Human Resources Manager 2/2015 - Talent

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Thema Talent.

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MAGAZIN FÜR HUMAN RESOURCES MANAGEMENT   APRIL / MAI 2015   WWW.HUMANRESOURCESMANAGER.DE   ISSN 1869-5116   EUR 11,40


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Editorial

Kein Garant für Erfolg

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ch habe die Hände eines Klavierspielers. Das hat zumindest einmal eine frühere Freundin von mir gesagt. Leider habe ich nur die passenden Hände, das Instrument beherrsche ich nicht. In meiner Kindheit spielte Musik nämlich kaum eine Rolle, meine Eltern hatten damit nicht viel am Hut. Schade. Wer weiß, vielleicht wäre aus mir ein großartiger Musiker geworden, wenn ich nur das richtige Lernumfeld gehabt hätte? Na ja, vielleicht auch nicht. Ich frage mich auch des Öfteren: Wie viele Begabungen gibt es in unserer Gesellschaft, die nie entdeckt werden? Intelligente Kinder, die eine mathematische oder eine musische Begabung haben, die sie niemals ausleben dürfen, weil sie keine Chance bekommen. Weil die Eltern kein Interesse und die Lehrer keine Zeit haben – und die Kinder selbst den Mut nicht. Wenn sie denn überhaupt ahnen, wer sie sind oder sein könnten. Wer bin ich? Welche Talente habe ich? Und wie kann ich sie einsetzen und leben? Das sind Fragen, die nicht nur Kinder betreffen, sondern auch Erwachsene. Talent ist keine Frage des Alters und es geht mitnichten um Wunderkinder, die aus heiterem Himmel im Alter von vier Jahren Rechenaufgaben lösen oder Klavier spielen. Klar, die gibt es auch. Ich rede jedoch von einem Potenzial, das den meisten Menschen die Möglichkeit einräumt, besondere Stärken und Fähigkeiten auszuleben. Dieses Potenzial muss allerdings entdeckt und gefördert werden – und es ist nicht unbedingt nur eine Aufgabe von Eltern und Schulen. Mehr

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und mehr Unternehmen haben es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, Talente zu finden und zu fördern. Natürlich aus einem Eigeninteresse heraus. Doch wenn jemand in einem Umfeld arbeitet, das es ihm ermöglicht, seine Begabung auszuleben, haben beide Seiten was davon. Individuelle Förderung ist also von großer Bedeutung. Denn Talent gründet sich nicht nur auf genetische Anlagen. Auch die Umweltbedingungen sind entscheidend. Talent allein ist jedoch noch kein Garant für Erfolg. „Sieht man sich Menschen an, die außergewöhnlich erfolgreich sind, so zeigt sich eine Gemeinsamkeit: Sie haben ihren Erfolg größtenteils ihrem Willen, ihrem Ehrgeiz, ihrem Fleiß und ihrer Leidenschaft zu verdanken“, schreibt Cyrus Achouri in dieser Ausgabe. Auch Selbstmotivation spielt also eine Rolle und Fähigkeiten wie Kommunikationsstärke. Beides kann man trainieren. Was man also im Rahmen von Talent Management-Programmen tatsächlich als Talent betrachtet, ist gar nicht so einfach zu bestimmen. Häufig einigt man sich im Unternehmen auf die Zielgruppen, die für den Unternehmenserfolg als entscheidend gelten – das können wenige Stars sein oder auch alle leistungs- und potenzialstarken Mitarbeiter. Wobei immer sowohl fachliche als auch persönliche Fähigkeiten im Blick sein sollten. Und gerade was Letztere angeht, braucht es weniger Instrumente wie Intelligenztests als vielmehr reflektierte Führungskräfte, die Potenzial und Fähigkeiten erkennen.

Jan C. Weilbacher Chefredakteur jan.weilbacher@humanresourcesmanager.de

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02 15 8 Zahlen und Zitate 12 Nicht auf Augenhöhe Jährliche Mitarbeitergespräche widersprechen moderner Führung 14 Bedeutungsverlust? Pro und Contra: Thorsten Knobbe und Svenja Hofert über die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen 16 Reflexion und Kreativität Warum Manager mehr Muße wagen sollten 18 Doktortitel als Karrierebooster? Vier Experten über Sinn und Unsinn einer Promotion Titelthema: Talent 21 Übersicht 22 Prolog 25 Fleiß entscheidet Talent allein reicht nicht für eine erfolgreiche Karriere 26 Zahlengetrieben Was verschiedene Studien zum Talent Management sagen 29 Potenzial erkennen Unternehmen suchen nicht mehr nach dem perfekten Kandidaten 33 Nachholbedarf Der Begabtenforscher Christian Fischer kritisiert die Talentförderung in der Schule 36 Nicht zu trennen NXP bildet seine Nachwuchskräfte durch Shadowing aus 39 Platzhirsche und ihre Rivalen Ein Überblick über den Markt der HR-Software für Talent Management

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Perfekte Nachwuchsarbeit Von der Sportförderung können sich HR-Manager einiges abgucken 46 Experimentierfreudig Bei Adidas unterstützt ein Think Tank das Talent Management 49 Jeder hat Talent Suat Yilmaz ist als Talentscout im Auftrag der Westfälischen Hochschule im Ruhrgebiet unterwegs 53 Bestehendes besser machen Die Bundesagentur für Arbeit hat ihr Talent Management weiterentwickelt 56 Fit für die Zukunft Roland Hehn von Heraeus über die Transformation der Personalarbeit 61 Epilog Im Fokus 62 Rückblick Thomas Sattelberger hat seine Autobiografie veröffentlicht 64 Kumpel statt Konkurrent Wie der Volkswagen-Konzern die Robotisierung angeht 66 Wie eine Radikalkur Hema, ein traditioneller Maschinenbauer, setzt auf Agilität 70 Zurück in die zweite Reihe Jörg Asmussen ging von der EZB ins Arbeitsministerium Menschen 74 77

Personen & Karriere Die wichtigsten Wechsel Das Ziel heißt Offenheit Stuart B. Cameron, Initiator der Karrieremesse Sticks & Stones

Analyse 80

Auf dem Irrweg Der Ruf nach Authentizität beruht auf einer Utopie 82 Verbesserungswürdig Die Kultur des gegenseitigen Misstrauens zwischen Chef und Mitarbeiter muss durchbrochen werden 86 Weg von top-down Veränderungsmaßnahmen werden zu stark hierarchisch geplant Praxis 88 Bücher Lesenswertes rund um HR 90 Sieben Gedanken Internes Recruiting 91 Meine digitale Welt Peter M. Wald nutzt soziale Medien vor allem aus wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse 92 Termine Recht 94 96

Aktuelle Urteile Fallstricke umgehen Was es beim Aufhebungsvertrag zu beachten gilt

Verband 100 Wahlvorschlag und Interview Elke Eller stellt sich im Juni zur Wahl für das Amt der BPM-Präsidentin 102 CEB Insights Fünf Key Facts, die HR-Profis 2015 nicht ignorieren sollten 104 Nachgefragt Was ist Talent? 106 BPM-Gesundheitsmanagementtag 108 Termine 109 Neumitglieder

6  Kolumne: Home Office  76  Impressum 3  Editorial  110 Fragebogen: Jörg Buckmann, Verkehrsbetriebe Zürich 4

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Fotos: Ian Georg Strohbuecker (li.), Lukas Kawa I blicksta; Julia Nimke; Johannes Vogt

Meinung

In dieser Ausgabe


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Bei Volkswagen will man künftig im großen Stil Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzen. Das soll ohne Entlassungen vonstatten gehen und verbleibende Mitarbeiter sollen weitergebildet werden.

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Technokrat Sein Wechsel zurück nach Berlin in die Ministerialbürokratie überraschte – schließlich war Jörg Asmussen bereits Direktoriumsmitglied der EZB. Er wolle mehr Zeit für seine Familie, sagte er. Eine Entscheidung, die viele nicht verstehen können, die er aber nach wie vor als richtig ansieht.

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Wertschöpfer Der Umbau der HR-Organisation von Heraeus hat vor allem den Zweck, die Unternehmensstrategie bestmöglich zu unterstützen. Wie das aussieht, sagt Personalchef Roland Hehn im Interview.

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Pro und Contra

Frage: Sind Arbeitszeugnisse noch zeitgemäß?

Natürlich sind sich viele Personalleiter darin einig, dass Arbeitszeugnisse nur eine begrenzte Aussagekraft haben und der Beurteilte oft über den sprichwörtlichen grünen Klee gelobt wird. Wer ein Arbeitszeugnis liest, um im Sinne einer schulnotengemäßen Beurteilung etwas über die Leistung, das Betragen oder gar die Persönlichkeit des Zeugnisempfängers zu erfahren, wird sicherlich sehr häufig enttäuscht sein. Die jahrzehntelange Umwälzung und Dechiffrierung von tatsächlichen oder vermeintlichen Geheimcode-Formulierungen hat ihre Wirkung nicht verfehlt, sondern standardisierte Arbeitszeugnisse weitgehend zu Kunstprodukten gemacht. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Frage ist, ob der klassische Anspruch des Arbeitszeugnisses, Mitarbeiter anhand einer vergebenen Schulnote zu beurteilen, überhaupt noch zeitgemäß ist. Ich finde: Er ist es nicht. Damit kommen wir zur zweiten Seite der Medaille. Ein individuell gestaltetes Arbeitszeugnis bietet sehr wohl die Chance zu erfahren, welche Verantwortung und welche Aufgaben die beurteilte Person übernommen hatte. Dazu gesellt sich die Möglichkeit, besondere Erfolge zu listen, die wiederum die erweiterte Leistungsbeurteilung und Darstellung der persönlichen Kernkompetenzen sowie Eigenschaften ins rechte Verhältnis setzt. Zunächst hohle Phrasen, die wegen der Zeugnisusancen an einigen Stellen erscheinen müssen, werden so mit Bedeutung gefüllt und wirken nicht mehr schematisch. Das 14

denn sie dokumentieren Leistung und Kompetenzen.

Thorsten Knobbe Er ist Geschäftsführer und Managing Partner der TK Management & Leaderspoint GmbH. Er hat zusammen mit anderen Autoren mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht, unter anderem „Arbeitszeugnisse“ und „Arbeitszeugnisse für Führungskräfte“.

Zeugnis gewinnt an Aussagekraft. Plötzlich ist es auch nicht mehr entscheidend, dass wirklich jeder einzelne Satz die Note „Sehr gut“ oder „Gut plus“ reflektiert. Entscheidend ist vielmehr, dass ein klares Bild über die Aufgaben, Erfahrung und Erfolge entsteht. Ob dann wirklich jeder Beurteilte als „stets äußerst“ teamfähig, belastbar, ideenreich, fleißig oder motiviert dargestellt werden muss, ist fast schon eine rhetorische Frage. Manche Eigenschaften ergeben sich aus dem Kontext, andere hängen vom Berufsbild ab. Das geschickte Zusammenspiel von individuellen und standardisierten Formulierungen führt zur aussagekräftigen Beurteilung. Schließlich kommt noch die Compliance ins Spiel. Immer häufiger verlangen Personalberater, nicht selten auf direkte Anforderung der Auftraggeber, eine lückenlose Dokumentation der Vita ihrer Kandidaten. Papier ist bekanntlich geduldig, also lässt sich ein Lebenslauf im Zweifel stark schönen oder gar manipulieren. Ersteres ist meist noch akzeptabel, Letzteres nicht. Das Arbeitszeugnis als rechtsverbindliches Dokument leistet hier die Absolution, die auch eine Referenz nicht geben kann. Es gilt nämlich neben dem Gebot des Wohlwollens auch das der Wahrheit. Ob dem Kandidaten „stets die volle“ oder „stets die vollste Zufriedenheit“ zuerkannt wurde, interessiert nur am Rande, so lange das Zeugnis vollständig, schlüssig und im gesamten Tenor mindestens gut ist. Das Problem hat, wer kein Zeugnis vorlegen kann. www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e

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Ja,


meinung

Arbeitszeugnisse sollen unter anderem Auskunft über Leistungen und Fähigkeiten eines Bewerbers geben, und somit Personalverantwortlichen die Beurteilung des Jobkandidaten erleichtern. Ihre Aussagekraft wird aber immer häufiger angezweifelt. Zeugnisse scheinen langsam an Bedeutung zu verlieren.

Fotos:Privat Foto: xxxxxxxxxxxxx

Nein, Es mag sein, dass Zeugnisse für Verkäufer und Sachbearbeiter nach wie vor eine gewisse Berechtigung haben. Für meine Klientel, in der Regel Fachkräfte auf Seniorlevel und Manager, sind sie überflüssig. Es steht nichts drin, das irgendeine Aussage treffen würde. Der normale Weg ist doch der: Ein Jobwechsel auf Senior- oder Managementlevel wird entweder selbst angestrebt oder ist Folge einer Umstrukturierung, oft verbunden mit Managementwechseln. Arbeitszeugnisse werden so gut wie immer im Paket mit der Abfindung verhandelt. Sitzt einem der Anwalt des geschassten Bewerbers im Nacken, ist das „gut“ oder „sehr gut“ ohnehin vordiktiert. Das Zeugnis ist dann das Papier nicht wert, auf dem es steht. Geht eine Fach- oder Führungskraft in Frieden, so ist der alte Vorgesetzte meist schon weg. Der „neue“ Vorgesetzte kann entweder nichts oder nichts Gutes zum Bewerber sagen und lässt im Zweifel sowieso selbst schreiben. Das „schreib dir dein Zeugnis selbst“ ist auf höheren Ebenen noch viel verbreiteter als im unteren Level, auf dem oft die Personalabteilung, die den zu Beurteilenden selten je persönlich gesehen hat, mit Textbausteinen zuschlägt. Viele Kollegen behaupten, selbstgeschriebene Zeugnisse ließen sich erkennen. Ich sage: Sie irren sich. Das einzige Erkennungsmerkmal eines selbstgeschriebenen Zeugnisses sind übertriebene Lobhudelei und Fehlerfreiheit, weil ehrgeizige Kandidaten in ein Lektorat investieren, der normale Fachverantwortliche und auch Personaler jedoch immer mindestens einen Flüchtigkeitsfehler macht, sofern er a p r il  i l  /  m ai 20 1 5

denn sie enthalten nichts, das aussagekräftig wäre.

Svenja Hofert Sie ist Inhaberin von karriere & entwicklung und berät zusammen mit ihrem Team Fachund Führungskräfte in Karrierefragen. Von ihr sind unter anderem erschienen „Meine 100 besten Tools für Coaching und Beratung“ sowie„Die Teambibel“.

nicht auf „Haufe“ zurückgreift. Und zur Lobhudelei auf sich selbst neigen selbst narzisstische Persönlichkeiten nicht, weil sich herumgesprochen hat, dass ein „sehr gut“ unter Generalverdacht steht. Früher dachte ich, zumindest innerhalb eines Konzerns sollten die Zeugnisse vergleichbar sein, da müsste doch eine Art Qualitätssicherung stattfinden. Dem ist nicht so, wie ich jetzt weiß. Ich habe Zeugnisse von Managern aus dem gleichen Unternehmen gelesen, die sich radikal unterschieden. Der Inhalt sagt mehr über die Kompetenz eines Karriereberaters als eines Bewerbers aus. Oder über die Bereitschaft zum Geldausgeben. Nicht selten begegnen mir auch Berufserfahrene, die gar keine Zeugnisse haben – beispielsweise weil sie die ersten Jahre immer abgeworben wurden oder lange im Ausland waren. Bei einem Jobwechsel steht der neue Job im Fokus, nicht der Papierkram. Ich bin der Meinung, dass das Internet oft wertvollere Auskünfte gibt als jedes Zeugnis – gerade ab einer gewissen Ebene. Der Track Record eines Key Account Managers lässt sich auch in sozialen Netzwerken nachlesen, Developer sind in Foren und auf einschlägigen Portalen leichter als kompetent zu identifizieren als in jedem Zeugnis, übrigens auch als sozial kompetent. Pressemeldungen bieten Recherche-Anhaltspunkte für Führungskarrieren. Persönliche Referenzen wie in anderen Ländern könnten ebenfalls helfen, mehr Qualität in die Beurteilung zu bringen. Diese werden durch die neuen Medien noch eine ganz andere Qualität bekommen, siehe etwa die „endorsements“ bei Linkedin. 15


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Verschenken wir zu viel Potenzial? Der Begabungsforscher Christian Fischer ist der Meinung, dass wir bei der individuellen Förderung nicht nur auf die Leistungsschwächeren schauen dürfen.

