10 minute read

Felix Bohn

Next Article
Das Schlusswort

Das Schlusswort

«Eine altersgerechte Wohnung ist die vierte Säule der Altersvorsorge»

Architekt und Gerontologe Felix Bohn ist Experte dafür, wie man im Alter wohnen kann und soll. Altersgerecht ist für ihn gleichbedeutend mit menschengerecht.

Advertisement

Von KARIN DEHMER (Interview) und IRENE MEIER (Illustration)

FELIX BOHN Dipl. Architekt ETH, Dipl. Ergotherapeut HF, zert. Gerontologe INAG und zert. Lichtdesigner SLG. Als selbständiger Fachberater für alters- und demenzgerechtes Bauen und Wohnen im Alter berät er Gemeinden, private und institutionelle Bauherrschaften, Spitäler und Pflegezentren. wohnenimalter.ch Herr Bohn, Sie haben einmal in einem Alters- und Pflegeheim Probe gelebt. Wie war das? Felix Bohn: Probe gelebt ist etwas viel gesagt. Es war nur eine Nacht. Aber ich wäre gern länger geblieben. Das darf man leider nicht. Und ich mache mir auch keine Illusionen: Freiwillig und ohne körperliche Einschränkungen einen Tag in einem Pflegezentrum zu verbringen, kann einem nie einen richtigen Eindruck davon geben, wie es ist, täglich auf Hilfe angewiesen zu sein und seinen Tagesablauf nicht mehr selbstbestimmt leben zu können.

Für die meisten Menschen ist der Gedanke, Jahre oder Monate in einem Alters- und Pflegeheim zu verbringen, unvorstellbar. Es zieht tatsächlich kaum jemand freiwillig in ein Pflegeheim. Meist kommt der Eintritt, wenn man nicht mehr selber für sich sorgen kann. Eine Vorstellung von teilweiser Abhängigkeit, die bei jedem erwachsenen Menschen Angst auslöst. Gegen diese Furcht hilft auch das Wissen nicht, dass Alters-

und Pflegeheime längst nicht mehr so geführt sind, wie vielleicht noch vor dreissig Jahren. Es ist nicht so, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner zur selben Zeit aufstehen oder essen müssen, dass man in langen, monotonen Korridoren ohne Kontakt zur Aussenwelt auf das nächste Essen oder den Tod wartet.

Tatsache bleibt: Das Pflegeheim ist die letzte Station in einem Menschenleben. Ja, das kann man nicht schönreden. Im Altersheim beginnt die letzte Lebensphase, bei deren Bewältigung man Hilfe benötigt.

Wie viele Jahre verbringt man durchschnittlich in Alters- und Pflegeheimen? Dank des gut ausgebauten Systems von ambulanter Pflege können wir heute auch mit gesundheitlichen Problemen sehr lange zu Hause wohnen bleiben. Im Durchschnitt verbringen ältere Menschen noch etwa eineinhalb Jahre in einem Pflegezentrum.

Es trifft sicher nicht auf alle Bewohnenden von Alters- und Pflegeheimen zu, aber kann man trotzdem sagen, dass, wenn man sich frühzeitig um einen Wechsel in eine sogenannt «altersgerechte» Wohnung kümmert, das die Chancen, in ein Heim eintreten zu müssen, verringert? Das ist definitiv so. Ich habe das kürzlich ganz unmittelbar am Beispiel meiner Mutter erlebt. Sie ist über achtzig und lebte in einem Mehrfamilienhaus im obersten Stock, ohne Lift. Seit Jahren habe ich ihr geraten, in eine andere Wohnung zu ziehen. Sie hat es herausgeschoben. Im letzten Jahr ging es ihr gesundheitlich dann sehr schlecht – Herzinfarkt, mehrere Stürze, operative Eingriffe. Es war klar, dass sie nicht in ihre Wohnung zurückkehren kann. Glücklicherweise stand sie seit drei Jahren auf der Warteliste für eine Niemand will «alt» sein, niemand will sich mit zukünftigen Gebrechen auseinandersetzen. Und deshalb ist es schwierig, Menschen über 60 zu finden, die sich als Politike- rinnen oder engagierte Bürger für dieses Thema einsetzen.

