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Anderswo Nairobi, Kenia
Mama Benja
Josephine Asami hat zwei Enkel und ist «Ersatz-Grossmutter» für zahlreiche Kinder und Jugendliche. Sie lebt in einem Slum von Nairobi. Den Alltag meistert sie mit erstaunlicher Gelassenheit – und mit Humor.
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Von MICHAELA SCHNEIDER (Text und Fotos)
Das Leben in einem Slum ist für seine Bewohner:innen ein unermüdliches Ringen: um Arbeit, sauberes Wasser, sichere Sanitäreinrichtungen und kontinuierliche Müllversorgung. Der Mangel an Privatsphäre durch die räumliche Enge belastet zusätzlich. Dennoch kann es gelingen, dass dieser anstrengende Alltag mit Gelassenheit gemeistert wird, wie Mama Benja beweist. Mama Benja – eigentlich Josephine Asami – ist eine zierliche Frau, die jünger wirkt, als sie ist. Sie wohnt im Slum Majengo, einem der zahlreichen kleineren Slums von Nairobi. Sie hat vier Kinder und zwei Enkel, 16 und 6 Jahre alt, und betreute zeitweise ein Pflegekind, das permanent bei ihr lebte. Genannt nach ihrem ältesten Sohn, lebt die 62-Jährige in einer spärlich eingerichteten, engen Lehmhütte. Diese ist Teil einer weitverzweigten Wellblechsiedlung. Ein Raum, möbliert mit zwei Sofas, einem Holztisch, einem Doppelstockbett sowie einer Anzahl von Klappstühlen, diente früher den grösseren Kindern als Wohn- und Schlafraum, Mama Benja teilte sich in einem getrennten Nebenraum ein Bett mit dem Pflegekind. Zugleich ist die Hütte bis heute offener Aufenthaltsort für verschiedene Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft, die mitversorgt werden, weil sie keine eigenen Familien haben oder weil ihre Mütter ausserhalb der Stadt arbeiten. Als «Ersatz-Grossmutter» ist Mama Benja ihnen Ruhepol und Zufluchtsort. Viele erhalten hier auch jeden Abend ihre einzige Mahlzeit am Tag, Maisbrei und Bohnen. In einem winzigen Verschlag neben dem Wohnraum bereitet ihre ältere Tochter auf einem kleinen Holzschemel sitzend das Abendessen zu. Nacheinander werden die einzelnen Beilagen auf einem tragbaren Holzkohleöfchen gekocht, dann in getrennten Töpfen mit Zeitungspapier warm gehalten – eine Aufgabe, die jeden Nachmittag mehrere Stunden dauert.
FINANZIERUNGSHILFEN Finanziert wird diese – für Mama Benja selbstverständliche – Nachbarschaftshilfe aus verschiedenen Quellen: Ihr Mann betreibt mehrere Busstunden von Nairobi entfernt eine kleine Farm. Der Verkauf von Hühnern trägt zum Lebensunterhalt der Familie bei. Die jüngere Tochter leistet einen finanziellen Beitrag, indem sie vor der Hütte Wäsche für Bewohner ausserhalb des Slums reinigt, in Plastikwannen, mit kaltem Wasser. Von den Nachbarsjungen, die sich gelegentlich einige Schillinge mit der Abfallbeseitigung im Slum verdienen, erhält sie ebenfalls Zuschüsse für die Lebensmittel. Eine ehemalige somalische Nachbarin schickte regelmässig einen kleinen Betrag aus dem Sudan für den Unterhalt ihres Kleinkindes, das sie bei Mama Benja zurücklassen musste, und welches diese für zwei Jahre mit derselben Hingabe betreute wie ihre eigene Enkeltochter. Mama Benjas besondere Sorge galt lange Zeit Sammy Mulami, einem Albino, dem als Jugendlicher eine abenteuerliche Flucht vor brutalen «witch doctors» aus Tanzania gelang. Noch immer werden Albinos in seiner Heimat gejagt, verstümmelt oder getötet. Hartnäckig hält sich der Aberglaube, dass von ihren Körperteilen magische Kräfte ausgehen. Sammy verdiente sich durch Hilfsarbeiten in einem Community Center etwas Geld, mietete in der Nähe von Mama Benja einen Schlafraum und fand bei ihr neben der täglichen Mahlzeit einen sicheren Unterschlupf. Heute lebt Sammy im St. John’s Community Center und arbeitet für ein ~«educational center» in Pumwani.