„Bei der Talentförderung in Schulen müssen wir einiges tun“

Foto: Privat

Im Vorfeld des Interviews gibt es einen kleinen Streit – zwischen den Redakteuren. Es geht um die Frage, was eigentlich mit Talent beziehungsweise Begabung gemeint ist. Geht es zunächst einmal lediglich um eine genetische Disposition, die jemand mitbringt? Oder ist Begabung doch mehr als ein Geschenk der Natur? Gehören dazu auch Fähigkeiten, die im Laufe der Sozialisation entstehen? Herr Fischer, was genau meinen wir eigentlich, wenn wir von Begabung sprechen? Begabung ist erst einmal ein individuelles Fähigkeitspotenzial für Leistung. Das heißt, dass es nicht unbedingt ausgeschöpft wird. Ja, genau. Dieses Potenzial ist häufig nur beobachtbar, wenn es sich entsprechend in Leistung zeigt. Und umgekehrt liegen exzellenten Leistungen häufig hohe Begabungen zugrunde. Und sind Begabungen nun angeboren oder können sie sich auch entwickeln im Laufe der Zeit? Sowohl als auch. Begabungen sind sicherlich zum einen abhängig von genetischen Prädispositionen. Zum anderen liefert die Umwelt entscheidende Bedingungen, um eine Begabung auszuformen. Es ist also eine Interaktion zwischen Anlage und Umwelt. Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt: „Jedes Kind ist hochbegabt.“ Hat er Recht? Wenn man einen breiten Begabungsbegriff zugrunde legt, was einige Forscher tun, lässt sich durchaus sagen, dass jedes Kind gewisse Begabungen beziehungsweise Potenziale in einzelnen Bereichen besitzt. Jedes Kind aber als hochbegabt zu bezeichnen, halte ich für eine gewagte These. a p r il   /  m ai 20 1 5

Begabung muss auch erst einmal erkannt werden. Oder was braucht es sonst, um das Potenzial ausleben zu können? Ja. Ein wichtiger Aspekt ist, Begabung zu erkennen. Dafür braucht es bestimmte Bedingungen, damit dies auch möglich ist, also zum Beispiel ein wachsames Auge des Umfeldes – der Eltern, der Erzieher, der Lehrer. Und im weiteren Bereich gehören auch Psychologen dazu, wenn eine differenzierte Begabungsdiagnostik gemacht wird. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Vor allem nicht bei den Personen, die nicht in der Lage sind, eine Begabung in entsprechende Leistung umzusetzen. Es ist nicht selten, dass Kinder keine guten Schulleistungen zeigen, sie aber dennoch ein hohes Begabungspotenzial haben. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im deutschen Bildungssystem? Werden Begabungen in der Regel erkannt und entsprechend gefördert? Wenn man sich die Resultate der internationalen Vergleichsstudien anschaut, dann zeigt sich da ein Nachholbedarf in Hinblick auf die Förderung potenziell leistungsstarker Schüler. Zwar hat sich in der ersten Dekade nach dem PISA-Schock eine deutliche Verbesserung in den deutschen Ergebnissen bei Schülern aus sozial benachteiligten Schichten und bei denen mit Migrationshintergrund gezeigt. Der Anteil leistungsschwächerer Schüler hat abgenommen. Jedoch erreicht der Anteil der leistungsstarken Schüler im internationalen Vergleich nicht das Niveau wie in vielen anderen Ländern. Im Bereich der Talentförderung in deutschen Schulen müssen wir 33


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neben einer überdurchschnittlichen intellektuellen Begabung über den beruflichen noch einiges tun. Da besteht die Gefahr, Erfolg entscheiden. Auch die sogenannte emotionale Intelligenz, zum Beispiel Eindass viele Talente und Begabungen nicht hinreichend erkannt und gefördert werden. fühlungsvermögen, kann im beruflichen Woran liegt das? Fehlt es an individueller Leben in bestimmten Bereichen sehr beFörderung? deutsam werden. Die individuelle Förderung ist schon wichMachen intelligente Menschen eher Karriere tig geworden nach dem PISA-Schock. Allerals weniger intelligente? Intelligenztests haben eine hohe prodings wird sie immer noch häufig einseitig ausgerichtet auf Leistungsschwächere. Was gnostische Validität hinsichtlich eines zu wenig gesehen wird, ist, dass individuspäteren Berufserfolgs. Deshalb kann man elle Förderung auch das Finden und Fördas durchaus so sagen, wenn man sich dern von Begabungen umfasst. Da besteht an den klassischen Bereichen orientiert Nachholbedarf. wie verbale, räumliche oder numerische Intelligenz. Das sind die, die in der Regel Es gibt in der Begabungsforschung Am Internationalen Centrum für überprüft werden. Dann kommt es natüreine berühmte Studie, die sogenannte lich ebenfalls darauf an, welche Tätigkeiten Begabungsforschung (ICBF) arbeiTerman-Studie, die Lebensverläufe von ten Wissenschaftler der Universidie jeweiligen Personen ausüben, ob diese hochintelligenten Personen untersucht Arten von Intelligenz auch relevant sind. täten Münster, Nijmegen und Oshat. Darunter waren auch zwei spätere Im naturwissenschaftlichen Bereich sind Nobelpreisträger, die anfangs zwar durch nabrück. Die Arbeitsschwerpunkte beispielsweise verbale Begabungen nicht so einen überdurchschnittlichen IQ, allergliedern sich in die Bereiche Bedings nicht auf Hochbegabtenniveau aufgabungsforschung, Begabtenförwichtig wie im sprachlichen Bereich. derung sowie Aus- und Weiterbilgefallen sind. Sie wurden deswegen in die Wenn man auf Führungskräfte in Unternehmen schaut, dann sieht man, dass immer Kontrollgruppe eingeordnet. Man konnte dung. Christian Fischer ist der Vornoch häufig Personen befördert werden, die durch die Studie zeigen, dass es vor allem standsvorsitzende des Centrums. insbesondere fachlich sehr gut sind. Wie ist auch exzellenter Lernumgebungen bedarf, Der Erziehungswissenschaftler das mit der Führung von Menschen, kann um entsprechende Leistungsexzellenz zu und Psychologe ist in Münster erbringen. Herausragende Wissenschaftler Professor für Begabungsforschung man das lernen? Auch hier ist es eine Interaktion von Anentwickeln sich also zum Beispiel besonund individuelle Förderung. Unter lagen und Umwelt. Es gibt natürlich Perders in solchen Arbeitsgruppen, in denen dem Titel „Potenzialentwicklung. sonen, die zum Beispiel über eine höhere es bereits andere herausragende WissenBegabungsförderung. Bildung der Empathiefähigkeit verfügen als andere oder schaftler gibt. Vielfalt“ findet vom 9. bis 12. Sepin der Lage sind, unterschiedliche PerspekIm Rahmen von PISA werden nur bestimmte tember 2015 der 5. Münstersche Fachgebiete betrachtet. Es gibt aber unterBildungskongress (www.icbfkontiven einzunehmen. Aber so was lässt sich gress.de) statt, der vom ICBF verschiedliche Arten von Begabungen. in einem gewissen Maße auch trainieren. Wie haben sich eigentlich die Begabungen Richtig. In der PISA-Studie werden lediganstaltet wird – deutschlandweit innerhalb unserer Gesellschaft in den verlich die drei basalen Kompetenzen Leseder größte zu dem Thema. gangenen Jahrzehnten verändert? Gibt es verständnis, rechnerisches Denken und hierzu Forschungsergebnisse? Naturwissenschaften überprüft. Andere Es gibt unter anderem bezogen auf intelBegabungsbereiche wie musische und lektuelle Begabungen den sogenannten sportliche Begabungen werden gar nicht Flynn-Effekt. Danach sind die Menschen in einbezogen. Bei diesen gibt es allerdings den Industrieländern im Laufe der Jahre imauch eine besondere Tradition hinsichtlich mer intelligenter geworden. Das liegt etwa der Talentförderung – die Musikschulen an der besseren schulischen Ausbildung im Vergleich zu früher. sind ein Beispiel dafür. Und im Sportbereich gibt es unter anderem Partnerschulen des Leistungssports. Insofern sind diesbezüglich Auch der erleichterte Zugang zu Medien und damit Wissen spielt bessere Rahmenbedingungen vorhanden. Aber natürlich ist eine eine Rolle. Darüber hinaus spielen kulturelle Faktoren eine Rolle. mögliche Talentförderung davon abhängig, wo man aufwächst und Jede Kultur setzt ihren eigenen Schwerpunkt. wie dort die infrastrukturellen Bedingungen sind. In bestimmten Die Deutschen sind klüger als früher? Regionen können bestimmte sportliche Talente eben besser geNicht nur die. Das gilt für andere Kulturen auch. fördert werden als in anderen. Denken Sie beispielsweise an den Das Interview führte Jan C. Weilbacher Wintersport. Können sich eigentlich Begabungen auch erst spät im Laufe des Arbeitslebens zeigen? Durchaus. Es muss aber immer ein entsprechendes Umfeld geben, in dem man seine Begabung zeigen und entfalten kann. Und manche Begabungen werden eben erst im Arbeitsumfeld besonders sichtbar. Das kann zum Beispiel auf spezielle soziale Talente, wie zum Beispiel Führungsqualitäten, zutreffen. Diese können 34

