

2.963

7.189

827

Atomkraft

[Slowenien]

Gegen Krško im Einsatz

Niklas Schinerl [Österreich]

Gegen grenznahe AKW im Einsatz

Andrea zlatnanska [Slowakei]

Grafik: © GP/Florian Bolka Fotos: © bra Ibrahimovic, © Bente Stachowske/GP, © GP/Kurt Prinz, © GP

IMPORT

Dejan Savic

TSCHECHIEN

2.682 4.929

Kämpft gegen den Ausbau des AKW Belene

156

229 71

21

30

[Bulgarien]

EXPORT 250 GWh

IMPORT 4.033

43

138

Denitza Petrova

2

85

2.206

6.527 GWh

Von Jurrien Westerhof 1

7

Anmerkung: Die Aufschlüsselung erfolgte nach dem für jeden Staat offiziell angegebenen Aufbringungsstrommix laut ENTSO-E 2009. Quellen: ENTSO-E AISBL: Statistical Yearbook 2009, Secretariat of ENTSO-E, Avenue de Cortenbergh, B-1000 Brussels, 2009 E-Control: Monatliche Importe und Exporte, www.e-control.at/de/statistik/strom/betriebsstatistik/betriebsstatistik2010

Seit mehr als zehn Jahren fließt durch Österreichs Steckdosen Atomstrom. Das kann sich ändern: Greenpeace und Global 2000 verhandeln mit der Bundesregierung über das Aus für Atomstromimporte.

33

255

Erneuerbare Energien statt Mochovce Salvatore Barbera [Italien]

Großer Erfolg nach jahrelanger Kampagne

Peter Rohonyi [Ungarn]

Kampagnisiert gegen das AKW Paks IWo los [Polen]

Will das erste Atomkraftwerk des Landes verhindern

Jan rovensky [Tschechien]

Anti-AtomVeteran gegen Temelín

„Atomkraft ist der schlimmste Irrweg der Menschheit“, sagt einer, der es wissen muss: Heinz Smital (siehe Interview Seite 14) ist Anti-AtomSpezialist von Greenpeace Deutschland und Kernphysiker. Seit Jahrzehnten gehört der Kampf für das Ende der Atomkraft zu seinem Lebensinhalt. So wie für Salvatore Barbera. Der Atomphysiker arbeitet im italienischen Greenpeace-Büro und konnte erst vor kurzem seinen größten Erfolg feiern: Die italienische Bevölkerung erteilte den Nuklearplänen ihrer Regierung mit 95 Prozent „No“-Stimmen eine mehr als deutliche Absage. Für seinen polnischen Kollegen Iwo Los ist so ein Referendum noch ferner Wunschtraum. Der AntiAtom-Kampaigner kämpft gegen den Bau des ersten AKW in Polen – und gegen eine (noch) pronukleare Stimmung in der Bevölkerung. Auch in Tschechien gibt es viel zu tun: Jan Rovensky, seit sechs Jahren AntiAtom-Spezialist und seit 20 Jahren Anti-Atom-Aktivist, organisiert den Widerstand gegen Temelín und arbeitet intensiv für eine Abkehr des Landes von der risikoreichen Technologie. Denn „die Zeit ist gekommen, das gefährliche Kapitel Atomkraft abzuschließen“, fasst sein Schweizer Kollege Florian Kasser die Grundüberzeugung aller AntiAtom-Spezialisten von Greenpeace zusammen. Rund um Österreich stehen 23 Reaktoren. Von jedem geht die grundsätzliche Gefahr eines Unfalles bis hin zu einem Super-GAU aus.

In jedem dieser Länder ist Greenpeace mit einem Büro und einer Anti-Atom-Kampagne vertreten. Und auch wenn Österreich selber kein Atomkraftwerk betreibt, so importieren wie doch Atomstrom von jenseits unserer Grenzen (siehe Seite 12). Genug Arbeit daher auch hier für den österreichischen Anti-Atom-­ Experten, Niklas Schinerl. Denn: „Die Verantwortung für ein atomkraftfreies Europa macht nicht an den ­österreichischen Grenzen halt“, sagt der 34-Jährige. Gemeinsames Ziel Hinter all diesen und vielen weiteren Anti-Atom-Frontmännern und -frauen stehen noch mehr Menschen, die das Ziel des endgültigen Ausstiegs aus der Atomkraft in den Mittelpunkt ihres Arbeits­ lebens gerückt haben. Sie entwickeln regional abgestimmte Stra­ tegien, recherchieren Alternativ­ szenarien zur Energieversorgung, organisieren Proteste und Aktionen, diskutieren auf Fachtagungen, betreiben politisches Lobbying, ­suchen Verbündete und bilden Allianzen für das gemeinsame Ziel: Aus für die Atomkraft! Zusammen sind diese Leute der Greenpeace-Atom-Eingreiftrupp, der auf all diesen Ebenen gemeinsam ­arbeitet und oft unsichtbar für die Öffentlichkeit Enormes bewegt. Allein die Etappensiege in der vom Wiener Greenpeace-Büro koordinierten CEE-Region (Zentral- und Osteuropa) bedeuten fast schon Meilensteine: Die Erste Bank stieg

aus der F ­inanzierung des AKW Mochovce aus. In Bohunice schaffte unser Atom-Eingreiftrupp die Stilllegung von zwei Reaktoren und verzögert den geplanten Ausbau. In ­Dukovany verabschiedete sich ein Großinvestor aus der AKW-Finanzierung und stieg in die WindparkFinanzierung ein. In Österreich landet das Thema der Atomstrom­ importe auf der politischen Agenda. Immer im Einsatz Anti-Atom-Arbeit ist langwierig und komplex – und vor allem ist es keine „Schönwetter-Arbeit“. Sollte der Worst Case eintreten, steht der Atom-Eingreiftrupp im Dienst der betroffenen Bevölkerung – als verlässliches Informationsportal und mit unabhängigen Messungen, die Aufschluss über die tatsächliche Kontamination geben. Wie wichtig das ist, haben wir zuletzt in Japan gesehen, wo die Behörden erst nach massivem Druck die lebenswichtige Ausweitung der Evakuierungszone angeordnet haben. Aber zu einem solchen Einsatz soll es nicht mehr kommen müssen! Der Greenpeace-Atom-Eingreiftrupp ist rund um die Uhr im Einsatz, um das Ende des Atomkraftzeit­alters möglichst rasch zu besiegeln. Danke, dass Sie mit Ihrer Spende mithelfen. Denn damit kann der Eingreif­ trupp seine Anstrengungen vervielfachen! Und genau jetzt ist dafür der geeignete Zeitpunkt, denn nach dem ­Super-GAU in Fukushima ist die Weltöffentlichkeit für den Atomausstieg! n

