MUT

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T H E M A

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EDITORIAL

„SAPERE AUDE!“ Jan C. Weilbacher Chefredakteur Human Resources Manager

Wage es, weise zu sein“ beziehungsweise „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ ist der Leitspruch, der von Immanuel Kant geprägten Aufklärung. Der Mensch soll seine selbstverschuldete Unmündigkeit verlassen und seinen Verstand nutzen – ohne Anleitung. Der Bequemlichkeit widerstehen, selbst denken und auf dieses eigene Denken vertrauen. Das wird auch in der Arbeitswelt von entscheidender Bedeutung sein, um zukünftig erfolgreich zu sein.

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Editorial Kolumne: Home Office Postfaktische Wahrheiten Zahlen & Zitate Zeitenwende HR sollte sich für zukunftsgerechte Arbeitszeitgestaltung stark machen Bürokratiemonster Arbeitsrechtler Gregor Thüsing im Gespräch über das Lohngleichheitsgesetz und die Leiharbeitsreform Das Ende eines Klassikers Warum Stellenbeschreibungen ein Auslaufmodell sind Klassentreffen Alumni-Netzwerke sind auch für kleine Unternehmen sinnvoll – wenn man einiges beachtet

40 Eine Frage der Haltung Agnes Berger bringt Führungskräften den Flamenco näher 43 Der Ernstfall Wenn Unternehmen saniert werden, brauchen Personaler besonders viel Mut 47 Managerin des Jahres Was Annette Stieve von Faurecia bei der Karriere geholfen hat 50 Unsere Ängste Ohne Angst kein Mut: Wovor sich die Deutschen fürchten 52 Klappe und weg Sixt ist für seine mutigen Werbekampagnen bekannt. Nun nutzt man Snapchat für das Employer Branding 57 Barrieren Warum das größte Karrierehindernis für Menschen mit Behinderungen meist ihr Umfeld ist 60 Epilog

76 Next Level: Talent Advisor Fünf Schritte zur Beschleunigung des Recruitings 78 Kompetenzevolution Welche Anforderungen auf die Facharbeit in der digitalisierten Arbeitswelt zukommen 82 Nachholbedarf In Sachen digitaler Reifegrad ist HR noch längst nicht da, wo es sein sollte. Das muss sich ändern

IM FOKUS

RECHT

62 Nicht nur für Kinder Warum Legosteine neuerdings so häufig in Workshops auftauchen 64 Nichts kann, alles muss Führungskräfte sollen heute vieles sein: Kumpel, Versteher, Anführer. Ist das zu schaffen? 68 Recruiting in Camouflage Jens Flosdorff und Dirk Feldhaus vom Verteidigungsministerium über das Recruiting der Bundeswehr

88 Aktuelle Urteile 90 Auf behördliche Anweisung Wie HR auf Entlassungsforderungen von Behörden reagieren kann 91 Impressum

PRAXIS 84 Sieben Gedanken Wie gute Ideen entstehen 85 Meine digitale Welt Anna Gutzmann setzt auf digitales Wissensmanagement 86 Bücher Lesenswertes rund um HR

TITELTHEMA: MUT 23 Prolog 25 Worauf wir Wert legen Wer Mut einfordert, muss Vertrauen schenken 29 Es bewegt sich etwas bei HR Gespräch mit Harald Schirmer und Jörg Buckmann über den Wandel der Profession 32 Turnaround Wie sich die Schott AG neu erfinden musste 34 Die Psychologie des Mutes Mutig sein ist nicht selbstverständlich. Was es dafür braucht, erklärt Psychologin Astrid Schütz 37 Unternehmer mit Schwimmflügeln Intrapreneure sind in Unternehmen gefragter denn je

ANALYSE 72 In der Sackgasse Das betriebliche Lernen braucht dringend einen Paradigmenwechsel

VERBAND 94 Rückblick Der BPM Change Tag 96 Vollzeit und Teilzeit Ergebnisse der Studie zusammen mit dem BMFSFJ zur Teilzeit 98 Regional- und Fachgruppen HR-Management in Non-Profit-Organisationen 99 Neumitglieder 100 Nachgefragt Braucht HR mehr Mut?

