HATE. #5
MAGAZIN FÜR RELEVANZ UND STIL
Spaß beiseite Auf deiner Ecstasy ist ein Hakenkreuz Ist er wach? Am Ende der Straße liegt die Welt
HATE Magazin für Relevanz und Stil Krossener Straße 7 10245 Berlin ►
WWW.HATE-MAG.COM
HERAUSGEBER R+S Media Krossener Straße 7 10245 Berlin Registernummer: 34/518/53630 REDAKTION Jonas Gempp jonas@hate-mag.com Nina Scholz nina.scholz@hate-mag.com Henning Lisson henning@hate-mag.com
WHAT WE
THIS ISSUE:
Nina Scholz
Tatort hassort: Myspace Seite 4
L au r a E we r t
Vor und Zurück: Feierabend für Feierbürger Seite 5
Björn Lüdtke
Satinpro Colour Spi-C 2000 Seite 7
L i n u s Vo l k m a n n
Auf deiner Ecstasy ist ein Hakenkreuz Seite 8
F r i e d e r i e k e va n d e r S p u l e n
Spass beiseite Seite 10
GESTALTUNG Johannes Büttner johannes@hate-mag.com Ronald Weller ronald@hate-mag.com
Antony Coca Cola
Looking for Freedom Seite 13
ANZEIGEN Robert Härtel robert@hate-mag.com
Sami Khatib
LEKTORAT Jochen Werner
Die Herausgeber
AUTOREN Liz Birk, Antony Coca Cola, Frank Eckert, Laura Ewert, Franz Friedrich, Christiane Ketteler, Sami Khatib, Moritz Jasper Kuhn, Björn Lüdtke, Fabian Sax, Antonia Schmid, Friederike van der Spulen, Linus Volkmann FOTOGRAFEN Lucie Biloshytskyy, Attila Hartwig, Miguel Martinez, Will Paterson MODEPRODUKTION Björn Lüdtke
Mit Slavoj Žižek in der kommunistischen Theoriediskothek Seite 16
Seite 17
Jonas Gempp & Nina Scholz
Am Ende der Strasse liegt die Welt Seite 21
Gefährliche Brandung Seite 24
Frank Eckert
Ist er wach? Seite 27
Christiane Ketteler
Teil 1: Death Metal Seite 31
Liz Birk
Dracula goes Neuzeit Seite 34
AUSSTATTUNG Bass Berlin ILLUSTRATION Zero Cents, Ian Liddle, Losef HATE DANKT Ricardo Esposito, Tobias Hagelstein, Michael Kummermehr, Finn Johannsen, Sebastian Gaiser, Clemens Pavel, Michael Nadjé, Gabriele Gempp, Carlos de Brito, Klaus Scholz, Miguel De Pedro, Artur Schock, Larsson, Oskar Offermann, Marc Schaller, Nikolas Peters, Laura Ewert, Tobias Rapp, Lars Brämer, Edward, Steffen Köhn, Lotte Blankenhagel, Helge Peters, Steffen Köhn, Sandra Molnar, Cargo Berlin, Handle With Care, Berghain, Tim Kießling, François Fleury, Joy van Erven, Paul Snowden, Ulrich Eickhoff UND DEN MODELS Eva, Laura Ewert, Joffrey Jans, Alexander Lindqvist, Helge Peters, Minky Rayner, Rejne Rittel, Emanuele Rizzi, Alexander Seeberg-Elverfeldt, Triine Ruumet Auflage: 2.500 Die nächste Ausgabe erscheint am 13. Februar 2010. Wer HATE für 5 EUR bestellt, erhält ein auf 200 Stück limitiertes Poster von Paul Snowden.
Antonia Schmid
Ich wollte doch nur Urlaub machen Seite 37
On Designing Decay Seite 40
Wohin mit dem Hass, den ich in mir spür’?
F r a n z F r i e d r i c hFrisst sich wie Rost nach Innen
Kristian
Alles was ich weiss: ich bin nicht wie ihr Aber wohin mit dem Hass? Seite 41 Kennst du die Reichen und Mächtigen? Lass ihre Wagen brennen! Nina Scholz Sie haben weder Respekt noch Angst vor uns, Wann wird es mal wieder richtig Sommer? also: Seite 43 Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Fabian Sax & Wohin mit dem Hass? M o r i t z J a s p e r K u h n Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass, denn er wächst wie Krebs Postkarten Wächst und lässt dich nicht töten Seite 58 Kommt mit all dem Misstrauen, das du hegst und macht etwas Schönes kaputt Die Menschen in den Strassen benehmen sich wie Vieh Laufen mit und fühlen nach Vorschrift Sie sind es so gewohnt und hassen still vor sich hin Solange bis ihnen jemand sagt: Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass, all dem Hohn und Spot Dem Neid mit dem ihr mich betrachtet Alles was ihr wisst: ich bin nicht wie ihr Und so wird es immer sein Also gebt mir euren Hass und seht mir zu wie ich ihn für euch verwandle Wenn ich fertig bin, lass euch in Ruh’ Allein mir eurem Hass Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Wohin mit dem Hass? Jochen Distelmeyer ː Wohin mit dem Hass
TATORT HASSORT: Myspace von Nina Scholz
A m A nfang hab ich dich gegen deine blödesten K ritiker vertei neue EBM-Band. Toms Rettungsversuche zeigdigt. Ist mir doch egal, mir doch egal, dass im ten wie Textmarker-Markierungen auf deine Internet steht, ob ich Techno mag oder nicht. Fehler. Über den großen Teich schwappte dann Meinetwegen können alle meine hochgelade- die Nachricht: Alle Prolls sind bei MySpace, nen Bilder haben, um mit meinem Gesicht Wer- die coolen Kids spielen jetzt bei Facebook. Da bung zu machen. Es ist total super, wenn man, verließ ich dich. Wenn ich heute zurückkehre, so wie ich, Telefonieren hasst: man kann ein- ist es, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. fach ein Bulletin an alle schreiben und schon Du bist eine Ruine, mitten im Internet. Auch weiß jeder, was man am Wochenende macht. meine anderen Freunde haben dich verlassen. Du kannst ja auch ein privates Profil haben! Wir exhibitionieren und stalken jetzt bei der Was heißt billig und hässlich, kann doch jeder anderen Plattform. Manchmal vermisse ich seine Seite selbst gestalten. Leute stalken, ohne dich aber doch: Denn dort wo ich jetzt bin berausgehen zu müssen, ist doch toll! Vollkom- nutzt keiner Fakenamen und ich wurde schon men egal, dass von meinen 1000 Freunden von so einigen Geistern aus der Vergangen900 Musiker oder Partyveranstalter sind, so heit schneller gefunden, als mir lieb war. Aber entdecke ich viel neue Musik auf MySpace und wenn es Facebook so ergeht wie dir, habe ich muss keine Flyer einsammeln. Aber dann be- in 3 Monaten schon das nächste Thema für gannst du mich nach und nach gewaltig zu ner- diese Kolumne. ven: Nur noch jede siebzigste Freundesanfrage kam von Menschen, deren Namen ich schon mal gehört hatte. „Partymaus22“ und „Wilder Hengst“ hatte ich, Adblock und Spamfilter sei Dank, aus meinem Internet ausgesperrt. Über dich spazierten sie wieder rein. Schülerbands, sich selbst für talentiert haltende Provinzdichter aus Berlin-Schöneberg und Fakeprofile englischer Serienfiguren wurden die Regel. Bekannte Gesichter so sehr die Ausnahme, dass ich mich bald nicht mehr freute, wenn auf der linken Seite „Freundesanfrage“ aufblinkte. Bald konnte man sich überhaupt nicht mehr auf dich verlassen. „Kein Problem, ich hab die Adresse der Party in meinem MySpace-Account.“ Blöd nur, dass der fast immer über mehrere Stunden „vorübergehend“ nicht erreichbar war. Wenn ich es mal auf deine Startseite schaffte, warteten dort Candygirls, die neue Single von Reamonn und andere Geschmacklosigkeiten auf mich. Von User-angepasstem Werbekontent hast du wohl noch nicht gehört? Oder passen Virginia Jetzt zu irgendeinem meinerVirginia Jetzt! sind vier Musiker aus Brandenburg, die gerne von der ländlichen 1000 Freunde? Deine Billigkeit, deine Un-Idylle in Dunkeldeutschland schwärmen. Wären sie nicht aufs Gymnasium gegangen, übersichtlichkeit trat immer deutlicher hervor.würden sie wahrscheinlich saufen, abhitlern und ihr Dorf vor Eindringlingen beschützen. Nicht nur, wenn man versuchte, sich zurechtzufinden, sondern auch in den erbärmlichen Nachrichten dieses blöden Tom: „Schreibe uns keine Mail, wir basteln an irgendeinem neuen Scheiß für dich.“ Der war mein erster Freund, da hätte ich es vielleicht schon ahnen sollen: Wer so ein Foto von sich ins Internet stellt, der hält Ästhetik wohl eher für eine
4
Psychedelische Illustrationen Losef (4, 5, 6, 12, 18, 23, 31, 36, 56)
VOR & ZURÜCK: Feierabend für Feierbürger
†5
L obo -B ashing ist ja mittlerweile so mainstream wie der P ein sein Bier abgestellt hatte aber war schon 2012 lich-Punk selbst. Es gibt Leute, die sagen, man wieder „Schluss“. Ich gehe deswegen davon solle das nicht tun. Die einen meinen, man aus, dass das mit den Chinesen doch kein allzu sei ja bloß neidisch, die anderen treten ein- großes Problem darstellt. Komischerfach nicht auf Menschen, auf die bereits an- weise ist das nun drin: 2012 wird was passiedere eintreten. Edle Eigenschaft. Wobei erste- ren. Mit dem Maya-Kalender will niemand was res Argument natürlich ähnlich blöde ist, wie zu tun haben, aber „dass das so nicht weitermediale Eitelkeitsdarstellungen von Typen mit geht“ scheint abgemachte Sache. Ich akutem Testosteron-Mangel. Nun ist es aber halte jedoch nicht die niedlichen Nick-Inder so, dass man wenig andere Wahl hat und au- für das Problem. Ich halte es da mit Moondog, ßerdem das Studenten-Bashing auf die Dau- der sagte: „Die Welt wird im 4/4-Takt zu Gruner einfach nicht mehr so viel Spaß macht. Ob- de gehen“. Dieser kluge Musiker wird schon wohl das natürlich weiterhin wichtig ist, um damals im 4/4-verseuchten Münster gewusst die Welt zu retten. Die Welt zu retten haben, dass repetitive elektronische Musik zuallerdings ist gar nicht möglich, wie ich letz- künftig von den sogenannten Gentrifizierungstens auf der Fahrt von Berlin nach Hamburg Gegnern missbraucht wird, um einfach gegen erfuhr. Die fremden Mitfahrer hielten Vorträ- alles anzutanzen was sich irgendwie nicht richge über globale Zusammenhänge, während der tig anfühlt und somit langsam aber sicher auch Fahrer verschiedene Weinflaschen ausschenk- die letzte Gehirnmasse weggebasst wird. Platte. Irgendwann fiel der Regen dann waagerecht tenladen um die Ecke? Geil! Baupläne? Scheigegen die Windschutzscheibe und da war er, ße! Feder ins Haar, fetzig-ironischen Spruch a der Apokalypsengedanke. „Ich weiß nicht was, la „Freiheit nervt“ gemalt und los geht’s. Genaber 2012 wird irgendwas passieren“, sag- trifi-Dingsda ist das Problem. Genau. Komm, te der Mitfahrer auf der Hinterbank und ver- wir machen mal ne Galerie auf, da in der Stramutete die Überbevölkerung als DAuslöser für ße sind die Mieten auch echt noch voll günser Hamburger Stadtteil St. Pauli war und ist Heimat von Zuhältern, Halbwelt und Milieu. tig. Kommt alle vorbei. Gibt auch eine entscheidende Wendung indie Die zwielichtigen Gestalten hatten und haben schönsten Spitznamen überhaupt. Eine klei- Musik. Wir halten uns gemeinsam den Lebensumständen. Schiss be-die ne Auswahl: Wiener-Bär, Neger-Kalle, Lackschuh, Felix Zocker, Mofa, Albaner-Willi, Himbeer- am Bass fest. Gentrifikam ich aber erst, als Uwe, einToni, der Lamborghini-Klaus, Schweine-Hans, Mannheimer Peter, Türken-Musa, Dingsda hält gerne her. Zusammen etwa fünfzigjähriger Langhaar-Schläger-Fred, Karate-Andy, Corvetten-Ralf, Hunde Helmut, träger mit Klavierlehrbuch in derSS-Klaus, der schöne Mischa. mit 4/4. Und dann ist „Schluss“ 2012, weil man vergessen hat, einen und Bierflasche in der anderen Hand, am nächsten Abend auch sagte: das Kind beim Namen zu nennen. Oder zumin„2012 ist Schluss!“. „Das Problem sind die In- dest mal im Namensgebungsbuch nachzuschlader und die Chinesen. Die werden 2018 dop- gen. So sieht’s nämlich aus. Aber pelt so viele sein. Das ist das Problem.“ Als er solange man es sich im bauchgefühldefi-
Albrecht Dürer, The Revelation of St John: The Four Riders of the Apocalypse, 1497-98, Woodcut, 39 x 28 cm, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe
von Laur a Ewert
nierten Gut und Böse noch so schön bequem machen kann, wird einem auch weiterhin nichts Besseres einfallen als über Lobo zu lästern und unbedingt auch über Leute, die Mails mit „Save the Date“- oder „Early Bird“-Inhalten verschicken. Mit Neid hat das soviel zu tun wie die Chinesen mit der Gentrifikazierung. Nur muss man doch ab und an mal kurz notieren wo oben und wo unten ist. Jetzt wo sich sogar schon die Subkultur mit politischer Lobbyarbeit vertraut macht, gerät man leicht ins Strudeln und muss sich klar machen, wer Recht hat und wer nicht. Ich schätze, Uwe hat Recht, der spielt nämlich Schach bei St. Pauli im Verein. Und was den Rest angeht, guck ich mir das auch weiterhin auf Arte an.
ɷ 3632
Laura Ewert
ː VOR & ZURÜCK: Feierabend für Feierbürger
6
SATINPRO COLOUR SPI-C 2000
Björn Lüdtke
wollte sich einen Föhn kaufen und wurde
in die Mittelmäßigkeit der Warenauswahl geschleudert.
†7
Sein Plädoyer gegen Marktforschung.
Irgendwann geht alles mal kaputt. S ogar der stabilste F öhn.
Natürlich am Morgen vor einem wichtigen Termin. Muss es eben ohne gehen. Am Abend auf dem Nachhauseweg will ich mir ein neues Gerät kaufen. Beim Discounter werde ich nicht fündig, ein Haartrockner ist hässlicher als der andere. Ich will’s schön um mich rum haben, auch morgens im Bad. Die hier kommen nicht in Frage. Ab ins Kaufhaus. Von Braun1 wird’s ja wohl was Schickes geben. Auf Dieter Rams und seine Nachfolger ist immer Verlass. Form follows function. In der Haartrockner-Abteilung angekommen, finde ich die Braun-Produkte zuerst nicht. Bis ich merke, dass ich an ihnen vorbeigelaufen bin, weil sie sich perfekt zwischen die Geschmacklosigkeiten anderer Hersteller einreihen. Unproportioniert und gewollt futuristisch anmutende Formen in Rotmetallic … Seitenspoiler aus grauem Plastik, die mich irgendwie an einen Renault Twingo erinnern … Ein bisschen Türkis hier, ein mintfarbenes Knöpfchen da … Von Babyliss, Remington oder Rowenta erwarte ich ja gar nichts anderes. Leute mit schlechtem Geschmack müssen ja auch irgendwie ihre Haare trocken kriegen. Aber Braun? Was ist passiert? Seit wann baut Braun – der Wegbereiter des Modernismus in deutschen Haushalten – solche Haartrockner? Im Nachschlagewerk Praxiswissen BWL 2 lese ich: „Marktforschung umfasst die systematische Sammlung, Aufbereitung und Interpretation von Informationen über Märkte, Marktteilnehmer und Rahmenbedingungen.“ Mit anderen Worten: Schaut, was die Wettbewerber machen und fragt den Kunden, was er will. Ein populäres Instrument der Marktforschung ist die Befragung. Man wird beim Einkaufsbummel angehalten und für einen Zwanni bar auf die Hand soll man seinen Senf zu dem einen oder anderen Produkt abgeben. Aufgrund dieser Aussagen treffen dann graue Marketing-Mäuschen in schlecht sitzenden grauen Kostümchen Entscheidungen darüber, wie ein Produkt aussehen muss, damit es die größtmögliche Chance hat, auf dem Absatzmarkt ein Hit zu werden. Die vermeintlichen Neuheiten werden vor ihrer Markteinführung so lange zurechtgeschliffen, bis die breite Masse ihr Kauf-Okay gibt. In der Regel ist das Produkt danach kaum noch von denen der Konkurrenz zu unterscheiden. Um eine rentable Menge an Gütern absetzen zu können, muss ein Unternehmen den Massenmarkt bearbeiten. Die Produkte müssen weltweit ankommen – bei Europäern genauso wie bei Chinesen. Das verlangt nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, was in den Regalen
landet, ist Durchschnitt. Die Masse hat aber nicht immer den besten Geschmack, was man nicht nur im Haartrockner-Regal sieht, sondern auch an Casting-Shows wie Deutschland sucht den Superstar. Die halte ich übrigens für die cleverste Form der Marktforschung. Hier zahlt der Endverbraucher bei der Telefon-Hotline sogar noch, um seine Meinung abgeben zu dürfen. So werden aber nur selten die geschmackvollsten und nachhaltigsten Entscheidungen getroffen. Das beweist der meist kurze Erfolg der dort gewählten Stars. Marktforschung bildet nur ab, was der Konsument im Moment will und sagt nichts über seine zukünftigen Bedürfnisse aus. Sie spiegelt nur die Gegenwart wider. Nicht umsonst spricht man bei Produkten, die die Zeit überdauern, von Design-Klassikern – man denke an Entwürfe von zum Beispiel Le Corbusier. Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, wie die aussehen würden, hätte man dazu eine Marktstudie in Auftrag gegeben. In die Kategorie der Klassiker hatte ich lange die Produkte von Braun eingestuft. Doch auch hier hat das Marketing um die Jahrtausendwende zugeschlagen. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, müssen Marktanteile ausgebaut werden. Wenn’s um Masse geht, muss man aus der Nische der Klasse raus. Die Mehrheit der Produkte, die heute auf den Markt gebracht werden, soll auch gar keine lange Lebensdauer haben. Sie werden absichtlich Moden unterworfen, damit der Konsument sich nach einer Weile an ihnen satt sieht. Man soll möglichst schnell das Bedürfnis verspüren, einen neuen Föhn kaufen zu wollen. Durch Styling wird Innovation vorgetäuscht, wo gar keine ist. Das Funktionsprinzip eines Haartrockners ist seit Jahrzehnten dasselbe. Braucht die Welt einen Haartrockner in Rotmetallic? Ich befürchte, dass die Telefon-Voterin, die bei der letzten DSDS-Staffel für Daniel Schuhmacher gestimmt hat, diese Frage mit Ja beantworten würde. Da haben wir den Salat. Ich will nicht, dass die Frau mit dem schlechten Musikgeschmack mitbestimmen kann, wie mein Föhn aussieht. Die CastingShow kann ich abschalten. Einen Föhn brauche ich aber trotzdem, so lange ich noch Haare auf dem Kopf habe. Ich fühle mich dem DSDSFan hilflos ausgeliefert. Meine Freundin Madleen (Name vom Autor geändert) findet das elitär: „Is’ mir doch scheißegal, wie der Föhn aussieht, der liegt doch eh im Badschrank. Den seh’ ich ja nur, wenn ich ihn raushole. Außerdem … wir haben eh so wenig mitzubestimmen bei allem, dann will ich wenigstens beim Föhn ein Wörtchen mitreden.“
Ich stutze. Wenn ich eine neue Frisur will, dann stelle ich mich doch aber auch nicht auf die Straße und drücke einem dahergelaufenen Passanten Geld in die Hand. Und wenn ich ins Restaurant gehe, dann will ich ja auch nicht, dass die anderen Gäste kochen, sondern, dass das1 Polster, B. und Meyer, O. (Hg.): Braun – 50 Jahre Produktinnovationen. Essen vom ausgebildeten TeamKöln: Dumont Literatur und Kunst Verlag, 2005. in der Küche zubereitet wird. Was ist daran bitte schön elitär? Ich mache eine Schnellrecherche bei Wikipedia: Eine Elite ist eine Gruppierung überdurchschnittlich qualifizierter Personen. Ha! Frisöre schneiden Haare, Köche kochen2 Geyer, H.: Praxiswissen BWL. München: Rudolf Haufe Verlag, 2007. und Produktdesigner kümmern sich um Haartrockner. Nehmt dem Marketing das Zepter aus der Hand, wehret dem Durchschnitt! In vielen Bereichen kann man vom Durchschnittsprodukt auf andere ausweichen. Bei Klamotten zumRowenta ist die Küchenmaschienen gewordene zuverlässige Langeweile, Beispiel. Da macht’s die Kombisozusagen das Hannover unter den Haushaltsgeräteherstellern: irgendwie aus Vintage, COS & Co. und et-in der Mitte und bestimmt mit Vorteilen versehen, aber eben doch nur so sexy was kostspieligerem Design. Beiwie Belgien auf der Autobahn bei Nacht. Als die Marke 2002 ihr Logo Fernsehgeräten geht’s notfallsgestalterisch in so eine Art bösen Zwilling von Porsche Design plus über den Preis. Aber bei Ge-WM-2006-Logo-Schrift verwandelte und das Ganze mit der 007-Brigittebrauchsgegenständen des tägli-Claim-Mélange „Intelligent Beuaty“ ausstattete, hatten jegliche, vielleicht chen Bedarfs wie Zahnbürsteneinmal vorhandene Ambitionen, in Richtung Klassiker-Werdung Selbstmord oder eben Haartrocknern hört’sbegangen. Die Geräte selbst indes: Ohne Fehl und Tadel. dann auf. Um einen vom Verbraucher akzeptierten Einzelhandelspreis erzielen zu können, müssen Produktionsmengen erreicht werden, die nur ästhetisches Mittelmaß erlauben. Das hier soll keine KapitalisRapaille, C.: Der Kultur-Code – Was mus-Kritik3 sein. Ich bin aus- 3 uns trennt – was uns verbindet. München: Wilhelm Goldmann Verlag, 2007. drücklich FÜR Auswahl. In diesem Fall habe ich aber keine. Wenn ich nur unter hässlichen Föhns auswählen kann, dann entscheidet schlussendlich der Preis. Ich war immer bereit, für ein Produkt von Braun, das Und wer immer noch denkt, über Geschmack ließe sich nicht streiten, der schicker war als alle anderen, sollte die Ausstellung ,Böse Dinge’ im Museum der Dinge in Berlin besuchen. etwas mehr auszugeben. Das Oranienstrasse 25, 10999 Berlinist jetzt vorbei. Gezwungener- Kreuzberg läuft noch bis zum 30. November maßen unterstütze ich das Sys- 2009 tem weiter und entscheide mich für die günstigere Variante von Babyliss, die ich jetzt im Badschrank verstecke.
ʄ 6659
Björn Lüdtke
ː VOR & ZURÜCK: Feierabend für Feierbürger
Auf deiner Ecstasy ist ein Hakenkreuz
SMS, circa Sonntag Mittag nach der Hate-Release-Party vom Vorvorabend. „Hey Alter, komm vorbei! Keta-After-Hour bei Herta Däubler-Gmelin, später Blechrauchen, Anti-Fa oder Lindenstraße.“ So oder ähnlich lesen sich die Nachrichten, die man als Autor von den Herausgebern dieses Magazins erhält. Nur vielleicht in noch krasserem Befehlston. Der Ausweg aus der Einheit von Image und Life ist hier offensichtlich nichts wert. Hate ist die Party. Okay, erstmal Handy aus.
Nie mehr Ausgehen!
Ein Text von L i n u s Vo l k m a n n übers Ausgehen. Okay, dagegen.
lieber beruhigende
Musik? Torsun
von
E gotronic
8
immer noch in ihren Uniformen vorbeteten. Das heißt, selbst wenn man sich rauszieht, hängt man immer noch drinnen und man weiß ja, wie über jene gedacht wird, die auf den Social-Networks-Plattformen immer nur twittern, dass sie allein Tatort gucken und gerade mal wieder nicht auf dem Melt oder der Wache sind. Daher an dieser Stelle einfach mal eine Liste zum Thema, die der neon nicht ː spicy genug war (und nicht rechts genug)
Warum du heute nicht ausgehen musst ͢ Auf deiner Ecstasy ist ein Hakenkreuz ͢ Jemand viel älteres aus deiner Nachbarschaft hält dich als Fuck Monkey ͢ Die neue TV Spielfilm ist da ͢ Du musst einen Leserbrief an die TV Spielfilm verfassen, warum die Druckqualität so schlecht geworden ist (Krise?)
͢ Du bist tätowiert ͢ Deine Haare sehen nicht aus ͢ Du hast keine Schuhe ͢ Hass auf alle ͢ u schreibst immer noch an deinem Debütroman über Berlin D ͢ eime K ͢ Deine Freunde sind Idioten ͢ Welche Freunde? ͢ Du nimmst die Postrauschdepression von Vorabend als letzter noch ernst ͢ u bist arm D ͢ u bist krank D ͢ Das Sudoku kriegst du im Bergheim nie fertig ͢ Es heisst Berghain! ͢ Im Pro-Ana- bzw. im Selbstmordforum interessiert sich wer kurz für dich ͢ Du hast den Zitty-Guide gesponsort von Beck’s Gold verpasst, in dem die Adressen der Clubs stehen
͢ Der einzige Überlebende bei „28 Days Later“ war der, der die ganze Zeit schön im Zimmer im Koma lag
͢ Du hast so eine Elektronische Fussfessel, wenn du das Haus verlässt, reisst dir die Explosion vermutlich das Bein ab
͢ Sahra Wagenknecht und Cem Özdemir bedrohen, stalken und flamen sich nicht von allein im Internet
͢ Anspieltipp: „Ich sauf allein“ (Hammerhead)
Danke!
Jonas trägt BASS.
Vielleicht
singt: „Das Wochenende in Berlin ist echt ein Rauschzoo/ heut klauen wir uns den Montag, morgen dann den Dienstag.“ Danke dafür, noch mehr Tage zum Saufen, Feiern, Leute sehen? Da kommt man ja gar nicht mehr zum Arbeiten. Außerdem berücksichtigt die Szene die Bedürfnisse von menschenmüden Exzentrikern auch nicht wirklich effektiv. Von wegen Splittergesellschaft! Auf Facebook dann noch lauter Einladungen zu sonstwas, nie gehört oder doch schon mal, egal, bitte ankreuzen und ja wohl nicht dauernd nur „nein“. Im Posteingang zu allem Übel eine Mail von den Kunden der Z.I.A. Man wolle einen Reader über Samstag Nacht machen, also über’s intensive unaufhörliche Ausgehen – dieser neue Trend. Also wenn selbst diese verwünschten Biertrinker an jener heißen Sache dran sind, muss es ja was sein. Vermutlich hat Sascha Lobos Mutter „Drei Tage wach“ im Theater gesehen und es ihren Jungs rübergeskypt vom t-online W-LAN HotSpot am Rosenthaler Platz. Bottom line jedenfalls: Die Gäste sind jetzt da und singen bereits im Hausflur, dauernd soll man bloß noch runtergeklingelt werden – am besten auch gut drauf sein und ähnlich schräger Quatsch. Dazu gehört stets auch – wenn man dann mal wo ist – das „große Woandershinwalking“ (den Begriff prägte Max Goldt bereits im letzten Jahrzehnt und mit seinen 49 GoogleTreffern darf man ihn getrost für ein geflügeltes Wort der volldrögen Titanic-Leserschaft-Szene halten). Immer noch woanders hin. Weggehen, um dann wieder weg zu gehen usw. Kommt grundsätzlich keinem komisch vor. Eher der Wunsch, ein zweites Getränk, eine zweite Schachtel Zigaretten im selben Laden einzunehmen, gilt als Freakshow. Nun, nach drei Absagen fühlt man sich ja meist wie einmal ausgegangen. Das stellt die moderne Entsprechung von „sieben Bier sind ein Schnitzel“ dar, wie es die Großeltern einem
Fotograf Attila Hartwig (8 – 23)
Isabellfarben , Synonym für beige (gelbbraun, sandfarben). Einer Legende zufolge wurde der Farbton nach dem Hemd der spanischen Infantin Isabella Clara Eugenia (1566-1633), der Tochter König Philipps II. von Spanien, benannt. Sie soll gelobt haben, das Kleidungsstück nicht eher zu wechseln, bis Ostende gefallen sei, das ihr Gemahl Erzherzog Albrecht von Österreich belagerte. Die Zeit vom Gelöbnis Isabellas bis zur Kapitulation der Stadt soll 3 Jahre, 3 Monate und 3 Tage gewährt haben (1601-1604).
9
⁞ 3519
Linus Volkmann
ː
Auf deiner Ecstasy ist ein Hakenkreuz
†
Fotografin Lucie Biloshytskyy (10 – 13)
10
† 11
SpaSS beiseite
Seit längerem ist hedonistisches Feiern eine Hohlphrase für das Raven mit gutem Gewissen geworden. Ob das Konzept trotzdem emanzipatorisches Potenzial besitzt oder bloße Augenwischerei im Clubkontext ist, hat sich F r i e d e r i e k e v a n d e r S c h u l e n gefragt.
„Warum ich hier bin? Na,
für die internationale Vereinigung des Hedonismus … nicht gegen Deutschland … mehr für die Feierei und so“. Der junge Mann grinst in die Spiegel-TV-Kamera und tanzt, mehr oder minder motiviert, von dannen. Doch auch die fragenden Spiegel-TV-Reporter können zufrieden sein, haben sie doch auch auf der antinationalen Parade des ums Ganze! Bündnis am 23. Mai endlich einen ausreichend verwirrten QuotenDeppen für ihre Video-Berichterstattung gefunden. Unabhängig davon, ob dies tatsächlich eine ernst gemeinte Antwort war, oder doch eher der neuste Akt subversiver Medien-Guerilla sein sollte, steht es doch symptomatisch für die potenzielle Inhaltslosigkeit des Konzepts „Hedonismus“. Damit nun niemand einwendet, mit einer Kritik des Hedonismus würde man sich falsche Freunde machen, sei dies obligatorisch vorweg geschickt: Bestimmten Antifa-Gruppen, die sich seit jeher neben der rücksichtslosen Sozialdemokratisierung der radikalen Linken vor allem der Verbreitung katalanischen Ska-Punks (als einzig legitimen Ausdrucks linker Subkultur) gewidmet haben, ist natürlich jegliche Berechtigung, in Aufrufen darüber zu spotten, dass Nazis sich nicht „wegraven ließen“, abzuerkennen. Auch ist es nicht sonderlich schade, dass Demomusik heutzutage nicht mehr nur aus Tracks des Schlachtrufe BRD-Samplers, wissentlich und ohne Scham in einer Endlosschleife aus kaputten Boxen krächzend, besteht. Schließlich ist gegen elektronische Musik und Drogenkonsum an und für sich auch recht wenig einzuwenden. Problematisch wird es jedoch, wenn all diese Dinge nicht mehr nur Begleitprogramm sein sollen, sondern der Hedonismus gleich in Gänze zum politischen Ziel erklärt wird und durch Gruppen wie der Hedonist International nicht nur gegen Ska-Punk sondern (leider) auch gegen eine kritische Analyse der Gesellschaft in Stellung gebracht wird. Da wo Hedonismus zum politischen Kon-
zept erklärt wird, hört gewissermaßen der Spaß Es ist ja mitnichten so, dass sich auf Lust und auf: Bereits das Manifest strotzt vor Genuss zu berufen etwas in der heutigen GeDingen, die die Hedonistische Internationale sellschaft besonders Unübliches wäre. Denn erstreiten will, eins dabei beliebiger als das an- Lust und Genuss sind letztlich so unbestimmt, dere. Auffällig ist bei all diesen Begriffen, dass dass auch die von der bürgerlichen Geselldie kapitalistische Totalität vollkommen ausge- schaft bereitgestellten Genüsse der Konsumblendet bleibt und keine kritische Reflexion der sphäre locker als solche durchgehen können. Beschränktheit dieser Begrifflichkeiten in ih- Das Problem ist dabei nicht einfach die manrer bürgerlichen Form stattfindet. Be- gelnde Quantität von „Genuss“, sondern auch sonders gruselig: „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ die mitunter lausige Qualität dessen, was geund „Toleranz“. Nicht nur, dass diese Ideale sellschaftlich als Genuss verkauft wird. (Beirekordverdächtig oft von Vertretern demokra- spielhaft sei an die wöchentlichen Überfälle tischer Parteien gelobhudelt werden und des- von Horden sexistischer Flatrate-Alkoholiker wegen schon den Argwohn linksradikaler Ge- auf die Großraum-Discos dieses Landes ersellschaftskritiker verdienen, auch sind diese innert.) Konsum ist also an und für in ihrer bürgerlichen Form Garanten von Elend sich sind nicht sonderlich widerständig, sonund Ausbeutung: Der Staat stellt mit Hilfe sei- dern erstmal Abfallprodukt der Warengesellnes Gewaltmonopols sicher, dass sich die Men- schaft und notwendig zur Reproduktion des schen als freie und gleiche Rechtssubjekte ge- gesellschaftlichen Verwertungszusammenhangenübertreten. Außerdem wird durch ges. Abfallprodukt deshalb, die Eigentumsordnung dem Subweil weder Lust noch Genuss jekt gestattet, alles (seinerseits legaZiel der Produktion ist, sonle) mit dem eigenen Hab und Gut zu dern allein die Generierung von tun und zu lassen. Andererseits legt Mehrwert. Nicht der unmittelder Staat damit aber auch die Rechtsbare Konsum hat daher kritisubjekte darauf fest, das Eigentum sches Potential (abgesehen von all der anderen Individuen anzuereiner Revolte gegen die Moral kennen. Das Eigentum ist also vor der Verzichtsethik), sondern die allem eins: ausschließend noch und Aufdeckung der gesellschaftnöcher. Zähneknirschend muss festlichen Strukturen, die Lust gestellt werden, dass bürgerliche Freiheit und und Genuss entgegenstehen. Das alles heißt Gleichheit nur formell sind. Aus der Gleich- nicht, dass Gesellschaftskritik nur schlecht heit der Rechtssubjekte resultiert abhängig gelaunt funktioniert. Es heißt aber sehr wohl, vom Eigentum und der Stellung im Produkti- dass es die Aufgabe von Gesellschaftskritiker onsprozess der Einzelnen konkrete Ungleich- ist, die Beschränkungen aufzuzeigen, die in heit. Die herrschende Freiheit ist vor allem dieser Gesellschaft dem schönen Leben systedie Freiheit (und gleichzeitig der matisch entgegenstehen, statt den beschränkZwang) sich in der gesellschaft- ten Genüssen zu frönen und am Ende womöglichen Konkurrenz unter Aner- lich noch den Eindruck zu hinterlassen, dass kennung des Privateigentums auf irgendetwas an dieser Gesellschaftsordnung eigene Faust gegen die anderen gut wäre. Der Aufruf „Macht was durchzusetzen. Wei- ihr wollt – Nicht was ihr müsst“ der Hedonister fordert die Hedonistische In- ten kann dem leider nicht gerecht werden und ternationale „Freude“, „Lust“ bleibt in den Fängen des bürgerlichen Indiviund „Genuss“ für Alle. Was an- dualismus hängen. gesichts des gesellschaftlichen Die Sozialdemokratisierung der Welt schreitet voran. Ein bisschen sozial, Zwangscharakters emanzipato-sowie ein bisschen links fühlen sich heutzutage die meisten Menschen. Blöd für die SPD. Seit sogar die CDU und Die Linke sozialdemokratisiert risch zu sein scheint, entpuppt sich beim nähe-sind, interessiert sich keiner mehr richtig für für das Original. ren Hinsehen jedoch auch als leere Worthülse. 5871
Friederieke van der Schulen
ː
Spaß beiseite
“Puppet shows inspired me the most.
And besides that I was interested in space and vast. The puppet shows were a great influence, because of the limitation of space they had to deal with.� (Losef)
12
† 13
Looking forFreedom by A nton y Coca-Col a
I love B erlin . I am definitely a B erliner . I feel so connec -
ted to the struggles of this wounded metropolis, a place where two brutish empires once stood eyeball to eyeball, mano-a-mano. I too have struggled in life, and sometimes to look at the history of Berlin feels like looking into a mirror. The most important things in my life are contemporary art and dance music. I also love history and stuff, so to live where Techno music was the glue that repaired the bond between East and West — good and evil — well, that’s an amazing feeling. And there are loads of arty people here, too. I remember watching the Berlin wall come down while I was still a child, and I think I understood the significance of that historic moment even then. I remember looking at my mum and asking if they were now allowed to have a McDonalds in Russia. When she said yes, I began to cry. I still think of it sometimes on Sundays at 25. When I came to Berlin I just wanted to have time for my art, but I got so much more as well. I thought I just wanted somewhere cheap and cool. Somewhere away from the boring grey faces of Manchester where
I could party for 36 hours non-stop, and live for pittance. In Berlin even the public transport is provided for free. You can get a kebab for only € 3.50 in some places. When I lived in England I worked in telesales and did my art at weekends, making sculptures from fast food packaging. In England you have to work 5 days a week. It’s dreadful. My girlfriend and I came to Berlin to forget our jobs and bills. We would party hard all weekend, hanging out at the Watergate, the Weekend and the Pano’ Bar. I have had the best times of my life ever, ever in Pano’ bar. Nothing in the world can beat that place. Then on Sundays (or even Mondays) we would end up in the 25. Well, that’s what I call it now that I am a local, but what I mean is Bar25. I was lucky when I got here. Straight away I made friends and was asked to DJ at parties because I have a really good taste in music. I got one gig just because I was wearing a Banksy T-shirt. Before long I was getting booked every weekend. Some people are jealous that I am playing in all the cool clubs and say that I am not a proper DJ because I don’t buy records. “Screw you,” I say. Besides Vice 5747
are always there taking photos when I play and if it’s good enough for them … I have also found many other ways to express myself, and one of those ways was actually doing music. I make dance edits by taking out any parts of songs that don’t have a beat. After the second track I ever did was picked up by some big name DJ’s, I decided to set up a label. Now, Lovecock is one of the hottest labels around, mainly featuring edits of rare eighties techno like Giorgio Moroder. There is such a strong scene in Berlin. I feel like being at the centre of this massive movement. You just have to look at what other people are doing, and then get involved. Then it’s a bigger scene, a movement, and it’s everywhere. I am so happy to be part of that. It’s like one big family. What holds all this art, expression, freedom and fun together is the music. The music here is the best in the world. It always will be. To be honest though, outside electronic music not much goes on in Berlin. There are some other parties that don’t play techno-disco, but I have never checked them out because I heard they were rubbish. You have just got to keep your ear to the ground. I also love to live in the pink Antony Coca-Cola
ː Looking for Freedom.
Illustration  Ian Liddle
14
capital of the world. Everyone is Berlin is gay, right? Queer is the new black. It’s like living in † 15 the sixties or ancient Rome — there is so much free love with boys and with girls and everyone in between. I feel like I’m riding a carousel of debauchery. And everyone loves to watch and be watched — I am getting sick of seeing my face on Glam Canyon. Living in this urban playground has also helped me getting in contact with my inner-self, shoo away my demons. Not having to get up before midday really helps me to get my priorities straight. Could I have been a success anywhere else? Undoubtedly, but that’s not the point. There is so much of the world’s history all around us here in Berlin that it’s like an electric charge. Sometimes when I walk home from Bar25, and I am feeling a bit low, I take a moment to re-connect with the city. I place my hands on the wall and just feel the energy coming from the bass. The place where thousands of people died is now the place where their brothers and sisters are finally free. Free to dance. And I think I am too. I know your pain. I too have been “looking for freedom”. My latest project is making sculptures from my own faeces. I know that sounds risqué, but you’ve got to understand in Berlin, anything goes. Besides there was a symmetry to how I discovered this form of expression. The toilets here have a small shelf so you can examine your movements and this constant appraisal of what was inside me made me think about what I was really made from. So, I decided to preserve my waste with Turkish hair spray and to invite people to discuss how it made them feel at my weekly art forum and on my blog. Luckily I know lots of people in the art scene, and I was offered a temporary gallery space in Mitte. The opening was the place to be, everyone wanted to sponsor it — Bacardi, Becks, Red Bull, Lucky Strike. So I said yes to them all and proceeded to get plastered whilst watching all of my “shit” getting sold to the top Berlin art collectors. People still talk about my show opening, and it was over a week ago now. The space was amazing too, a real Berlin gallery full of graffiti and second hand furniture. It used to be squat in the nineties when the anarchists ran Berlin like their own personal fiefdom. History is everywhere in Berlin. A Nazi once lived in my building. In Bacardi ist Strand, karibisches Lebensgefühl und dieser Song, der wo nicht mehrfact, Berlin is a lot like a small village where aus dem Ohr will: „Hmmm Bacardi Feeeeling, na na na na naaa naaaa...“everyone knows everyone else. I never have to Einwandfrei. Neben astreinem Lebensgefühl, förderte die Familie Bacardi auch diepay to get in anywhere — no one does — that’s kubanische Revolution gegen Batista um dann später in den 80ern gemeinsam mithow you can spot a real Berliner. You can also Reagan Lobbyarbeit für ein Embargo gegen Kuba zu machen.spot an East Berliner by their English — I really struggle to understand them. So Berlin is definitely the place to be if you are into art and expression. I just wish so many people would stop moving here. They are driving the prices up.
Mit Slavoj ŽiŽek in der kommunistischen Theoriediskothek Sami Khatib
fragt sich, ob die plötzliche Omnipräsenz Slavoj Žižeks
und seines Fanclubs auch bedeutet, dass eine neue kommunistische Hypothese im Raum steht, die mehr sein will als Discotheorie und Stütze einer moralischen Haltung.
EigentlichfolgteseinergewisseninnerenNotwendigkeit, wenn, wie neulich geschehen, über Facebook die Einladung zu einem gewissen „Žižek Club“ zirkuliert. Eine erste Annäherung an Slavoj Žižek, wahlweise „Scharlatan“ (Die Zeit) oder „formidabel-brillantester Exponent der Psychoanalyse im besonderen und Kulturtheorie im allgemeinen“ (Terry Eagleton), braucht eigentlich bloß auf die einschlägigen Youtube-Seiten, Wikipedia-Artikel und BlogEinträge zu verweisen: der slowenische Philosoph, Psychoanalytiker und bekennende Kommunist ist auch im Web 2.0 zum umstrittenen Popstar des Theorietalks aufgestiegen. Wäre da ein Žižek-Auftritt im Berliner WMF-Club nicht die logische Weiterentwicklung einer medialen Crossoverstrategie? Notgeiler Synergieeffekt? Wenn es stimmt, dass sich Politik heute der Register der Populärkultur bedient und Wissenschaft zur unmittelbar lebensweltlichen Produktivkraft avanciert, nimmt sich der Versuch einer sauberen Trennung von Populärkultur, Politik und wissenschaftliche Theoriebildung ohnehin sehr prekär aus. Nicht anders bei Facebook, wo es nicht lange dauert, bis in der Kommentarspalte des ominösen Žižek-Clubs etwas von „postmodernem Party-Gulag“ steht und ich mir die bizarre Szenerie ausmale, wie Žižek in dem ihm eigenen Duktus zwischen Kalaschnikow-Englisch und hysterischer Gestik das DJ-Personal zum Abspielen von Wagners Götterdämmerung zwingt. Die Idee von kommunistischen Wagner-Festspielen im WMF, der einstigen und kürzlich wieder auferstandenen grande dame des veredelt bebrillten Hauptstadt-House, mag einen obszönen Reiz haben – so abwegig scheint sie indes nicht. Wagners Oper widmete 16
Žižek unlängst und ohne ironisierten Doppelboden einen ganzen Nachmittag während seiner Master Class am Londoner Birkbeck Institute for the Humanities. Unter dem Titel “Notes Towards a Definition of Communist Culture” erkannte Žižeks Lesart in der Schlussszene der Götterdämmerung die Keimform einer post-mythischen kommunistischen Gemeinschaft. Da Žižek seine im übrigen sehr komplizierte und so gar nicht popkulturell kompatible Theoriematrix aus Hegel, Marx und Jacques Lacan zumeist aus dem Stoff der Populärkultur (Film, Musik, Alltagsideologien) spinnt, wäre ein Clubauftritt an sich keine große Überraschung – mit oder ohne Wagner. Andererseits: ist der Club als Bühne für Politik und (mikro)politische Lebensentwürfe nicht eines der Lieblingsversprechen der 1990er Jahre gewesen – also dem postmodernen Jahrzehnt, dem Žižeks permanentes ceterum censeo gegen Pluralismus, Subjektpolitik und Mult ik ulturali smus g i l t ? E i n zweiter Blick auf die vermeintliche ŽižekClubeinladung sorgt für Aufklärung. Nicht Žižek himself gilt der Abend, sondern einer name-droppenden argentinischen Formation, die unter dem Namen Žižek Records einen schwer einzuordnenden Clubsound produziert, der keineswegs nach dem befürchteten BionadenTechno oder Neohippie-Electronica-Kram klingt. Die Label-Website behauptet etwas von Hip Hop, Dancehall, Reggaetón, Cumbia, Bastard Pop und Mashups. Bemerkenswerter als die Musik ist allerdings der Umstand, dass hier
der Name Žižek bereits als eine Art Eigenlabel funktioniert, dem beliebig popkulturelle Bedeutungsschichten hinzugefügt werden können. Wer mag sich da nicht an Scritti Politti und ihren 1982er Song Jacques Derrida erinnert fühlen. Die Sache mit den Žižek Records aus Argentinien gibt zudem ein in Europa weniger bekanntes Gossip-Detail aus dem globalisierten Gegen-Empire des Theorie-JetSets preis: seitdem Žižek vor einigen Jahren eine damals 26-jährige Dame aus Buenes Aires ehelichte, die tatsächlich auf den Vornamen Analia hört, zeitweise als Unterwäsche-Model jobbte und Tochter eines bedeutenden Vertreters der südamerikanischen Lacan-Schule ist, gehört er auch in der argentinischen Hauptstadt zum linksakademischen Starpersonal. Unabhängig von derlei Verstrickungen aktualisiert der vermeintliche Žižek-Club eine entscheidende, heute vielleicht fast schon wieder vergessene Erfahrung: das Experiment einer Liaison von Techno, Theorie und Tanzen als integriertem Vernetzungsangebot. Meine 1990er Jahre Technoassoziationskette spult beim Namen Žižek Club natürlich sofort Erinnerungen an das mit Gilles DeleuzeReferenzen gespickte Mille Plateaux-Label aus dem Frankfurter Force Inc.-Universum ab, dessen Politiksehnsüchte einst den Popdiskurs in der Spex oder Die Beute befeuerten. Warum also nicht Žižek als neuer Deleuze? Beide funktionieren als omnipräsenter Diskursautomat zwischen den diversen Schauplätzen von Populärkultur, Kunstdiskurs, Akademie und Bewegungspolitik. Der Vergleich hingt sicherlich, produziert aber eine suggestive Parallele: so wie wir Deleuze als genreübergreifende Theoriemaschine einer linken Postmoderne kennengelernt haben, ließe sich Žižeks aktuelle Popularität als Symptom einer neuen postpostmodernen Kondition lesen. Als im
Force Inc. war das Lieblingslabel der Diskursraver.
In den 90ern haben sie Breakcore und IDM veröffentlicht, der sich vom Bummbumm-Techno deutlich unterschied. Als sie dann das nach einem Buch der französische Philosophen Guattari und Deleuze benannte Label „Mille Plateaux“ gründeten, wurden sie zum Lieblingsobjekt der Poptheoretiker.
17
Das Interesse, die Begeisterung und die finanzielle Unterstützung unserer Herausgeber hat diese Ausgabe erst möglich gemacht. Dafür möchten wir aus (vollstem) Herzen danken. Artur Schock Malte Voss Bachschule Offenbach Marlen Belafi Christian Demmler Mea Liedl Christian Moritz Ol.Schmidt Christian Simon Pony Göttingen Christopher Stuart Mann Ravi Sharma Cornelia Büttner Remo Westermann David Roetschke Sanatorium 23 DNP Music Saskia Willich Egbert Kaiser Sebastian Ingenhoff Fabian Weissbarth Tim Lomborg Felix Monsees Timur Parlar Felix Nicklas Tobias Rapp Frauke Pahlke Tom Huber Helge Peters Torsten Kellner Johannes Scharf
ᴥ 10178
Sami Khatib
ː
Mit Slavoj Žižek in der kommunistischen Theoriediskothek
18
Zeitalter des liberaldemokratischen Triumphalismus nach 1990 die undogmatische Linke drei Tage über Kommunismus zu tagen. „Hotnach neuen postmarxistischen Theoriedesigns test ticket in town“ befand der GuardiAusschau hielt, wurde sie nicht selten im The- an. Unabhängig von Tagespolitik, oriebaukasten von Gilles Deleuze (und Félix Theoriekonjunkturen und vermeintlichen Guattari) fündig. Gegen das klassische Dreige- Žižek-Clubs, geht es in der von Žižek aufgeworstirn der Kritischen Theorie aus Hegel–Marx– fenen Kommunismus-Frage zumindest für die Freud ließ sich mit Deleuze einst ein neues um radikale Linke buchstäblich um Alles: inwieVirtualität, Differenz und Wiederholung krei- fern kann Kommunismus heute mehr sein als sendes Theoriedesign behaupten, das als anti- bloße Ideologiekritik, ethische Haltung oder dialektisches, anti-humanistisches und anti- adornitische Flaschenpost? Derlei Fine-Tuning psychoanalytisches über den Charme einer ins mag dem linksliberal-bürgerlichen common radikal Affirmative gewendeten Subversion sense läppisch bis gefährlich erscheinen, klingt verfügte. In Žižeks polemisch-strategischer Le- ihm der Name Kommunismus doch auch knapp seart des Deleuzianismus, die sich auf dessen 20 Jahre nach Mauerfall immer noch allzu theoretische Konzepte nur oberflächlich ein- sehr nach Nordkorea, Stalinismus oder traurilässt, geht es nun um die materialistische Ein- ger Ewiggestrigkeit. Aus strategischen Grünsicht, dass ein Denken um Ströme, Vielheiten, den versuchen einige Neokommunisten daher Differenz und Heterogenitäten letztlich nur das sogar, dem Kind einen neuen, weniger ParteiJahre Medi- affinen Namen zu geben: „the common“ (Mitheoretische Blueprint eines 90er Der Politikwissenschaftler Antonio wurde wegen kommunisti-chael Hardt), „Multitude“ (Antonio Negri / enkunst-Yuppietums frei scherNegri Umtriebe und falschen Terrorvorwürfen gemeinsam mit anderenHardt) oder der Pseudo-Anglizismus „commuHaus geliefert und dement- Intellektuellen 1984 in Italien zu Haft verurteilt. Daraufhinnismus“ (www.communismus.de) heißen die sprechend dem heutigen 30flohJahren er nach Frankreich, kam 1997 und verbüßte einen Teilprominentesten Versuche. Das Žižeksche InsiD i f fe r e n z k a p it a l i s m u s derzurück Strafe, zumindest nächtens, im Gefängnis. Mit Michael Hardttieren auf dem nicht-unschuldigen Signifikannichts mehr entgegenzuset- schrieb er zwei Akademiker-Romane (Multitude und Empire), die in derten Kommunismus mag aber auch diejenigen zen habe. Spätestens nach globalisierungskritischen Linken auf Anklang stießen. Wer zu Beginnirritieren, die in ihrer Selbstwahrnehmung 9/11 und den nachfolgen- viel der Nuller Jahre ein geisteswissenFach studierte, kamebenfalls aus einer radikal linken Position herden neuen Weltordnungs- umschaftliches Negri und Hardt nicht herum. In man nicht mehr soaus auf dem K-Wort beharren. Die Rede ist nakriegen sind wir nämlich letzter Zeit hatviel von ihm gehört. Žižek zufolge „in der Wüste türlich von neueren Positionen der sogenannten des Realen“ angekommen, „antideutschen“ Linken, die dem unsexy ostiin der die bekannten linksligen Klang zuweilen ein paar hedonistische oder beralen Demokratiekonzeplibertäre Nuancen hinzuzufügen versuchen. te nichts mehr taugen. So Die Beschwörung des kommunistische Gewie sich die Internet-euphospensts, das Behaupten einer „kommunistirischen „happy nineties“ auf schen Hypothese“ (Badiou) könnte in Diktion Rhizom, Vielheit und nomaund Aussage aber nicht unterschiedlicher sein dische Wissenschaft reimals das K-Wort im Munde derer, die in forschem ten, wollen heute Žižek und Verbalradikalismus zuweilen Angriffskriege sein französischer Gewährsmit Antifaschismus verwechseln. Was mann Alain Badiou eine neue theoretische Ar- aber, wenn Kommunismus nicht nur matur aus Dialektik, Universalität, Kommunis- eine rein ethische Haltung ex negativo mus und Wahrheitsereignis schmieden. Will sein soll, die sich der kritischen Kritik man also Žižeks politisch-theologisch ange- an anderen Linksradikalen verschriehauchten Neo-Leninismus und Badious Kom- ben hat? Kann eine heutige kommumunismushypothese als postpostmodernes nistische Hypothese tatsächlich mehr Symptom lesen, so verweisen sie auf gesell- sein als die historische Endschlacke schaftliche Erfahrungen und Tendenzen, die einer Philosophie, die sich im Duktus mit dem Ende des fordistischen Sozialstaats einer inversen Theologie am Leben erund der Heraufkunft eines „neuen Geists des hält, weil der Augenblick ihrer VerKapitalismus“ (Luc Boltanski/Eve Chiapello), wirklichung versäumt ward? Was wäre denn einem postfordistischen „flexiblen Menschen“ eine kommunistische (Meta-/Anti-)Politik im (Richard Sennett) nur unzureichend zu erklä- 21. Jahrhundert? Wie ließe sich das (komren sind. Vielleicht brauchte es einer Zuspit- munistische) Ereignis erzwingen, ohne am zung wie der aktuellen Finanzkrise, um kapita- Fortschreiben kapitalistischer Modernisielistische Alltagserfahrung als vermeintlich rungsgeschichte mitzustricken? Von welcher privates Schicksal einerseits und politischen Position aus ließe Kapitalismus als real gesellschaftlisich eine kommunistische Subchen Strukturzusammenhang andetraktion des Kapitalismus ins rerseits wieder zusammendenken zu Werk setzen, wenn sie im Hier können. So gesehen hätte der Termin und Jetzt über eine Bartlebysche einer Konferenz mit dem Titel „On „I prefer not to“-Haltung hinausthe Idea of Communism“ nicht pasgehen soll? Žižek und Badiou sender gewählt sein können, lief bleiben hier bei aller Verbalddoch in den Feuilletons gerade eine ramatik auffällig unbestimmt. apokalyptische Begleitmusik zur Womöglich müssen diese FraKrise des Kapitalismus an. Tatsächgen tatsächlich in einem noch zu lich riefen Žižek und Badiou im Frühjahr gründenden Žižek-Club an einem geeigneten 2009 fast die gesamte linke Theoriestar-Sze- Ort mit Kaltgetränken zur alsbaldigen Wiene nach London, um mit gut 1000 Besucher dervorlage gebracht werden. ᴥ 10178
† 19
Bis vor kurzem war der Leninismus bei fortschrittlichen Linken unpopoulär und wurde höchstens als Pointenvorlage für politische sehr unkorrekte Marxistenwitze genutzt. Seit aber hippe Sozialisten die Werke und Kommentare des Genossen Lenin wieder hervorgeholt, abgestaubt und postmodern begehbar gemacht haben, ist der Begriff auf einmal wieder in vieler Munde.
Sami Khatib
ː
Mit Slavoj Žižek in der kommunistischen Theoriediskothek
this ad is the dj fee for edward & oskar offermann
www.whitetheLaBeL.Com 20
Am Ende der StraSSe liegt die Welt
vo n Jo n a s G e m p p & N i n a S c h o l z
“Their (Jackson’s and Hughes’) deaths make me feel old, but more than that, they make me aware of belonging to a generation that has yet to figure out adulthood, for whom life can feel like a long
John Hughes movie. You
know the one. That Spandau Ballet
song is playing at the big
dance. You remember the lyrics, even
if it’s been years since you
heard them last. This is the sound of
my soul.”