Spenden für den Atom-Eingreiftrupp: P.S.K.: 7.707.100, BLZ 60.000 • Infos & Online-Spenden: www.greenpeace.at/eingreiftrupp

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„Fukushima wird ein Dauerproblem bleiben“ Der Wiener Heinz Smital ist Greenpeace-Experte, Kern­ physiker und Urgestein der Anti-Atom-Bewegung. Derzeit baut er in Japan ein Labor zur Messung der Strahlenbelastung auf. Kurz vor seinem brisanten Einsatz hat er zum ­Gespräch getroffen. INTERVIEW: EVI TRUMMER

v­ iele Kinder von Strahlenschäden betroffen sein. Fukushima wird ein Dauerproblem bleiben, leider. Wenn die Leute in einer kontaminierten Region leben, ist das sehr gefährlich. Sie bereiten den Aufbau eines Strahlenlabors in Japan vor. Was genau wird dort zu tun sein? Es gibt ganz viele

schneidendes Erlebnis. Die Bilder waren ganz furchtbar. Als der Reaktorblock explodiert ist, da sind mir Tränen gekommen. Aber es hat mich nicht überrascht, dass so was passieren kann. Und Fukushima ist sicherlich einschneidender als Tschernobyl. Da wurde immer behauptet, das kann in deutschen und westlichen Reaktoren nicht passieren. Fukushima ist aber ein Leichtwasserreaktor, wie er überall auf der Welt steht.

„Greenpeace hat sehr viel Respekt in Japan gewonnen“

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Wie schätzen Sie die langfristigen Schäden ein? Enorm. In Tschernobyl

hatte man nach zehn Tagen den Brand gelöscht und den Reaktor praktisch stabilisiert und nach sechs Monaten einen Sarkophag gebaut. Das war vor 25 Jahren. Nun wird ein zweiter Sarkophag gebaut, weil der erste baufällig wird, aber auch der wird wieder nur ein Provisorium sein. Die Situation in Fukushima ist noch viel komplizierter. Es ist klar, dass das Gebiet dauerhaft verstrahlt sein wird. Viele Leute werden leiden und

Fangen bis zum letzten Fisch In Europa sind die Fischtheken prall gefüllt – in Westafrika sind viele Fischereigemeinden in ihrer Existenz bedroht. Greenpeace brachte westafrikanische Fischer mit EU-Politikern zusammen, um für eine Reform der europäischen Fischereipolitik zu werben. Von Antje Helms

Was treibt Sie an, diese Aufgabe zu meistern? Ich habe Kernphysik stu-

Sind die Behörden vor Ort kooperativ? diert. Es gibt auch kerntechnische An-

Die Regionen sind sehr kooperativ. Greenpeace ist sehr solide vorgegangen und hat nach der Katastrophe keineswegs übertrieben. Wir haben exakte Daten darüber geliefert, wo eine erhöhte Strahlenbelastung existiert und welche Orte auch außerhalb der Evakuierungszonen zu verlassen sind. Dadurch hat Greenpeace sehr viel Respekt in Japan gewonnen. Wie gefährlich ist die Strahlenbelastung vor Ort? Wie schützen Sie sich?

Eine Kontamination ist im Boden vorhanden. Wenn keine Extremwetter­ lage aufkommt, dürfte die Luft aber relativ unbelastet sein. Wenn man sich mit Messgeräten bewegt, kann man abschätzen, wie lange man sich der

wendungen, zum Beispiel in der Materialprüfung und Klimaforschung, die berechtigt sind – aber eben nicht in der Energieerzeugung! Sobald man verstanden hat, wie die Zusammenhänge sind, steigen einem hier wirklich die Haare zu Berge. Ich war entsetzt dar­ über, Atomkraft als Energieform zu nutzen. Es ist im Grunde absurd, eine Technologie, die bei geringem Wärmeeffekt so viel Strahlenrisiko birgt, in einem sehr komplexen Prozess zur Erwärmung von Wasser zu nutzen. Das wäre so auch nicht entwickelt worden, hätte man nicht das Plutonium für die Bomben gewollt. Ich hab mich da von Anfang an bemüht, Unwahrheiten, die von der Atomindustrie in die Welt ­gesetzt werden, zu berichtigen. n

Fotos: © Christian Åslund/GP

Sie kämpfen seit über 20 Jahren gegen Atomkraft. Was bedeutet Fukushima für Sie? Das ist ein sehr ein-

Aufgaben. Vor allem gibt es Anfragen von Bürgermeistern und der Bevölkerung, die wissen wollen, wie viel Strahlung sich in den Böden, Lebensmitteln und Meeresfrüchten befindet. Wir werden Messgeräte installieren, eichen und Menschen in die Benutzung einweisen. Das ist eine sehr ambitionierte Aufgabenstellung. Da fließt gerade die ganze Expertise und die ganze Kraft, die Greenpeace International hat, mit ein.

Strahlung aussetzt und was ein akzeptables Risiko ist. Ein größeres Problem ist die langfristige Aufnahme durch die Nahrung. Da muss man auch die Grenzwerte viel strenger ansetzen, als das in Europa damals passiert ist. Denn wenn man einmal ein verstrahltes Wildschwein gegessen hat, ist das nicht so schlimm, wie wenn man sich ständig von verstrahlten Lebensmitteln ernähren muss. Aber prinzipiell gibt es keine ungefährliche Strahlendosis, selbst wenn man die Grenzwerte einhält, muss man versuchen, die Belastung möglichst gering zu halten. Das sind ganz komplexe Fragestellungen, und da wollen wir auch der Regierung auf die Finger schauen, indem wir eigene Einschätzungen abgeben.

Foto: © GP/ Evi Trummer

Interview

African Voices: Haroune Ismail Lebaye und Ameth Wade auf Besuch in Wien (u.). Die Fischer sind durch riesige Fangschiffe aus der EU (l.) in ihrer Existenz bedroht.

