~ Aus der Praxis ~ DER HAUSARZT
Illustration: Irene Meier
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Der Hausarzt als Magier
Mediziner wissen gewisse Spontanheilungen nicht immer zu erklären. Immuniät, Regeneration oder ein starker Wille können auch mal ausreichen.
K
ürzlich erinnerte mich eine Mutter von zwei erwachsenen Töchtern daran, wie ich die Jüngere damals vom gelegentlichen Einnässen «geheilt» habe. Man muss dazu wissen, dass die Mutter eine sehr sachliche Person ist und mit Esoterik nichts am Hut hat. Das gilt notabene auch für mich. Und doch geschah bei jener kleinen Behandlung etwas, das wir nicht ganz erklären können. Natürlich war Suggestion Teil davon, selbstverständlich kennen wir die enorme Wirkung von Placebo, und doch bleiben Fragezeichen. Sie erzählt also, ich hätte mich nach Anhören der Geschichte neben dem Mädchen auf die Liege gesetzt und ihr ein geflochtenes Armbändchen über das Handgelenk gestreift. «So, das ist jetzt dein Wasser-
hahn», hätte ich erklärt. «Wenn du daran drehst, dann bleibt es trocken.» Und siehe da, es wirkte. Die Mädchen seien immer gerne in die Praxis gekommen, berichtete die Mutter. Vielleicht auch, weil wir einen ganzen Vorrat hatten an Murmeln, Ringlein, Bändchen, von denen man etwas mitnehmen durfte? Natürlich freut mich die Geschichte ungemein. Es hat ja auch längst nicht immer alles so gut geklappt. Von einem aber bin ich überzeugt: Das Mädchen, die Mutter und ich haben in jenem zauberhaften Moment ein stilles Bündnis geschlossen. Wir dachten ausschliesslich an dieses eine Problem und das mag durchaus etwas Magisches an sich haben. Das ist der Kern der guten Medizin. Die gemeinsame Konzentration und das Ab-
# 04 ~ 2021