Der B egriff Pop wurde schon tausend Mal ge- und missmit anderen erfinden konnte. Ein webraucht. So wollen auch wir uns nicht zurück- nig scheint es aber in Vergessenheit geraten zu halten und ihn noch mal ordentlich durchnu- sein, dass Pop sowohl von den Linken als auch deln. Zum allerletzten Mal, denn wir möchten den Spießbürgern auch mal ordentlich verihn weder retten und auch nicht reetablieren. dammt wurde; von den einen wegen der verWir brauchen diesen Begriff nicht einmal mehr meintlichen Abwesenheit von Subversion, von als Beschreibung, und schon gar nicht wollen den anderen aus den umgekehrten Gründen: wir Barrikaden damit bauen. Wir wollen ihm unmoralisch, flach und in aufmüpfigem Gebloß noch mal tschüß sagen, auch für die ande- Peterwand kam der Pop daher. Doch dann kamen Kraus übersetzte in den 50ern und für die Deutschen und Österreicher denjüngere Linke und machren, die sich von dem ollen Ding offensicht- 60ernwilden, bösen Rock‘n‘Roll in eine zahmere aus Twist und Schlager. Das machtten Pop zu einem widerlich gar nicht trennen mögen. Ganz erMischung so gut, dass sogar die Eltern der PetticoatTrägerinnen gerne Filme mit ihm und Connyständigen Konzept. Daam Anfang, als Pop noch den populären und Froboess sahen. Den ewig gleichen, biederen und Romantikkomödienfür erfanden sie, weil sie somit relativ allgemeingültigen Teil der Ju- fügte Verwechslungser auch als Schauspieler eine Rocknote hinzu, die für die Nachkiegsdeutschen einegerade die ganzen Frangendkultur und ihrer Musik beschrieb, war erträgliche Dosis Amerika in ihre heile Welt Heute ist Peter Kraus dafür berühmt,zosen gelesen hatten, den diese (Sub-)Kultur erstmal bloß neu. Junge brachte. dass er immer noch so rockt wie früher und damals noch über diePopdiskurs und konnten Menschen hörten Musik, welche die Eltern- auch die Jeans vontwistigen Hüften passen. generation nicht verstand, den dazu passenauf einmal Madonna möden Habitus verstanden die Erwachsenen gen und trotzdem subvererst recht nicht. Die Phase im Leben, in der siv sein. Popkultur wurde Pop irgendwie relevant war, endete mit dem zur bunten, nicht erstarrEintritt in das Leben als werktätiger Erwachse- ten Alternative zur bestehenden, grauen Mitte ner. Lediglich punktuell auftretende nostalgi- der Gesellschaft. Heute, wo scheinbar die sche Daten wie das Devo-Special auf Arte, das meisten Großstädter irgendwas mit Kultur, Depeche-Mode-Konzert im Olympiastadion Kreativität und Medien machen, ist Pop zum oder das Peter-Kraus -Medley in der Oldenbur- wichtigsten Arbeitswerkzeug und damit zu eiger Stadthalle erlaubten die Reminiszenzen an nem inhaltsleeren, ästhetischen Tool geworden, längst vergangene Revolten. In den glorreichen das sich wie ein roter Faden durch das Leben Zeiten der Jugend war Pop das Mittel gegen die zieht. Der verbleibende Rest der PoSpießer, die Normen, den Mainstream und be- pintellektuellen will das aber nicht so recht flügelte Entdeckungsreisen in unbekannten wahrhaben. Ständig muss Pop etwas sein, gerEcken der Gesellschaft, die man gemeinsam ne etwas Revolutionäres, zumindest subversiv, 9971
(A.O. Scott, NY Times)
kritisch sowieso. Aber eigentlich hat man das Gefühl, dass sich bloß die Popkultur-Lebenswelt schön, bunt und wichtig geredet wird, deren Marginalität sie längst zu einem Irrelevanten unter Vielen gemacht hat. Wenn es jedoch keinen Pop mehr gibt bzw. dieser sich von den Briefmarkensammlern, Autotunern oder Opernfreunden nur noch inhaltlich unterscheidet, sind die Popintellektuellen lediglich Experten und Sachverwalter des kleinen Fachgebietes. Sie haben ihren Platz im Feuilleton gefunden, doch gesellschaftliche Relevanz oder gar eine Deutungshoheit ist weit entfernt. Der Traum von Aufbruch, Subversion, Subkultur und bunten Gegenentwürfen ist schon lange ausgeträumt. Eine revolutionäre Logik erwächst bestimmt nicht aus dem krampfhaften Festhalten an der bunten Nische. Und genau dieses Gefühl bleibt auch, wenn auf Kongressen wie der Transmediale die Akteure der 90er Jahre die Themen dieser Zeit und ihre eigene Relevanz immer und wieder heraufbeschwören. Die jungen Menschen wollen die Geschichten nicht hören, die Kongresse nicht besuchen. Zu jeder Popveranstaltung kommen immer und immer wieder die gleichen Gesichter, die sich sowieso schon kennen, mögen, nicht mögen, hassen. Denn die Jungen kennen kein Jungsein mehr, die Jugendkultur ist offiziell verschwunden, seit die Adoleszenz bis 35 geht und der kalkulierte Wochenendexzess sich durchaus mit dem Leben als Werktätiger vereinbaren Jonas Gempp & Nina Scholz
ː
21 †
Am Ende der Straße liegt die Welt
OPAK Ausgabe Nr. 3 — Wahnsinn
www.opak-magazin.de
ab 24.09. 22
Nische. Der junge Mensch kommt heute alt auf die Welt, weil der Alte noch so jung ist. Ihm ist es egal, ob die Identitäten fragmentiert, zementiert oder dekonstruiert werden, seine Identität wurde schon lange vorher gespalten. Natürlich geht es nicht darum, dem Popdiskurs seine Errungenschaften abzusprechen: Er hat die überfällige Unterscheidung zwischen Pop- und Hochkultur angekratzt, und wenn auch nur einem Menschen geholfen wurde, sich durch Pop Linderung zu verschaffen, die Verhältnisse in Form von Dorfgemeinschaft, Schulhofmobberei und Ausgegrenztheit durch Anderssein hinter sich zu lassen, dann ist das bereits ein Die Dorfgemeinschaft ist der Nationalstaat des Landbewohners. Solidarität ist hier nicht nur einrechtfertigender Erfolg. Wort. Jeder hilft Jedem und in schweren Zeiten, zum Beispiel bei Krieg oder dem Bau einer Umgehungs-Die Welt da draußen ist straße steht man eng zusammen. Niemand wird fallen gelassen oder muss sich alleine unüberwind-böse. Pop ist nicht besbaren Hindernissen ausgesetzt fühlen. Und wenn mal jemand zu lange Haare hat, nicht zum Spielser, aber auch nicht der ersten Mannschaft geht, schwul, lesbisch oder schlimmeres wird, dann hilft der ganze Solidarkörperschlechter. Der Kapitamit aller ihm gegebener Macht das verlorene Schaaf wieder auf den rechten Weg zu bringen.lismus hat sich den Popdiskurs sowieso längst einverleibt, sodass er auch die (pop-)kulturpessimistische Position ohne Konsequenz verkraften kann – wie die absolute Affirmation seiner Subversion. Problematisch wurde es, als man über genau diese lässt. Aber was ist denn eigentlich Gedankengebäude wieder Bewertungsmaßstäpassiert? Die Analyse der Probleme ist teilwei- be einführen wollte. Es war doch alles so schön se immer noch gültig. Der Kapitalismus ist im- bunt, wer wollte da noch sagen können, was mer noch böse, lediglich die Träume von der doof ist und was nicht. Man kann doch sogar gesellschaftsverändernden Wirkung von Kunst Nazimusik ironisch hören. Die einen landeten und Kultur sind ausgeträumt, beziehungsweise in der totalen Beliebigkeit, die anderen führten müssten längst ausgeträumt sein. Die subversi- wieder Kategorien ein bzw. legten die Popkulve Wirkkraft eines Kulturprodukts kommt auch turschablone an und landeten bei der gleichen bei inhaltlicher Aufladung mit wie auch immer reaktionären Verwaltungsspießigkeit wie Kulgearteter Gesellschaftskritik nicht über den turkritik und Hochkulturler, also jene, die sie bloßen Gestus hinaus. Pop ist zum Selbsterhal- vormals angegriffen hatten. Hätten sie mal tungsprinzip einer Generation erstarrt, deren rausgeschaut aus dem Studierzimmerchen, hätMaxime es ist, nicht alt und spießig zu werden. ten sie gesehen, das dieser in der Welt so gar Das inhaltlich überholte Konzept hat sich zu ei- nicht mehr existierte und sie sich nur noch ihre ner gut funktionierenden Maschine entwickelt, Platten fein redeten. Die Rezeption war nicht die mit den dazugehörigen Zeitschriften, Mar- mehr als eine verdörrte Pflanze, vertrocknet ketingkampagnen und den richtigen Turnschu- und tot. Kommen wir zur Politik: Obhen am Leben gehalten wird. Denn die 35-jäh- wohl ein fortschrittlicher Teil der radikalen rigen sind überall: Sie sitzen in den Linken tatsächlich beim Pop angekommen war, Schaltzentralen des Pop, der heute allumfas- wurde Pop lediglich benutzt, um ein sozialdesend geworden ist. Das Gespenst, das unsere mokratisches Nischendasein zu rechtfertigen. Realität am treffendsten beschreibt, ist zu ihrer Aus dieser Sicht bedeutet poplinks eher attaceigenen Blockade geworden. War das Samplen links: Eine andere Nische ist möglich. In der und das Mixen in den 90ern ein Rettungsan- Welt draußen war aus dem Mainstream der ker als Bestätigung der grauen Theorie und Minderheiten eine totale Wahrheit geworden, konnte noch eine Zukunft zeichnen, leben wir eine, die vorausgesagt worden war – und aus heute in einer leeren Bilderflut: Wirkungslose Gründen des identitären Selbstschutzes nahm Ästhetik, die auf sich selbst verweist. Die Be- man doch die Abbiegung Richtung gutes Gedeutung der Zeichen ist längst ausgeträumt. wissen. Pop war auch immer das Versprechen Der Mainstream hat Minderheiten so lange auf- auf die eigene, geilere Zukunft, die besser wergesaugt, bis beide nicht mehr da waren, sie tei- den würde als die der Eltern. Mittlerweile sind len sich jetzt die gleiche Schnittmenge. Die wir am Ende der individuellen Utopien, am Verschachtelung von Kulturindustrie mit ihrer Ende der Geschichte angekommen. Es Kritik, dem Heraufbeschwören diskursiver ging aber auch darum, stets den entscheidenStrategien anhand von Soundkategorien und den Schritt voraus zu sein; den hippen Scheiß dem subkulturellen Gefüge, Biographien, erfinden, erkennen und für sich selbst und die Sehnsüchten, Befreiungsmomenten und der eigenen Ideen verwertbar machen. Popkultur Aufklärung qua Pop selbst, hat die Popkultur, war immer auch eine Early-Adopter-Kultur, der die seit über 50 Jahren wie ein Zug durch un- Zulieferer für die Trendscouts des Mainser Kulturverständnis gerast ist und dabei tiefe streams, der verachteten Kommerzkultur. Nicht Furchen hinterlassen hat, zu dem gemacht, was zuletzt die Zentralorgane der widerständigen sie heute ist: Feuilleton, Hochkultur, skurrile Popkultur schaufelten aktiv ihr eigenes Grab. HATE #5
Sie erfanden das Nonplusultra der Popbeschreibung, bis die Popbeschreibung überall stattfand und sie selbst auch nur die gleichen Produktempfehlungen wie die anderen abgaben, „deren“ Spiel sie mitspielten, wenn auch ein bisschen gekonnter. Den heißen Scheiß gibt es jetzt für den Nachwuchs und die eigene Geburtskohorte schon 15 Minuten vorher im Internet, noch schneller verpufft er und ist schon Staub, wenn er endlich in den Regalen der Zeitschriftenkioske ankommt. Kapitalistische Verwertung eben. Das hat etwas Befreiendes, weil nicht mehr jeder Pling und Bass subversiv sein muss, aber auch etwas Beengendes, weil wir es uns in dieser durchaus komfortablen Welt nicht mehr gemütlich machen können. Wir können feiern gehen, aber der Abstecher ins Berghain, Bar 25 oder wo auch immer der kalkulierte Wochenendexzess gepflegt wird, hat mit der Revolution nichts zu tun. Da können wir auch auf eine Demo gehen, da gibt es ebenfalls Pop und Reformismus, aber genau so wenig Revolution. Pop ist vollends eingegliedert, und die Frage wäre sowieso, ob Pop jemals nicht eingegliedert war – aber diese Erkenntnis im Nachhinein sparen wir uns an dieser Stelle und freuen uns darüber, dass Pop hilfreich in Lebenslagen war, einst ein Glücksversprechen in Aussicht stellte und heute ein institutionalisiertes Kleinstteilchen ist, nicht mehr und nicht weniger. Tschüß Pop, mach’s gut!
† 23
“I think that there are a lot of disadvantages in this world. But If a disadvantageous thing challenges me, I can enjoy the disadvantageous one.” (Losef)
9971
Jonas Gempp & Nina Scholz
ː
Am Ende der Straße liegt die Welt
Fotografen  Will Paterson & Johannes BĂźttner
24
Models Steffen Köhn (Richard Nixon) Joffrey Jans (Jimmy Carter) Alexander Lindqvist (Michael Jackson) Emanuele Rizzi (Prince) Minky Rayner (Lyndon B. Johnson) Triine Ruumet (Madonna) Eva (Ronald Reagen)
† 25
26
† 27
Ist er wach?
Dietmar Dath ist vom Popbetrieb durch den Feuilletonbetrieb in den Literaturbetrieb gewandert und war lange Zeit der einzige Autor und Denker, bei dem das alles schlüssig vonstatten ging, zu recht schrie kein Jammerlappen „Ausverkauf“. Trotzdem wurde nach seinem letzten Roman „Die Abschaffung der Arten“ Kritik laut, er sei ins esoterische abgerutscht und werfe den Lesern nur noch unverständliche Infobröckchen hin. Frank Eckert
hat mal näher hingeschaut.
Dietmar Dath schreibt Sätze wie: „S olange Menschen
einander
S achen
sind, solange nämlich,
wie die Arbeit als zentrale Form der Vergesellschaftung nicht dazu da ist, uns vor Arbeit wiederum zu befreien, sonder man als Gegenwert für das was man tut, immer nur Sachen bekommt, obwohl die Produktivkräfte längst soweit sind, dass man gegen Arbeit statt bloßem Konsum auch Freiheit eintauschen könnte, solange ist jede Liebe bedroht, und die bedrohte, heimliche, partisanenhafte Liebe in der Kunst, populär oder nicht, deshalb die Wahrheit: die Leerstelle endlich menschlich gewordener Verhältnisse.“ Damit dürfte er zur Zeit der einzige bekennend marxistische Fiction-
oder Science Fiction-Autor sein, der im deutschsprachigen Literaturbetrieb nicht nur etabliert ist, sondern ganz oben mitmischt. Kein Feuilleton der großen deutschen Tageszeitungen kommt mehr um eine Berichterstattung über Daths, nach neun Büchern im Eigenvertrieb oder bei Kleinverlagen inzwischen seit vier Jahren und sechs Bänden im altehrwürdigen Suhrkamp Verlag erscheinenden Arbeiten, herum. Die Sofarevolutionäre der Popliteratur, die auch gerne einmal mit Stalin oder einer klammheimlichen Sympathie mit der RAF kokettieren, aber letztlich doch nur ein gefühltes Linkssein aus Stilempfinden verkaufen, sind
jedenfalls keine ernsthafte Konkurrenz. „Wer schlechtes schlecht und Gutes gut nennt, wer Kunst als Kunst und Mist als Mist bezeichnet, bekundet die Bereitschaft, sich auch mit Unrecht und Dummheit nicht abzufinden.“ Aber Dath war auch sechs Jahre lang Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Protegé ihres Herausgebers Frank Schirrmacher, der nun nicht gerade in Verdacht steht den Sozialismus in Deutschland einführen zu wollen. Der Respekt den sich Dath auch in konservativsten Kreisen geschaffen hat, hat wohl damit zu tun, dass sich seine sozialistische Radikalität im Kleid eines beinharten naturwissenschaftlichen Rationalismus präsentiert, der die Aufklärung des Menschen im klassischen Sinne als Kardinalstugend vor sich trägt. In seinem vergangenes Jahr erschienenen vergleichsweise dünnen, aber was linke Theorie angeht explizitesten Buch Maschinenwinter nennt er diese Sichtweise „Wissenschaftlicher Sozialismus“. Dath glaubt nicht an den, wie Eric Hobsbawm es formuliert hat, „Marxismus als weltliche Theologie“, auch nicht an den Marx der Zahlen, der ökonomischen Analyse des Kapitals. Es sind die womöglich letzten noch übrig gebliebenen Utopien aus Marx Werk mit denen sich Dath der Resignation vor dem alltäglichen Elend entgegenstellt. „Das wichtigste, was Marx je aufgefallen ist, war der Umstand, dass man das was da gelernt werden muss – wie man die Maschine des Unrechts zerschlägt und die Geschichte
10088
Frank Eckert
ː
Ist er wach?
28
in Solidarität und Freiheit selber macht –, nur in der Praxis findet, also nicht aus Büchern herausle- Jan Brouwers erzkonservatives Projekt des ma- aber ansonsten im Originalitätszwang ihrer sen und nicht in Bücher hineinschreiben kann.“ In thematischen Intuitionismus als revolutionäre Idiosynkrasiefalle gefangen, vom großen und der pragmatischen Art nur den Marx aufzugrei- Methode ansehen kann, wenn er fünfzig Seiten ganzen und dem Rest der Welt ignoriert wird – fen der in der gegenwärtigen Situation weiter später die dem Intuitionismus komplett entge- und das kann für einen Schreiber mit derartihelfen könnte findet Dath die Möglichkeit Marx gengesetzte Emergenz-Wahrheit der zellulären gem Sendungsbewusstsein nur der tiefste Kreis mit der angelsächsischen analytischen Philoso- Maschinen Stephen Wolframs in den Himmel der Hölle sein. Dath lesen das nervt, phie eines Donald Davidson oder Richard Ror- lobt. Ist das Schlamperei, Ideologie, oder der provoziert, langweilt und stresst. Aber es hält ty zusammen zu denken, obwohl die Utopien Rezensent einfach nur zu blöd den tieferen Sinn den Kopf offen. Hinter dem ganzen Infomüll des erzdemokratischen Liberalen Rorty mit de- darin zu kapieren? In den letzten beiden im Sci- hat Dath etwas zu sagen. Etwas klares und einnen des von Dath ebenso hoch verehrten Leni- ence Fiction oder Fantasy Genre angelegten faches. Es geht darum etwas mehr zu werden nisten Peter Hacks kaum etwas gemein haben. Romanen Waffenwetter und Die Abschaffung wie die Biologin von der Dath in MaschinenSolche Gegensätze bilden die Grundlage aller der Arten scheint sich die fatale Tendenz zur ge- winter berichtet: „Sozialistin, aber keine von der Texte Daths, fiktional wie theoretisch oder jour- wollten Ungenauigkeit noch intensiviert zu ha- sentimentalen Sorte, der die Armen leid tun, und nalistisch. Sie werden nicht aufgelöst oder dia- ben. Die Verquickung von ökonomischer Analy- die es gut mit allen Menschen meint.„ sondern lektisch aufgehoben. Obwohl er immer mit gro- se, historischem Materialismus, und dem nicht eher wie die Leute, „die ihren Idealismus auf den ßem Respekt über die dialektische Methode selten szientistischen Rationalismus hat sich nüchternsten Befunden der Naturwissenschaften und den historischen Materialismus spricht, immer mehr auf ein raunendes Andeuten zu- errichtet haben, ihren Sozialismus auf dem Eigenselbst wendet er sie nicht an. Daths Ideen und rückgezogen, ein Hinwerfen von unverdauten interesse und ihre Freiheit auf der Notwendigkeit. Solche Menschen denken radikal Geschichten sind nicht an einem Stück oder in Infobröckchen, das oft forciert undemokratisch nicht aus Jux und einer vorgedachten Form zu bekommen. Sie verständlich ist. „Anagramme.“ Humanismus, sondern weil sie wisentfalten sich durch ein allmähliches und frag- „Anagramme. Du meinst Rekombisen, dass Gesellschaften, in dementiertes Vertiefen. Immer unterbrochen nation und Permutation von öh …“ nen die Mehrheit unmündig, elend durch zahlreiche Sinnfragmente und sprachli- „ Ja. Überleg’s dir mal. Wirklich. und schlecht erzogen ist, erfahche Dreckspuren. Ein spiralförmiges Denken Nein, ernsthaft.“ Im schlimmsten rungsgemäß dazu neigen, beim in dessen Zentrum typischerweise die Apoka- Fall sind die Texte von verschwöerstbesten Versorgungs- oder lypse aufscheint, verstanden als Ende der Welt, rungstheoretischer Esoterik und Raumordnungsengpass in blutiwie wir sie kennen. Das Denken der Apokalyp- wissenschaftsgläubigem Technoge allgemeine Angstbeißerei abse, in seinem Kern auch bei Dath von eher re- Mystizismus kaum mehr unterzurutschen. Das macht nur Sadisaktionärer Natur, ist aber nicht die finale Ant- scheidbar. So entdeckt die Protaten Spaß, und selbst denen nicht wort. Nach dem Ende der Welt geht es weiter, gonistin in Waffenwetter zur lange.“ Oder geht es doch um etziemlich unspektakulär aber anders als zuvor. Klimax der Geschichte eine unter Mehr noch als das lapidare Weitermachen nach den Antennen des HAARP-Wetterprojekts sta- was ganz anderes? „Verstohlene, heimliche, gedem Ende des Weitermachens, sind es die un- tionierte nichtmenschliche (?) natürliche, gen Widerstände erlebte Liebe ist, vom künstlerizähligen Splitter aus Popmusik, Splatterfilmen, künstliche oder extraterrestrische Schwarmin- schen Standpunkt aus gesehen, nichts geringeres Philosophie, Naturwissenschaft, alter und neu- telligenz, die die Welt zerstört, aber mit Hilfe als der Sinn des Lebens.“ Solange Dath noch soler Literatur und allem anderen (inklusive sei- sozialistisch geklonter Teenager-Übermen- che Sätze schreibt, bleibt er der interessantesner offenbar nicht allzu glücklichen Jugend in schen dann auch wieder rettet. Das erinnert ei- te deutsche Gegenwartsautor. Ob uns das geeiner badischen Kleinstadt) die Kulturalles- nerseits an die von Dath hin und wieder gezoge- fällt oder nicht. fresser Dath einmal aufgenommen niemals un- ne Referenz zum afroamerikanischen kommentiert lassen kann, sondern in massiven Technik-Futurismus von Sun Ra, James Gilroy Dosen zwischen all seine Texte streut. „Wer oder Kodwo Eshun. Viel mehr aber lässt diese nicht untergeht, obwohl andere für ihn planen, obskure Weltintelligenz an die Noosphäre Teil- † 29 könnte die Zügel ebenso gut gleich selbst in die hard de Chardins oder an Wilhelm Reichs OrHand nehmen.“ Was die ganzen unvereinbaren, gon-Brain denken. Womit er mitten in der widersprüchlichen und gerne auch tief verfein- schwabbeligsten Metaphysik gelandet wäre. In Ärger ist nichts Schlechtes, da ihm nicht selten das Streben nach VeränderungDie Abschaffung der Arten häufen sich die nur deten Positionen in Daths innewohnt. Frank Eckert Leseliste: Manche Psychologen sagen, man soll sich nur darüber ärgern, wasnoch als Minimalfragment mal so nebenbei ab-͢ Rosa Luxemburg (Suhrkamp, erscheint Dezember 2009) Texten zusammenhält ist man auch ändern kann; andere sagen ͢ Sämmtliche Gedichte (Suhrkamp, erscheint September 2009) Ärger, Wut und die damit zusammenhän-gelassenen Referenzen in einer Weise, die ein gnadenlos unsenti- gende ͢ Sie schläft (Edition Phantasia, 2009) Sublimierung seien die Triebfedern kultureller Entwicklung. Diesenicht mehr zum Verständnis von irgendwas bei-͢ Das Ende der Gleichungen? (mit Stephen Wolfram, Edition Unseld, 2009) mentaler und eiskalt rati- jeglicher Psychologen; Teufelskerle sind das! ͢ Im Erwachten Garten von (mit Kammerflimmer Kollektief, Staubgold, 2009) onalistischer, an der natragen will. Oder was bedeutet es wenn eine,͢ Die Abschaffung der Arten (Suhrkamp, 2008) aschinenwinter – Wissen Technik Sozialismus (Edition Unseld, 2008) turwissenschaftlich-mafür die weitere Handlung völlig unwichtige Ne-͢ M ͢ The Shramps (mit Daniela Burger, Verbrecher Verlag, 2007) thematischen Methode benfigur, die nur auf einer von fast 600 Seiten͢ Waffenwetter (Suhrkamp, 2007) ͢ Heute keine Konferenz (Edition Suhrkamp, 2007) geschulter Blick auf die Dinge der Welt und des vorkommt Brouwer heißt? Wieder nicht richtig͢ Dirac (Suhrkamp, 2006, als Paperback 2009) Sozialen, der es ihm erlaubt all das Inkommen- aufgepasst? Oder doch nur ein loses Ende, ein͢ Höhenrausch. (Eichborn, 2004, Paperback: rororo, 2005) ͢ Die salzweissen Augen (Suhrkamp, 2005) surable aus Technik und Kultur, aus High und leerer Signifikant? Wenn diese Erkenntnisse͢ Für immer in Honig (Implex 2004, Verbrecher Verlag, 2008) ie ist wach (Implex, 2003) Low überaus leidenschaftlich zusammen zu dann auch noch in der von Dath bevorzugten͢ S ͢ Schwester Mitternacht (mit Barbara Kirchner, Verbrecher Verlag, 2002) S ͢ denken. Dath schreibt Bücher über Form des „Erklärungsmonologs“ vorgebracht chöner rechnen (Berliner Taschenbuchverlag, 2002) ͢ Phonon (Implex, 2001, Verbrecher Verlag, 2007) Sachen, und Bücher über Ideen. Psychologie werden, in der ein (meist männlicher) Experte͢ Skye Boat Song (Verbrecher Verlag, 2000) und Innenschau interessieren ihn gar nicht. einem (meist weiblichen) naiven und gefühlsbe-͢ Am blinden Ufer (Verbrecher Verlag, 2000, neu 2009) ͢ Die Ehre des Rudels (Maas, 1995) Doch gerade bei den Ideen und Konzepten tonten Charakter seine naturwissenschaftli-͢ Cordula killt Dich (Verbrecher Verlag, 1995) fängt der Ärger an. Wo es noch einigermaßen chen Erkenntnisse zur Weltverbesserung in eiplausibel erscheint, dass der alle Formen der ner saloppen Mischung aus Nerd- und Postmoderne inbrünstig hassende Dath den Alltagssprache herab doziert, wird es komplett linksliberalen Richard Rorty schätzt, weil der unsympathisch. Wenn er jetzt nicht aufpasst seine Theorie eines „ironischen“ Pragmatis- könnte Dath so etwas wie ein neuer Arno mus und Deflationismus in einer mathema- Schmidt werden: eine genialische Sonderlingstisch-logischen Ableitung von Darwins Evoluti- figur, die von einer winzigen aber umso eifrigeonstheorie begründet, wird es an anderer Stelle ren Fangruppe aus akademischen Germanisten einfach schwierig nachzuvollziehen wie Dath und marxistischen Physikern verehrt wird, 10088
Frank Eckert
ː
Ist er wach?