Gerade einmal 4.860 Kilometer Luftlinie sind es von Wien nach Joal, der größten Fischereigemeinde des Senegal. Und doch liegen Welten zwischen diesen beiden Orten. Aus dieser anderen Welt stammt Ameth Wade, 39. Seine Familie lebt seit Generationen am und vom Meer. Ameth teilt sich mit drei anderen Fischern eine kleine offene Piroge mit Motor und ernährt damit seine Familie mit drei Kindern. Doch wie lange er das noch kann, weiß er nicht. „Mein Vater ist morgens mit der Piroge losgefahren und war abends mit 500 Kilogramm Fisch zurück. Jetzt müssen wir manchmal zwölf Tage lang weit aufs offene Meer hinaus, um 60 Kilogramm nach Hause zu bringen“, erzählt er von seinem zunehmend schwierigen Arbeitsalltag. „Unsere Boote sind für die offene See nicht gebaut, es ist sehr gefährlich. Aber wir haben keine andere Wahl: Im Senegal sind 15 Millionen Men-

schen von dem abhängig, was wir ­fischen – also alle!“ Trotz dieser unmöglichen Situation ist er aktiv geworden: Als Sprecher der Vereinigung junger Fischer kämpft er für das Überleben nicht nur seiner Gemeinde. Die Fischer von Joal sind in einer Kooperative aktiv, die Krankenversicherungen anbietet und Kleinkredite vermittelt. Sogar ein Meeresschutzgebiet hat die Gemeinschaft geschaffen. Die Fischer denken und handeln nachhaltig – doch gegen die fremden Fangflotten vor ihrer Küste, die EU-Riesentrawler, die ihnen vor ihrer Haustür die Lebensgrundlage wegfischen, konnten sie bisher nichts ausrichten. Ameths Ziel: Europäer sollen von den Problemen in Westafrika erfahren. Versiegter Fischreichtum Sein Mitstreiter dabei ist Ha­ roune Ismail Lebaye. Er stammt aus Rosso, einem Dorf im Norden Mau-

retaniens, das vom Fischfang lebt. „Früher haben wir mithilfe der Delfine gefischt: Wir haben am Strand mit Stöcken auf das Wasser geschlagen, und sie haben uns die Fische zugetrieben. Wir konnten unsere Netze einfach im seichten Wasser auslegen“, erzählt Haroune. Diese traditionelle Fangmethode existiert heute nicht mehr. „1988, ein Jahr nachdem Mauretanien zum ersten Mal ein Fischereiabkommen mit Europa abgeschlossen hatte, konnten wir das letzte Mal so fischen“, sagt Haroune. Überall in Westafrika spüren die Küstenfischer die dramatische Überfischung ihrer Heimatgewässer durch die rund 150 Riesentrawler aus der EU. Die Abkommen mit Mauretanien, Kap Verde und Marokko – bis 2006 auch mit dem Senegal – sorgen dafür, dass vor allem die Fischereiindustrie in Spanien und den Niederlanden vom Fischreichtum in Äquatornähe profitiert. Den lokalen Küstenfischern bleibt nur der Schaden an ihrem Ökosystem. Von den Millionen Euro, die aus Brüssel an die Regierungen als „Entschädigung“ gezahlt werden, sehen sie keinen Cent. Als Steuerzahler finanzieren wir übrigens dieses System aus Überfischung, fehlgeleiteten Subventionen und mafiösen Strukturen mit.

Es ist höchste Zeit, dass europäische Politiker mit den Folgen ihrer falschen Politik konfrontiert werden. Der Zeitpunkt ist günstig: Bis Ende 2012 steht die Reform der europäischen Fischereigesetzgebung an. Das bietet die Chance, endlich eine nachhaltige Fischerei – auch in Westafrika – verbindlich festzulegen. Ob es gelingt, in Zukunft Überfischung, Umweltzerstörung sowie soziale und ökonomische Schäden für Küstenfischer zu verhindern, liegt zum Großteil an den Fischereiministern der EU-Länder. Auch Österreich kann und muss dabei aktiv seine Stimme erheben, schließlich sind auch unsere Fisch­theken prall mit Fisch gefüllt. „Man kann nicht immer nur ernten, man muss auch säen und wachsen lassen“, appellierte Haroune in Wien gegenüber dem österreichischen Parlament. Allianz mit Greenpeace Unterstützung für ihr Anliegen finden die westafrikanischen Fischer bei Greenpeace. Neun europäische Greenpeace-Büros arbeiten in den nächsten 15 Monaten gemeinsam mit ihnen im Rahmen unserer Meereskampagne intensiv für eine nachhaltige Fischereipolitik in Europa. Und dafür, dass unsere Welt mit der von Ameth und Haroune ein Stück weit zusammenrückt. n

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Gefährlicher Einsatz für einen bedrohten Wald

Die Bürgerrechte werden ignoriert, wenn es um wirtschaftliche Interessen mächtiger Persönlichkeiten geht.

Ein Naturparadies soll einer Autobahn geopfert werden. Umweltschützer setzen sich für den Erhalt des Khimkiwaldes ein – doch in Russland sind solche Aktivitäten mit Gefahren verbunden. Von Lisa Begeré

Der Khimkiwald liegt zwischen Moskau und dem Flughafen Scheremetjewo. In seiner heutigen Größe von etwa 1.600 Hektar besteht er seit dem späten 18. Jahrhundert. Er ist damit einer der zwei letzten großen Primärwälder in der Nähe der russischen Hauptstadt. Für über eine Million Moskauer ist der Wald ein natürliches Naherholungsgebiet vor den Toren der Metropole. Mit seinen alten Eichenhainen und einer artenreichen Flora und Fauna ist der Khimkiwald ein wichtiges Sauerstoffreservoir, CO2-Schlucker und zudem der natürliche Lebensraum zahlreicher Wildtiere. Doch das Ende dieses Naturparadieses ist – zumindest auf dem Plan – besiegelt. Durch den Wald soll eine mautpflichtige Autobahn gebaut werden – obwohl der Khimkiwald gesetzlich geschützt ist. Laut russischer Rechtsprechung dienen Primärwälder ausschließlich der Erholung und dürfen nur gerodet werden, wenn es keine Alternative gibt. Doch die gibt es beim Khimkiwald gleich mehrfach. Nach Ansicht von Experten gibt es elf Trassenvarianten, darunter auch weit kostengünstigere als jene durch den Wald. Doch das Gesetz zählt nicht viel, wenn gewichtige Interessen einflussreicher Personen dagegenstehen. Einer der Partner ist ein langjähriger Freund des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin. Weiters ist neben mehreren russischen Bauunter-