Alterswohnung in ihrem Quartier. Dort war gerade noch eine Wohnung frei, als sie aus der Reha kam. Ansonsten wäre nur die Alternative Pflegeheim geblieben, obwohl sie abgesehen von einer eingeschränkten Mobilität noch sehr selbstständig ist.

Bestünde denn nicht die Möglichkeit, sich in einem Pflegeheim vorüber- gehend zu erholen, und wenn es einem besser geht, wieder auszuziehen? Zurück in die angestammte Wohnung, vielleicht mit Unterstützung der Spitex? Diese Möglichkeit gibt es. Und solche Angebote von Übergangspflege werden auch genutzt. Aber, wie gesagt, wenn man nach einem Sturz oder Schlaganfall körperlich geschwächt ist, kann man womöglich keine Treppen mehr steigen, braucht eine grössere, schwellenlose Dusche oder andere Anpassungen. Die Chance, dass die angestammte Wohnung nicht mehr geeignet ist, ist gross, und dann kann es mehrere Monate dauern, bis eine geeignete Wohnung oder eine Alterswohnung gefunden wird. Es braucht dann viel Willensstärke und allenfalls umfassende Unterstützung von Angehörigen.

Sie empfehlen, sich frühzeitig darüber Gedanken zu machen, wie und wo man die restlichen Lebensjahre verbringen will. Eine altersgerechte Wohnung ist für mich die vierte Säule der Altersvor-

sorge. Grundsätzlich ist es sinnvoll, sich bei wichtigen Ereignissen oder Entscheidungen Gedanken zum Thema zu machen, auch wenn man erst Mitte fünfzig ist. Das kann der Auszug der Kinder, eine Trennung oder ein Hauskauf sein. Wenn man sich früh um eine hindernisfreie Wohnung kümmert, kann man definitiv länger selbstständig wohnen, länger Spitex in Anspruch nehmen und im gewohnten Umfeld bleiben. Schwierig daran ist, eine solche Wohnung zu finden, die zum persönlichen Budget passt.

Das Budget ist ein gutes Stichwort. Eigenheimbesitzer argumentieren, sie würden doch nicht ihren grossen, oft abbezahlten Wohnraum zugunsten einer kleineren Wohnung aufgeben, die dazu meist noch teurer ist. Das ist nachvollziehbar und kann auch nicht wegdiskutiert werden. Umso mehr sollte man dann aber den angestammten Wohnraum auf seine Tauglichkeit für das Leben im höheren Alter prüfen und umrüsten. Kann man eine schwellenlose Dusche einbauen? Gibt es die Möglichkeit für einen Treppenlift? Sind die Türen breit genug? Wenn man ein halbes Jahr oder ganzes Jahr später ins Pflegeheim muss, haben sich die Mehrkosten einer Alterswohnung oder einer Wohnungsanpassung meist bereits gerechnet. Ich bleibe dabei: Schlussendlich ist bei einem Umzug in eine kleinere, altersgerechte Wohnung die Chance grösser, dass man viel später oder, wenn man Glück hat, gar nicht in ein Pflegeheim ziehen muss.

Nun wird unsere Bevölkerung immer älter. Nimmt der Druck zu, altersgerechte Wohnungen auch in Überbauungen und Wohnhäusern zu realisieren, die nicht spezifisch Alterswohnprojekte sind? Ich mag den Begriff «altersgerecht» ja eigentlich nicht besonders. Ich nenne es «menschengerecht». Denn auch eine schwangere Frau oder ein junger Mann nach einem Skiunfall sind froh, wenn sie sich im Treppenhaus an einem Handlauf festhalten können. Wenn ein ausreichend grosser Lift vorhanden ist, damit man auch mit einem Kinderwagen bis in die Wohnung fahren kann und nicht erst mit dem Rollator, ist das doch auch wünschenswert. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, ich glaube nicht, dass der Druck zugenommen hat. Leider. Was allerdings hilft, ist das Behinderten-Gleichstellungsgesetz, das bei Projekten ab einer bestimmten Grösse verlangt, dass die Wohnungen hindernisfrei erreicht werden können. Schwellen innerhalb der Wohnung sind eigentlich schon länger kein Thema mehr. Ebenso sind flache Duschen zum Standard geworden. Nichts davon verbindet man mit «altersgerecht».

