Magazin f端r Relevanz und Stil
Designer im Dreck Zur端ck zum Beton Volksbegierden totale Rekonstruktion
Magazin f端r Relevanz und Stil
Designer im Dreck Zur端ck zum Beton Volksbegierden totale Rekonstruktion
Nina Scholz
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Die Kunst, zu streiten
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Eine andere Umgebung ist möglich
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Zurück zum Beton
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Herausgeber GbR Gempp, Scholz Krossener Straße 7 10245 Berlin Registernummer 34/518/53630
HATE Magazin für Relevanz und Stil Krossener Straße 7 10245 Berlin
Designer im Dreck
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Ueno Park Tokio vierunddreißig
P i p e
C l e a n e r s
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A Ma n- Ma de Ca ta st rop hy
Monako vierzig
dreiundvierzig
Autoren Eugen Ivan Bergmann, Conor Creighton, Moritz Jasper Kuhn, Neale Lytollis, Sid Meyer, Mario Milakovic, Helge Peters, Johannes Paul Raether, Karla Schmidt, Christopher Strunz, Nisaar Ulama
Schlussredaktion Christian Simon, Jochen Werner
Anzeigen Robert Härtel robert@hate-mag.com
Gestaltung Johannes C. Büttner johannes@hate-mag.com Ronald Weller ronald@hate-mag.com
Redaktion Jonas Gempp jonas@hate-mag.com Laura Ewert laura@hate-mag.com Nina Scholz nina.scholz@hate-mag.com
Berlin Mitte – Ein Abgesang
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Ausstattung Inga Königstadt (www. bella-berlin.com), Tobias Starke
Ein kleiner Sprung: Vom Ich zum Wir
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siebenundvierzig
Totale Rekonstruktion
Moritz Jasper Kuhn & Neale Lytollis Briefwechsel achtundfünzig
Johannes Paul Raether Volksbegierden
achtundvierzig
Anna Mirkin
Wer HATE für 5 EUR bestellt, erhält ein auf 100 Stück limitiertes Poster von Haus Hoch.
Die nächste Ausgabe erscheint im November.
Auflage: 2.000
und den Models Duncan X, Bella Berlin, Felix Molnár, Pferd Leo
Hate dankt Dobbie, Henrike Meyer, Ueno Park Citizens, Paola Calvo, Patre Schulz, Sandra Molnár, Steffen Köhn, Wolzig, Christian Demmler, Remo Westermann, Bar 25, Klaus Scholz, Artur Schock, Brian Cares, Michael Nadjé, ICE Boardbistro
Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürte 2006 das Wort Fanmeile zum Wort des Jahres. Fußball schaut man nicht mehr nur mit den Freunden, man wird Teil eines Megaevents. Was steckt dahinter? Was treibt Millionen an, kollektiv einer Videoleinwand zuzujubeln?
Sid Meyer
Die Herausgeber
Ein Gedicht
Eugen Ivan Bergmann Biographien auf Null: Eineinhundertleben. sechsundvierzig
Jahrelang galt die Gegend um den Hackeschen Markt herum als hipper Stadtteil, bis die Ladenmieten unbezahlbar wurden, Langweiler und Touristen das Bild dominierten. Selbst die aktuellen Maßnahmen von Adidas und angeschlossenen Agenturen die Torstraße als Einkaufmeile mit Szeneflair zu etablieren, täuschen nicht Illustration darüber hinweg, dass Mitte längst ödes Sanierungsgebiet geworden ist.
Jonas Gempp
Bureau AEIOU, Maxime Büchi, Johannes Paul Raether, David Schmitt, Wesley Walters
Vor fünf Jahren verwüsteten der Hurricane Katrina und die damit einhergehende Flut New Orleans. Darauf folgte die Katastrophe im Umgang mit der Katastrophe. Seitdem beschäftigen sich viele mit dem Thema. Nina Scholz begibt sich auf die Spurensuche der Veränderungen in der Stadt sowie einer neuartigen (pop-)kulFotografen turellen Lesart von New Orleans.
Nina Scholz
David Schmitt
Sanitation arrived late in Dublin. Early Dubliners shit where they ate and made no bones about it. It wasn’t until the British came and taught them to feel ashamed of their movements. Connor spend a day in Dublin’s main sanitation plant.
Connor Creighton
Not macht innovativ: Das Neue und Nützliche wird in den Armutszonen der Welt vermutet. Zwischen Wellblechhütten suchen Architekten, Designer und Ökonomen nach Antworten auf die Probleme der Gegenwart.
Helge Peters
Johannes C. Büttner & Wesley Walters
Der Werkstoff Beton ist unbeliebt und im steht für eine Architektur, die nicht als schön, höchstens als funktional, auf alle Fälle jedoch als gescheitert gilt. Das ist ein großer Irrtum, denn Beton kann nur im Kontext der Geschichte verstanden werden und ist als wunderbares Material Grundlage für Baukunst im 20. Jahrhundert.
Jonas Gempp
Bureau AEIOU Der Bärenjunge
Eine Liebesgeschichte in drei Akten
Love is just a four letter word
Arthur Schnitzler
Laura Ewert
In Köln wird der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann bis heute als lokaler Underground-Held gewürdigt und gefeiert, gleichzeitig findet man in seinen Texten einen immensen Hass auf die westdeutsche Stadt am Rhein.
Christopher Strunz
Das verobjektivierende ,Man‘ des Feuilletons und das subjektive ,Ich‘ der Popkritik sind nicht nur zwei Pole der Kulturkritik, sondern nivellieren beide Widersprüche und damit die Debatte um das richtige Kunstverständnis selbst.
Nisaar Ulama
This is an interview with Gene Kasidit who loves music, Bangkok, the Thai King and the Buddha. And his mom, of course, who told him that if he has nothing to eat he should eat man.
Mamma Princess Boy
Fotos zwölf
Mario Milakovic
Wesley Walters
eine Kurzgeschichte
Karla Schmidt
Duncan X London & Malibu sechs
Das Halbe Lutschhuhn im Ganzen
Die Ver lobungspar ty
Maxime Büchi
Vor und Zurück
Laura Ewert
Tatort Hassort
„Wenn der Hass feige wird, geht er maskiert in Gesellschaft und nennt sich Gerechtigkeit.“
HATE Seite drei
Nina Scholz Tatort Hassort
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Die Ver lobungspar ty
ier sitze ich also auf Andreas Sofa, zupfe an dem Kleid, das ich mir geborgt habe und mache Mienen zum Spiel. Immer verschiedene Mienen, weil ich nicht weiß wie ich mich verhalten soll. Ich hab diesen Klumpen in meinem Bauch, der neben Unwohlsein und Verspannung noch andere Signale sendet. Die Gedanken in meinem Kopf rotieren dazu, was nicht zur Entspannung beiträgt. Das Problem: Wie soll ich mich verhalten? Die Lösung: Nicht in Sicht. Als mich vor ein paar Wochen Andrea anrief, um mich zu ihrer Verlobungsparty einzuladen, hatte ich „Äh, wieso?“, geantwortet. Woraufhin sie „Weil wir uns lieben und heiraten wollen.“ erwiderte. Daraufhin murmelte ich: „Äh, okay, cool.“ Seitdem habe ich zwar mit Andrea, auf deren Sofa ich jetzt sitze, nicht mehr gesprochen, dafür aber in meinem Freundeskreis einen erstklassigen Aufruhr veranstaltet: Als erstes war ich mit Jan Biere trinken und wir ergingen uns in den üblichen Tiraden: Heiraten ist doch oll. Okay, wenn man Steuervergünstigungen bekommt oder jemand eine Aufenthaltsgenehmigung braucht, aber wieso soll man denn heute noch heiraten, geschweige denn sich verloben? Ein paar Tage später beschwichtigte mich Dirk, ich müsse das ja nicht gut finden, aber den Wunsch von Andrea respektieren. Bloß dagegen sein sei doch auch keine Option mehr. Heute ist es doch schon wieder revolutionär sich nicht dagegen zu stellen, sondern einfach mal wieder mitzumachen. Einfach wieder mitmachen; da muss es doch noch irgendwas anderes geben. Klar, ich könnte mich trotzig auf das Sofa setzen. Nur der Trotz steht niemandem über 5 Jahren besonders gut. Oder absagen, mit der Begründung, dass ich vielleicht zur Hochzeit käme, aber Verlobung, so ein Quatsch geht nun wirklich zu weit oder einfach nie wieder bei Andrea melden. Oder hingehen und fröhlich sein. Diese verschiedenen Optionen stellte ich dann auch Ariane vor, die streng mit mir war: „Tut mir leid, aber du musst da hin. Die foltern ja keine chinesischen Babys. Du kannst das selber anders machen, blöd finden und dagegen sein, aber wenn deine Freundin dich dabei haben möchte, dann setzt du dich dahin und machst gute Miene zu einem Spiel, dass du für dich selber blöd findest.“ Und da sitze ich jetzt mit meinen Mienen und beobachte das Spiel der Verwandten und Freunden, die aufgebrezelt durch diese sehr geschmacklose, deutsche Adaption einer Hollywood-Romcom laufen, deren Kulisse Andreas Wohnung ist. Rosa Luftballons hängen da wo wir uns normalerweise betrinken. Eine Tante im Cocktailkleid hockt in dem Sessel, in dem ich nach einem Clubbesuch öfter mal einschlafe. Mich unwohl fühlend, kippe ich Sekt in mich rein und führe in meinem Kopf eine Diskussion, die mich, wenn sie jemand gehört hätte, nicht besonders klug aussehen hätte lassen. Statt einer Lösung hatte ich mich in der Pround Contraliste des Gefühlsduseligenmagazins für Berufsjugendliche namens Neon verfangen und träumte von Zeiten, in denen man noch gegen etwas sein konnte. Die waren natürlich schon vorbei als ich auf die Welt gekommen war, denn damals war bereits Ironie die Hauptbewegung der Andersdenkenden. Jetzt ist alles erlaubt. Auch dagegen sein. So fühle ich mich auf diesem Sofa hier in einer Mausefalle, jeglicher sinnvollen oder originellen Handlungsoption beraubt. Genauso die Kleidungsfrage: Ist es nicht peinlich, sich für so etwas nicht schick zu machen? GenauHATE Seite vier
so peinlich wie es mittlerweile ist, ironisch in Abendkleid und Smoking auf eine Demo zu gehen? Ich mache noch ein paar Entweder-oderÜberlegungen bis ich zu betrunken bin und tanze dann mit Andreas Onkel Willi ein paar Runden Twist. Nur um später wieder in eben jenem Sessel einzuschlafen. Mit einem rosa Ballon ums Handgelenk.
Laura Ewert Vor und Zurück
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Das Halbe Lutschhuhn im Ganzen
erdammt. Jetzt ist es passiert. Etwas, vor dem ich immer Angst hatte, nie wusste, wie damit umzugehen ist. Es ist passiert. In der ersten warmen Nacht des Jahres. Nach mehreren Bieren. Etwas, das viel schlimmer war als jede Aschewolke in den Köpfen der Menschen. Es war sogar viel schlimmer als der wiederholte Hinweis auf den kondensstreifenleeren Himmel. Und der war ja schon schlimm. Als ob der Himmel ständig voller Kondensstreifen wäre und als ob das irgendjemand stören würde. Vermutlich ist es aber für den Menschen immer schlimmer, Dinge nicht zu sehen. So wie die Wolke. Die Wolke, die es vielleicht gar nicht gibt. Und von wegen Vulgärverbalie. Es ist was noch Schlimmeres passiert. Und die Tragweite ist mir immer noch nicht ganz klar. Ein Freund outete sich als Liberaler. Ja. Es ist ein guter Freund. Einer ohne Klarglasexistenzialistenbrille, aber mit der nötigen Grundarroganz ausgestattet. Einer, von dem man es vielleicht befürchtet, jedoch niemals erwartet hatte. Einer, der nicht blöde ist. Und plötzlich sitzt er da im verstörenden Offenbarungssog und erzählt was von Leistung und Selbstverantwortung. Das Wort liberal hat er nicht benutzt. Und ich hoffe, er hat auch nicht Sozialschmarotzer gesagt. Könnte aber auch sein, dass ich es verdrängt habe. Er ist selbstständig und arbeitet viel. Effizienztrimmung im Selbstversuch. Ein Gegenmodell vielleicht. Ich war so ratlos wie überfordert. Also sagte ich was von Gesamtverantwortung und versuchte es mit der Gutmenschen-Scheiße, was denkbar blöde war, denn natürlich kam ein scharfes: „Der Mensch ist nicht gut.“ zurück und dann spielte man wieder Wer-Bin-Ich mit sich selbst, packte die Allzweckcharaktermimik aus. Und fragte sich, also auch den politisch verwirrten Freund: Was ist, wenn ich bitte auch Mitglied werden will in diesem neuen schicken Kreativen-Privatclub mit RooftopPool mitten in Berlins Mitte? Wenn ich in mir doch den Szenealarm schrillen höre? Sich den Lustfilter endlich leisten können? Da muss man sich dann positionieren und darf sich nicht verführen lassen zu vergessen, dass der Mensch auch immer Aggressionsverstärker ist und bleiben sollte. Komplettes Realitytrainingsprogramm also. Und das am Tag des geistigen Eigentums, an dem aufgrund erhöhter Alkoholaffinität nicht mehr viel mehr drin war als eine verhuschte Bierdeckelkalkulation: „Nee, hör mal. Man muss sich doch auch die Einzelschicksale ansehen.“ Keine Chance. Ohne Wortwahlberater war hier kein Punkt zu machen. Und ich schon länger schmerzsatt. Man ist ja keine Moralmaschine. Mehr. Also was? Rumstehparty mit Schuhe-ausziehen-Mechanismen anwenden: Noch ein wenig Nudelsalat vielleicht? „Sauberen Realismus“ nennt das die Chatfreundin in Barbour-Jacke und meint das Kokettieren mit dem Realliberalismus, sprich, den Zu-Kurz-Komm-Ängsten, werde mit der Steuernummer quasi gleich mitgeliefert. Und Leblos unterscheidet sich von Lieblos dann doch nur in einem Buchstaben.
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Duncan X London shot by
Maxime B端chi 2004 (Page 4,5,8) Malibu
shot by
Maxime B端chi 2010 (Page 6,7)
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„Niemand pisst so dezent wie unser Häschen.“
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Karla Schmidt
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s juckt mich da. Schon den ganzen Morgen. Ich versuche, es zu ignorieren während ich am Herd stehe und den Schneebesen wie verrückt durch einen Topf heißer werdender H-Milch jage. Elf Uhr dreizehn. Kratzen kann ich nicht, die ganze WG sitzt am Küchentisch. Herbert dreht sich eine Zigarette. Susanne sitzt wieder in Slip und Hemdchen da. Ihr linker Hacken ist blutleer, wo sie ihn auf die Stuhlkante stützt, und man sieht, dass sie rasiert ist. Zwischen den Beinen. Wie eine Schlampe, fast nichts an, die blonden Haare total verfilzt. Herbert fängt meinen Blick und grinst. Er leckt mit spitzer Zunge das Papier, rollt fertig und lässt die Zigarette in seinen Mundwinkel springen. Gestern bin ich im Bad in einen feuchten Aschenbecher getreten. Schwarzer, stinkender Schlamm. Ich weiß nicht, warum die mich hier überhaupt genommen haben. Die Etage ist eine richtige Bruchbude, die Wände zwischen den Wohnungen raus gehauen, und die Katzen benutzen Tinas Zimmer als Klo. Sie sitzt mit hängendem Kopf zwischen
Gestern bin ich im Bad in einen feuchten Aschenbecher getreten. Schwarzer, stinkender Schlamm.
Ich hatte noch nie einen Freund. Ich will auch keinen.
Angelika und Bernd auf dem Sofa, ihre schwarzen Haare sind fettig und verlegen, so dass es aussieht, als hätte sie eine kahle Stelle am Hinterkopf. Ich hatte noch nie einen Freund. Ich will auch keinen. „Pass auf, Häschen!“ sagt Bernd in seinem Motorbass und wedelt mit dem Messer zu mir herüber. Er ist über vierzig, könnte fast mein Vater sein. Ich lasse mein Handgelenk noch schneller kreisen, weißer Schaum quillt aus dem Topf. Alle nennen mich Häschen. Jetzt muss ich kratzen, möglichst selbstverständlich. Susanne schließt nicht mal die Zimmertür zu, wenn sie es sich selber macht. Ich senke den Kopf über die sechs Kaffeebecher, schaffe es nicht, den Sauerstoff bis in die Spitzen meiner Lunge zu saugen. „Na, juckt die Punz?“, fragt Susanne. Alle außer Tina grinsen. Ich verschwinde in die Kammer neben der Küche. Innen ist alles golden gestrichen, auch die Spülkette und die Armaturen. Die Tür ist durch einen Vorhang ersetzt. Die Anderen lauschen bestimmt. Ich setze mich auf den Klodeckel und warte einen kleinen Zeitraum ab, bevor ich spüle und mir die Hände wasche. „Niemand pisst so dezent wie unser Häschen.“ Angelikas Stimme klingt, als müsste sie etwas hinter zusammengebissenen Zähnen im Zaum halten. Ich tue, als hätte ich nichts gehört und setze mich an den Tisch. Bernd ist aufgestanden und verteilt die Milchkaffees. Susanne und Herbert nehmen tiefe Schlucke und spielen sexuelle Erregung. „Ohh, Häschen, das ist so guuut!“, stöhnt Susanne. „Ja! Mehr, mehr!“, fällt Herbert ein. Ich versuche wissend und ein wenig schmutzig auszusehen. „Lasst doch“, sagt Bernd. „Sie wird total rot.“ Susanne wirft ihre Mähne in den Nacken. „Die müsste nur mal richtig gefickt werden. Du hast noch nie, oder?“ Angelika zieht die Mundwinkel runter. „Und wer soll das machen? Bei dem feisten Steiß?“ „Ich will David zurück.“ Tina spricht es „Deyvid“ aus. Susanne lässt ihren nackten Fuß auf die dreckigen Dielen patschen und stellt den Kaffeebecher hin. „Und wenn wirs ihr gemeinsam besorgen?“ Herbert drückt die Zigarette aus und zuckt die Schultern. „Klar, warum nicht.“ Susannes Brüste wippen, als sie auf mich zukommt. Sie setzt sich auf meinen Schoß. Ich weiß nicht, wohin mit meinen Armen, lasse sie seitlich hängen. Plötzlich brummt Bernd mir von hinten ins Ohr. „Hm, das wird geil, Häschen.“ Die Vibration seiner Stimme rast vom Ohr über Nacken und Rücken, durch den Bauch und zwischen meine Beine. Herbert beugt sich herüber und steckt mir eine nach Asche schmeckende Zunge in den Mund, während Susannes Hände meine Brustwarzen reiben. „Mir wird schlecht“, heult Tina. Sie verlässt schwankend die Küche. Angelika konzentriert sich auf ihren Kaffee, und ich spüre, wie ein ungewolltes Stöhnen in mir aufsteigt. Bevor es nach außen dringen kann, ist alles vorbei. Susanne steht auf, Bernd geht zu seinem Platz auf dem Sofa und Herbert dreht sich eine neue Zigarette. „Mensch, Häschen“, sagt Susanne und rümpft die Nase, „du brauchst echt’n Bock. Du riechst ja wie’n ganzer Kaninchenstall.“ HATE Seite neun
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This is an interview with Gene Kasidit who loves music, Bangkok, the Thai King and the Buddha. And his mom, of course, who told him that if he has nothing to eat he should eat man. As a proper mamma-princess-boy he obeys her. Gene was a vocalist in the electro clash band Futon from 2003 until 2008 and released his debut solo album, Affairs, late last year. Mario Milakovic met him one night in February in his hometown Bangkok. They shared a polite and sweaty conversation.