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nehmen und Ingenieurbüros auch der französische Baukonzern Vinci SA an der geplanten Waldzerstörung beteiligt. Der von oben abgesegnete Gesetzesbruch wird mit guten finanziellen Aussichten belohnt: Das Projekt verspricht 30 Jahre Mauteinnahmen und die Erschließung neuer Flächen, die als wertvolles Bauland für Luxuswohnungen gelten. Ökologischer Sündenfall Der Verlust des Khimkiwaldes wäre für wenige ein Gewinn und für die meisten ein Verlust. Zudem wäre der Autobahnbau ein gigantischer ökologischer Sündenfall, den Umwelt- und Klimaschützer nicht akzeptieren können. Letzten Sommer versammelten sich tausende Demonstranten mitten im Zentrum von Moskau, um gegen das Projekt ihre Stimme zu erheben. Wenig später wurde die Unzulässigkeit des Autobahnbaus vom russischen Präsidenten Dmitri Medwedew bestätigt. Er verordnete einen Baustopp. Doch die starken wirtschaftlichen Interessen brachten das Projekt im Mai wieder in Gang. Derzeit wird widerrechtlich und ohne staatliche Genehmigung im Khimkiwald gerodet. Doch der Widerstand formiert sich. Das Bauprojekt hat eine gut organisierte Protestbewegung entstehen lassen, in einem Land, das sich mit Bürgerrechten sehr schwer tut. Eine überwältigende Mehrheit

von 70 Prozent der Moskauer Bevölkerung ist gegen die geplante Trasse. Gerne sehen sich die russischen Aktivisten auch in Verbindung mit den Bürgerprotesten zu dem deutschen Bahnprojekt Stuttgart 21. Nur kämpfen sie in Russland unter anderen Bedingungen. Immer wieder kommt es zu Angriffen auf Aktivisten und recherchierende Journalisten. Mitglieder der Bewegung wurden mehrfach von bewaffneten Schlägern, privaten Securities oder rechten Gruppierungen bedroht. Aktivisten, die sich bei den Behörden nur über den Stand der Dinge erkundigen wollten, wurden festgenommen. Auch vor roher Gewalt wird nicht zurückgeschreckt. Vermutungen liegen in der Luft, dass der brutale Überfall auf den dabei schwer verletzten Journalisten Michail ­Beketow mit dessen Reportagen über den Wald zu tun hat. Die Sprecherin der Bewegung, Jewgenia Tschirikowa, wurde im Protestcamp im Khimkiwald von einem Bagger angefahren. Seitdem ist sie in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Trotz alledem geben sich die Aktivisten und Projektgegner nicht geschlagen. Aktivisten haben ein Camp errichtet, um die Abholzung der Bäume zu verhindern. Dort eskaliert immer wieder die Konfrontation mit der Polizei. Anstatt die Abholzung als ­illegal anzuerkennen und die Demonstranten zu schützen, kommt es zu willkürlichen

Fotos: © Daniel Beilinson, © Witali Pagulin

Eine neue Autobahntrasse mitten durch einen gesetzlich geschützten Primärwald (o.): Der Khimki Forest nahe der russischen Hauptstadt fällt den wirtschaftlichen Interessen korrupter Unternehmer zum Opfer. Widerstand gegen die Zerstörung kann gefährlich werden.

Verhaftungen. Brutal werden Aktivisten vom Bagger gezerrt, in Autos geprügelt, auf der Wache verhört und ihnen jeglicher Rechtsschutz verweigert. Bereits zweimal mussten russische Gerichte zugeben, dass die Polizei rechtswidrig bei den Verhaftungen vorgegangen ist. Der Fall ist bezeichnend für den russischen Rechtsstaat: Bürgerrechte werden dann ignoriert, wenn es um wirtschaftliche Interessen mächtiger Persönlichkeiten geht. Der Khimkiwald ist ein deutliches Beispiel dafür, dass der grundsätzliche und sehr wichtige Schutz des Waldes im riesigen russischen Territorium jederzeit und an

j­edem Ort willkürlich außer Kraft gesetzt werden kann. Das ist erschreckend in einer Zeit, in der die internationale Gemeinschaft sich über die Bedeutung der Wälder im Kampf gegen den Klimawandel und das Artensterben einig ist und ihren Schutz als existenziell wichtig ansieht. Dass die Zerstörung des Khimkiwaldes im UNO-Jahr der Wälder betrieben werden kann, ist provozierend und beschämend für alle Umwelt- und Klimaschützer. Internationaler Protest Deshalb ist es nun umso wichtiger, den Kampf der russischen Umweltaktivisten in das internationale Bewusstsein zu bringen. Der öffentliche Druck auf beteiligte Unternehmen wie den französischen Konzern Vinci muss deutlich erhöht werden. Denn das Unternehmen hat einen Ruf zu verlieren: Immerhin missachtet Vinci seine eigenen Umweltrichtlinien und bricht den unterzeichneten UN Global Compact, einen Verhaltenskodex zur verantwortungsvollen Unternehmensführung. Es ist noch nicht zu spät, die Abholzung dieses einzigartigen Waldes am Rande der Weltstadt Moskau kann noch verhindert werden. Das Bewusstsein für Umwelt und Natur ist in Russland noch eher schwach ausgeprägt, doch immer mehr Menschen machen sich für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen stark – ohne sich von der Willkür einschüchtern zu lassen. Greenpeace unterstützt den Kampf für den Schutz des Khimkiwaldes seit über drei Jahren und verfolgt die Geschehnisse auch vor Ort, aus nächster Nähe. Unser Waldkampaigner Alexey Yaroshenko war der einzige Experte, der vom russischen Präsidenten Medwedew zur Diskussion über den Khimkiwald geladen wurde. Und auch Sie können etwas tut: Um die russischen Aktivisten zu unterstützen, unterzeichnen Sie die Petition auf www.khimkiforest.org/. Damit fordern Sie das Unternehmen Vinci auf, sich so lange nicht am Autobahnbau zu beteiligen, bis eine alternative Route beschlossen wird, die dem Khimkiwald seinen gesetzlich geschützten Raum lässt. n

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Fotos: © Bente Stachowske/GP, © GP/Christian Åslund (2)

zwei ihrer eigenen Wissenschaftler mit einer von der Behörde abweichenden Meinung schwere Bedenken angemeldet haben: Sie schlossen nicht aus, dass eine Übertragung der Resistenzen auf Krankheitserreger möglich ist. Damit wären dann lebensrettende Antibiotika für die Bekämpfung von Krankheiten wie Tuberkulose wirkungslos. Auch könnte man sich fragen, warum einige Mitgliedsstaaten der EU sowie auch einige NGOs (darunter Greenpeace) bereits rechtliche Schritte gegen die Zulassung eingeleitet haben. Viele Schwachstellen Wie kann es also sein, dass eine Gentech-Kartoffel mit derartig gravierenden Sicherheitsmängeln in der EU angebaut werden darf? Um das nachvollziehen zu können, müssen wir das europäische Zulassungssystem und seine Schwachstellen genauer ansehen. Wie sieht der Weg einer gentechnisch manipulierten Pflanze vom Labor bis aufs Feld und schließlich auf den Teller aus?