Aber das tönt doch schon mal gut. Was bemängeln Sie denn noch? Planerinnen, Investoren und Gemeindevertreter behandeln das Alter immer noch als Ausnahmezustand, als sei es eine Krankheit. Handgriffe in der Dusche und neben dem WC sollten Standard werden. Zwei Handläufe im

Treppenhaus und eine gescheite Beleuchtung auch. Wie ich schon gesagt, habe, solche Dinge erleichtern nicht nur älteren Menschen den Alltag, sondern erhöhen die Sicherheit für alle.

Sind das auch die häufigsten baulichen Massnahmen, die Sie empfehlen? Bei Fehlen eines Aufzugs sollte die Möglichkeit für den Einbau eines Treppenlifts gewährleistet sein und meist ist ein Umbau oder eine Anpassung im Badezimmer nötig. Handgriffe und Handläufe kann man mit etwas handwerklichem Geschick sogar selber anbringen.

Darf man in Mietwohnungen solche Änderungen überhaupt vornehmen? Im Prinzip ja. Ein Handlauf in der Wohnung geht überall. Bei der Montage eines Haltegriffs auf den Badezimmerplättli ist die Situation etwas komplizierter. Da sollte die Einwilligung des Vermieters eingeholt werden. Heikel kann es auch bei Stockwerkeigentum werden: Wenn die Nachbarn ein nachträglich einzubauender Treppenlift stört, wird es schwierig. Auch hier gilt: Wenn man mit Anfang oder Mitte 50 ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung kauft, lohnt es sich, daran zu denken, dass man vielleicht auch in zwanzig oder dreissig Jahren noch an dem Ort leben wird. Entsprechende Vorkehrungen sollten eingeplant werden, auch wenn einem das Älterwerden noch weit weg vorkommt. Heutzutage haben viele Menschen um die 50 noch schulpflichtige Kinder und stehen mitten im Berufsalltag. Verständlich, dass man da nicht ans Alter denkt. Fehlt eine starke Lobby fürs – ich verwende das Wort jetzt wieder – altersgerechtes Bauen? Viele in der heutigen Generation der Ü65-Jährigen sind vermögend und wären eine interessante Klientel. Zudem haben wir den gesellschaftlichen Auftrag, uns für alle Generationen einzusetzen. Das Problem ist: Niemand will «alt» sein, niemand will sich mit zukünftigen Gebrechen auseinandersetzen. Und deshalb ist es sogar schwierig, Menschen über 60 zu finden, die sich als Politiker oder engagierte Bürgerinnen für dieses Thema einsetzen. Ich treffe immer wieder Gemeindepolitiker in meinem Alter, die nicht realisieren, dass eine gute Alterspolitik auch ein Engagement für die nicht so ferne eigene Zukunft ist.

Ich verstehe nicht, weshalb Gemeindebauverordnungen nicht vorsehen, dass generell mehr hindernisfreie Wohnungen gebaut werden, nicht nur in Alterssiedlungen.

Hat die Zurückhaltung darin, vorausschauend altersgerecht zu bauen, mit der Tabuisierung unserer Endlichkeit und des Todes zu tun? Ja. Ich würde sagen ja.

Auf Gemeindeebene nehme ich ein gesteigertes Bewusstsein für das Thema Wohnen im Alter wahr. Täuscht das? Nein, das ist schon so. Es ist in fast jeder Gemeinde ein Thema. Das ist gut. Für mich ist da das Problem, dass viele dieser Projekte eine homogene Mieterschaft vorsehen. Hier das Dorf, da die Alterssiedlung. Man lebt dann zwar in einer tollen, hindernisfreien Wohnung, ist aber unmittelbar nur umgeben von anderen alten Leuten. Ich verstehe nicht, weshalb Gemeindebauverordnungen nicht vorsehen, dass generell mehr hindernisfreie Wohnungen gebaut werden, nicht nur in Alterssiedlungen.

