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HERAUSGEBER GbR Gempp, Scholz Krossener Straße 7 10245 Berlin Registernummer 14/518/00069
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I N H A L T S V E & REDAKTION Jonas Gempp Laura Ewert Nina Scholz GESTALTUNG Johannes C. Büttner ANZEIGEN Robert Härtel
I M P R E S S jonas@hate-mag.com laura@hate-mag.com nina.scholz@hate-mag.com johannes@hate-mag.com robert@hate-mag.com
SCHLUSSREDAKTION Christian Simon, Jochen Werner AUTOREN Benjamin Hirte, Christiane Ketteler, Sören Kittel, Magnus Klaue, Detlef Kuhlbrodt, Juri Sternburg, Christopher Strunz, Nisaar Ulama,
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E R Z E I C H N I S U M KÜNSTLER AEIOU, Benjamin Hirte, Congress, Franz & Valeria, Henrike Meyer, Michael Maier, Paula Winkler, Wei$$bier Blitzkrieg, Lars Becker HATE DANKT Alexander Seeberg-Elverfeldt, Cornelius Plache, David Schmitt, Hanna Mayser, Jacques Schumacher, Julian Brinkmann, Ronald Weller, Sandra Molnàr, Steffen Köhn, Sina Tomaseth, Stefan Goldmann, Pilocka Krach, Tobias Hagelstein,
Tobias Rapp, Heiko Hoffmann, Carlos de Brito, Heiko Zwirner, Anja Base, Johannes Klingebiel, Johannes Fabian, Stephan Matschke, Walter W. Wacht UND DEN MODELS David Schmitt, Grete Gehrke Auflage: 2.000
Wer HATE bestellt, erhält eine auf 250 limitierte Postkarte von C o n g r e s s
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Die Frage kommt etwas unvermittelt und ist außerdem etwas zu intim für meinen Geschmack. Morgens halb zehn in Kreuzberg – wo ist mein Knoppers? Reihe 7, Regal 9, bei den Süßwaren natürlich. Die Kassiererin erwartet wohl immer noch eine Antwort, aber nicht mit mir. Ob ich Herzen sammel‘ und von wem die dann stammen und ob die gebrochen sind oder nicht, was geht das die Trulla an Kasse 4 an. Die Falckensteinstraße ist besonders Grau in Grau heute, nicht mal die ein oder andere Messerschießerei erfreut das leidgeplagte Auge, die türkischen Nationalisten von Bozkurt a.k.a die Grauen Wölfe stehen selbst zu dieser unchristlichen Zeit wach vor ihrem Kaffeehaus, das war‘s. „Du machst schon den Mund auf wenn du nur lügst!“ sagt ein kleines Mädchen zu ihrer Mutter und tritt trotzig gegen den Kinderwagen des kleinen Bruders. Offensichtlich ist sie sich der Sprengwirkung einer solchen Aussage vollkommen bewusst, triumphierend stolziert sie nun den Bürgersteig entlang, vorbei an grimmig dreinschauenden Nationalisten, die sich rudelgleich um das Geschehen platzieren. Die Mutter hat schon wieder das nächste Problem an der rosigen
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Backe, der Schnuller des Benjamins ist durch den Tritt der aufmüpfigen Schwester in den Dreck gefallen. Nationalismus ist der Mutter also relativ Schnuppe, sie schimpft mit der renitenten Fünfjährigen und fährt einem der bärtigen Hünen über den Fuß. „Du bist schuld!“ ruft das kleine Mädchen amüsiert, dann biegen sie um die Ecke, dorthin wo meinem Auge unfreiwillig der Zutritt verwehrt wird. Als bereits zugedröhntem, aber dennoch aufmerksamen Beobachter drängt sich einem der Gedanke auf, dass man vor einem Affengehege steht und auf die Fütterung wartet. Verhaltensmuster bleiben eben Verhaltensmuster, das wusste schon der Biolehrer. Weltweit gibt es kein Land, in dem die Kinder nicht Verstecken spielen, und das muss einen Grund haben: die Mama! Außer in Georgien vielleicht, denn dort nennt man den Vater „Mama“. Auch merkwürdig irgendwie, aber was soll man sich jetzt über Georgien auslassen, die haben‘s so schon schwer genug mit ihrem Bruderkrieg, der Erfolglosigkeit ihrer Fußballnationalmannschaft und den dort Wache schiebenden Nationalisten – auch ohne Väter, die Mama heißen. Väter, die Mama heißen gibt es zwar auch hier, doch dann stellt sich die ganze Situation deutlich schwieriger dar. Als aufgeschlossener Großstadthipster hat man natürlich mindestens einen solchen Fall in seinem näheren Umfeld. So auch bei mir. „Aber wenn dein Vater schwul ist, dann wärst du doch nie geboren worden?“ E i n B r i e f fragte ich meinen besten Freund, als er Gestern habe ich die ganze mir von den besonderen Familienverr Wohnung geputzt. Alles saube . ogen überz Bett hältnissen und den damit verbundenen gemacht, dein Ich war einkaufen und habe die Komplikationen berichtete. Damals Schränke mit Dingen gefüllt, von war ich neun Jahre alt, und mein Undenen ich mir vorstelle, dass sie dir schmecken. Und dass sie wissen somit ausreichend legitimiert. dir gut tun. Nicht mehr lange, Dadurch nicht legitimiert ist in etwa und wir sind endlich zusammen. die Tatsache, dass Guido Westerwelle Du und ich. mir ich stelle hmal gegen die steuerliche Gleichstellung Manc vor, wie du hier bei mir sitzt und von Homoehen gestimmt hat. Der ich nicht alleine aus dem Fensgesichtslose Mob munkelt etwas von ter schaue, sondern dich ansehe. Ich male uns eine Zukunft Parteilinie, aber ich kann versichern: als Dream Team aus. Du und ich, wir beide gegen den Rest der Welt. Ich muss mich bremsen. Ich darf nicht davon ausgehen, dass es immer rosig sein wird mit uns beiden. Ich kann so einfach alles zerstören, wenn ich mir unserer Leben zu konkret, zu glücklich ausmale. Ich will nicht erdrücken.
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Volle Fußballstadien waren eine der wenigen Möglichkeiten, meiner Familie ein Fragezeichen auf die Stirn zu malen. Immerhin etwas was sie nicht verstanden. Das Unangenehme an der ganzen Sache ist, dass ich jetzt lebenslang Hertha BSC-Groupie sein muss. Irgendwie nicht aufgegangen, der Plan.
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Die Mutter bestimmt das Handeln, im Leben wie auf dem Basar. Der Moment der Selbsterkenntnis des Kindes kann schockierend sein. Eine Freundin berichtete von einem „Beinahe-Nervenzusammenbruch“, als ihr auffiel, dass sie ihre Eltern beim Betreten ihres Berliner Cityappartements höflich bat, die Schuhe ordentlich abzutreten oder gar auszuziehen. Nun spricht es nicht gerade für ihre Leidensfähigkeit, dass eines ihrer großen Traumata eben dieses grausame Ritual des Schuheabputzens war, aber jedem Tierchen sein Pläsierchen; in Bottrop-Kirchhellen hat man eben oberflächliche Macken und ganz, ganz, ganz tief sitzende Ängste. Wenn die gleichen Eltern einem dann auch noch guten Geschmack attestieren, ist es nicht mehr weit zur nächsten Brücke. „Guter Geschmack greift um sich, wenn die Phantasie stirbt“ zitierte die Freundin einen berühmten Schriftsteller und verfiel alsbald in eine weitere Depression, denn Frank McCourt ist mit D i e A sch e m ein er Mutt er der Klassiker unter den spießigen Lieblingsbüchern der Durchschnittseltern gelungen. Man hat es aber auch nicht leicht. Ich ganz persönlich hatte das vordergründige Problem, linksradikale, atheistische, aufgeschlossene und überraschenderweise dennoch nicht vollkommen verwahrloste Eltern zu besitzen, was zu einem Defizit an Feindbildern und der verzweifelten Suche nach Reibung führte, denn fundamental-christlicher Neonazi oder verwahrloster Polizist zu werden, sind keine besonders schmackhaften Aussichten für einen Jugendlichen aus Kreuzberg.
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Hier hat die Mutter die Hand im Spiel, unter Garantie. Die Mutter hat eh fast immer die Hand im Spiel, außer bei Diego Armando Maradonas Tor gegen England 1986, da war es ausnahmsweise mal die Hand Gottes, auch wenn der Unterschied eher marginal daherkommt.
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Ich versuche, nicht zu viel an dich zu denken. Überhaupt ist es ein großer Quatsch, dass ich an dich schreibe. Aber mein Kopf rast, meine Gedanken rasen, alles rast, rast durcheinander und deswegen mache ich es so, wie man es den Leuten empfiehlt, die im Radio anrufen und gerne einen Tipp hätten, wie sie ihre Gedanken ordnen sollen. „Schreiben sie doch einfach alles auf!“, rät man denen. Also schreibe ich jetzt alles auf. Ich bin nämlich kurz vorm durchdrehen. Nicht das erste Mal in meinem Leben.
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Andere verdrängen ihre Mutter einfach, indem sie sich tagtäglich grübelnd in ihren Ohrensessel zurückziehen, weil ihnen die Lage der burmesischen Tanzbären in Laos zu schaffen macht oder der Öl-Engpass in den peruanischen Berggebieten. Beide Herangehensweisen haben ihre Vor- und Nachteile. „Wenn ein Einarmiger und ein Contergankind ‚nen Schwimmwettbewerb veranstalten, wer wird wohl gewinnen?“, das sind die Fragen, die mich dann beschäftigen. Und an allem ist immer die Mutti schuld. Wenn nicht die eigene, dann die von dem grausamen Tunichtgut, der den burmesischen Tanzbären quält.
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Die in meiner Wohnung verteilten Jesus-Ikonen hängen wahrscheinlich auch nicht zufällig dort herum. So hat jeder sein Kreuz zu tragen. Andere trifft es weitaus schlimmer mit den unverarbeiteten Komplexen. Die produzieren dann Installationen, und dann muss man sich ansehen wie auf dem einen Bildschirm eine B est of Cum shot Compil ation (unterlegt mit Karma Police von Radiohead) läuft, während auf dem anderen Fernseher ein kleiner Junge durch den Wald rennt und kläglich jauchzend seine Mutter sucht. Warum schämt man sich eigentlich für fremde Menschen? Wenn man dann nicht dumm dastehen will, sagt man noch was Kluges dazu, ohne zu wissen, was in einem solchen Fall „was Kluges“ überhaupt ist. So geschehen vor kurzem. Neben einem stehen andere, ebenfalls verdatterte Leute, die auch Mütter haben müssen, und so fühlt jeder etwas anderes, während Cumshot auf Cumshot folgt und der Bub „Mama“ in einen Busch ruft. „Ödipus Schnödipus, Hauptsache du hast die Mama lieb!“ Sowas hat meine Mutter gesagt.
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Esse ich jetzt nicht mehr so viel, sagte ich auch der Mutter, die Monster aus Stoffresten näht, um nicht in die Bedeutungslosigkeitsfalle zu geraten. Mutter macht Monster. Und das ist immerhin ein passenderer Beruf für Mütter, als etwa Familienministerin. Da ist also die, so emsländisch wie nicht mal Emsländer aussehen,
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In letzter Zeit hatte ich mir immer eingeredet, dass weißes Mehl meine Gedanken verklebt. Also eigentlich meinen ganzen Körper, aber vornehmlich meinen Kopf. Das musste der Grund sein für diese Inhaltsblockade, die sich ähnlich hyperopulent durch die letzte Zeit schob, wie die vollkommen beknackte Annahme, dass Fleischkonsum die Menschen in Gut und Böse unterteile. Aber wir Schreibtischchaosromantiker mit Erzählauftrag brauchen eben auch immer wieder einen neuen Grund für unsere quälende Ideenarmut, wenn es Hedonismusscham allein nicht mehr tut, –obwohl doch im Grunde genommen einzig und allein die Weltschmerzdezentralisierung schuld sein kann. Weizen also diesmal.
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Gut, das eine oder andere Mal ist so ein Anliegen auch sinnloser als ein Aufruf an Deutschlandradiokultur, bitte weniger Weltmusik zu spielen, aber immerhin, der Glauben an die aktive Teilnahme der Wohlstandsprotestler entsteht als zarte Blüte. Welch ein gutes Gefühl für die Sofademokraten mit nur einem Klick, endlich einen Schritt in die richtige Richtung zu tun. Letztens konnte man sogar Vergewaltigungen abschaffen. Kein Wunder also, dass die Einzelkind-induzierte Aufsaugkapazität abnimmt: sie muss es tun, um dem sinkenden Schmerzniveau entgegenzuwirken – was natürlich auf eine Ausrede hinausläuft. Aber vor und zurück bringt einen immer wieder in die Mitte, sagte die Schwester kürzlich, die mit über 40 gerade eine Punkband gegründet hat.
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Das ist ja eine super Sache mit diesen Online-Petitionen. Ein AdAbsurdum-Führen des ganzen Konzeptzirkus, quasi. Wer Nachrichten lancieren möchte, schreibt diese nicht mehr auf Papier oder in Twitter, sondern zündet die Petitionsbombe auf dem Flüsterasphalt. Jahrelang rätselten Forscher, warum die Bienen sterben und schwupps: Pestizide aus Amerika – weiß die Petitative.
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Und 40 Jahre später haben wir dann den Salat und das marktaffine Kind schreibt ein Buch, indem es verarbeiten muss, dass die Bundesregierung im Falle seiner Entführung nur fünf Millionen zahlen würde.
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aussehende Ministerin erst mit der Powerunterhose in die eigene Erotikkampfzone rein gerockt und verkauft das dann anschließend als persönlichen Sieg in der Fertilisierungsdebatte. Warum leistet eigentlich der Agressivblödheit dieser Person Keiner Widerstand und lädt eine Petition hoch, um sie aus dem Amt zu entfernen? Gegen Live-Stillen auf Phoenix etwa. Oder wegen Vernachlässigung des Amts beziehungsweise des Neugeborenen, meinetwegen auch wegen ihrer Befangenheit. Ja, Kristina das deutsche Opfer ist, spätestens sobald sie entbunden hat, befangen.
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Und wer noch an Internet-Revolutionen glaubt, der hat sowieso vergessen wie es ist, Rotwein-trunken am Spalt offener Fenster zu riechen. Bei dem ist die Verlifestylung des Heute war ein komiRoamingdschungels ein reiner Nebeneffekt. scher Tag. Er hat gut begonnen. Der glaubt noch an das Ich bin sofort als der Wecker Fernsehen. Und der glaubt geklingelt hat aufgestanden. nicht zehn auch an einen Rip-Off. Der Und es war nochschon so viel hatte Uhr und ich hat in Kairo per Facebook erledigt. Mich verfolgt der Gemitgemacht. danke, dass ich, bis du endlich Wir sind gegen Gewalt. Und gegen Weizenmehl.
kommst, soviel wie möglich erledigen muss. Alles noch mal abhaken. Als ob eine andere Zeitrechnung beginnen würde, wenn du kommst. Dann habe ich mich hingesetzt, mir einen Tee gemacht, mir einen Apfel in Scheiben geschnitten und die Zeitung unten aus dem Briefkasten geholt. Weil ich dachte: Ein Pause wird mir gut tun. Alle sagen ja ständig: Mach mehr Pausen. Gönn dir Pausen. Pausen, Pausen, Pausen, Pausen, Pausen, scheint alles was ich noch zu hören bekomme. Doch vielleicht war die Pause gar keine gute Idee. Ich habe nämlich keinen Bissen runter bekommen und der Apfel ist mir regelrecht im Hals stecken geblieben. Ich musste würgen, husten und dann wieder würgen. Ich habe ins Spülbecken gekotzt, alles ausgebrochen was ich heute Morgen getrunken und gegessen hatte. Dann habe ich da gesessen, an den Spülschrank gelehnt und lange und laut geheult. Und ich weiß gar nicht genau wieso. Erst dachte ich: Es ist alles zu viel. Ich packe das nicht, ich will das nicht. Dann dachte ich: Ich heule bloß so laut, dass die Nachbarn es hören. Dass sie denken, ich würde so viel machen und mich jetzt auch noch auf deine Ankunft vorbereiten. Dass sie denken würden: Kein Wunder, dass ihr alles zu viel ist. Nur damit sie mir wieder ihre Hilfe anbieten können. Und ich sie ablehnen kann. Nein, nein: Ich mach das schon. Nein, nein: Ich schaff das alles.
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Wenn ich heute Hillu auf Georg anspreche, sehe ich eine schluchzende alte Frau. Wenn ich heute Georg auf Hillu anspreche, wird er erst still und dann hektisch. Weil es ihn wohl nicht loslässt, dieses Verhältnis zu ihr. Und wenn ich die beiden älteren Brüder anspreche, dann zucken die ihre Achseln. Sie haben Georgs Problem mit ihrer Mutter nie wirklich verstanden. Der Georg war schon immer komisch. Hat ihn die Mutter verhätschelt?