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Mamma Princess Boy
t’s hot and humid. The sun burns, asphalt melts . Cars, tuk-tuks and motor bikes are barely moving in an endless traffic jam. I call Gene and tell him that I will probably be late for the interview. He tells me not to worry and that I should get a motor-bike taxi. “What should I say?”, I ask. “Let me talk!”, replies Gene. I then find myself on the back of a motor bike wearing no helmet. The thing is driven by a mysterious carrier furiously , passing all the buses, cars and most other motor bikes — a true pro Bangkok taxi-motor-bike driver. After a few calls and plenty of frisky, after-midnight text messages, I am about to knock on the door of Gene’s flat. HATE: For those who don’t know your music yet, what would be some sort of brief description? Gene: It’s basically based on electronic music and also is quite pop, I take melody seriously. It’s a mixture of different music that I grew up with, combined with earthly sounds and world music. It’s very much a cross genre sound, but still based on electronic music. I would make demo reels and then write my own words and stuff; there are only a few Thai songs because I’m really shit at writing in Thai. HATE: So you‘re not so much feeling as a Thai but you are very much Bangkok, right? Gene: Oh yeah, Bangkok inspires me a lot! It’s a very unpredictable and very random city; Sometimes I still see something and think: “What the fuck is that?” Changing all the time and moving, moving, moving. But then again there are some areas that are not moving any
“Thai people wouldn’t throw a brick at your face if you’re queer as long as you don’t come across their cocks and as long as you have respect for the non-gays.”
where; they are just the same old. So you get modern areas, you get these old areas that are sort of locked up, being preserved in time, and also you still have some totally fucked up areas. Yeah, it is quite inspiring to see the differences that coexist in such close proximity. Also, Bangkok is very tropical and very sexual and my music is just the same. HATE: Yes — Bangkok is a very sexy city but not of the cheap, banal and often misinterpreted kind most ‘westerners’ like to think of it. Gene: Yes, it has a very sexy character. It might be the food (laughing) — hot food makes people feel hot (laughing even more) and then put the heat atop! It also has the rawness of the surroundings and their vibes and I love Bangkok because I can never expect anything at all — the spontaneity just draws me into it. HATE: Yeah. Many cities have spicy food and a tropical climate but yet no other city is like Bangkok. Gene: I guess Thai culture makes it very sexy. We really, sort of let go in so many ways. We are really laid-back and just love to have a good time. And in that aspect I may be a ‘typical’ Thai, like respecting elders … or even with the younger ones. (laughing) HATE: So now you are talking about your boyfriends … Gene: No, I just have lovers. (laughing) HATE: Whatever you like to call them … Gene: Yeah, I had lots of boyfriends but I am a one-on-one person, I totally like to spoil myself while the good thing lasts. I just enjoy it and let it go and in the end just move on. I don’t work hard to make it work. When love is fading I know I have to end it. So my longest love lasted a year. HATE: So are you monogamous when love comes to you? Gene: Yeah, I can be until I run out of love and then it’s just time to say good bye … I mean, what can you do?! HATE: That’s very honest. Gene: Yeah, it kind of is. Right now I have three different lovers and they are all bisexual. They are not here all the time. They come and go. HATE: Are they Thai? Gene: Well, I am basically into the ‘white mentality’. HATE: What’s that? Gene: It’s — the whiter the better!! (laughing a lot) HATE: So you are part of this ‘national fetish’ of loving white farang guys which means you like white boys? Gene: “National fetish” — wow, that’s such an overrated sentence (laughing). Why do you have to generalize like this? For me, the reason why I like foreigners is that I see them as something exotic. Their opposite attraction and difference:, bigger cocks and bigger bones and figures. Maybe also their freer way of expressing oneself, probably freer than most Thais. When you first meet a Thai person there are so many walls that you have to break, like the shyness, or their constant need to be polite and nice to people, which makes them unable to be completely honest and say what they really mean. HATE: Sure, but why always and only white? Gene: Not always. And not only. Sometimes brownies can be cool too. Honestly, I can’t speak for all of them but I like my men white. Period. HATE: Period! But what do you think — what’s your deeper, subconscious if you like, reason for constructing such a desire? Gene: I just remember what my mom told me many times: “If you have nothing to eat, eat man,” but she didn’t say anything about skin color
(laughing). It’s simply a mysterious personal choice of taste in men, I guess. HATE: I like your mom. Anyway, lets twist the thing the other way round and analyze another bad, if not even worse, phenomena very present in queer communities (and not only there): White guys who say “no Asian please” — what do you think of that, or of them? Gene: Like when I say “no gay men please”? People make their own choices and I’m respectful to those who say exactly what they want and then go and get it without wasting another’s precious time. HATE: Thailand has a very big queer scene. In ‘western’ societies this kind of liberation was reached through strong political and social movements. How do you think did it all happen here? Gene: Thai people wouldn’t throw a brick at your face if you’re queer as long as you don’t come across their cocks and as long as you have respect for the non-gays. Thai culture has been politely gay itself for a long time, so to be gay here is pretty much written in the history. HATE: It’s a very gay friendly society but do transgender persons even share a longer history of a wide social presence and acceptance? Gene: Not so sure about acceptance in the past, I don’t think people really knew what it was; it probably was the experimenting roles in their performing acts or some kind. They probably saw some trannies and said “wow, that’s so pretty” and turned away. (laughing) HATE: You play a lot with masculine/feminine roles. Is it all part of your stage performance or is there something more? Gene: I never used to dress like a woman when I was a kid or anything. The whole thing started when I dyed my hair blonde first time at age 21. Eventually I got bored with the whole gay scene culture and started to play with women’s clothes on. I liked playing with them because it is like expanding the choice of fashion combinations while at the same time having even more fun. It’s more like a world you want to step into because there is more selection in girls’ clothes than in boys’ so it’s like ‘oh wow heals’, so you get some heals. And me and a few friends dress-up, go out and have fun. I never thought or felt as a lady boy, nor neither lady boys see me as one of them. They perceive me just as some strange artist who experiments with women stuff. HATE: Buddha and the King are holy for most of the people in Thailand. You’re no exception, aren‘t you? Gene: Three actually: the Nation, the Religion, and the King. These three things rule the country, not necessarily in that order. I am not a very practical Buddhist as I don’t go to the temples and pray to God for what it’s worth. I only believe in goodness, the good thinking, good acting, speaking good to myself and others and the Karma of it: being responsible for my own actions and trying to be conscious at all times. You can’t talk bad about the King; I mean it’s totally illegal to talk bad. It’s a very God-like kind of thing. I don‘t feel like I’ve been forced to love the King or anything — it just came naturally because we had been told that this is your King, basically. The reason we like him so much is that he has done so many things for the people; he walks everywhere regardless of flooding, slums, or anything. He makes peace with anyone; anytime anything comes along, he appears and everything becomes smooth again. I know you westerners wouldn’t understand why, but this is how we Thai people are and always will be. HATE Seite dreizehn
Dass es aber das Schwerste der Welt ist, Gefühle adäquat darzustellen, weiß jeder, der schon einmal „Ich liebe Dich“ sagen wollte, ohne „Ich liebe Dich“ zu sagen.
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Das verobjektivierende „Man“ des Feuilletons und das subjektive „Ich“ der Popkritik sind nicht nur zwei Pole der Kulturkritik, sondern nivellieren beide Widersprüche und damit die Debatte um das richtige Kunstverständnis selbst. Warum dieser Streit aber so wichtig ist, erklärt Nisaar Ulama.
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Die Kunst, zu streiten
Über Kunst lässt sich nicht streiten.“ Die scheidet sich der klassische Journalismus gegen? Hochkultur und Bildungsbürgertum – Volksweisheit verrät viel über das Ver- deutlich von einer Pop-Herangehensweise. und ihre Verachtung für das Alltägliche, das hältnis zur Kunst, das eine Gesellschaft Das Feuilleton kann sich eine Schilderung des Banale, das Einfache, das Massenhafte, den pflegt. Der Gestus des Spruchs ist bür- Subjektiven aufgrund seines Objektivitätsver- Affekt. Es galt also diese kulturellen Hierarchigerlich-repressiv: Er will versöhnen um je- sprechens nicht leisten. Es gehört zum guten en zu überwinden. Pop trat an, das demokratiden Preis und verweigert gleichzeitig das Ton der Zeitung, dass sie ihren Autor in der sche Versprechen der vertikalen Gerechtigkeit Gespräch. Allerdings, es scheint mehr da- Neutralität versenkt. Deswegen wird sich vom auch in der Kunst einzulösen. Diese Programhinter zu stecken. Denn die Auswüchse „Ich“ distanziert und auf das neutralere „Man“ matik formulierte am trefflichsten Leslie Fieddieser Verweigerungshaltung finden sich ausgewichen. Und das nicht ohne Perfidie. Der ler, als er 1969 den Aufsatz Cross the border, an allen möglichen Fronten, die in irgend- unsichtbare Dritte ist ja eigentlich Stellvertre- close the gap veröffentlichte: „Die Vorstellung einer Form über Kunst berichten wollen. ter für die erste Person Plural: Stillschweigend von einer Kunst für die „Gebildeten“ und einer Die Frage entzündet sich an dem Para- wird dem Leser eine Verschwisterung mit dem Subkunst für die „Ungebildeten“ bezeugt den dox, das uns Kunst auferlegt. Wie Wor- Autor aufgedrängt. Wenn „Man“ gesagt wird, letzten Überrest einer ärgerlichen Unterscheite finden für etwas, das sich Worten ist eigentlich „Wir“ gemeint. Also alle. dung innerhalb der industrialisierten Massenentzieht? Wie teilt man mit, was das ent- Weil sich das Feuilleton nicht mit Subjekti- gesellschaft, wie sie nur einer Klassengesellscheidend Richtige oder Falsche an ei- vem aufhalten kann, muss es sich auf das schaft zustünde.“ Was es hier zu überwinden nem Song, einem Gemälde oder einer Fo- wenige Objektive stützen, was Kunst zu bie- galt, war für Fiedler nicht weniger als die Motografie ist? Jede Umschreibung muss sich ten hat. Und das ist nicht das Werk, sondern derne insgesamt – weswegen er auch sovorwerfen lassen, das Wesentliche gerade sein „faktisches Umfeld“. Neben allerlei Ge- gleich eine postmoderne Literatur forderte (er Während der Feuilleton-Journalist sich hinter dem ›Man‹ verstecken muss, lässt der Pop-Journalist alles an vorhandener Subjektivität raus, was er hat. nicht zu treffen. Das hat seine Gründe. Kunstwerke entzie- schichtchen um die Entstehung des Titels brachte den Begriff aufs Tableau, als ihn noch hen sich unseren objektiven Urteilskategori- oder Ähnlichem steht vor allem der Schöpfer niemand verwendete). Entscheidend aber ist en. Über eine Aussage der Form „Dieses Bild im Zentrum des Interesses. Hier kann sich je- das neue Selbstbewusstsein, dass er jedem ist blau“ lässt sich schnell Einigkeit erzielen, der Journalist in Faktenhuberei und biogra- Autor zuteil werden ließ. Denn überwunden jedenfalls wenn man sich auf ein bisschen na- phischen Anekdoten üben, ohne sich auf das werden sollte besagte Kluft von einem Indiiven Realismus einlässt. Ob (und warum) ein dünne Eis der Werkinterpretation begeben viduum, das im Text auch endlich seine volle Bild allerdings als zum Beispiel „schön“ gelten zu müssen. Beliebt sind Schlüsselmomente Subjektivität ausleben durfte. des Künstlerlebens, die vom findigen Autor Das ist ja der Witz an Pop: Nicht irgendwelkann ist weitaus schwieriger zu verhandeln. Zum Anderen liegt es in der Natur von Kunst- irgendwelchen Teilen des Werkes zugeschrie- che obskuren Regeln eines Kanons entscheiwerken, dass sie „wirken“, d.h. irgendeine ben werden. Nicht umsonst werden Inter- den, was gut oder schlecht ist, sondern allein die Wirkung. Stilistische Grenzen gelten nicht Form von Stimmung und Empfindung auslö- views immer beliebter. sen. Das mag zwar für alles mögliche in der Dass Person und Werk als notwendig enge Ver- – was zählt ist, dass mich etwas bewegt. DesWelt gelten. Bei gegenständlicher Kunst aber knüpfung angesehen werden, ist entscheidend. wegen spricht Pop auch so gerne seine Rezilässt sich dieser Eindruck mit dem verknüp- Hier lässt sich eine Antwort zu der sperrigen pienten direkt an. fen, was uns gezeigt wird: Beispielsweise ist Frage herauslesen, die bei jedem Gespräch Das hat auch Konsequenzen für die Schreibe über Kunst. Während der Feuilleton-Journaes das entblößte, verzweifelte Mädchen auf über Kunst im Raum steht: Was ist Kunst? der Flucht vor der Hiroshima-Apokalypse, Das Feld der Positionen hierzu ist naturge- list sich hinter dem „Man“ verstecken muss, das uns im Anblick des entsprechenden Fo- mäß unübersichtlich. Zumal spätestens seit lässt der Pop-Journalist alles an vorhandetos ein mulmiges Gefühl beschert. Bei Musik Duchamp und seinen Readymades Kunst- ner Subjektivität raus, was er hat. Er darf unfehlt dieser eindeutige Bezug, wir sind viel- werke selbst ein Beitrag des Diskurses sein umwunden vom „Ich“ und seinen Erlebnissen mehr auf unsere persönliche Empfindungs- wollen. Wenn auch die Rezensenten in den sprechen. welt angewiesen. Dass es aber das Schwers- allerwenigsten Fällen hierzu Stellung bezie- Tatsächlich scheint das auch die einzig lote der Welt ist, Gefühle adäquat darzustellen, hen, legen sie doch eine klare Prämisse offen: gische Reaktion auf das Kunst-Dilemma zu weiß jeder, der schon einmal „Ich liebe Dich“ Kunstwerke können nicht für sich alleine ste- sein. Denn anstatt mit pseudo-objektiven Faksagen wollte, ohne „Ich liebe Dich“ zu sagen. hen. Sie stehen am Ende einer unaufhebba- ten aus der Künstler-Biographie um sich zu Den meisten jedenfalls erscheint das zu ren Kausalkette, die mit dem Künstler beginnt. werfen, kann der Autor seine Empfindungen schwierig. Diskussionen über Kunst enden Demnach ist das Kunstwerk immer Ausdruck und Erfahrungen zur Sprache kommen lasschnell in der kommunikativen Sackgasse. Ar- des Künstlers. Er hat für seine Gedanken und sen. Subjekt hin oder her, Kunst muss nun gumente über das qualitative Für und Wider Gefühle eine besondere Sprache gefunden, mal berühren, das war auch schon vor Pop eines Werkes werden meist mit einem Hin- die sich eben in Gemälden, Musik oder Lyrik so. Einem Sprecher, der hiervon berichtet und weis auf die Ungenauigkeit der Sache abge- widerspiegelt. Das Kunstwerk wird so zum seiner Subjektivität freien Lauf lässt, wird aulehnt: Alles scheint zu subjektiv, es sei halt Vehikel für den Seelenhaushalt des Künstlers. ßerdem besondere Beachtung zuteil, denn: Er „Geschmackssache“. Folgerichtig wird nicht Diese Haltung hat am kühnsten der „Wiener gilt als authentisch. nur eine Unterhaltung, sondern erst recht ein Kreis“ formuliert: Kunst ist schön und gut, Allerdings, das Ergebnis ist meistens ernüchStreit über Kunst abgelehnt. aber gleich der Metaphysik taugt sie eigent- ternd. Die Parade-Disziplin des Pop-JournalisDas Grundproblem ist also die fehlende Diskus- lich nur als Stimmungsaufheller und Zierrat. mus, die Platten- oder Konzertkritik, verhedsionsbasis: Wie lassen sich subjektive Eindrü- Sinnvolle Erkenntnisse über die Welt sind von dert sich mittlerweile in billigen Metaphern cke mittelbar machen – also objektivieren? Wie ihr nicht zu erwarten. So werden Kunstwerke und platten Versuchen, Stimmung zu erzeuspricht und streitet man über Kunst? Die Ant- zwar geliebt und bewundert, allerdings nicht gen. So lässt sich Einblick in den Seelenwort entscheidet auch darüber, wie ernst Kunst ernst genommen (Frauen wird das Motiv be- haushalt des Verfassers gewinnen, leider überhaupt genommen kannt vorkommen). Ein Begriff der „Wahr- allerdings nicht in das Werk, über das ja eiKunstwerke können nicht für sich alleine stehen. Sie stehen am Ende einer unaufhebbaren Kausalkette, die mit dem Künstler beginnt. werden kann. Das Problem lässt sich heit von Kunst“ ist jedenfalls aus dieser Per- gentlich berichtet werden soll. Häufig eringut an zwei bereits er- spektive nicht erkennbar. Hier bricht auch nern die Text in ihrer Bemühtheit eher selbst wähnten Fronten be- die Kopplung von Hochkultur (was auch im- an schlechte Bands: Man merkt ihnen an, obachten: der traditio- mer das sein soll) und Feuilleton. Letzteres hat dass ihr Autor sich überschätzt und originell nellen Hochkultur und sich selber einen eigenen Weg der Populari- um jeden Preis sein möchte. Das beschert ihrem publizistischen sierung zurechtgebastelt. Nur eben einen, der uns dann in der Plattenkritik die nicht totRefugium, dem Feuille- sich immer noch zurückhaltend gibt. zukriegende Metapher des Soundtracks: Ob ton. Außerdem am Ge- Wenn sich der „klassische“ Feuilleton-Dis- für irgendeine Jahreszeit, gleich für das gangendiskurs: Pop und kurs auf den Künstler konzentriert, um das ze Leben des Autors oder für eine möglichst seine vielfältigen Aus- Werk zu vernachlässigen, so bringt alles, was abstruse (also: originelle!) Situation: „Das ist wüchse, die im Inter- sich irgendwie „Pop“ nennt, endlich den drit- ein super Album, um Analsex mit der Nachbarin net ein, wie es scheint, ten Akteur ins Spiel: den Rezipienten. Denn zu haben, nachdem man zwei Tage wach war.“ Ja, ideales Verbreitungs- wenn man irgendein Kriterium der vielfälti- schönen Dank – wenn man jetzt bloß noch medium gefunden ha- gen Textgattung „Pop“ nennen müsste, dann wüsste, wie sich Analsex mit der Nachbarin ben. Die Grenzen ver- am ehesten wohl die emphatische Betonung des Autors anfühlt. wischen zunehmend des schreibenden Ichs. Diesem streng subjektiven Standpunkt wohnt (zu gunsten von Pop). Auch das hat seine Hintergründe, und die eine Haltung inne, die man bequemlich, weniDoch zumindest in sind nur zu verstehen, wenn man die Idee von ger wohlwollend feige nennen muss. Wer nur der Grund idee unter- Pop als einer Gegenbewegung aufgreift. Wo- sein Gefühl sprechen lässt verabschiedet sich HATE Seite fünfzehn
von jedem Anspruch auf Wahrheit und belässt es eben bei der subjektiven Meinung. „Wahrheit“ hat hier nichts mit der Kenntnis um letzte Gewissheiten zu tun. Doch jede Aussage über die Welt kann Bedeutung nur dadurch erlangen, dass über sie von Anderen gerichtet werden kann. Gerade weil Wahrheit immer etwas Relatives hat, sind wir auf ihre soziale Bestätigung angewiesen. Eine Privatsprache, die sich diesem intersubjektiven Moment der Sprache entzieht, wäre nicht nur asozial – sie könnte überhaupt keinen Weltbezug herstellen, und wäre somit eigentlich auch gar keine Sprache. Wer es schafft, seine Euphorie über ein neues Album so zu begründen, dass Einspruch erhoben werden kann, hat bereits den ersten Schritt getan, einen Streit anzustiften. Was in der Theorie dramatisch klingt, lässt sich wenigstens tendenziell an der bloßen Meinung ablesen: Sie hat den Vorteil, immer richtig zu sein. Wer irgendwas irgendwie findet, wird kaum Widerspruch ernten. Wogegen sollte er sich auch richten? Gegen ein „falsches Gefühl“? In Blogs und Foren wird sich deswegen – bei beliebigem Thema – schnell mit dem Hinweis auf diese „eigene Meinung“, die ja wohl jedem zustünde, in die sichere Bastion der Indifferenz zurückgezogen, falls sich Widerstand regt. Eine solche Meinung, die sich nicht auf Streit einlassen will, ist allerdings nichts wert. Und deswegen sind die subjektiven Erlebniswelten der Pop-Kultur auch nicht hilfreicher als der künstlich-neutrale Feuilletonist: Beide verabschieden sich davon, einzig und alleine dem Werk in seinem vollen Anspruch auf künstlerische Wahrheit zu begegnen. Das allerdings ist die Voraussetzung, um über Kunst zu streiten: Man muss sie ernst nehmen. Das umschließt auch, sich die Mühe zu machen, auf zugegeben schwammiger Basis über objektive Eigenschaften zu verhandeln. Jedes Werk hat solche – nur gefunden werden müssen sie eben. Und genau hier liegt die Clou: Erst im Streit darüber treten sie überhaupt zutage. Wer es schafft, seine Euphorie über ein neues Album so zu begründen, dass Einspruch erhoben werden kann, hat bereits den ersten Schritt getan, einen Streit anzustiften. Und wer streitet, dem geht es um Wahrheit. Kunst braucht, gleich in welcher Form, genau diesen Streit, damit sie überhaupt sein kann. Kunst ohne Streit heißt also schlicht: Welt ohne Kunst.
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In Köln wird der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann bis heute als lokaler Underground-Held gewürdigt und gefeiert, gleichzeitig findet man in seinen Texten einen immensen Hass auf die westdeutsche Stadt am Rhein. Christopher Strunz untersucht diesen Hass, auch in Hinsicht auf seine eigene Kölner Geschichte, und findet heraus, dass es mehr um Alternativen als um Alternativlosigkeit geht.
A
Eine andere Umgebung ist möglich
ls ehemaliger Kölner, wie so viele, – nicht nur aus dem Kunstbetrieb –, aus der Stadt nach Berlin umgezogen, kenne ich die lokale Verehrung von Rolf Dieter Brinkmann, die nicht selten in harschem Kontrast zu den in Texten vorgestellten Beschreibungen und dem Bild der Stadt steht. Brinkmanns Texte widersprechen dem kleinlichen Kölner Lokalpatriotismus, den es nach wie vor gibt. Gleichzeitig scheint das Abstoßende, negativ Aufregende an der Stadt Köln und ihren gegenwärtig eng begrenzten sozialen Möglichkeiten diesen Autor immer wieder zum eigensinnigen Schreiben von Texten inspiriert zu haben, in denen es um Stadt, genauer: diese westdeutsche Stadt am Rhein geht. In der fast einstündigen Hörcollage Die Wörter sind böse, die Rolf Dieter Brinkmann 1973 für das WDR Radio produzierte, zeichnete der Autor auf ein Tonbandgerät sprechend eigene Wahrnehmungen in der Stadt auf – in seiner Wohnung, in den Straßen, auf den Plätzen, in Parks. Die gesammelten Tonbänder sind später unter dem Titel Wörter Sex Schnitt auf CD veröffentlicht worden, die wiederum Grundlage für den das authentische Leben des Autors in Köln rekonstruierenden Spielfilm Brinkmanns Zorn von Harald Bergmann gewesen sind. Warum wählt ein vielseitiger Schriftsteller in den 60er Jahren eine Stadt als Ort des Schreibens, die er zu hassen scheint? Oder hat er diesen Hass auf Köln erst zwischen den 60er und den 70er Jahren entwickelt? In Die Wörter sind böse richtet sich seine Abscheu genau gegen (die Stadt) Köln, in Differenz zu anderen Orten: „Köln ist die schmierigste Stadt, die ich kenne. Die schmierigste, versauteste, dreckigste, blödeste, verschissenste, verpinkeltste, stinkendste Stadt. Eine so tote und öde Stadt, in der alles Leben erstirbt. In der es keine lebendigen Situationen mehr gibt, in der alle Situationen zerfallen, in der die Leute einander hassen und sich verkriechen. Jetzt gehe ich zum Beispiel diese Straße entlang. Es gibt hier keine Farben mehr. Ich sehe hier keine Farben. Nur ein bleiches Grau und dann ein Schwarzgrau, dann ein verdrücktes, verzwängtes, muffiges, häßliches Schwarz, dazu diese bleichen Neonlichter. Keine Bäume, hinten das Hochhaus, es ist fünf vor eins, ich geh am Friesenplatz entlang, muffig, grau, öde verwaltet. Sie machen alles plan, sie rotten überall alles aus, die Mehrzahl rottet alles aus, überall diese Popmuffsänger, die sollte man auch mal bald so von der Bühne treten.“ Zu behaupten, Rolf Dieter Brinkmanns Hass auf Köln ziele auf diese Stadt als urbanes Symbol für den Mainstream der westdeutschen Gesellschaft Anfang der siebziger Jahre, gegen die sich der einzelne Schriftsteller als rebellisches Subjekt poetisch auflehnt, ist eine nahe liegende Lesart, entspricht aber nicht dem besonderen Bezug in seinen Texten zu dieser realen Stadt. Rolf Dieter Brinkmann hat relativ lange in Köln gewohnt und gearbeitet, die Wahrnehmung des besonderen Kölner Stadtbilds ging in die Produktion seiner essayistischen und deutlicher fiktionalen Texte über. Hätte Brinkmann genau so gewütet, wenn er damals in München, Hamburg oder Berlin gewohnt haben würde? In Köln kennt man allgemein die Abscheu, den Ekel vor Köln. Er ist inzwischen Bestandteil eines andauernden alltäglichen Diskurses, wie der tendenziell gemütliche Lokalpatriotismus. Nicht erst, seitdem viele von Köln nach Berlin umgezogen sind. Brinkmanns künstliche Rede – in der Hörcollage für das WDR Radio – führt ein ausgeprägt entfremdetes Verhältnis zur eigenen Stadt sprachlich, akustisch vor, das es bis jetzt in dieser krassen Widersprüchlichkeit nur in der westdeutschen Rheinstadt gibt. Allgemein scheinbare Gemütlichkeit gemischt mit dem Hass auf den eigenen urbanen Ort – von dem man in der einen
oder anderen Weise Teil ist – und seine Unmög- gesteuerten Blick Hass des Autors auf den eigelichkeiten. Es ist nicht einfach nur Rolf Dieter Brink- nen Ort der Wohnung auszumachen. Es ist eine mann, der seiner subjektiven Abscheu vor der ob- andere Umgebung, welche der Text im Blick auf jektiv hässlichen Stadt Köln Anfang der siebziger das Reale, wie die eigene Wohnung, beim Lesen Jahre Luft macht; sondern die künstlerische Be- und Sehen produziert. Die Künstlerin Jutta Koezugnahme auf einen massiven, das heißt alltags- ther hat diesen Effekt im Magazin Spex 1993 als geschichtlich andauernden allgemeinen Diskurs, kollektiven Neu-Existenzialismus beschrieben, der die erstickende Widersprüchlichkeit zwischen „Wie wir leben und warum.“. Brinkmanns Hass auf scheinbarer Nettig- und Gemütlichkeit und dem Köln ist keine Antiwerbung für die Stadt. Seine Ekel vor dem eigenen Ort auf Dauer stellt, ohne Beschreibungen ermöglichen andere Sichtweisen an ihren grundlegenden gegenwärtigen Bedingun- und andere kollektive Beschreibungen von Stadt gen etwas ändern zu wollen. als Umgebung. Stadt anders denken. Darum geht Das heißt nicht, dass Köln in Wirklichkeit, in Re- es, nicht um ästhetische Feinheiten oder die Feilativierung von Brinkmanns Polemik, gar nicht so er des lokalen literarischen Undergroundhelden alltäglich unerträglich ist: Als da weggezogener Rolf Dieter Brinkmann. Autor weiß man vielleicht, warum man die Stadt verlassen und einen anderen Ort zum Wohnen und Arbeiten gewählt hat. Es geht mehr um diesen permanenten Diskurs, der, wie auch einige Texte im Kölnbuch zeigen, immer noch, immer da, in Köln ist. Wahrscheinlich erschließt sich dessen erstickende Widersprüchlichkeit nur denjenigen, welche mal eine Weile in Köln gewohnt haben. Die schmierigste, versauteste, dreckigste, blödeste, verschissenste, verpinkeltste, stinkendste Stadt. Eine so tote und öde Stadt, in der alles Leben erstirbt. In der es keine lebendigen SituaWörtliche Beschreibungen und Bilder von der tionen mehr gibt, in der alle Situationen zerfallen, in der die Leute einander hassen und sich verkriechen. Stadt Köln gibt es in vielen Texten Rolf Dieter Brinkmanns, in seinem ersten Roman Keiner weiß mehr, wie in Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand. Von der sprachlichen Beschreibung einer Umgebung zwischen zwei Romanfiguren bis zur wiedergegebenen, in den sprachlichen Text collagierten Postkartenansicht: „Während der Bahnfahrt, die von Köln aus bis in den Abend gedauert hatte, waren es nur bestimmte ausschnitthafte Vorstellungen von ihr, die sich während des letzten Stücks, das er bis zum Küstenort mit dem Bus fahren mußte, für ihn gedrängter wiederholten, wie es sein müßte, wenn er mit einem Male wieder bei ihr wäre in einer anderen Umgebung, unbelasteter von ihrem Umgang.“ Die Stadt und das vermeintlich Private, als andere Umgebung, werden in Brinkmanns Beschreibung gemischt; die Flucht aus der Stadt ermöglicht Brinkmanns Romanfigur ein konjunktivisches Denken von Stadt, anderer Umgebung: Wie es sein könnte. Mit dieser Romanfigur ist Brinkmann natürlich nicht zu verwechseln. Das Zitat aus Keiner weiß mehr zeigt lediglich, wie eine Romanfigur von Rolf Dieter Brinkmann Stadt als andere Umgebung in Differenz zur realen, beengenden Stadt Köln denkt. Beweist das auf einer Postkarte wiedergegebene schwarz-weiße Bild von Köln in Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand, aus Literaturhinweise einer Flugzeugperspektive, dass der Autor doch Rolf Dieter Brinkmann ein Fan dieser Stadt gewesen ist? PostkartenmoDie Wörter sind böse. Hörcollage. WDR: Köln 1973. tive machen Werbung für das auf ihnen Gezeigte. Fliegt der Autor, welcher das Postkartenmotiv in Rolf Dieter Brinkmann Wörter Sex Schnitt. 5 CDs. Originalden Text collagiert als Betrachter des Bildes weg tonaufnahmen 1973. Intermedium Records: Erding 2005. oder landet er da? Das Bildzitat richtet sich gegen zum Klischee erstarrte, in Beschönigungen befanRolf Dieter Brinkmann Erkundungen für die Präzisierung gene gewöhnliche Bilder von Stadt. Es gibt gleichdes Gefühls für einen Aufstand: Träume. Aufstände/Gewalt/Morde. zeitig zwei denkbare Bewegungen, im zitierten foREISE ZEIT MAGAZIN. Die Story ist tografischen Moment: Wegfliegen oder Landen. In schnell erzählt. (Tagebuch). Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 1987, S. 186. ein erstarrtes Bild mischt Rolf Dieter Brinkmann Rolf Dieter Brinkmann durch das Zitat Bewegungen, als Möglichkeit der Wie ich lebe und warum (1970). politisch anders perspektivischen Beschreibung In: Renate Matthaei (Hg.): Trivialmythen. März: Frankfurt/M. 1970, S. 67-73. von Stadt. Rolf Dieter Brinkmann Rolf Dieter Brinkmanns Essay Wie ich lebe und warKeiner weiß mehr. Roman [1968]. um (1970) ist ein Text aus wie im Comic aneinander Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 1970. gefügten Fotos. Er zeigt die Kölner Wohnung des Harald Bergmann Brinkmanns Zorn. 3 DVDs. Neue Autors in einer bestimmten geschichtlichen SituVisionen Medien: Berlin 2007. ation, (1970). Ist dieser Text typisch für Rolf DieClaudia Honecker, Jörg Sundemeier ter Brinkmanns Hass auf die Stadt Köln? Er zeigt (Hg.) Kölnbuch. Verbrecher Verlag: Berlin lediglich eine ärmlich aussehende Wohnung, auf 2005. Fotos, welche wie in Comic-Panels rhythmisiert Jutta Koether sind. Brinkmanns Text ist keine künstlerische Be„You’re just a piece of action“ (Im Interesse der Unsicherheit). schönigung seiner privaten Umgebung, doch es In: Spex (August 1993), „The German Issue“, S. 42. erscheint ebenso unmöglich, im von den Bildern HATE Seite siebzehn
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Dietmar Dath, Abschaffung der Arten
Eine Liebesgeschichte in drei Akten. Von Laura Ewert.
Love is just a four letter word
„Was gewesen ist, kann verschwinden. Was aber hätte sein können, kann uns niemand wegnehmen.“
Erster Akt Von : Kennst du das, wenn man so in den Rhyth
Von
Von : I ch
glaube, wir können tauschen. Ich gebe dir etwas von meinem (Sprach)raum und du gibst mir etwas von deiner Zeit (losigkeit).
mus der Welt nicht rein kommt? Und man sich auf Treppen vorstellt, man würde gleich stolpern? : Man darf mit allem übertreiben.
Von : Dennoch Von : Ich
Von
möchte dir sofort alle Fragen stellen, die ich habe. Und ich möchte sofort alle Formen verweigern. Und ich möchte sagen: Alles ist endlich. Und dann: Als ich nichts mehr wusste, wusste ich, dass es keine Wahrheit gibt. Weißt du? Weißt du? : Dann erinnere ich mich wieder. An etwas, was ich noch gar nicht wusste, obwohl es mir bekannt vorkommt. Du erinnerst mich an einen schönen kommenden Morgen.
Von : Du
Von : Jetzt dreht sich alles um den eigenen klei-
Von
kein schlauer Mensch. Ich finde damit sollte man nicht kokettieren. Ich hasse Schienenersatzverkehr. Du bist der erste Mensch, der schlauer als ich ist. Von : Ich
Von
Von
Voll falsche Antwort. Schade. ist ja ein Wort, das ich immer als herben Vorwurf verstehe.
Von : Schade
Von : Diese
Von
du, wir haben uns ja jetzt für immer. Die Frage ist nur wie.
wird deine Naivität nur noch von meiner überboten. : Wusstest du, dass ich jonglieren kann? Und verstanden habe ich nichts, außer, dass man zu Leben genauso gut Sterben sagen kann. Und ich finde das ganz beruhigend.
Von : Krass.
Von : Heute
Von
bin der Mensch, der dir in die Augen schaut und sich dabei spiegelt. : Du hast noch nicht bemerkt, wie naiv ich bin?
Von : Offensichtlich
nen Kosmos. Sick. : Ich finde kleine Kosmen immer noch groß genug. Und Zufriedenheit ist für Tote oder Verliebte. ist besser als Gestern und wie gut Morgen sein wird, kann man nicht mal erahnen. : Neben dir aufzuwachen und einzuschlafen ist ein bisschen so, als würde sich das Glücksversprechen aller Kulturen einlösen.
lügst so krass. Das mag ich.
Von : Jetzt fällt mir ein, du behauptest, du seist
Von : Es
Von
ist wie ein Flattern, das zu lesen. Und zwar kein flirriges, sondern eines das weiter oben in der Brust stattfindet. Eines, wo man nicht nur den Kopf verliert, sondern ihn auch gleich wieder findet. Vielleicht weil es weniger mit Psychose als mit Leben zu tun hat. Ein überschauendes Lachen, mit sich über sich. Vielleicht habe ich heute deswegen gedacht, dass all das auch wahrhaftig ist. Und Wahrhaftigkeit kann man doch trauen. Hör nie auf mir vorlesen zu wollen, ja? Oder erst wenn es soweit ist. : Und dann sind nur wenige Stunden vergangen und ich bin angefüllt mit Dingen und Geschichten, die ich dir erzählen möchte. Dabei habe ich dir das meiste schon erzählt. Während ich es erlebt habe. Manchmal versuche ich dich zu vertreiben, aber es gelingt nicht.
Von
ist die Angst da. Wenn ich sie beschreiben kann, du erfährst es zuerst. Es hat was mit Schönheit zu tun. Und der Bedingtheit von Liebe, Kreisen und Tod. : Du bist ein Romantiker, habe ich gestern gedacht. Jemand, der sich rein fallen lässt in Schmerz oder Liebe oder wie das heißt. Ich versuche mich ja immer raus zu winden. Habe ich gestern gedacht.
Sätze, die ich schreibe, sind wie eine Mahnung an alles, was ich schon mal schrieb. Dann hasse ich das. Weil auch an diesen Sätzen so viel klebt, was besser nicht da wäre. : Wäre ich ein Performance-Künstler, ich würde irgendwelche Dinge hochstapeln. Vermutlich auf Marktplätzen von Kleinstädten. Und dann würde ich versuchen zu schreien.