Seit über einem Jahr darf die gentechnisch manipulierte Kartoffel Amflora grundsätzlich auf europäischen Äckern ausgebracht werden – und das, obwohl viele EU-Länder die Gentechnik ablehnen. Nun liegt ein Vorschlag am Tisch, der den einzelnen Staaten wieder mehr Entscheidungshoheit zubilligt. Von Philipp Stohm

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schen Chemiekonzern BASF, dürfte das reichlich egal sein, denn BASF hofft mit der Vermarktung auf das große Geld. Voraussetzung dafür ist aber, dass niemand dazwischenpfuscht und auf die Idee kommt, unangenehme Fragen zu stellen. BASF gab der Kartoffel den Namen Amflora. Sie wurde so manipuliert, dass sie mehr von einer ganz bestimmten Stärke produziert. Das brauche die Industrie und spare überdies noch Energie in der Pro-

duktion, sagt BASF. Die Papierherstellung zum Beispiel wäre dann „umweltschonender“. Der deutsche Chemiekonzern BASF entwickelte also die Amflora zum Schutz unserer Umwelt – hört, hört! So abwegig das klingen mag, diese Argumentation hat bislang tatsächlich ausgereicht, dass Amflora im Frühjahr 2010 eine europaweite Zulassung für den Anbau erhalten konnte. Greenpeace hat dann aber doch ein paar Fragen: Warum zum Beispiel

hat die Kartoffel eine Genehmigung zur Verunreinigung der Lebensmittelkette erhalten (ja, so einen Freifahrschein gibt es tatsächlich, ausgestellt von der EU-Kommission), wenn sie doch angeblich nur in der Industrie eingesetzt werden soll? Und was ist eigentlich mit dem Antibiotika-Resistenzgen, das der Knolle eingebaut wurde? Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat der Amflora grünes Licht für die Zulassung gegeben – obwohl

Hier kommt jetzt eine Besonderheit des europäischen politischen Systems zum Zug, das in der Frage der Gentechnik unerfreuliche Konsequenzen mit sich bringt: Entscheidungen des EU-Rats brauchen eine qualifizierte Mehrheit von 73 Prozent. In der Regel ist die Mehrheit der Länder zwar gegen Gentechnik, aber sie kommt gemeinsam nicht auf das geforderte Ausmaß. Genug ist in diesem Fall nicht ausreichend. Da der Rat keine qualifizierte Mehrheit erreicht, ist die Kommission wieder am Zug – und die hat der Amflora grünes Licht gegeben. Derzeit laufen zwei Gerichtsverfahren, um die Zulassung anzufechten – und damit besteht Hoffnung, dass der Anbau der Gentechnik-Kartoffel nicht von Dauer sein wird. Die Frage, die sich derzeit jeder stellt, ist: Wie soll das mit der Gentechnik in Europa weitergehen? Die befürchteten Schäden für die Umwelt zeichnen sich in den Haupt­ anbauländern USA, Brasilien und Argentinien mit resistenten Unkräu-

will die Kommission aber nicht, weil sie glaubt, dass dies den Regeln der WTO (Welthandelsorganisation) widersprechen würde. Deshalb hat sie einen anderen Ausweg gewählt: Die Mitgliedsstaaten sollen das Selbstbestimmungsrecht über den Anbau erhalten. Die Kommission lässt also auf europäischer Ebene Genpflanzen zu – und wem das nicht gefällt, der kann es dann national wieder verbieten. Mehr Anbau in Europa Dieser Vorschlag, der wahrscheinlich angenommen werden wird, hat Vor- und Nachteile. Für Österreich wäre positiv, dass wir der Gentechnik endgültig den Riegel vorschieben können. Das Problem ist aber, dass Pro-Gentechnik-Länder leichter anpflanzen können, was insgesamt in Europa wohl zu mehr Anbau führen wird. Da Österreich keine Insel ist, besteht die Gefahr, dass auch unsere Landwirtschaft durch grenzüberschreitenden Handel mit Saatgut oder Bienenflug verunreinigt wird.

Die Frage, die sich derzeit jeder stellt: Wie soll es mit der Gentechnik in Europa weitergehen?

Europas Ringen mit der Gentechnik 19. Mai 2011, fünf Uhr früh: Ein Dutzend Greenpeace-Aktivisten rücken aus, um ein unscheinbares Holzhaus irgendwo im Norden Schwedens zu blockieren. Der Einsatz hat ein brisantes Ziel: Im Inneren des Hauses lagert, verborgen von der Öffentlichkeit, eine gentechnisch veränderte Kartoffel. Niemand weiß so genau, was es für Umwelt und Gesundheit bedeutet, wenn diese Kartoffel in die Natur gelangt. Ihrem Besitzer, dem deut-

Zunächst entwickelt der Hersteller seine Pflanze und meldet auf das dabei verwendete Verfahren ein Patent an. Dann führt er selbst die vorgeschriebenen Sicherheitstests durch und reicht diese Daten bei der EFSA ein. Die kommt dann aufgrund der übermittelten Datenlage zu dem Urteil, dass mögliche Schäden für Umwelt und Gesundheit „unwahrscheinlich“ sind. Das ist, als würden Sie die Sicherheit Ihres Autos selbst testen und das Ergebnis dann bei einer Zulassungsstelle einreichen – die dabei das Auto selbst nie zu Gesicht bekommt. Und da niemand so blöd ist, der Zulassungsstelle zu sagen, dass die Bremsen nicht richtig funktionieren, würde auch jeder ein Pickerl bekommen. Etwa so läuft es bei Zulassungen für Genpflanzen ab – was dazu führt, dass die EFSA seit ­ihrem Bestehen noch keine einzige Pflanze abgelehnt hat. Nachdem die EFSA ihr „OK“ gegeben hat, legt die Europäische Kommission die Pflanze den Mitgliedsstaaten im Rat zur Abstimmung vor.