NAIROBI, KENIA
Gegenwärtiger Staatspräsident seit 2013 Uhuru Muigai Kenyatta, Sohn von Jomo Kenyatta, dem ersten Staatspräsidenten in der unabhängigen Republik Kenia. Einwohner 55 Mio. fast 40 Prozent sind unter 15 Jahre Einwohner in der Hauptstadt Nairobi ca. 4,5. Mio., 2018 lebten rund 47 Prozent der städtischen Bevölkerung in Slums. Grösster Slum Kibera in Nairobi; es ist schwer, eine aktuelle und genaue Bevölkerungszahl zu erfahren. 2010 schätzte die UN, dass dort bis zu 700 000 Menschen auf ca. 3 Quadratkilometern leben. Einwohner Majengo Slum ca. 29 000 Sprache Swahili (Suaheli) und Englisch gelten als offizielle Landessprachen, darüber hinaus gibt es ca. 59 verschiedene Stammesdialekte. Hilfsprojekt Die Deutsche Kindernothilfe entwickelte mit «Starke Frauen, starke Kinder» ein Selbsthilfekonzept, welches Frauen ermutigt, sich zusammenzuschliessen und zu unterstützen, unabhängig eigene Ressourcen zu mobilisieren. Jede Frau zahlt wöchentlich einen freiwillig festgelegten Betrag in den Sparfond ein. Das im Lauf der Zeit angesparte Kapital erlaubt den Frauen, Kredite innerhalb der Gruppe für individuelle Investitionen zu vergeben. Pandemie Die Auswirkungen von Corona sind für die Slumbewohner verheerend, das grösste Problem ist der Hunger. Es betrifft vor allem diejenigen, die sich ihren Unterhalt ausserhalb des Slums verdienten. Diese Tagesjobs fielen durch die Restriktionen weg. Es ist unklar, wie viele Bewohner in Majengo von Covid betroffen sind, da sich aufgrund der hohen Kosten die wenigsten testen lassen und keine adäquate medizinische Versorgung gewährleistet ist. Schulen (wie im St. John’s Community Center) waren von März bis Oktober 2020 ganz geschlossen. ~MS Sammy Mulami, ein Albino, musste vor «witch doctors» fliehen und fand bei Mama Benja Schutz. Heute hat er ein eigenes Zuhause und Arbeit.
Verdienstmöglichkeit: Die Frauen waschen Kleider von Leuten, die ausserhalb des Slums wohnen.
FRAUEN UNTER SICH
Höhepunkt der Woche sind für Mama Benja die Versammlungen der Mwangaza Self Help Group, einer Frauenselbsthilfegruppe. Platz ist in der kleinsten Hütte, und so öffnet Mama Benja einen Nachmittag pro Woche ihren Wohnraum für etwa 20 Frauen, die sich eigenverantwortlich und in Selbstregie unterstützen, Ressourcen zu mobilisieren und finanziell unabhängig zu werden. Bei den Diskussionen während ihrer Treffen beteiligt sich jede Frau aktiv an der Suche nach einer Lösung für ihre Familienprobleme, denn in den meisten Fällen müssen sie ohne Hilfe ihrer Männer die Kinder erziehen. Die finanzielle Zuwendung, welche Mama Benja von ihrem Mann erhält, ist die Ausnahme. Bei den Gruppentreffen wird lebhaft diskutiert – über Geld, Ehe und Männer, über mögliche Investitionen angesparter Beträge. Es gibt offene Meinungsverschiedenheiten und zahlreiche Beweise gegenseitiger Unterstützung bei der Betreuung aller ihrer Kinder. Es sind Treffen voller Energie, Lebhaftigkeit und Humor. Das wichtigste Anliegen: die Gewährleistung und Absicherung der finanziellen Unterstützung ihrer Familien. Mama Benja ist die tragende Figur dieser Frauenselbsthilfegruppe. Und sie ist die Seele ihrer Nachbarschaft in Majengo. •