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Zur Person


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Der Halbleiter-Konzern NXP braucht Top-Experten, und zwar schnell. Weil es die auf dem Markt nicht gibt, bildet er sie im Turboverfahren selbst aus. Von Thomas Trappe

Der Meister hat einen Schatten

W issensvermittlung mal anders Der Halbleiterhersteller NXP ist auf Produkte für den sicheren Datenaustausch spezialisiert. Chips für EC-Karten stellt er her, beliefert fast alle großen Smartphone-Hersteller. Seinen Sitz hat NXP als Philips-Ausgründung in Eindhoven, es ist ein Milliarden-Unternehmen mit weltweiten Filialen. 3.300 Fachleute 36

„Eigentlich müssten wir unsere TopLeute klonen.“ Anne-Katrin Bauß NXP Semiconductors

arbeiten im Forschungsbereich von NXP. Der Bedarf hier ist enorm, das Angebot gering. „Eigentlich müssten wir unsere Top-Leute klonen“, sagt Anne-Katrin Bauß, verantwortlich für die Führungskräfte-Nachwuchsgewinnung im NXP-Geschäftsbereich Security & Connectivity. Sie entwarf damals zusammen mit ihrem HR-Kollegen Andreas Boelich das Beschattungsprogramm für das Duo Wagner-Hinkelmann. Es sei der beste Weg gewesen, Wissen zu vermitteln, für das sonst „mindestens zehn Jahre Berufserfahrung, wenn nicht mehr nötig gewesen wäre“. Markus Hinkelmann war damals neu im Unternehmen, und er wollte was lernen. Am besten bei der Koryphäe Wagner. Glaubt man den Schwärmereien Bauß‘, muss es sich bei Wagner um eine wahre Legende handeln. Mehrere Jahrzehnte sei er schon an Bord und maßgeblich beim Aufbau der Abteilung Security beteiligt gewesen. Für 18 Monate wurde Markus Hinkelmann 2013 sein ständiger Begleiter. Und nein, versichert Hinkelmann, man sei sich nicht auf die Nerven gegangen. „Der Start mit diesem Duo war ein voller Erfolg“, sagt auch Anne-Katrin Bauß. Grund genug, das Pilotprojekt der betriebsinternen Beschattung in Serienreife zu bringen. „Go Shadow! Talent Acceleration Program“, das ist der etwas sperrige Titel für das Programm, das seit Anfang dieses Jahres nun bei NXP läuft www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e

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ine der größten beruflichen Erfahrungen des promovierten Informatikers Markus Hinkelmann war es, einem Profi bei der Arbeit zuzuschauen. Eigentlich macht er das bis heute: Hinkelmann schaut Mathias Wagner zu, denn der hat bei Hinkelmanns Arbeitgeber, dem Halbleiterhersteller NXP Semiconductors, ungefähr die Position einer technischen Gottheit inne. Ein Mann, bei dem ein Nachwuchstalent erst mal nur im Schatten stehen kann und selbst das noch als Gabe empfindet – darauf jedenfalls deutet hin, wenn Markus Hinkelmann von Wagner als „Schattengeber“ spricht. Hinkelmann fehlt es nicht an Selbstbewusstsein, aber in den zurückliegenden beiden Jahren ging er auf in seiner Rolle als „Beschatter“, wie er sagt. Hinkelmann wich Wagner im Büro nicht von der Seite, bei Meetings nicht, und auch bei Geschäftsreisen waren die beiden nicht zu trennen. Was andernorts als Stalking gewertet würde, hatte bei NXP Modellcharakter. Gerade folgt ein Dutzend junger Talente in dem Unternehmen dem Vorbild Hinkelmanns und Wagners, und heftet sich an die Fersen eines Schattengebers. Und NXP nimmt dafür viel Geld in die Hand.


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„Eine Schiene, auf die ich so schnell nicht gekommen wäre als Techniker.“ Markus Hinkelmann NXP Semiconductors

und rund eine Million Euro kostet. Nachwuchskräfte beschatten handverlesene Koryphäen von NXP, es wurden dafür zwölf Stellen ausgeschrieben. Zehn Positionen sind bisher besetzt, die Hälfte davon intern. „Es ist für Leute mit großen Ambitionen und entsprechendem Potenzial gedacht“, sagt Anne-Katrin Bauß, gesucht würden die „zukünftigen technischen Rockstars“.

Technisches Geschick allein genügt nicht

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Das Programm beginnt mit einer zweimonatigen Anlaufphase, in der Lernziele formuliert werden und ein Plan, wie diese umzusetzen sind. Es folgen die Beschattung und umfangreiche Seminare, unter anderem ein interkulturelles Training. Ziel ist es, Top-Experten heranzuziehen, die nicht nur technisch, sondern auch im Umgang mit Kunden und dem eigenen Management den Anforderungen eines hart umkämpften Marktes genügen. Keine Fachidioten also. Denn allein mit technischen Geschick mag man bei NXP vielleicht Karriere machen – zur Koryphäe wird man aber erst, wenn man auch weiß, wie es sonst so läuft im Unternehmen; sich im Labor genauso sicher bewegt wie bei einer internationalen Kundenpräsentation. Eben wie die Legende Wagner. So etwas vermittle kein klassisches Traineeprogramm, sagt Markus Hinkelmann. „Dort wird man auf eine konkrete Rolle vorbereitet, zum Beispiel als Ingenieur in einem technischen Teilbereich.“ Der Ansatz des Go-Shadow-Programms sei weit individueller an Schattengebern orientiert, die „abfärben“ können, formuliert

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es Hinkelmann. Er erlebte Wagner, wie er seine technischen Innovationen im Unternehmen und nach außen präsentierte, im Umgang mit anderen führenden Technikern, bei internationalen Kongressen. Es dauerte nicht lange, dass Hinkelmann selbst eine Produktpräsentation übernehmen konnte, bei einer Kundenshow in der Türkei. „Das war eine Schiene, auf die ich so schnell nicht gekommen wäre als Techniker.“ Das Programm habe seiner Karriere schon im Frühstadium einen Schub gegeben, ist er sicher. Dank der Expertise habe er es vergangenes Jahr beispielsweise in das Young-Leaders-Forum des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft geschafft.

Vom Schattengeber zum Kollegen Das Beschattungsprogramm ist für Hinkelmann inzwischen beendet. Im Büro von Wagner sitzt er aber immer noch, fast scheint es, als wollten sich die beiden nicht trennen. Hinkelmann spricht inzwischen vom Kollegen Wagner, die Ehrfurcht scheint etwas geringer als noch vor zwei Jahren. Der Schatten, er ist etwas kleiner geworden.

NXP Semiconductors Der Halbleiterhersteller mit Sitz im niederländischen Eindhoven ist 2006 aus einer Philips-Ausgliederung entstanden und heute in mehr als 25 Ländern tätig. 2013 kam der Konzern auf einen Umsatz von 4,82 Milliarden Dollar. Zu den Kunden von NXP gehören unter anderem Apple, Bosch, Continental, Huawei und Siemens Network. Rund 3.300 Mitarbeiter arbeiten für den Konzern im Bereich Forschung und Entwicklung, insgesamt sind gut 25.000 Mitarbeiter dort beschäftigt. In Deutschland ist das Unternehmen in Hamburg, Dresden, München und Stuttgart ansässig, wobei Hamburg der Hauptsitz ist. Rund 1.800 Mitarbeiter arbeiten an diesen vier Standorten. Anfang März machte der Konzern mit der Übernahme des US-Konkurrenten Freescale Schlagzeilen.

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Im Fokus

Kooperation zwischen Mensch und Maschine: Im Audi-Werk Ingolstadt arbeitet der Roboter PART4you als Produktionsassistent – ohne Sicherheitsabsperrung.

Kumpel statt Konkurrent Der Volkswagen-Konzern hat eine Roboterinitiative gestartet, um künftig im großen Stil Arbeitsplätze in der Produktion durch Maschinen zu ersetzen. Weil demnächst viele Babyboomer in Rente gehen, will das Unternehmen ohne Entlassungen auskommen. Zudem will der Autobauer verbleibende und neue Mitarbeiter mit umfangreichen Qualifizierungen fit machen für die digitalisierte Produktion. Von André Schmidt-Carré

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uf den ersten Blick macht der orangefarbene Roboter im Audi-Stammwerk Ingolstadt nichts Besonders: Er reicht einem Fließbandarbeiter aus einer großen Kiste Kühlmittelausgleichsbehälter an, die der Mann dann einbaut. Nichts Weltbewegendes, und doch etwas ganz Neues: „PART4you“ ist der erste Roboter des Volkswagen-Konzerns, der Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeitet. Seine zahlreichen Artgenossen fristen ihr Dasein aus Sicherheitsgründen üblicherweise hinter Gittern, weil die Gefahr zu groß ist, dass sie Menschen verletzen. Zu ungehobelt sind ihre Manieren – sie arbeiten zwar präzise, halten aber nicht inne, wenn ihnen jemand in die Quere kommt. Ganz anders der neueste Roboter: Er trägt eine weiche Schutzhaut mit integrierter Sensorik, außerdem Kamera und Saugnapf zum Anheben der Bauteile, die er dem Mitarbeiter in ergonomisch optimaler Position anreicht. www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e


Das erspart den Bandarbeitern das lästige Beugen in die Materialbox, das häufig Rückenschmerzen verursachte. Wenn es nach Volkswagen geht, werden künftig noch viel mehr Helfer vom Schlage eines „PART4you“ in den Werkshallen arbeiten. Der Konzern plant eine umfangreiche Roboterinitiative, denn die Digitalisierung der Produktion schreitet rasant voran. Bei der Robotertechnik erwarten Experten in den kommenden Jahren einen Innovationssprung, weil wichtige Bauteile wie Sensoren, Steuerungen und Bildverarbeitung immer leistungsfähiger und gleichzeitig kostengünstiger werden. In den kommenden 20 Jahren könnten deshalb viele tausend Arbeitsplätze durch Roboter ersetzt werden. Vor einer groß angelegten Entlassungswelle auf dem Weg zur Industrie 4.0 muss aber niemand Angst haben, beschwichtigt VW-Personalvorstand Horst Neumann. Denn in Deutschland und vielen anderen Ländern kommt ein anderer, gegenläufiger Effekt zum Tragen: „Zwischen 2015 und 2030 werden außergewöhnlich viele Beschäftigte die Unternehmen verlassen, weil die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in Rente gehen“, sagt der Personalchef. „Den Abgang der älteren Kollegen könnten wir in gleichem Maße gar nicht durch junge Mitarbeiter ersetzen.“ Ein abteilungsübergreifendes Kompetenzteam unter Beteiligung des Personalmanagements plant derzeit, wie die Roboterinitiative in den kommenden Jahren und Jahrzehnten umgesetzt werden könnte.

Fotos: Wikimedia Commons/André Petzold; Privat

Die Anforderungen steigen So viel scheint klar: Menschen und Maschinen werden künftig deutlich stärker zusammenarbeiten als bislang, die Roboter könnten den Mitarbeitern vor allem monotone und körperlich besonders anstrengende Aufgaben abnehmen. „Roboter werden kleiner und leichter, sie verlassen die Käfige, in die sie heute aus Sicherheitsgründen eingesperrt sind“, sagt VW-Vorstand Neumann. Gleichzeitig erwartet niemand eine menschenleere Fertigung, dazu bleiben zu viele Aufgaben übrig, die auch künftig nicht wirtschaftlich automatisiert werden können. Diese Aufgaben werden

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BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser. „Deshalb ist es jetzt wichtig, diese zu identifizieren und angemessen didaktisch und methodisch für die Aus- und Weiterbildung aufzubereiten.“

„Wir gehen davon aus, dass sich die Kompetenzprofile der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark verändern werden.“ Friedrich Hubert Esser BIBB

allerdings deutlich anspruchsvoller werden, als sie oftmals ohnehin schon sind. Neumann sieht die Rolle des Personalmanagements im Zuge der Roboterinitiative deshalb vor allem in der Qualifikation der verbleibenden und gerade auch der jungen, neuen Mitarbeiter. Denn VW will auch künftig neue Beschäftigte einstellen, Roboter hin oder her. „Die Anforderungen an Facharbeiter, Meister und Ingenieure werden steigen“, sagt der Personalvorstand. „Deshalb wird die Aus- und Weiterbildung, neben der Technik, ebenfalls einen großen Schub brauchen.“ Um diesen nötigen Sprung zu schaffen, hat der Autokonzern Ende vergangenen Jahres parallel zur Roboterinitiative auch eine Initiative zur Weiterentwicklung der Berufsausbildung für die digitalisierte Arbeitswelt gestartet. Experten der konzerneigenen Volkswagen Group Academy analysieren künftig gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), wie die Ausbildung von jungen Nachwuchskräften im Hinblick auf die digitalisierte Arbeitswelt in den kommenden „Smart Factories“ auszurichten ist. „Wir gehen davon aus, dass sich die Kompetenzprofile der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben stark verändern werden“, sagt

Automatisierte Applikationen Auch wenn das Tempo und das Ausmaß der Entwicklung neu sind, die Effekte der Automatisierung auf Belegschaft und Arbeitsplätze kennt man bei VW schon seit vielen Jahren. Der Konzern gilt als einer der Vorreiter der automatisierten Fertigung, schließlich ist der Massenhersteller auf effiziente Fertigung angewiesen. Die heute im Konzern eingesetzten Roboter kosten zwischen drei und sechs Euro pro Stunde und sind damit gegenüber den menschlichen Arbeitskräften wahre Schnäppchen: In der deutschen Autoindustrie liegen die Arbeitskosten bei mehr als 40 Euro pro Stunde und steigen weiter. Anfang März erst hat sich der VW-Konzern mit der IG-Metall auf eine Lohnsteigerung von 3,4 Prozent geeinigt. Solche Löhne kann man nur zahlen, wenn die Arbeitskräfte entsprechend produktiv sind: Bereits heute arbeitet nur noch knapp die Hälfte der Produktionsmitarbeiter am Band, der größere und wachsende Teil der Beschäftigten überwacht Maschinen, beseitigt Störungen, baut Anlagen auf und um, fährt Systeme hoch und runter und programmiert Rechner. Diese Arbeiten nehmen künftig zu, und sie werden komplexer: „Ein künftiger IT-System-Mechatroniker beispielsweise wird einen Roboter dank Digitalisierung zwar einfacher programmieren können“, sagt Ralph Linde, Leiter der Volkswagen Group Academy. „Zugleich wird er aber eine Vielzahl automatisierter Applikationen beherrschen müssen.“ Schließlich muss irgendjemand Robotern wie „PART4you“ und seinen Artgenossen sagen, was genau sie tun sollen.

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Analyse

Essay Ein Kindergarten voller Rotzlöffel Überall hört man zurzeit einen Ruf nach Authentizität. Dieser basiert jedoch auf einer psychologischen und politischen Utopie. Er ist ein Irrweg der Personalund Führungskräfteentwicklung und kann zu einem Mangel an Professionalität und Integrität führen. Von Thomas Armbrüster

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mit einem inneren Wesenskern, sondern partikularistisch angelegt, in ihrer Persönlichkeit veränderlich und im Fluss von Entwicklungen. Jeder Einzelne trägt eine Vielzahl unterschiedlicher Bedürfnisse in sich, die kein widerspruchsfreies Ganzes ergeben.

er Begriff der Authentizität beziehungsweise die Forderung nach Authentizität hat in den vergangenen Jahren im Zusammenhang von Managementtrainings und Weiterbildung eine beispiellose Verbreitung gefunden. In einem kürzlich erschienenen Spiegel-Online-Artikel schreibt die Journalistin Eva Buchhorn nicht ohne Sarkasmus: „Hauptsache authentisch! Kein anderer Wesenszug gilt in Deutschlands Top-Etagen derzeit als erstrebenswerter. Das Wort fällt in einem Atemzug mit Geradlinigkeit und Loyalität, wenn es darum geht, die perfekte Führungskraft zu charakterisieren.“ Die Forderung nach Authentizität ist jedoch ein Irrweg. Sie enthält vier Utopien: eine psychologische, eine erkenntnistheoretische, eine praktische und eine politische. Statt auf Authentizität sollte man auf Professionalität und Integrität setzen.

Zur psychologischen Utopie von Authentizität: Die Forderung nach Authentizität geht unhinterfragt davon aus, jeder Mensch hätte einen vorgegebenen, inneren Wesenskern. Dies entspricht der Utopie des psychologischen Essentialismus: Man müsse sich nur mal frei machen von den gegenwärtigen Umständen, sich mal auf die Suche nach „sich selbst“ begeben und dann würde man seinen Wesenskern früher und später finden. Das Problem ist: Individuen sind keine holistischen Einheiten

„ Jeder Einzelne trägt eine Vielzahl unterschiedlicher Bedürfnisse in sich, die kein widerspruchsfreies Ganzes ergeben.“

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Die Welt wäre die Hölle auf Erden Zur erkenntnistheoretischen Utopie: Selbst wenn es einen inneren Wesenskern gäbe, wann würde man denn wissen, ob man ihn gefunden hat? Auf der Suche nach sich selbst kommt man entweder in eine unendliche Ermittlungsschleife oder einen dogmatischen Abbruch seiner Suche. Die Idee, man könne letztgültig einen Wesenskern ermitteln, entspricht einem erkenntnistheoretischen Ultrapositivismus, also der Ansicht, man könne durch logische Schlüsse für alles eine Letztbegründung finden. Besonders eigenartig wird es dann, wenn sich Authentizitätsbefürworter ansonsten als Sozialkonstruktivisten verstehen, also glauben, dass wir die soziale Welt durch unsere Art, sie wahrzunehmen, und durch unsere Zuschreibungen selber schaffen. Dies ist für viele eine nachvollziehbare Perspektive, aber mit der Forderung nach Authentizität kaum vereinbar. www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e


Die dritte Utopie ist die der praktischen Ausübung von Authentizität. Selbst wenn Menschen authentizitätsfähig wären (was, wie erwähnt, nicht möglich ist), dann könnten sie dies in einer modernen Welt (zum Glück) nicht ausleben. Zum Chef sagen, er solle bitteschön in Frühpension gehen? Zur hübschen Kollegin sagen, wie wäre es mit ein bisschen Sex in der Besenkammer? Das wäre dann wohl authentisch. Die Welt wäre damit jedoch keine bessere, wie uns manche Authentizitätsapostel weismachen wollen, sondern die Hölle auf Erden: eine Welt voller Grenzüberschreitungen, Beleidigungen, Übergriffe und Diskriminierungen. Menschen haben dankenswerterweise Institutionen geschaffen, die uns ein friedliches Miteinander trotz unserer allzu menschlichen Eigenschaften ermöglichen. Damit wären wir bei der vierten, der politischen Dimension: Die Vorstellung, dass wir mit mehr menschlicher Authentizität eine bessere Welt hätten, ist eine anti­ freiheitliche Utopie. Sie entlarvt ein antiinstitutionelles und antimodernistisches Weltverständnis. Der Ruf nach Authentizität hat damit auch etwas sehr Deutsches: zurück zum Wahren, Schönen, Guten; weg von der modernen Zivilisation. Er hat eine Komponente von „Kultur“, verstanden wie im deutschen Idealismus als Innerlichkeit und Naturalismus, der sich gegen eine moderne, institutionengeprägte Zivilisation richtet.

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Die Resignation der Personalentwicklung Auch im Markt für Managementtrainings und Coachings eignet sich die Forderung nach Authentizität bestens zum emotional blackmailing: „Sie haben sich da noch nicht gefunden“ oder „Ich sehe hier noch einen Zwiespalt in Ihnen“. Solche Sätze sind nichts anderes als paternalistische Grenzüberschreitungen. Offenbar können einige Managementtrainer damit Geld verdienen. Übergriffigkeit und emotionaler Schuldaufbau beim anderen – keine schlechte Businessidee. Gerne kombiniert mit ein paar Work-Life-Balance-Angeboten. Noch eine Prise Tai-Chi dazu? Die Befürworter möchten Authentizität gerne der Stromlinienförmigkeit und Konventionalität vieler Führungskräfte entgegensetzen, deren Anpassen an die Ora p r i l  /  m ai 20 1 5

ganisation und dem Verbiegen gegenüber dem Chef. Das ist gut und sinnvoll. Aber nicht zu dem Preis, angeblich „einfach man selbst“ sein zu dürfen. So verstanden ist Authentizität schlicht ein Freifahrtschein, sich nicht zu professionalisieren – die Resignation aller Personalentwicklung und die Berechtigung für persönliche Stagnation. Dem allzu positiven Menschenbild der Authentizitätsbefürworter kann man entgegenhalten: Würde ein Unternehmen mit „ganz viel Authentizität“ nicht einem Kindergarten voller Narzissten, kleiner Despoten und Rotzlöffel gleichen? Wettbewerbsfähig wäre das Unternehmen mit Sicherheit nicht. Nicht Authentizität, sondern Professionalität und Integrität führen zu Glaubwürdigkeit – und in einem halbwegs funktionierenden Rechtsstaat mit größerer Wahrscheinlichkeit zu geschäftlichem Erfolg. Das bedeutet: Institutionen haben einen Auftrag und Integrität heißt, in Übereinstimmung mit dem Auftrag zu handeln, sofern und solange er den selbstgewählten Werten entspricht. Innere Gelassenheit ist gefragt statt kontemplativer Wesensschau, die nur zu der oben genannten unendlichen Ermittlungsschleife führt und damit zu emotionaler Instabilität und Aufgeregtheit. Professionalität heißt, im Rahmen von Institutionen und deren Auftrag reflektiert zu handeln – statt unreflektiert wie man es spontan für richtig hält. Auch in schwierigen Situationen Ruhe zu bewahren, einen kühlen Kopf zu behalten und vernünftig entscheiden zu können – dies ist das Ergebnis eines jahre- oder gar jahrzehntelangen Entwicklungs- und Professionalisierungsprozesses, nicht das Ergebnis einer endlosen Suche nach sich selbst.