Proteste gegen die Gen­ technik haben bei Greenpeace bereits eine lange Tradition. Zuletzt wurde in Schweden gegen die Auspflanzung einer gentechnisch manipulierten Kartoffel mobil gemacht. Wochenlang blockierten Aktivisten aus ganz Europa ein Gebäude, in dem das Saatgut der umstrittenen AmfloraKartoffel gelagert wurde.

tern und steigendem Spritzmittel­ einsatz mehr und mehr ab. Die Bevölkerung ist fast europaweit ablehnend eingestellt, weil gesundheit­ liche Auswirkungen nicht geklärt sind. Die Befürworter werfen den Gegnern übertriebene Emotionalität vor. Die Gegner den Befürwortern wiederum Blindheit für die Risiken. Damit ähnelt die Debatte in einigen Punkten jener über Atomkraft. Beide Technologien sind mit einem Restrisiko verbunden. Bei beiden kann eine Fehleinschätzung verheerende und unumkehrbare Folgen haben, und bei beiden sind es ein paar wenige Unternehmen, die damit das große Geld verdienen und dementsprechend Druck auf die Politik ausüben. Europa muss dringend zu Entscheidungen kommen. Die Europäische Kommission weiß, dass jedes Zulassungsverfahren, ganz egal wie streng, niemals die Restrisiken ausschließen können wird. Deshalb fordert Greenpeace, dass Gentechnik – dem Vorsorgeprinzip folgend – generell vom Acker verbannt wird. Das

Für die Gentechnikfreiheit in der europäischen Lebensmittelproduktion ist der Vorschlag bestimmt keine Lösung, und es darf sogar bezweifelt werden, dass er für Österreich ein Gewinn sein wird – auch wenn Landwirtschaftsminister Berlakovich ihn gerne in den Himmel lobt. Wahrscheinliche Konsequenz wird sein, dass sich der Kampf gegen Gentechnik von europäischer auf nationale und sogar auf regionale Ebene verlagert. Unsere Blockade in Nordschweden ist bereits ein gutes Beispiel dafür, wie der Einsatz gegen Gentechnik eben auch lokal funktionieren kann. Wenngleich die dortige Aktion über mehrere Wochen mit vielen Festnahmen endete und wir den Anbau der Amflora letztlich nicht verhindern konnten, so hat sich doch etwas bewegt: Die regionale Regierung erwägt, sich zur gentechnikfreien Region zu erklären. Damit könnte der Anbau der Amflora in Nordschweden nach nur zwei Pflanzsaisonen schon wieder dem Ende zugehen. n

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Im Februar 2011 traf der Zyklon Yasi das australische Festland und hinterließ vollkommene Zerstörung (l.). Der Tropensturm war das stärkste bisher gemessene La-Niña-Ereignis. VW – The Dark Side: Mit Anlehnung an „Star Wars“ will Greenpeace den Autokonzern VW von der dunklen Seite zurückholen. Das Unternehmen nutzt seinen Einfluss, um strengere Klimaschutzgesetze zu verhindern. Mehr zu dieser Kampagne unter www.vwdarkside.com

Die Ergebnisse der alljährlichen Klimaschutzkonferenzen sind bescheiden. Das KyotoProtokoll hat viele Schwächen und ist dennoch das einzig verbindliche internationale Abkommen zur Reduktion von Treibhausgasen. Aber im kommenden Jahr läuft es aus, was danach kommt, steht in den Sternen. Von Niklas Schinerl Während die Welt gerade die Bilder aus Fukushima verkraftet und auf ein Ende der Atomenergie hofft, ereilt uns eine Nachrichtenmeldung der Internationalen Energieagentur (IEA) mit weitreichenden Konsequenzen: Der weltweite CO2-Ausstoß im Jahr 2010 hat sein Rekordhoch erreicht. Während die Europäische Union, die USA und die Schwellenländer seit Jahren lautstark über die Senkung der Treib­ hausgase feilschen, heizen wir den Klimawandel weiter an. Die verheerende Ironie daran: 2010 ist nicht

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nur das Jahr mit den höchsten CO2Emissionen, sondern auch das Jahr, in dem das Kyoto-Protokoll eigentlich hätte erfolgreich sein sollen. Im Kyoto-Abkommen hat sich die internationale Staatengemeinschaft darauf geeinigt, die Treibhausgas-Emissionen bis eben 2010 um 5,2 Prozent zu reduzieren. Fatih Birol, der Chefökonom der Internationalen Energieagentur, zeigt sich über diese Entwicklung besorgt: „Dies lässt die Hoffnung schwinden, dass wir das Ziel einer Klimaerwärmung unter zwei Grad erreichen.“

Die angeführten zwei Grad gelten als zentrales Ziel der internationalen Klimaschutzpolitik und bezeichnen die globale Erwärmung gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung – und damit verbunden des großflächigen Einsatzes fossiler Brennstoffe. Basierend auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen kann der Klimawandel unterhalb der Zwei-Grad-Grenze mit relativer Wahrscheinlichkeit unter Kontrolle gehalten werden. Sollte das Ziel überschritten werden, könnte es

zu einem sprunghaften Anstieg Richtung drei, vier Grad in den kommenden Jahrzehnten kommen. Allerdings ist das Zwei-GradZiel k­ eine scharfe Grenze, sondern ein Richtwert, über den hinaus die ­Ungewissheit über die Auswirkungen des Klimawandels überpro­ portional stark ansteigt. Viele der Folge­ erscheinungen treffen uns erst in den kommenden Jahr­ zehnten. Joachim Schellnhuber, Direktor des angesehenen Pots­ ­ dam-­ Instituts für Klimafolgen­ forschung, erklärt ein mögliches

Fotos: © Dean Sewell/GP, © Michael Loewa/GP, © GP

Was passiert, wenn nichts passiert ?