Wie ist es mit den Kosten? Können sich Menschen, die Ergänzungsleistungen (EL) beziehen oder generell ein niedriges Einkommen haben, eine altersgerechte und somit meist neuere Wohnung überhaupt leisten?

Das kann ein Problem sein. Vor allem Gemeinden und Genossenschaften bemühen sich aber meistens, eine gewisse Anzahl Wohnungen zu erstellen, die EL-tauglich sind. Die sind dann eventuell etwas kleiner, haben einen etwas niedrigeren Ausbaustandard.

Fehlende Finanzkraft ist also kein Grund, um nicht mehr selbst wählen zu können, ob man in ein Pflegeheim eintritt? Nein. Das Pflegeheim ist auch nicht die billigere Lösung. Aber Ihre Annahme ist insofern richtig, dass finanziell schwächer gestellte Menschen oft nicht gut vernetzt sind. Sie wissen sich weniger zu helfen und wissen nicht, an wen sie sich bezüglich der Angebote von Alterswohnungen wenden müssen.

Wie und wo informiere ich mich über die verschiedenen Möglichkeiten des Wohnens im Alter oder über mögliche Anpassungen im eigenen Haus? Pro Senectute und vielerorts auch Städte und Gemeinden unterstützen die Auseinandersetzungen mit dem Thema mit Broschüren, die Informationen und Tipps liefern (siehe Kasten). Aber wer setzt das um? Weiss der Sanitärinstallateur, wo die Haltegriffe im Bad am besten platziert werden? Weiss der Elektriker, der eine zusätzliche Leuchte im Flur anbringen soll, dass ältere Menschen zwar deutlich mehr Licht benötigen, aber auch viel blendempfindlicher sind? Bei der Umsetzung bräuchte es neutrale Berater, die zu einem nach Hause kommen, konkrete Vorschläge machen und bei der Umsetzung fachliche Unterstützung bieten. Solche Fachleute gibt es aber kaum.

Ein Ergotherapeut, eine Ergotherapeutin? Ja, das wäre die geeignetste Berufsgruppe. Sie haben sowohl das medizinisch-therapeutische Wissen als auch den Zugang zu praktischen Lösungen. Aber auch hier fehlt eine zentrale Anlaufstelle.

Sie sind gerade 60 geworden. Ein Alter, in dem Sie empfehlen, sich ein erstes Mal Gedanken zu machen über die mögliche Wohnsituation im Alter. Und? Eine gemeine Frage zum Schluss (lacht). Sie haben mich erwischt. Ich lebe in einem alten Bauernhaus. Absolut ungeeignet fürs Alter. Zu meiner «Verteidigung» könnte ich anfügen, dass ich noch zwei Kinder im Primarschulalter habe und mich so noch gar nicht mit meinem persönlichen Wohnen im Alter auseinandersetzen kann. Wir haben aber vor ein paar Jahren einen Hausteil im Zentrum gekauft und möglichst altersgerecht ausgebaut. Und doch geht es mir im Alltag nicht anders als allen anderen: Ich erwische mich immer wieder in der Illusion, ewig jung und fit zu bleiben und für alles noch viel Zeit zu haben. •

ALTERSGERECHT WOHNEN

Die Pro Senectute verschickt ihre kostenlose Broschüre Wie möchte ich im Alter wohnen mit hilfreichen Checklisten, Tipps zu Um- und Neubau und Vergleichen der verschiedenen Wohnformen. prosenectute.ch/de/ shop/ratgeber

Wohnungsanpassungen bei behinderten und älteren Menschen, Felix Bohn, 25 Franken. Der Ratgeber kann bestellt werden unter 044 299 97 97 oder alter@hindernisfrei-bauen.ch

Viele Städte, Gemeinden und Kantone bieten mittlerweile auf ihren Websites Informationspakete oder gedruckte Info-Broschüren zum Thema Wohnen im Alter an. Selbstständig zu Hause wohnen des Gesundheits- und Umweltdepartements der Stadt Zürich gibt einen umfassenden Überblick und kann gratis von der Webiste heruntergeladen werden. stadt-zuerich.ch/gud.ch

This article is from: