8 minute read

Aus der Praxis

Next Article
Einblicke

Einblicke

Advertisement

Der Hausarzt als Magier

Mediziner wissen gewisse Spontanheilungen nicht immer zu erklären. Immuniät, Regeneration oder ein starker Wille können auch mal ausreichen.

Kürzlich erinnerte mich eine Mutter von zwei erwachsenen Töchtern daran, wie ich die Jüngere damals vom gelegentlichen Einnässen «geheilt» habe. Man muss dazu wissen, dass die Mutter eine sehr sachliche Person ist und mit Esoterik nichts am Hut hat. Das gilt notabene auch für mich. Und doch geschah bei jener kleinen Behandlung etwas, das wir nicht ganz erklären können. Natürlich war Suggestion Teil davon, selbstverständlich kennen wir die enorme Wirkung von Placebo, und doch bleiben Fragezeichen. Sie erzählt also, ich hätte mich nach Anhören der Geschichte neben dem Mädchen auf die Liege gesetzt und ihr ein geflochtenes Armbändchen über das Handgelenk gestreift. «So, das ist jetzt dein Wasserhahn», hätte ich erklärt. «Wenn du daran drehst, dann bleibt es trocken.» Und siehe da, es wirkte. Die Mädchen seien immer gerne in die Praxis gekommen, berichtete die Mutter. Vielleicht auch, weil wir einen ganzen Vorrat hatten an Murmeln, Ringlein, Bändchen, von denen man etwas mitnehmen durfte? Natürlich freut mich die Geschichte ungemein. Es hat ja auch längst nicht immer alles so gut geklappt. Von einem aber bin ich überzeugt: Das Mädchen, die Mutter und ich haben in jenem zauberhaften Moment ein stilles Bündnis geschlossen. Wir dachten ausschliesslich an dieses eine Problem und das mag durchaus etwas Magisches an sich haben. Das ist der Kern der guten Medizin. Die gemeinsame Konzentration und das Ab-

kommen, dass es richtig ist, was man in diesem Moment zusammen beschliesst. Ich habe über viele Jahre die Kurse der Gesellschaft für die seriöse medizinische Hypnose besucht und dort etwas ganz Wichtiges gelernt: Das Unterbewusste ist oft ein guter Ratgeber für die Menschen. Wir stehen uns nicht selten im Weg mit unserer Klugheit, unserem Wissen und der Vernunft. Sie kennen das alle, liebe Leserinnen und Leser, plötzlich begreift man etwas, es geht einem ein Licht auf. Immer wieder habe ich Suggestionen spielerisch eingesetzt, wohlverstanden nach seriösem Abklären und Untersuchen. So habe ich über Jahre Kindern Warzen abgekauft. Ich setzte einen kleinen Vertrag auf, mit dem ich bestätigte, dass es für jede verschwundene Warze zwei Franken Belohnung gibt. Auch das hat nicht immer geklappt, aber wenn, dann war es ein Erfolgserlebnis für alle. Den Vogel abgeschossen hat ein Knabe, der mit zwölf Warzen an den Zehenkuppen kam und alle innerhalb drei Wochen «wegzauberte». Sie können die Belohnung ausrechnen. Auch mein eigener Sohn, damals gerade in einer ziemlich halsstarrigen Phase, wollte seine zwei Dutzend Wasserwärzchen an den Unterschenkeln partout nicht wegkratzen lassen. Oh je, diese pusteligen Beinchen waren keine gute Reklame für den Dorfdoktor. Endlich eröffnete ich ihm, dass ich es am Tage X tun würde. Am Vortage des gefürchteten «Warzenmassakers» kam er strahlend zu mir. Alle Wärzchen waren weg. Siehe da, es funktioniert auch unbewusst. Wie aber steht es mit den Wunderheilungen von Lourdes und anderswo? Wie oft benutzen Ärzte und andere Therapeuten (unbewusst) Suggestionen? Ich behaupte, dass einige dieser geheimnisvollen Vorgänge alltäglicher sind, als allgemein angenommen, dass es eben immer wieder vorkommt, dass der Mensch sich selbst heilen kann. Das ganze Brimborium und die Mystifizierung ist oft viel Begleitlärm zu natürlichen Vorgängen, die mit Immunität, Regeneration und manchmal auch mit Willen zu tun haben. Lassen wir den Heilern, den Grotten, den Heiligen und ab und zu den Hausärzten ihren Platz. Wenn sie keine Scharlatane sind, spielen sie ihre Rolle als gute Geister im Welttheater der Medizin. •

EDY RIESEN (70) war als Hausarzt in Ziefen (BL) tätig. Er führte bis vor Kurzem eine Praxis mit seinem Schwiegersohn und ist mehrfacher Grossvater.