Von : Und
dann würde dich dein eigenes Geschrei erschrecken, da auf den Marktplätzen der Identitäten.
Von : Weißt
Letzter Akt Von : Und
Zweiter Akt Von : Ich
Von
möchte den traurigsten Menschen der Welt küssen. Und wenn du willst, bekommst du alles was ich habe. Vielleicht ist etwas dabei, das du gebrauchen kannst. : Das sind große Versprechen. Vielleicht sollte man in einen Brotautomaten investieren. Die aus dem Teleshop. Zwischen Brot aus diesem Automaten und aus einem Gasofen liegen Welten. Wie ja und jein quasi. Ich habe mir gestern eine Brotbackmischung gekauft, die bewahrt mich vor dem Gröbsten, dachte ich. Aber gerade bin ich mir nicht sicher, ob ich sie ohne Knethaken bewältigen kann.
Von
Von
denk ja nicht, dass emotionale Behinderungen etwas sind, das du exklusiv hast. : Aber wie soll ich lieben, so lange ich nicht leben will? : Du weißt, dass das unser Geheimnis ist, oder? Deine Angst zu sein und meine zu vergehen?
Von : Ich
mag deine Sätze so gerne. Weil da kann man nicht hintergehen, vorbeischauen oder falsch verstehen. Sie sind wie mit dem Rücken zur Wand. (Nicht ohne Grund, denke ich mir.) Irgendwie gibst du mir so eine Art Basis, auf der ich anderes hassen kann. HATE Seite neunzehn
HATE Seite zwanzig
Fotos
Wesley Walters
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New Orleans Haus Creole and Cajun Cuisine
Gรถrlitzer Straร e 42 10997 Berlin Kreuzberg 030/896 554 85 neworleanshaus.de
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Der Bärenjunge Art direction und Fotos:
Bureau AEIOU
Felix Molnár als der Bärenjunge Inga Königstadt / Bella Berlin als Panthera (dreiundzwanzig) Das ungeheure Geflatter (vierundzwanzig) o.T. (sechsundzwanzig) Schattentanz (siebenundzwanzig) Die lebendige Diskokugel (achtundzwanzig) Pferd Leo als Pferd
Kostüme und Performance:
Inga Königstadt / Bella Berlin
o.T. mit Tobias Starke
Es war einmal ein Bärenjunge, der war reich an Güte und beschenkt mit einem prächtigen Fell. Jede Woche begab er sich auf seine Forschungswanderungen durch die fremden wundersamen Länder – denn an Finden, war das Kind nicht zu erfreuen. E ines schönen Sonnenmorgens erwachte der Bärenjunge und bemerkte gleich, dass ihn etwas unvollkommen stimmte. HATE Seite dreiundzwanzig
Es wurde ihm ganz unwohl, heiß und kalt und bange zumute: „Es ist mir doch noch nie abhanden gekommen“, dachte er bei sich, „ich habe doch immer gut auf es acht gegeben“. Doch es war fort. Der Bärenjunge machte sich auf die Suche: „Ich gehe nicht zurück, bevor ich es nicht gefunden habe.“ Er lief vorbei an B ergesblüten und Tälerschatten, an dem ehrlichen Wasser und den unschuldigen Steinen. HATE Seite vierundzwanzig
Doch suchend war nicht nur das Bärenkind. Im dichten Maibuchenwald waren auch die Hungrigen und schlichen ums G eäst. Also holte der Bärenjunge sein güldenes Exitans-Klistier aus der unsichtbaren Tasche, die der Schmiedes-Sohn ihm einst gegeben. Ein Mäusepanther hatte ihn schnell gewittert und fasste einen Plan. Von hinten wollte er den Bärenjungen darnieder reißen, doch als das Fell schon begann ihn in der Nase zu kitzeln, vernahm er den wohligen Geruch des Exitans. Das Bärenkind entließ ein paar Tropfen der Tinktur und der Panther labte sich wohlig daran. Schon bald sollte der Mäusepanther seinen Träumen erliegen. HATE Seite fünfundzwanzig
Das Bärenkind hatte keine Fährte, getrieben war es nur durch die innere Kluft. Grashalm um Grashalm versuchte sich hinter seinen Schritten aufzurichten, die versuchten die Wolken einzuholen. Als die Sonne schon hinter seinem Nacken stand, erreichte er eine Obstwiese. In dem Wipfel eines Apfelnestes brauste der heimliche Wirbel. „Wohin gehst du, Bärenjunge?“ blies das Windeskind. „Ich bin auf der Suche“, entgegnete der müde Junge, „aber meine Füße wollen mich nicht s o schnell tragen, wie meine Begierde verlangt.“ Da blies es im Wipfel: „Ich trage dich hinfort.“ HATE Seite sechsundzwanzig
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Etwas unsanft landete das Bärenkind im Gras und hatte den Windesflug, der sogar die Sonne überholte, doch gar nicht b emerkt. Als er sich den Sand aus dem Fell schüttelte, spürte er die Bewegung des Bodens unter sich. Das Donnern in seinen Ohren wurde lauter. Der Junge erhob seinen Kopf und sah, wie sich das braungraue Horn wilder Pferdehufe vor seinen Augen in den Sand stemmte. „Welch hübsches Fell!“ wieherte der verrückte Paarhufer und wies seinen Reiter an, es dem Jungen abzuziehen. Doch ein weiteres Male holte der Junge blitzschnell sein Exitans-Klistier hervor und betörte das verrückte Pferd mit seinen Aromen. Zur Nacht suchte der Bärenjunge sich ein Lager. Müde ließ er sich nieder und sehnte sich so sehr, dass ihm das Fell schlapp am kleinen Körper lag. Traurig dachte der Junge an seine Suche und bemerkte nicht gleich, wie der Schatten hinter ihm immer größer wurde und ihn abschattete von all seinem Mut. Ein leises Schluchzen entkam dem kleinen Jungenhals, als er sich umdrehte und den dunklen Schatten sah. „Ich weiß ganz genau, wie man dich austrickst, du kalte Schattengestalt“, flüsterte das Kind und versteckte seine ganze Angst hinter den großen Bärenaugen. „Meinen Mut wirst du nicht abschatten.“ Dann schlief er friedlich, aber alleine ein. HATE Seite neunundzwanzig
Mit der Sonne erwachte auch das suchende Kind. Es nahm sich einen Ast, um seine Zähne sauber zu kauen und machte sich mit kleinen Augen auf seinen Weg. Es schaute in die tiefsten Schluchten, in die Augen ihrer Echomonster, steckte seinen Kopf in erdige Hasenhöhlen und fragte die Vögel. Doch es war nicht zu finden. Der Bärenjunge ließ den Kopf sinken, bis er zur Abendstunde die Ufer eines Sees erreichte. Als seine kleinen Zehen in den Matsch stießen, schaute er auf und erblickte etwas Funkelndes vor sich. Auf dem Wasser schwebte etwas so Schönes, wie er es noch nie zuvor erblickt hatte. „Es muss die Reinheit sein“, dachte der Bärenjunge und vernahm den Gesang der Sirenen. Und dann, als sich der Nebel lichtete, sah er es leuchtend. Die glitzernde Gestalt erhob ihre Arme. Den Bärenjungen überkam die müde Welle des Glückes. Hier sollte er es also finden, in den Händen der fremden Vertrautheit. Er atmete tief durch die Bärennase, roch an der Erfahrung und ließ sich ins Wasser gleiten, dem Gesuchten entgegen. HATE Seite dreißig
HATE Seite einunddreiĂ&#x;ig
1.
«L’architecture est l’art d’organiser l’espace.» Auguste Perret
2.
It is the pervading law of all things organic and inorganic, Of all things physical and metaphysical, Of all things human and all things super-human, Of all true manifestations of the head, Of the heart, of the soul, That the life is recognizable in its expression, That form ever follows function. This is the law. Louis Sullivan (1896)
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3.
„People say that they do not want to live near where they work; but that they would like to work near where they live.“ Zev Cohen
Der Werkstoff Beton steht für eine Architektur, die nicht als schön, höchstens als funktional, auf alle Fälle jedoch als gescheitert gilt. Das ist ein großer Irrtum, meint Jonas Gempp, denn Beton kann nur im Kontext der Geschichte verstanden werden und ist als wunderbares Material Grundlage für Baukunst im 20. Jahrhundert.
B
eton ist der wohl bekannteste Werkstoff. verbietet, katholische Privatschulen wohlwollend Beton und die damit assoziierten archi- unterstützt und sich gerne als das gute Gewissen tektonischen Ausprägungen werden von er- des deutschen Bildungsbürgertums geriert. Geseklärten Kulturliebhabern zumeist abgelehnt, hen und rezipiert wird eine Oberfläche, die histoalso jenem Menschenschlag, der Kultur ei- risch entkernt und mit dem Mythos vom Kulturvolk gentlich nicht als etwas Statisches begreift, kombiniert wird. Diese Art der Geschichtsklittesondern die Notwendigkeit eines Verände- rung reduziert Architektur auf ein sozialisiertes, rungsprozesses immer im Auge hat. Das hat nationales Ästhetikempfinden. Die deutsche Kultur verschiedene Gründe; der erste und offen- spiegelt sich eben in den Bauten der Prachtstrasichtlichste ist die Farbe. ße Unter den Linden wieder, so die simple Logik. Grau kommt er meist daher, unverputzt ist er Doch alleine mit einer vom grauen Arbeitsalltag unsymmetrisch gemasert, ohne das wie Holz entfremdeten Arbeiterschaft, dem konservatimit seiner natürlichen Herkunft rechtferti- ven Bürgertum und der Trauer über das Ende der gen zu können; als Versprechen der Moder- Volksgemeinschaft lässt sich wohl kaum die Abneine steht er immer im Verdacht, für das Ende gung erklären, die Beton erfährt. der guten alten Zeit und für den Bruch mit Tra- 2. Der Städtebau der 50er und 60er Jahre als soziditionen verantwortlich zu sein. Grau ist die alutopisches und technologisches Projekt hatte Tristesse des Alltags, grau sind die Autobahnen, durchaus einen fortschrittlichen Charakter (wie auf denen sich der Pendler jeden Morgen in lan- die Charta von Athen und die Ablehnung von ge Autoschlangen einreiht, um den Arbeitsplatz Dichtbesiedlung und Mietskasernen beweisen) in der Stadt zu erreichen; am Abend verlässt er und war keineswegs von Beginn an der zum Scheidiese wieder, er lässt die Betonwüste, wie das ge- tern verurteilte soziale Brennpunkt, als der er im sammelte Auftreten von Gebäuden und asphaltier- Nachhinein wahrgenommen wird. Gerade die Berten Plätzen gerne genannt wird, zurück und be- liner Gropiusstadt, die Dank Christiane F. als Symgibt sich zurück zu Natur, Familie und versucht bol für Verslummung, Verwahrlosung und Fehler sich durch die bunten Bilder der Kulturindustrie vom Arbeitsalltag abzulenken. Grau steht sinnbildlich für die als negativ aufgefassten Implikationen von Moderne, Aufklärung und Fortschritt; für den Kater nach dem Rausch der Wirtschaftswunderjahre, als die funktionale Füllung von bombeninduzierten baulichen Lücken, die bundesrepublikanische Innenstädte verband. Der zweite Grund ist der Bruch mit der Tradition: Deutschland, das Land der Dichter und Denker, dichtete und dachte sich in die Barbarei. Die Träume vom tausendjährigen Reich und der arischen Volksgemeinschaft fanden sich in den monumentalen Entwürfen Albert Speers wieder, Germania wäre wohl als die Natursteinmetropole in die Geschichte eingegangen, wenn nicht alliierte Bomber die Pläne durchkreuzt, damit den Grundstein für die Betonie- bei der Stadtplanung herhalten muss, war jahrung der Innenstädte gelegt hätten und im Rahmen relang ein bevorzugtes Wohngebiet mit Nahereiner prosperierenden Wirtschaft neue Raumauftei- holungsmöglichkeiten und geschickter Raumauflungskonzepte in der Stadt- und Wohnungsplanung teilung. Auch wenn sie nicht den ursprünglichen relevant wurden. Vollbeschäftigung und ständiges Plänen entsprechend umgesetzt wurde und man Wachstum machten es leicht, das Verschwinden ar- die im Konzept Gropius’ vorgesehene Weitläufigchitektonischer Anknüpfungspunkte an die ruhm- keit durch mehr Wohnraum und höhere Gebäude reiche deutsche Geschichte und die Zunahme von ersetzte, begann der Verfall der Gropiusstadt erst Beton als Baustoff zu ignorieren, denn Beton war in den 70er Jahren, als spätestens mit der Ölkrise das bevorzugte Material dieser Nachkriegsära langsam klar wurde, dass es kein ewiges Wachsund die Fortsetzung der Architekturmoderne, die tum geben würde und Arbeitslosigkeit und soziale in Deutschland zu Gunsten des Neoklassizismus Segregation zu einem flächendeckenden Problem und des Natursteins zwölf Jahre pausieren musste. wurden, das sich vor allem in den MustersiedlunDas macht sich heute in den aktuellen Architek- gen der Boomjahre manifestierte. turdebatten umso deutlicher bemerkbar. Groß war Doch nicht nur in Deutschland war der Städtebau das Geschrei 2007, als die Museumsinsel in Berlin durch Beton und ein schlüssiges Lebensraumkonnicht 1:1 restauriert wurde, sondern David Chipper- zept geprägt. In Le Havre, Frankreich hatte Aufield es wagte, Neues mit Altem zu kombinieren, guste Perret nach dem Krieg bereits 1945 damit den Eingangsbereich der Museumsinsel mit einem begonnen, den Wiederaufbau der komplett zergelungenen Betonensemble zu ergänzen und eine störten Innenstadt zu planen. Schon 1950 waren moderne Formensprache zu benutzen. Da schrie- seine Immeubles sans affectation individuelles (Geen sie auf, die Knallchargen des deutschen Bil- bäude ohne einzelne Zuordnung) teilweise bezugsdungsbürgertums, und Günther Jauch, der bräsi- bereit. Als Anhänger von Waschbeton strukturierge Hochkulturtrottel mit dem Klobürstencharme, te er das innerstädtische Leben in der Hafenstadt führte den „Rettet die Museumsinsel“-Mob an. Die neu und schaffte es bereite Mitte des JahrhunForderung, restaurierend und „nah am Original“ derts, die Vision des modernen Wohnens umzuzu bauen, den historischen Kern Berlins zu erhal- setzen. Mit seiner funktionalen Rationalität kam ten, und der Zuspruch, den diese Forderung erhielt er den Bedürfnissen der Wirtschaftswunderjahund erhält, deuten auf ein verstörend rückständi- re zuvor, und wenn man heute die konservierten ges Verständnis von städtischer Architektur und Musterwohnungen betritt, faszinieren die Präzisiein äußerst oberflächliches Geschichtsverständ- on der Planung, der optimale Lichteinfall, das menis hin. Die Konservierung von Bögen, Putten und chanische Belüftungssystem und die technischen preußischer Gloria passt zum elitären Akademiker- Ausstattung allgemein. Ganz zu schweigen vom habitus Jauchs, der seinen Kindern das Fernsehen schnörkellosen Mid-Century-Stil der Inneneinrich-
Zurück zum Beton
1.
tung, die durch zeitlose, funktionelle Schlichtheit überzeugt. Das neue Bauen in Le Havre war der soziale Entwurf für eine technisierte Moderne und zeigt ihre epische Genialität in der ebenfalls von Perret gebauten, noch heute futuristisch anmutenden katholischen Kirche Saint-Joseph du Havre, deren 107 Meter hoher Kirchturm mit seinen tausenden Glasmosaiken von Innen wie ein Tor zum Weltraum oder einer anderen Dimension aussieht, sowie dem Haus der Kultur von Oscar Niemeyer, einem Betonozeandampfer an Land, und dem kubischen Musée des beaux-arts André-Malraux. Arbeit war und ist natürlich die bestimmende Kategorie und Determinante des Wohnens und Lebens, doch schaffte die Architektur von Le Corbusier, Gropius oder Perret es, jene Arbeit als nützliches Übel in die Lebenswelt zu integrieren, ohne dass es diese dominierte, wie das etwas bei den Mietskasernen der Gründerzeit der Fall war, die als Ladegeräte für die Akkus der Arbeitskräfte dienten, die soziale Komponente der Industrialisierung vernachlässigten und lediglich das Problem des Platzmangels lösten. Das beschrieene Scheitern des funktionalen Betonbaus ist jedoch nicht auf konzeptuelle Fehler oder prinzipielles Scheitern eines Stiles zurückzuführen, sondern steht in engem Zusammenhang mit dem Übergang vom Fordismus zum Postfordismus, neuen Produktionsprinzipien, Migration, der damit verbundenen Segregation, partieller Verslummung und der paradigmatischen Aufwertung des Lebens in innenstädtischen Wohngebieten. Womit wir wieder beim Kapitalismus wären. Es ist ein Konsens, dass 3. die funktionale Bauweise des ausgehenden fordistischen Zeitalters gescheitert ist. Runtergekommene, ehemalige Vorzeigestadtviertel wie die Berliner Gropiusstadt dienen als Beispiel für den vermeintlichen Bankrott einer Architekturschule, die das Leben in der vollbeschäftigten Gesellschaft mit Beton und einem klaren Konzept lebensfreundlich zu gestalten versuchte. Dem ist nicht so, denn ein Architekturstil an sich kann nicht scheitern, auch wenn er natürlich an seiner Praxis gemessen werden muss. „Stil“ impliziert, dass sich eine charakteristische Art der Ausführung durchgesetzt hat und somit eine Explizierung dieses gestalterischen Konsenses mit einer gewissen Üblichkeit stattfindet. Es sind der Kontext und somit die Bedingungen, die einen Stil entstehen lassen, und insofern ist er auch zu bewerten. Das Zeitalter, die Protagonisten und die dominierende Formensprache determinieren diesen. Eine Rezeption, die retrospektiv den Stil eines Kulturproduktes für gesellschaftlich-wirtschaftliche Veränderungen verantwortlich macht, verkennt die Tatsache, dass es sich andersherum verhält und dieser Verfall lediglich die Ausprägung einer falschen Gesellschaftsordnung ist. Aber dennoch spiegelt sich blankes Entsetzen in den Gesichtern von Freunden, Bekannten und Gesprächspartnern wieder, wenn man sich als Fan von Brutalismus und Beton outet; das Hansaviertel oder die Gropiusstadt in Berlin interessanter und schöner findet als den wilhelminischen Kitsch oder die bunt sanierten Mietskasernen und den Gründerzeitpomp. Architektur ist immer ein Spiegel ihrer Zeit, seine Funktion nie mehr als ein Symptom der Verhältnisse. HATE Seite dreiunddreißig
Ueno Park Tokio
Johannes C. Büttner Wesley Walters
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Der Stadtteil Ueno ist bekannt für seinen Bahnhof, ein Verkehrsknotenpunkt mit komplexer und beeindruckender Architektur, Ameyoko, einen Straßenmarkt auf dem Lebensmittel, billige Klamotten und Schmuck verkauft werden, sowie für den Ueno Park. Im Ueno Park befinden sich mehrere Museen, zwei Tempel, ein Zoo und ein kleiner Jahrmarkt mit Fahrgeschäften für Kinder. Um den großen Seerosenteich kann man sehr schöne Spaziergänge machen. Deswegen erfreut er sich großer Beliebtheit bei Besuchern, die entspannen und sich erholen wollen. In den Gebüschen des Parks haben Obdachlose Kolonien errichtet, in denen sie wohnen. Aus Zelten, Kartons und vielen blauen Plastikplanen entwickelten sie Behausungen, in denen sie das ganze Jahr über, zum Teil seit Jahrzehnten leben.
