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Gebet und Ganja
Die ambivalente Verbindung von Cannabis und Religion
Text: Dieter Klaus Glasmann
Woran denkt man, wenn in einem Gespräch die zwei Begriffe Religion und Cannabis zusammenkommen? Richtig, eine der ersten Assoziationen ist in der Regel wohl die Rastafari Bewegung, die in Jamaika besonders stark verbreitet ist und die es durch ihren prominentesten Vertreter Bob Marley zu weltweiter Bekanntheit gebracht hat. Die Rastas gebrauchen die Cannabispflanze im Kontext der Meditation, des Gebets gewissermaßen, obwohl viele auch darauf bestehen, dass Rastafari keine Religion ist, sondern eine innere Einstellung, ihre Lebensart, Livity sagt man dazu. Cannabis nennen sie Ganja und schon an dieser Stelle wird klar, dass der Zusammenhang zwischen Cannabis und Religion sich nicht nur auf Rastafari beziehen kann, denn das Wort Ganja hat einen ganz anderen Ursprung, der etliche Jahrhunderte zurückliegt. Es stammt wohl aus dem alten Sanskrit, bezieht sich auf die Blüten der Hanfpflanze, während Charas das Harz beschreibt und Bhang die Blätter. Nach dem Ende der Sklaverei wurde Cannabis samt der Bezeichnung Ganja gemeinsam mit Arbeitern aus Indian nach Jamaika importiert. Der sakrale Umgang mit Cannabis ist also gewiss kein exklusiv jamaikanisches Phänomen.
Schon in Indien wurde Cannabis rituell gebraucht
Dass Menschen aus Indien mit Cannabis auch den kulturellen oder rituellen Gebrauch in Jamaika verbreiteten, ist ein Beleg dafür, dass schon in Indien eine Art sakraler Umgang mit Cannabis gepflegt wurde. In den religiösen Praktiken des Hinduismus, aber auch in den Traditionen des Buddhismus, ist Cannabis bereits seit Jahrtausenden ein ganz selbstverständlicher Bestandteil.
Die Vielseitigkeit der Pflanze, gepaart mit der Tatsache, dass Cannabis seit so langer Zeit verwendet wird, macht uns klar, dass der Mensch wahrscheinlich jede nur erdenkliche Form der Nutzung bereits ausprobiert haben wird, ob gegessen, getrunken, gecremt, darin gebadet, geräuchert oder geraucht. Insbesondere Anwendungen wie das Räuchern waren oft Bestandteile von Ritualen und spirituellen Zeremonien.
Rauchen kommt von Räuchern
Das Räuchern oder Rauchen von Pflanzen ist in sehr vielen Kulturen verwurzelt und beides wird auch bis heute noch weltweit von Menschen praktiziert. Im Ursprung entstand beides auch aus nur einer Handlung, denn bevor Pfeifen oder Zigaretten erfunden wurden, wurden Pflanzenteile und andere Räuchermittel in Feuer geworfen, oder auf glühende Kohlen oder auch heiße Steine gelegt. Vielleicht war anfänglich keine gezielte Inhalation beabsichtigt, dies können wir heute kaum noch nachvollziehen.
Mutmaßlich hat also ein zufälliges Einatmen während des zeremoniellen Räucherns die Wahrnehmung psychoakti- ver Eigenschaften von Cannabis und auch anderen Kräutern verursacht. Gemäß der Erzählung eines griechischen Historikers der Antike namens Herodotus (ca. 500 vor Christus) beinhalteten Bestattungszeremonien zentralasiatischer Nomadenstämme (z.B. Skythen) das Räuchern von Cannabis auf heißen Steinen in geschlossenen Räumen. Es sollen hier zwar hauptsächlich Samen geräuchert worden sein, wohl aber auch andere Pflanzenteile.
Wenn wir nun davon ausgehen, dass das Räuchern einen sakralen Hintergrund hatte, dann können wir uns nur zu gut vorstellen, wie ein Rausch als Vision, als Zeichen oder generell als göttliches Werk empfunden werden konnte. Der veränderte Bewusstseinszustand in diesem Moment mit veränderter Wahrnehmung von Geräuschen, Formen und Farben könnte wie ein Verstärker für Glauben und Ehrfurcht gewirkt haben. Die Teilnehmer der skythischen Bestattungsrituale sollen gemäß Herodotus´ Beschreibungen jedenfalls vor Freude laut geschrien haben.