ERLEBEN SIE DAS GRÜNE WUNDER

Im einzigartigen Tropengarten mit Erlebnisausstellung und integrierter Fischzucht gibt es für Gross und Klein viel zu entdecken.

tropenhaus-frutigen.ch

Anzeige

Geburt im Dreigenerationenhaus

Die Hebamme wird zu einer Hausgeburt an einem abgelegenen Ort gerufen, wo die Grosseltern des Neugeborenen in Hörweite leben.

CAROLE LÜSCHER (47) ist Hebamme Msc, Geschäftsführerin der Hebammenpraxis 9punkt9 in Bern, freie Dozentin und engagiert sich berufspolitisch. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. 9punkt9.ch

Gemeinsam mit seinen Eltern leben Samuel und Karin mit ihrer dreijährigen Tochter Julia in einem Zweifamilienhaus. Oben die junge Generation, unten die ältere. Der Garten und viel Alltag werden geteilt. Für alle Beteiligten ist es ein Gewinn: Julia pendelt frischfröhlich von oben nach unten, je nachdem, wer von den Erwachsenen für sie Zeit hat oder wo es das bessere Essen gibt. Karin und Samuel geniessen es, im stressigen Alltag manchmal an einen gedeckten Tisch sitzen und ab und zu die quirlige Julia abgeben zu können. Samuels Eltern, «Oma» und «Opa», sind ein Rentnerpaar Mitte sechzig. Sie haben das grosse Haus, in dem sie selbst vier Kinder grossgezogen haben, in ein Zweifamilienhaus umgebaut, damit ihr Sohn mit seiner Familie nahe bei ihnen leben kann. Ihre drei anderen Kinder sind der Liebe wegen ins Ausland gezogen. Auch Schwiegertochter Karin ist eine Deutsche, doch sie und Samuel haben sich für ein Leben in der Schweiz entschieden. «Gottseidank!», sagt Samuels Vater. Oma und Opa verbringen mehrere Wochen pro Jahr im Ausland bei ihren anderen Kindern und Enkeln, was die kleine Julia gar nicht schätzt, weil sie ihre Grosseltern dann schrecklich vermisst. Oma und Julia sind ein Herz und eine Seele, das merke ich sofort. Julia hat keine Zeit für die Hebamme, welche zur hochschwangeren Mama kommt. Sie ist in ein Rollenspiel mit Oma vertieft. Erst am Schluss, als ich den Blutdruck messe und die Herztöne höre, kommen die beiden dazu. Da schaut Julia ganz genau hin, und Oma ist aufgeregt, da die zweite Geburt im Haus ansteht. Karin hat unregelmässige Wehen und mich früh gerufen, da sie bereits eine sehr schnelle erste Geburt hatte. Mein Anfahrtsweg ist lange, ich bleibe deshalb im Haus und warte ab, auch die zweite Hebamme rufe ich dazu. Julia geht zum Znacht und Einschlafen zu Oma. Es ist nun 23 Uhr und die Wehen nehmen nicht wirklich zu. Von unten hören wir immer wieder Julia fröhlich plappern und singen. «Julia kann wohl nicht einschlafen», sagt Karin besorgt, «sie schläft immer in ihrem Bett. Wenn wir weg sind, kommt Oma rauf.» Samuel geht nach unten und kommt mit der übermüdeten Julia wieder. «Es geht nicht», sagt er. Wir beschliessen, dass wir uns alle hinlegen, Julia zwischen den Eltern im grossen Bett, ich und meine Kollegin auf dem Sofa. Julia plaudert noch ein bisschen und schläft dann um Mitternacht ein. Auch wir schlafen schnell ein. Wir sind es gewohnt, jede Minute Schlaf zu nutzen. Als Samuel uns eine Stunde später weckt, höre ich Karin intensiv atmen. «Hat sie schon lange so starke Wehen?» frage ich. «Nein, es ist erst die dritte. Sobald Julia eingeschlafen war, ging es los.» Ich bin froh, sind wir dageblieben und ist alles bereit, denn keine 20 Minuten später wird Lenny geboren, ein gesunder Junge. Und da Oma und Opa während der intensiven 20-Minuten-Geburt ebenfalls nicht schlafen können, fiebern sie unten mit und kommen eine Stunde nach Lennys erstem Schrei nach oben – auf leisen Sohlen und mit einer Flasche Sekt in der Hand! •