102 Fragebogen Felicitas von Kyaw, Vattenfall 4

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Cover: picture alliance / AP Photo , Fotos : Julia Nimke (l.), Felix Kaestle; Max Threlfall; Privat (3); Die Hoffotografen GmbH Berlin; Karin Volz ; Privat; Martin Hangen

MEINUNG


Anja Michael, Avira

Christoph Bornschein, TLGG

Isabell Welpe, TU München

Karen Parkin, adidas Group

Gunther Olesch, Phoenix Contact

Nora Heer, Loopline Systems

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Heidi Stopper, Coach

Facettenreich

Werner Albrecht, Stadtwerke München

Man kann Mut sowohl im Privaten als auch im Joballtag beobachten – oder ihn dort schmerzlich vermissen. Es scheint, als bräuchten wir künftig noch mehr davon. Gerade weil Kreativität und Eigenverantwortung immer wichtiger werden. Wir haben im Rahmen unseres Schwerpunktes unter anderem unterschiedliche Persönlichkeiten gefragt, in welchem Bereich der Wirtschaftsund Arbeitswelt es ihrer Meinung nach besonders an Mut fehlt.

Dietrich Grönemeyer, Mediziner und Autor

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MEINUNG

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MITTWOCH

Am Puls Die Digitalisierung stellt neue Anforderungen an die Arbeitszeit. Das Bedürfnis der Menschen nach eigener, frei verfügbarer Zeit steigt ständig. Deshalb muss eine zukunftsgerechte Arbeitszeitgestaltung in Angriff genommen werden – HR kann dabei eine wesentliche Rolle spielen. Von Martin Seiler

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ange war das Thema Arbeitszeit eindeutig. Den Zeitablauf der Arbeitnehmer gestaltete weitgehend der Arbeitgeber. Der Wunsch nach mehr Zeit ist nicht neu. Bereits George Orwell sagte: „Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vorbei.“ Heute wandelt sich unsere Gesellschaft immer mehr zu einer Dienstleistungs- und Servicegesellschaft. Dies hat auch Auswirkungen auf die Arbeitszeit. Es gibt einerseits einen steigenden Bedarf nach Zeitsouveränität bei Mitarbeitern. Andererseits Kunden, die eine „always on“ Erwartung haben. Und nicht zuletzt Unternehmen, die kundenorientiert Leistungen erbringen wollen. Dabei haben wir alle unterschiedliche Rollen, sind oft Täter und Opfer zugleich. Wie gehen wir mit diesem Dilemma um? Im Kundenservice der Telekom haben wir uns intensiv mit der Einführung neuer Arbeitszeitmodelle beschäftigt. Mit zwei anderen Unternehmen – der ING-DiBa und Bertelsmann – haben wir uns über die unterschiedlichen Konzepte dazu ausgetauscht und den gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Gesamtkontext

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hergestellt. Ein hohes Maß an Eigenverantwortung findet sich in den Ansätzen aller drei Unternehmen. Die Mitarbeitenden werden dabei zu Akteuren ihrer eigenen Arbeitszeitgestaltung. Was ist bei der Einführung neuer Arbeitszeitmodelle wichtig? Welche Rolle spielt HR? Und wem gehört eigentlich die Zeit? Die Story Entscheidend ist eine plausible Story. In unserem Fall klang das etwa so: Kundenverhalten und Produkte haben sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Produkte und Dienste sind beim Kunden rund um die Uhr im Einsatz, daraus folgt für den Kundenservice: „Wir sind da, wenn der Kunde uns braucht.“ Kunden kontaktieren uns verstärkt abends oder am Wochenende, dies erfordert eine Anpassung der Arbeitszeiten. Die Geschichte muss für die Mitarbeiter erlebbar sein und gleichzeitig aufzeigen, wie sie sich verändern müssen und was sie selbst ändern können. HR ist hier sowohl in der Rolle eines strategischen Partners als