Werte als Ergebnis von Wahlentscheidungen Persönliche Werte sind nicht das Ergebnis von Entdeckungsprozessen, sondern das Resultat von Wahlentscheidungen basierend auf Persönlichkeitsentwicklung. Es geht weniger um Selbstfindung als darum, sich immer wieder zu entscheiden – bis zum Schluss. Jemand, der sich Professionalität und Integrität als Ziele gewählt hat, wird Besseres erreichen als jemand, der sich auf kontemplative Wesensschau begibt. Und als Trainer oder Personalentwickler ist es unsere Aufgabe, Coachees und Trainingsteilnehmer auf diesem Weg zu unterstützen – anstatt per emotional blackmailing auf einen Pfad zur endlosen Suche nach sich selbst zu manipulieren.

„ Integrität heißt, in Übereinstimmung mit dem Auftrag zu handeln, sofern und solange er den selbstgewählten Werten entspricht.“

Thomas Armbrüster Er ist Professor für BWL (Wissens- und Personalmanagement) an der Universität Marburg und Partner bei Redoux Corporate Culture Consultants.

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Der Aufhebungsvertrag wird von vielen Arbeitgebern gerne eingesetzt, um Arbeitsverhältnisse schnell zu beenden. Einige mögliche Fallstricke muss man allerdings beachten. Von Matthias Köhler 96

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Essay Ein Dauerbrenner

oll ein Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen beendet werden, schließen die Parteien häufig einen Aufhebungsvertrag. Geht der Vereinbarung eine Kündigung voraus, spricht man von einem Abwicklungsvertrag. Die außergerichtliche Streitbeilegung durch Aufhebungsbeziehungsweise Abwicklungsvertrag ist für den Arbeitgeber vor allem deshalb interessant, weil er dadurch einen Kündigungsrechtsstreit vermeidet und in den meisten Fällen Zeit und Geld sparen kann. Allerdings sollten vor Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung einige Punkte beachtet werden.


Recht

„ Zu beachten ist unbedingt, dass beim Aufhebungsvertrag die gleichen Formvoraussetzungen gelten wie bei einer Kündigung.“

Keine Sperrzeit bei Regelabfindung Von Seiten der Arbeitnehmer wird gegen den Abschluss eines Aufhebungsvertrages häufig das Risiko einer Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld eingewandt. Diese Befürchtung ist indes unbegründet, wenn der Arbeitgeber für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung von nicht mehr als 0,5 Bruttomonatsgehältern pro Jahr der Beschäftigung (sogenannte Regelabfindung) aber auch nicht weniger als 0,25 Bruttomonatsgehälter anbietet. Liegt die Abfindung über 0,5 Monatsgehältern, kann das Risiko einer Sperrzeit deutlich reduziert werden, indem eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen wird, die der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage angreift und sich die Parteien dann im schriftlichen Verfahren auf einen Vergleich einigen, der praktisch dem Wortlaut des Aufhebungsvertrages entspricht. Dieses Vorgehen ist mit vergleichsweise niedrigen Kosten und Aufwand für den Arbeitgeber verbunden und kann eher risikoaverse Arbeitnehmer zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewegen.

Formerfordernis Zu beachten ist unbedingt, dass beim Aufhebungsvertrag die gleichen Formvoraussetzungen gelten wie bei einer Kündigung. Das heißt der Aufhebungsvertrag bedarf der a p r il  /  m ai 20 1 5

Schriftform und muss von beiden Seiten im Original unterschrieben werden (kein Fax, keine gescannte Unterschrift oder ähnliches). Auf Seiten des Arbeitgebers muss entweder das zur Vertretung berechtigte Organ, zum Beispiel der einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer oder ein bevollmächtigter Vertreter unterschreiben.

Gefahr des Entstehens eines neuen Arbeitsverhältnisses Bei rentennahen Arbeitnehmern besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, eine Brücke zur Rente zu bauen. Da es sich dabei oft um besonders langjährig Beschäftigte handelt, kann es auch für den Arbeitgeber unter ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll sein, sich auf ein späteres Beendigungsdatum zu verständigen, um dem Arbeitnehmer den Renteneintritt, gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von ALG 1 bis zu einem Zeitraum von maximal zwei Jahren, zu ermöglichen. Wird das Beendigungsdatum zu weit nach hinten geschoben, besteht allerdings die Gefahr, dass ein Gericht hierin die Begründung eines neuen, befristeten Arbeitsverhältnisses sieht. Da mit dem Arbeitnehmer bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, bedürfte es eines Sachgrundes zu seiner Rechtfertigung, der in den meisten Fällen nicht vorliegen dürfte. Folge ist, dass der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine sogenannte Entfristungsklage erheben kann, gerichtet auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses über den Beendigungszeitpunkt hinaus. Da man nicht vorhersehen kann, ob der Arbeitnehmer auch noch zum Zeitpunkt des vereinbarten Beendigungszeitpunktes die Beendigung des Arbeitsverhältnisses möchte, sollte das Risiko durch Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ausgeschlossen werden. Der Vergleich ist dann Rechtfertigung für die Befristung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG).

Dienstwagenübernahme Ist im Arbeitsvertrag die private Nutzung des Dienstwagens vereinbart, kann der Arbeitgeber den Dienstwagen praktisch nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückverlangen. Das gilt auch bei längerer

Freistellung. Das Bundesarbeitsgericht hat die Möglichkeit der vorzeitigen Rückgabepflicht zwar grundsätzlich bejaht, aber hohe Hürden aufgestellt, insbesondere Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts im Arbeitsvertrag und Nachweis betrieblicher Notwendigkeit der vorzeitigen Rückgabe, zum Beispiel Überlassung des Dienstwagens an einen neuen Kollegen. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt und verlangt der Arbeitgeber den Dienstwagen dennoch vorzeitig zurück, hat der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Schadenersatz. Nicht selten will der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Dienstwagen kaufen. Den Kaufpreis kann der Arbeitgeber auf den Nettobetrag einer möglichen Abfindung anrechnen. Es handelt sich um einen mehrwertsteuerpflichtigen Verkauf. Ist der Marktpreis höher als der Verkaufspreis, handelt es sich bei der Differenz um einen geldwerten Vorteil. Es sollte dann im Aufhebungsvertrag geregelt werden, wer die Steuern zu tragen hat. Der Arbeitgeber muss beim Verkauf allerdings beachten, dass er dabei vom Gesetz nicht anders als ein gewerbsmäßiger Autoverkäufer behandelt wird: Er kann die Gewährleistung für Mängel nicht ausschließen.

Urlaubsabgeltung Bestehende Urlaubsansprüche können durch eine unwiderrufliche Freistellung von der Arbeit abgegolten werden, freilich nur im Umfang der Dauer der Freistellung. Eine widerrufliche Freistellung ist insoweit nicht ausreichend. Der Arbeitnehmer kann allerdings für einen Zeitraum, der dem Urlaubsanspruch entspricht, unwiderruflich und danach widerruflich freigestellt werden. Dann kann der betroffene Arbeitnehmer zur Arbeit zurückgerufen werden, zum Beispiel zur Übergabe von Arbeiten oder bei Rückfragen. Bestehen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch Urlaubsansprüche, kann der Arbeitnehmer Urlaubsabgeltung noch bis zur regelmäßigen Verjährung von drei Jahren geltend machen, es sei denn der Arbeitsvertrag enthält eine kürzere Verfallfrist, zum Beispiel drei Monate. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich, eine Regelung in den Aufhebungsvertrag aufzunehmen, wonach Urlaub tatsächlich und vollständig 97


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gewährt und genommen wurde. Der Arbeitnehmer kann dann im Nachhinein nicht mit Erfolg einen Urlaubsabgeltungsanspruch geltend machen.

