
3 minute read
Tennis: ein Genuss-Sport …
Ein Kommentar von Michael Quitsch, Headcoach der Tennisakademie Rhein-Neckar
Federer schauen und genießen!
Auf die Frage, welchen Sportler man mit den Begriffen Anmut, Ästhetik oder Leichtigkeit als erstes in Verbindung bringen würde, wäre der Name Roger Federer wohl der meistgenannte. Zumindest von denjenigen, die sich beim Tennis auskennen oder Sport im Fernsehen verfolgen, darf das angenommen werden. Ich selbst schließe mich dem US-amerikanischen Autor David Foster an, der sagte: „Roger Federer beim Tennisspielen zuzuschauen ist eine religiöse Erfahrung“.
Für mich, der einen Großteil seines (nicht nur beruflichen) Lebens dem Tennissport gewidmet hat, ist die Beobachtung des Schweizer Ausnahmeathleten ein besonderer Genuss –gleichzusetzen mit einem gaumenschmeichelnden SterneMenü oder einer raumfüllenden Klanginszenierung. Alles erzeugt in mir tiefes Wohlbehagen, ein Resultat genießerischen Konsumierens, um es mit wissenschaftlichen Worten zu umschreiben. Dabei ergreift mich nicht nur das, was ich sehe, sondern auch die Akustik, die in einem Tennisstadion das Atmosphärische schafft. Und natürlich spiele ich, gefesselt von dem Eindruck, in Gedanken und wohl auch in meinen kinästhetischen Empfindungen mit. Das ist das besondere beim Sport: das, was man als „Gleichgesinnter“ wahrnimmt, überträgt sich auf das eigene neuronale System – nennen wir es „Sinnesbrüderschaft“. Wissenschaftlich nennt sich dieses Phänomen Spiegelneurone. Es führt nachweisbar dazu, dass motorisches Lernen auch bei intensiver Beobachtung und gedanklicher Verinnerlichung stattfindet. Je stärker ein Genuss-erleben, desto stärker wohl auch die neuro-physiologische Wirkung auf unser motorisches Zentrum im Neocortex (für die, die es ganz genau wissen wollen: im Frontallappen, direkt benachbart zur Zentralfurche im Gyrus praecentrali)! Generell folgt das Genusserleben immer dem persönlichen Geschmack. Wem der Tennissport fremd ist oder wer eine anders geartete Sportlerpräferenz hat, wird anders genießen oder eben auch gar nicht – wer sich langweilt, wird auch keine Lernerfahrung und keine „zerebrale Prägung“ erfahren.
Passiv „konsumieren“ oder aktiv gestalten?
Nur Zuschauen oder mit Haut und Herz dabei sein ist eben nicht dasselbe. Der Grad der inneren Aktivität macht den Unterschied. Doch aus dem „aktiven Zuschauen“ alleine ist noch kein wirklicher Könner hervorgegangen. Um ein guter Tennisspieler zu werden, muss man schon selbst den Schläger führen. Aber auch da macht der Genuss den Unterschied. Nur wer sich voll und ganz auf die Sache einlässt, mit Herz und Hirn im eigenen Tun aufgeht, all seine Sinne auf die eigene Bewegung und das Zusammenwirken mit Ball und Schläger ausrichtet, empfindet das wohlige Gefühl des Gelingens. Das ist es, was ein gutes Training ausmacht: aufzugehen im hier und jetzt, höchste Aufmerksamkeit und das Erleben eines Zustands, in dem alles fließt, locker von der Hand geht und ins Ziel trifft. Dieses Genusserleben kann jeder erreichen, egal ob Einsteiger, Hobbyspieler oder Profi. Und egal auf welchem Level. Lernen braucht ein gutes Gefühl. Das gilt für den Sport wie für die Schule. Sich an den Schreibtisch zu setzen ist sicher nicht per se das, was Vergnügen macht. Aber wenn man die Zeit vergisst, Dinge plötzlich klar werden, man Zusammenhänge versteht und man das, was man liest, rechnet, schreibt oder hört, ohne weiteres jedermann mit eigenen Worten erklären kann, dann nennt man das Lernfreude. Lernfreude ist ein Prinzip unserer Akademie – Genusserleben ist eine unabdingbare Methode, und genau das kann ein Trainer mit geeigneten Ansagen, adäquatem Anspiel und angepasster Übungswahl steuern.
Hingabe und Ehrgeiz, Genuss und Gelingen
Ehrgeiz ist das eine: das unbedingte Erfolgsstreben und die kompromisslose Ergebnisorientierung. Hingabe jedoch ist das andere: Sich der Bewegungsharmonie, dem Ballgefühl und der Aktionsdynamik hinzugeben. Folgt man den Studienergebnissen der Professorin Tanja Hoff vom Institut für angewandte Psychologie und Sozialförderung in Nürnberg, gibt es vier Genusstypen: den Couchgenießer (36 %), den Geschmacksgenießer (27 %), den Erlebnisgenießer (17 %) und den Alltagsgenießer (17 %). Wo wird sich der erfolgreiche Athlet, Musiker, Schauspieler oder Literat wohl wieder- finden? Im Erlebnisgenuss beim Tun dessen, was man kann, von Tag zu Tag besser kann und zu dem führt, was man Gelingen nennt …
… vorausgesetzt, man verfügt über das, was man „Genussfähigkeit“ nennt!
Die Fähigkeit, überhaupt Genuss empfinden zu können, muss einem gegeben sein – genetisch und als Ergebnis der persönlichen Sozialisation durch Sensibilisierung und den positiven Einfluss derer, die in der Lage sind, zu gönnen. Genießen und gönnen gehören zusammen. Prof. Hoff unterscheidet drei Typen zur Genussfähigkeit: den genussfähigen, den genussunfähigen und den Genuss-Zweifler. Dabei verknüpft sie Genuss mit der Fähigkeit zu Muße und Entspannung. Die Forscherin geht davon aus, dass ungefähr ein Viertel der Menschen in Deutschland genussunfähig sind. Es darf angenommen werden, dass sich solche Menschen mit dem Streben nach einem gelingenden Leben schwertun, weil sie sich womöglich selbst nichts gönnen. Wir Baden-Württemberger haben es da gut – wir gehören zur Spezies der vorwiegend genussfähigen Menschen.
Wir von der Tennisakademie Rhein-Neckar denken positiv und gehen davon aus, dass prinzipiell jeder Mensch, der zu uns kommt, die Fähigkeit mitbringt, in unserem Training Genuss zu erleben. Bei den leistungsorientierten Jugendlichen, die sich regelmäßig in Turnieren messen, braucht es hierfür eine besondere Kultur: die Kultur des Gönnens. Ist es nicht wunderbar, wenn meine Trainingspartner gute Turniere spielen und erfolgreich sind?
In diesem Sinne, ran ans Racket und Spielgenuss erleben. Wir freuen uns auf Sie!
Ihr Trainerteam der Tennisakademie Rhein-Neckar