auch in der Rolle des Challengers gefragt. Ist die Story wirklich rund und verständlich? Ist sie es nicht, muss man weiter daran arbeiten. Oder sogar hinterfragen, ob wirklich eine konkrete Dringlichkeit besteht. Es geht viel mehr als man denkt Hat man einen geeigneten Ansatz für neue Arbeitszeitmodelle gefunden, sind viele Einzelfragen zu klären. Bei uns waren dies oft IT-Fragen, denn unser Ansatz sah vor, dass die Mitarbeiter zwischen verschiedenen Arbeitszeitmodellen wählen konnten. Gerade in einem neuen Prozess ist es wichtig, von Anfang an die Haltung der Mitarbeiter zu berücksichtigen und diese bewusst positiv zu beeinflussen. Gefragt sind Zuversicht, Zukunftsorientierung und ein klares gemeinsames Ziel, damit auch kritische Situationen bewältigt werden können. Dafür müssen insbesondere die Führungskräfte gut eingebunden und begleitet werden. HR unterstützte hier in einer Enabler-Rolle, schulte und informierte Führungskräfte.

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MEINUNG

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allen Beteiligten und schafft andererseits auch erste Erfolge. Dazu haben wir viele Elemente entwickelt, beispielsweise häufig gestellte Fragen und Antworten. Erste Erfolgsberichte in Interviews mit Mitarbeitern zeigten, dass die Veränderung wirklich möglich ist. HR hatte hier mit der Projekt- und Fachkommunikation eine entscheidende Rolle.

ist keine Selbstverständlichkeit. Der Punkt des „Aushandelns“ dieses Themas zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird immer wichtiger. Bei neuen Arbeitszeitmodellen ist ein guter Change-Management-Prozess, der die damit einhergehende Kulturveränderung begleitet, unverzichtbar. HR agiert dabei in verschiedenen Rollen, vom strategischen Partner bis zum Enabler, und spielt so eine Treiber-Rolle in der Veränderung des Unternehmens. Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen sind kein Schicksal, sondern eine Gestaltungsaufgabe. Machen wir diese gut, heißt es: Uns gehört die Zeit!

Einbindung aller Stakeholder Wann ist die Einbeziehung welcher Stakeholder sinnvoll? Wir haben die neuen Arbeitszeitmodelle gemeinsam mit den beteiligten Stakeholdern konzipiert. In Workshops wurde mit der Geschäftsleitung, dem Workforce Management und dem Betriebsrat gearbeitet. Zielsetzung war es, einen neuen, innovativen Ansatz zur Arbeitszeit zu finden. Dies bedeutete auch, sich auf eine neue Art der Zusammenarbeit einzulassen. Zunächst war es durchaus nicht einfach, eine gemeinsame Vertrauensbasis zu finden. HR agierte hier als inhaltlicher Gestalter. Was anfänglich eine große Herausforderung war, kristallisierte sich im Laufe des Prozesses als einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren heraus: die gemeinsame Gestaltung. Zwischenlösungen sind erlaubt Insbesondere in der Startphase der neuen Pakete haben sich kleinere Roll-out-Schritte und Pilotinitiativen als sinnvoll erwiesen. Dies ermöglicht einerseits Learnings bei

Befähigung von Mitarbeitern und Management Die Mitarbeitenden wurden durch die Wahl der Pakete zu Akteuren ihrer eigenen Arbeitszeitgestaltung. Es galt auch die Herausforderung der Erreichbarkeit rund um die Uhr zu erfüllen. Feste Schichten und eine hohe Planungssicherheit konnten nur für einen Teil der Mitarbeitenden gewährleistet werden, mehr Flexibilität war gefragt. Die verschiedenen Pakete wurden entsprechend der individuellen Lebensumstände gewählt, die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit stand dabei im Mittelpunkt. Nicht

der Zeit

Martin Seiler ist Geschäftsführer Personal der Telekom Deutschland GmbH und Sprecher der Geschäftsführung Telekom Ausbildung. Sein im Juni 2016 erschienenes Buch „Wem gehört die Zeit“, bei dem er Herausgeber und Mitautor ist, beschäftigt sich mit innovativer Arbeitszeitgestaltung in der Praxis sowie der wissenschaftlichen Sichtweise des Themas.

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Foto: Norbert Ittermann

alle Wünsche konnten erfüllt werden und ein intensiver Dialog war erforderlich. HR hat diese Schritte wiederum als Enabler durch intensive Angebote von Austauschformaten für Führungskräfte und Mitarbeiter begleitet. Das Thema Arbeitszeit wird uns dauerhaft begleiten. Gefragt sind Arbeitszeitmodelle, die sich konkret mit der Lebenssituation der Mitarbeiter auseinandersetzen. Zeitkompetenz ist ein Lernprozess. Ein souveräner Umgang mit der eigenen Zeit d ezem ber 20 1 6 / ja nuar 2017

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TITEL

Was braucht es, um mutig sein zu können? Die Psychologin Astrid Schütz über selbstbewusste Menschen, die positive Seite der Angst und den Mut, zur eigenen Persönlichkeit zu stehen. Von Jan C. Weilbacher

Astrid Schütz hat in den 90ern zum Thema „Selbstdarstellung von Politikern“ promoviert. Vermutlich könnte sie einiges Interessantes zu Donald Trump sagen. Klar ist: Ein gewisses Selbstvertrauen hilft, wenn es darum geht, ein Risiko einzugehen und im Beruf erfolgreich zu sein. Doch aus Selbstvertrauen kann schnell auch mal Selbstüberschätzung werden.

Frau Professor Schütz, es gibt viele Ratgeber, die einem nahelegen, mutig zur eigenen Persönlichkeit zu stehen und zu sein, wie man ist. Kommt man mit Authentizität besser durchs Leben? Mit Abstrichen würde ich sagen ja. Es wäre unklug beispielsweise im Bewerbungsgespräch von tiefgreifenden Selbstzweifeln zu erzählen. Das würde zu weit gehen. Aber dennoch ist Kongruenz, also eine Übereinstimmung von dem, was wir empfinden und dem, was wir tun, sicher wichtig. Schauen Sie sich den Dienstleistungsbereich an, zum Beispiel Call Center oder Flugbegleiter. In diesen Berufen müssen Sie bestimmte Emotionen präsentieren, unabhängig davon, wie Sie sich tatsächlich fühlen. Wir nennen das „Surface Acting“ im Vergleich zu „Deep Acting“. Unsere Forschung zur Emotionsregulation hat gezeigt, dass eine solche Inkongruenz auf Dauer belastend ist. Im Extremfall können sogar psychosomatische Probleme auftreten. Deshalb muss man davon abraten, dauerhaft eine Fassade im Job aufrechtzuerhalten. Dasselbe gilt für Führungskräfte. Die sind gegenüber ihren Mitarbeitern überzeugender, wenn sie auch meinen, was sie sagen und selbst leben, was sie fordern. Authentizität tut der Führung gut. Das heißt aber nicht, stets sein Herz auf der Zunge zu tragen. Auf der anderen Seite ist es doch professionell, wenn ich nicht immer den Emotionen meines Gegenübers ausgesetzt bin. Ich will als Kunde nicht, dass mir die Servicekraft etwas vorheult. 34

Ja, aber das ist ein Extrem. Genau wie der Bewerber, der von den Selbstzweifeln erzählt. Sollten Führungskräfte sich nicht aufgrund eines professionellen Anspruchs mit Emotionen zurückhalten? Es kommt eben drauf an. Wenn die Führungskraft einen neuen Kunden trifft, sollte sie die eigenen Empfindungen eher nicht nach außen tragen und nicht erzählen, dass es morgens am Frühstückstisch Krach gab. Etwas anderes ist es, wenn die Führungskraft in einer kleinen Gruppe mit Mitarbeitern sagt, dass es ihr heute nicht so gut gehe und sie deshalb vielleicht etwas weniger aufmerksam sei. Es ist also eine Frage des Kontextes, der Beziehung und der Dosierung. Wenn man sieht, wer die klassische Karriereleiter hochsteigt, dann sind das eher Menschen, die selbstbewusst sind und die sich anpassen können. Steht da Authentizität nicht im Weg? Anpassen im Sinne von sich auf neue Situationen schnell einstellen zu können, nicht aber anpassen im Sinne von Einstellungen über Bord werfen und anders handeln als es einem entspricht. Allerdings gibt es natürlich unterschiedliche Karrierewege. Und ja, die Karrieristen, die auch mal jemanden ausbooten, kommen durchaus häufig nach oben. Ich beobachte jedoch ebenfalls, dass es auch die authentischen und engagierten Leute gibt, die weiterkommen. Ich kann aber natürlich nur dann in einem Unternehmen authentisch sein, wenn die Organisationskultur mir ent-