Einliegerwohnung

EINE GROSSMUTTER (74) FRAGT: Meine Tochter und ihr Mann haben vor einigen Jahren ein älteres Einfamilienhaus mit einer kleinen Einliegerwohnung, die sie vermieten, gekauft. Von Anfang an hege ich den geheimen Wunsch, in diese Wohnung ziehen zu können, obwohl sie kleiner ist als meine Mietwohnung. Ich bin alleinstehend und hätte Zeit, für meine Enkelkinder zu kochen oder auch mal etwas im Garten zu helfen. Ich hoffte, meine Tochter möge selbst auf die Idee kommen, aber bis jetzt war das nicht der Fall. Ich bin unsicher, ob ich mich offenbaren soll.

DAGMAR SCHIFFERLI (67) ist Psychologin und Dozentin für Gerontologie und Sozialpädagogik, veröffentlicht zudem Romane und Erzählungen. Sie hat eine Tochter und drei Enkelkinder. dagmarschifferli.ch

Fragen an: beratung@grosseltern-magazin.ch Die Fragen werden anonymisiert.

Ihr Wunsch, die kommenden Jahre nahe bei Ihrer Familie zu verbringen, kann ich gut nachvollziehen. Die Nähe vermittelt ein Geborgenheitsgefühl, eine Art seelische Heimat womöglich. Zudem könnten Sie sich weiterhin sehr nützlich fühlen, ihre Tochter und deren Familie entlasten und darüber hinaus viele beglückende Momente mit Ihren Enkelkindern erleben. Aber Sie ahnen es: Im gleichen Haus zu wohnen wie die Nachkommen, birgt auch das Risiko möglicher Konflikte und schafft gegenseitige Abhängigkeiten. Da es, wie so oft, auch bei Ihrem Anliegen keine eindeutige Antwort gibt, möchte ich Ihnen stattdessen einige Fragen zum Überlegen unterbreiten. Zum Beispiel: Schlummern unter Ihren praktischen Gedanken bezüglich Kinderhüten und Gartenpflege noch tiefere Wünsche oder Fantasien? Möchten Sie allenfalls etwas gutmachen, was Sie in jüngeren Jahren Ihrer Tochter gegenüber versäumt haben? Was verlieren Sie, wenn Sie Ihren bisherigen Wohnort verlassen würden? Kann die Nähe zu Ihrer Familie mögliche Verluste aufwiegen oder könnte die Beziehung mit zusätzlichen Bedürfnissen überfrachtet werden? Wie stellen Sie sich das Zusammenleben mit Ihrer Familie vor, wenn Sie und Ihre Enkelkinder älter sind? Wenn vielleicht nicht mehr Ihre Enkelkinder Betreuung brauchen, dafür aber Sie vermehrt Hilfe? Wie sind Sie in Ihrer Familie bisher mit Konflikten umgegangen? Konnten Sie jeweils Dinge offen ansprechen und eine gemeinsame Lösung finden? Dies sind nur einige wenige Überlegungen, die Sie sicherlich noch ergänzen können. Falls Sie danach immer noch den Wunsch hegen, in die Einliegerwohnung zu ziehen, ist es ratsam, sich vor einem Gespräch auch auf eine negative Antwort Ihrer Tochter einzustellen. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen! •

This article is from: