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Beratungsstelle

«Eine schnelle Veränderung ist oft nur mit Abstrichen zu machen»

Wohnen im Alter ist häufig auch eine Frage des Geldes. Nadine Bischof von Pro Senectute Schweiz über die Erfahrungen aus ihrem Beratungsalltag.

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Von GERALDINE CAPAUL (Interview)

Nadine Bischof, welches sind die häufigsten finanziellen Unsicherheiten, wenn es ums Wohnen im Alter geht? Nadine Bischof: Oft sind es die hohen Mieten. Das ist vor allem in städtischen Regionen und Agglomerationen ein Problem. Wenn langjährige Mieterinnen und Mieter nach einer Renovation die gestiegene Miete eigentlich nicht mehr zahlen können, kann das dazu führen, dass sie die Wohnung oder das Quartier verlassen müssen, in dem sie ihr halbes Leben gewohnt haben. Manche entscheiden sich, die hohe Miete wohl oder übel zu bezahlen. Das führt dazu, dass man beim Lebensbedarf Abstriche machen muss, beim ÖV-Ticket, beim Essen oder man verzichtet sogar auf einen notwendigen Zahnarztbesuch.

Die Wohnsituation ist teilweise ja wirklich prekär. Ja, leider gibt es wenig günstigen Wohnraum, der auch noch barrierefrei ist.

Ist es in ländlichen Regionen einfacher, eine bezahlbare und barrierefreie Wohnung zu finden? Die Wohnungssituation ist hier sicher weniger angespannt. Es gibt aber auch auf dem Land Regionen, wo es schwierig ist. Oftmals sind auch Bausubstanz und Infrastruktur in schlechtem Zustand. Wie verhindert man, dass man in eine solch angespannte Lage gerät? Es ist sinnvoll, sich frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen: Wie will ich wohnen, wo will ich wohnen, in welcher Form will ich wohnen? Was kann ich mir leisten? Und sich danach über mögliche Angebote und das Vorgehen zu informieren.

Ihre wichtigste Empfehlung? Genau dieser Punkt: Sich rechtzeitig mit dem Thema befassen. Wenn man stürzt, sich das Bein oder die Hüfte bricht, wenn der Partner stirbt, kann es plötzlich sein, dass die Wohnungssituation nicht mehr passt und es eine schnelle Veränderung braucht. Diese schnelle Veränderung geht oftmals mit Abstrichen einher. Man muss zum Beispiel das Quartier verlassen oder in ein Altersheim, obwohl man das vermeiden wollte. Oder man muss in jenes

Altersheim, in welches man nicht unbedingt wollte. Mit dem Druck, die

Wohnsituation möglichst schnell ändern zu müssen, hat man weniger Wahlmöglichkeiten.

Kann es vorkommen, dass jemand sein Eigenheim verkaufen muss, um die Miete für eine Alterswohnung oder für ein Altersheim zu bezahlen?

Das ist sehr individuell. Es gibt keine einfachen, allgemeingültigen Lösungen. Ob man das Haus verkaufen oder vermieten soll, muss im Detail angeschaut werden, das hängt von vielen Faktoren ab. Sind da Kinder, die es wollen, wie belastet ist es ... Wichtig ist, dass man über die verschiedenen Varianten nachdenkt und sich Hilfe holt, allenfalls bei einem Anwalt. Für Personen, die sich das nicht leisten können und die Situation umfassend besprechen möchten, steht auch Pro Senectute zur Verfügung.

Was raten Sie Menschen, die Ihr Eigenheim verschenken wollen, damit es später nicht den hohen Heim- oder Pflegekosten zum Opfer fällt? In einem Alters- oder Pflegeheim sind die Kosten sehr hoch. Wenn nicht genügend Einnahmen oder verfügbares Vermögen vorhanden sind, kommt

man in finanzielle Schwierigkeiten. In diesem Fall wird geprüft, ob Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL) besteht. Dabei wird der Wert des verschenkten Eigenheims angerechnet. Das geht weit zurück, bis zu 20 Jahren

Kann es sein, dass die Kinder für die Pflegekosten der Eltern aufkommen müssen? Auf Ebene der Sozialhilfe gibt es die Verwandtenunterstützungspflicht, die Kinder dazu verpflichtet, die Pflegekosten der Eltern mitzutragen. Aber soweit kommt es nur in ganz seltenen Fällen. Ganz kurz: Man braucht ein gewisses Vermögen und ein relativ hohes Einkommen, damit man quasi von Amtswegen dazu verpflichtet ist, die Eltern zu unterstützen. Wenn jemand jedoch Anspruch auf EL hat, gibt es keine gesetzliche Verpflichtung der Kinder, sich an den Heimkosten zu beteiligen.