„Authentizität ist mehr willkommen als das noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist.“

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Foto: Tim Kipphan

Für ein höheres Ziel


TITEL

spricht. Wenn diese Passung nicht existiert, wird es schwierig mit der Wir beschäftigen uns gerade mit dem Thema Risikowahrnehmung Authentizität. Generell habe ich den Eindruck, dass Führungskräfte und im Rahmen dessen haben wir auch über Mut diskutiert. Der und Mitarbeiter heute weniger als früher gezwungen sind, irgendBegriff ist sicherlich schwer zu definieren und es wurde bislang wenig dazu geforscht beziehungsweise geschrieben. eine Rolle im Unternehmen zu spielen, die ihnen nicht entspricht. Das finde ich überraschend. Es wird doch ständig mehr Mut zu Authentizität ist mehr willkommen als das noch vor einigen Jahren irgendwas gefordert. der Fall gewesen ist. Sind Menschen für Sie mutig, die zu ihrer eigenen Persönlichkeit Ja, das stimmt. Bislang hat man in der Forschung aber eher Risikostehen und authentisch sind? neigung oder Selbstvertrauen betrachtet, beides aber nicht wirklich Ja, durchaus. Nicht immer nur die beste und die rosige Seite von zusammengebracht. sich zu präsentieren und auch mal Schwäche einzugestehen, finde Trotzdem die Frage: Wie wird Mut in der Regel definiert? ich schon mutig. Ein Vorgesetzter muss nicht derjenige sein, der Es ist die Bereitschaft, für ein höheres Ziel freiwillig ein Risiko einalles besser weiß. Es ist vielmehr ein Ausdruck von Stärke anzuerzugehen und die eigene Angst zu überwinden. kennen, dass es Spezialisten gibt, die ihm auf manchen Gebieten Also Angst spielt bei Mut immer eine Rolle? überlegen sind. Das wird unterschiedlich gesehen. Ich würde sagen, sie gehört dazu, Beobachten Sie diese Einsicht zunehmend bei Führungskräften? weil es normal und richtig ist, bei Risiken Angst zu empfinden. HätJa, wir bewegen uns von einer eher autoritären Führungskultur weg ten wir keine Angst, würden wir uns viel zu leicht Gefahren ausin Richtung einer partizipativen Kultur. Und in diesem Zusammensetzen. Dennoch kann man sie überwinden und sich entscheiden, hang sehe ich auch einen entspannteren etwas zu tun, weil man ein höheres Ziel erUmgang miteinander und die Bereitschaft, reichen möchte. Schwächen zuzugeben. Wichtig ist auch Die sogenannten Weißhelme in Syrien eine wertebasierte, eine ethische Führung. beispielsweise riskieren ihr Leben, wenn Unternehmen entwickeln mit den Fühsie in zerbombte Häuser gehen und dort rungskräften und Mitarbeitern zunehmend nach Überlebenden und Toten suchen. Das Sie ist Professorin und Inhaberin des Leitlinien für gutes Handeln im Unternehfinde ich extrem mutig. Oder nehmen Sie Lehrstuhls für Persönlichkeitspsychodas Thema Whistleblowing. Menschen, die men. logie und Psychologische Diagnostik, Nichtsdestotrotz hilft Selbstbewusstsein im rechtliche oder moralische Verstöße in ihPersonal- und Sozialpsychologie an der beruflichen Alltag. Kann man das lernen? rem Unternehmen melden oder öffentlich Universität Bamberg und leitet dort das Die Forschung zeigt, dass es zwar eine gemachen, obwohl sie negative Folgen zu beKompetenzzentrum für Angewandte netische Komponente des Selbstbewusstfürchten haben, müssen in der Regel auch Personalpsychologie. Sie forscht zu seins gibt. Den etwas größeren Anteil bilden viel Mut aufbringen. Sie