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Georg erzählt mir, er habe sich von seiner Mutter getrennt. Schluss gemacht mit Hillu. Das ist jetzt fünf Jahre her. Sie wohnt noch immer in einer Kleinstadt in Brandenburg, er in Berlin. Sie telefonieren ab und zu, aber dabei bleibt es. Kein Besuch an Weihnachten, nicht am Geburtstag seiner Kinder. Er sagt, es sei besser so, und er sagt auch: „Ich bin geheilt.“ Er muss es wissen, denke ich, weil er als Psychiater arbeitet. Bevor er anfing, zu arbeiten, musste auch er selbst einer Psychotherapie zustimmen. Dabei habe er herausgefunden, was mit ihm los war. „Meine Mutter hat mir geschadet.“ Sie müsse doch genau gewusst haben, was sie mit ihm mache, als sie ihn nicht wie ein Kind behandelte. Es war alles zu eng.
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P e t e r : „ Im Alter von zwölf Jahren habe ich mir die eine Hand gebrochen, die andere angebrochen. Meine Mutter musste mich baden. Während sie mich wusch, erzählte sie mir, wie lange sie mich früher gestillt habe. Ich hätte das so sehr gemocht, dass sie Pfeffer auf ihre Brustwarzen streute, damit ich die Lust verlor. Dann frag-
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Aber er soll das nicht so eng sehen. Egal, was sie sagen, sie waren nicht dabei. Und was genau abgelaufen ist, wenn Mutter und Sohn allein waren, wollen sie auch nicht wissen. Georg ist Hillus drittes Kind, der jüngste Sohn, der noch lange zuhause wohnte. Schon als Sechsjähriger war er das einzige Kind im Haus und durfte entscheiden, was die beiden am Wochenende unternehmen, Mutter und Sohn mal ganz allein. In die Pilze, zum FKK-Baden, später auch mal ein Wochenende nach Berlin. Der Vater war zehn Jahre älter als die Mutter und konnte nicht mehr gut laufen. Auf den Ausflügen erzählte die Mutter ihrem Sohn auch, dass es nicht mehr klappe, zwischen den beiden. Sie sagte: „Im Bett läuft nichts mehr.“ Georg aber wollte seine Mutter glücklich sehen, die wichtigste Person in seinem Leben. Deshalb war es für ihn auch normal, dass sie kuschelten, wenn Hillu mal wieder nicht im Ehebett schlafen wollte. Mehr war nicht. Das Reden über „Körperlichen Missbrauch zwischen Müttern und Söhnen“ wird schnell hysterisch. Es gibt fast keine Studien, wenige Webseiten mit Foren, in denen die Söhne erzählen. Das liegt zum einen daran, dass er nur selten offensichtlich wird, der Missbrauch. Es kommt fast nie zu eindeutig sexuellen Handlungen, sagen Psychologen. Wenn es dazu kommt, ist der Missbrauch schwierig nachzuweisen, sagen die Anwälte. Außerdem wird er so gut wie nie bestraft, sagen die Richter. Ein Mann, der in Deutschland mit einem Mädchen unter 14 Sex hat, muss mit mindestens einem Jahr Gefängnis rechnen. Eine Frau, die einen Jungen unter 14 verführt, mit mindestens einem halben Jahr. Die Vorstellung, dass der Junge nicht doch zumindest Mittäter ist, ist allgemein akzeptiert. Schließlich ist es Ödipus, der seine Mutter begehrt. Nicht umgekehrt. Der Komplex ist ein männlicher.
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Ich kenne eine solche Badewannenszene aus einem Film mit Nicole Kidman. Im Film „Birth“ denkt sie, dass ihr verstorbener Mann im Körper des zehnjährigen Nachbarsjungen wiedergeboren wurde. Bis zum Ende des Films weiß man nicht, ob sie Recht hat, oder sich alles nur zurechtbiegt. Das ist zwar alles dämlich konstruiert, aber die Geschichte gipfelt in einem Bild: Nicole Kidman küsst einen nackten Zehnjährigen in der Badewanne auf den Mund. Zärtlich. „Birth“ lief 2004 in Venedig beim Filmfestival. Nach der Premiere kommt die Starschauspielerin auf die Bühne. Während die Buhrufe immer lauter werden, lächelt sie stumm. Zugegeben bei Georg und Hillu gab es wohl keine solchen Szenen. Kein direktes Anfassen, kein zweideutiges Abrubbeln nach dem Baden. Georg war vielmehr ein vollwertiger Partner, begleitete Hillu auf Auslandsreisen, gewöhnte sich an ihre körperliche Nähe, wurde von ihr aufgeklärt, aber eher in einem Gespräch auf Augenhöhe. Wenn es der Mutter schlecht ging, blieb Georg zuhause, ging nicht mit Freunden aus. Einmal sagt der heutige Psychiater Georg den Satz zu mir: „Kinder sind dazu verdammt, die unerfüllten Wünsche der Eltern auszuleben.“ Dann erklärt er mir, was er meint: Seine Mutter habe sich selbst sexuell beschränkt. Also sollte er das nachholen. „Meine Mutter wollte also unbewusst, dass ich mit anderen Männern Sex habe.“
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te ich sie, ob es stimme, dass ein älterer Cousin von mir unfruchtbar sei. Ich wollte wissen, was es bedeutet. Sie erklärte es mir und wusch meinen Schwanz dabei. Ich sagte: ‚Vielleicht bin ich auch unfruchtbar.‘ Dann wurde mein Schwanz steif, die seifte ihn weiter ein, zog an meiner Vorhaut, weil sie ‚Eichel waschen‘ wollte. Sie sagte fast lobend: „Das Ding ist so groß geworden!“ Ich kam sofort. Ich schämte mich. Meine Mutter sagte nur: „Na, jetzt wissen wir, dass Du nicht unfruchtbar bist.“
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Georg hat das versucht, dachte lange, das sei eben so. Er ging in Clubs, die 90er in Berlin. SchwuZ, Busche, Heile Welt, war noch mit 28 Jahren für mehrere Monate mit einem sieben Jahre jüngeren Japanologen zusammen. Der war oft in Japan. Und wenn er in Berlin war, dann hat es nicht funktioniert „im Bett“: egal wie. Aktiv, passiv, OV, AV. Marco kriegte keinen hoch. J o c h e n : „ Meine Mutter hatte die Angewohnheit, sich nach der Arbeit im Wohnzimmer mit gespreizten Beinen auf dem Sofa zu räkeln und dabei ihre Möse zu zeigen. Wenn ich an ihr vorbeiging, wurde mein Blick unweigerlich zu diesem Teil ihres Körpers hingezogen. Ich konnte alles genau erkennen. Aber wenn sie mich ertappte, warf sie mir einen dermaßen bösen Blick zu, dass ich rot wurde, mich wahnsinnig schämte. Aber es geschah trotzdem immer wieder. Es war wie ein Ritual. Irgendwann habe ich dann pornografische, sexuelle Fantasien von meiner Mutter gehabt. Ich fühlte mich schlecht, dachte an ihren missbilligenden Blick. Ich bin jetzt 38 Jahre alt, es ist nie etwas passiert zwischen meiner Mutter und mir. Aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich selbst zu meiner Frau kein entspanntes sexuelles Gefühl entwickeln kann. Ich habe ihr das nie erzählt, sie würde das nicht verstehen.“ Es gibt für Jungen, die sich von ihren Müttern psychisch oder körperlich missbraucht fühlen, keine Anlaufstelle. Es gab mal eine in Berlin, aber die wurde geschlossen, auch in Zürich wurde sie geschlossen. Zu wenig Zulauf. Im Internet sind Geschichten über Mütter zu lesen, die in der S-Bahn mit einem Sechsjährigen laut diskutieren, ob sie denn jetzt umziehen nach München. Das Kind ruft laut: „Ich will aber hier bleiben, Mama!“ Die Mutter: „Na gut, dann ziehen wir nicht um, ich krieg das schon hin.“ Oder eine Szene aus der Sauna, als im Ruheraum eine
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Mutter die Hand auf den nackten Schenkel ihres Sohnes legt, dann beide unter einer Decke kuscheln. Irgendwann steht das Kind auf und sagt: „Komm, Mama, lass uns gehen.“ Immer wieder fragen diese Beobachter: Ist das Missbrauch? Leidet das Kind darunter? Natürlich sind es Ausnahmen. Rein statistisch sind drei Prozent aller sexuellen Straftäter Frauen, aber emotionaler Missbrauch ist so gut wie unmöglich, zu erfassen. Vor allem dann, wenn eine Mutter alleinerziehend ist, kann es sein, dass sie beginnt, aus ihrem Sohn einen Vertrauten, Versorger, Beschützer und irgendwann auch Liebhaber macht. Er soll für sie da sein. Sie macht sich von ihm abhängig, besteht aber gleichzeitig auf seiner Abhängigkeit von ihr. Der Junge wiederum ist einerseits stolz, weil er schon als kleiner Mann ernst genommen wird – und andererseits ist er wütend, weil er immer wieder an seine unterlegene Rolle erinnert wird. Nie kann er diese Gefühle vollständig befriedigen. Viele dieser Jungen sind später zu einer Beziehung nicht fähig. Oder sie brechen mit ihrer Mutter für immer. Wie Georg. Als ich Georg wieder getroffen habe, war das in einem Kreuzberger Schwulencafé. Er hat so laut, dass es jeder im Raum hören konnte, gerufen: „Der Orgasmus einer Frau ist so unglaublich toll!“ Dann hat er erzählt, wie er Sabine kennen gelernt hat, nach der Therapie. Wie er sich jetzt ein Haus mit ihr bauen werde. Am Stadtrand. Und dass sie schwanger sei. Seine Mutter will er vorerst nicht sehen. Für Jahre. Er hat sie mit seinen Vorwürfen konfrontiert. Sie sei schuld daran, dass er jahrelang dachte, er sei schwul. Er war nie schwul. „Niemand muss schwul sein.“ Studien würden belegen, dass fast alle Homos irgendein „Ding mit ihrer Mutter“ zu klären hätten. Er hätte das jetzt gemacht. Ich solle darüber mal nachdenken. Dann hat er noch einmal gesagt: Kinder sind dazu verdammt, die unerfüllten Wünsche ihrer Eltern auszuleben. Besonders Söhne. Meine Mutter hat mir erzählt, dass er inzwischen selbst zwei Söhne hat.
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I c h : Ich hab ihn dann erst einmal nicht mehr angerufen und denke bis heute noch an diese Situation im Café. Der Orgasmus einer Frau und so. Weiß das ja selbst. Unglaublich. Wirklich. Klar. Und was hat das mit der Mutter zu hat. Mit meiner? Die Mutter, die einen vorne auf dem Fahrrad mitgenommen hat und die Fingernägel geschnitten hat. Die Mutter, die einmal mit einem Hausschuh auf den nackten Hintern klopft, bis der rot ist. Nur einmal allerdings. (Was hatte ich getan? Keine Ahnung.) Die Mutter, an deren Körpergeruch man sich als Kind schon gewöhnt hat, weil man eben doch zusammen Mittagsschlaf macht. Und dann irgendwann fällt mir doch eine ganz eigene Badewannenszene ein, die nur mir passiert ist und von der ich nur erzähle, dass ich sie dann beschimpft und rausgeschickt habe. Und gesprochen haben wir darüber auch nie. Aber das ist schon okay so. Dafür telefonieren wir jetzt immer sonntags. Wie sich das gehört in Familien. Ich bin nicht Georg. Und sie nicht Hillu. Aus irgendeinem
Grund habe ich gedacht, bis du kommst, wäre ich nicht mehr so schrecklich verkorkst, wäre ich ein erwachsener Mensch. Stattdessen fühle ich mich heute manipulativ, schwach, depressiv und sehr, sehr dunkel. Sollten erwachsene Menschen sich nicht irgendwie heller, stärker und belastbarer fühlen? Ich weiß es nicht. Ich möchte bloß nicht, denkst, dass ich ein du dass Monster bin. Nur weil ich nicht wollte, dass du kommst.
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Die meisten Versuche, unsere Zeit in Gedanken und damit in einen Begriff zu fassen, münden in einer Variante des Schlagwortes ‚Wissensgesellschaft‘. Mit dieser nichts sagenden Selbstbeschreibung ist eine Kultur gemeint, die sich berauscht an ihrer Fähigkeit, immer schneller zu wissen, was der Fall ist: Wir leben in einer durch und durch information sb esessen en Moderne. Diese Moderne ist hochgradig irritiert von Wissensformen, die sich ihrer Beschleunigungsmaschinerie entziehen. Alle Formen der Erkenntnis, die sich nicht zum Rohstoff ‚Daten‘ eindampfen lassen, werden zunehmend zu einer Provokation –wenn sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen werden. Wissen ohne Ursprung wird nicht geduldet. In diesem Sinne zeigt sich hier eine perfektionierte Aufklärung. Denn deren Projekt verstand sich immer schon als Entmy stif i zi erung .
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Deswegen können alle religiösen, ethischen oder ideologischen Einwände, die gegen eine totale Vermessung der Welt vorgebracht werden, mit souveräner Lässigkeit als irrational denunziert werden. Doch die Vermessung allein reichte noch nie aus. Sie war immer nur der Anfang. Spätestens seit den großen Mobilmachungen des 20. Jahrhunderts weiß man um den Wert der Verfügbarkeit allen Wissens. Daher bedeutet Aufklärung heute: Entmy stif i zi erung durch D emokrati si erung d es Wi ssen s . Auch Raum und Zeit, die letzten elitären Schranken der Welt, werden bald überwunden. Es schwingt hier die Hoffnung mit, dass sich diese Demokratisierung der Informationen auch auf tatsächliche, politische Zustände auswirkt: Wenn Alle alles Wissen können, dann, so das Kalkül, kann es keine Geheimnisse und damit auch keine Asymmetrien der Macht mehr geben. Aus dieser sehr optimistischen Perspektive entspringt die breite Begeisterung für Projekte wie Wikileaks, für die jede Form von Intransparenz eine Provokation darstellt. Doch diese Fixierung auf absolut e Informat ion st ellt nat ürlich nur einen Teil jener verhängnisvollen Geschichtsbewegung dar, die schon wesentlich früher als die ‚Dialektik der Aufklärung‘ beschrieben wurde : In der Besessenheit auf Erfassung und Rationalisierung aller Erkenntnis schlägt die Vernunft in einen Begriff von Wissen um, der sich allein am Positiven o r i e n t i e rt. Dieser Umschlag macht sich aber noch durch eine andere Entwicklung bemerkbar. Die Medaille einer sich explosionsartigen Verbreiterung des Wissens hat auch ihre antidemokratische Kehrseite: Das ist die privilegierte Position, die der E xp ert e einnimmt. Er ist aus jeder Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken. Keine Austausch von Meinungen, in der er nicht die ihm zugewiesen Rolle spielt: Über den
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„ Wenn die leidenschaftlichen Ökologen schaudernd ausrufen: ‚Die Natur wird sterben‘, so wissen sie nicht, wie Recht sie haben. Gott sei Dank, die Natur wird sterben. Ja, der große Pan ist tot! Nach dem Tode Gottes und dem Tode des Menschen mußte auch die Natur endlich abtreten. Es war an der Zeit: sonst hätte man bald überhaupt keine Politik mehr machen können.“
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Niederungen des politischen Meinungskampfes stehend, ist er allein den Tatsachen verpflichtet und berichtet von der Natur der Dinge. Die Begründung seiner zentralen Funktion wird uns häufig genug vorgesetzt: Keine Sonntagsrede zur geistigen Situation unserer Zeit, in der beklagt wird, dass unsere Welt imm er kompl exer werde – und wir deswegen auf eine kompetente Orientierung angewiesen sind. Doch man sollte sich nicht täuschen: Experten stellen bloß die etwas weichere, von Vornherein auf Öffentlichkeit bedachte Version des Wissenschaftlers dar. Ihre Funktion besteht also nicht in einer bloßen Partizipation, sondern in der Legitimation gewisser Tat sa ch en. ‚Wirklichkeit‘ ist trotz aller Demokratisierung des Wissens etwas, das durch einen Experten abgesegnet werden will. Dies besticht umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, wie nah unser Begriff von Wirklichkeit eigentlich immer noch an ‚der Natur‘ liegt.
Bruno Latour In der Tat. Die Natur ist mehr denn je Gegner der Politik. Man sollte sich nicht von dem Umstand irritieren lassen, dass auch genau das Gegenteil wahr ist: Nichts hat der Natur so zugesetzt, wie die Politik der bedingungslosen Nutzbarmachung des Planeten. Es hilft, sich in Erinnerung zu rufen, dass unsere romantische Vorstellung einer unberührten, natürlichen Ordnung, die es zu schützen gilt, recht jungen Datums ist. Die wesentlich ältere Variante ist selbst schon wieder Mythos. Ich meine jene griechische Parabel, die maßgeblich unser Verständnis von
nicht leiden kannst? Ich weiß, das ist am Anfang noch keine Frage. Aber später vielleicht. Später werden wir uns auf die Nerven gehen, du wirst sauer auf mich sein. Und es wird oft überhaupt nicht so sein, wie ich es mir ausmale. Ich weiß das.
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Die Desavouierung der Politik durch die antike Philosophie ist nicht so folgenlos geblieben, wie man es bei einer Zeitspanne von beinahe zweieinhalbtausend Jahren erwarten könnte. Denn der Mo du s O p erandi ist immer noch derselbe: Erst die Expertise und ihre Legitimation durch die Natur der Dinge macht die Wirklichkeit. Dagegen ist jede Form von Überzeugung machtlos. Jede Frau weiß von dieser Front zwischen Politik und Natur zu berichten, wenn spätestens mit einer Schwangerschaft allein die – selbstverständlich von Experten erforschten – natürlichen Gegebenheiten ihr Leben bestimmen. In diesem Sinne ist Élisabeth Badinters Strategie vollkommen korrekt. Für Was mache ich, wenn eine Emanzipation der Geschlechter müssen zuerst ich dich nicht leiden kann? Oder die Ketten der Natur gesprengt werden. noch schlimmer: Wenn du mich
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Wissenschaft begründet hat: Das platonische Höhlengleichnis, nach dem der gemeine Mensch eigentlich sein Leben lang ein ahnungsloser Naivling bleibt, der nichts von Wissen weiß, sondern nur Meinungen hat –würde er nicht eines Tages Bekanntschaft mit der Philosophie machen. Ihre Botschaft besteht eigentlich in einer ungeheuerlichen Unverschämt, denn sie verkündet, dass echt e Wahrh eit nur in einer Welt ‚dort draußen‘ zu finden sei. Für Platon waren das abstrakte Ideen in ihrem reinen Sein. Aber gemeint ist letztlich bloß eine Natur d er D inge , die sich nicht beeindrucken lässt von persönliche Meinungen oder Traditionen. Damit ist eine neue Wertskala diktiert: Politik, verstanden als öffentliche Aushandlung von Überzeugungen und Interessen, bleibt nichts anderes als das Geschwätz einer Höhle, einer Welt, die den Schein nicht vom Sein trennen kann. Doch die eigentlich interessante Pointe liegt in dem Vermittler zwischen beiden Welten. Nur der Mensch, der die Weisheit liebt, kann die Höhle verlassen und ihrem vergänglichen Geschwätz die kosmischen Wahrheiten der Natur entgegensetzen. Aus diesem Philosophen mag irgendwann der Wissenschaftler geworden sein. Heute ist es der E xp ert e , der uns erklärt, was unabänderlich richtig und falsch ist. Sein eigentlicher Auftrag: Er ist Agent der Natur.
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Dass wir das Prinzip der Wirklichkeitslegitimation durch Expertise inzwischen weitestgehend widerspruchslos inthronisiert haben, lässt sich nun an einem ganz anderen Phänomen beobachten: an der unheimlichen Strahlkraft, die Zertifikate im Allgemeinen und das Siegel ‚Bio‘ im Besonderen auf uns ausübt. Für Lebensmittel gedacht, hat es sich längst in allen Nischen unserer bunten Konsumwelt breit gemacht. Wir warten nur noch auf den ersten Bio-Porsche. Hinter der Sehnsucht nach Natürlichkeit steht klarerweise der Ekel vor einer defekten Moderne, die Tiere und Maschinen längst gleich behandelt. Insofern stellt der jüngste Skandal um Industriefette im Hühnerfutter keinen Unfall dar, sondern einer jener Eruptionen der Realität, von denen wir uns schnell wieder abwenden wollen. Der Versuch, wieder in den heimeligen Schoß von Mutter Natur zu kehren, ist natürlich nicht neu. Aber die Breitenwirkung ist doch erstaunlich. Vielleicht liegt es den gekürzten Ansprüchen. Schon die aktuelle Erfahrungsliteratur, deren Autoren von ihren Entbehrungen berichten, mutet in ihrem Bescheidenheit fast grotesk an. Zu NewAge-Hochzeiten musste es schon ein pharmakologisch stimulierter Bewusstseinsexzess am anderen Ende der Welt sein. Heute beeindruckt schon ein Jahr ohne Wurst oder Telefon. Doch interessanterweise führt diese vermeintliche Abkehr von der Industrie nicht zu einer Stärkung des persönlichen Urteils oder des Geschmacks. Diese scheinen im Gegenteil dermaßen abgestumpft, dass wir lieber einem letztendlich doch nur rein technischen Biogütesiegel vertrauen. . Das führt zu einer kuriosen Ontologie unserer Lebensmittel. Die Runkelrübe aus dem Biomarkt (der inzwischen auch Lidl heißen darf) ist nicht etwa besser als die Runkelrübe aus dem Supermarkt (der natürlich sowieso Lidl heißt), weil sie größer, schöner oder gar leckerer wäre, sondern weil sie wesensverschieden ist: eben ‚BIO‘. Wir gehen also von einer Essenz unserer Nahrung aus, die uns Gutes von Schlechtem unterscheiden lässt. Das Urteil wird aber eben nicht durch subjektive Qualitätsurteile – wie etwa ‚Geschmack‘ – gefällt. Es gilt allein das Zertifikat, und ‚BIO‘ ist ja dabei nur das höchste aller Siegel. Kein Wein ohne Verweis
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auf seine Parker-Punkte, kein Tiefkühlgemüse ohne Stiftung-Warentest-Benotung. Dazu kommen Ernährungstabellen, die das Paradox vollenden. Alles Unbekannte soll der Nahrung ausgetrieben werden. Auf das Mikrogramm genau muss die Natur vermessen werden –die dann freilich alles ist, nur eben nicht unberührt. Erst die Zertifizierung durch allerlei bunte Aufkleber, die ja letztendlich nichts anderes sind als Stempel eines Experten, macht aus einem unbekannten Etwas ein ‚gutes‘ Produkt der Natur. Einer der Grundprinzipien des Kapitalismus, das Karl Marx als den Feti sch charakt er d er Ware so brillant beschrieben hatte, ist um den Fetisch des Zertifikats erweitert worden. Jemand wie Thilo Bode darf es deswegen als politisches Anliegen verkaufen, mit seiner Organisation Foo d Watch („die essensretter“) für eine eindeutige Kennzeichnung aller Lebensmittel einzutreten. Die ‚Nährwert-Ampel‘ soll den schnellen Überblick über alle schlimmen Stoffe bieten, denn erst das grüne Licht macht gutes Essen. Das es Menschen gibt, die sich möglicherweise auch vollkommen unabhängig von bunten, durch Ernährungswissenschaftler abgesegnete Signalfarben entscheiden wollen und können, scheint ein überflüssiges Argument zu sein. Hier trifft sich der Imperativ der Transparenz mit einem Expertentum im Dienst der Aufklärung: Es braucht sie, jene, die uns genau erklären, welchen Lügen wir aufsitzen. Dieses Vorgehen agiert noch ganz nach dem guten alten binären Schema: ‚Die da oben‘ – also im wesentlichen Politiker und Konzerne – betäuben uns mit Werbung, der ‚wir hier unten‘ natürlich ausgeliefert sind, weil uns die nötigen Kenntnisse abgehen, um derlei Fehlinformation zu entlarven. Allein der Experte und seine Fackel der Erkenntnis kann im Dienste der Aufklärung unser unterbelichtetes Dasein erhellen, und uns die Welt erklären. Und das enthält dann eben auch die lebenswichtige und revolutionäre Botschaft, dass Fertigpizzen möglicherweise viel Fett enthalten. Trotzdem es ist erstaunlich, wie derlei Aufklärungskampagnen allenthalben begrüßt werden. Denn unverhohlen wird jeder anerkennen, dass man selbst natürlich eigenständig entscheiden kann – man also nicht zu denen da unten gehört –, dass man aber doch berück-
Grunde denke ich schon ewig an dich und mit ewig meine ich, solange ich an dich denken könnte. Und genauso lange denke ich: Ich will nicht, dass du kommst. Bis vor kurzem war das ja auch alles sehr abstrakt, es bestand ja keine allzu große Chance.
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sichtigen sollte, dass es ja noch Bürger von minderem intellektuellem Niveau gibt, die es zu schützen gilt. Das hat etwas von der bemühten Geste radikaler Atheisten, allen rückständigen, weil gläubigen Menschen vorzurechnen, warum es keinen Gott geben kann. Die Salonfähigkeit einer Haltung, die für jede überflüssige Gängelung einfach die Existenz eines Dümmeren postuliert, für den es schon die richtige Handhabe sein wird, ist immer noch enorm. Deswegen konnte ein Berliner Finanzsenator (ein Freund der Statistiken) auch einst unverhohlen Ernährungstipps an die Sozialhilfe empfangende Bevölkerung ausgeben: Es war nur mäßig empörend, dass man den Leuten nicht zutraute, sich richtig zu ernähren. Hier, an der Profanität der Ernährung, zeigt sich die ganze Dialektik der Entmystifizierung. Eine Moderne, für die erst wirklich ist, was sich rückhaltlos durch einen Experten – oder einer Zertifizierung – legitimieren lässt, hat sich längst das Denken abgewöhnt. Eine ‚Kritik‘, der nichts besseres einfällt, als dieses Projekt unter dem Deckmantel einer offiziell beglaubigten Natur fortzusetzen, befindet sich bloß auf der Jetzt rasen sie wieder, ch Flucht vor dem blinden Fleck ihres Raeinfa fällt Alles . nken die Geda durcheinander, vielleicht fange tio-Fetischismus. Daher das zwanghafich am Besten von vorn an. Nur, te Klammern an immer neue Mythen: wie so oft im Leben oder vielIm Es darf nichts Unbekanntes sein. leicht immer: Wo ist vorn?
tu nicht so groĂ&#x;, Fräulein auch das hat literarischen Wert du bewegst dich nicht macht mir nichts aus ach, aua der schwarze Sand wo kommt der her vom schwarzen Meer frage nicht nach dear
Benjamin Hirte
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– Es ist nicht die Sonne – F r a n z & Va l e r i a
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– Fa m i l i e n a u f s t e l l u n g – Wei$$bier Blitzkrieg
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H A T E : Ich habe ja schon mal in euer nächstes Album
MultiKulti rein hören können, das im Vergleich zum Vorgänger nicht mehr ganz so persönlich ist. Du erzählst viel weniger von dir selber, Okma, packst eher allgemeine Themen an. Hast du schon alles über dich erzählt?
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O K M A und R E L U P S kommen aus Wien, sind befreundet und machen zusammen Musik – am liebsten HipHop. Seit fünf Jahren bastelt Relups die Beats und Okma rappt dazu. Im Mai erscheint ihr zweites Album MultiKulti auf Audiolith. J o n a s G e m p p hat mit den beiden gesprochen.
OKMA:
Nein, noch nicht. Es sollen noch viele CDs kommen und das Album MultiKulti ist ja noch in Arbeit. Außerdem kommen Songs, die in Richtung Liebe und Verliebtsein gehen aufs Album. Es wird zudem in die politische Richtung gehen und es sind auch Songs über persönliche The-
men dabei, wie der Tod einer meiner Cousinen und eine Nummer mit deutsch-serbischem Text, dann ein Song gegen Sexismus und Gewalt, dann einer mit Johannes von der Frittenbude und ein Song mit meinen Nichten und typische Okma-Songs.
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uch die Beats haben sich verändert, MultiKulti ist A etwas bratziger, elektronischer geworden.
R E L U P S : Bei den Auftritten hat sich gezeigt, dass die Lieder mit tanzbaren und progressiven Beats mehr Resonanz bringen. Ich mach die Beats so, wie sie dem Okma gefallen und Okma ist der größte Frittenbude-Fan.
HATE:
I st das Lied Af f engeil eigentlich eine Liebeserklärung an Relups?
O K M A : Eigentlich ist Af f engeil eine Fun-Nummer ohne Sinn. Man kann es aber auch so auslegen, dass es ein Liebessong an Relups ist. R E L U P S : Und ich dachte das ist mein extrapersönlicher Lovesong... HATE:
Erzählt mal kurz, wie eure erste Begegnung ablief.
OKMA:
Als ich den Relups zum ersten Mal sah, war ich
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OKMA: D ie meisten Features kommen von Relups. R E L U P S : Das sind Musikerkollegen, vor allem aus der Wiener Szene. O K M A : Und von meine Nichten, wie auch von meiner Freundin und Verlobten, sowie von einem WGFreund und Schulkollegen.
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H A T E : Wie kamen die Features auf MultiKulti zustande?
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S eit wann macht ihr Musik und wie habt ihr gemerkt, dass es musikalisch mit euch beiden funktioniert?
OKMA:
I ch mache seit meiner Kindheit, als ich so fünf Jahre alt war, Musik. Und mit der Rockband habe ich vier oder fünf Jahre Musik gemacht, wegen fehlender Zeit bin ich aus der Band ausgestiegen. O kma&R elups wird nächstes Jahr fünf Jahre alt und wir machen ein Fest zum fünfjährigen Bestehen. D as soll dann auch gleichzeitig die Release Party zum zweiten Album MultiKulti werden. Mit uns funktioniert es deswegen, weil wir die Musik lieben; der Relups ist mit der Musik verheiratet und ich bin in sie verliebt, deswegen haben wir auch keine Zeit für richtige Freundinnen, weil jeder so viel von uns will. Ich fand Okmas Texte einfach super. Er macht die Lyrics und ich die Beats, wobei sich das na-
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total nüchtern bei einer integrativen Rockband und nach sechs Liter Bier fand ich ihn so geil, dass ich ihm einen Song namens Au s m ein em L eb en vorlallte. Seitdem gibt es O kma&R elups und wir sind immer besoffen... Ahhh Schmäähh, jetzt die richtige Geschichte: Wir trafen uns in einer integrativen Rockband, irgendwann schrieb ich den Text Au s m ein em L eb en. Relups war begeistert und dann haben wir beschlossen, das Projekt O kma&R elups zu gründen. Ja, so war das. Wir spielten ein paar Mal gemeinsam mit der Rockband. Ich glaube, es war das zweite Treffen als er den Text dabei hatte. Der hat mich echt begeistert und ich hab Okma zu mir eingeladen, um ihn zu vertonen. So lernten wir uns beim Musikmachen immer besser kennen, wie man sich halt so kennenlernt. Bald heiraten wir...
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türlich auch immer vermischt. Ich bin vor allem mit HipHop groß geworden und wie das da so ist: Ein Rapper und ein Producer. Er hat einfach so viel Energie und Ideen, die er ins Projekt steckt und das passt super!
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kma kommt zu mir ins Home-Studio und O wir überlegen, welchen Song wir produzieren. Je nachdem wie wir drauf sind oder was ihm auf der Seele brennt. Ich sitze am Computer und er wütet hinter mir im Zimmer rum. Wir basteln an den Beats, probieren Instrumente aus und schauen, dass es zum ausgewählten Text passt. Ich muss dann die Beats so umgestalten, dass ich live Gitarre dazu spielen kann und manchmal ist auch ein Bassist dabei. Was meinst du, Digga? D a muss ich weit ausholen. Also die Texte sind immer als erstes da, dann kommen die Beats, aber wir jammen auch mit anderen Bands, wie zum Beispiel der Frittenbude und Station 17 und machen Musik mit anderen Menschen, die Musik machen wollen und mit Newcomer-Underground-Musikern. Wir machen auch Musik mit behinderten Menschen und ich will in Zukunft auch weiter Musik mit Kindern machen.
as für Reibungspunkte habt ihr? Gibt es manchmal W Differenzen?
RELUPS: OKMA:
Klar gibt’s Differenzen... Ja es gibt kleine Reibereien, wer ist der Coolste, wer macht mehr Werbung für O kma&R elups , wer hat die meisten Locations? Aber eigentlich eher selten. Ich setze mich meist durch, aber manchmal setzt sich auch der Relups durch
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H A T E : Wie sind eure Arbeitsabläufe beim Musik machen?
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as macht ihr, wenn ihr keine Musik zusammen W macht? Hängt ihr dann auch zusammen rum?
RELUPS: OKMA:
ir machen eigentlich immer Musik zusammen... W ...wir hängen auch herum und sind auch nicht dumm... Relups macht sein Studium, Betreuersachen und Freizeitassistenz... ...und Musik mit anderen Projekten. Ich mach den Herzensbrecher bei den Frauen, tanze im Verein. Ich bin OK, mache dort HipHop- und Standard-Tanz, dann mach ich bei Literaturwettbewerben mit, ich bin DJ, lege jeden Monat in einer Disco auf und ich versuche mich als Schauspieler. Ich bin berufstätig in der Lebenshilfe Wien Werkstatt und mache Multimediasachen: Filmen, Weißt du, ich bin ein er Mensch aus mehcklich schre Fotografieren und Präsentationen reren Gründen, die hier keine erstellen. Ich mache bei meiner Rolle spielen. Aber ich denke Arbeit auch Kunsttherapie, Vernis- immerzu, dass wenn du erst mal da bist, jeder herausfinden sagen und Videoexkursionen. was für ein schrecklicher Wenn wir nicht Musik machen, wird, ch ich bin. Als erstes du. Mens dann telefonieren wir, treffen uns Ich sehe es förmlich vor mir, wie
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und ich hör auch manchmal auf ihn, weil er die meiste Erfahrung hat. Wenn man so viel zusammenhängt und so oft angerufen wird, dann kann es schon mal zu viel werden. Und dann die Starallüren... Ich bin schon manchmal genervt und muss den Okma auf den Boden holen. Die Realität verliert er manchmal aus den Augen. Aber beim Musikmachen passt es echt immer! Wir machen viel Blödsinn! D ie ganzen Medien und wir sind doch so confused, dass wir gar nicht wissen was wir tun. Wir wollen Fun und Ruhm und viel O kma&R elups -Fans!
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du mich anschreist und immer wieder sagst: Das hast du doch alles nur für dich getan. Selbst die besten Dinge, die du für mich getan hast, hast du nur für dich getan. Ich bin nämlich die Meisterin im Gutsein faken. Und du wirst es entdecken.
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enn ich etwas sehe, was in unserer Welt scheiW ße ist, mache ich einfach einen Song daraus und versuch es, den Leuten verständlich zu machen. Mir hilft die Musik in dem Sinne, dass es mir dann nicht mehr auf der Seele brennt
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Was sind eure Pläne für 2011?