Szenario: „Bei etwa 2,5 Grad ist das Abschmelzen des Grönland-Eises wahrscheinlich. Der Meeresspiegel würde dann langfristig, also über die kommenden Jahrhunderte, um sieben Meter ansteigen. Bei drei Grad steht der Regenwald am Amazonas auf dem Spiel. Bei weiterer Erwärmung würden die Permafrostböden auftauen und mit der Freisetzung von riesigen Mengen Methan den Effekt weiter dramatisch anheizen.“ Bedrohliche Aussichten Dabei werden die Auswirkungen der globalen Erwärmung Europa stärker treffen als andere Regionen. Laut einer Studie der Europäischen Umweltagentur (EEA) werden bereits im Jahr 2050 drei Viertel aller Schweizer Gletscher geschmolzen sein. Außergewöhnliche Hitzewellen wie die des Sommers 2003 stehen um 2050 regelmäßig vor der Tür. Damals starben in Europa Zehntausende und allein in Wien 130 Menschen an den Folgen der hohen Temperaturen. Nach einer Studie der EEA hat sich die Zahl der Wetterkatastrophen in den 1990er-Jahren im Vergleich zum Vorjahrzehnt verdoppelt. Die Klimamodelle projizieren eine klare Tendenz zu mehr und heftigeren Dürren und Unwettern. Bis 2050 werde sich die Zahl der von

Fluten bedrohten Menschen in Europa verdoppeln. Dieses Phänomen erklärt sich daraus, dass warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Die Niederschläge in wärmerem Klima werden sich auf wenige, aber heftigere Ereignisse konzentrieren. Dadurch steigt an Flüssen auch die Gefahr von Hochwassern. Aus diesen Klimaveränderungen erwächst alleine der österreichischen Volkswirtschaft in den kommenden Jahrzehnten ein Schaden von 70 Milliarden Euro. Alles in allem sind das sehr bedrohliche Aussichten. Warum ist es dennoch so schwierig, sich auf eine wirkungsvolle Klimaschutzpolitik zu einigen? Der Hauptverursacher des Klimawandels, das Kohlendioxid, ist unvermeidbares Nebenprodukt großer Teile der Energiegewinnung und der Infrastruktur aller Industriestaaten – sei es in Form von Kohlekraftwerken zur Stromgewinnung, in den Verbrennungsmotoren der Pkw oder durch die Beheizung der Wohnungen und Häuser mittels Erdgas. Gleichzeitig können die durch diese Verbrennungsvorgänge in die Atmosphäre gekom­ menen Kohlendioxid-Anteile über Jahrhunderte nicht abgebaut werden. Besorgniserregend ist für Fatih Birol von der Internationalen Energieagentur eben genau die Tatsache,

dass etwa 80 Prozent der vorhergesagten Emissionen unveränderlich sind, da sie aus bestehenden oder im Bau befindlichen Kraftwerken stammen. Im vergangenen Jahr stammten 44 Prozent der klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, 36 Prozent aus der Nutzung von Öl und 20 Prozent aus Erdgas. Genau hier müssen also viele Maß­ nahmen gesetzt werden, um den Klimawandel begrenzen zu können. Greenpeace hat daher in einer gemeinsam mit der EVN und der Gewerkschaft vida durchgeführten Studie „energy [r]evolution 2050“ politische Maßnahmen für Österreich vorgestellt, wie in den kommenden Jahrzehnten mittels Energieeffizienz und Umstieg auf erneuerbare Energieträger die nationalen CO2-Emissionen um 90 Prozent gesenkt werden können. Globaler Klimaschutz Doch erst wenn die nationalen Anstrengungen international werden, gelingt globaler Klimaschutz. Für Länder wie China, Indien oder Brasilien wird mit dem Recht auf unbegrenzten CO2-Ausstoß das Recht auf ein besseres Wohlstandsniveau in Verbindung gebracht. ­Bereits beim einzigen verbindlichen internationalen Klimaschutzver-

DIENSTAG

22.09.2011

AUTOFREIER TAG MIT GREENPEACE & CO. IN WIEN Standort-Infos und News unter www.autofreiestadt.at

trag – dem Kyoto-Abkommen – offenbaren sich Probleme, denn die Emissionen steigen weltweit weiter an. Das Kyoto-Abkommen hat zwei zentrale Schwächen: die USA und China. Die USA haben das KyotoAbkommen zwar mit ausverhandelt und unterschrieben, konnten es aber innenpolitisch nicht umsetzen. Und in den letzten Jahren hat sich China zum größten CO2-­ Emittenten entwickelt, hat jedoch als Schwellenland keine Reduk­ti­ ons­verpflichtungen im Kyoto-­Ab­ kommen. Zwar haben zahlreiche Staaten im Vorfeld der wichtigen, aber gescheiterten Klimaschutzkonferenz 2009 in Kopenhagen jeweils nationale Klimaschutzziele für das Jahr 2020 vorgestellt, allerdings sind diese nicht international verbindlich, sondern freiwillig für das jeweilige Land. Aber selbst diese genannten Ziele werden – wenn sie umgesetzt werden – nicht dazu ausreichen, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten. Diesbezügliche Verbesserungen sind in den letzten beiden Jahren keine passiert. Die Klimaschutzkonferenz hat die österreichische Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb als einen globalen ­Intelligenztest bezeichnet. Derzeit deutet vieles darauf hin, dass wir bei diesem Test durchfallen. n


JAHRESBILANZ 2010 Im Jahr 2010 haben 130.611 SpenderInnen in Österreich und 25.448 SpenderInnen in Osteuropa die Arbeit von Greenpeace CEE (Central & Eastern Europe) unterstützt. Ihnen allen ein herzliches DANKE – jede Spende zählt für uns! Der Verein Greenpeace CEE hat seinen Sitz in Wien. Mit den Spendeneinnahmen von Greenpeace CEE wird Kampagnenarbeit in Österreich und Osteuropa finanziert. Weiters unterstützt Greenpeace

CEE auch die internationalen Kampagnen von Greenpeace International (GPI), da die rücksichtslose Ausbeutung der Natur nicht an Ländergrenzen haltmacht. Haben Sie Fragen zu Ihrer Spende? Dann kontaktieren Sie uns bitte: ✆ 01/545 45 80-80; E-Mail: spenden@greenpeace.at; Postadresse: Greenpeace CEE, Fernkorngasse 10, 1100 Wien. Weitere Informationen finden Sie unter www.greenpeace.at

Einnahmen in '000 EUR

2010

2009

Regelmäßige Unterstützung

6.888

6.617

Einmalige Unterstützung

1.048

1.121

Verlassenschaften

25

46

GPI-Förderbeitrag

460

627

62

77

Zinserträge Sonstige Erträge Erträge aus der Auflösung von Rückstellungen Gesamteinnahmen

22 37

8.624

8.548

0

94

Summe

8.624

8.642

Ausgaben in '000 EUR

2010

2009

Kampagnenarbeit in Österreich

4.308

4.680

Allgemeine Kampagnenarbeit

1.244

1.312

Informationen zu Kampagnen

2.413

2.603

651

765

Nettoeinnahmen aus den Rücklagen

Öffentlichkeitsarbeit zu Kampagnen Kampagnenarbeit in Osteuropa

1.264

1.186

Internationale Kampagnenarbeit

1.974

1.838

Fundraising

730

710

Verwaltung

214

209

Zinsen und Steuern Zwischensumme Einstellung in Rücklagen Gesamtausgaben

JahresüberschuSS/-fehlbetrag in '000 EUR

22 act

18 123

19

18

8.509

8.642

115

0

8.624

8.642

0

0

Fotos: © Rene Huemer/GP, © Dean Sewell/GP, © Daniel Beltrá/GP, © GP/Kurt Prinz

Durch Menschenhand verursachte Naturkatastrophen: In Ungarn verwüstete eine Rotschlamm-Lawine ganze Landstriche (l.), der Golf von Mexiko wurde von einer Ölpest heimgesucht (r.). Erfolg gab es 2010 beim Urwaldschutz: Aufgrund der KitKat-Kampagne sicherte Sinar Mas zukünftig eine nachhaltige Palmölproduktion zu.

