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Deutschland 2019/2020:

Der faschistische Terror marschiert

In der Nacht von Mittwoch, 19.02.2020, auf Donnerstag, 20.02.2020, wurden in Hanau (Hessen), Großraum Frankfurt am Main, 9 Menschen erschossen Anschließend erschoss der Täter, Tobias Rathjen, seine 72­jährige bettlägerige Mutter und sich selbst. Bei den neun Erschossenen handelt es sich um sieben Menschen aus zugewanderten kurdischen und türkischen Familien, einen Bosnier und eine Polin Erste Auswertungen von Videobotschaften und einem „Manifest“ auf seiner Website belegen eine zutiefst rassistische Gesinnung.

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Die politisch führenden Kräfte in Deutschland erklärten diesen neuen faschistischen Anschlag mit dem gesellschaftlichen Klima, dass die AfD mit ihren Reden und Aktionen in den Jahren ihres Bestehens geschaffen habe Doch das greift zu kurz

Das Ausmaß des faschistischen Terrors in Deutschland ist mittlerweile unübersehbar und kann nicht mehr, wie noch in den vergangenen Jahrzehnten versucht, weggeleugnet werden. Sowohl in der alten BRD als auch in der ehemaligen DDR hat es immer ein faschistisches Potenzial von ca 10% der Bevölkerung

„28.594 Personen haben das abonniert “ (22 02 2020)

Ein anderer Ausdruck des entwickelten rassistischen und faschistischen Spektrums sind die „Reichsbürger“. Diese gehen davon aus, dass das „Deutsche Reich“ immer noch existiert Sie erkennen den Staat BRD nicht an. Im April 2018 vermeldete der Verfassungsschutz, dass 18000 sich als „Reichsbürger“ verstehen 1200 von ihnen hätten noch waffenrechtliche Erlaubnisse. 450 seien seit 2017 mit Hilfe des Verfassungsschutzes diese Erlaubnis entzogen worden Wie viele „waffenrechtliche Erlaubnisse“ sich gegeben. Sowohl in der BRD als auch in der DDR konnten alte Nazis Unterschlupf in den aus Anlass der Staatsgründungen 1949 neu gegründeten Parteien finden In der alten BRD konnte der Altnazi KurtGeorg­Kiesinger, sogar CDU­Bundeskanzler werden, mit einem, ehemals von den Nazis verfolgten, SPD­Vizekanzler Willy Brandt an seiner Seite (1 Große Koalition 1966 bis 1969)

ImJanuar 2018 berichtete der Verfassungsschutz, dass Reichsbürger aus mehreren Bundesländern eine be‐waffnete Armee planten, um sich "auf den Tag X" vorzu‐bereiten.

In der DDR konnte sich in Chemnitz schon früh eine rechtsradikale Szene entwickeln, die niemals von der SED­Parteiund Staatsbürokratie aktiv bekämpft oder gar vernichtet wurde Die 2018 gebildete Gruppe „Revolution Chemnitz“ konnte ungehindert Aktivitäten entfalten Die seit 2009 aktive „Pro Chemnitz“­Gruppe und ihre Demonstrationen bildeten den Nährboden. Diese Gruppe hat immer noch ungehindert ihre facebook­Präsenz: tatsächlich in faschistischen Händen befinden, kann niemand sagen Im Januar 2018 berichtete der Verfassungsschutz, dass Reichsbürger aus mehreren Bundesländern eine bewaffnete Armee planten, um sich "auf den Tag X" vorzubereiten

Einen Waffenschein kann man beantragen, wenn man persönlich in ständiger Bedrohung lebt Oder aber eben als Mitglied in einem Schützenverein Der Attentäter von Hanau war ebenso Mitglied eines solchen Vereins wie der Attentäter von Kassel, Stephan E , der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) erschoss. Morddrohungen haben auch andere lokale Repräsentanten des bürgerlichen Staates erhalten. Insbesondere die Bürgermeister vieler Städte bekommen immer wieder Morddrohungen per E­Mail oder solche, die sie psychisch fertig machen sollen („Wir wissen, wo du wohnst.“). Einige sind daraufhin von ihrem Amt zurückgetreten Christoph Landscheid, der Bürgermeister von Kamp­Lintfort im Ruhrgebiet, musste sein Recht vor Gericht einklagen, den großen Waffenschein zu erhalten und eine Waffe haben zu dürfen zu seinem Schutz und dem seiner Familie Erst daraufhin erhielt er Personenschutz, woraufhin er auf den Waffenschein verzichtete