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O K M A : Wir wollen Auftritte machen im TV, beim Protestsong-Wettbewerb mitmachen, fertig werden mit den aktuellen Album und die EP D i e O KM Atta cke Live-Gigs machen, Straßengigs machen, nach Deutschland kommen, ein 3. Album produzieren und vielleicht übernächstes Jahr einen Okma-Kinofilm machen. R E L U P S : Mein viertes Relups-Album fertig machen, mich als Singer-Songwriter versuchen, weiterhin mit den anderen Bands musizieren und viel Blödsinn veranstalten!
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kma, die Texte auf eurem ersten Album drehen O sich um dich und dein Leben und du verarbeitest dort auch Anfeindungen. Inwiefern hilft dir das, die Ignoranz oder Verletzungen der Menschen zu verarbeiten?
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zum Essen, sind grad auf dem Weg zu Konzerten, auf Tour oder in der Disco beim Tanzen. Es ist schon die Musik, die uns verbindet. Sonst komponiere und produziere ich meine eigenen Sachen und spiele mit anderen Bands. Ich arbeite musiktherapeutisch in Wien und mache musikalische Freizeitassistenz für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Seit Juli hab ich vor allem meine Diplomarbeit in Pädagogik und Musiktherapie geschrieben und jetzt studiere ich noch Jazzschlagzeug.
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Wer von der Mutter als Mörderin spricht, assoziiert damit zumeist reflexhaft einige sensationsträchtige Fälle von Kindstötungen. In diesen tötet die Mutter stets ihr eigenes Kind zu einem Zeitpunkt, da sie zwar die biologische, aber nicht auch schon die soziale Mutter geworden ist. In der Forschung werden Kindstötungen nach dem Alter des Kindes unterschieden, Neonati zi d etwa wird bestimmt als die Tötung eines Kindes innerhalb von 24 Stunden nach seiner Geburt, Infanti zi d als die Tötung eines Kindes im Alter von einem Tag bis zu einem Jahr und Fili zi d als die Tötung von Kindern über einem Jahr. Diese Differenzierung hat sich auch in der Rechtssprechung der meisten Länder niedergeschlagen. In England etwa ist im Jahre 1938 mit dem Infanticide Act die Anklage von Frauen, die ihr Kind im Alter von bis zu einem Jahr töten, von Mord auf Totschlag herabgestuft worden, sofern „the balance of her mind was disturbed by reason of her not having fully recovered from the effect of giving birth to her child or by reason of the effect of lactation“1. Die Tötung des Kindes wird als Folge eines durch die Geburt ausgelösten psychischen Schocks definiert, dem keine psychische Erkrankung vorausgegangen sein muss. Entscheidend ist immer das Alter des Kindes. In jenen Ländern, in denen der Infanticide Act gilt,
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M. Oberman: Mothers Who Kill: Coming to Terms with Modern American Infanticide. Am Crime Law Rev 1996; 34:2–109
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In dieser juristischen Form verschwindet die Rolle der Vaterschaft genauso wie die gesellschaftliche Rolle der Mutter, sie wird als Einzelfall psychologisiert. Ebenso wenig Berücksichtigung finden die gesellschaftlichen und juristischen Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs. Oft appellieren die Urteile ausdrücklich an das Ideal der gelingenden bürgerlichen Ehe, das diese Frauen eben gerade nicht erfüllten. Der Ausnahmefall setzt die Regel voraus. Die gesellschaftliche Sensationalisierung und Sentimentalisierung von Müttern als Mörder ist ohne den Muttermythos undenkbar, der bis heute nicht aufgelöst ist, sondern im Gegenteil gerade wieder auf die Agenda einer nun aber selbstbestimmten postmodernen Einordnung in die fortbestehende Unfreiheit gesetzt wird. Ein Kindsmord erscheint dieser populären Vorstellung einer gleichsam naturwüchsigen Mutterliebe, mit der die Zuständigkeit der Frau für die Kindererziehung legitimiert wird, als Abfall von der natürlichen Ordnung, der als pathologisch begriffen wird und überdies katastrophale traumatische Folgen für die Frau habe.
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müssen Täterinnen daher weniger häufig mit einer Gefängnisstrafe rechnen, sondern werden auf Bewährung freigelassen oder in psychische Behandlung gegeben. In den Vereinigten Staaten gilt ein solches Gesetz nicht. In Deutschland ist die juristische Privilegierung der Kindstötung 1998 aufgehoben worden. Kindstötung bis zu diesem Zeitpunkt galt als die Tötung des nichtehelichen Kindes bei oder unmittelbar nach der Geburt. Diese Privilegierung gründete sich nicht allein auf die biologische Disposition, sondern auf die normative Ordnung der bürgerlichen Ehe. Sie berücksichtigte die psychische Zwangslage der Mutter, ein Kind unter den Umständen der Nichtehelichkeit geboren zu haben. Die Tötung des Kindes wird also nach Maßgabe der bürgerlichen Reproduktionsideologie sanktioniert, anderseits aber gilt allein die Mutter als Täterin, nur sie wird bestraft oder therapiert.
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Dass sie versagen oder versagt haben, ist nicht nur individueller Defekt der Frau, sondern Resultat einer misslungenen bürgerlichen Sozialisation oder eines ökonomischen Scheiterns. E s g i b t kein Scheitern im Namen der bürgerl i c h e n Ge se l l s c h a f t, n u r e i n e s a b se i t s von ihr.
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Dieser Diskurs durchzieht bis heute auch die Abtreibungsdebatten, in denen Frauen damit gedroht wird, dass ein Trauma nach dem Schwangerschaftsabbruch unvermeidlich sei. Der naturalisierten Frau als Mutter wird so weiterhin die selbstbestimmte Entscheidung darüber abgesprochen, wie mit der biologischen Disposition gesellschaftlich und individuell umgegangen werden kann, sie ist nur mehr eine frei Scheiternde. Das eigentliche Tabu des Muttermythos aber ist die soziale Mutterschaft, das Versagen und Scheitern einer Mutter lange nach der Geburt des Kindes. Wie jede Form häuslicher Gewalt gehörte die Gewalt der Mutter zu den lange unausgesprochenen und tabuisierten Bereichen der bürgerlichen Gesellschaft. In Deutschland ist dieser Bereich in den letzten Jahren vor allem durch Eingriff des Staates ins öffentliche Licht gerückt, aber nicht wirklich enttabuisiert worden. Die heute in den Massenmedien ausgemachten Versager sind schnell identifiziert: alleinstehende Mütter, Hartz-IV-Empfängerinnen, oft mit Kindern verschiedener Väter. Rauf und runter bringen Kommunikationsmonstren wie die Supernanny diesen inferioren und leicht debilen Frauen ihre Mutterrolle bei, um ihnen die soziale Kälte technologisch abzutrainieren und ihnen beizubringen, keine Forderungen zu stellen, sondern sich selbst zu fordern.
Der Muttermythos, der in puncto Arbeitsteilung vor allem für bürgerliche Frauen einen empirischen Wirklichkeitswert besaß, machte aus der Frau eine gesellschaftlich unzulängliche Täterin. Bis in die 1980er Jahre war jene Frau, die auch Mutter war, die Frau als Mutter und somit die in der Reproduktionsarbeit und der Liebe aufgehenden Person, abgeschnitten von der Sphäre der Lohnarbeit und des politischen Lebens.
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Umgekehrt galt die Frau immer dann als sozial Scheiternde, wenn sie nicht Mutter sein wollte. In Deutschland hat sich diese Logik vor allem in der historischen Wahrnehmung des Nationalsozialismus niedergeschlagen. Frauen als Täterinnen und Mörderinnen blieben bis in die 1990er Jahre zunächst vollkommen unsichtbar, und dies nicht nur aufgrund der Normen einer „patriarchalen“ Wissenschaft, sondern auch als Abwehr- und Entschuldungsmuster von Frauen selbst. Die Schuldfrage der groß gewordenen 68er-Kinder richtete sich zunächst an die Väter, nicht an die Mütter. In den Massenmedien – zuletzt in dem Film D er Vorl eser – tauchen Frauen zwar als Täterinnen auf, sind aber keine Mütter, sondern alleinstehende Frauen und Protagonistinnen faszinierend-abschreckender Liebesgeschichten, die ihre politische Verantwortung als Subjekte ausblenden. Dort, wo sich die Anklage gegen die Mutter richtete – ohnehin der Ausnahmefall –, wurde selten deren soziale und politische Rolle angegriffen, sondern ihr politisches (Fehl-)Verhalten als Scheitern in der Rolle als liebevolle, fürsorgende Mutter, womit Weiblichkeit implizit als Bereich geschichtsloser Privation dargestellt wurde. Am bekanntesten ist wohl die Geschichte der Tochter Ulrike Meinhofs, deren einziges Kapital es war, das politische Urteil über ihre Mutter durch triviale Familiengeschichte zu ersetzen und die Kinder als Opfer einer hartherzigen Mutter zu inszenieren, um Ulrike Meinhof als scheiternde Frau nun noch einmal persönlich zu diskreditieren, statt sie als politisch verantwortliches Subjekt ernstzunehmen. Während die europäische Kultur bis heute von der Imago des Entsagung fordernden Vaters geprägt ist, die in feministischen Diskussionen nicht selten mit einem vermeintlich besseren, „matriarchalen“ Gegenbild konfrontiert wird, zieht sich insbesondere durch die US-amerikanische Populärkultur das Bild der bösen, irren und fanatischen Mutter. Es lässt sich entziffern als Ausdruck einer patriarchal geprägten Gesellschaft, deren eigene Grundlagen zunehmend erodieren, ohne dass ihr Zwangscharakter aufgehoben würde. Väterliche Macht bedeutet nicht automatisch mütterliche Ohnmacht: Im Gegenteil erlaubt der Schutzraum der Kleinfamilie, in den die vom erwerbstätigen Vater abhängige Mutter während der Zeit seiner berufsbedingten Abwesenheit ohne entwickelte soziale Außenkontakte eingesperrt ist, der Mutter
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den Aufbau einer eigenen Herrschaftssphäre, die als „mütterlicher Aufgabenbereich“ vom Einfluss des Vaters getrennt bleibt. Die ökonomische Ohnmacht der Mutter gegenüber dem Vater darf kompensiert werden durch die mütterliche Macht gegenüber den Kindern und dem Haushalt. So entsteht im Zuge der Pathogenese der bürgerlichen Gesellschaft innerhalb der patriarchal geprägten Kleinfamilie ein eigenes Matriarchat: Ohnmacht und Furcht, die sie vom Vater erfährt, gibt die Mutter an die Kinder weiter, die dabei, selber immer schon prospektive Mütter oder Väter, ihren eigenen Platz in der Hackordnung zu akzeptieren lernen. Doch je weniger selbstverständlich die geschlechterspezifische Aufgabenteilung innerhalb der Familie ist, umso desolater wird diese Konstellation. Stellt sich der väterliche HerrNicht nur das. Du wirst schaftsanspruch angesichts der realen ökonomischen entdecken, warum ich solche Ohnmacht des Vaters und der sozialen Entwertung seiner Angst vor dir hatte. Weil ich angemaßten Rolle zunehmend als fiktiv heraus, während mich nämlich so auf dich geder Grund. die Mutter durch den wachsenden Zwang, ihre eigene freut habe. Das istimme r eingeich Natürlich hatte Arbeitskraft zu verkaufen und die bloße Hausfrauenrolle plant, dass es dich geben könnaufzugeben, ihre erworbenen „mütterlichen“ Eigenschaf- te, dass du kommen könntest. Gedanke ten verliert, erfahren alle Beteiligten die innerfamiliären Man wägt das ab. Derkt, untenist immer da, indire Rollen, die ihnen nie Freiheit, aber scheinbare Sicherheit drunter, irgendwo, das unvergewährten, in wachsender Panik als nicht-identisch mit meidlichste Erkennungszeichen es Bereisich selbst. Weil diese Nicht-Identität wiederum nur als Frau zu sein; dassentfernt von che gibt, die weit auferlegter Zwang, nicht als Möglichkeit der Freiheit er- Entscheidungsfreiheit sind, wo lebt wird, verwandeln sich die von ihren überkommenen Entscheidungsfreiheit nur noch Rollen freigestellten Familienmonaden in dissoziierte ja und nein bedeutet. Wahnsinnige, die, was ein Zugewinn von Autonomie sein könnte, im eigenverantwortlichen Amoklauf gegen sich selbst und andere austoben. Genau dieser Konnex zwischen väterlicher und mütterlicher Macht und Ohnmacht steht im Mittelpunkt zahlloser US-amerikanischer Thriller und Horrorfilme, zuvorderst der Filme Alfred Hitchcocks, dessen Psycho von 1960 vor allem deshalb als prototypische AmerikaSaga bezeichnet werden kann, weil mit Norman Bates ein schwacher, labiler Mann in ihrem Mittelpunkt steht, der von einer übermächtigen, aber toten Mutter beherrscht wird, deren imaginäre Macht als Pro-
Den Verästelungen dieses Motivs in der Filmgeschichte, etwa in seiner komödiantischen ( S eri al Mom von John Waters) oder in der Splatter-Variante ( T h e Texa s C hain saw Ma ssa cre von Tobe Hooper), soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Bemerkenswert ist vielmehr, dass es selbst inzwischen tendenziell historisch geworden zu sein scheint. In A n A m erican Crim e von 2007, der in seiner Dramaturgie und Thematik an verwandte, aber brutalere aktuelle Filme wie E d en L ake (2008) oder T h em (2006) erinnert, wird nicht mehr die pathogene Auflösung der Kleinfamilie, sondern deren monströse Restitution mit dem Motiv der mörderischen Mutter in Verbindung gebracht, deren Opfer nicht mehr ihre eigenen, sondern fremde Kinder geworden sind.
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longierung eines väterlichen Gesetzes erscheint, das in der Gegenwart keine Realität mehr besitzt und sich nur noch als Obsession, als über den Fetischismus der Mutter tradierter Wahn des Sohnes, fortzuerben scheint. Auch Marni e , vier Jahre nach Psycho entstanden, erzählt von einer zugleich ohnmächtigen und dominanten Mutter, von deren trauriger Vergangenheit die Titelfigur besessen ist und von der sie sich befreien muss, um zur „Frau“ werden zu können – was allerdings wiederum nur durch die in diesem Fall buchstäblich erpresserische „Hilfe“ eines Mannes gelingt, der Marnie befähigt, ihre Mutter zu besiegen, nur um sie daraufhin an der Mutter Statt als Ehefrau dem eigenen Hausstand einzugliedern. Robert Aldrichs grandioser Thriller W hat ever Hap p en ed to B ab y Jan e? wiederum erzählt, ebenfalls wenige Jahre nach Psycho, die vater- und mutterlose Variante dieser Konstellation am Beispiel einer sadomasochistischen Schwesternbeziehung. Ähnlich sind sich all diese Filme darin, dass sie die konventionelle Vorstellung der Mutter als „Opfer“ des Patriarchats in Zweifel ziehen, indem sie ihr Recht geben: Gerade die Ohnmacht der Mutterfiguren und ihrer Stellvertreterinnen ist es in diesen Filmen, die deren zerstörerische Macht begründet, gerade die Erosion der stabilen familiären Herrschaftsverhältnisse ist es, die, weil sie von den Figuren nicht im Sinne der eigenen Autonomie genutzt werden kann, den freiflutenden Wahnsinn aus sich hervorbringt.
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Kate Millett hat in den 1980er Jahren die Geschichte der Sylvia Likens nicht nur dokumentiert, sondern umgeschrieben: „Denn ich war Sylvia Likens. Sie war ich. Sie war sechzehn. Ich war es gewesen ... Seither hast du mich begleitet, eine Teufelssaat, ein Alptraum, mein eigener Alptraum, der Alptraum der Jugend, des Erwachsenwerdens eines weiblichen Kindes, des Frauwerdens in einer uns feindlichen Welt, einer Welt, die wir verloren haben und in der wir überall an unsere Niederlage erinnert werden. Was du ertragen hast, ein Sinnbild dafür. Dass es dir von der Hand einer Frau zugefügt wurde, der schlimmste Teil der Geschichte ... Wer sonst könnte geeigneter sein, eine KindFrau zu zerstören?“ Kate Millett identifiziert nicht nur sich selbst mit der gefolterten und ermordeten Jugendlichen, sondern stilisiert sie zu
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Den Rahmen des Films bildet die Erzählerstimme der toten Sylvia, die „ihre eigene Geschichte“ berichtet, sowie die Gerichtsverhandlung gegen Gertrude Baniszewski, bei der nicht nur sie, sondern auch viele der Beteiligten, mehrheitlich minderjährige Jugendliche, für voll schuldfähig erklärt werden.
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Der Film von Tommy O’ Haver erzählt weitgehend faktentreu, auf der Basis von Prozessakten aus dem Jahre 1967, die Geschichte von Sylvia Likens (gespielt von Ellen Page), die gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Jennie von ihren Eltern, fahrenden Zirkusleuten, für die Zeit einer längeren Reise bei Gertrude Baniszewski („Gertie“), einer ärmlich lebenden, alleinerziehenden Mutter von sechs Kindern, in Obhut gegeben wird. Nach und nach macht Gertie Sylvia zum Sündenbock für alle sozialen Kümmernisse, persönlichen Versäumnisse und Ängste von sich selbst und ihren eigenen Kindern: Beginnend damit, dass Sylvias Eltern ihr das für Sylvias Versorgung zu zahlende Geld angeblich zu spät geschickt haben, erfindet sie immer neue, immer abwegigere Vorwände, um Sylvia zu bestrafen. Zunächst werden sie und ihre Schwester lediglich geschlagen, später verletzt sie Sylvia mit einem Flaschenhals in der Vagina, bringt ihr Brandwunden bei und sperrt sie in den Keller, wo sie sie hungern lässt und den Kindern und Jugendlichen der gesamten Nachbarschaft als „Spielzeug“ für unvorstellbare Sadismen zur Verfügung stellt. Als die erschütterten Eltern schließlich erfahren, was Sylvia angetan wurde, ist diese schon an ihren Verletzungen gestorben.
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einer Heiligen, die stellvertretend für alle Frauen Opfer gewesen sei. Die Mutter ist zwar die Täterin, als Täterin jedoch ebenfalls Opfer, die der Jugendlichen angeblich das antut, was ihr die Männer angetan haben: „Wie durchtrieben, dass der Wunsch der männlichen Gesellschaft, die Frau zu kastrieren, von Frauen als ihren Handlangern ausgeführt wird; Frauen, die in ihrer Jugend selbst verstümmelt wurden, verbittert und begierig zu garantieren, dass die jungen niemals jene Freuden erfahren, auf die sie selbst verzichten mussten ... Weiblich sein heißt also sterben.“ Die Ahnung, dass das pure Faktum des Weiblichseins als Medium der Solidarisierung nicht hinreicht, schlägt Millett mit einem schnell gesprochenen Todesurteil über alles Weibliche nieder, um die Opfer- und Täterposition getreu der Binsenweisheit, dass im Tode alle gleich seien, im sentimentalen Jargon endgültig verschwimmen zu lassen. Im Film dagegen erfahren wir nichts über die biografischen Ursachen der Taten Gertrudes. Auch das Opfer hat keine klar konturierte Geschichte außerhalb dieser Geschichte. Sylvia wird erstmals in die Familiengeschichte der Baniszewskis verwickelt, als ihr die leibliche Tochter Gertrudes unter Tränen gesteht, von einem verheirateten Mann schwanger geworden zu sein. Sylvia verspricht ihr, das Geheimnis zu wahren. Als die Tochter sich erneut dem Mann zuwendet, um ihm ihre Liebe zu gestehen, weist der sie schroff wie eine lästige Prostituierte ab und droht sie zu vergewaltigen. Sylvia wird Zeugin dieser Szene und unterbricht den Gewaltakt des Mannes mit den Worten „Sie ist schwanger“. Einer der Nachbarsjungen, ein verstockter Außenseiter und zugleich stiller Bewunderer Sylvias, hört diese Worte, und fortan verbreiten sie sich in der Schule. Sylvia, heißt es nun, habe das Versprechen gebrochen und verbreite schändliche Lügen über die Tochter ihrer Gastmutter. Ohne sich der Tochter zuzuwenden, ohne die Wahrheit erfahren zu wollen, nimmt Gertrude diese Gerüchte zum Anlass, den Sadismus ihrer Strafen für Sylvia noch zu steigern. Die Achtung und das Mitgefühl, das Sylvia ihrer Tochter entgegengebracht hat, wird von der Mutter im Beisein der leiblichen Tochter bestraft und exorziert.
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Millett gestaltet hingegen Gertrude selber als symbolische „Mutter“ Sylvias und spricht an ihrer Statt einen inneren Monolog, der die Folternde und ihr Opfer in eine Beziehung zueinander setzt, statt die brutale Beziehungslosigkeit der Figuren herauszuarbeiten: „Sylvia weigert sich einfach, das Leben ernst zu nehmen, seine Härten und Geheimnisse, den Willen Gottes, die Last. Ihre Aufgabe, die vor ihr liegt, ist, eine Frau zu sein. Es sieht so aus, als hätte sie nicht einmal den leisesten Schimmer, was das eigentlich bedeutet. Mein Unterricht führt zu nichts ... Weil sie Widerstand leistet. Sie weigert sich, erwachsen zu werden, wirklich erwachsen. Sie möchte entkommen. Eine Ausnahme sein. Und genauso leichtlebig wie ein Junge. Ein Wildfang, das ist sie, möchte überhaupt keine Frau werden. Also muss ich sie zwingen.“ Umgekehrt konstruiert Millett durch einen inneren Monolog Sylvias eine Beziehung der Gasttochter zu Gertrude als Mutter und Frau: „Wenn einem eine Frau so was antut, ist es anders. Vor Männern habe ich mich schon immer gefürchtet, seit ich mich erinnern kann. Aber nicht vor einer anderen Frau. Einer Mama. Das ist es, warum mich Gertrude so weit gebracht hat, dass ich jetzt nichts mehr machen kann ... Wenn ich sie nur umstimmen könnte, wenn sie mich vielleicht unter ihrer Gemeinheit doch auch echt gern hat …“ Im Film gibt es keine solche Ansprache Gertrudes als Mutter, auch keinen artikulierten Wunsch nach emotionaler Anerkennung durch die Gastmutter. Indessen wiederholt Gertie wie im Ritual zur Begründung ihrer Taten den Satz, sie wolle ihre „Kinder schützen“, auch ihr wesentlich jüngerer Liebhaber sagt gegenüber Sylvia zur Entschuldigung von Gertie, ihre Kinder seien ihr „das Wichtigste“. Anders als die früheren Filme über mörderische Mütter, anders aber auch als in der medialen Diskussion über KindsmörderinZum Beispiel wenn man nen, führt A n A m erican Crim e drastisch vor Audas erste Mal überlegt, sich gen, was es angesichts des Zerfalls der bürgerlichen was man später mal machen Familie allein bedeuten kann, die Familie weiterhin möchte. Beruflich, meine ich zum Fetisch zu erheben, und buchstabiert am Beispiel und zum ersten Mal feststellt: wird schwer. Aber der sich selbst innig für ihr gesellschaftliches Schick- BankdirektorEntsc heidungsproso läuft der sal bemitleidenden Gertie – symbolisiert in ihrem zess, der keiner ist, ja nicht ab. Asthma, dass sie durch Kettenrauchen verstärkt – die Trotzdem ist er jetzt vorbei. Als , dass ich mit janusköpfige Allianz von Mutterliebe und Mord, Senti- ich erfahren habe habe ich bin, r ange dir schw mentalität und Grausamkeit aus. mich gefreut. Und dann habe ich
geweint. Die einen sagen: Die Hormone. Aber ich weiß, dass ist es nicht. Es ist auch Trauer. Ehrlich gesagt, haben Trauer und Freude noch nie so nah beieinander, schon fast aufeinander, ineinander gelegen.
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Sylvia, selbst keineswegs eine klassisch weibliche, „unschuldige“, sondern eine weitgehend leere Figur ohne konturierte Biografie, ohne klare Vorlieben oder Abneigungen, wird gerade dadurch zur Projektionsfläche für den Hass von Gertie und ihren Kindern auf alles, was sie auch nur entfernt an Glück, an ein halbwegs gelungenes Leben erinnert. Sylvia muss darum im Namen der „Familie“ selbst hässlich und unglücklich gemacht, verstümmelt und geschändet werden. Dass fast alle Kinder der Nachbarschaft sich begeistert an diesem Schändungsritual beteiligen, bestätigt, dass der Film Gerties Taten nicht nur als Resultat ihres persönlichen sozialen Schicksals, sondern als Kristallisationspunkt eines kollektiven Bedürfnisses deutet. Erst im kollektiven Verbrechen findet diese Gemeinschaft von Außenseitern zueinander. Der Skandal besteht nicht einfach darin, dass – wie Millett nahelegt – die Mutter und ihre Töchter Opfer einer patriarchalen Gesellschaft sind, sondern darin, dass an deren Verkehrsformen und Idealen weiterhin festgehalten wird trotz ihrer zunehmenden Auflösung und trotz der bestehenden Möglichkeiten, einen freieren, solidarischen Umgang miteinander auszubilden. Als die Mutter durch den Gemeindepriester auf die Schwangerschaft ihrer Tochter und den Verbleib Sylvias angesprochen wird, leugnet sie weiterhin die Schwangerschaft ihrer Tochter und behauptet, Sylvia in eine Erziehungsanstalt gegeben zu haben. Dieses bornierte, auf unheimliche Weise realitätsfremde Festhalten an der eigenen Lüge lässt sich in keiner Gemeinsamkeit, auch keiner „unter Frauen“, mehr auflösen. E s z e i g t i n e r s c h r e ckender Deutlichkeit die Konsequenz e n , d i e e s h at, a n e i n e m W e rt e ka n o n fe stzuhalt en, der nicht nur durch die eigene Erfahrung widerlegt worden i st, s o n d e r n au c h ge se l l s c h a f t l i c h t e i lw e i se be r e i t s e r o d i e rt. D i e Mu t ter, die sich in eben jener Weise, wie M i l l et t e s si c h v o r st e l lt, be si n n u n g s l o s a l s Mu t t e r u n d O p f e r a f f i r m i e rt, wird dem Film zufolge gerade dadurch zur Mörderin. Sie ist die Chiffre eines Hasses, der das Bestehende nicht abzuschaffen vermag, sondern es in der grund- und sinnlosen Tortur noch einm a l b e s t ä t i g t .
ruth T On
S o n j a , 26, lebt in einer kleineren Stadt in Norddeutschland, sie hat mal als Wirtschaftsassistentin für Fremdsprachen und Korrespondenz gearbeitet und ist nun „glückliche Mama“ einer zweijährigen Tochter. Demnächst möchte sie studieren. Sonja glaubt, dass es Chemtrails gibt. Auf Facebook postet sie regelmäßig Links, von Artikeln und Videos, die sie „Alternativmedien“ nennt und die einige den Verschwörungstheorien zuordnen würden. Auf diesen Seiten geht es oft um „die Wahrheit“, manches Mal wird dort auch vor einer jüdisch-amerikanischen Weltherrschaft gewarnt, oder Eva Herman fantasiert von einer Strafe Gottes. Woran glauben Menschen, die Zeitungen gegen diese Quellen eingetauscht haben? L a u r a E w e r t hat – ganz naiv und auch überrascht – nachgefragt. h a t e : Welche Seiten nutzt du vor allem, um dich zu infor-
mieren?
S o n j a : Für die Eigenrecherche sind Google und Youtube sehr nützlich. Das, was sich abspielt auf diesem Planeten, ist oft zu umfangreich und unglaub-
lich, um es jemandem in Textform oder in einem Gespräch begreiflich zu machen. Um „dem Bösen ein Gesicht zu geben“ eignen sich Videodokumentationen und Youtube-Videos hervorragend. Ansonsten besuche ich Seiten wie infokrieg.tv, allesschallundrauch.de, kopp online, nuoviso.tv, Wahrheitsbewegung.net ... hate :
hate : Sonja:
Zeitungen und Magazine sind ein veraltetes und überteuertes Medium. Alles, was ich dort zu lesen bekomme, finde ich kostenlos und ausführlicher im Internet.
Und welche Themen interessieren dich besonders? Zu viele, um sie alle aufzuzählen, aber zum Beispiel der Verlust von Staatssouveränität durch die EU, der kommende Wirtschaftskollaps, die Besatzungskriege der USA für Öl und Lithium-Vorkommen, der Überwachungsstaat, das unwählbare Kaspertheater aus CDUSPDFDPGRÜNELINKE, Volksverdummung durch DSDS, Fußball, Raab und Co., Uran-Munition, die in Irak/Afghanistan mit deutschen Waffen verschossen wird und Tschernobyl-ähnliche Auswirkungen auf Neugeborene hat ...
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Sonja:
Welche Zeitungen oder Magazine liest du ab und zu? Also ich meine jetzt offline, aus Papier.
hate : Sonja:
Harter Stoff... In meinem alltäglichen Leben, in dem ich versuche, Distanz zu den Dramen und der Hektik dieser Welt zu bewahren, ist das Thema Ernährung und Vegetarismus wichtig für mich und wie ich alternative Lebensweisen in meinem
Leben umsetzen kann. Körperlich, geistig und seelisch. Natur, Kinder, Tiere, Bewegung, Musik, Spiritualität, Gesundheit, Heilung und Austausch mit Gleichgesinnten erfreuen mich. Demnächst möchte ich mich näher mit dem Gartenanbau beschäftigen.
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hate : Sonja:
hate : Sonja:
Welche Themen sorgen dich am meisten? Insgesamt sind die Zustände in der Welt besorgniserregend genug. Dabei braucht man sich eigentlich nur die Nachrichten im Fernsehen anzusehen. Besonders besorgt mich die Versklavung der Menschen durch Zinseszins und die Zerstörung der Natur. Es ist aber nicht gesund sich tagtäglich all die negativen Geschehnisse vor Augen zu halten. Ohne einen bewussten Austausch mit den schönen Gegebenheiten des Lebens besteht die Gefahr, in ein Loch zu fallen. Die Erfahrung machen bestimmt nicht wenige, die sich intensiv mit solchen Themen befassen. Ich habe aber erst dadurch das Schöne am Leben mehr schätzen gelernt. Und je schlechter es aussieht, desto mehr schöpfe ich Kraft, auch wenn „das Schlechte“ keine notwendige Erfahrung ist, um das Gute zu erkennen. Im Angesicht dieser Zeit ist es für mich aber vor allem von Bedeutung, einen positiven Wandel zu durchleben, eine Bewusstseinserweiterung ist in diesem Zusammenhang wichtiger als eine „Informationserweiterung“. So ist es auf einem bestimmten Bewusstseinslevel auch leichter, mit Schwerverdaulichem umzugehen.
Auf den von dir genutzten Seiten geht es oft um „Die Wahrheit über 9/11“. Was denkst du darüber? Wenn man alle Ungereimtheiten und Fakten
in Betracht zieht, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, dass die offizielle Version eine bewusste Lüge ist. Es gibt genug seriöse Bücher und Filme zu diesem Thema, die sogar im Fernsehen ausgestrahlt wurden.
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Sonja:
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Sonja:
Chemtrails sind für mich Realität. Das kann jeder selbst nachprüfen. Ein Kondensstreifen löst sich nach circa 15 Sekunden auf. Ein Chemtrail dagegen erzeugt einen nebligen Schleier. Ich kann mich noch an einen strahlend blauen Himmel in meiner Kindheit erinnern, und die Flugzeuge fliegen heute wie damals mit Kerosin. Erst kürzlich hat der Ex-FBI-Chefagent Ted Gunderson es als Genozid und Mord an der Bevölkerung bezeichnet.
Und noch ein Klassiker: „2012“. Hast du Angst, was passieren könnte? 1
Ein anderer Klassiker sind die „Chemtrails“.
Ob da was dran ist, werden wir erst sehen, wenn es soweit ist. Am realistischsten finde ich die von der NASA vorausgesagten Supersonnenstürme und den Zusammenbruch unseres Wirtschaftssystems aufgrund der astronomischen Verschuldung der Länder. Man kann sich aber darauf vorbereiten, in dem man seine Ersparnisse in Edelmetalle, Sachgüter und Lebensmittelvorräte anlegt. Am besten ist ein Haus auf dem Land mit einem eigenen Brunnen und einem Acker, um sich selbst versorgen zu können. Eine autarke Stromquelle, wie Solarzellen, ist auch zu empfehlen. Wer rechtzeitig vorsorgt, kann zumindest das Schlimmste abwenden.
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Irgendwann ist mir einfach ein Licht aufgegangen. Daraufhin schmiss ich meinen Fernseher raus, das war ein Schritt zur geistigen Befreiung. Kann ich jedem empfehlen! Vor etwa zehn Jahren fing ich an, bestimmte Bücher zu lesen über Geheimgesellschaften und ihren Einfluss auf Wirtschaft, Finanzen und Politik. Es erfordert sehr viel Zeit und Energie, sich umfassend zu informieren. Und die habe ich leider, wie viele andere, nur phasenweise. Seit mehr als einem Jahr informiere ich mich wieder etwas intensiver, und seitdem nutze ich auch das Internet mehr. Das liegt auch daran, dass ich nun mehr Leute kenne, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen, die mir Information senden und mich auf bestimmte Seiten aufmerksam machen.
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Glaubst du, das Internet ist besonders geeignet, um moderne Mythen entstehen zu lassen?
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Wie und wann bist du eigentlich auf diese Seiten gekommen?
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Sonja:
Ja! Man nehme nur Twitter und Facebook. Hier wurde rasend schnell das Gerücht in der Welt verbreitet, dass Facebook dichtgemacht wird. Das Internet ist im Prinzip frei. Das bedeutet, dass hier jeder auch Gerüchte und Unwahrheiten verbreiten kann.
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Welchen Seiten „traust“ du mehr, welchen weniger?
Sonja:
Richtiger Journalismus findet heute bei Zeitungen und Nachrichtensendungen kaum noch statt, sondern eine komplette Monopolisierung des Informationsflusses. Ich vertraue grundsätzlich keiner Mainstream-Nachrichtenseite, die ver-
wenden nahezu alle nur Reuters und Associated Press als Quelle, die gehören den beiden einflussreichsten Familien, die Beweise für das alles heranzuziehen würde den Rahmen eines solchen Interviews aber sprengen. hate :
Kannst du den Begriff Mainstreammedien erklären?