Cannabis ist im Koran kein Thema
Da Judentum, Christentum und Islam ihre Ursprünge im nahen Osten haben, könnte man annehmen, dass alle drei Religionen ähnliche Einstellungen gegenüber Cannabis pflegen und sich dabei vielleicht sogar auf ähnliche Überlieferungen beziehen. Im Koran allerdings wird Cannabis nirgends direkt erwähnt, wahrscheinlich weil das Gewächs in Indien zuhause war und zu Zeiten des Propheten Mohammed nicht in der arabischen Welt zu finden war. Im Allgemeinen werden im Koran berauschende Substanzen jedoch als haram bezeichnet, so dass demnach auch der Gebrauch von Cannabis für Muslime nicht akzeptabel ist.
Judentum, Christentum und Cannabis in der Vergangenheit…
Es finden sich Rabbiner und jüdische Gelehrte, die der Cannabispflanze bescheinigen würden, sie sei koscher und es spricht nichts gegen den Gebrauch. Natürlich finden sich ebenso Gegner dieser Aussage, Cannabis ist also kei- neswegs unumstritten im Judentum, schon da in den religiösen Überlieferungen keine expliziten Erwähnungen zu dem Gewächs zu finden sind.
Im Buch Genesis (Gen 1,29) der Bibel steht geschrieben: "Und Gott sprach: Seht da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamet, auf der ganzen Erde, und allerlei fruchtbare Bäume und Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise." Damit sind mit ziemlicher Sicherheit eigentlich alle Gewächse auf der Erde gemeint gewesen, da sie gemäß christlicher Überzeugung allesamt Teil der göttlichen Schöpfung sind. Zumindest werden keine Ausnahmen oder Verbote genannt. Auch die Rastas beziehen sich gerne auf diese Bibelstelle, wenn man über die Legitimation der Nutzung des heiligen Krauts, des Ganja, spricht.
Tatsächlich kann man in der Bibel eine weitere Passage entdecken, die sich vielleicht konkreter auf Cannabis be- ziehen lässt als die eben genannte Textstelle des Buchs Genesis. Im Buch Exodus (Exodus 30,22-29) heisst es: "Nimm dir die beste Spezerei: die edelste Myrrhe, 500 Lot, und Zimt, die Hälfte davon, 250, und Kalmus, auch 250 Lot… Mache daraus ein heiliges Salböl nach der Kunst des Salbenbereiters… sollst du sie weihen, dass sie hochheilig seien."
Die Bezeichnung Kalmus taucht in der Luther Version der Bibel auf, im hebräischen Original wird an dieser Stelle "qaneh bosm" genannt. Dies ist der Wortursprung von Cannabis und bedeutet übersetzt so viel wie “Stängel vom Duftgras”. Ob damit wirklich Cannabis gemeint war, wird bis heute diskutiert.
…und heute
Lange Zeit hielten sich Gerüchte, dass im Weihrauch, wie wir ihn vom Gebrauch in der Kirche kennen, auch THC enthalten sei, auch wenn dies von wissenschaftlicher Seite nie bestätigt werden konnte. Dafür fand man heraus, dass der Weihrauch selbst eine, wenn auch sehr geringe, psychoaktive Wirkung haben kann.
Die christlichen Kirchen, evangelisch, katholisch oder orthodox, positionieren sich gegen den Konsum von Cannabis und warnen vor dem schädlichen Suchtmittel. Eine progressive christliche Gemeinschaft namens “United Church of Christ” aus den USA und auch die amerikanische episkopale Kirche befürworten die medizinischen Anwendungen der Pflanze.
Offen für den kulturellen, freizeitlichen oder auch rituell-religiösen Umgang mit Cannabis sind die großen Glaubensgemeinschaften bis heute nicht, sie unterscheiden sich hier lediglich in der Vehemenz ihrer ablehnenden Haltung. Im Gegensatz zum generellen gesellschaftlichen Wandel mit der wachsenden Akzeptanz für Cannabis hat man bei den Kirchen auch nicht den Eindruck, dass sich dies in nächster Zeit positiv entwickeln wird. Es ist vielleicht ein schlechtes Beispiel, doch auch bei der Akzeptanz von Sex vor der Ehe, von Verhütung oder auch von Homosexualität hängen die sogenannten Weltreligionen der Gesellschaft meilenweit hinterher. Warum sollte es gerade bei Cannabis anders sein? Den unbedarften, natürlichen spirituellen Zugang zum Ganja, den die Rasta haben, kennen wir nur noch aus der Geschichte.