folgen ihren eigePersonalauswahl und -entwicklung und jedoch die Erfahrungen, die wir machen – nen moralischen Prinzipien und riskieren führt Praxisprojekte mit Unternehmen sowohl im Kindesalter als auch später. Das damit ihren Job. Viele Whistleblower sagen zu diesen Themen durch. Sie ist Autorin allerdings im Nachhinein, wenn sie gewusst heißt, man kann Selbstbewusstsein durchzahlreicher wissenschaftlicher Artikel aus lernen, beispielsweise durch Training hätten, welche Konsequenzen sie ertragen und Bücher. Zum Thema Selbstvertrauoder Coaching. müssen, hätten sie es nicht gemacht. en ist von ihr unter anderem das Buch Spannend ist die Frage, ob dieses höhere Selbstbewusste Menschen haben es im erschienen „Je selbstsicherer, desto Ziel, von dem Sie gesprochen haben, auch Beruf tatsächlich leichter. Denn wenn sich besser?“. ein rein subjektives sein kann. Oder muss jemand selbst nichts zutraut, trauen ihm es die Allgemeinheit ebenfalls als positives andere auch nichts zu. Wenn allerdings Ziel wahrnehmen? Selbstbewusstsein zur Selbstüberschätzung wird, ist eine Grenze Ja, das ist keine leichte Frage. Es ist sicherlich mutig, den eigenen erreicht. Dann wird es kontraproduktiv. Ab welchem Punkt ist die Grenze zur Selbstüberschätzung überIdealen zu folgen. Schwierig wird es, wenn die Ideale nicht von schritten? anderen geteilt werden. Denken Sie an Widerstandskämpfer oder Sich viel zuzutrauen ist erst einmal gut. Problematisch wird es dann, den Tyrannenmord. Ist ihr Ziel wertvoll genug, um ein Risiko einwenn ein Mensch nicht in der Lage ist, eigene Schwächen zu sehen zugehen? Dasselbe gilt für „Mutproben“ wie U-Bahn-Surfen oder Base-Jumping? Findet jemand das tollkühn, leichtsinnig oder mutig? und nicht mehr zuhört. So jemand schottet die positive Einstellung Das hängt davon ab, wie man das Ziel bewertet. zu sich selbst vor Einflüssen von außen ab. Er oder sie nimmt kein Feedback an und sucht die Schuld stets bei anderen. So eine EinWelche Rolle spielen andere Menschen für uns, wenn es darum stellung verhindert Lernen. geht, mutig zu sein? Kann man sagen, selbstbewusste Menschen sind eher bereit RisiFamiliäre Vorbilder spielen zum Beispiel eine Rolle. Wenn jemand ken einzugehen als andere? gelernt hat, dass es wichtig ist, das Richtige zu tun und feste, eigene Definitiv. Jemand mit viel Selbstvertrauen ist eher bereit, etwas zu Normen zu haben, bringt diese Person eine gute Voraussetzung wagen, weil er sich durch Misserfolge oder Kritik nicht aus der Bahn dafür mit, mutig zu sein. Zum Beispiel etwas zu tun, woran man werfen lässt. Menschen, die unsicher sind, versuchen meist sich glaubt, auch wenn andere Menschen dagegen sind. Oder auch anzupassen und gehen den sicheren Weg. etwas nicht zu tun. Also beispielsweise sich nicht dem Druck einer Arbeiten Sie als Wissenschaftlerin eigentlich selbst mit dem Begriff Gruppe zu beugen, wenn diese jemanden mobbt. Familie, Vorge„Mut“? Spielt der in der Persönlichkeitspsychologie überhaupt eine setzte, Kollegen oder Freunde, die ähnliche Werte und Ansichten Rolle? teilen, helfen, Mut zu zeigen. •

Astrid Schütz

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IM FOKUS

Lasst uns spielen Aus Kinderzimmern bekannt, findet es sich zunehmend in der Arbeitswelt wieder – Lego. Als geführtes Spiel ist es für Unternehmen auf verschiedene Weise einsetzbar. Ein Überblick.