Sonja:
Als Mainstreammedien bezeichne ich alle kommerziellen TV- und Printmedien, sowie deren Onlineableger. Diese dienen meiner Ansicht nach hauptsächlich dazu, durch das Propagierte neue Realitäten zu schaffen, gewisse Grundhaltungen zu vermitteln. Nach dem Motto: „Sag dem Pöbel was er braucht und dann erfülle ihm seinen von dir beeinflussten Wunsch.“ Die meisten Menschen nehmen dies durch die Inhalte der Massenmedien als gegeben hin. Die Alternativmedien, die sogenannten unabhängigen Medien, bieten zumindest eine Möglichkeit zu hinterfragen und zu reflektieren. Man sollte jedoch grundsätzlich mit jeder Information kritisch sein, denn auch in den Alternativmedien können Fehlinformationen weitergegeben werden.
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Sonja:
Du postest aber auch Artikel von Spiegel Online oder Der Freitag . Gibt es Seiten, die du gar nicht mehr liest? Es ist wichtig zu wissen, was dem unkritisch denkenden Mainstreamleser als Wahrheit dargelegt wird. Ich lese beispielsweise regelmäßig Welt Online, dort wird täglich Angst vor nicht existierenden Gefahren wie Terrorismus und Globaler Erwärmung verbreitet. Gleichzeit werden nicht existierende Wirtschaftsaufschwünge propagiert, um von unserem kurz vor dem Zusammenbruch
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stehenden Geldsystem abzulenken.
Terrorismus gibt es nicht? Wer sind denn die Menschen, die sich selbst in die Luft jagen?
S o n j a : Das sind in meinen Augen Mitläufer und Bauernopfer, die von bestimmten Gruppen rekrutiert werden, die nicht selten von Geheimdiensten wie CIA und Mossad mitaufgebaut und gesteuert werden. Es sind aber auch verzweifelte Menschen dabei, deren unschuldige Familienangehörige bei Bombenangriffen oder Gefechten ums Leben gekommen sind und die sich dann natürlich radikalisieren lassen. Sie lassen sich unter einer falschen Auslegung des Korans und dem Versprechen auf das Paradies für solche Terrorakte verheizen. Der Terrorismus existiert leider. Doch er wird von selbst geförderten Gruppen wie Al Kaida verübt, die nachweislich von den USA aufgebaut wurden. Al Kaida bedeutet auch nur „Datenbank“ oder „die Liste“, das heißt, in ihr Ich möchte so vieles für sind die Namen von ich habe diese Marsein, dich rekrutierten Mudscha- tha-Stewart-Variante von mir im hedin-Kämpfern enthal- Kopf.. Schon immer. Aber jetzt mir vor, wie du nach ten, die von Osama Bin stellee ich Haus kommst, das Essen steht Laden, unter Anleitung auf dem Tisch, natürlich habe ich was Gesundes gekocht und von Zbigniew Brzezines schmeckt dir. Gemüse magst ski, der unter anderem du gerne, aber ich bin auch eine Berater von Jimmy Ketchup-Mama. So locker und perfekt werde ich sein. Ja, ich Carter und Barack weiß. Auch dieses Bild muss ich Obama ist, ausgebildet aus dem Kopf bekommen. wurden. Es werden auch Unrealistisch ist es auWie soll ich mittags kom: ßerde Terroranschläge unter chen? Ich werde doch weiterhin falscher Flagge verübt, arbeiten. Habe ich gedacht. die selbst inszenierten Was ist, wenn das mit Anschläge werden einer dem Arbeiten nicht klappt? Was
ist, wenn ich gar nicht wieder arbeiten möchte? Muss ich dann widerstehen? Stark sein? Wirst du später sagen, ich wäre eine Rabenmutter gewesen, weil ich meine Arbeit auch immer geliebt habe? Wirst du das auch über deinen Vater sagen?
Gruppierung zugeschrieben, um in bestimmte Länder Truppen hinschicken zu können. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch echte Terroranschläge gibt. hate :
hate : Sonja:
Auf jeden Fall. Die Massenmedien sind in der Hand einiger weniger reicher und einflussreicher Personen, die bestimmte Interessen verfolgen. Die Verstrickung von Politik, Wirtschaft und Medien ist ja auch nichts Neues.
Nutzt du die Kommentarfunktion unter Artikeln im Netz? Ja, sie bietet eine gute Möglichkeit, Artikel und die Motive der Veröffentlichung zu hinterfragen. Leider musste ich aus eigener Erfahrung feststellen, dass bei vielen großen Nachrichtenportalen (z.B. Welt Online, N24) gnadenlos Zensur betrieben wird. Vor allem bei heiklen Themen wie dem drohenden Wirtschaftskollaps oder den Israel/USA-Kriegstreibereien werden „politisch unkorrekte“ Kommentare grundlos gelöscht oder gleich die ganze Kommentarfunktion für den Artikel deaktiviert.
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Sonja :
Ich lese in den Links öfter das Wort „Wahrheit“. Glaubst du, wir werden oft getäuscht?
hate : Warum, glaubst du, wird zensiert und manipuliert? S o n j a : Die Menschen sollen unwissend gehalten werden, damit sie nicht anfangen das System zu hinterfragen und zu verändern. Einige wenige Menschen besitzen den größten Teil des weltweiten Reichtums, und die wollen ihren Reichtum und ihre Macht ausbauen. Sie sehen sich als
auserlesene Elite, die vermeintlich weiß, was das Beste für die angeblich dumme Masse der Menschen ist. hate :
hate : Sonja:
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Sonja:
hate : Sonja:
Warum, glaubst du, sperren sich einige deiner Freunde gegen deine Links und Wahrheiten? Da sind natürlich viele Dinge, die nicht ins herrschende Weltbild passen oder da wirkt einfach auch ein Verdrängungsmechanismus. Die meisten Menschen sind eben von den Massenmedien manipuliert und programmiert worden. Es kann nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf. Einige befürchten auch, dass sie in Schubladen gesteckt werden, keiner will in eine „Verschwörungsecke“ gedrängt werden, „könnte ja sein man hält mich für verrückt“.
Was kann man gegen die Gefahr der Täuschung tun? Man sollte immer mehrere Quellen in Betracht ziehen und abwägen, was wahr ist. Bei Studien und Fachleuten ist immer die Frage, für wen diese Leute arbeiten. Am ehesten kann man noch sogenannten unabhängigen Studien trauen. Studien, die nicht dem herrschenden Paradigma entsprechen. Und man muss Studien vergleichen, in denen man zu demselben Ergebnis gekommen ist.
Ganz schön verwirrend, woher weiß man denn überhaupt, was wahr ist? Wie weit unser Wissen der Wahrheit entspricht, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Wir nehmen aber vor allem durch den Glauben daran bestimmte Information für uns als Wissen (= „Wahrheit“) an. Wissen ist nicht objektiv, son-
hate : Sonja:
Ich hoffe, ich kann dir folgen... Ich denke, dass Wahrheit oder Realität mit einem erweiterten Bewusstsein erfahren werden kann. Ich glaube an die Wahrheit, auch wenn es oft schwer ist, sie zu erkennen. Intuition ist ein zutreffender Begriff, „mit dem Herzen denken“ oder „die innere Stimme“. Bei der Informationsflut aus dem Internet ist es nicht einfach zu beurteilen, was wahr ist. Es ist auf jeden Fall wichtig, zu differenzieren und zu hinterfragen. Was ist begründet im Verständnis des Ganzen, was in Einseitigkeit? Was sind Wahrheiten und was Halbwahrheiten?
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dern abhängig von der subjektiven Interpretation von Fakten, und die Interpretation ist abhängig von unserem Weltbild. Wir sehen, was wir glauben – oder was wir zu glauben bereit sind. Unser Weltbild beruht letztlich auf den Annahmen, die wir nicht objektiv beweisen oder wirklich durch und durch nachrecherchieren und „real“ belegen können. Für mich mag etwas „wahr“ und „logisch“ sein, aber andere Menschen sehen dieselbe Realität aus einer anderen Perspektive.
hate : Sonja:
Glaubst du an Gott? Ja, das bedeutet, ich weiß, dass es Gott gibt!
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„Instead of a blowjob, I‘d rather you just hug me and kiss me and call me a good baby“ Über sein neues Spielzeug, die Holzeisenbahn, freut sich Pascal sehr. Er kann gar nicht genug davon bekommen, mit ihr über seine große Krabbeldecke zu fahren und dabei lautstark die Geräusche einer Lok nach zu machen. Ab und zu schaut die Mutti ins Kinderzimmer, um nach dem Rechten zu sehen. Wenn Pascal Aufmerksamkeit sucht, fängt er an zu weinen oder macht sich in die Hose bis die Mutti kommt und sich mit ihm beschäftigt. So weit, so normal. Doch Pascal ist 45 Jahre alt und damit ein “Adult Baby”.
Was ist, wenn du mit 15 ausziehst und wir Jahre nicht miteinander sprechen?
Pascals Vorliebe, sich als Baby zu verkleiden und von einer professionellen „Windelmutti“ umsorgen zu lassen, bezeichnet man als Autonepiophilie. Experten kategorisieren sie als eine der harmlosesten aus der Norm fallenden Sexualpraktiken (Paraphilien). Dennoch sehen sich Adult Babys mit der Unterstellung konfrontiert, ihr Hobby habe etwas mit Pädophilie zu tun, obwohl es sich um ein einvernehmliches Spiel unter Erwachse-
In den einschlägigen Foren diskutieren die Adult Babys über die Vorzüge verschiedener Flaschensauger, sowie den korrekten Umgang beim Wickeln. In Erfahrungsberichten werden Erlebnisse mit Windelmuttis geteilt. Aus der Szene hat sich inzwischen ein eigener Geschäftszweig entwickelt: Große Strampelanzüge, Schnuller, Babyflaschen und überdimensionierte Kindermöbel werden über das Internet und in zahlreichen Spezialläden angeboten. Für das erneute Erleben eines Kindergeburtstages können Lätzchen für Erwachsene individuell bedruckt werden. Ein eigener Literaturzweig steckt noch in
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Mit naivem Wohlwollen könnte man postulieren, dass die Kritik an Geschlechterrollen der Gendertheorien im Ageplaying Anwendung findet: Dort steht die sexuelle Komponente im Vordergrund und durch das Einnehmen der “Kinderrolle” wird die männliche, die “aggressive”, Sexualität entschärft. Das nicht mehr als deutlich männlich oder weiblich zuzuordnende Baby (da es noch nicht sexuell entwickelt ist, rücken diese Zuschreibungen in den Hintergrund, werden aber natürlich nicht total negiert) steht weniger unter “sexuellem Leistungsdruck” und muss nicht unentwegt auf seine Performance achten.
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nen handelt. Für einige Adult Babys steht hierbei nicht unbedingt eine sexuelle Komponente im Vordergrund, sondern das Bedürfnis sich fallen lassen zu können, behütet zu werden und wieder “Nestwärme” zu spüren. Ähnliche Beweggründe haben Menschen, die Krankheiten vortäuschen oder in ihr Liebesspiel einbeziehen. Es geht eben nicht darum, sexuellen Missbrauch in der Rolle eines Kindes zu erleben. In Foren und speziellen Magazinen tauschen sich die Adult Babys idealisierend über ihre Kindheitserinnerungen aus. Es ist für sie eine Gelegenheit Verantwortung abzugeben, dem Alltag zu entfliehen, sich in eine überschaubare und heile Welt zu flüchten. In die Rolle eines Kleinkindes zu schlüpfen, ist ihre Möglichkeit dem Leistungsdruck, Konkurrenzkampf und den Verantwortungen zu entfliehen. Nach diesem Kurzurlaub in ihrer Phantasiewelt, fühlen sie sich wieder bereit zu neuen Taten.
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Adult Babys müssen ihre Neigungen oft im Geheimen, parallel zu ihrer Partnerschaft ausleben, da sie sich mit ihren Wünschen nicht ihren Partnern anvertrauen können und wollen. Eine große Rolle spielt hierbei die Angst, dass der Partner mit Unverständnis reagiert und ihre Neigung schlimmstenfalls als Pädophilie oder Bearbeitung eines Kindheitstraumas missversteht. Dabei wäre es wahrscheinlich für das Adult Baby der größte Liebesbeweis, wenn es sich von seinem Partner einfach nur umsorgen lassen könnte. Symptomatisch hierfür ist der in einem Forum geäußerte Wunsch eines heimlichen Adult Babys, sich von seiner Freundin statt des Blowjobs lieber wickeln zu lassen. Adult Babys greifen zum Ausleben ihrer Fantasien auf DienstleisteNun sitze ich in der rinnen wie Windelmutti Gina aus Berlin-Friedrichshain Frauenfalle. Für immer. zurück, die sich darauf spezialisiert hat, die gesellschaftlich geächteten Neigungen zu befriedigen. Der Besuch bei der Windelmutti muss anhand eines Fragebogens akribisch vorbereitet werden. Dort kann das erwachsene Baby ankreuzen, wie oft die Mutti nach ihm sehen und wie sie auf seine Eskapaden reagieren soll. Hierbei kann durchaus auch eine sexuelle Komponente im Mittelpunkt stehen. So wünschen sich Adult Babys zuweilen auch eine härtere Gangart, als dies bei Pascal der Fall ist. Man kann Gina beispielsweise bitten, zur Bestrafung für das Einmachen, Brennnesseln in die Windeln zu stecken. Trotz dieser sexuellen Konnotation, sind Geschlechtsverkehr oder ein Handjob bei Gina und den meisten anderen Windelmuttis ausdrücklich ausgeschlossen.
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den Kinderschuhen, aber es sind bereits die ersten Veröffentlichungen erschienen. Neben Windelkrimis (z.B. “Mit einem Hai spielt man nicht, Baby”, erschienen im Lange Verlag) gibt es „Ratgeber für Windelmuttis“, die Tipps zum Erziehen des Adult Babys geben. Der Markt floriert und geschäftstüchtige Internethändler, die eigentlich gar nichts mit der Szene zu tun haben, spezialisieren sich auf dieses Gebiet. In einem Forum berichtet einer von ihnen, dass er erst über seinen Job in einem Internetversandhaus von diesem Trend erfahren habe und jetzt selber Partys veranstaltet, bei denen seine Freunde in riesigen Stramplern, jauchzend vor Glück, Wodka aus Babyfläschchen nuckeln.
Wohnung, ein Konto und bald ein Kind. Gleichzeitig habe ich das Wichtigste nicht geschafft: Irgendetwas anders zu machen, irgendeine andere Lösung zu finden. Manchmal denke ich: Wenn ich wenigstens lesbisch wäre.
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Manche Adult Babys geben sich nicht mit einer mehrstündigen Session zufrieden, sondern checken in das Adult Baby Hotel im Harz ein, um ihre kindliche Seite über einen längeren Zeitraum auszuleben. Dieses Hotel bietet Dienstleistungen an, die unter anderem ständige Betreuung, Füttern, Wickeln, in den Schlaf wiegen, jede Menge Spielzeug sowie Ausflüge in die Umgebung oder zum Shoppen von Babyklamotten beinhalten. Trotz der offensichtlichen Harmlosigkeit bleiben Adult Babys und Windelmuttis lieber unter sich und anonym, denn die Flucht in kindliche Welten ist vielfältig in der Ausprägung und längst nicht jede ist gesellschaftlich akzeptiert. Selten wird die Nase gerümpft, wenn an einem Partywochenende der Rückfall ins Kindesalter mit Glitzer im Haar und Grütze im Hirn zelebriert wird. Auch Kriegsspielhobbys wie Paintball oder auch eine Modelleisenbahn sind gesellschaftlich akzeptiert. Das offene Ausleben sexueller Fantasien und die Verwirklichung der Bedürfnisse sind kaum noch ein Tabu; Sexpartys und SM-Spiele sind schon lange keine Aufreger mehr. Dabei nimmt die Flucht in kindliche Welten auch gesellschaftlich akzeptierte und nicht weiter beachtete Formen an. Männer, die sich temporär wie Kinder verhalten, werden als süß und lustig empfunden. Das „Kind im Manne“ wird zu Vermarktungszwecken, zum Beispiel in der Autowerbung, regelmäßig abgerufen. Auch Erwachsene, die nichts unversucht lassen, um ihren körperlichen Alterungsprozess aufzuhalten, fallen nicht besonders auf. Die gesellschaftliche Akzeptanz für das Ausleben kindlicher Rollen als Erwachsener scheint dort zu enden, wo die Altersgrenze eines Grundschulkindes spielerisch unterschritten Das Merkwürdigste wird. Zu deutlich tritt hier der Gegenist, dass das Gefühl alles richsatz zwischen dem als frei von jeder tig zu machen noch nie so sehr haSexualität imaginiertem Kind, und dem mit dem Gefühl versagt zu ben, zusammen gefallen ist. Erwachsenen hervor, der diese verIch komme an, merke ich. Ich meintliche Unschuld mit dem Eintritt habe all das, wovon der Traum lt: erzäh in die Pubertät angeblich unwiderrufens werd chsen des Erwa Einen Beruf, einen Mann, eine lich verloren hat.
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Ich bin natürlich informiert, sogar: überinformiert. Ich weiß also was es bedeutet, Mutter zu werden. Theoretisch. Auch wenn mir die Tatsache, dass ich in der Naturfalle sitze, du in meinem Bauch bist, abstrakt und gleichzeitig sehr konkret vorkommt. Ich versuche zu verstehen, wie etwas, das nicht ist, in mir ist, von mir ist, dort wächst und in 18 Jahren trotzdem nicht nur eine eigene Meinung, sondern vielleicht sogar einen Führerschein haben wird. Unmöglich Ich versuche zu ergründen, warum ich mich nach all den Jahren, die ich mich gegen dich gewehrt habe, für dich entschieden habe: Angst vor dem Alleinsein? Das Gefühl eben doch alles im Leben mitgenommen zu haben, nichts verpasst zu haben? Angst, dass, wenn ich dich verpasse, ich das so bereuen werden, dass mein Leben eine Hölle wird?