Hybrid- oder Sprinterklausel Unter der sogenannten Hybrid- oder Sprinterklausel versteht man Folgendes: „Der Arbeitnehmer kann das Arbeitsverhältnis vor dem vereinbarten Beendigungsdatum mit einer Ankündigungsfrist von drei Tagen schriftlich kündigen. In diesem Fall hat er Anspruch auf eine zusätzliche Abfindung in Höhe von (häufig sind es 50 – 75 Prozent) der zwischen dem Beendigungsdatum und dem Zeitpunkt der vorzeitigen Beendigung durch Eigenkündigung zu zahlenden Bruttofestvergütung.“ Diese Regelung macht für den Arbeitgeber unter ökonomischen Gesichtspunkten insbesondere dann Sinn, wenn er bereits längere Zeit vor dem vereinbarten Beendigungsdatum keinen Beschäftigungsbedarf mehr für den Arbeitnehmer hat und dieser bereits freigestellt ist. Dann spart sich der Arbeitgeber nicht nur 25 bis 50 Prozent der in dem Zeitraum zwischen vorzeitiger Beendigung und vereinbarter Beendigung andernfalls anfallender Vergütung, sondern auch den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung, da die zusätzliche Abfindung im Gegensatz zur Vergütung nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt.

Abwerbeverbot Insbesondere bei Know-how-Trägern kann es sinnvoll sein, ein (unentgeltliches) Abwerbeverbot für eine bestimmte Dauer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den Aufhebungsvertrag aufzunehmen, verbunden mit einer Vertragsstrafe bei einem Verstoß dagegen. Über die Rechtmäßigkeit derartiger Regelungen in Aufhebungsverträgen wurde bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden. Es spricht allerdings viel für deren Wirksamkeit. Zudem dienen sie jedenfalls der Abschreckung, weil es der betroffene Arbeitnehmer regelmäßig auch nicht auf einen Rechtsstreit ankommen lassen will.

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Am Ende eines Aufhebungsvertrages sollte eine Abgeltungsklausel stehen. Sie regelt, dass die Parteien gegenseitig nur noch die Ansprüche haben sollen, die im Aufhebungsvertrag ausdrücklich geregelt sind. Damit soll verhindert werden, dass der Arbeitnehmer nach Abschluss des Aufhebungsvertrages noch weitere finanzielle Ansprüche geltend macht, zum Beispiel auf Überstundenabgeltung, Bonus etc. Unabdingbare Ansprüche aus Gesetz, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag werden von der Abgeltungsklausel ebenso wenig erfasst wie Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Es empfiehlt sich aufgrund der grundsätzlich weiten Auslegung von Abgeltungsklauseln, Ansprüche beziehungsweise Rechte, die weiterhin bestehen, stets ausdrücklich zu benennen. Das gilt namentlich für ein im Arbeitsvertrag vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Wird das nicht explizit von der Abgeltungsklausel ausgenommen, wird es von ihr erfasst und ist damit aufgehoben. Bestehen neben der anstellenden Gesellschaft weitere verbundene Unternehmen, sollte darüber hinaus eine Erklärung aufgenommen werden, wonach auch keine Rechte mehr gegen verbundene Unternehmen bestehen. Andernfalls könnte der Arbeitnehmer später zum Beispiel Ansprüche auf die Zuteilung von Aktienoptionen gegenüber der Konzernmutter geltend machen. Bei der Formulierung ist wichtig, dass es sich um eine Erklärung des Arbeitnehmers handelt, keine Forderungen mehr gegen verbundene Unternehmen zu haben, da es sich andernfalls um einen unwirksamen Vertrag zu Lasten Dritten handelt. Eine Abgeltungsklausel könnte beispielsweise wie folgt lauten: „Mit dieser Vereinbarung möchten die Parteien ihre gesamten Rechtsbeziehungen regeln. Sie sind sich darüber einig, dass mit Ausnahme der vorgenannten Ansprüche wechselseitig aus und im Zusammenhang mit dem Anstellungsverhältnis und seiner Beendigung keine weiteren Ansprüche mehr bestehen, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt und unabhängig vom Zeitpunkt des Entstehens. Hiervon ausgenommen sind unverzichtbare Rechte und Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Der Mitarbeiter bestätigt keine offenen Forderungen mehr gegen mit der Gesellschaft verbundene Gesellschaften zu haben.“

„ Es empfiehlt sich aufgrund der grundsätzlich weiten Auslegung von Abgeltungsklauseln, Ansprüche, die weiterhin bestehen, stets ausdrücklich zu benennen.“

Fazit Bei dem Aufhebungs- beziehungsweise Abwicklungsvertrag handelt es sich um ein bewährtes Instrument, Arbeitsverhältnisse schnell, mit wenig Aufwand und überschaubaren Kosten zu beenden. Wie gezeigt, bestehen auch Handlungsoptionen, die das Risiko der Verhängung einer Sperrzeit, das viele Arbeitnehmer von der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses abschreckt, reduziert.

Matthias Köhler Er ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Baker & McKenzie in Berlin und seit 2010 als Rechtsanwalt zugelassen. Er ist seitdem ausschließlich im Arbeitsrecht tätig und berät nationale und internationale Unternehmen.

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Abgeltungsklausel


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letzte seite seite  Jörg Buckmann

Mut und Innovationskraft Jörg Buckmann Leiter Personalmanagement Verkehrsbetriebe Zürich

Die Alpen sind… mir nicht so wichtig. Ich liebe das Meer.

Ein guter Personaler sollte… ein Rückgrat und nicht nur eine Wirbelsäule haben. Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als… Sommeraushilfe in der Lackiererei in einer Fabrik. Ich war 13 oder 14. Ein Held meiner Jugend war… keiner. Schweizer und Deutsche unterscheiden sich vor allem… in ihrer Direktheit. Ein guter Morgen beginnt für mich… mit sehr viel sehr starkem Kaffee und Sonnenschein.

Als Blogger kann ich… unglaublich viel lernen und die Freude am Schreiben ausleben.

Der „War of Eyeballs“ ist… enorm und wird immer mehr auch in der Personalwerbung ausgetragen.

Eines meiner liebsten Hobbys ist… mit guten Freunden eine Zigarre rauchen.

An meinem Beruf liebe ich… die sensationell große Abwechslung.

Als Straßenbahnpilot wäre ich… wohl viel zu oft mit dem VaroufakisFinger unterwegs.

Ein guter Rat, den ich gerne weitergebe, ist… höchstens vielleicht, anderen keine Ratschläge zu geben.

Eines der inspirierendsten Bücher für mich ist… immer gerade das aktuellste, jetzt Marie Antoinette von Stefan Zweig. Kreativität ist… eine der meistunterschätzten Kompetenzen. Wenn ich nicht Manager geworden wäre, hätte es auch eine Karriere als… Seemann sein können. Eines unserer wichtigsten HR-Projekte ist… die langjährigen Führungskräfte fit zu machen.

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Jörg Buckmann Er ist seit 2007 der Kopf hinter dem Personalmanagement der Verkehrsbetriebe Zürich VBZ. Davor war der 45-Jährige über zwei Jahrzehnte für die SBB AG tätig, zuletzt als Leiter der Personalpolitik. Buckmann ist nicht nur Herzblut-Personaler, sondern schreibt auch gerne. Er ist Buchautor und betreibt das Blog buckmanngewinnt.ch. Er sitzt außerdem im Präsidium des Bundesverbands der Personalmanager.

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Dem HR-Management von heute fehlt noch… ein wenig mehr Mut, Innovationskraft und die Gabe, sich selber nicht zu wichtig zu nehmen.

Eine historische Person, dich ich gerne treffen würde, ist… Nelson Mandela.


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cornerstoneondemand.fr

cornerstoneondemand.de/hr-excellence Cornerstone OnDemand ist ein weltweit führender Anbieter einer umfassenden cloudbasierten Talent Management Software. Cornerstone unterstützt Unternehmen bei Recruiting, Training, Management und Vernetzung ihrer Mitarbeiter und schafft so die Voraussetzung für deren Empowerment und Produktivitätssteigerung. Die Lösungen des in Santa Monica, Kalifornien, ansässigen Unternehmens sind bei über 2.100 Kunden weltweit im Einsatz und werden von mehr als 18,1 Millionen Anwendern in 191 Ländern und 42 Sprachen genutzt.

Standorte in Deutschland: Maximilianstr. 35a, 80539 München | Prinzenallee 7, 40549 Düsseldorf


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