In Berlin­Neukölln (siehe TAGESSPIEGEL de vom 08 10 2019) macht sich faschistischer Terror, unterstützt von der NPD, seit 2011 verstärkt breit. Auf das Haus der 58­jährigen Sozialarbeiterin Christiane Schott gab es seit 2011 sieben Anschläge, nachdem sie rechte Wahlkampfhelfer darauf hingewiesen hatte, dass sie keine NPD­Werbung in ihrem Briefkasten haben will Unter anderem waren danach Brandbomben durch ihre Fensterscheiben geworfen worden, und erst vergangenes Jahr war ihre Hauswand mit den Worten „Deutschland erwache“ beschmiert worden.

Seit Mai 2016 verzeichnete die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ 55 Angriffe auf Bürger in Neukölln Darunter sind Morddrohungen, Graffiti­Schmierereien, Sachbeschädi­gungen und allein 14 Brandanschläge auf Autos

Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) in Karlsruhe wollte die Ermittlungen zu den rechten Anschlägen in Neukölln nicht übernehmen Bislang hätten in dem Komplex keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme einer Zuständigkeit der GBA vorgelegen Der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte sich schon einmal vergeblich an die GBA gewandt In einem zweiten Schreiben von ihm, das am 17 September 2019 bei der GBA eingegangen war, wies er daraufhin, dass es ganz offensichtlich der Fall sei, dass solche rechten Straftaten, wie der Mord an Lübcke, in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt worden seien. „Wir sollten nicht warten, bis aus Brandanschlägen Morde werden “ (Geisel im Tagesspiegel, 08 10 2019) chen Willen Niklas Schrader (Die Linke), Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, sagt, dass es Hinweise auf „rechte Handlungsweisen und Straftaten in der Polizei“, gebe Die Linke fordert die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, die die GrünenAbgeordneten Benedikt Lux und June Tomiak die Einsetzung eines Sonderermittlers. Wie der frühere Berliner Sonderermittler im Fall Amri, Bruno Jost, soll diese Person die Vorkommnisse

Christiane Schott wohnt in der Britzer Hufeisensiedlung, wie viele andere betroffene Bürger, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus einsetzen Sie alle bemängeln, dass die Berliner Polizei bisher keine Ermittlungsergebnisse vorgelegt hat, und fragen, warum keine der Taten bisher aufgeklärt wurde. Auch der Mord an dem 22­jährigen Berliner Burak Bektas im Jahr 2012 wurde nicht aufgeklärt Bektas wurde in unmittelbarer Nähe vom Krankenhaus Neukölln erschossen Seit Mai demonstrieren Mitglieder der „Initiative Basta“ regelmäßig vor dem Landeskriminalamt (LKA) Berlin Die Initiative setzt sich für die Aufklärung rechtsextremistischer Straftaten ein Nach einer Veranstaltung zum Thema „Rechter Terror in Berlin“ Ende September in Neukölln äußerte der frühere Polizeidirektor, Michael Knape, sich „beunruhigt“ darüber, dass das LKA mit seiner Technik und dem Know­How es bisher nicht geschafft habe, der Staatsanwaltschaft mutmaßliche Täter zu liefern „Wir müssten in der Lage sein, endlich diesen Tätern das Handwerk zu legen“, sagte er.

Berlin­Neukölln in Brand gesteckt Mittlerweile gibt es drei Tatverdächtige für diese Anschlagsserie: Ex­NPD­Mann Sebastian T , der frühere AfD­Bezirkspolitiker Thilo P und Julian B

Seit Jahren beklagt die Amadeu Antonio Stiftung die große Diskrepanz zwischen der Zählung von Todesopfern rechter Gewalt von staatlichen Behörden und von unabhängigen Organisationen sowie Journalistinnen und Journalisten Wo von der Bundesregierung lediglich 75 Tötungsdelikte als rechts motiviert gewertet werden, ergeben Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung eine weitaus höhere Zahl: Mindestens 178 Todesopfer rechter Gewalt seit dem Wendejahr 1990 sowie 11 weitere Verdachtsfälle Der von uns in die Grafik eingefügte QR-Code führt zu der interaktiven Landkarte, auf der die Nazi-Morde dokumentiert sind