B a r b a r a V i n k e n ist eine feministische Autorin, die viele Texte über Mode, Liebe, Pornographie, dekonstruktiven Feminismus, Flaubert und die deutsche Mutter produziert hat. Zurzeit arbeitet sie als Literaturwissenschaftlerin in München. Barbara Vinkens Buch zum Thema D i e d eut sch e Mutt er, ist neben zustimmendem und bestätigendem Lob, auch harsche Kritik zugeteilt worden. Infrage gestellt wurde das tatsächliche Vorhandensein eines Dekonstruktivismus, zudem unternehme die Autorin in der Schreibweise lediglich den Versuch, sich dem populären Mütterfeminismus anzupassen.
In Differenz zur berechtigten Kritik – aus Sicht des dekonstruktivistischen Feminismus – stattet Barbara Vinkens Text beim eigenen Lesen das Konzept der Mutter anders aus, als man es aus repräsentativ deutscher Geschichte und gegenwärtigen Mainstream-Medien gewohnt ist. Barbara Vinken führt der kulturellen Geschichte vor, wie der Mythos deutsche Mutter gegenwärtig zustande gekommen ist. Es ist aus meiner Perspektive eine geschichtliche und rhetorische Arbeit. Vinkens Text kann als Intervention im Bezug auf das gesell-
H a t e : Sehen Sie die politische Bestimmung ihrer Arbeit darin, mit Geschichte gegen die Wirksamkeit des Mythos anzugehen?
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V i n k e n : Ja, zum einen mit Geschichte und zum anderen mit Empirie. Ich finde es sehr hilfreich, dass das alles keine Naturgesetze sind. Es geht auch anders – und für alle besser. Der Mythos, oder wenn Sie so wollen das Leitbild der Deutschen Mutter ist historisch gewachsen. Unsere Vorfahren haben anders mit ihren Kindern gelebt und unsere europäischen Nachbarinnen leben uns ganz selbstverständlich andere Modelle erfolgreich vor. H a t e : Das Thema deutsche Mutter setzt sich intensiv mit der Konstruktion nationaler Identität in der Kleinfa-
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V i n k e n : In Deutschland glauben Frauen, dass beides, Karriere und Kinder nicht einhergehen können. Sie glauben, sich entscheiden zu müssen. Oder sie richten sich mit schlechtem Gewissen in der Zerrissenheit ein. Sie glauben nicht mit Kindern leben zu können, sondern für sie leben zu müssen.
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trunz S 8 her
H a t e : Frau Vinken, worin besteht der Mythos der deutschen Mutter in der Gegenwart?
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schaftlich vorherrschende Konzept der Mutter in Deutschland gelesen werden, ohne automatisch eng an den im Medien-Mainstream vorgesehenen Diskurs für die Frau, also die optimale Vereinbarkeit von Kind und Karriere, geknüpft werden zu müssen. Diese Lesart fordert nicht, dem Text den polemischen Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie stellt einfach andere Sichtweisen auf Mutterschaft her, als die bereits bekannte und (geschichtlich bedingt) festgefahrene Vorstellungen von Mütterlichkeit in Frage zu stellen, sowie in Bewegung zu setzen. C h r i s t o p h e r S t r u n z hat ihr einige Fragen gestellt.
V i n k e n : Die deutsche Mutter hat die konfessionellen und nationalen Implikationen dieses geschichtlich gewachsenen Leitbildes herausgearbeitet. Ich finde, dass es an der Zeit ist, dieses im Ganzen nicht nur unsympathische, sondern auch unproduktive Leitbild hinter uns zu lassen. Es ist fremden- wie frauenfeindlich. Mutterschaft sollte Weiblichkeit nicht zerstören; den Preis, auch den der wirtschaftlichen Autonomie, sollten wir nicht bezahlen müssen, wenn wir Kinder bekommen. Insofern ist es ein feministischer Versuch.
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milie auseinander. Ist es der Versuch, Mutter und Familie gegenwärtig feministisch anders zu denken?
V i n k e n : Weil Mentalitätenwandel sich in der longue durée abspielen. Und wir uns deshalb in einer schizophrenen, blockierten Situation befinden. Ein kleines Beispiel: junge deutsche Frauen sagen, , dass sie selbstverständlich beides wollen: Kinder und einen erfüllenden Beruf. Gleichzeitig glauben dieselben jungen Frauen, dass Kleinkinder unter der Berufstätigkeit ihrer Mütter leiden, besonders wenn sie Vollzeit arbeiten. Eben das ist aber die conditio sine qua non für einen gelungenen Berufsweg. In Frankreich glauben gerade die Gesellschaftsbestimmenden Schichten, dass eine Ganztagskrippe für Ihre Kinder gut ist. In Deutschland sehen dieselben Schichten, die sich selbstverständlich für die Gleichberechtigung der Frau einsetzen, darin gegen jede empirische Evidenz einen Nachteil für das Kind. Et voilà.
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H a t e : Warum hat der Mythos deutsche Mutter einen langen Schatten?
H a t e : In Ihrem Buch gibt es wiederholt Plädoyers für europäische Vergleiche. Sie weisen darauf hin, dass es andere Möglichkeiten von Mütterlichkeit gibt. Ich habe mich deinem Vater noch nie so unterlegen gefühlt. Noch nie war das Gefühl anders als er zu sein, so extrem wie zur Zeit
Ist der Mythos der Mutter besonders in Deutschland ein Problem? Für den Feminismus? Für gegenwärtig in Deutschland lebende Frauen?
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V i n k e n : Mein Buch ist eine auf Textanalysen beruhende Geschichtsschreibung; das politische Plädoyer, das es selbstverständlich auch darstellt, ist Resultat dieser Analyse. H a t e : Thema Mutterschaft in der Unterschicht: Mütter mit Hartz IV. Sind die sozialen Umstände für Mütter in der Unterschicht in Deutschland schlechter als in anderen Ländern? V i n k e n : Ja, weil hierzulande einfach nicht so viele Krippenplätze zur Verfügung stehen, und damit die Mütter oft gar keine Möglichkeit haben zu arbeiten. Hinzu kommt, dass die Kinderarmut auch deshalb so groß
Ich schäme mich für mein Glücklichsein, ich komme mir archaisch und dumm vor. Aber ich bin so glücklich.
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H a t e : Würden Sie Ihren Text als Geschichte, politisches Plädoyer oder Analyse beschreiben?
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J a, er ist eines der entscheidenden Probleme für gegenwärtig in Deutschland lebende Frauen. Er verdammt sie dazu, nicht ganz Frau oder nur Frau zu sein. Im europäischen Vergleich befindet sich Deutschland in einer suboptimalen Lage: extrem geringe Geburtenzahlen und extrem große Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen. Das Leitbild „Deutsche Mutter“ bringt viele Frauen dazu, ganz und gar überflüssig, auf Kinderglück, des Berufes willen zu verzichten. Und er bringt andere Frauen dazu, auf beruflichen Erfolg, mit dem ja auch Glück einhergehen kann, um der Kinder willen zu verzichten. Ein Blick nach Dänemark oder Frankreich würde uns zeigen, dass dieser Verzicht überflüssig ist. Ich finde überflüssiges Verzichten tragisch.
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ist, weil ein Kind hierzulande oft das Wegfallen eines ganzes Lohnes bedeutet. Das ist durch nichts zu kompensieren. H a t e : Beschäftigt sich der Feminismus zu wenig, zu wenig differenziert mit dem Thema Mutter, Familie und der politischen Konstruktion nationaler Identität, wie im Volkskörper?
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V i n k e n : Ja. In Deutschland haben die Feministinnen die Analyse des Leitbildes Mutter und die Folgen für die Frauen vernachlässigt. Historisch ist der deutsche Feminismus in zwei Stränge zerfallen: einen gemäßigten Mutterfeminismus und einen radikalen Gleichheitsfeminismus. Nach dem Krieg hat sich der Gleichheitsfeminismus nicht mehr um die Mütter gekümmert und der Mütterfeminismus ist nur noch hin und wieder in Pamphleten der Grünen aufgeflackert.
V i n k e n : In Deutschland war man jedenfalls unter Frau von der Leyen dabei, die vierzigjährige Verspätung in der deutschen Familienpolitik zu erkennen. Wir hatten uns auf den Weg nach Europa begeben. Der heißt, Frauen auch als Mütter vorzüglich als Berufstätige anzusehen und ihnen eine Berufstätigkeit zu erlauben.
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H a t e : Wie können wir uns vom Mythos der deutschen Mutter emanzipieren?
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H a t e : Wie gehen Sie seit Veröffentlichung von „Die deutsche Mutter“ inzwischen mit ihrem Ruf um, als Ratgeber für deutsche Mütter angesprochen zu werden? V i n k e n : Von vielen Frauen zu hören, dass mein Buch ihr Leben verändert habe, berührt mich Ich finde, dass ist das Schönste, was einem als Autorin passieren kann.
Bin ich feige, weil ich aufgegeben habe und mir vormache, von hier aus könne es noch irgendein Anders geben?
V i n k e n : Zweifellos ist es gegen ein Herzstück deutscher Ideologie geschrieben – und in dieser Hinsicht sehr deutsch. Dass diese deutsche Ideologie sich ändern muss, dafür sehe ich einen breiten Konsens. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass auch Deutschland irgendwann mal ein europäisches Land wird, in dem nicht nur Mann, sondern auch Frau selbstverständlich Kinder und einen erfüllenden Beruf miteinander vereinen können.
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Barbara Vinken : Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos. Erweiterte und aktualisierte Ausgabe. Fischer : Frankfurt am Main 2007.
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H a t e : Würden Sie sagen, dass ihr Text im feministischen Diskurs der Gegenwart antideutsch ist?
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OPAK — #8 www.opakmagazin.de Ab 24.03.11 Thema: Underground
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I don’t speak German But I can if you like like like like Ich bin mir absolut klar Ich trag den Namen Monster I wish we all could be blind It become easy easy out there I’ll take you out tonight Do whatever you like Scheiße-Scheiße be mine, scheiße be mine. Scheiße be mine Put on a close night Do whatever you like Scheiße-Scheiße be mine, Scheiße be mine Scheiße be mine Im Internet veröffentlichte, zu Redaktionsschluss allerdings nicht bestätigte, Lyrics zu LADY GAGAs Scheiße
Das Auth enti sch e meint bei Lena, das was auch unbefangen, frech oder freundlich genannt wird. Dafür wurde sie gelobt und geliebt. Selbst Politiker sprachen öffentliche Glückwünsche aus und wollten mit Lena fotografiert werden. Lena Meyer-Landrut wurde nach nur wenigen ARD-Auftritten zu dem Star, den man immer gesucht hatte. Helene Hegemann dagegen wurde des Klauens und Zitierens bezichtigt, des geistigen Diebstahls. Dafür wurde sie öffentlich gescholten und gehasst.
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Der einen verpasste man ein Attribut – das Auth enti sch e. Der anderen sprach man ab, ein originales Werk geschaffen zu haben. Auch wenn man davon ausgeht, dass es das Echt e , das Unb eeinf lu sst e nicht geben kann, so muss doch berücksichtigt werden, dass die Begriffe von einer Öffentlichkeit genutzt werden und so einem deutlichen Anspruch Ausdruck verliehen wird, der mit Lena eine Renaissance erfuhr.
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Zwei junge Frauen lösten im Jahr 2010 eine beängstigende Hysterie aus. Sie wurden öffentlich geliebt und gehasst wie kaum jemand in der deutschen Popkultur zuvor. Sie wurden in Stellung gebracht, um Höheres zu verhandeln: Die eine verteidigte nicht weniger als ihr Land, die andere den avantgardistischeren Teil des Bildungsbürgertums. Vielleicht auch nur einen kleinen Teil von Berlin. Beide verbindet eine in den Medien nicht seltene vorhandene Überinterpretation ihres Gesamtauftrittes. Die jeweiligen Auswüchse sind jedoch bemerkenswert, denn sie legen nicht nur einen strukturellen Sexismus offen, sondern werfen auch ein denkwürdiges Bild auf den vermeintlich postmodernen Rezipienten, der die Zeichen aus denen er geboren wurde, immer noch nicht anwenden kann. 2 0 1 0 wurde ein Monster geboren und ein Mythos geschaffen: Helene Hegemann und Lena.
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Obwohl man der einen ein Echt -S ein anhängte (und es der anderen absprach), wurden beide zu Abbildern: Zu popkulturellen Figuren, bei denen aber kein Unterschied gemacht wurde zwischen der eigenen Darstellung und den Projektionen des Umfeldes. Und weil man in Deutschland im lockeren Umgang mit den Spielarten des Starsystems relativ unbedarft ist, gab es eine Abfolge von Missverständnisse, Missdeutungen und Verletzungen. Während Lena ihren Nachnamen verlor und damit den Schutz einer Popfigur erlangte, verlor Hegemann ihren Vornamen. So wurde sie zwar zu einer Autorin, ihre Leistungen wurden ihr dadurch aber gleichzeitig aberkannt und dem Vater oder zumindest ihrer familiärkulturellen Herkunft zugeschrieben. Selbst in der, der Hetzkampagnen eher unverdächtigen Presse, wurde sie nun zur Zielscheibe. Die eine galt als echt , sie wurde zur mythisierten Heiligen, die andere als fal sch . Die Nutzung des Begriffs ‚Authentizität’ beschreibt dabei nicht einen Zustand oder eine Wesensart, sondern drückt ein Verlangen des Betrachters aus. Die Authentizität bei Lena, ist vor allem die Erfüllung der Erwartungen an das Verhalten einer jungen Frau. Authentizität wird mit ungefährlich und der Norm entsprechend verwechselt. Die paradoxe Sehnsucht, nicht von der Popmaschinerie betrogen zu werden, zeigte sich beim Lena-Hype deutlich. Doch das vermeintlich Echte muss dabei für den Großteil der Betrachter auch unbedingt positiv und ungebrochen sein. Zwar schaut man dem Scheitern gerne zu, doch meist gänzlich ohne Sympathien, wie man bei Hegemann miterleben konnte. Die eine wurde mit dem Erfolg der Fußballnationalmannschaft in Verbindung gebracht und musste zeitweilig gar als Bundespräsidentin herhalten, der anderen schlug in unzähligen Internetkommentaren eine erschreckende Welle blanken Hasses entgegen. Während man bei Helene Hegemann ein paar ab- aber eben auch umgeschriebene Sätze als Diebstahl verurteilt, gilt bei Lena ein imitierter Dialekt als niedlich
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Die wenigsten Hasser dürften Hegemanns Buch gelesen haben, es geht bei ihr also vor allem um die Wahrnehmung durch die Darstellung und Analyse der Kritik. Fremdwörter, Minderjährigkeit, die teilweise Anerkennung ihrer intellektuellen Leistung, die Schilderung von selbst bestimmten sexuellen Handlungen alleine reichten, um ihre Einordnung zu erschweren und eine Verunsicherung hervorzurufen. Die bedeutungsschwangeren Sätze bei Helene Hegemann zeigen zwar recht exemplarisch das nach Inhalt suchende Denken einer jungen Frau, doch die Abweichung der angenehmen und angenommenen Norm und die zunächst positive Bewertung ihres Werkes, ließ eine neutrale Bewertung kaum mehr zu. Das Bild von Helene Hegemann ist derart auth enti sch , dass es dem Betrachter eine diffuse Angst einjagt, in Folge derer er ihr das eigentliche Sein abspricht. Der Authentizitäts-Anspruch der Betrachter ist enorm, doch die Einlösung scheint schwer zu ertragen. An das Monster werden andere Überprüfungskriterien gestellt. Vorwürfe werden zur angenommenen Realität allein durch ihre Formulierung, während der Mythos sich von allein weiter entwickelt.
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Was die beiden Frauen unterscheidet ist vordergründig schnell aufzuzählen. Die eine singt über die Liebe, kommt aus der verlachten und dennoch als so bodenständig geltenden Stadt Hannover, ihr ist die Hochkultur scheißegal, sie ist süß, macht das Abi, trägt ein Kleidchen. Die andere schreibt über Abgründe, gehört zu den als arrogant geltenden Großstädtern, wird mit einer nicht sonderlich greifbaren Kulturszene in Verbindung gebracht, spricht Wörter, die nicht alle verstehen, die nicht in den Mund eines Kindes gehören, sie trägt weder das kleine Schwarze, noch entspricht ihr Bild sonst einem, zur Stimulierung geeignetem Kindchenschema. Lena verlor ihr Alter, während Hegemann ihres auch zum Verhängnis wurde.
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und charmant. Während man von Lena immer die makellosen Bilder im kleinen Schwarzen und mit glänzendem Haar zeigte, wurden bei Hegemann mutwillig sowie bewusst Bilder veröffentlicht, die in den Bildredaktionen normalerweise einfach aussortiert würden. Damit wurde ein entscheidender Schritt zur Monstertransformation getan.