Greenpeace CEE 2010 – Ein Rückblick 2010 war ein denkwürdiges Jahr für die Wiener Zentrale von Greenpeace CEE (Central & Eastern Europe). Euphorie und Ernüchterung folgten in dieser Zeit so knapp aufeinander wie schon lange zuvor nicht mehr. Es war ein Jahr der großen Katastrophen – aber auch ein Jahr der großen Erfolge im Kampf um den Erhalt unseres Planeten!

Das alles überschattende Ereignis war 2010 die Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko. Diese Katastrophe war kein unvorhersehbarer Unfall, sondern ein Desaster mit Ansage: ein Versagen der Politik, die aus der fortgesetzten Abhängigkeit vom Öl die falschen Rahmenbedingungen setzt, und ein gefährlicher Drahtseilakt von multinationalen Konzernen, die sich einzig dem Profit verpflichtet haben. Verantwortungslosigkeit gepaart mit Gier und einer hohen Risikobereitschaft sind immer ein schlechtes Geschäft für Mensch und Umwelt! Greenpeace hat während des Verlaufs der Katastrophe vehement Aufklärung vonseiten der Behörden eingefordert, diese Daten auf Stichhaltigkeit überprüft, die Öffentlichkeit informiert, weltweit Protestaktionen abgehalten und Millionen Menschen mobilisiert. Die „Arctic Sunrise“, ein Schiff der Greenpeace-Flotte, ist noch im Sommer 2010 zu einer mehrmonatigen Expedition ins Katastrophengebiet aufgebrochen – mit zahlreichen Wissenschaftlern renommierter internationaler Universitäten an Bord. Deren Forschungs­er­geb­ nisse werden die Propaganda der Ölkonzerne über die tatsächlichen Aus-

wirkungen der Ölpest schwarz auf weiß entlarven können. Und unsere zentrale Forderung weiter untermauern: Keine Ölbohrungen in der Tiefsee, sei es im Golf von Mexiko, dem Mittelmeer oder der Arktis!

Büro – durch unsere Analysen, die wir nach der Auswertung sofort der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben. Wesentlich besser finden wir es ­ atürlich, wenn wir nicht auf bereits n eingetretene Katastrophen reagieren müssen, sondern durch unsere Arbeit zukünftige verhindern können. In diesem Sinn war 2010 ein gutes Jahr! Eines der größten Umweltverbrechen, die auf unserem Planeten geschehen, ist die Abholzung der letzten Regenwälder. 2010 haben wir einem der großen Zerstörer, dem indonesischen Konzern Sinar Mas, gezeigt, dass solche Umweltverbrechen keinesfalls straffrei bleiben. Hunderttausende Menschen beteiligten sich an unserer KitKat-Kampagne ­gegen die Vernichtung von Urwald für die Produktion von Palmöl. Das war genug, um Sinar Mas nach dem Verlust einiger seiner großen Kunden an den Verhandlungstisch zu bringen – und die Zusicherung für eine zukünftig nachhaltige Palmölproduktion zu erreichen!

2010 waren wir auch mit einer großen Umweltkatastrophe in einem unserer Nachbarländer konfrontiert. Der Dammbruch in einem Rotschlammbecken der ungarischen Aluminiumfabrik MAL verwüstete mehrere Dörfer, tötete zehn Menschen und raubte unzähligen anderen ihre Lebensperspektive – inmitten einer verseuchten Umwelt ist eine gesicherte Existenz nicht mehr möglich. Das CEE-Büro stand im Sog der Ereignisse dabei im Mittelpunkt des globalen Medieninteresses. Von CNN bis Al Jazeera, von Spiegel bis BBC holten sich die internationalen Medien ihre Informationen aus der Zentrale von Greenpeace CEE – weil sie hier, anders als bei den ungarischen Behörden, der Regierung oder der verantwortlichen Firma, Zugang zu den ungeschminkten Fakten über die Katastrophe bekommen haben. Sie sehen, in einem Jahr geschieht Welche zahlreichen Gifte der Rotschlamm enthielt, erfuhr die Welt üb- so einiges. Ich könnte Ihnen noch rigens auch aus dem Wiener CEE-­ lange von dem Kampf für eine intak-

te Umwelt erzählen – von unseren japanischen Aktivisten, deren monatelange Undercover-Recherchen die Korruption in der Walfangindustrie bewiesen haben, von unseren Erfolgen auf Konsumentenebene wie dem ersten nachhaltigen Tunfisch in österreichischen Supermarktregalen oder der Rettung eines ursprünglichen Waldgebietes in Finnland vor der Kettensäge. Aber das Wichtigste, was ich Ihnen stattdessen hier sagen möchte, ist: DANKE! Ohne Ihre finanzielle Unterstützung könnten wir viele unserer Aktionen, Einsätze und Kampagnen nicht durchführen. Und ohne Ihre Stimme bei unseren Protestaktionen hätten wir nicht das Gewicht, das wir brauchen, um es auch mit den größten Umweltzerstörern erfolgreich aufnehmen zu können! Mit herzlichen Grüßen

Alexander Egit Geschäftsführer Greenpeace CEE

act

23


Bitte abschalten!

Mit freundlicher Unterstützung von viennapaint

23 Atomreaktoren bedrohen Österreich. Wir könnten sie abschalten.

iftrupp eingre

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Wir kämpfen für eine sichere Zukunft, denn unsere Kinder sollen lächeln, nicht strahlen. Helfen Sie mit, um Greenpeace Eingreiftrupps in Österreich und in den Nachbarländern auszurüsten. Jetzt spenden: PSK, KNR. 7.707.100, BLZ 60.000 oder unter www.greenpeace.at/eingreiftrupp


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