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AUDIOLITH Gebäuderückbau Holzentsorgung Abbruchmaterial Fliesenlegen Baumaterialien www.audiolith.net Dass ausgerechnet in den Armenhäusern der Welt die nächste Runde globaler Wertschöpfung eingeläutet werden soll, entbehrt nicht einer gewissen Ironie:
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Not macht innovativ: Das Neue und Nützliche wird in den Armutszonen der Welt vermutet. Zwischen Wellblechhütten suchen Architekten, Designer und Ökonomen nach Antworten auf die Probleme der Gegenwart. Was sie dabei finden erzählt Helge Peters und fragt: Ist unsere Zukunft eine WLAN-Favela?
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Designer im Dreck
MySpace ist eine Favela“, sagte Cyberpunk-Visionär Bruce Sterling auf der Digitalkultur-Konferenz Reboot11 im vergangenen Jahr. „Es wurde von einer anderen Wirtschaft abgehängt, du hast dort keine Bürgerrechte und kannst kein Geld verdienen – aber du kannst dort eine Hütte haben und leben. Bis jemand den Stecker zieht“. Über das langsam vor sich hinsterbende MySpace hinausweisend führte Sterling der versammelten Netz-Avantgarde vor, wie auch ihre Slogans des Selbermachens und der improvisierten Beta-Kultur sich erstaunlich wenig von den Überlebensstrategien in südamerikanischen Slums unterscheiden. Natürlich fand die Konferenz nicht in einer zusammengeschusterten Wellblechhütte statt, sondern in einer alten Fabrik in Kopenhagen, die in ein modernes Konferenzzentrum umgebaut wurde. Doch auch dies, so Sterling, sei eine gängige Praxis brasilianischer Favela-Bewohner, ungenutzte Rohbauten zu besiedeln und für einen neuen Zweck umzuwidmen. Vom Slum Dharavi in der Metropolregion Mumbai war im letzten Jahr ebenfalls Erstaunliches zu vernehmen. Prinz Charles erklärte öffentlich, das von 600.000 Menschen behauste Dharavi, bekannt geworden durch den Film Slumdog Millionaire, sei ein globales Vorbild für nachhaltige Stadtentwicklung. Durch die Verwendung lokaler Materialien in fußläufigen Nachbarschaften entstehe ein intuitives Design, das sich positiv von den Sozialbaumonstren abhebe, mit denen bisher dem Wohnungsproblem der rasant anwachsenden Masse urbaner Armer begegnet wurde. Tatsächlich wehrten sich die Einwohner von
empfiehlt der Bericht ein gemeinsam mit den Einwohnern zu erarbeitendes Slum Upgrading als Entwicklungsstrategie. Der kürzlich verstorbene indische Wirtschaftswissenschaftler C.K. Prahalad ging noch einen Schritt weiter. Er empfahl im 2004 erschienen Buch Fortune at the Bottom of the Pyramid multinationalen Konzernen, die Masse der Armen als riesigen unerschlossenen Markt zu begreifen, auf dem sich mit maßgeschneiderten Angeboten eine Menge Geld verdienen lässt – womit gleichzeitig die Armut bekämpft werde, wie er betonte. Innovationen von Produkten und Services, die für den Markt der Armen entwickelt werden, würden bei wettbewerbsfähiger Qualität eine günstigere Kostenstruktur aufweisen und ließen sich dann entsprechend modifiziert auch auf den entwickelten Märkten mit hoher Profitabilität verkaufen. Dabei bieten sich gerade die Slums der Megastädte als Innovationslabore an. Aus der Kollision von Not und Angebot entstehen eigenwillige Lösungen, auf die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen westlicher Konzerne mit ihren massiven Budgets kaum kommen würden. Forscher vom Massachusetts Institute of Technology, kurz MIT, nennen dieses Prinzip „ressourcenbeschränkte Innovation“. Menschen seien dann besonders innovativ, wenn sie weniger Ressourcen zur Verfügung haben. Dadurch würden sie gezwungen, kreative Analogien und Kombinationen zu finden, die sich ansonsten unter einer Überfülle von Möglichkeiten verbergen. Einfach gesagt: Not macht erfinderisch. Jugaad heißt die Marke Eigenbau auf Hindi und bezeichnet neben den aus allen denkbaren
ter anderem Apple verdanken, erwartet von Slums nicht weniger als die Rettung des Planeten. Maximale Siedlungsdichte bei minimalem Verbrauch von Energie und Material, Fahrräder und Rikschas statt Autos als Individualtransportmittel und absolutes Recycling von allem würden Slums zu den emissionsärmsten Siedlungen der Welt machen. Auch der Umweltschutzverband BUND begeistert sich in einem Jahrbuch für ökologisches Bauen für „parasitäre Architektur“. Die Bebilderung ist aufschlussreich: Die pompöse Hamburger Elbphilharmonie steht friedlich neben einem Armenquartier Kairos für die architektonische Praxis, anstatt neu zu bauen auf bestehenden Strukturen aufzustocken und damit keinen zusätzlichen Boden zu versiegeln.
Die vertikale Nachverdichtung schlägt besonders umweltfreundlich zu Buche, weil sie keine zusätzliche Infrastruktur verlangt und leichte Baumaterialien wie Holz bevorzugt. Zurückverfolgen lässt sich diese Bauweise auf einen gewissen François Mansart, der im vorrevolutionären Frankreich das einfache Gesinde im Dachgeschoss unterbringen ließ. Heute werden für Mansarden die höchsten Mieten verlangt. Was der BUND verschweigt: Die ohne
Sind sie doch das unmittelbare Produkt einer Globalisierung, die nach den Rohstoffen und der billigen Arbeitskraft nun auch noch das lokale, unkodifizierte Wissen der Verlierer des Weltmarkts in Wert zu setzen sucht.
Dharavi dagegen, von einem oscarträchtigen Hollywoodfilm als Habenichtse abqualifiziert zu werden, wie ein Kommentator der New York Times fasziniert feststellte. Trotz oder gerade wegen der Abwesenheit von staatlicher Planung sei eine emergente Ordnung entstanden, die Straßen relativ sicher, die extreme Bevölkerungsdichte durch ein weitverzweigtes System von Nebenstraßen und Gässchen absorbiert und ein vorbildliches Recyclingsystem vorhanden, das den ganzen Stadtteil versorge. Dharavi sei die ultimative user-generierte Stadt mit einer unvergleichlichen ökonomischen und sozialen Dynamik. Mittlerweile leben auf der Welt mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Und es werden täglich mehr. Im Jahr 2001 stellte ein Report der Vereinten Nationen fest, dass etwa 924 Millionen Menschen weltweit in informellen Siedlungen ohne Besitztitel – also Slums – leben und prognostizierte ein Anwachsen auf zwei Milliarden in den kommenden 30 Jahren. Noch vor wenigen Jahren wurden die Bewohner der Slums, Favelas und Shanty Towns des globalen Südens als potentielle Aufrührer, Kriminelle und Krankheitsherde gehandelt, die beim nächsten größeren Stadtentwicklungsprojekt in trost- und chancenlose Sozialsiedlungen abgeschoben oder einfach mit Bulldozer und Tränengas vertrieben wurden. Das Buch Planet of the Slums des amerikanischen Soziologen Mike Davis gibt eindrucksvoll Auskunft über diese jahrzehntelange Politik von Ignoranz und brutaler Repression. Doch schon der UN-Report spricht im Hinblick auf die Entwicklungschancen der Urban Poor von „Slums der Hoffnung“ anstatt von Slums der Verzweiflung. Die Armen selbst würden zusehends eigene Lösungen zur Verbesserung ihrer Lebenslage entwickeln, sie zeigten überraschende Anpassungsfähigkeit und Kreativität im Schaffen kollektiver Designs des gemeinsamen Lebens und Überlebens. Entsprechend
Teilen zusammengestrickten Fahrzeugen auf Indiens Straßen jeden gewitzten Workaround für ein Problem. Blogs wie Street Hacks und AfriGadget feiern Einfallsreichtum und Handwerksgeschick der notgedrungenen Erfinder auf der ganzen Welt und treffen damit in den westlichen Metropolen auf ein dankbares Publikum. Schließlich sind Do it yourself und Doing more with less nicht erst seit der Wirtschaftskrise angesagte Themen für die kreative Community, nachzulesen in Büchern wie Marke Eigenbau von Holm Friebe und Makers von Cory Doctorow. Die Krise lieferte dann auch den Beweis dafür, dass sich die Richtung der globalen Ausbreitung von Innovationen langsam umzudrehen beginnt. Die Businessweek berichtet, dass ein vom amerikanischen Konzern General Electric für Krankenhäuser in China und Indien entwickelter Elektrokardiograph sich als so kostengünstig bei vergleichbarer Leistung erwies, dass das Gerät auch auf den krisengeschüttelten amerikanischen Markt kam. Nokia schickte bereits 2007 ein Team von Ethnographen in die Armutsviertel von Brasilien, Ghana und Indien, um gemeinsam mit den Einwohnern spekulative Handy-Designs zu entwickeln, die Aufschluss geben sollen über die Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten von morgen. Dass ausgerechnet in den Armenhäusern der Welt die nächste Runde globaler Wertschöpfung eingeläutet werden soll, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Sind sie doch das unmittelbare Produkt einer Globalisierung, die nach den Rohstoffen und der billigen Arbeitskraft nun auch noch das lokale, unkodifizierte Wissen der Verlierer des Weltmarkts in Wert zu setzen sucht. Die Armen der Welt sollen aber nicht nur künftige Profite sichern, sondern auch Ideen für eine ökologische Architektur der Zukunft liefern. Stewart Brand, eine zentrale Figur der kalifornischen Allianz von Öko-Gegenkultur und Informationstechnologie, der wir un-
Kenntnis der Statik in Eigenregie aufgestockten Häuser Kairos begraben regelmäßig viele Menschen unter sich, wenn sie unter ihrer eigenen Last kollabieren. Der Kollaps einer ähnlich prekären Konstruktion, der Sowjetunion, stürzte Kuba in eine schwere Nahrungsmittelkrise. Ohne die Lieferungen von Öl, Düngern und Pestiziden hatten die kubanischen Landwirtschaftskollektive keine Chance. Notgedrungen entwickelte sich das System der Organoponicos: Tausende kleiner Gärten mitten in der Stadt, die in Havanna mittlerweile 90 Prozent der Versorgung mit Früchten und Gemüse ausmachen. Gezwungenermaßen ist alles bio. Unter den Nachhaltigkeitsberatern in den reichen Metropolen der Welt ist dieses Urban Farming eines der am heißesten gehandelten Themen. Die Selbstversorgung der Stadt in High-TechGewächshäusern, für die nach einem Vorschlag auch der allfällige Büroleerstand in Frage käme, wird als Anpassungsstrategie an die Zeit nach dem Öl empfohlen. Was heute so zukunftsgewandt und grün daherkommt, war in Kriegsjahren bittere Notwendigkeit. Der Kulturkritiker Matteo Pasquinelli verfolgt die Geschichte der Stadt als Nahrungslieferant von der Blüte englischer Schrebergärten im Zweiten Weltkrieg bis hin zur Pariser Kommune: Belagert von Regierungstruppen und beseelt vom revolutionären Geist drangen die Pariser in ihren Zoo ein. Aus der Begegnung von schierem Mangel und kommunistischer Experimentierlust entstanden so exquisite Menüs wie Consommée d’Elephant und Terrine d’Antilope aux truffes. Von diesem Szenario ist allein die Bedrohung noch geblieben: Die Krise von Kapitalismus und Klima hat den Krieg in eine allgegenwärtige unsichtbare Belagerung verwandelt. Im Angesicht seines Scheiterns muss das Regime von Produktion und Konsum um den Preis des Verzichts aufrecht erhalten werden, weil ein HATE Seite siebenunddreißig
radikal Verschiedenes nicht mehr gedacht werden darf. Weniger und anders konsumieren, um weiterhin konsumieren zu können: Das westliche Interesse an den Designs der Armutszonen verweist auf ein permanentes Krisenmanagement mit dem Antlitz freundlicher Bescheidenheit. Im kybernetischen Denken bezeichnet Resilienz die Fähigkeit eines Systems, Störungen zu tolerieren. Ob diese Störung eine Naturkatastrophe, ein Für dieses vorausschauende Management Terroranschlag oder ein Hungeraufstand ist, bleibt dabei erst einmal nebensächlich. der auf Dauer gestellten Katastrophe gibt es einen Namen: Resilienz. Im kybernetischen Denken bezeichnet Resilienz die Fähigkeit eines Systems, Störungen zu tolerieren. Ob diese Störung eine Naturkatastrophe, ein Terroranschlag oder ein Hungeraufstand ist, bleibt dabei erst einmal nebensächlich. Wichtig ist die Bewahrung der Stabilität. Die Resilient City ist konsequenterweise die Vision einer Planung, die sich in einer Welt wiederfindet, der es von extremen Wetterphänomenen über Energieengpässe bis zu steigender Armut an Störungspotentialen nicht mangelt. Um sie zu regulieren braucht es die netzwerkartige Dezentralisierung, die Dharavi aus blanker Not den zunehmend fragilen Wohlstandssiedlungen des Westens voraus hat. Von der Raffinesse der Armen zu lernen, sich in einer unwirtlichen Welt zurechtzufinden, ist also mehr als ein vorübergehender Favela Chic. Es ist das Zusammenfallen von Ökologie und Kontrolle in einer Technologie zur Versicherung des Kapitalismus gegen seine katastrophalen Nebenfolgen. Doch es zeigt auch die Preisgabe des utopischen Begehrens einer Moderne an, die den neuen Menschen schon in der gestalteten Umwelt vorwegnehmen wollte. So grandios gescheitert etwa die Beton-Monumente des Brutalismus der sechziger und siebziger Jahre sind, so eine grandiose Zukunftsvision entwarfen sie doch im Moment ihrer Planung für die Menschen, die sie einmal besiedeln sollten. Dagegen ist der nachhaltigkeitsbewusste Mensch zu Beginn des neuen Jahrtausends ganz der alte, nur dass er die Einschränkung seiner Konsum- und Lebensoptionen freudig als Befreiung von allzu weltlichen Verführungen begrüßt. Der für diesen Menschen gestaltete Raum spricht – trotz aller Fortschrittsrhetorik der grünen Visionäre – die Sprache des Bewahrens; des Konservierens nicht nur der Umwelt, sondern auch der Dynamik, die diese Umwelt erst in eine bedrohte und bedrohliDagegen ist der nachhaltigkeitsbewusste Mensch zu Beginn des neuen Jahrtausends ganz che verwandelt hat. der alte, nur dass er die Einschränkung seiner Konsum- und Dabei richtet sich die Anrufung der BescheiLebensoptionen freudig als Befreiung von allzu weltlichen Verführungen begrüßt. denheit erneut an jene, die immer schon keine Wahl hatten. Ein Bericht des Spiegel erinnert unmittelbar an die berüchtigten Käfigquartiere chinesischer Wanderarbeiter: „Die Teilnehmer wohnen dicht an dicht in Schlafkojen aus Spanplatten im ersten Stock, drei Quadratmeter Privatsphäre für jeden.“ Beschrieben wird allerdings ein von der Telekom finanziertes Innovationscamp in Berlin, in dem junge Kreative für mehrere Wochen lebten und arbeiteten, um anschließend Konzernmanagern ihre Produktideen zu präsentieren. Aus 700 Bewerbungen wurden 28 Teilnehmer ausgewählt. „So sehr sie alle schwärmen, wie viel Spaß es ihnen macht, wie produktiv sie sind – so anstrengend ist es auch, das enge Zusammenleben und die viele Arbeit“, heißt es weiter. Willkommen im High-Tech-Slum. Wenn wir Glück haben, dürfen wir hier eine eigene Hütte bewohnen.
Revaler Str. 99 · 10245 Berlin
FREITAG 18.06.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
13:30 Deutschland - Serbien 16:00 Slowenien - USA 20:30 England - Algerien
SAMSTAG 19.06.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
13:30 Niederlande - Japan 16:00 Ghana - Australien 20:30 Kamerun - Dänemark
SAMSTAG 19.06.
PARTYMONDO KLIT ROCK CLUB
(Elektro - House)
DIE CSD PARTY FÜR GIRLS!
SONNTAG 20.06.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
13:30 Slowakei - Paraguay 16:00 Italien - Neuseeland 20:30 Brasilien - Elfenbeinküste
MONTAG 21.06.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
13:30 Portugal - Nordkorea 16:00 Chile - Schweiz 20:30 Spanien - Honduras
DIENSTAG 22.06.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
16:00 Mexiko - Uruguay 16:00 Frankreich - Südafrika 20:30 Nigeria - Südkorea 20:30 Griechenland - Argentinien
MITTWOCH 23.06. Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER 16:00 USA - Algerien
16:00 England - Slowenien 20:30 Australien - Serbien 20:30 Deutschland - Ghana
FREITAG 02.07.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
Viertelfinale 1 16:00 Sieger Achtelfinale 5 - Sieger Achtelfinale 6 Viertelfinale 2 20:30 Sieger Achtelfinale 1 - Sieger Achtelfinale 2
SAMSTAG 03.07.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
Viertelfinale 3 16:00 Sieger Achtelfinale 3 - Sieger Achtelfinale 4 Viertelfinale 4 20:30 Sieger Achtelfinale 7 - Sieger Achtelfinale 8
DIENSTAG 06.07.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
Halbfinale 1 20:30 Sieger Viertelfinale 1 - Sieger Viertelfinale 2
MITTWOCH 07.07. Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER Halbfinale 2 20:30 Sieger Viertelfinale 3 - Sieger Viertelfinale 4
MITTWOCH 07.07. „DIE ALLIANZ“ Boys Noize, MDSLKTR, Housemeister, Apparat u. a. (Elektro, Techno)
SAMSTAG 10.07.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
Spiel um Platz 3 20:30 Verlierer Halbfinale 1 - Verlierer Halbfinale 2
SONNTAG 11.07.
Public Viewing 11 FREUNDE WM-QUARTIER
Finale 20:30 Sieger Halbfinale 1 - Sieger Halbfinale 2
FREITAG 10.09.
EELS (USA) (Alternative - Indie)
FREITAG 01.10.
DIE KASSIERER (D) (Punk)
SAMSTAG 02.10.
GOLDFRAPP (UK) (Electronica, Pop)
SAMSTAG 06.11.