30
† 31
TEIL 1: DEATH METAL vo n C h r i s t i a n e Ke t t e l e r
„Eigentlich ist Death Metal relativ simpel: Scheiß auf Harmonielehre.“
DeathmetalgiltalsbrutalstesundunverständlichstesGenre des Heavy Metals und wird von konservativen Sittenwächtern, progressiven Liberalisten und traditionellen Schwermetallern als musikalischer Gesamtausdruck von Hass und Zerstörung verachtet. Laut Fachkreisen, denen immer etwas von Modelleisenbahnclubs anhängt, ist der Death Metal mindestens schon einmal gestorben, 1993 nämlich. Und trotzdem gibt es sie noch: die Fans und Bands und die Konzerte. Und den Death Metal in wiederum spezialisierten Sparten. Death Metal wird mittlerweile wissenschaftlich erforscht und moralisch rehabilitiert: wir wissen nun seit kurzem, dass auch Deathmetaller Menschen sind und zwar „sehr höfliche und eher zurückhaltende“. Wieviel Mensch in der beobachteten Spezies und ihren Beobachtern steckt, erfahren wir in Beschreibungen wie dieser: „Metal bleibt (…) eine der wenigen Männerdomänen. Früher waren Männer in Vereinen und Burschenschaften, dort konnten sie ihre Leistung messen. Heute müssen sie dazu auf Konzerte gehen.“ In der postmodernen Toleranzgesellschaft fügt sich der Death Metal in das Bild nutz- und hirnloser subversiver Mikropraxen ein, in denen eine abgrenzungswütige, aber einverstandene Reaktion haust. „Wenn alles am rechten Platz ist, hat
man doch keine andere Wahl mehr, als auf das Böse zu harren“, sagt ein Charakter in Faldbakkens Roman „Macht und Rebell“. „Wer der Sympathie für das Böse nachgibt, der spricht der Mehrheit, gegen die zu stehen er meint, aus dem Herzen.“ Für eine solche Rebellion des blinden Tabubruchs wäre auf ein schnelles Aussterben zu hoffen. Was aber liegt dazwischen? Jost Achenbach aus Hamburg. Ein Fan. Napalm Death begann außerhalb der Akademie und mit nicht akademisch Geschulten. Heute gerinnt der Antiakademismus des Death Metal zum Gestus und Ressentiment von Peergroups. Er ist die Klausel der Szene: „man ist drin im Metal“ sagt Jost. Vom Akademismus übernimmt er oft alle hässlichen Spielarten einer Nischenexistenz: Besserwisserei und Elitenbewusstsein zum Beispiel. Dagegen ermöglicht die spätkapitalistische Infrastruktur gerade ein grenzenüberschreitendes Hören. Napalm Death: Scum 1987. Noch vor der Wende zum Death Metal, aber genau deshalb ein Teil von ihm. Gröle dich zum Scum und spucke ihn guttural wieder aus. Besser noch: Alles gleichzeitig. Scum spielt Klartext, der im Nullmedium zur aggressiven Primitivität gepusht wird. Primitivität ist kein Naturzustand von gesellschaftslosen Wilden, wie es der Thatcherismus gern gehabt hätte. Wir sind der Ṫ 9575
Christiane Ketteler
ː
Teil 1: Death Metal
Müll: das ist Mimikry und Auflehnung zugleich. Die Stimme liegt neben dem Song. Das kalt, fremd und fern bleibt. Hass ist dann das, trocken geknüppelte Schlagzeug spielt einen was bei den „Unterdrückten“ ausgelöst wird. uneinheitlichen Rhythmus. No FLOW! Scum Wer soll das sein, diese Elite der verbliebenen will kein Lied mehr sein. „In your mind nothing Nichthypnotisierten, derjenigen, die ausserhalb but fear you can’t face life or believe death`s der Maschine sind? Der Deathmetal pariert near. …You should be living, but you only sur- dem Leblosen oft mit blindem Vitalismus, der vive …“. Leben ist paralysiertes Vegetieren mit das bewusslose Leben aufbrechen will. „Nach Schmerzabschnitten. Ohne geschichtliches dem Fall der Mauer und dem Untergang des Glücksversprechen hängt die Musik selbst ein- Kommunismus boomte eine mythische Variante gequetscht in der Immanenz, ist selbst untot. des Eskapismus,“ sagt Jost. Die Band „In FlaFrüher war der Deathmetal noch … „wie Slayer mes“ zum Beispiel. „Besungen wird die Leerauf Speed“, sagt Jost, „geradeheraus, einfach, stelle politischer Lähmung und jede Form von brutal. 1991. Napalm Death: Mass Appeal Mad- Handlung verschiebt sich in Fantasykulissen ness, ein Blogger schreibt: Death Metal in mit NeoRock.“ Sie setzen sich aus mittelalterlikristalliner Form. Der Sänger growlt die trocke- chen Elementen genauso zusammen wie aus ne, aber moralistische Anklage der „Unauf- griechischer Mythologie. Eskapismus makes richtigkeit“. Mass Appeal Madness „isst das Eklektizismus. „Genommen wird, was passt, Gehirn“. Kapitalismus und Gesellschaft wer- um eine drückende Stimmung einzuüben oder den stilisiert zur zombiesken Krankheit. Am sichtbar werden zu lassen. Alles ist ins MetaEnde steht ein Erwachen mit dem Versprechen phorische transformiert, verklausuliert“, zuauf Triumph: „When the bubble bursts, Expo- gleich auch kommensurabel gemacht, auch ersing your selfish crap, You’ll cry for sympa- baulich kitschig. Strukturell Pop. Auf thy … We’ll just sit back and laugh.“ Wer sind dem Konzert vollendet sich Death Metal als die und wer sind wir? Dass Metal, vor allem kathartische Affektmaschine, als Kick-Out Trash Metal in der letzten Zeit wieder nach der Hass- Aggressions- und Frustrationsvorn gekommen ist, reiht sich in die Retromode schleifen. Nach dem bösen Bubenspiel ist man ... den Ersten Weltkrieg nennt man ja auch gerne so. Zwar wurde chemische Kriegs-wieder zurück in seinem Angestelltenverhältder 80iger ein. Die hat führung, ob ihrer grausamen Natur, nach Ersten Weltkrieg gegeißelt und in dennis. Aber dennoch. Metal ist ein Meister des auch den Deathmetal dem Genfer Konventionen verboten, den einen anderen übermotivierten Despoten,Events. Jost schätzt die Katharsis „Wie wird von innen erfasst: oder General oder Rädelsführer konnte man allerdings damit nicht wirklich vomman die Aggressionen sonst in dieser Tret„Man adaptiert die militärischen Chemiebaukasten fernhalten. Italiener gegen Libyer, Briten gegen diemühle los?“ fragt Jost. „Wenn man nicht 80iger, um sich als au- Obeigenen Kolonien, Russen gegen Russen, Deutsche gegen Polen und umgekehrt,sportlich ist, wie soll man sonst seine Unbehathentische Avantgarde Deutsche gegen Italiener, Deutsche gegen alle, Japaner gegen Chinesen, Amerikanergen loswerden? Ja, viele haben Angst, wollen zu verkaufen“. Authen- gegen Vietnamesen, Iraker gegen Iraner, Iraker gegen Kurden und so weiter.sozial nicht rausfallen und die Musik ermögtizität und Rebellion Giftgaskrieg hat eine gewisse Tradition. Sein großer Vorteil ist nicht, wie häufiglicht ihnen das.“ Darum geht es: als Ware, hier wie an- angenommen, die hohe Zahl der Todesopsondern vielmehr seine strategischeHass und Angst als solche, ohne Objekt. „Aber derswo. Deathmetal fer, Bedeutung: a) wirken Giftgasangriffe demoralisierend und b) werden mites gibt klare Regeln. Wer auf den Boden fällt machte die Musik dys- extrem der Versorgung der vielen Verwunderten Ressourcen des Gegners gebunden.wird aufgehoben. Es werden keine Fäuste betopisch. In seinen Anfängen schwärzte er die nutzt.“ Wer von Satan singt, benutzt ihn – alesoterische Zukunftsbern wie immer – als Metapher des universaverpeiltheit der Hippies len Gegenprinzips. Jost kann diese eher für und den sozialreformeden Blackmetal typischen Possen nicht ernst rischen Teil des Punk nehmen. Deathmetal orchestriert die nihilistian und ein. Im Unterschied zur Endzeitapolo- sche Absage an alle Sinnangebote der Kultur, getik der Hippies, die sich das Nirwana aufteil- gerne mit Splatter. „Total Destruction“ ist die ten, „rollt der Deathmetal die Geschichte vom ohnmächtige Drohung, von der sich nicht saEnde auf.“, sagt Jost. „Er wird dauernd trans- gen lässt, ob der Fan die Fremde zur eigenen formiert, aber am Ende steht immer der Tod, macht oder sie fürchtet.. Jost trinkt manchmal egal welche Geschichte man erzählt. Certainly Weisswein auf Konzerten. Reaktion der höflilife is not.“ „Die Glücksreklame der chen Menschen: „Ey, warum trinkst du kein Industrieländer wird konfrontiert mit dem Ab- Bier, du Schwuchtel?!“ Heute ist ein grund des nuklearen Overkills“, sagt Jost. Spiel Deathmetalfan ohnehin eher einer der Klaviermir das Lied vom Tod! Die Maske des gesell- stunden genommen hat und sich auskennt in schaftlich Frivolen verwandelt sich in Toten- der klassischen Musik. Die Kunst verpoppt sich masken, in Katastrophenangst und- faszinati- und der Fan der Massenkultur wird zum Kunston. Titel – und Vertriebsnamen tragen ihre kenner. „Deathmetal, der mir gefällt,“ sagt Namen: Nuclear Blast etwa heisst das bekan- Jost, „muss das komische Element haben, auch neste deutsche Death Metal Label. Im Unter- das Abarbeiten an der Tradition des Musikgenschied zum Black Metal mystsifiziert er den res, seinen Klischees. Davon lebt Deathmetal Tod nicht in Ritus und Religion, sondern von in seinen besten Momenten“. Für den Fan ist seinen zeitgenössischen Drohungen: Atomtod das Spass. Ja, das kann formalistisch werden. und Giftgaskrieg . Deathmetal zeichnet die Ge- Währendessen tanzt irgendwo wieder eine Retsellschaft als Chaos aus Zerstörung und Angst, roparty, auf der Speed- und Trashmetal perforLähmung und Apathie. Die Selbstzuschrei- med wird, – der Metal der 20iger also. „Er verbung des Todes in den Bandnamen, Songtiteln spricht viele Mädchen und viel Bier. Eine und der Brachialklang der Musik sind eine Mi- überschaubare Welt dank Van Halen“, sagt schung aus Exorzismus und anklagender Re- Jost, das musikalische Schema F wird gepaart präsentation. Häufig konturiert sich der Gegner mit der Wiederkehr feuchttrockener Fantasy: textlich als anonyme Machtmaschinerie, die nackte Frauen auf Spiegeln in Ketten liegen 32
unter dem Titel Chain to the Night. „Jeder Song immergleich: jede 4. die Snare, Trommelwirbel, keine Doublebass, weil das ist schon zu aggressiv, schöne Tanzmusik, gerne melodisch, klare Songstruktur, gerne hohe Stimme.“ Carcass. Deathmetal- Band erster Stunde: Jost zieht vom Album Heartwork den Song Buried Dreams raus: „ … When all hope is gone When expectaEigentlich ist ja quasi das ganze Leben eine einzige Selbstfintions are quashed When dungsphase, allerdings neigt der Mensch in Krisenzeiten dazu, sich self esteem is lost When noch mal extra und im Speziellen selbst zu finden. Die Möglichkei- ambition is mourned … All ten sind dann mannigfaltig, von der Mount Everest Besteigung you need is hate.“ Hass ist bis zum VHS-Qui-Gong-Kurs sind allerlei Ansätze denkbar, die Restprodukt in gesellder betreffenden Person helfen, Bestimmung und Ziel des Lebens schaftlicher Armut und zu definieren. Unangenehm wird es, wenn Selbstfindung Primitivität und wird zum mit religiösem Eifer und einer Jesus-Für-Sich-Entdeckung blossen Überlebensinstrueinhergehen. Dann heißt es leider Abschied nehmen und die betref- ment. Hass ist im Death fende Person ist umgehend aus dem Adressbuch zu streichen, Metal, den Jost mag, wie denn wer Jesus mag, ist so was von raus. alles: Produkt der Übertreibung und nicht etwa antichristliches Hexhex des Black Metals, ist Mittel zur Bewusstwerdung und lustvolle Ausagierung von Wut. In der neonazistischen Szene dagegen wird Hass zum Zielpunkt kathartischer Reinigung und affirmativer Selbstfindung . Er findet sein Objekt auf dass er sich entweder explizit oder in unmissverständlicher Anspielung richtet: Juden und Ausländer. Die Liedstruktur beugt sich der Proklamation des Hasses. Bands wie Napalm Death, die Grenzgänger zwischen Punk, Hardcore, Trashmetal und Deathmetal waren, hatten musikalisch Neues erfunden und sich zugleich klar politisch positioniert, eine unmissverständliche Positionierung, die heute erst wieder errungen werden muss.
Kettner, Fabian: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9520
͇ 19
Christiane Ketteler
ː
Teil 1: Death Metal
Dracula goes Neuzeit:
EIN UNVOLLSTÄNDIGER UND HÖCHST SUBJEKTIVER ANRISS. Es hilft alles nichts: Der Vampir ist in der Popkultur angekommen, endgültig. Derzeit erlebt das untote Weißbrot die größte Renaissance seit dem 17. Jahrhundert und hat auch gleich ein respektables Facelift mitgenommen. Brokatbestückte Rüschenfummel und spitze Schnallenschuhe sind so last season – der Vampir des neuen Jahrtausends setzt in Wort und Bild auf Understatement oder wenigstens einen ordentlichen Dreitagebart mit Schmachtblick. Wie ihm dieser steht, das beschreibt L i z B i r k .
Heute müssen Vampirfilme und -bücher eher cool als unheim-
lich sein. Lässigkeit ist unverzichtbar. Rob Pattinson als sexy Teenage Vampire treibt (in der Verfilmung der ultragehypten Twilight-Romane) mit seiner Out-of-bed-Frisur und seinem spöttischen Blick Teenies auf der ganzen Welt zu hormonellen Ausrastern. Jedes Mädchen will jetzt violette Augenringe, Blässe ist schick, der Vampir ist die Stilikone du jour. Überhaupt lebt mittlerweile auch der Vampirroman längst in der Moderne und entwickelt mehr oder weniger zielgruppenorientierte Auswüchse abseits des klassischen Dracula-Stoffes. Wobei zuweilen – das wird keinen überraschen – die Qualität eher heterogen ist, diplomatisch gesprochen. Die Amerikanerin J.R. Ward versorgt valiumsüchtige, unbefriedigte Vollzeit-Hausfrauen mit einer Garnison ledergewandeter, unnahbarer, kerniger, zwei Meter großer Vampirkrieger (wer ein Gesicht dazu braucht: Wesley Snipes in Blade). Diese sind selbstverständlich enorm gut ausgestattet und begatten eine rettenswerte und einsame Menschenfrau so gekonnt, bis der schier die Synapsen durchbrennen. Danach verliebt sich der stahlharte Krieger widerwillig in seine zerbrechliche Geliebte. Zwischendurch werden diverse Feinde um die Ecke gebracht. Und das passiert mehr oder weniger in jedem einzelnen der rund zehn Bände der Romanreihe, gnadenlos wie Bill Murrays Radiowecker in Täglich grüßt das Murmeltier. Schlüssiger Plot? Gutes Storytelling? Sauberer Schreibstil? Scheinen die Fans nicht zu vermissen, und Fans hat J.R. Ward erstaunlich viele. Eine pikante Fußnote des blutigen Kopulierens: Die ebenfalls amerikanische Autorin Lara Adrian, die das Material hemmungslos abschreibt und damit fast ebenso erfolgreich ist. Methadon bis zum nächsten Original-Ward quasi. Dabei muss man doch gar keinen Schrott kaufen! Denn kreative Um34
setzungen des ausufernden Stoffes finden sich Protagonisten ein gewaltiges innovatives Potenzu viele, um ihnen mit einer Handvoll Zeichen tial hat, ist auch dem Fernsehsender HBO nicht gerecht zu werden. Zu Recht in den verborgen geblieben: Die erste Staffel von True Beststellerlisten tummelt sich zum Beispiel Blood läuft in den USA außerordentlich erfolgCharlie Hustons bisher dreiteilige Reihe um reich. Bedanken darf man sich dafür übrigens den untoten Privatdetektiv Joe Pitt. In schöner beim kongenialen Serienbastler Alan Ball (Six Sin-City-Manier wütet der abgebrühte, ketten- feet under). Gar keine Frage, die Lisrauchende Pitt durch ein wunderbar überzeich- te fähiger Autoren ist beachtlich – doch die netes New York, datet blutjunge einschlägigen Verlage tun ihr Bestes, um den Kellnerinnen, wird von schurki- Vampirinteressierten vom Buchkauf abzuhalgen Schurken verkloppt und führt ten. Das Stichwort heißt Covergestaltung: Mit lakonische Dialoge. Das Ganze dem Großteil der zeitgenössischen Vampirliteist hart und schnell erzählt, groß- ratur möchte man nicht tot über dem Gartenstädtisch eben und mit selbstironi- zaun hängen, so geschmacklos und klischeeschem Augenzwinkern. Der Vam- haft präsentieren sich die Werke. Ein Rätsel, pirkram fügt sich natürlich und denn inhaltlich ist man doch zum Teil ganz weit unaufdringlich in die Geschichte vorne. Aber da kann eine Charlaine Harris so ein, die damit einhergehende Bru- gut erzählen wie sie will: Wenn ihre Buchcotalität gehört schlichtweg in diesen ver mit komischem Glitzerlack und infantilen Entwurf der verfeindeten Clans Illustrationen ausgestattet sind, dann vergrault und dreckigen Hinterhöfe. Ein Jungsbuch, das alle potentiellen Leser, die über einen könnte man meinen, aber das scheint mir Hauch ästhetisches Gefühl verfügen. Und das zu kurz gesprungen. Charlie Huston ist ein- ist nur eins von vielen scheußlichen Beispiefach ein großartiger Unterhalter. Hey, Mr Da- len, denn auch auf den armen Charlie Huston vid Fincher, mach doch mal nen Film draus – wurden offenbar blutrünstige, blinde, wahnwie man den rotzigen Look hinkriegt, weißt Du sinnige Verlagsgrafiker angesetzt. Schade. ja. Wenn ich hier schon über Jungs- In dieser Hinsicht muss sich der Literaturbeund Mädchenbücher lamentiere, dann ist Char- trieb eine daumendicke Scheibe von der Filmlaine Harris vermutlich eher eine Mädchen- industrie abschneiden. Die vermarktet das autorin. Ihre Hauptfigur Sookie Stackhouse, Thema Vampir nämlich zumeist augenfreundGedanken lesende blonde Kellnerin aus Lou- lich. Letzten Endes bleibt einem ja nichts ansiana lebt in einer Welt, in der Vampire an die ders übrig (es sei denn, man entwirft sich Öffentlichkeit gegangen sind und mitten unter selbst einen optisch anspruchsvollen Buchumbraven Bürgern ihr Unleben fristen. Möglich schlag), als abfällige Blicke in der Bahn aufist das, weil die Japaner (klar, wer auch sonst) recht zu ertragen. Aber was wissen die denn synthetisches Blut entwickelt haben – gebissen schon, diese Sterblichen? Eben. wird offiziell nur noch zum beiderseitigen Vergnügen. Und als die reizende und patente SooSopranos, Deadwood, In Treatment, Six Feet Under, True Blood, kie mit dem Vampir Bill eine Affäre beginnt,The Wire, Entourage, Curb Your Enthusiasm, Flight of the Conchords, The Life & Times of Tim. Und das sind nur ein paar der wird sie so geschwind wie unfreiwillig in dasbrillanten Serien mit denen der amerikanische Bezahlsender HBO das Genre TV-Show zur spannendsten Kunstform gemacht hat. übernatürliche Business hineingezogen, was ihr nicht unbedingt zum Vorteil gereicht: Dort gibt’s nämlich ordentlich aufs Maul. Dass dieser Stoff mit all seinen charmanten Südstaaten-
† 35
† 5210
Liz Birk
ː
Dracula goes Neuzeit
Bullshit ist ausgemachter Blödsinn.