Doch dazu braucht es einen tatsächli­ in Neukölln untersuchen, dem Innenausschuss berichten und der Frage nachgehen, „ob Maßnahmen gegen verdächtige Personen von Mitarbeitern des LKA unterlaufen wurden“. Frank Zimmermann (SPD­Abgeordneter) mahnt einen „zeitnahen“ Bericht an den Innenausschuss über rechtsextreme Umtriebe und rechten Terror in Neukölln an. Eine bei der Polizei neu geführte Statistik soll rechtsmotivierte Verstöße von Polizisten erfassen Die von SPD­Innensenator Geisel eingesetzte Sondereinheit „Besondere Aufbauorganisation Fokus“ hat begonnen, alte und neue Fälle zu überprüfen Erste Ergebnisse wurden vorgelegt. Im Rahmen dier Anschlagsserie wurde z.B. am 01.02.2018 das Auto des Linken­Politikers Ferat Kocak in

Gegen Julian B. wurde bereits mehrfach in Zusammenhang mit der Anschlagserie und weiteren rechtsextremen Angriffen ermittelt. Es handelt sich um einen mehrfach vorbestraften Neonazi, der in der Vergangenheit bereits für ähnliche Taten verurteilt wurde 2010 wurde seine Wohnung im Zusammenhang mit einem Brandanschlag auf das Haus der Demokratie in Zossen durchsucht 2007 wurde B verurteilt, weil er mit anderen Neonazis einen aus Äthiopien stammenden Mann in Schönefeld angegriffen und schwer verletzt hatte Julian B wurde im Februar 2017 dabei beobachtet, wie er gemeinsam mit Sebastian T. mögliche Anschlagsziele in Nord­Neukölln ausspähte

Er war auch der Betreiber der vor einigen Jahren gelöschten Facebook­Seite „Freie Kräfte Neukölln“. Julian B. hatte am 9 November 2016, am Gedenktag der Novemberpogrome 1938, als Verantwortlicher der Facebookseite „Freie Kräfte Neukölln“ eine Karte Berlins veröffentlicht Auf dieser haben sich 68 jüdische und israelische Einrichtungen und Gedenkstätten befunden. Umrahmt wurde die Karte laut dem damaligen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts, den Julian B selbst auf Facebook verbreitete, von dem Schriftzug „Juden unter uns“ und dem Kommentar „Heut ist so ein schöner Tag! Lalalala“ Wegen dieser Karte wurde gegen Julian B. wegen Volksverhetzung ermittelt – das Verfahren wurde aber eingestellt (TAGESSPIEGEL, 17 02 2020)

Berlin­Neukölln zeigt, dass nichts „im grünen Bereich“ ist Und: vielleicht wird gerade hier der Bock zum Gärtner gemacht Am 19 02 2020 berichtet der Berliner TAGESSPIEGEL, dass in einer WhatsApp­Gruppe faschistische Inhalte

Peter Beuth, CDU) eingestellt, einige Polizisten wurden entlassen. Anfang Februar wurde noch gegen 13 Polizisten ermittelt Größtenteils ging es um das Teilen von rechtsextremen Sprüchen und Bildern

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main musste zugeben: „Es gab mehrere Chatgruppen " In einer dieser Gruppen sei der Berliner Polizist gewesen. Auslöser für die Ermittlungen seit 2018 Herbst waren mit „NSU 2 0“ unterschriebene Drohbriefe gegen die türkischstämmige Anwältin Seda Basay­Yildiz. Diese hatte Strafanzeige gestellt

Fünf Beamte des 1 Polizeireviers hatten in einer WhatsApp­Gruppe Hitler­Bilder und rassistische Parolen gepostet und wahrscheinlich Seda Basay­Yildiz geteilt worden seien. Ein 2019 aus Hessen nach Berlin gewechselter 35 Jahre alter Polizeioberkommissar war Wortführer dieser Gruppe Er darf vorläufig nicht arbeiten ­ bei vollen Bezügen. Auch ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet Über eine Suspendierung samt möglicher Kürzung der Bezüge und eine Entfernung aus dem Dienst kann angeblich erst auf Grundlage der weiteren Ermittlungen entschieden werden Das Beamtenrecht schützt ihn.

Am19.02.2020 berichtet der Berliner TAGESSPIEGEL, dass in einer WhatsApp-Gruppe faschistische Inhal‐te geteilt worden seien. Ein 2019 aus Hessen nach Berlin gewechselter 35 Jahre alter Polizeioberkommissar war Wortführer dieser Gruppe. Er darf vorläufig nicht arbei‐ten - bei vollen Bezügen.