BONAPARTE (D) (Elektropunk)
FREITAG 08.10.
TRENTEMØLLER (DK) (Elektro - Indie)
MONTAG 11.10. SIA (USA) (Pop)
Verlegt vom 20.5.10 Tickets behalten ihre Gültigkeit!
FREITAG 15.10.
ELSTERGLANZ (D)
ZUSATZTERMIN
DIENSTAG 19.10.
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SHOUT OUT LOUDS (S) (Indie - Pop)
Aufgrund der grossen Nachfrage!
MITTWOCH 01.12.
JULI (D) (Pop, Rock) WWW.ASTRA-BERLIN.DE
Sanitation arrived late in Dublin. Early Dubliners shit where they ate and made no bones about it. It wasn’t until the British came and taught them to feel ashamed of their movements. This is Irishman Conor Creighton’s story, spending a day in Dublin’s main sanitation plant.
C l e a n e r s
T
“Treating waste is a very complex process,” he begins. “Dublin City is shaped like a basin and the waste moves rapidly from the suburbs to here in Ringsend.” I ask him, when’s the plant at its busiest? “Well, you’d think Sunday morning after a night on the Guinness, wouldn’t you? But it all evens itself out,” he reports. I had a sit down this morning, I say, by what time should it be worming its way to you? “It could be here already.” It’s comforting to know that. A happy reunion, like when you catch a glimpse of your luggage doing turns on the airport carousel while you’re walking into baggage claims. Do you ever hide the details of your job, I ask. “It wouldn’t exactly be the first thing you tell a girl on a night out,” says Ciaran. Dublin got serious about sewage back in the 1880s and started to build the plant at Ringsend. Back then the boys would climb right into the pools and scrape the brown into a tanker that brought it — RAW — a few minutes off shore then dumped it overboard. And they wonder why, for an island nation, the Irish have such an aversion towards goLike a lover who can do no wrong, the first thing you notice when approaching the plant, is that its shit doesn’t smell. ing into the sea. The men who worked at the plant grew so immune to the smell that they’d even have their sandwiches on the edge of the pool, their boots splish-splashing in the mess below. Today, however the plant is clean as a whistle. Solids reach a 6 mm mesh where they are filtered into a settlement tank. Anything that isn’t at least 95% water rises to the top inside the settlement tank. A metallic jaw then scalps the solids and begins the sterishit doesn’t smell. The building is enormous. It’s lizing process thus reducing them to methane gas larger than five football pitches with four pools, and biological fertilizer. This type of fertilizer is like stacked like IKEA shelving, full of different grades steroids for crops. It’s so strong that the governof yellow and brown. Yet, strolling up the drive the ment allocate it in rations, but perhaps at heart lack of stink nearly floors you. Last month there they’re just afraid that if Irish vegetables are ferwas a grand total of one odour complaint record- tilized by what comes out of Irish people, it would ed, and for all we know it might have just been a mean we were a nation of cannibals. damp dog asleep beneath a window. But as recent- Bacteria go to work and chew what’s left into liqly as two years ago they got as many as forty com- uid. Then a UV machine performs the coup de plaints in a month. You could blame the change grace before the liquid is released into Dublin Bay. on the new system of cleaning and distilling flu- But don’t panic. It’s safe to go back into the water. ids they started using at the plant, but you could The treated pee actually helps clean Dublin Bay. also claim it as a symbol of Ireland’s final steps to- After an afternoon at the plant, you re-enter the wards divinity. Jesus’ piss, apparently, was sweet- city with a certain spring in your step. The air is er than honey wine. lighter. You no longer feel like you’re using the Paddy and Ciaran run the show at the sewage shower after someone’s taken a dump. The city’s plant. Both are engineers. Paddy’s from the old OK. Dublin’s not so bad. It’s had its share of emschool and Ciaran’s the young kid on the beat. barrassments and a murky past that comes back They’re the classic Donnie Brasco twosome with to life when Ciaran talks about the unwanted baa little less shine and polish. They’re engineers. bies they used to find at the plant. They were tiny Their names are bookended with letters. In mod- enough to be flushable. The workers had a graveern Ireland, a job you wouldn’t wish on someone yard for them. Ireland used to be a dark and scary who’d just crawled their way into Europe, requires place to find yourself unexpectedly pregnant in. a handful of degrees. Nowadays, condoms block the pipes. And that’s a “Some people might call us shitheads,” says Ciaran, great improvement. The Irish are a nation of shit generators. Be it the “But they wouldn’t try it to our face.” conventional sort that comes from our stomach, or the more theatrical brand that accompanies our speech. But if that shit can be turned into something that actually cleans the city and makes it a better place for our grandchildren, and their children and their robot masters, then you’ve got to say that our shit, like good cream, will one day rise After an afternoon at the plant, you to the top. re-enter the city with a certain spring in your step.
P i p e
he largest sanitation plant in Dublin, and Europe, is in a place called Ringsend. They could have constructed the plant at Tolka, Bull Island or anywhere else along Dublin Bay, but instead they chose the euphemistically loaded, Ringsend. Town-planners have a sense of humour you could chop wood with. Sanitation may have arrived late in Ireland but we were quick to put it on a pedestal. Not only is Ireland one of the only countries in Europe to not charge for water, it also has one of the most sophisticated sewage treatment networks in Christendom. In other capitals, waste travels along rickety Roman basins monitored by rats and pederasts; in Dublin, it’s like the Tube on a rare day when good services are operating on all lines. Yes, we Irish have daily movements like any other nation but we manage to sweep it under the carpet with alarming speed and efficiency. The hope was that spending a day at the sewage treatment plant would explain why. Like a lover who can do no wrong, the first thing you notice when approaching the plant, is that its
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Monako
David Schmitt
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“Don’t ask me about my fucking house.” Janette Desautel
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Vor fünf Jahren verwüsteten der Hurricane Katrina und die damit einhergehende Flut New Orleans. Darauf folgte die Katastrophe im Umgang mit der Katastrophe. Seitdem beschäftigen sich viele mit dem Thema. Nina Scholz begibt sich auf die Spurensuche der Veränderungen in der Stadt sowie einer neuartigen (pop-)kulturellen Lesart von New Orleans.
A
m 27. August 2005 erreichte eine Es ist ein Angstfehler, den die Polizisten ma- weil sie krank sind oder sich um jemanden Unwetterwarnung New Orleans, chen, ein Panikfehler, ein Chaosfehler, weil kümmern müssen. Viele Bewohner der ärein Hurricane zog über die Küste des sie glauben, sie hätten hier jene Terroristen meren Projects, der SozialwohnungsbauproGolfs von Mexiko Richtung Louisiana. vor sich, über die berichtet wurde, sie wür- jekte, die im flachen Innenstadtkern liegen, Anfangs reagierte der Großteil der Be- den das Chaos in der Stadt für sich nutzen haben noch nie ihre Stadt verlassen und tavölkerung von New Orleans gelassen, wollen. Ohne Meldung von ihrem Mann kal- ten es auch nach der expliziten Unwetterwardenn starke Winde gehören zur Routi- kuliert Kathy seinen Tod ein, zumal die Schre- nung nicht. ne, zur Geschichte der Stadt. Als Bürger- ckensmeldungen über Gewalt und Krankhei- Danach konnten sie es nicht mehr: Auf der meister Ray Nagin sich dazu entschloss, ten in der Stadt stündlich zunehmen. Sie Brücke, die die Innenstadt von den Jeffersonzur Evakuierung aufzurufen, verließen nimmt an, ihr Ehemann wäre ein weiteres Parishs, den größten Suburbs trennt, stand die meisten Bewohner besorgt die Stadt. Opfer der Flut geworden. die bewaffnete Nationalgarde und hinderte Trotzdem gab es nicht wenige, die blie- 2. Auf eine sehr spezielle Art ist er das auch. die im Innenstadtkern Eingesperrten an der ben. Das kann man unter anderem in Angesichts der Flutkatastrophe scheint es Flucht. Durch das steigende Wasser und die Dave Eggers neustem Buch Zeitoun nach- keine Einzelschicksale mehr zu geben, die nicht stattfindenden Evakuierungen gab es lesen. Der liberale Vorzeigeschriftsteller nicht in diesem Ereignis aufgehen, sich nicht bis zum fünften Tag nach Katrina keine Mögaus San Francisco hat es sich zur litera- mit allen anderen verbinden und zu einer lichkeit, die Stadt zu verlassen. rischen Aufgabe gemacht, erlebte Geschich- großen Erzählung über die Flut werden. te, also Realität von Zeitzeugen aufzuschrei- Diese hat der Regisseur Spike Lee in seiner ben. Und so erzählt er in seinem jüngsten vierstündigen HBO-Dokumentation When the Roman die Geschichte des Moslems Abdul- Levees Broke eingefangen. Unterteilt in vier Karahman Zeitoun, der 1993 aus Syrien nach pitel erzählt er die Geschichte des überfluteten Amerika kommt, die amerikanische Muslima New Orleans, ein Epos über Trauer und Wut. Kathy heiratet, mit ihr vier Kinder bekommt Im ersten Kapitel geht es um den Hurricaund sich einen gut laufenden Handwerker-Fa- ne und die Flut. Zwei Mal war New Orleans milienbetrieb aufbaut. bereits vor 2005 überflutet gewesen, zuletzt Am 28. August 2005 beginnt Kathy die Eva- 1965, als der Hurricane Betsy die Stadt unter kuierung ihrer Familie zu organisieren und Wasser setzte. Damals wurden Kanalstraßen macht sich auf zu Verwandten ins benach- und Dämme in Auftrag gegeben, welche aber Der damalige Chef der NOPD, des New Orlebarte Baton Rouge – allerdings ohne Abdul- niemals komplett fertig gestellt wurden. Die ans Police Department, Eddy Compass, wollte rahman, der in New Orleans bleibt, denn er nicht fertig errichteten Kanalwände brachen die politischen Entscheidungsinstanzen zum will sein Haus und die Häuser, für deren Um- nicht bei Stufe 5, sondern bei Stufe 2. Keiner Handeln bewegen und erreichte das Gegenbau er mit seiner Firma verantwortlich ist, hat das präziser formuliert, als der fiktive teil: Im amerikanischen Fernsehen berichtete nicht zurücklassen. Schriftsteller Creighton Bernette (John Good- er von innerstädtischen Riots, die es laut AuKatrina kommt und zieht als Sturm, als düs- man) in der HBO-Serie Treme, die am 11. April genzeugenberichten so nie gegeben hat. Er erterer Regen über New Orleans. Kurz und hef- 2010 im amerikanischen Fernsehen gestartet reichte damit, dass die Panik noch größer wurtig, aber bei weitem nicht so schlimm wie er- ist. Er sagt in die Fernsehkamera eines Re- de, vor den Fernsehern hatte man jetzt Angst wartet, denn als der Hurricane das Festland porters: “What hit the Mississippi Golf Coast was „vor den Wildgewordenen“ in New Orleans. erreicht, ist er schon wieder von Stufe 5 auf a natural disaster, a hurricane, pure and simpel. Dabei war die Situation in der Stadt schlimm Stufe 3 zurückgefallen. Dann aber kommt The Flooding of New Orleans was a man-made ca- genug: Im Convention Center und im Superdas langsam und stetig steigende Wasser. dome harrten über 10.000 Menschen, die tastrophe. A federal fuck up of epic proportion.”. Fortan erkundet Abdulrahman Zeitoun mit In ihrem Buch „Soziale Säuberung. Wie New sich dorthin geflüchtet hatten, ohne Essen, einem Kanu die überflutete Stadt, die er an- Orleans nach der Flut seine Unterschicht Wasser und Elektrizität über 5 Tage den Dinfangs fast als friedlich beschreibt. Zumindest vertrieb“ weisen Christian Jakob und Fried- gen, denn erst dann erschien General Russell im bürgerlichen Uptown, dem Stadtteil, in rich Schorb nach, dass in der Katrina-Katas- Honore mit seinen United-States-Army-Trupdem die Zeitouns leben, helfen sich die Men- trophe über 300 Jahre Stadtpolitik in einem pen in der Stadt. Unglück kulminierte. Das, was Katrina ge- Von da an änderte sich die Situation, die schen gegenseitig. Aber es gab auch in den ersten beiden Tagen nannt wird, ist eine Katastrophe, deren Ur- Menschen wurden evakuiert und in andere Anzeichen für Veränderungen in der Stadt: sachen sich mindestens bis in die Kolonial- amerikanische Städte gebracht. New OrleZeitoun beobachtet Plünderungen, und so- zeit zurückrechnen lassen, als die damalige ans wirkte danach auf den Bildern wie eine wohl die Polizei als auch die Nationalgarde, französische Regierung zum ersten Mal re- Geisterstadt aus einem Stephen-King-Rodie an wichtigen Posten steht, kommt nicht, gulierend in die Demographie eingriff. Die man: Leichen liegen auf dem Freeway, manum den Leuten in den überfluteten Häusern Sumpflandschaft um New Orleans lockte che abgedeckt, viele nicht. An den Menzu helfen. Der Evakuierungshubschrauber keine reichen Plantagenbesitzer, sondern schen, die die Stadt verlassen, klebt der Urin, steht bloß defekt auf einem Parkplatz, und sehr wenige und vor allem arme Europäer. Kot, das Blut der letzten Tage. aus der Stadt gebracht wird niemand, der Um das zu ändern wurde bewusst die Kul- 3. Die Evakuierung war zwar ein wichtiger nicht schon vorher gegangen war. tur der ursprünglich kreolischen Bevölkerung Schritt für die Menschen in New Orleans, Auch am vierten Tag kommt keine Hilfe von gefördert. Das was heute unter authentischer dass damit die Probleme aber bei weitem Außen, das Wasser wird dreckiger, beginnt schwarzer Kultur in New Orleans verstanden nicht aufhören würden, davon handelt das zu stinken, Leichen treiben durch die Stadt wird und bis heute Touristen und Geschäfts- dritte und vierte Kapitel in Spike Lees Dokuund die Meldungen im Fernsehen klingen zu- reisende in die Innenstadt lockt. mentation, aber vor allem auch die oben benehmend schrecklicher. Zeitoun beruhigt Ka- 1965, am Ende der Apartheid, gab es einen reits erwähnte Serie Treme, benannt nach thy, er hat gemeinsam mit drei Freunden ein zweiten massiven Einschnitt in der Entwick- dem gleichnamigen Stadtteil. Haus mit Telefonanschluss gefunden, und lung der Stadt. Die Umlandgemeinden be- Genau wie in seiner von den Kritikern hochschafft es jeden Tag einmal, mit seiner Fa- gannen, um die ärmeren Weißen zu werben, gelobten TV-Show The Wire, die in den Promilie zu telefonieren und sie zu überzeugen, und so gab es in den 1970ern eine „regelrech- jects in Baltimore spielt, hat der Seriendass er auch weiterhin die Stadt nicht verlas- te Fluchtbewegung“, die Bevölkerung New schöpfer und -verantwortliche David Simon, sen möchte; jede Hilfe wird jetzt gebraucht. Orleans sank um ein Viertel: Zwei Drittel der gemeinsam mit seinem Kollegen Eric OverDoch dann geschieht das, was in Zeitouns weißen Bevölkerung hatten die Innenstadt myer, seinen Stoff pedantisch recherchiert. Vorstellung nicht möglich gewesen wäre: Er verlassen. New Orleans war eine gespalte- Jedoch geht er bei seiner aktuellen TVwird aus dem Haus heraus von der National- ne, verarmte Stadt, als das Wasser anfing Show bei weitem nicht so soziologisch vor. garde verhaftet, man liest ihm weder seine im Innenstadtkern zu steigen. Treme ist eher die Charakterstudie einer Rechte vor noch gestattet man ihm das ob- Im zweiten Kapitel von Spike Lees Dokumen- Stadt und zeigt seine Figuren als exemplaligatorische Telefongespräch. Die nächsten tation geht es um die Flut und es kommen rische Fälle, denen Leben eingehaucht wird. Tage verbringt Zeitoun mit seinen Freunden die zu Wort, die in der Stadt geblieben sind. Die Serie setzt drei Monate nach der Flut ein. in einem provisorisch eingerichteten Gefäng- Es gab Gründe zu bleiben, wie die Geschich- Chief Albert Lambreaux (Clarke Peters), Chef nis auf dem Parkplatz des Greyhound-Bahn- te von Zeitoun zeigt. Nicht jeder verlässt sei- der Mardi Gras Indians, einer typischen New hofs, später werden sie dann ins Elayn Hunt ne Stadt, nur weil der Bürgermeister es sagt. Orleans-Kapelle, kehrt in seine Heimatstadt Correctional Center überführt, in einen Si- Aber es gibt eben auch solche, die gar nicht zurück. Man sieht ihn durch sein von Wascherheitstrakt für Al-Qaida-Terroristen. flüchten können: Weil sie kein Geld haben, ser, Schimmel und Matsch zerstörtes Haus
A M a n- M a de C a t a st rophy
1.