Dazu passt die Bullshit-Theorie, welche besagt, dass in einem Raum mit 100 Menschen, 95 davon regelmäßig und gerne Bullshit erzählen. Das lässt sich leicht in Universitäten, Restaurants, Kneipen, Bars, Kolloquien und ähnlichem in einer Feldstudie empirisch belegen. In den 80ern schrieb der amerikanische Professor Harry Frankfurt sein Traktat „On Bullshit“ und entlarvt darin den Bullshitter als Feind der Wahrheit, dem alle Mittel recht sind, damit sein Weltbild bestehen bleibt. Vor ein paar Jahren wurde das Buch auch ins Deutsche übersetzt, gebracht hat das alles nicht viel, denn noch immer ist dieser Globus bevölkert von Schwätzern.
36
Ich wollte doch nur Urlaub machen
Stattdessen wurde A n t o n i a S c h m i d in der Slowakei an jeder Ecke und ungefragt vor den Sinti und Roma gewarnt. Ihre Erlebnisse beschreibt sie im folgenden Reisebericht.
† 37
K osice,
auf deutsch
K aschau:
die kosmopolitische
Weltstadt
der Ostslowakei, so sieht sich die weiße Bevölkerung der Stadt gern. Mittelständische Lohnabhängige, die sich all die nicht mehr ganz so neuen Waren gerade so leisten können, Angestellte, die in der Krise um ihren Job bangen, betonen, wie friedlich hier ungarisch-, polnisch- und sogar russischstämmige Slowaken und Slowakinnen zusammenleben. Gut finden sie, dass die eigene Herkunftsnation auch im Pass festgehalten wird. Mit einem Stempel. So könne man die slowakische Staatsbürger-
schaft haben und trotzdem Ungar sein. Oder Pole. Oder Jude. Roma kommen in solchen Positiva nicht vor. Das Wort „Rasse“ wird im deutschsprachigen Raum ganz selbstverständlich verwendet, als gebe es das, was es bezeichnet, tatsächlich. Als wäre der Begriff nicht von der deutschen Vernichtungspolitik diskreditiert und ohnehin als pseudowissenschaftlicher Bullshit enttarnt. Trotzdem wird er in vermeintlich bester Absicht gegen Diskriminierung in Stellung gebracht. Absurderweise benutzt sogar das AGG, das 2006 verabschie-
dete „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“, das EU-Vorgaben umsetzen soll, die Bezeichnung „Rasse“. Und das nicht statt, sondern neben der „ethnischen Herkunft“: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Auf EU-Ebene führt der abstrakte Gleichbehandlungswille zu Auflagen für die „neuen“ Beitrittsstaaten, jene mit großen „ethnischen Minderheiten“. „Zigeuner“ also, Roma und Sinti. In der Slowakei leben geschätzte 400.000 Roma. Gleich am ersten Abend bekomme ich den antiziganistischen Rassismus, der hier Mainstream ist, ungefragt aufgedrückt. Arglos frage ich zwei Studenten beim Bier in der gentrifizierten Puppenstuben-Innenstadt nach so etwas wie einem alternativen Viertel. Wo es vielleicht nicht gar so sauber sei, dafür ein bisschen spannender. Die kalte Verachtung trifft mich unvorbereitet: Haha, Lunik IX höchstens, lautet die Antwort. Ich solle da nicht allein hingehen. Die seien schmutzig, machten alles kaputt. Sie bekämen Wohnungen von der Stadt und machen alles kaputt und bekämen dann neue. Es gebe zwar auch Zigeuner, die ganz normal leben, und wenn sie woanders aufwüchsen, würden sie auch ganz normal, würden arbeiten und so, aber der Großteil sei schmutzig. Lunik IX: Fast 6000 Roma leben im größten Ghetto Osteuropas, eine Plattenbau-Siedlung aus den 1970ern, ausgelegt für 2500 Menschen. 99% sind arbeitslos, die meisten haben weder Strom noch fließendes Wasser. Der Strom wird ganzen Häuserblocks abgedreht, wenn Einzelne ihre Rechnungen nicht zahlen. Die Segregation ist aktiv hergestellt und wird weiter verstärkt. Nicht-Roma werden Wohnungen außerhalb zugewiesen, während immer mehr Roma hierher deportiert werden. Das geht aufgrund einer städtischen Verordnung von 1995. Familien müssen nur von entsprechenden Inspektionskomitees als „sozial problematisch“ eingestuft werden. Feinheiten der Unterschiede zwischen „Nation“, „Ethnie“ und „Volk“ spielen hier effektiv keine Rolle. Die nationalistischen Tendenzen der europäischen Kleinstaaterei im Großen Europäischen Glück gehen nicht ohne Nebeneffekte. Gefährliche Idioten sind heute „europäisch“, wollen teilhaben am westlichen Reichtum, bunt soll
⌠ 8337
Antonia Schmid
ː
Ich wollte doch nur Urlaub machen
38
† 39
es sein, Nike und Allianzversicherungen sind überall erhältlich. Viele transnationale Unternehmen aus den „alten“ europäischen LänRevaler Str. 99 · 10245 Berlin dern haben hier Standorte und beschäftigen Lohnabhängige. Ex-„Herrenvolk“ und slawi18.09. CHIKINKI(UK) (Indie – Pop – Rock) sche Ex-„Untermenschen“ verkehren heute + THE CHARCOAL SUNSET als Investoren und Arbeitnehmende wohlwol20.09. JET(AUS) (Indie – Rock) lend miteinander. Wer nicht dazugehört, ist äußerlich erkennbar. Im Gegensatz 21.09. DINOSAUR JR.(USA) (Alternative – Rock) zur antisemitischen Denkform heftet sich Ras23.09. DANIEL MERRIWEATHER(USA) (Blues – Folk – Soul) sismus gegen „Zigeuner“ ans Körperliche, die dunkle Haut. Auch aus diesem Grund trauen 25.09. FIESTA LUCHA AMADA (Latinska, Dub, Reggae, Mestizo, Rumba, Cumbia, Salsamuffin) sich Roma, die in Lunik IX leben, nach Ein+ EL OTRO SONDIDO(MEX) (Lucha Amada DJ-Kollektiv) bruch der Dunkelheit nur in Grüppchen aus 05.10. LENINGRAD COWBOYS(FIN) (Country – Punk – Rock) dem Haus. Als Deutsche genießt man „PATRIA O MUERTE“ – TOUR hier so einige Privilegien. Vor allem scheinen 07.10. SARAH KUTTNER die Normaloslowaken davon auszugehen, dass MÄNGELEXEMPLAR man ihren Hass auf „Zigeuner“ automatisch 10.10. PHILLIP BOA & THE VOODOOCLUB(D) (Alternative – Indie – Rock) teilt. Anders sind die vielen verbalen Giftspritzen, die mir beifallheischend aufgedrückt werfeat. JAKI LIEBEZEIT 12.10. THE FRAY(USA) (Pop – Rock) den, nicht zu erklären. „Wir“ haben ja einige Erfahrung damit. So antwortet mei- kommt das Gespräch auf den Slowaken L., der 24.10. FIESTA LUCHA AMADA (Latinska, Dub, Reggae, Mestizo, Rumba, Cumbia, Salsamuffin) ne Kontaktperson F., auf die Frage, ob es Ta- kurz bei einem asiatischen Konzern beschäfLucha Amada DJ-Kollektiv schendiebe gebe, es gebe viele Zigeuner hier, tigt war. Deren seltsame Unternehmensetiketich müsse aufpassen. Sie sei keine Rassistin, te wird belächelt: Schon beim Pinkeln schaute 25.10. THE ALL-AMERICAN REJECTS(USA) (Powerpop – Rock) aber die seien schmutzig und machten alles man auf Schilder mit den Unternehmensregeln, 27.10. BAABA MAAL(SN) (Afro-Beat – Akustik) kaputt. Dabei verzieht sie angeekelt das Ge- morgens um acht sollten alle kollektiv Gymsicht. Abends gehe ich laufen, am nastik machen etc. – F. dazu: Das können wir 29.10. MULATU ASTATKE(ETH) (Afro-Beat – Jazz) Fluss Hornád entlang, der durch schäbiges In- als Europäer uns gar nicht vorstellen! Hihi, 31.10. THE RIFLES(UK) (Indie) dustriegebiet führt. Auf dem Rückweg kom- die Asiaten. Alle lachen. Am Frei+ JERSEY BUDD(UK) me ich an den Slums vorbei. Die tag steht eine Stadtführung auf dem Plan. Die 31.10. KARRERA KLUB PARTY(Indie – Pop) Angestellten, die ich interviewe, erklären eif- dafür angeheuerte Frau Neumann, trotz ihres Indie-Pop-Disko rig, wie multikulturell es hier sei (Gawd, wol- deutschen Nachnamens offensichtlich kein na01.11. RÖYKSOPP(N) (Elektro – Pop) len sie alle gern gute Europäer sein). So sei S. tive speaker, beschwert sich im Einvernehmen „eigentlich“ Deutsche und der Kollege Ungar. mit F. über die Bausünden in den pittoresken 02.11. THE DEAD WEATHER(USA) (Alternative - Rock) Im Norden der Slowakei gebe es viele Polen, kleinen Gässchen, die den „ursprünglichen“ 03.11. LILY ALLEN(UK) (Pop) brächen. Frau Neumann drängt hier Ungarn und Deutsche, und dann im Os-„Pipi Stil ist kein Name und Pipi ist auch ten noch die R … , ein Überbleibsel der russi-kein Getränk. Doch mich beim Gehen immer unbemerkt 06.11. HOPE SANDOVAL(USA) (Folk – Indie) muss schon ab oder klemmt mich unangenehm schen Besatzung. Ich frage nach: Das sei nichtmancher + THE WARM INVENTIONS rennen, wenn er nur an Pipi denkt.“, das Gleiche wie die Roma? Alle verneinen hef-der verzichtbare sang nah zwischen den beiden massigen 07.11. WHITE LIES(UK) (Indie) MüllerFrauen ein. Dabei redet sie mit F. tig im Chor (Russen sind doch immer noch bes-Marius Westernhagen. Mehr + DARKER MY LOVE(USA) es zum Thema auf Slowakisch, wenn wir gerade 07.11. ser als Roma). Am nächsten Tag ist esgibt Pinkeln auch wirklich KARRERA KLUB PARTY(Indie – Pop) zu sagen, was nicht bei einer Sehenswürdigkeit ist heiß. Ich will schwimmen gehen und wissen,nicht nicht völlig überflüssig Indie-Pop-Disko wäre. stehen bleiben. Ihre Bemerkungen welches der Schwimmbäder auf dem Stadtplan Jahreskarte zeigen, 14.11. DIZZEE RASCAL(UK) (Grime – Hip Hop) Handtuch-Peitschen in der ein Freibad ist. Weiteres Kri- Sammelumkleide, Pissenüber Zigeuner, die „alles kaputtmachen“: Ich blauekann’s nicht mehr hören. F. zeigt mir 15.11. terium ist die Länge der Bahn, im Nichtschwimmer, PAOLO NUTINI(UK) (Akustik – Indie – Soul) Lippen raus aus dem Wasser, auf heiße Beton-noch die alte Synagoge – ich bin ja Deutsche 50 m wins. Zwei städtische Bä- steine legen, Esspapier in 21.11. MUTABOR(D) (Punk – Raggae – Ska) fressen, Fußball– und referiert über die Altstadt: Die Zigeuder sind in der Nähe, eines ist Massen auf der Wiese, DLRG BERLIN BOOM ORCHESTRA(D) (Raggae – Ska) Indoor, das andere sei zwar ein Totenkopfabzeichen-Angener hätten alles kaputtgewohnt, Leute, die nach ber krass finden, Pommes Rot-Weiss bestellen,1989 ihre Häuser wiederbekamen und reno- 23.11. YO LA TENGO(USA) (Alternative – Experimental – Rock) Freibad, aber nicht gut, dort sei- Gregor-Ente vom Dreier, mit Bauch,vieren wollten, mussten allen neue Wohnunen viele Zigeuner, sagt F., die auf Bademeister 25.11. MODERAT(D) (Elektro) Super-GAU Badeverbot, Chlorhaare waschen,gen besorgen. (Empört!) (Weil die alten Häuser Nachfrage nie schwimmen geht durch Löcher in der Kabinenwand glotzen,unsaniert waren, wollte dort auch niemand au- 28.11. FIESTA LUCHA AMADA(Latinska, Dub, Reggae, Mestizo, Rumba, Cumbia, Salsamuffin) und in keinem der Bäder jemals Fahrradschloss nicht aufin Badehoseßer den Roma wohnen). Auf den Einwand, was Lucha Amada DJ-Kollektiv war. Ihre Kollegin M. aber fin- kriegen und aufs Fahrrad. schon kaputt sei, werde vom Drinwohnen auch 05.12. NORTHERN LITE(D) (Elektro – Rock – Techno) det, das Triton – ohne Sportbenicht besser, wechselt sie schnell das Thema. 09.12. cken und am Weitesten entfernt THE NOTWIST(D) (Elektro – Indie – Pop) für mich, die nur ein Leihfahrrad hat – sei am Abends gehe ich ins Romathan, ein Theater von + ANDROMEDA MEGA EXPRESS ORCHESTRA Besten: „Das ist gut, da lassen die keine Zigeu- Roma für, theoretisch, alle – ein Zugeständ13.12. SIDO(D) (Hip Hop – Rap) ner rein.“ Ich insistiere, mir sei die Bahnlänge nis der Stadt im Zuge des EU-Beitritts. Außer am Wichtigsten, und will zu dem in der Stadt- mir und einem steif applaudierenden Touris- 18.12. K.I.Z.(D) (Hardcore – Hip Hop – Rap) mitte. Daraufhin holt F. einen Mitarbeiter aus tenehepaar ist noch eine Nicht-Romani da, eine „Sexismus gegen Rechts“ Tour 2009 einer anderen Abteilung, der auch oft schwim- Tschechin, die mit Roma-Musikern zusammen- 19.12. OHRBOOTEN(D) (Pop – Raggae) men geht und versichert, das Stadtschwimm- arbeitet. Der Raum ist schäbig, das Programm „Gyp Hop Tour 2009“ bad sei ganz neu gemacht und sehr schön. Das Folklore pur, aber die Musiker sind unglaublich 20.12. FUNNY VAN DANNEN(NL / D) (Akustik – Jazz – Pop – Punk) war wohl gut gemeint. Cigán heißt gut, und ich werde trotz Sprachbarrieren herzauf slowakisch nicht nur Zigeuner, sondern lich angelächelt. „Mit dem Ende des 22.12. ECHTE ÄRZTE(D) (Pop – Rock) auch „Lügenbold“, sagt das Wörterbuch slo- Nomadentums ist die gesellschaftliche Ordnung Die Ärzte-Band der Charité wakisch-deutsch. In der Kaffeerun- auf der Basis festen Eigentums hergestellt“, 28.01. HENRY ROLLINS(USA) (Spoken Word) de mit deutschen Expats, die in hohen Positio- heißt es in der „Dialektik der Aufklärung“. Spoken Word nen bei multinationalen Unternehmen arbeiten, Europe really sucks.
WWW.ASTRA-BERLIN.DE
The
idea developend after
Finn A hlgren
(Sweden 1978) and Joy van Erven (Holland 1980) met in a bar in Tel Aviv’s southern “Florentin” neighborhood, a thorn down and worn out, but at the same time charming quarter with a tradition of craftsmanship. Whenever there was a demand for furniture, “Godspeed” started assembling tables and chairs made of scrap wood, which could be found in the streets of Tel Aviv. All pieces are made within an one-hour timeframe. The scrap wood adds a genuine beauty to the pieces resulting from being exposed to natural decay, like extreme weather influences and intense usage. Almost all materials are subject to natural decay, but instead of trying to avoid or undo the sings of decay, godspeed embraces these sings of natural ageing. No more worries about spilling red wine on your designer table, or having kids staining your white sofa, since these traces of usage are supported and embedded within Godspeed’s designs. Above all, furniture should be functional, and should be used accordingly. The scrap wood adds a genuine beauty to the pieces resulting from being exposed to natural decay, like extreme weather influences and abraison. www.weareonlyinitforthemoney.com
40
On Designing Decay
Kristian Vo n F r a n z F r i e d r i c h
du kokelst Vogelnester an wirfst mit Katzenjungen zertrittst Schnecken pisst vom Kirschbaum bis sich deine Anorakschnur in den Ästen verhakt
† 41
42
Wann wird es mal wieder richtig Sommer? † 43
Nina Scholz
untersucht, ob das Gejammer über die exzessiven
Explosionen im Blockbustersommer 2009 bloß einer wiedererwachten Sehnsucht nach dem Autorenfilm entspringt und ob der Actionfilm tatsächlich noch zu retten ist vor dem Feuilleton.