Der Polizist sei Mitglied „in einem WhatsApp­Gruppenchat, in welchem auch Gewaltdarstellungen und rechtsextreme Inhalte ausgetauscht“ wurden. „Auf seinem Handy wurde etwas gefunden“, hieß es aus der hessischen Justiz In der Chatgruppe sollen mehr als 50 Personen gewesen sein, hessische Polizisten und andere Der Berliner Abgeordnete der Linken, Niklas Schrader, twitterte: „Die Serie von „Einzelfällen“ reißt nicht ab “

Im Bundesland Hessen, aus dem der Polizist stammt, wird seit Längerem wegen rechtsextremistischer Verdachtsfälle gegen Polizisten ermittelt Ursprünglich waren 38 Beamte, die zu einer Chatgruppe gehörten, im Visier. 17 Untersuchungsverfahren wurden laut dem hessischen Innenministerium (Minister:

Anfang August 2018 in einem Fax bedroht Seda Basay­Yildiz hatte im NSUProzess Opfer vertreten Eine Beamtin des 1 Reviers in der Frankfurter Innenstadt hatte über ihren Dienstcomputer das Melderegister zu Basay­Yildiz abgefragt – ohne dienstlichen Anlass Sie und vier weitere Kollegen betrieben bei WhatsApp eine gemeinsame faschistische Chatgruppe Das Verfahren wurde mehrfach auf weitere Beamte ausgedehnt.

In Hessen, so eine Umfrage unter 17 000 Beamten, fürchtet mehr als jeder vierte Polizist eine Islamisierung Deutschlands. Gegen Berliner Polizisten wurden im vergangenen Jahr 17 interne Disziplinarverfahren wegen möglicher rechtsmotivierter Taten eingeleitet. In den Disziplinarverfahren geht es dabei um Dienstvergehen von Beamten Im Januar hatte die Polizei von einem Beamten berichtet, der eine rechtsextreme Chatnachricht versendet haben soll In den vergangenen Jahren wurden Fälle von Berliner Polizisten bekannt, die rechtsextreme Taten begangen haben.

Der parlamentarische Aufstieg der AfD, Sympathien mit faschistoiden Inhalten und Methoden bis weit in die CDU hinein („Werteunion“, über 4000 Mitglieder und in allen CDU­Landesverbänden vertreten) ermutigen die Faschisten dazu, ihr Haupt zu erheben. Dabei wissen die „Biedermänner“ der CDU und anderer Parteien sehr wohl, dass die „Brandstifter“ der AfD, NPD und anderer faschistischer Vereinigungen sich nicht bändigen lassen Im Gegenteil Der Faschist Höcke hat mit seiner AfD in Thüringen bei der Wahl des FDP­Kandidaten Kemmerich die CDU, und die FDP, vorgeführt. Seitdem taumelt die CDU auf Landes­ und Bundesebene von einer Krise in die nächste

Die Repräsentanten des bürgerlichen Staates aus der CDU werden selbst von zugewanderten Mitgliedern der CDU kritisch gesehen Ali Toprac (geboren 1969 und seit 1971 in Deutschland; Alevit; Bundesvorsitzender der „Kurdischen Gemeinde in Deutschland e V “ (siehe WIKIPEDIA)) meint zu Hanau: Deutschland brauche „keine schönen Worte, sondern Maßnahmen, die uns schützen“ Wenn die politisch Verantwortlichen die Minderheiten einer Gesellschaft nicht schützen können, machen sie entweder zu wenig oder das Falsche Und: Er habe es als einen Affront empfunden, dass „ein Zündler wie Horst Seehofer (CSU­Bundesinnenminister der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD unter Angela Merkel (CDU)) dort auf der Bühne stehen durfte“. Und Volker Bouffier, Hessens Ministerpräsident (CDU; in Koalition mit den Grünen), dessen Partei im Nachbarbundesland im Osten zusammen mit Björn Höcke „aus Versehen“ einen Landeschef gewählt habe „Wem so etwas tatsächlich aus Versehen passiert, ist hochgradig ungeeignet.“ Und er fügt hinzu, dass ihm seine guten Manieren verböten, diese Leute auszubuhen (Nach: TAGESSPIEGEL, 21 02 2020)

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

(Bertolt Brecht: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui “ , geschrieben 1941)

Bremen, 25 02 2020

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