AKTUELL
RESILIENZ STECKT IN IHREN GENEN
In der Corona-Wirtschaftskrise brilliert der Lebensmittelhandel mit seiner genetisch verankerten Resilienz. Retailer aus diversen Non-Food-Branchen, die unter den Folgen von Covid-19 massiver leiden, sind gefordert, die Resilienz ihrer Unternehmen zu stärken. Vor allem durch einen Digitalisierungsschub. Ein Gastbeitrag von Hanspeter Madlberger
Foto / Simon Jappel
R
esilienz – bloß ein Modebegriff oder doch ein realitätsnaher Strategieansatz zur besseren Bewältigung der CoronaWirtschaftskrise? Der Fachausdruck stammt aus der Medizin, steht für die Widerstandsfähigkeit des Körpers gegenüber Krankheiten und anderen Belastungen und für die Fähigkeit, dank rascher Anpassung gestärkt aus solchen Krisen hervorzugehen. Das Prinzip der Resilienz machte Karriere in der Welt der Wissenschaften, ist heute in der Physik, der Soziologie, der Ökologie und der Ökonomie Fixbestandteil der Lehrgebäude. Das renommierte Fraunhofer-Institut in Deutschland beschäftigt sich mit der Frage, wie in Politik und Gesellschaft systematische Resilienz gefördert und entsprechende Transformationsprozesse beschleunigt werden können. Fraunhofer-Forscher Florian Roth präsentiert dazu einen interessanten Ansatz: Resilienz bedeute nicht zwangsläufig die Rückkehr in den Systemzustand vor dem Corona-Schock, sondern schließe auch den Aufbruch zu neuen, insbesondere nachhaltigen Umweltstrategien mit ein. Der Störfall Covid-19, ein disruptives Ereignis historischen Ausmaßes, schreit förmlich nach optimaler Nutzung der Resilienz-Potentiale. Speziell in der Ernährungswirtschaft. Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, / Q3/2020
schreibt darüber im Vorwort zum jüngst erschienenen Food Report von Ernährungsforscherin Hanni Rützler: „Während die Gastronomie in vielen Fällen ums Überleben kämpft und mit alternativen, experimentierfreudigen Konzepten der Krise trotzt, können der Lebensmitteleinzelhandel und die Lebensmittelindustrie stabile Gewinne erzielen. Die Menschen … brauchen mehr Lebensmittel zuhause und bereiten sich ihre Mahlzeiten und Snacks selbst zu. Kaum verwunderlich, dass sich der Umsatz im LEH positiv entwickelt.“
ZUKUNFTSVISION: DER RESILIENTE STAAT
ZUR PERSON Hanspeter Madlberger, Doktor der Handelswissenschaften, ist seit über 40 Jahren Wirtschaftsjournalist. Seit er sich von seinem Berufsalltag als Chef eines kleinen Fachverlages verabschiedet hat, arbeitet der nunmehrige (Halb-) Pensionist als freischaffender Publizist.
In der Wirtschaftspolitik tritt das Resilienzdogma an die Stelle des Wachstumsdogmas. Andreas Reckwitz, Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin sagt im Interview mit der „Zeit“ vom 13. August: „Seit den 1980er-Jahren wurde der Wettbewerbsstaat eines Dynamisierungsliberalismus stark gemacht. Aber nun ergeben sich Umrisse eines resilienten Staates, dem es darum geht, Risiken für die Gesellschaft abzumildern, gesundheitliche oder ökologische etwa.“ Die Auswirkungen auf die Budgetpolitik, von den CO2-Steuern bis zur Corona-Hilfe für jene, die in die Nachhaltigkeit investieren, sind beträchtlich. Österreichs Lebensmittelhandel, ihrem wirkmächtigsten Kommunikator und Marketing-Taktgeber der Food-Economy in Richtung Konsumenten, ist in der Resilienz-Denke felsenfest verankert. Aus mehreren Gründen:
21