JedesJahrstartetdasSommerkinomitseinenbombastischen Blockbustern und es beginnt aufs Neue das gleiche Spiel: Vielbeworbene Filme in Spots, auf Plakatwänden und in Pop-Up-Fenstern im Internet. Bilder von Premieren auf Weltreise durch die Hauptstädte, Stars auf dem immer gleichen roten Teppich, Zuschauer vor Multiplex-Kinos mit Popcorn in der Hand. Meist hagelt es Verrisse in seriösen Blättern, selten liest man wohlgesonnene Kritiken. Dort wird den meisten Blockbustern reines Spektakel vorgeworfen, Kunstwerke ohne Zweck zu sein, Oberflächengetöse ohne inneren Kern und symbolische Handlungsvertiefungen sowie das kostspielige Aneinanderreihen von sinnentleerten Bildern. Ende der 1970er, als das Konzept des Blockbusters in Hollywood entwickelt wurde, ging es ökonomisch darum, das Hollywoodkino nach einer Dürreperiode wieder in Vormachtstellung zu bringen. Filmemacher waren beeinflusst vom europäischen Kino und seiner Erzählstruktur, handwerklich blieben sie aber den Hollywoodmaximen treu. Der Blockbuster ist eines der ökonomisch erfolgreichsten Kulturprodukte und gleichzeitig eine der risikoreichsten Unternehmungen, lassen sich die Erfolgsaussichten dieser investitionsreichen Megaprojekte doch zumeist kaum voraussagen. Um das Risiko trotzdem zu minimieren, setzen die Filmfirmen auf Sequels, Merchandising und tradierte Erscheinungsdaten wie Weihnachten oder eben in den Sommerferien. Gleichzeitig entstehen in der Kluft zwischen künstlerischer Freiheit durch große Produktionsetats und der Produzentenforderung, konservativ zu bleiben, Bewährtes wieder ähnlich zu filmen und angesichts der Investitionen keine zu hohen finanziellen Risiken einzugehen, teilweise großartige Filme. Da braucht man nur an Star Wars, Jaws oder Pirates of the Carribean zu denken. Blockbuster sind außerdem ein rein amerikanisches Konzept, das in
Europa, und vor allem in Deutschland, mit sei- über das Überleben in einer Schlacht, deren nen verhältnismäßig kleinen Produktionen und Monster nicht sichtbar, nicht überlebensgroß, dem politisch-verquasten Wust aus pädagogi- aber permanent tödlich sein können. The Hurt scher, staatlicher Filmförderung, kaum denk- Locker kann aber nicht nur als Actionfilm, der bar ist. Hollywoodfilme sind aber keine unifor- von den Erfahrungen im Krieg berichten will, mierte Massenware, auch wenn der gelesen werden, sondern darüber hinaus auch gleichförmige Warencharakter des Blockbus- als Kommentar zum Actionfilm selbst. Gleich ters dieses vermuten ließe. Kathryn am Anfang des Filmes wird die technische Bigelow, die in den 90ern mit Filmen wie Überlegenheit der Maschinen, aber auch die Point Break oder Strange Days bekannt wurde, scheinbare Gefahrenlosigkeit der Explosionen Die Bombe an sich wird häufig und semantisch mit Kriegsghat nach dem Flop für den Helden, von der räueln gleichgesetzt. Sie steht sogar oft und fälschlicherweise K 19 – The Widowandere Actionfilme oft sinnbildlich für die Kriege des 20. Jahrhunderts, was maker und ein paar erzählen, außer Kraft geaber durchaus verständlich ist, denn die Atombombenwenigen irrelevansetzt: Man sieht einen abwürfe von Japan brachten neben unendlichem Leid das ten Ausflügen zum kleinen Roboter auf Ende des letzten Weltkrieges. Doch neben Zerstörung und Fernsehen, endlich Schienen durch die WüsVernichtung richten Bomben auch durchaus gute Dinge an; die Eiswieder einen Actionfilm gedreht. The Hurt Lo-gut te fahren, er rumpelt ein bombe schmeckt und ist im Sommer gelungene Abkühlung, wenn die cker spielt 2004 in Bagdad und begleitet dreieine bisschen vorwärts, fällt Sonne brennt, die Arschbombe spritzt gerne im Sommer) und die Mitglieder der amerikanischen Armee-Sektion(ebenfalls dann kaputt um. Der Kalorienbombe sättigt recht zuverläsDaher an dieser Stelle mal eine E.O.D., die darauf trainiert wurden, selbstge-sig. Mensch muss jetzt doch Rehabilitierung dieses phonetisch baute Bomben zu entschärfen, durch ihrenwunderbaren Wortes zum Einsatz kommen 39-tägigen Einsatz. Sergeant William James und die Bombe entschär(Jeremy Renner) ist neu im Team angekommen, fen. Kurz darauf ist Sernachdem sein Vorgänger Sergeant Matt Thompgeant Matt Thompson, son, gespielt von Guy Pearce und eine der weniWilliam James’ Vorgängen hochkarätigen Hollywoodbesetzungen in ger, tot. Als weiterer Metakommentar kann der The Hurt Locker, beim Entschärfen einer Bom- Einsatz der Explosionen gelesen werden. Exbe getötet wurde. Die anderen beiden Team- plosionen sind das zentrale Thema des Films, mitglieder Owen Eldridge (Brian Geraghty) es geht um Bomben, deren (mögliche) Explosiund Sergeant J.T. Sanborn (Anthony Mackie) onen und ihre Entschärfung. Trotzdem verhanhaben sichtliche Probleme, ihr neues Ein- delt der Film nicht den actionfilmtypischen Exheitsmitglied zu akzeptieren. Einerseits haben plosionsfetisch. Nicht an jeder Ecke und an sie den Tod des vorherigen Einsatzleiters noch jedem Ende wird der Zuschauer durch einen nicht verkraftet, andererseits gibt William Boom-Hagel aus der Geschichte, aus Raum James auch keinen Anlass ihm zu vertrauen. und Zeit geschleudert. Ganz im Gegenteil: Man Sie haben einen der gefährlichsten und kom- hört kaum Explosionen, die Stille, das Nichtplexesten Jobs im Irak und ihnen wurde ein Explodieren, das fehlende Wissen darüber, ob Gefahren liebender Cowboy vor die Nase ge- die Bombe explodieren wird, sind die eigentlisetzt. Als er besonders gefährliche Bomben- chen Gefahren in diesem Film. Wenn eine kabel entsichern muss, entledigt er sich des Bombe explodiert, dann fliegt eine unüberHelmes. The Hurt Locker ist ein Ac- sichtliche Menge Wüstenstaub in die Kamera, tionfilm über das Leben in einem Kampfgebiet, die erschüttert wird, bis der Zuschauer die Orientierung verliert. Blut fliegt in Richtung Ka� 25725
Nina Scholz
ː
Wann wird es mal wieder richtig Sommer?
Am ersten Teil von „Die Hard“ haben sich
mera, der Zuschauer steckt kurzzeitig im Inneren des Helms. Bigelows Actionkino ist Körperkino. The Hurt Locker wird als realistisch empfunden, weil man sich die körperlichen Strapazen der Schauspieler vorstellen kann, besonders als Gegensatz zu den Blueund Greenboxtechniken der meisten Actionfilme, die heutzutage gedreht werden. Sie erreicht diesen Realitätseffekt auch durch eine bewusst inszenierte Körperlichkeit am fast-originalen Schauplatz in Jordanien, nahe der irakischen Grenzen, und dem Einsatz der Handkameras, die für sie ein unideologisches, postmodernes Werkzeug zum Erzeugen von Realität ist. Es geht ihr, bei aller Genauigkeit und journalistischer Recherche, die dem Film voraus ging, nicht darum, Realität abzubilden. The Hurt Locker ist ein klassischer Actionfilm, der sich stellenweise gut als Experimantalfilm tarnt. Der Einsatz der Handkamera sorgt für Subjektivierung, Entschleunigung, schnelle Schnitte wechseln sich mit verlangsamten Episoden ab, ein halluzinogenes Gefühl von Anwesenheit und Nichtanwesenheit in einem real verortbaren Raum tritt ein und damit das Gefühl, ein Teil der Handlung zu sein; eines der Ziele einer Actioninszenierung im Kino. Auch die Wahl des Helden ist ein eindeutiges Bekenntnis zum Genre: Jeremy Renner, der William James spielt, ist ein eher unbekannter Hollywoodschauspieler. Seine Ausstrahlung beruht
Kritiker die Zähne ausgebissen. Während die einen den Film mit Bruce Willis schnell als unterste Schublade des männlichen Randalefilms abtaten, fanden andere so viele postmoderne Wunderzeichen darin, dass sie ganze Uniseminare mit ihm füllen konnten. Eine Vorreiterrolle im neuen Hollywood-Kino würden immer aber sicherlich beide Parteien zusichern.
darauf, ein sympathisches, relativ gewöhnliches Gesicht mit Schlingelcharme und Tatkraft zu vereinen. Seinen Job erledigt er auf lässige Weise, man ist geneigt zu sagen: verzweifelt lässig. Und es funktioniert. Zumindest in der Schlacht ist er der Held ohne große Mühe, der den Schutzhelm auszieht, mal eben noch seine Handschuhe aus dem Gefahrenfeld holen muss, dabei immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Trotz oder eher gerade wegen der Gefahr. Bigelow hat schon immer Männer im Actionfilm inszeniert und das sehr bewusst. So wie es Bigelow nicht darum geht, politische Verhältnisse in Frage zu stellen, sollte man sie auch nicht mit einer feministischen Filmemacherin verwechseln, nur weil sie eine Frau ist. Sie versteht, dass der von ihr inszenierte Machismo Teil der Realitätserzeugung ist, die sie mit dem Film erreichen wollte. Bigelow kennt ihre Actioncowboys: Wenn die Soldaten an einem Abend in ihrer Containerkaserne nach genügend Schnaps beginnen, Zuneigung zu zeigen, geht das am Besten durch gegenseitiges Ellbogengepuffe. Die Krise der männlichen Identität ist der Urkonflikt des Actiongenres. Und auch in diesem Sinne experimentiert sie nicht großartig herum, sondern setzt Renners William James als Getriebenen, als vom Todestrieb beherrschten, ein. Er hat sein Leben in den USA zurückgelas-
:
Audiolith Records
Knarf Rellöm X
Krink
Egotronic
Rampue
Bratze
Frittenbude
Saalschutz
Ira Atari
Juri Gagarin
Supershirt
Basslaster
One Foot In Da Rave
Dadajugend Polyform
Plemo
ClickClickDecker
Der Tante Renate
The Dance Inc.
MT Dancefloor
sen und damit dieses Leben „überlebt“. James kämpft im Irak nicht nur gegen die Terroristen, sondern auch um seine eigene Existenz. Der Job im Irak, die permanente Lebensgefahr, ist eine Reise in die eigene Unterwelt: Kann er seinen Weg heldenhaft durchschreiten, um am Ende wieder sterblich zu werden und sein Leben als Untoter zu beenden? In James’ Fall kehrt er zu seiner jungen Frau und dem kleinen Sohn zurück, aber nur um erneut seine rudimentäre Existenz bestätigt zu bekommen. Als lebender Toter war er im Irak erfolgreich, zurück in der Normalität, scheitert er an alltäglichen Erledigungen. Cornflakes im Supermarkt zu finden wird für ihn zur schwierigeren Aufgabe, als sich im Krieggebiet zurecht zu finden. Im Irak, umgeben vom Bund seiner Brüder, werden Gefühle wie Angst, Verletzlichkeit, Wut und Bewunderung in der Klammer des Konflikts rudimentär verwaltet. James ist ein klassischer Held: Unverwundbar angesichts des möglichen eigenen Todes, Pechvögel im Privatleben. Wir erinnern uns an unseren liebsten Actionhelden John McClane in den Die Hard -Filmen, der unablässig um seine Re-Bemannung kämpfte, aber nur im Kampf mit den Terroristen gewinnen konnte. Seine beruflich erfolgreichere Frau wollte ihn nie so richtig zurück. In den 90ern musste sich Bigelow angesichts ihrer Actionund MännerinszenierunAudiolith live und in Farbe: gen die typischen Kriti02.09. Hamburg - Grüner Jäger (Byte.FM Residency) kervorwürfe gefallen 05.09. Bielefeld - Kamp 12.11. Berlin - Festsaal Kreuzberg (Juri Gagarin Releaseparty) lassen: Sie wurde als Ge28.11. München - Hansa39 walt-Junkie tituliert und to be continued... immer wieder fiel der Upcoming: SUPERSHIRT - 8000 Mark (Single) Download 18.09. SUPERSHIRT - Billig und knallt gut! CD/LP/Download 09.10. Vorwurf, dass ihre Filme JURI GAGARIN - Tba CD/LP/Download 20.11. durchgestylte Oberflä2010 wird alles untergehen! chen ohne Bedeutung Neue Alben von Bratze, Egotronic, Frittenbude und Saalschutz! wären. Heute wird sie genau von diesen Kritikern mit Lob überhäuft: Sie sei eine Meisterin der Merchandise von allen Audiolith Artists im Mailorder! shop.audiolith.net Gewaltinszenierung, es audiolith.net gäbe keine verschwendetwitter.com/audiolith skype: audolith.office ten Bilder, die Schönheit der Aufnahmen wird ge-
†45
Illustrationen 
zero cents
(45, 48, 51, 55, 58)
Fotograf Miguel Martinez (42, 43, 46 – 48, 50, 52 – 54, 57)
† 47 lobt. Und immer wieder wird ihr Vermögen, in einem verortbaren Raum eine lineare Geschichte zu erzählen, hervorgehoben. Ihr wird mit The Hurt Locker der Verdienst zugesprochen, den Actionfilm vor seiner eigenen Opulenz gerettet und das endlose Aneinanderreihen von Explosionen unterbrochen zu haben. Es sieht so aus, als ob Bigelow einen für Hollywoodfilmemacher sehr klassischen Schritt unternommen hat: So wie sich der Blockbuster Ende der 70er Jahre den europäischen Autorenfilm einverleibt hat, erneuert Bigelow also mit den Mitteln des Arthouse-Kinos der 90er ihre Version des Action-Blockbusters. Kathryn Bigelow ist eine Oldschool-Hollywood-Filmemacherin, vor allem in dem Sinne, dass ihr das Hollywood-Credo vom Handwerk heilig ist, aber auch weil sie inmitten des Business gelernt hat, ihre Chancen einzuschätzen: Entweder Kontrolle über den eigenen Film im Independentbereich, was aber auch wenig Geld für Effects, Drehorte, Schauspieler usw. bedeutet, oder eine Major-Blockbuster-Produktion, dafür aber das umgekehrte Verhältnis. Sie hat sich diesmal für ersteres entschieden. Trotzdem ist The Hurt Locker kein Arthousekino für Oberflächenallergiker und Handlungsfetischisten. Bigelow interessiert sich vornehmlich für die Inszenierung der Spannung in einem geographisch verortbaren Raum, im Rahmen eines überschaubaren Zeitrahmens, nämlich eines normalen Tages einer BombenentschärfungsEinheit in Bagdad. Die Feinde sind unsichtbar
und real gleichzeitig: jeder potenzielle Attentä- stalt. Kameraführung und Handlung laufen ter kann mit einem Handy eine Bombe hochge- hier synchron. Michael Mann ist hen lassen; der dadurch erzeugte Verfolgungs- ebenfalls ein klassischer Blockbuster-Regiswahn erzeugt ein kaum zerreißbares Band der seur Hollywoods, er vereint die beiden klassiSpannung. Bigelow ästhetisiert ihr Sujet in fast schen New-Hollywood-Ethea in sich: Genau vollkommener Perfektion. Inhaltliches wird wie Bigelow ist er ein Handwerker, ihm ist der über die Oberfläche vermittelt. Stille, Explosio- eigene auteuristische Ausdruck aber ebenso nen, Klaustrophobie und die Verrücktheit, die wichtig. So wie The Hurt Locker ein klassischer einen irgendwann in diesem Krieg erreicht, Actionfilm ist und gleichzeitig aber auch als sind die Koordinaten auf der Filmleinwand, die Metakommentar zum Actiongenre gelesen werArthouse ist erst einmal, wie jedes Label, Gelabelten ziemlich überflüssig.den kann und sollte, ist Public Enemies ein sich die ehemalige Malerin fürUnddensowieso wird es schwierig mit der alte und neue Welt haben einselbst reflektierender, weitergedachter Blockund gelobte Künstlerin Schublade: zuweilen arg differentes Verständnis vom Arthouse. Bezeichnet der Amerikaner auchbuster. Er vereint das alte Hollywood, das neue Bigelow hier zeichnet. Filme als Arthouse, die in fremder Sprache daherkommen, nimmt es der EuropäerHollywood, europäisches Autorenkino, Wes“The only thing impor- genauer und möchte bittschön mindestens Autorenfilm vor sich haben undtern, Arthousefilm, asiatisches Thrillerkino tant is where somebody’s Geldeinen darf bestenfalls auch nicht verdient Der Zyniker fragt jetzt: Aber ist dasund bleibt trotzdem ein Blockbuster. Michael going”, sagt dagegen werden. nicht bei allen europäischen Filmen so? Michael Manns Held, Mann möchte in die Zukunft des Blockbusters der heroisierte Bankräuber John Dillinger, ge- sehen und tritt strukturell aber trotzdem hinter spielt von Johnny Depp in Manns Public seinen Miami Vice-Film zurück. Dessen exzesEnemies. Die Kulisse ist hier das Amerika zu siv orchestrierter Offenheit setzt er eine verZeiten eines anderen Krieges, des innenpoliti- meintlich lineare Geschichte entgegen. Scheinschen „War on Crime“. Public Enemies ist ein bar. Nicht nur, weil der Film in filmrealistisches Portrait einer depressiven Zeit High-Definition-Digital gedreht wurde, wirkt für ein fiktionales, historisches Amerika. Der Public Enemies anders als die üblichen GangsFeind ist hier ein ganz konkreter, fassbarer: der terfilme. Modernste Technik und teleologischer staatliche Verbrecherjäger Melvin Purvis, ge- Fluchtpunkt sind Mittel, um den Film für noch spielt von Christian Bale. Mann eröffnet mit ei- offenere Widersprüche zu dehnen. Mit Public ner Ausbruchssequenz den Film, virtuos insze- Enemies hat er sich seinen nach klassischen niert von Kamerablicken, die sich aus einiger Gesichtspunkten bestinszenierten Film Heat Distanz immer mehr an die handelnden Figu- formal nochmals vorgenommen, nutzt jedoch ren herantasten. John Dillinger sehen wir zu die klassische, formale Klammer und die histoBeginn bloß als dunkle, geheimnisvolle Ge- rischen Kostümierungen der Gangsterklamotte, um – auch da fällt er nicht aus der Rolle des � 25725
Nina Scholz
ː
Wann wird es mal wieder richtig Sommer?
48
† 49
linksliberalen Hollywoodmainstream – aktuelle Verhältnisse darzustellen und zu kritisieren. Die simple Mischung aus Drama und Biopic verwendet er, um das Verhältnis von Gewalt und Gegengewalt, Subversion und staatlichem Gewaltexzess, die Angst des Staates vor seinen Gegnern im Inneren darzustellen. Die historische Kulisse ist nicht mehr als das. Mann will 50
zu keinem Zeitpunkt eine geschichtliche Epoche in Verkleidungen erläutern. Die fast simple Aneinanderreihung von Geschehnissen, die Abwesenheit von Dramaturgie, die Schlichtheit der Erzählungen führen zu den Spalten, Lücken und Widersprüchen, die die eigentlichen Geschichten erzählen. Manns generische Codes sind nicht implizit und eingebettet, der
Plot ist ein eben solcher, aber auch ein Suspenseverstärker, seine eigentliche Struktur wird von der Textur des Wissens, die sich an der Oberfläche abspielt, bestimmt. Seine Selbstreferenzialität setzt die Interpretationen und Geschichten frei. Genau wie Bigelow muss Mann sich Vorwürfe gefallen lassen, lediglich Oberflächenspannung zu erzeugen, Charakterent-
wicklung zu vermeiden und die „wahren Inhalte“ seiner Filme zu vergessen. Genau wie Bigelow nutzt Mann die formale Klammer traditioneller Filmerzählung, um über sie hinauszuwachsen: Die Bilder in Public Enemies sind ein Rausch aus Gewalt, Verfolgung und männlicher Angst, eine atemlose, düstere Traummontage, die, obwohl linear erzählt, keine Orientierung im Leben Dillingers zulässt. Johnny Depp, der mittlerweile in Frankreich lebt und sich durch noir-europäische Selbstinszenierung vom Schauspielertypus in Hollywood distanziert, fügt dem Film das europäische Feeling hinzu. Sein Dillinger wird zu Americas’s Most Wanted; nicht nur zum meistgesuchten Verbrecher, sondern auch zum Star der Amerikaner. Seine Verhaftung wird nicht wie der Gang zum Schafott, sondern als der Weg eines umfeierten Rockstars zu einem Auftritt inszeniert. Auch formal der Höhepunkt jedes Biopics. Manns Rebellen um Dillinger nutzen die
Fehlerhaftigkeit, Starrheit der Institutionen. Sie neuen Terminator-Film Salvation. 1984 ersind die Robin Hoods des Bankraubs, Töten schien den Zuschauern die große, böse Maschinicht um des Töten Willens, willkommene Hel- ne namens Terminator zum ersten Mal auf den den jeder Verfilmung. Keine Paten im Ge- Leinwänden dieser Welt. Der T-800 war gewaltrausch, dann hätte der Widerspruch zum kommen, um Sarah Connor zu töten. 15 Jahre, staatlichen Regiment nicht gestimmt. Es geht drei Spielfilme und eine TV-Serie später befinum Männer bei der Arbeit. Aber nicht im Krieg den wir uns im postapokalyptischen Jahr in der Wüste, sondern mitten in der Nacht. Was 2018, Skynet, die böse Macht hinter den MaChristian Bale ist ein wirklich talentierter, sehr physischer Schauspieler mitschinen, herrscht ohne Menschlichkeit. Sarah für Bigelow das verdörr- zumeist ausgeprägtem Hang zum Method Acting. Überzeugen konnte er magersüchtig-Connor ist tot und nur noch eine Stimme auf eite, sandige Terrain ist, schlaflos in „The Machnist“, als Lichtblick in der ansonsten eher unpräzisen Ellisnem Tonband. Der ehemals kleine John Condas ist für Mann die Verfilmung „American Psycho“ und als trauriger Familien-Cowboy ohne Bein undnor, ebenfalls gespielt vom heutzutage scheinDunkelheit. Sein Zu- mit Geldnot in „3:10 to Yuma“. Außerdem er der niedliche und tapfere Jungebar unverzichtbaren Christian Bale, ist rückgreifen auf mo- inwar Spielbergs „Empire of the Sun“. Nicht hingegen, ist seine bescheuertemittlerweile der erwachsene Anführer des Guedernste Filmtechnik er- so schön Batman-Stimme, sein Hemd in „Harsh Ader und dass errillawiderstandes. Er ist also nicht in jungen laubt es, Dunkelheit in Times“, seine cholerische in seiner Freizeit Crocs trägt. Jahren von den Maschinen aus der Zukunft geden verschiedensten Stadien abzubilden und eine abstrakte, verwir- tötet worden. Bevor wir aber John Connor berende und hyperrealistische Nacht zu kreieren, gegnen, lernen wir in dieser neuen Saga präderen Düsternis zukunftsweisend und zur Zeit apokalytisch, noch in der Jetztzeit, Marcus noch einmalig ist. Eine ähnliche Wright kennen, der in der Todeszelle sitzt und Dunkelheit und Schwärze gibt es sonst nur im einer Tarnfirma von Skynet seinen Körper nach
URBAN PASSION
† 51
NETWORK FOR PROGRESSIVE URBAN DEVELOPMENT, COMMUNICATION AND RESEARCH www.urbanpassion.org
� 25725
Nina Scholz
ː
Wann wird es mal wieder richtig Sommer?