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waten, bevor er sich entschließt, in seine Bar zu nicht zuletzt auch ein Angriff auf die afroamerikanische gen halluzinogenen Wahrnehmung verschmelzen. ziehen und diese statt seines Hauses wieder auf- Unterschichtskultur.“ Hier ist ein deutlicher Bruch zu verzeichnen, afzubauen. Er arbeitet fortan besessen daran, dass Was die ehemaligen Bewohner der Innenstadtbe- firmierten frühe Filme über New Orleans vor alhier bald wieder Musik erklingen kann und die Leu- zirke von New Orleans erleben, ist eine Express- lem an die romantische Darstellung des Südens, te aus der Nachbarschaft wieder zusammen kom- Gentrification, die mit den gleichen Logiken und betonten das Klischee der Musikstadt New Orlemen können. Argumenten, aber auch mit den gleichen Wider- ans mit Musicalthemen oder kombinierten beide Die Musik selbst spielt in Treme die Hauptrolle und sprüchen wie ihre langsamere Variante einher- Komponenten. In späteren Filmen wie The Big Easy verbindet darüber hinaus die Charaktere miteinan- geht. Bestimmt verstärkt der traumatische Bruch (1986) wurden ebenfalls kaum zu ertragende Klider. Oft verweilt die Kamera noch ein paar Minu- durch die Flut das „Früher war alles besser“-Ge- schees aufgefahren: Schwarze Verbrecher, gutes ten länger bei einem Jam oder einem Konzert, als fühl noch. Essen, weiße Cops und naive Frauen bildeten seies für die eigentliche Handlung nötig ist. Besonders gut werden diese diffusen Gefühle wie- ne Zutaten. Noch mehr als in Zeitoun verschmelzen recher- derum in Treme dargestellt. Der Radiomoderator Glücklicherweise gibt es in der Popkultur derzeit chierte Wirklichkeit und Dazuerfundenes in Treme. Davis Mc Alary (Steve Zahn) foltert seine offen- ein Entdecken der Südstaaten, das nicht alleine So sind die Figuren nicht nur Platzhalter, in denen sichtlich gut betuchten neuen Nachbarn mit lau- in New Orleans halt macht und mit den alten KliGeschichte oszilliert, oft haben sie auch reale Vor- ter Musik, und als sie sich beschweren, schreit er schees und Darstellungen bricht. Davon zeugen bilder, immer wieder treten New Orleaner in Ne- sie an „You live in the Treme, you gotta deal with unter anderem die Vampirserie True Blood, die benrollen auf. Ein Psychologe erzählt in Spike Lees that shit. It‘s the most musical neighbourhood.“ ebenfalls in Lousiana spielt, oder die Football-Show Dokumentation: „Es sterben immer noch Menschen Doch die beiden kommen selber aus New Orle- Friday Night Lights aus der fiktiven Stadt Dillon in Tean Katrina; sie haben Krebs, schlafen nicht, viele lei- ans, kennen sich ebenso gut mit der Musik aus xas. Beide stellen Rassismus und Ausgrenzung imden unter Depressionen und Post-Stress-Traumata.“. wie er. Sie sind bewusst aus Uptown, dem Bezirk, mer wieder als Problem in den Vordergrund ihrer Treme funktioniert nach Innen und nach Außen, ist in dem auch die Zeitouns lebten, hierher gezo- Handlung. beides: Aufklärung, aber auch Aufarbeitung. Die gen. Sie nennen es “historical preservation”, Da- Angesichts der Katastrophe und ihrer Darstellung Bevölkerung nimmt regen Anteil an der Serie, die vis nennt es Gentrification und sagt: “I just want ist es also kein Wunder, dass sich New Orleans my city back.” in vielen Lokalen als Public Viewing gezeigt wird. und Post-Katrina zu kulturellen Lieblingsthemen Jeder in New Orleans kennt jemanden, dem es wie Überall in der Stadt finden diese Kämpfe statt: Die der amerikanischen Liberalen entwickelt haben. es der Barbetreiberin LaDonna Batiste-Williams neuen wohlhabenden Bewohner der Garden City Während sich die Konservativen an 9/11 ergötzen, (Khandi Alexander) geht, die immer noch kein tragen beispielsweise zum erhöhten Steuerauf- zeigen die Liberalen hier mit Vorliebe, was ihrer Dach über dem Kopf hat, ihren Ehemann nicht zur kommen und somit zum Wiederaufbau bei, viele Meinung nach schief läuft in Amerika. In der DisRückkehr überreden kann und ihren Bruder sucht, sind aus solidarischen Motiven dorthin gezogen. kussion um die Stadt kulminieren die verschiedensder, genau wie Zeitoun, im Katrina-Chaos der Jus- Trotzdem zerstören sie den günstigen Wohnraum, ten aktuellen politischen und kulturellen Debatten; tizbehörden geschluckt worden ist. Zuletzt wurde lassen für Alteingesessene den Traum ihrer ehema- einerseits wird der Vorwurf des Rassismus, der er in eben jenem Hunt-Gefängnis gesichtet, in dem ligen Stadt endgültig platzen. Ausbeutung einer armen, vornehmlich schwarzen auch Zeitoun saß. Dieser im Hochsicherheitstrakt, Besonders der Tourismus ist von diesem Wider- Kultur laut, anderseits wird aber auch der Fetisch LaDonnas Bruder im Stadion daneben, in das eva- spruch betroffen. In einer Szene in Treme stehen der Musik, der Clubs und der afroamerikanischen kuierte und neue Gefangene gebracht wurden und die Mardi Gras Indians vor einem zerfallenen Kultur in der Stadt gepflegt. Immer wieder liest Tage ohne sanitäre Einrichtungen und Betten ver- Haus und spielen den Beerdigungswalzer für einen man aber auch, besonders in den Gesundheitsdebrachten; das berühmt geworden ist, weil Sand- Freund, den sie in der Stadt geborgen haben. Ein batten, von zu fettem Essen, einer unfitten Bevölkewichs über die Zäune geworfen wurden und die In- Bus voller Touristen, auf dessen Vorderseite „Katri- rung und zu viel Alkohol- und Drogenkonsum. Man sassen sich darum prügelten, während sie in ihren na-Tours“ steht, hält an und der Busfahrer ruft der ahnt den liebevoll gemeinten Zeigefinger des weiBand freundlich zu: „People wanna see what hap- ßen, amerikanischen Norden, der es doch nur gut eigenen Exkrementen saßen. meint mit den Menschen in New Orleans. 4. Ein großer Teil der Bevölkerung von New Orleans pened! Is that your house?“ findet sich bestimmt auch in den Bemühungen von Die Stadt hat sich verändert, tut dies auch weiter- Dem fiktiven Schriftsteller aus Treme, Creighton Chief Albert Lambreaux wieder, der versucht he- hin, und diese Veränderung produziert neue Zei- Bernettes, empfiehlt seine New Yorker Lektorin, rauszubekommen, warum die Projects, in denen chen. Der aus New Orleans stammende Wendell als nächstes ein Buch über New Orleans zu schreiviele evakuierte und geflüchtete New Orleaner Pierce, der in Treme den Trompeter Antoine Batiste ben, Katrina hätte die Stadt wieder auf die kulturelgewohnt haben, verschlossen bleiben. Immer wie- spielt, erzählt in When the Levees Broke: “It’s so weird le Landkarte gehoben. Darauf antwortet Bernette: der stellt er eine Frage an sämtliche Verantwortli- to go through my neighbourhood and see the markings — “It wiped it off the map, actually.” Keine Unterhaltung che: Wohin sollen die, die zurückkommen wollen, no bodys, no bodys — and suddenly there’s a number on beschreibt besser, um was es jetzt geht. Nach diedie nach der Evakuierung verstreut über das gan- the shallow of a house, saying two. Right around where ser Katastrophe muss erst einmal das Erlebte erze Land sind, denn heimkehren, wenn der eine Teil I live two people died. And then it’s so definitely qui- zählt werden, bevor Geschichten erfunden werden der Häuser zerstört ist und die Erhaltengebliebe- et.” Die Markierungen, über die er spricht, sind Xe können. Die Widersprüche, der Schmerz, die Traunen nicht wieder geöffnet werden?! Denn dank ih- auf den Häusern, aufgemalt von den Suchtruppen, er und das Entsetzen müssen verhandelt und das rer Lage in der Stadt und der soliden Bauweise die geborgene, gefundene Menschen oder Leichen kulturelle Terrain neu entdeckt werden. Somit ist konnte die Flut den Projects kaum etwas anhaben. markieren. Dieses X ist ein solches Zeichen, das für das journalistische Erzählformat von David Simon Der amerikanische Katastrophenschutz FEMA sen- ein neues New Orleans steht. und Dave Eggers bestens gewählt. Es ist eine neue det ihm einen weißen Trailer ohne Strom- und Was- 5. Aber nicht nur die Berichterstattung und die Zei- Zeit eines veränderten Erzählens über den Süden seranschluss, einer von vielen, die noch heute über chen verändern sich. An gleich zwei großartigen der USA angebrochen, das sich nicht mehr in der die ganze Stadt verteilt sind. Bürgermeister Ray Filmen des letzten Jahres lässt sich ebenfalls eine Glorifizierung des Ol’ South ergeht, sondern vielfälNagin sagt in Fernsehtalkshows: „We have to re- deutliche Veränderung ablesen: In Werner Her- tige Facetten, Brüche, Abgründe und Schönheiten build smaller“, was übersetzt bedeutet: Dort wo zogs The Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans zeigen will. Jahre lang die Projects waren, werden jetzt so ge- (2009) läuft Nicolas Cage als drogensüchtiger Ponannte Mixed-Income-Bezirke gebaut. „Natürlich lizist durch ein New Orleans, das abwechselnd ist die Ghettoisierung in den Projects ein Problem, aber einer grellen und einer düsteren Einöde gleicht. keins, das sich durch ihren Abriss, die Abschaffung und Die Highways, Hinterhöfe und ApartmentkompleErrichtung sogenannter ‚Mixed Income‘-Stadtteile lö- xe erinnern an traumartige Orte, und der eigentsen lässt. Man kann die Probleme, die mit Armut meis- liche Mord, den es aufzuklären gilt, tritt immer tens einhergehen, wie höhere Kriminalitätsraten, nicht Man ahnt den liebevoll gemeinten Zeigefinger des weißen, amerikanischen Norden, der es doch nur gut meint mit den Menschen in New Orleans. mehr in den Hintergrund. War Abel lösen, in dem man die Armen über die Stadt verteilt und ihre Wohnquartiere zerstört.“, argumentieren ChrisFerreras Bad Lieutenant (1992) noch in tian Jakob und Friedrich Schorb. Vielmehr werNew York angesiedelt, kann man Herde im Zuge dieser Entwicklung sogar der Anstieg zogs Entscheidung, seinen Protagonisvon Armut, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit in ten durch New Orleans stolpern zu lasKauf genommen: Durch die fehlenden Sozialwohsen, als deutliches Statement lesen. nungen und den durch Katrina verursachten WohGanz ähnlich ergeht es dem ebenfalls nungsmangel fehlen bis heute günstige Wohnunheruntergekommenen Detective Dave gen auf dem Markt. Zudem suchen viele ehemalige Robicheaux (Tommy Lee Jones), der von Betrand Tavernier im Film In the Hausbesitzer, die es sich nicht leisten können, ihre Electric Mist (2009) bei schwüler HitHäuser zu reparieren, nach neuem Wohnraum. ze durch die New Orleans umgeben„Die Sozialbausanierung ist nichts weiter als die Verden Sümpfe geschickt wird und bei nichtung dringend benötigten günstigen Wohnraums. Sie vertreibt die Unterschicht aus der Stadt, zerstört indessen Ermittlungsarbeit Vergangentakte und lange gewachsene soziale Netzwerke und ist heit und Gegenwart zu einer einziHATE Seite vierundvierzig
Jahrelang galt die Gegend um den Hackeschen Markt herum als hipper Stadtteil, bis die Ladenmieten unbezahlbar wurden, Langweiler und Touristen das Bild dominierten. Auch wenn Jonas Gempp kurze Zeit Hoffnung hatte, dass vielleicht die Zeit noch mal stehen bleibt oder einfach alles gut wird; Mitte ist leider ein steriler und öder Tummelplatz für uniformierte Mitläufer geworden.
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Berlin Mitte – Ein Abgesang
„ … denn was kann es Kredi bleres geben, als die Exekutive, die den Freiraum-Rave repressiert? “
ie Torstraße in Berlin war bis vor ungefähr drei Jahren, und vor allem im Abschnitt zwischen Rosa-Luxemburg-Platz und Rosenthaler Platz, eine triste, zweispurige Durchfahrtsstraße, die einerseits die beiden „Szenebezirke“ Prenzlauer Berg und Mitte voneinander trennte, andererseits Tiergarten und Alexanderplatz miteinander verband. Die Auswahl an Geschäften war eher unspektakulär; mit einer Zoohandlung, ramschigen Trödelläden und einer ziemlich verrauchten Kneipe namens Pik Ass. Lediglich ein Internetcafé namens Sankt Oberholz, das als Sinnbild für die Nachmittagsgestaltung von Medienprekären Einzug in so ziemlich jedes deutsche Feuilleton gehalten hatte, war der erste Schritt in Richtung cleane Szenemeile. Die Torstraße gehörte lange eher nicht zu den spektakulären Adressen. Die fanden sich etwas weiter südlich Richtung Hackescher Markt. Dann stiegen jedoch gleich um die Ecke in der Neuen und Alten Schönhauser Straße die Ladenmieten ins Unermessliche, Flagshipstores und Ketten hielten Einzug und der Early-Adopter-Tross musste weiterziehen, um den Lebensraum zu erweitern bzw. zu wechseln. Die Gegend um den Hackeschen Markt herum war schon länger zur Touristenmeile und dem Flanier-Revier von Annabelle und Konstantin mit dem BWL-Studium, Smart und Bisschen-VorbeiModegeschmack mutiert. So eine Veränderung und Homogenisierung des Kiezes ist eine logische Entwicklung, aber ein wenig Hoffnung schien dennoch aufzukeimen, als Mitte Mai diesen Jahres in der Torstraße etwas passierte, was danach in den einschlägigen Blogs als „Legendary Blockparty“ bezeichnet wurde. Einige Shop-Betreiber taten sich zusammen, um mehr oder weniger jungen Menschen bei einer die Straße okkupierenden Zusammenkunft durch die Auflegekünste irgendeines New Yorker Hipster-DJs und den Live-Act von Modeselektor zum Tanzen, Trinken und Cooltun zu animieren. Bereits kurze Zeit nach der verrückten, einmaligen und total abgefahrenen Straßenparty konnte man sich bei Youtube perfekt inszenierte 2 - Minuten-Filmchen anschauen. Diese zeigten recht schnell, mit was man es zu tun hatte; nämlich einem bis ins kleinste Detail durchchoreographierten Agentur-Reissbrett-Event mit subversivem Charakter. Nicht umsonst tauchten auf den Bildern, neben den omnipräsenten drei Streifen, C -Promis und alter Mitteadel zwischen der Füllmasse an uniformierten Totallangweilern, Bullen auf. Die Initiatoren rieben sich wahrscheinlich die Hände und freuten sich wie blöde, denn was kann es Kredibleres geben, als die Exekutive, die den Freiraum-Rave repressiert? Die Kopie des gegenkulturellen Berliner Undergrounds war also nichts als eine hervorragend geplante Agentur-Inszenierung mit einer Kissenschlacht, die man sich geschickt von der Fusion abgeschaut hatte und die Federn durch die Luft fliegen ließ. Das Spektakel ließ die Vintage-Armani-Blazer-Trägerinnen euphorisch jubeln, und es bleibt zu hoffen, dass ebendiese künftig öfters jene Shirts mit dem Aufdruck Torstraße tragen werden. Das könnte einen Ed Hardy-ähnlichen Effekt haben und deutlich zeigen, mit wem man beim Getränkeholen an der Bar besser keinen Smalltalk anfängt.
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Biographien auf Null: Eineinhundertleben. Eugen Ivan Bergmann
1. Musik: Zemfira.
der junge läuft durch die strassen haut pfähle um seine ungehorsamen beine sagen: „wir tragen dich hin aber keinen schritt zurück!“
der junge wünscht sich gott zu sein aber das ist so schwierig und so traurig und so einsam er sagte es mir betrunken schaute mir in die augen geld null sex null
musik verreckt junge auf null
der junge vergisst auf seinem weg wieso er läuft aber er läuft und er wird mann und noch lässt sich einen stachel anwachsen sein lauf wird ihm schwer
vorbei an regen scheinwerfern vorbei an träumen und schlaflosigkeiten schneller um nichts zu versäumen um behalten zu werden schluckt gierig die lächeln der menschen geld null sex null musik verreckt junge auf null.*
2.
Sexualität: dir.
„Nein, wirklich, ich habe keine Lust. Ich spreche immer so. Es ist mir ein Verlangen.“ „Höre mir eher zu, wenn ich nicht rede. Eine Ahnung.“ „Es ist ein Durst.“ „Danke. Wodka.“ „Ja. Zu viel Distanz. Ich lebe schon seit ewig in … Eingebildetes Zauberreich. Habe gelernt, mich zu benehmen. Ah, von dem hier – Hey, zielstrebig! Von diesem dort – Oh, geil alter! Wie oft benutze ich fremde Worte. Benutze jede erfahrene Gestalt sicheren Gebildes einer immer geltenden Gleichung mit demselben Ergebnis zum ewigen Nichts. Nur um ein wenig später.“ „Das Leben ist gut. Das Leben ist schön.“ „Ich möchte es nicht missen, mir würde alles fehlen. Bin nur langsam zu verkleidet, mein irdischer Kompass. Dabei wäre ich so gern bar, nackt! “ „Also, so nicht fleischig nackt. Nackt wie ein Tier!“ „Das heißt... Das heißt auch: in Gefahr sein. Das Sein, durchdrungen … Zeit nur in Bewegung messen … Nur so schmecken.“ „Wahrscheinlich würde es bedeuten, alle zehn Minuten zu sterben! Als Menschtier Lust am Schmerz empfinden. Und wann denn, wenn nicht jetzt?“ „Meine Augen? Gefährlich?“ „Alles, was ich sage, hat nichts mit mir zu tun.“ „Hirnverstopfung! Scheiße … Hast du Abführmittel? Sonst würde ich einfach nur glücklich vor mich hin blubbern.“ „Hey, glücklich bin ich sehr oft! Ich wache täglich auf und wunder mich: Boah, ist es herrlich!“ „Menschen die ich liebe, ficke ich nicht.“ „Genau das hat etwas mit Schmerz zu tun. Wie viel füge ich mir, dir zu? Und wo ist das bisschen mehr, das ich nicht aushalte, dass ich mich spüre, finde, kenne.“ „Ich bin nur Mund.“ „Um es dir zu zeigen?! Mal schauen, wie viel du aushältst, wie viel du behältst. Um es meins zu nennen.“
3.
Drei Uhr: Ekstase.
Entzückend! Hast du gesehen! Hast du ihn gesehen! Na dieser Fuß, der Knöchel in den Halbschuh gebettet. Diese Eigenart der Kleineren, auf Zehnspitzen, leicht nach vorne gebeugt, standfest auf einem, den anderen Fuß fürs Gleichgewicht leicht nach hinten ausstreckend, in die Höhe zu greifen. So ein Tanz. Inmitten des Gewusels so eine unbedachte Feinheit der Lust. Und alle Lippen sind nur noch Kirschen. Mein lieber Betongarten.
*Aus dem Russischen frei übersetzt. HATE Seite sechsundvierzig
Torsun
Tina Ferus
Sören
Timur Parlar
Roy Funke
Roman Brinzanik
Remo Westermann
Moritz Esser
RAW-Flohmarkt
Miguel Martinez
Marie Seebach
Matthias Appenzeller
Hendrik Keusch
Johannes Scharf
Franz Beutel
Godfried A. Jäger
Elena
Fabian Weißbarth
DNP Music
Christian Titze
Chris Mann
Christian Demmler
Artur Schock
Anne Seebach
Annette Zimmermann
Adrian Dalichow
Unser herzlicher Dank gilt allen Herausgebern dieser Ausgabe. Ohne eure Unterstützung und euer finanzielles Engagement wäre HATE #7 nicht realisierbar gewesen.
Für die Zeit der WM vom 11. Juni bis zum 11. Juli 2010 wird sich Sid Meyer in selbstgewählte Isolationshaft begeben, er wird keine Fanmeile besuchen, sondern alle Spiele alleine mit dem Fernseher verbringen. Darüber bloggt er auf www.hate-mag.com unter der Rubrik: Schön Zu Hause Bleiben.