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Wie ein den Hang hinab kullernder Schneeball wurde Lena zur immer größer werdenden, strahlenden Figur: Lena im silbernen GlitterRegen. Lena mit Landesfahne. Das reichte. Aber hat Lena nicht die Nische der niedlichen Indie-Rebellin für unzählige Abiturientinnen nachhaltig zerstört, in dem sie spätestens nun als Show-Blase entlarvt wird? Musste sie gar nur als authentisch gelten, um dem öffentlich-rechtlichen Versuch des Casting-Formats eine Daseinsberechtigung zu geben? Die eine wurde zur Synchronsprecherin im niedlichen Kinderfilm und probte in pubertierend schnippischer Manier unlängst den Aufstand bei „Wetten, dass?“. Die andere scheint sich erstmal zurückgezogen zu haben. Wer will es ihnen verdenken. Dass Hegemann als Ghostwriterin für das Buch von Rafael Horzon ins Spiel gebracht wurde, ist ein amüsanter Hieb auf den Authentizitäts-Quatsch. Und dass Lena jetzt Werbung für den Autokonzern Opel macht, der zudem 10.000 (!) Karten für ihre Konzerte verlost, ist sie nun doch noch zu der Bundeslena geworden, die sie immer sein musste. Damit einher geht allerdings auch das Ende ihrer Karriere. Die Grand Prix Ochsentour kann Lena nicht ein weiteres Mal überstehen, sie wird das Opfer ihres Mythos werden. Man wird sie langsam und qualvoll ausbluten lassen. Wenigstens bekommt sie dann ihren Nachnamen zurück.
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Sobald ich meine Gedanken zu Papier gebracht habe, muss ich den Brief an dich vernichten. Du sollst nie erfahren, was ich mal gedacht habe. Aber vorher muss ich noch eins loswerden: Ich habe schon oft daran gedacht, wie es wäre, wenn dein Vater uns später, nach dem ersten Stress, verlassen würde. Wenn es nur noch wir beide wären. Für immer. Und jetzt höre ich auf.
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Die Teenagerperspektive auf meine Eltern ging so: Meine Mutter war auf Kur oder in Nervenkliniken. Voller Angst lag sie Monate im Bett oder war so super empfindlich und nervös, dass es nicht auszuhalten war; mein Vater war schweigsam, schüchtern, sehr sparsam, auf eine schüchterne Art neugierig, ein Bastler mit Hobbykeller. Mein Vater war meist auf Arbeit und konnte mit mir nie so recht was anfangen. Einmal, als meine Mutter nicht dabei war, war ein Urlaub in Schweden sehr schön gewesen. Selten hatte ich meinen Vater so entspannt gesehen. Wir hatten gezeltet, mit einem kleinen Gaskocher Suppe gemacht und beim Essen auf dem Boden gesessen. Und wenn wir Wandern waren – Wandern war die Hauptbeschäftigung im Urlaub; meine Eltern glaubten an die heilende Kraft ausgedehnter Wanderungen – ermahnte mich niemand verängstigt zur Vorsicht, wenn ich plötzlich ausbrach und abseits des Weges einen Berg runterrannte. Oder hochkletterte. Allein war mein Vater schneller als mit Mutti. Die Geräusche, die die Drogen oder Gestörtheiten meiner Mitbewohnerin machen, sind die gleichen, die die Tabletten bei meiner Mutter machten. Sie räuspert sich ständig und hüstelt.
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Sie war da 13. Die Familie war arm. Meine Oma arbeitete in einer Textilfabrik. Sie wohnten in Forst in der Niederlausitz, in dem Ortsteil, der seit 1945 auf der polnischen Seite liegt. Ihr Vater, mein Opa, war noch im Krieg. Es war wohl 1944. Die Russen rückten vor. Die Stadt sollte evakuiert werden. Die Oma wollte noch bleiben. Die Russen kamen. Dann war es Abend. Das Kind, das meine Mutter war, hatte sich versteckt. Von ihrem Versteck aus beobachtete sie die russischen Soldaten, die an Lagerfeuern tanzten und russische Lieder sangen. Sie fühlte sich von den Russen angezogen; vor den Mongolen dagegen hatte sie große Angst. Weil meine Oma polnisch konnte – ihre Mutter war Polin gewesen – konnte sie übersetzen. So hatte ich es in Erinnerung. Oder hatte sie auch russisch gekonnt? Ich habe diese Geschichten so oft gehört, dass ich es nicht mehr richtig zusammen kriege. Die Russen verschleppten also Teile der noch in Forst verbliebenen Bevölkerung und trieben sie Richtung Osten. Meine Mutter wurde getrennt von ihrer Mutter. Irgendwie war meine Mutter dann mit einer Freundin aus der Gruppe geflüchtet. Es gibt eine Szene, wo sich die beiden in einem Heuschober versteckt hatten, Russen waren mit Bajonetten gekommen und hatten damit in das Heu gestochen, um zu gucken, ob da jemand ist. Die jungen
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Oder auf glattem Boden staubsaugen. Meine Mutter hatte mich damit in meiner Jugend zur Weißglut getrieben. Be tut das auch. Vielleicht war ich zu Be gezogen, weil sie mich an meine Mutter erinnert hatte. Amphetamine wurden früher als Antidepressiva verwendet. Wie die meisten meiner drogenaffinen Freunde nimmt Be Speed, um sich damit selbst zu therapieren. Ich war das Lieblingskind meiner Mutter. Als ich noch ein Kind war, war der Vater in der Woche auf Montage. Ich wuchs mit den Flüchtlings- und Vertreibungsgeschichten meiner Mutter auf, wem hätte sie auch sonst davon erzählen sollen. Mein Vater kannte die Geschichten, aber wollte sie nicht noch einmal und noch einmal hören.
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Mädchen mussten sich als Kinder verkleiden. Oder eine erwachsene Frau hatte gesagt „nehmt mich“, als die Russen die Mädchen vergewaltigen wollten. Meine Mutter sagte, sie sei damals nicht vergewaltigt worden, aber naturgemäß hatte meine Mutter ein schwieriges Verhältnis zur Sexualität. So kam es mir vor. Irgendwann – das war für sie eine schöne Zeit – war sie dann einen oder zwei Monate bei polnischen Bauern als Magd. Ich weiß nicht, wie sie dahin gekommen war. Manches lässt sich sicher recherchieren. Diese Bauern müssen freundlich gewesen sein. Es gab einen Stall mit Pferden, vor denen sie anfangs Angst gehabt hatte, wenn sie sie sauber machen sollte. Eine Heirat mit dem Sohn der Bauern war im Gespräch gewesen. Irgendwann sei eine Bekannte zu dem Hof gekommen und hätte gesagt, „deine Mutter ist da und da.“ So war sie dann wieder zu ihrer Mutter gekommen. Die Oma hatte einen Hausfreund; der Opa war noch im Krieg. Wie es kam, dass meine Mutter dann – erst 1947 – mit ihrem Vater plötzlich in Schleswig-Holstein war, weiß ich nicht. Die Einheimischen waren feindselig. Die Zeit, in der meine Mutter mit ihrem Vater zusammen lebte, war schön gewesen. Die Oma war noch in Forst. Das Verhältnis zum Hausfreund dann wohl zerbrochen. Der Opa fragte meine Mutter, ob die Oma zurückkommen soll, und meine Mutter antwortete „Ja“. Ganz krieg ich’s nicht mehr zusammen. Die Geschichten, die meine Mutter von früher im Ton einer Märchenerzählerin erzählte, handelten von Gewalt. Oft war sie von meiner Oma geschlagen worden. Mit der neunschwänzigen Katze, die gleich am Eingang einer ärmlichen kleinen Hütte – die ich mir wie eine Illustration zu D er Fi sch er und sein e Frau vorstellte – gehangen hatte. Meine Oma war eine ganz einfache Frau, Katholikin mit polnischen Wurzeln, gänzlich ungebildet, Sadistin wohl auch irgendwie. Ganz furchtbare Kindheit in Armut. Wir hielten sie für wahnsinnig; ich war als Teenager von ihrem Wahnsinn fasziniert und fand es lustig, wenn die dicke Oma plötzlich auf einer Geburtstagsfeier Skandal machte, Streit anfing, wenn sie dann plötzlich verkündete, sie würde sich umbringen,
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wenn sie dann wie von der Tarantel gestochen aus der Wohnung lief und mit ihrem Klapprad, das im Fahrradkeller der Neubauwohnung stand, losfahren wollte, um dies Vorhaben in die Tat umzusetzen. Oft dachten wir später, meine Schwester und ich, dass unsere Oma nie Kinder hätte kriegen dürfen. Oder auch, dass unsere Eltern nicht zusammen gepasst hatten. Doch wo wären wir dann gewesen? Es gab auch Geschichten, die sie erst viel später erzählt hatte. Dass mein Opa irgendwann in den 50er Jahren Geld unterschlagen hatte und dass sie – ein verschüchtertes Kriegskind – das Geld in Raten hatte zurückbringen müssen, hatte sie erzählt; dass mein Opa versucht hatte, sich umzubringen und meine Mutter mit dem Abschiedsbrief zur Polizei gerannt war, erfuhr ich erst später. Meine Eltern hatten sich 1947 in der Tanzschule kennen gelernt. Meine Mutter war das arme, hübsche Flüchtlingskind. Sie trug ein selbstgenähtes Kleid mit roten und blauen Punkten. Mein Vater war halb fremd in der Kleinstadt, andererseits verbunden mit Verwandten, die ein Möbelgeschäft besaßen, das in den folgenden Jahren immer größer wurde. Er kam aus einer Vorortsiedlung von Berlin und war 1944 mit seinem jüngeren Bruder zu Verwandten nach Bad Segeberg gebracht worden. Seine Mutter hatte sich das Leben genommen, als er schon in Bad Segeberg war. Im Mai 1954 verlobten sie sich. Zwei Monate später heirateten sie etwas überstürzt. Die Eltern meiner Mutter hatten einen Umsiedlungsbescheid bekommen und mussten nach Recklinghausen ziehen. Meine Mutter wollte in Segeberg bleiben. Deshalb heirateten sie so schnell. Und zogen gleich in das Haus, das mein Vater mit seinem Bruder 1953 gebaut hatte. Den Kredit für den Hausbau hatten sie bei Onkel Arthur aufgenommen. Dort wohnten sie zu viert mit einem Untermieter. Onkel Arthur war Dagobert Duck. Ein paar Jahre hatte meine Mutter als Schneiderin gearbeitet, dann als Phonotypistin in der Verwaltung. Phonotypistinnen tippten folienhafte braune Schallplatten ab, die Vorgesetzte besprochen hatten. 1958 bekam sie ihr erstes Kind – meine Schwester, 1961 kam ich, 1965 mein Bruder. Zwischendurch war sie oft krank; Diphtherie, was mit dem Herzen.
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Die Eltern lebten sparsam. Mein Vater war wohl geizig. Unsere Kleider nähte meine Mutter. Im Sommer fuhren wir zelten. An Wochenenden manchmal an die Ostsee. Einmal im Jahr gingen sie tanzen, zum Maskenball des Männergesangsvereins. An diesem Tag übernachteten wir bei Verwandten und guckten Ohnsorgtheater. Wir waren mit den Flüchtlingsgeschichten meiner Mutter groß geworden. Die Geschichten hatte sie bei uns reingepflanzt. Oft schrie meine Schwester in der Nacht und ich wachte auf von ihren Schreien. Ich hatte auch Alpträume. Ich wurde verfolgt und wusste, wenn ich mich umdrehen würde, würde ich augenblicklich sterben. Ich musste aus dem Fenster rausspringen, um der namenlosen Gefahr zu entkommen. Wir saßen im Sommer unter dem Baum, von dem meine Eltern sagten, es sei mein Baum. Der Apfelbaum stand neben der Garage. Meine Mutter las mir aus Mio, m ein Mio von Astrid Lindgren vor. Ich mochte das Buch wahnsinnig gerne und liebte es, wenn sie mir vorlas. Es handelt von einem Jungen, der mit einem Freund zusammen seinen Vater, den König, sucht. Sie bestehen Abenteuer in dunklen Wäldern, die Todesdrohung ist ständig da; die Geschichte hatte sich im Kopf des Kindes, das ich war, mit den Flüchtlingsgeschichten meiner Mutter vermischt und verbunden. Meine Mutter war Pazifistin. Tomahawks oder Messer aus Gummi (in der Karl-May-Stadt nicht ganz unwichtig) gingen gerade noch. Irgendwie setzte ich mich aber durch mit den Waffen, die ich liebte: einem Gewehr, einer Schreckschusspistole. Dann wurde unser altes Haus abgerissen, ein Parkplatz von MöbelKraft entstand da. Wir zogen in ein neues Haus. Da war ich zehn. Mein Bruder war fünf. Meine Mutter hatte gerade begonnen, wieder halbtags zu arbeiten. Als das alte Haus abgerissen wurde, fühlte sie sich zum zweiten Mal vertrieben. Die Krankheit brach aus. Gesprochen wurde von „Depressionen“. Das klang besser, damit ließ sich irgendwie noch leben (selbst in einer Zeit, als psychische Krankheiten tabuisiert waren – „das bleibt in der Familie“, davon durfte man nicht erzählen), besser jedenfalls als wenn die paranoiden und schizophrenen Teile ihrer Krankheit benannt worden wären.
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Die Behandlung war unzulänglich. Oft war sie auf Kur. Ein Vierteljahr, ein halbes Jahr. Die Entfernung wuchs. Es war schwierig. Sie war ein Nervenbündel; wir hatten ein schlechtes Gewissen. Ich war in der Pubertät. Meine Schwester verließ sofort nach der Schule das Elternhaus. Ich wurde Beatnik, rauchte, trank Tee, nahm die handelsüblichen Hippiedrogen und blieb sitzen. Ein ziemlich autoritärer Lehrer kam zu uns nach Haus, um sich über mich zu beschweren. Meine Mutter, die so autoritätshörig war, die immer Angst hatte, verteidigte mich heldenhaft. Sie hatte sich so sehr bemüht in den frühen 70ern, eine moderne Frau, wie meine Tante oder wie in der Frauenzeitschrift „für sie“, zu werden. Sie hatte gearbeitet, sie hatte Führerschein gemacht, sie hatte Volkshochschulkurse besucht, um Französisch zu lernen, während mein Vater Eigenbrötler war, pflegte sie Bekanntschaften, Freundschaften. Du musst dir das aber anders vorstellen als bei uns; die Familie war ein geschlossener Raum. Die Freunde waren gleichzeitig Fremde, die man zu Geburtstagen und zu Weihnachten traf. Ein französischer Austauschschüler war bei uns; meine Mutter war mit mir zusammen in die Volkshochschule gegangen, um Meditieren zu lernen. Wie die Beatles. Ich war da 15 und auch irgendwie bisschen angeschlagen. Oder wir lagen auf Liegen im orangenen Partykeller der Eltern und ich spielte ihr Beatlesplatten vor. Es ging nicht mehr richtig. Mit der psychischen Krankheit bricht ja nicht nur in einem selbst was zusammen. Das Selbstverständliche ist weg. Man will oder kann’s nicht mehr aushalten und hat gleichzeitig ständig ein schlechtes Gewissen. Ich verließ das Elternhaus sofort nach der Schule. Studierte in Berlin, um möglichst weit weg von zu Hause zu sein. Einmal besuchte mich meine Mutter ein paar Tage, sie saß in dem Ruhesessel, den ich von IKEA gekauft hatte und es war schön. Es war aber schwer, aus dem Sessel wieder aufzustehen. Mein Vater ging in Frührente, um sich um meine Mutter zu kümmern. Es gab weitere Krankheitsschübe. Zu Weihnachten, abends, erzählte meine Mutter vom Krieg. Wenn sie „gesund“ war, war sie rund und oft kindlich; wenn sie krank war, wog sie 15 Kilo weniger. Mein Vater mochte es nicht, wenn sie so dick war. Dann ging es wieder. Oft fuhren sie mit dem Wohnwagen weg.
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1989 war für sie auch eine Retraumatisierung. Sie fuhren nach Forst, um sich die Heimat meiner Mutter anzuschauen. Sie waren auf Treffen mit anderen Vertriebenen oder auch Leuten, mit denen meine Mutter zur Schule gegangen war. Das waren keine Revanchisten, das waren Geschlagene. Als der Campingplatz, auf dem sie 25 Jahre Dauercamper gewesen waren, aufgelöst wurde, fühlte sie sich wieder vertrieben. Ich tat das, was ich für meine Pflicht hielt, sah sie aber selten öfter als dreimal im Jahr. Immer wenn ich sie besuchte nahm ich mir vor, öfter zu kommen und tat es dann doch nicht. Ein polnischer Freund nahm uns mit und wir fuhren die Fluchtwege, die meine Mutter gegangen war, in Polen entlang. Sie sagte danach, nun sei sie erlöst. Es hielt aber nicht so lange. Die Eltern schienen irgendwie zurecht zu kommen, dachten wir an den runden Festtagen. Dann nahm sich mein Vater 2006 das Leben. Meine Mutter versuchte es allein im Haus, aber es ging nicht. Keins der Kinder wollte länger zu ihr ziehen. Anderthalb Jahre war sie noch in der Psychiatrie. Seitdem im Pflegeheim. Oft sagt sie, ich solle nicht kommen, sie hätte ja kein Geld, dass sie mir geben könne oder steht ratlos im Zimmer vor dem geöffneten Kleiderschrank und sagt, nichts von den Sachen, die in diesem Schrank hängen, würde ihr gehören oder dass man sie noch heute aus dem Heim werfen wird und sie dann nackt in der Nacht erfrieren müsse. Wir versuchen nicht mehr darauf zu reagieren und es geht dann meist.
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