Darf man das Haus dem eigenen Kind zu einem tieferen Preis verkaufen? Das geht in die gleiche Richtung wie verschenken. Wenn ich meiner Tochter mein Haus für 300 000 Franken verkaufe, es jedoch einen Marktwert von einer Million hat, wird mir die Differenz bei den Ergänzungsleistungen als verschenktes Vermögen angerechnet. Grundsätzlich gilt: Wenn viel liquides Vermögen vorhanden ist, kann auch eine Schenkung gemacht werden. Sobald jemand jedoch auf staatliche Leistungen angewiesen ist, wird das zum Problem.

Man will das Haus verkaufen. Wie geht man vor, wenn man mehrere Kinder hat? Das Gespräch suchen, verschiedene Optionen prüfen. Vielleicht will kein Kind das Haus. Vielleicht will nur ein Kind das Haus, dann muss man sich überlegen, wie man das andere Kind begünstigt. Da geht’s ja ums Erbe. Ziel ist, dass möglichst alle Beteiligten mit der Option zufrieden sind und man so einen Streit nach dem Tod vermeiden kann. Und es nicht zu den vorgenannten Problemen bei einem allfälligen Heimeintritt kommt.

Gibt es Ergänzungsleistungen für jede Wohnform? Die Wohnform spielt keine Rolle. Man unterscheidet einfach, ob man monatlich Miete zahlt oder ob man in einem Heim ist. Da spricht man von Hotellerie und Pflegekosten. Die Kosten im Heim sind höher, da die meisten Auslagen mit der Tagestaxe gedeckt sind.

Welches ist die finanziell beste Lösung: Alters- und Pflegheim oder zu Hause bleiben mit privat organisierter Unterstützung? Das hängt von vielen Faktoren ab. Ich empfehle, zuerst unabhängig von den Finanzen zu überlegen, was man will. Es gibt Personen, die in ein Altersheim möchten. Weil sie da Kontakte haben, sie können gemeinsam Mittag essen, Ausflüge machen. Und es gibt Leute, die das unter keinen Umständen wollen.

Was kommt auf Leute zu, die zu Hause bleiben wollen? Die Kosten für eine Haushaltshilfe etwa werden nur von Zusatzversicherungen bezahlt. Betreuungsleistungen wie gemeinsames Essen oder administrative Unterstützung werden von der Grundversicherung nicht übernommen. Wenn jemand diese Betreuungsleistungen nicht finanzieren kann, kann das dazu führen, dass ein Eintritt in ein Altersheim nicht mehr vermieden werden kann. Leider ist die Betreuung zu Hause momentan sehr schlecht geregelt. Was viele Personen jedoch nicht wissen: Auch die EL beteiligt sich unter gewissen Voraussetzungen an Betreuungsleistungen zu Hause.

Wie viele Leute haben das Geld nicht, um dort zu wohnen, wo sie tatsächlich wohnen wollen? Das kann ich so nicht sagen. Die meisten Personen, die eine Beratung von Pro Senectute in Anspruch nehmen, sind finanziell schlecht gestellt. Diese Menschen sind in den Wahlmöglichkeiten stark eingeschränkt. Dies im Gegensatz zu Personen, die genügend Geld haben und die Wohnform freier wählen können.

Ist die Nachfrage nach barrierefreien Wohnungen steigend? Ich denke schon, dass die Nachfrage gestiegen ist. Das Thema an sich scheint mir in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen zu haben. Es wurde viel gebaut. Die Mieten für diese neuen Wohnungen sind oftmals unerschwinglich. Umso wichtiger ist es, dass im Rahmen der EL-Reform die Mietzinsmaxima per 1. Januar erhöht und nach Mietzinsregion angepasst wurden. Die EL berechnet dann zum Beispiel maximal 1400 Franken für die Miete. Durch diese Erhöhung der Mietzinsmaxima hat sich sicher für einige Menschen die finanzielle Situation verbessert. Dennoch ist es wünschenswert, dass künftig mehr in barrierefreie und bezahlbare Wohnungen investiert wird. •

NADINE BISCHOF ist Sozialarbeiterin und Fachverantwortliche Beratung bei Pro Senectute Schweiz. Sie arbeitete in ihrer vorherigen Funktion zehn Jahre lang in der Sozialberatung einer kantonalen Pro-Senectute-Organisation.

Die 130 Beratungsstellen der Pro Senectute sind über die ganzen Schweiz verteilt. Die Fachpersonen beraten unentgeltlich, kompetent und vertraulich bei Fragen zu Finanzen, Vorsorge, Gesundheit, Lebensgestaltung, Wohnen und Betreuung. Es werden nicht nur Seniorinnen und Senioren beraten, sondern auch deren Bezugspersonen. prosenectute.ch

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