A
lle vier Jahre wird die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen. Die letzte 2006 in Deutschland brachte uns ein neues Phänomen: Public Viewing. Aufgrund begrenzter Kapazität in den Stadien und erhöhter Nachfrage installierte das Organisationskomitee (OK) in deutschen Städten Fanmeilen. Auf denen verfolgten über 20 Millionen Besucher die Spiele und imitierten, meist schwarz-rot-gold bekleidet und angemalt, vor Videoleinwänden das Stadionerlebnis. Der Drang zur Kollektivierung ihrer Emotionen trieb sie raus aus dem heimischen Pantoffelkino, rein in die Plastikwelt der Fanmeilen. Eine Million Zuschauer harrten auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor bei Temperaturen um die 30 Grad aus, garniert von himmelblauen Outdoor-WCs, bewacht von einer Horde uniformierter Schläger. Vor dem Anpfiff wurde noch gemeinsames Nationalhymnen-Karaoke betrieben, natürlich mit Text auf den Leinwänden, damit bloß keiner aus Versehen die falsche Strophe trällert. Über all dem stand der Wunsch nach Gemeinsamkeit. Das Tragen eines Trikots gab die Möglichkeit, Teil des deutschen Ganzen zu werden. Aus dem Ich wurde das Wir. „Wir“ spielten, „wir“ gewannen oder „wir“ verloren. Das erste Public Viewing zu einer Sportveranstaltung gab es übrigens bei der Olympiade 1936. In Berlin und Leipzig wurden Fernsehstuben eingerichtet und in Kinos wurden Live-Bilder von den Wettkämpfen übertragen. Immerhin 160.000 Zuschauer sollen die Wettkämpfe vor den Bildschirmen und Leinwänden verfolgt haben. Ähnliches geschieht an jedem Spieltag in der Bundes- oder einer anderen Liga, nur eben nicht mit einem Nationalteam, sondern einer Vereinsmannschaft, deren Spieler aus aller Welt kommen und damit einen wesentlich geringeren Identifikationsgrad für den Zuschauer bieten. Der Kicker im Verein spielt für Geld anstatt für Ruhm und Nation. So verwundert es nicht weiter, dass TV-Kommentatoren die Bedeutung von Europacupspielen gern auf eine nationale Ebene ziehen. Mit Verweis auf die Uefa-Fünfjahreswertung, die die Verteilung der Startplätze für die nationalen Ligen regelt, soll auch der härteste Dortmunder auf den ungeliebten blau-weißen Nachbarn eingeschworen werden, wenn es darum geht, den deutschen Fußball voran zu bringen. Das Fernsehen indessen liefert den unterhaltungssüchtigen Konsumenten Meinung und Analyse zugleich. So verkommt während einer WM jede Kommunikation zu einem Dauer-Echo: Die gleichgeschalteten Zuschauer wiederholen in Endlosschleifen das von Experten Abgesonderte. Und jetzt ist auch noch der Fussball-Super-GAU eingetreten: Nach dem Freitod des Torhüters Nummer Eins und der Verletzung der potenziellen Nummer Zwei hat sich Kapitän Ballack im FA-Cup-Finale schwer verletzt und musste seine Teilnahme absagen. So werden wir die nächsten vier Wochen im permanenten Konjunktiv leben, Gegentore werden abgezogen und Tore hinzugezählt, imaginäre Tabellen errechnet, und bei jedem Fehler der Ersatzleute wird an dieses himmelschreiende Unrecht erinnert, das uns Deutschen mal wieder angetan wurde. Am 23. Juni 2010 zum Spiel Deutschland gegen Ghana wird die Fanmeile am Brandenburger Tor eröffnet. Die Bundesbahn wirbt mit Reisen zu diesem Event. Wieder soll sich das Land in einem vierwöchigen Ausnahmezustand befinden, landsmännische Gefühle ausleben und die Probleme hinter sich lassen. Sommermärchen 2006 reloaded. Musikalisch begleitet wird das von der Fanmeilen-Hymne „Auf geht‘s Deutschland“. Die Bayern Krisi und Hubi reimen lustig „sehn“ auf „zweitausendzehn“ und liefern damit optimales Mitgrölmaterial. Anders als die rechtslastigen Böhse Onkelz, die 1986 „im Land der Kakteen werden wir, du wirst sehn, wieder Weltmeister sein“ sangen, wollen Krisi und Hubi nur einfach mal „als letzte gehn“. Womit sie eventuell das gleiche meinen.
Ein kleiner Sprung: Vom Ich zum Wir
Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürte 2006 das Wort Fanmeile zum Wort des Jahres. Fußball schaut man nicht mehr nur mit den Freunden, man wird Teil eines Megaevents. Was steckt dahinter? Was treibt Millionen an, kollektiv einer Videoleinwand zuzujubeln? Eine Betrachtung des Fußballinteressierten Sid Meyer.
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Volksbegierden Totale Rekonstruktion
Johannes Paul Raether
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich heiße Sie recht herzlich willkommen im Infoshop des Volksbegierden Totale Rekonstruktion. Nachdem wir Deutschen in einem nationalen Kraftakt bereits mehrere Wiederaufbauprojekte gemeistert haben und heute endlich wieder das Schloss anstelle des furchtbaren Palastes der Republik in seiner ganzen Schönheit erstrahlt, ist es an der Zeit, das nächste, ein noch anspruchvolleres Projekt in Angriff zu nehmen: Die Rekonstruktion von Albert Speers Neuer Reichskanzlei auf dem Marx-Engels-Forum. Denn eines muss uns allen klar sein: „Die Deutschen finden keinen Schlaf, solange diese Lücke nicht geschlossen ist.“ Sie haben ja sicher den Beginn der Debatte um diesen städtebaulichen Kahlschlag mitbekommen und längst gemerkt, dass die bundesrepublikanischen Kleingeister die Wiederaufforstung unserer Mitte zerreden wollen. Wir dagegen haben bereits eine Antwort auf diese drängende städtebauliche Frage und wollen ihnen unseren Vorschlag gerne anhand eines Modells erläutern. Unser Vorbild ist natürlich die Rekonstruktion der Schlossfassaden mithilfe von bedruckten Planen im Jahr 1993, initiiert von Wilhelm von Boddien, dem heutigen Vorsitzenden des Fördervereins Berliner Schloss, ein Visionär und Vorreiter unserer Bemühungen um die totale Rekonstruktion von Berlin Mitte. Natürlich muss man im 21. Jahrhundert andere, manchmal auch spektakulärere Mittel einsetzen, um die Menschen von den eigenen Visionen zu überzeugen. Deswegen haben wir hier ein Modell im Maßstab 1: 2000 in Wurst, Gurke und Pumpernickel bauen lassen! Das größte Fleischwurstmodell der ganzen Welt! HATE Seite neunundvierzig
Ich möchte Ihnen, bevor wir unser Projekt konkret beschreiben, noch gerne ein wenig Hintergrundwissen über die Geschichte der Rekonstruktion in Berlin vermitteln. Es wird Sie vielleicht überraschen, aber das Projekt der totalen Rekonstruktion liegt gar nicht in so weiter Ferne, vielmehr haben Deutschland und Berlin eine imposante und lebendige Geschichte der Rekonstruktion. Auf diesen Bildern sehen Sie die Gebäude entlang der Strasse Unter den Linden: die Humboldt-Uni, die Universitätsbibliothek, die Kommandantur, das Zeughaus und die Bauakademie zum Beispiel. Allesamt wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört und als Neubauten hinter rekonstruierten Fassaden wiederaufgebaut, die meisten davon noch in der DDR. Die Sozialisten waren, das muss man ihnen schon lassen, nicht so antipreußisch wie allgemein unterstellt wird, sie haben immer auch verstanden, dass es eine nationale Aufgabe darstellt, die Wunden zu heilen, die der Krieg geschlagen hat. Ganz besonders herausragend für die deutsche Tradition der Rekonstruktion ist dabei die Staatsoper Unter den Linden. Sie wurde schon 1941 zum ersten Mal durch Bomben zerstört und von den Nationalsozialisten wiederaufgebaut, 1944 wurde sie wieder dem Erdboden gleichgemacht und von der DDR wiederaufgebaut. Bei beiden Eröffnungen wurden Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ aufgeführt. HATE Seite fünfzig
Allerdings hat die DDR die totale Rekonstruktion dann doch etwas schleifen lassen, denn die Wilhelmstraße, das deutsche Machtzentrum bis 1945, mit zahlreichen barocken und klassizistischen architektonischen Juwelen wurde mit Plattenbauten aufgefüllt oder einfach leer gelassen. In diesem Zug verschwand auch solch große deutsche Architektur wie Speers Neue Reichskanzlei. Wir finden, es kann nicht dabei bleiben, dass wir lediglich dasjenige Preußen rekonstruieren, das wir gemeinhin mit Bildung, Kunst und Kultur in Verbindung bringen, wir müssen uns endlich auch der Gebäude annehmen, deren einstige Funktion vielleicht aus heutiger Perspektive zweifelhaft erscheint, die aber dennoch für sich betrachtet große Architektur darstellen. HATE Seite einundfünzig
Nun werden Sie einwenden, dass es einen Unterschied macht, einen preußischen oder ein nationalsozialistischen Bau zu rekonstruieren. Lassen Sie mich diesen Einwand aus dem Weg räumen mithilfe eines anderen bekannten Berliner Gebäudes, dem Olympiastadion. Der hintere Teil der Anlage, mit dem Glockenturm und der Langemarckhalle wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und von Britischen Pionieren gesprengt. Der Berliner Senat beschloss 1963, den Turm und die darunter liegende Halle originalgetreu wiederzuerrichten. Zu Recht, finden wir, denn es ist ein wunderschöner Bau: Auf den Bildern sehen Sie die Ehrenhalle mit den rekonstruierten Schildern, für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Divisionen. „Lebe droben, o Vaterland und zähle nicht die Toten, dir ist, liebes, nicht einer zuviel gefallen.“ Ein wunderbares Referenzprojekt für unseren ambitionierten Wiederaufbau in Mitte. Deutschland hat heute nicht nur die Größe, sondern ist auch innerhalb der World Community so fest verankert, dass wir uns endlich erlauben können, die besten nationalsozialistische Bauten wieder in den Kanon des Guten, Wahren und Schönen aufnehmen zu können. Um Sie nun aber nicht ganz alleine überzeugen zu müssen, würde ich Ihnen gerne einige engagierte Fürsprecher unseres Anliegens vorstellen. Sie haben sich allesamt für den Wiederaufbau des Schlosses engagiert und sich in den Debatten die Sporen für die totale Rekonstruktion verdient: Hier haben wir zum Ersten Wolf Jobst Siedler, Publizist und Verleger, Initiator der Schlossdebatte und ein unvergleichlicher Poet der Rekonstruktion, vor allem in seiner schon Anfang der 90er Jahre brillanten Einschätzung: „Das Schloss stand nicht in Berlin, das Schloss war Berlin!“ Zum Zweiten Hans Stimmann, SPD-Mitglied und Senatsbaudirektor von 1991-2006. Verfasser des Planwerk Innenstadt und verantwortlich für die erfolgreiche Entfernung der Ostmoderne aus der Stadt. Ein virtuoser Verfechter der Blockrandbebauung. Zum Dritten ein Praktiker: der Architekt Hans
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Kollhoff, stellvertretend für eine Generation genialer Baumeister der Berliner Republik, die das Stadtbild der letzten 20 Jahre geprägt haben, ein Genius der Traufhöhe. Und zu guter Letzt der Architekturtheoretiker Prof. Vittorio Lampugniani, Vorsitzender der Jury des Architekturwettbewerbs für das Berliner Schloss und guter Freund des Architekten Franco Stella. Die Neue Reichskanzlei selbst brauche ich Ihnen sicher nicht vorstellen, Sie alle haben bereits Bilder dieses einzigartigen Baus gesehen. Wir haben Ihnen hier die besten einmal zusammengestellt, sodass Sie sich von der Qualität dieses Baus ein weiteres Mal überzeugen können.
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Ich möchte dafür einige der eben genannten Koryphäen der Rekonstruktion zu Wort kommen lassen und Ihnen konkret darstellen, wie wir uns die Rekonstruktion der Reichskanzlei auf dem Marx-Engels-Forum vorstellen. Wir haben hier in Zusammenarbeit mit den Architektenbüros Hilmer und Sattler einige Renderings erstellt, wie sich die Reichskanzlei in das städtebauliche Gefüge einbringen wird. Zunächst sehen Sie hier anhand des Masterplans von Hans Kollhoff die Verdichtung auf dem Marx-EngelsForum, hier ausgeführt in einer zwar ökonomisch sinnvollen, aber sonst eher unspektakulären Blockrandbebauung. Das Bild in der Mitte stellt die Zusammenführung beider Ideen dar:
Blockrandbebauung mit Mischnutzung hinter den rekonstruierten Fassaden der Reichskanzlei. Im unteren Teil wollen wir zeigen, wie wunderbar die Neue Reichskanzlei an die Schlossfassade eines Stella anknüpfen würde. Auf der linken Seite des Renderings sehen Sie seinen Belvedere und auf der rechten Seite Speers Fassade. Wie gut sich selbst noch die Gartenfassaden des Speerschen Baus in die bestehende Architektur eingliedern würden, sehen Sie auf dem unteren Bild. Vittorio Lampugniani hat in diesem Zusammenhang auch schon richtig bemerkt: „Die Architektur der Neuen Reichskanzlei von Albert Speer ist im Vergleich zur Nachkriegsbebauung des
Kurfürstendamms mit ihrer Rücksicht auf die Traufhöhe der umliegenden Gebäude ein Wunder an Sensibilität.“ Wenn man sich einen Großteil der Nachwendebebauung ansieht, wird man dieses Urteil verstehen. Denn der politisch Verantwortliche für das Planwerk Innenstadt, also den Masterplan des Neuen Berlins, der Senatsbaudirektor Hans Stimmann beschreibt sein Programm: „Die Berliner Architektur ist diszipliniert, preußisch, zurückhaltend in der Farbigkeit, steinern, eher gerade als geschwungen.“ Die „Steinerne Architektur“, so meint auch Jürgen Savade, ein Kollege Kollhoffs, verkörpert die Berliner Bautradition: „Ich bin Berliner und als solcher Großstädter. Meine Architektur ist eine großstädtische Architektur. Ich bin auch Preuße und als solcher in meiner ästhetischen Gesinnung Purist, ein Rationalist und zunehmend ein Minimalist. Meine Architektur ist puristisch, d.h. sie ist einfach, klar, präzise, ehrlich. Weniger ist für mich mehr, weniger ist für mich besser, weniger ist für mich alles! Mit dieser Gesinnung stehe ich nicht allein, sondern sehr wohl auch in der Tradition der Berliner Baugeschichte.“ HATE Seite fünfundfünzig
Sie können hier auf dieser Tafel einige erfolgreiche Neubauten oder Re-Designs der letzten Jahre sehen, die dieser Maxime folgen. Die Umgestaltung des Kaufhofes von Kleihues, die Blöcke an der Friedrichstraße von Hans Kollhoff oder der Bundesnachrichtendienst von Hilmer und Sattler. Hans Stimmann wiederum erklärt uns den Grund für die kurze Unterbrechung dieser Bautradition: „Der Berufsstand der Architekten existiert in der DDR und in den Ostblockländern nur noch in kaum wahrnehmbaren Resten. Mit der ganzen bürgerlichen Klasse ist auch das abhanden gekommen. (…) So ist ein baukultureller Kahlschlag entstanden, der erstmal wieder aufgeforstet werden muss“, denn: „In den fünfziger Jahren haben sich die Berliner aufgemacht, ihre Identität zu suchen: die einen in Amerika, die anderen in der Sowjetunion, später in Richtung was-weiß-ich-wohin. Auf jeden Fall musste es schrecklich international sein. Das war ein falscher Weg. Die Berliner müssen ihre eigenen Themen wieder ernst nehmen.“ Diese Aufforstung und die ernste Betrachtung unserer ureigensten Themen wollen wir mit der Neuen Reichskanzlei auf dem MarxEngels-Forum abschließen und sehen uns darin von Herrn Wolf Jobst Siedler bestätigt: „Das Gedächtnis der Völker ist tief und reicht weit zurück. Die nationalen Renaissancen, die alle europäische Geschichte markieren, sind eine Form des Aufbrechens verschütteter Erinnerungen. (…) Es ist der Untergang der antihistorischen HATE Seite sechsundfünfzig
Epoche, der Untergang der Moderne, die den Städtebau der Gegenwart erfasst haben: Es ist ein Wiedereintauchen in Geschichte, das binnen kurzem auch wieder alte Bild- und Erzählfigurationen aufführen wird.“ Einige dieser wiederauftauchenden Bildund Erzählfigurationen wollen wir Ihnen hier nicht vorenthalten: Auf den Bildern zu Ihrer Rechten sehen Sie einen Vorschlag von Herrn Kollhoff für das Schloss und darunter für die Eingangshalle des Neuen Museums. Wir finden, diese Erzählfiguration deutscher Architektur nimmt unsere Bemühungen um die Reichskanzlei vorweg, mehr noch, wenn wir auch den Schlossvorschlag des Architektenbüros Platsch und Klotz mit Speers Planungen für den Führerpalast der Welthauptstadt Germania vergleichen. Dass Platzsch und Klotz bisher nur das Hotel Adlon rekonstruieren durften, finden wir typisch für die deutsche Angst, große Architekten in der Hauptstadt zum Zuge kommen zu lassen.
Vittorio Lampugniani, der Juror des Schlosswettbewerbs hat dafür eine Erklärung: „Das ‚Nazi‘-Verdikt wirkt bis heute nach. Wer im Bauen altbewährte Materialien wie Naturstein oder Holz verwendet, gilt als reaktionär. Wenn er daraus solide, gut detaillierte Bauten konstruiert, ist er fast schon totalitär. Und wenn die Grundrisse klar geometrisch angelegt und die Fassaden einheitlich und streng gegliedert sind, dauert es nicht lange, bis er als Faschist diffamiert wird.“ Dagegen lehnen sich zum Glück wortgewandte Geister unsere Fürsprecher auf und Lampugniagni erklärt uns: „Bis in die zwanziger Jahre hinein zeichnete sich die Architektur des damaligen Deutschen Reichs durch extrem hohe Qualität aus. (…) Dasselbe gilt für die Architektur in der Zeit des Nationalsozialismus, die zwar in den öffentlichen Repräsentationsbauten einem hölzernen, megalomanen Klassizismus huldigte, aber sonst ausgesprochen solide detaillierte Bauten hervorbrachte.“ Und er fügt hinzu:
„Die Architektur unter dem Faschismus war tatsächlich durch formale Elemente geprägt, die teilweise mit jenen der gegenwärtigen rationalistischen Tendenzen Ähnlichkeiten aufweisen. Doch Bedeutung ist nicht etwas das bestimmten formalen Elementen unverrückbar anhaftet, sondern eine soziale Konvention, die sozial veränderlich ist. Es ist demnach durchaus möglich, erneut Säulengänge und Monumentalbauten (…) zu bauen: Wenn dort anstelle von bedrohlichen SS-Gestalten in braunen Ledermänteln und Schaftstiefeln, lässige, junge Leute in offenen Baumwollhemden und Jeans umherlaufen, kann die Bedeutung des totalitären von den Bauformen abfallen wie eine alte ausgetrocknete Schale.“ Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Neale
Moritz
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