dem Tode vermacht. Postapokalyptisch lebt er immer noch, ist nicht gealtert und verbündet sich mit dem noch jungen Kyle Reese, Johns Vater, später dann mit Blair Williams, die eine ie Postapokalypse ist eines der beliebtesvon John Connors Li- Dten Sujets jüngerer SciFi-Geschichte und sich dabei häufig eines Settings, eutenants ist und ihn bedient das dem ersten feuchten Traum eines gut zu Gesicht stünde. zu diesem zu bringen ObJung-Anarchisten Mad Max, The Day After, The Last Man on Earth oder 28 Days/Weeks Later, in verspricht. Düstere einem Punkt sind sich alle einig: nach der ist Schluss mit Lustig. Vor alFarben, bombasti- lemApokalypse aber mit Ethik und Moral. Natürlich nur so lange bis der ähnlich beliebten sche, endlos anein- faschistoideneines Zukunftssysteme (Logans V for Vendetta) alles wieder grade andergereihte Explo- Run, rückt. Kleiner Tipp: Die deprimierenste Stimmung ever bietet sionen, nicht ganz postapokalyptische „The Street“ von Cormac McCarthy. logische, ultraverwirrende Zeitreisen, laute, sinnentleerte Action, zeitgemäße, inflationär eingesetzte Special Effects, Menschen, Maschinen, Skynet, alle Zutaten, die einen Terminator-Film ausmachen, wurden verwendet – und trotzdem wurde Kritik laut. Nicht nur die gewohnheitsmäßige der Kulturkritiker, sondern auch viele Fans maulten: McGs Terminator Salvation wird vorgeworfen, zu viel Geballer, zu wenig Handlung, zu schlechte Schauspielerei für zu viel Geld herauszuhauen. McG, der vor seinem Terminator-Film vor allem als Produzent guter Serien wie O.C. und Chuck sowie als Regisseur des Charlie’s Angels-Franchise in Erscheinung getreten ist, setzt die postapokalyptische Düsternis der vorhergehenden drei Filme fort. Die Actionszenen sind üppig, aber nicht üppiger als in ähnlichen Filmen, die fast zeitgleich erschienen. Allerdings ist der vierte Terminator-Film in seiner Oberflächenstruktur total, er reißt eine Weiterentwicklung des Mythos der Filmreihe, genau wie die eigentliche Geschichte und die seiner Helden, lediglich an. Die Grundgeschichte wird als Gerüst bereitgestellt, aber nicht wesentlich dekoriert, der Autorenfilm wird abgeschüttelt. McG verschwindet als Programmierer hinter der Inszenierung, selbst der Kodex des Handwerks wird über Bord geworfen. Er tut dies, indem er sich erst von dem Raum verabschiedet, in dem der Film stattfindet, dann von der Zeit, die die Handlung strukturieren muss. Er programmiert die Maschinen des Films und lässt den Zuschauer dann mit den Maschinen allein. Formal scheint es somit Konsequenz und Stärke von Terminator Salvation, dass er entsubjektiviert erzählt. Der Zuschauer wird in eine böse, postapokalyptische Welt geworfen, in der er sich nicht mehr zurechtfindet. Damit hat McG den Gedanken von The Terminator scheinbar konsequent bis zum Ende durchdacht, jedoch wird ihm die formale Fortschrittlichkeit zur Stolperfalle. In der Reduktion auf die Grundmythen Gut gegen Böse, sowie Mensch und Maschine, hat er die Basiserzählung des amerikanischen Actionfilms übersehen, ohne den der Film nicht funktionieren kann: Nicht nur Amerika und die Welt in einer konzentrierten Krise werden dargestellt, sondern auch die des amerikanischen Mannes, allgemeiner gesprochen: das Subjekt in seiner Krise. Terminator Salvation ist ein Film voller Schachfiguren, die Namen aus der Terminator-Vergangenheit tragen, aber keine Konflikte mehr austragen. Innerhalb des terminatorimmanenten Mythos würde das ent52
weder eine Fortsetzung von John Connors Konflikten bedeuten und / oder der Kampf der Menschen mit den Maschinen. Christian Bales humorloser, einfallsloser und undynamischer John Connor taugt dafür nicht. An der Figur Marcus Wright hätte er das Universum der Menschen und Maschinen im Kampf miteinander fortführen können. Marcus Wright ist auch in dem Sinne eine inhaltliche Weiterführung dieser Formlogik, indem er den Menschen nicht nur imitiert, sondern die Grenzen zwischen Mensch und Maschine endgültig
verwischt. Er muss sich den Emotionen der Menschen nicht mehr durch Mimikry annähern, sondern hat diesen Schritt übersprungen, war bereits ein Mensch, ist jetzt Maschine. McGs Film ist also nicht formal gescheitert, aber hat es versäumt, jenseits der ästhetischen Collage, mit Wright den komplexesten aller bisherigen Terminatoren zum Helden des Films zu machen, Kurz bevor Marcus Wright, gespielt vom überzeugenden Sam Worthington, endlich auf John Connor trifft, wird er von den Rebellen als Terminator ent-
tarnt. Er ist eine hybride Maschine, heilt schnell, spürt kaum Schmerz. Sein Herz und seine Haut sind menschlich und auch sein Gehirn, der implantierte Chip darin jedoch nicht. Von Skynet mit einem hochkomplexen Endoskelett ausgestattet, verfügt er über die Unverletzlichkeit der Vorgänger-Terminatoren und überwindet deren größte Schwäche: ihre dumpfe Artifizialität. Der implantierte Chip erlaubt Skynet nicht nur, durch seine Augen zu sehen und somit als „Big Brother“ in das Rebellenhauptquartier vorzudringen, er fungiert auch
als Fernsteuerung, die Marcus’ Menschlichkeit aus- und seine Maschinenhaftigkeit einschaltet. Damit taugt Marcus zum hochkomplexen, posttraumatischen Actionhelden. Der Untote muss sein Trauma überwinden, indem er am Ende des Films dem sterbenden John Connor sein Herz spendet. Mit der Aufgabe seiner Menschlichkeit findet er wieder in diese zurück. Sein Leben im eigenen Spiegelkabinett von Skynet löst sich auf. Sein zweiter Tod verspricht ihm Erlösung und den Rebellen eine Zukunft. McG, der formal diese Maschinenwelt ͇ 19
inszeniert, hat die Weiterführung der Maschinenkrux in seinem eigenen Film verpasst. Im Grunde ist Terminator Salvation der komplexeste, untypischste Sommer-Blockbuster, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als sei er deren Prototyp mit seiner rudimentären Handlung und dem Crescendo aus Explosionen und Verfolgungsjagden. Formal stehen Terminator Salvation, Public Enemies und The Hurt Locker in einer Reihe; der Kampf Gut gegen Böse, ein Mann gegen den Rest der Welt, wird innerhalb überschaubarer Formalia verLinus Volkmann
ː
† 53
Auf deiner Ecstasy ist ein Hakenkreuz
handelt. Schaut man jedoch ganz genau hin, kann man deutliche Unterschiede wahrnehmen. Da bleiben sich der Actionfilm und dieKulturprodukte: Geniekult und die wahnhafte Annahme, dass der Kunst, Schaffung und Verwertung eine mysteriöse, nicht erklärbare Magie Gangsterklamotte als Erben des Western treu.ihrer innewohnt, bestimmen die Kunstrezeption. Das ist natürlich totaler Käse, auch Kunstwerke sind den mehr oder weniger simplen Mechanismen Die Kritik an der Schlichtheit der Story istdenn des Marktes unterworfen und somit ein Kulturprodukt, nicht mehr und hochkulturelle Augenwischerei, die anderesnicht weniger. verschleiern will: Das reaktionäre Handwerkszeug wird ausgepackt, um den Tatsachen der alles durchdringenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht in die Augen sehen zu müssen. Durch diese Kritik spricht der nach wie vor übermächtig vorhandene Wunsch, zwischen guten und bösen Kulturprodukten unterscheiden zu können. Die Kritik am Blockbuster lässt sich von ideologischen Scheuklappen ob des Bombastes, sei es an Etat oder Material, leiten und legt in der Analyse falsche, weil moralische Maßstäbe an: Statt das Spektakel und die Oberfläche zu sezieren, über die die Filme vermittelt werden, wird Das Bildungsbürgertum in Deutschland unterteilt sich in zwei Strömungen, die konservative und einmal die linksliberale. Beide haben mehr gemeinnach einem inhaltlichen Kern, wie man ihn imeinmal sam als man denkt, denn die Hochkultur ist bei allen Differenzen hinsichtlich Realpolitik der gemeinsame Bezugspunkt und auch sonst ist alles nicht so bildungsbürgerlichen Entwicklungsroman fin-der eindeutig: Inzwischen haben schon die Bürgertumskinder der Antifa ein FAZ-Abo det, gefahndet. Diese Form der Analyse und Kri-und der adelige Wirtschaftsminister lernt seine Frau auf der Loveparade kennen. tik muss zwangsläufig scheitern. HollywoodBlockbuster verleiben sich Techniken und Filmstile unideologisch ein, dadurch entstehen scheinbar ähnliche Filme, die sich aber tatsächlich sehr unterscheiden, immer wieder aus den Labels herausfallen. The Hurt Locker ist auf Grund seiner formalen Struktur der klassischste unter den drei hier verglichenen Actionfilmen, aber wegen seines verhältnismäßig kleinen Produktionsetats und der dadurch fehlenden Maschinerie aus Werbung, Merchandise und inszenierter Box-Office-Starts bei weitem kein Blockbuster. Das Summermovie-Versprechen lösen in diesem Sinne nur Public Enemies und Terminator Salvation. Alle drei verglichenen Blockbuster sind als Metakommentar zu ihrer eigenen Form angelegt. Ihre postmoderne Selbstreflexivität setzt sich in den Helden fort, die keine Charakter-, sondern Figurenerforschungen sind. Spannung und Ästhetik werden über Handlung und Erkenntnis gestellt und führen dadurch zu anderen Ausgangspunkten. Hollywoodfilmemacher zu sein ist bei aller Leidenschaft für das Material eine nüchterne Angelegenheit, die das Kunstwerk Film aber trotzdem vor einem irgendwie gearteten Zweck rettet. Auteuristischer Ausdruck spielt eine Rolle, genauso wichtig sind aber Handwerk und der Einsatz der vorhandenen Technik, die sich wiederum über persönliche Vorlieben, Produktionsetats und technische Entwicklung strukturiert. Der Regisseur tritt hinter das Material zurück Der Regisseur ist eine mythische Figur unserer Zeit und hat in der öffentlichen Wahrnehmung den Universalkünstler abgelöst. Alan Armer und drückt ihm trotzdem seinen Stempel auf – sagt über ihn: „Er ist Vater und Mutter, Priester, Psychologe, Freund, Autor, Schauspieler, Photograph, Kostümbildner, Elektronikfachmann, Musiker, das wird etwa darin erkennbar, dass Bigelow graphischer Künstler und spielt noch ein Dutzend andere Rollen.“ bewusst unideologisch erzählt, Michael Mann politische Reflexion aktueller, amerikanischer Verhältnisse einbaut und McG seiner Vorliebe für Technik, Material und Spektakelinszenierung frönt. Dieser Text soll wahrlich keine Beweisführung sein, dass jeder Blockbuster wertvoll ist und außerhalb Hollywoods und jenseits bombastischer Etats keine tollen Filme gedreht werden, als Ehrenrettung der Oberfläche und des Spektaktels darf er aber durchaus verstanden werden. 54
† 55
56
† 57
*** Brieffreunde Moritz, herzliche Grüße aus dem Arbeitslager. G enauer: dem ICE Hamburg–B erlin. Wenn ich mich nicht gerade über das
Hallo Fabian, schöne Grüße aus Boizenburg! „Wo
zur
Hölle ist Boizenburg?“ wirst du fragen. Boizenburg liegt an der Elbe, in der Zone. Nach der Annektierung durch die BRD wurde die Kleinstadt so etwas wie ein Vorort von Hamburg. Das ändert aber nichts daran, dass wir uns hier im finsteren Mecklenburg-Vorpommern befinden, wo kahlrasierte Hansafans angetrunkene Rentner mit den Worten: „Soll ich dich umhauän odär was?“ aus der Fußgängerzone verteiben. Wir können es ihnen nicht verübeln: Das letzte spannende Ereignis in dieser trostlosen Gegend; die Abschlachtung eines Ehepaares durch zwei Teenager , liegt mehr als zwei Jahre zurück. In der Hoffnung mehr über die Tat zu erfahren, suchen wir das Elbe-Gymnasium auf, wo die beiden Jugendlichen zur Schule gingen. Leider haben die Sommerferien soeben begonnen und der Hausmeister kann uns auch nicht weiterhelfen. Nur eins weiß er sicher: „Die Medien waren schuld. Demnächst wird es sogar ein Gesetz geben, dass Kinderpornographie im Internet erlaubt.“ Da sind wir baff und müssen auf den Schock erstmal was essen. Die Fuzo-Nazis waren so freundlich uns einen Imbiss zu empfehlen: „Där is Grichä odär Italienär“, so genau weiss man das nicht. Und tatsächlich: Die Speisekarte beinhaltet nicht nur Pizza und Pasta, sondern auch Gyros und Döner. Wir streiten uns, ob das nun eher griechisch oder italienisch ist und einigen uns schließlich auf die goldene Mitte: So muss albanische Küche schmecken. Das Gyros besteht aus Jahunderte alten Eingeweiden der letzten Blutfehde und das Lübzer zieht schleimige Fäden. Ich trenne mich von meinem Begleiter und schleppe mich mit Magenkrämpfen zum Regionalexpress nach Hamburg. Zwischen Schwarzenbeck und Bergedorf übergebe ich mich ausgiebig. 58 Moritz.
unsägliche Personal echauffiere (geschenkt) oder im Geiste Exekutionspläne schmiede, angesichts ganzer Heerscharen alter Menschen, die sich ein duftendes Ei nach dem anderen schmatzend in die faltigen Schlunde schieben, bewundere ich die strebsame Geschäftigkeit angehender Top-Performer. Eine Stunde und vierzig Minuten sind eine vergleichsweise kurze Zeitspanne, aber sie reicht vollkommen aus, um Präsentationen zu schreiben. Und Menschen zu brechen. Ist Dir eigentlich schon mal aufgefallen, welches Vernichtungspotenzial ein Tacker birgt? Wenn einer dem anderen Unterlagen rüberschiebt, achte mal darauf, ob sie getackert oder nur mit einer Büroklammer versehen sind. Das ist wichtig! Denn: Eine Büroklammer bedeutet Freiheit. Sie bedeutet, dass hier Dinge zwar zusammengehören und es einem wichtig ist, dass sie beisammen sind, aber dass man sich nach wie vor die Möglichkeit offenhält, fundamentale Änderungen vorzunehmen. Reihenfolgen können verändert, ganze Seiten entfernt werden – ohne, dass man dies krumm nehmen würde, denn schließlich ist eine Büroklammer ja nur eine temporäre Bindung. Ein Versprechen auf Zeit, sozusagen. Wie ein kollegialer Weihnachtsfeierfick unter Single-Kollegen: Alles kann, nichts muss. Die Büroklammer ist die Jungliberale unter den Bürohilfsmitteln. Tackern hingegen ist etwas ganz anders. Tackern ist endgültig. Etwas Zusammengetackertes dokumentiert einen höheren Fertigungsgrad. Es sagt „Fertig.“ Es sagt, hier ist etwas gewissenhaft und geprüft zusammengestellt worden. Hier hat sich jemand Mühe gegeben, hat alles noch einmal gegengelesen um schließlich die Entscheidung zu treffen: das bleibt jetzt so und was ich so zusammengefügt habe, soll der Mensch nicht trennen. Und doch: Die Vernichtung ist eingebaut. Keule neben mir, offenbar Junior-Berater bei einer dieser Werbeagenturen mit den kryptischen Kürzeln, tritt gerade seinem Schöpfer gegenüber. Dem hastig und mit hörbarer Schnappatmung vorgetragenen Konzept folgt ein Moment großer Seniorität. Der Silberrücken gegenüber nimmt das getackerte Konzept, betrachtet es einen Moment lang und reisst schließlich die Seiten 2–31 heraus. Zurück bleibt das Deckblatt und die Schlußformel: Let’s discuss! Sei umarmt, Fabian. G esendet von meinem iP hone.
D*ruffalo contact@physical-music.com www.physical-music.com
GPMCD030
DJ T. – The Inner Jukebox DJ T. is back with his
second album, incl. Dis, Bateria et Shine On. OUT NOW!
Get Physical 7th Anniversary Compilation mixed by M.A.N.D.Y. – Pt. 1 Get Physical has GPMCD031
turned 7 this year … & M.A.N.D.Y. have compiled for you a dynamic mix of our best tracks that we’ve put out so far … Incl. tracks from Booka Shade, DJ T., Thomas Schumacher, Damian Lazarus, Jona, Audiofly X, Italoboyz … and two unreleased tracks from Damian Lazarus’s Neverending (M.A.N.D.Y. & Alexkid Nonstop Remix) and Dakar’s I’ve Got That Feeling. OUT NOW!
Body Language Vol. 8 mixed by Modeselektor Their mix is a riotous, bass-heavy affair, one which takes GPMCD032
all kinds of interesting developments in cutting edge contemporary dance music. … incl. tracks from Missy Elliott, Busta Rhymes, Animal Collective .. and an exlclusive track by Modeselektor, among others. OUT SEPT. 25 TH.
readmypony.com
D*ruffalo Party Service Artists Agency is a fresh new company representing some of the world‘s more obscure albeit finest clubrelated talent. Whether you‘re a promoter looking for top-calibre performers, or an up-and-coming DJ looking to break into the bigtime, we can help. We always follow our credo: we drink - you dance. Underberg Resistance (live) Spandau Baldhead (live) DJ Fred Durst Bierbrand Nubian (live) Krusovice Allstars (DJ set only) Kratzwerk (live) Olga Iller DJ Friedrichshaintje Oi!phemismus (live) Funk Zander Harald Junkie Tiefschwanz (live) Ostbar Schmelzer Little Ludger Vega Djane Manuel Franz Josef Whackner DJ Ron Calli Karl Käck Elend Eule (DJ set & live!) Safari Duo (live) Norman Gay Puffrider Marcel Rossmann Ali Schawarma Grooveschneider Käpten Hoolywood Project Logo Eis Männerheim (live) Hosenstolz Blues Tooth Muttiman (Detroit! live) If you would like to book any artist from the D*ruffalo Agency Roster or if you have any Artist Management enquiries please contact druffmag@yahoo.co.uk Or visit our site www.druffmix.com
neue Homepage ab Ende September
D*ruffalo – we drink - you dance!
†
0