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ie Methode Lego Serious Play (LSP) ist keineswegs neu. Als sich das dänische Spielwarenunternehmen in den 90er Jahren in einer Krise befand, sorgte das damalige Firmenoberhaupt für einen kreativen Ansatz. Getreu dem Motto: Was Kindern zu Kreativität verhilft, schafft dies auch bei Erwachsenen. Gemeinsam mit Schweizer Wissenschaftlern entwickelte Lego ein Konzept, das im unternehmerischen Kontext bei der Problemanalyse und Strategiefindung helfen sollte. Nach vielen Jahren der Entwicklung ging LSP Anfang der 2000er Jahre als eigene Produktlinie an den Start. Heute gewinnt LSP immer mehr an Beliebtheit. Zunehmend nutzen Unternehmen diese Methode für die Strategiefindung, Problemanalyse und Verbesserung der Kommunikation.

Jeder baut, jeder teilt „LSP erlebt aktuell einen Boom“, sagt Katrin Elster, offizielle LSP-Training-Providerin und Mitbegründerin von StrategicPlay. „Als wir 2008 starteten, hatten wir vier Trainings pro Jahr – jetzt sind es zwölf. Alle Trainings sind voll ausgebucht.“ Master-Trainerin Elster bildet zwar in mehrtägigen Veranstal62

tungen auch Freelance-Trainer aus, die Methode anzuwenden. Aktuell forciert sie aber vor allem One-Day-Trainings. Dabei schult sie Führungskräfte oder auch Personalentwickler darin, eigenständig LSP-Workshops innerhalb des Unternehmens durchzuführen. Diese Variante nutzte beispielsweise die Führungsakademie der Bundeswehr. „Davon haben die Unternehmen etwas. Wenn wir sie trainieren, haben wir die Gewissheit, dass sie LSP auch nutzen. Und Übung macht den Meister,“ sagt Elster. Denn: Manchen Freelance-Trainern falle es hingegen häufig schwer, genug Workshops zu verkaufen, sodass sie gegebenenfalls aus der Übung kommen. Das Grundprinzip von LSP: Jeder baut, jeder teilt. „Was jemand baut und teilt, ist die persönliche Sache des Einzelnen. Jeder hat innerhalb eines Workshops zwei Minuten Zeit für ein Storytelling“, sagt Elster. Die Gruppengröße sollte daher zehn Personen nicht übersteigen. Eine Sharing-Runde dauert dann 20 Minuten. Und dies könne schon langatmig sein. Für Teilnehmer sind mehrere Punkte angenehm und herausfordernd zugleich. „Alle sind gleichberechtigt, jeder wird gehört – das stellt der LSP-Prozess sicher. Niemand kann mit seiner Meinung andere runterbügeln.“ Die Methode, erst bauen, danach reden, bremse gewisse www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e

Foto: StrategicPlay®

Von Sven Lechtleitner


IM FOKUS

natürliche Impulse aus. Dadurch entstehe eine bessere Tiefe und Qualität. Erst wenn sich Teilnehmer tiefer mit einem Thema beschäftigen, können sie etwas Neues kreieren, davon ist Elster überzeugt.

Metaphern entwickeln Die Besonderheit von LSP ist, dass jeder Workshop-Teilnehmer stark involviert ist, findet Sven Poguntke, lizensierter LSP-Faciliator und Vertretungsprofessor für Design Thinking und Innovationsmanagement an der Hochschule Darmstadt. „Teilnehmer können sich nur schwer ausklinken, jeder stellt seine Gedanken dreidimensional dar.“ Für ihn ist es eine neue Art der Herangehensweise für Erwachsene. Dies bleibe bei Mitarbeitern hängen. „Für bestimmte Themen kann man mit LSP tiefgreifendere Diskussionen herbeiführen. Es gibt zudem wissenschaftliche Ergebnisse, wie sich gemeinsame Hand- und Hirn-Prozesse auswirken“, so Poguntke. Bei dieser Kreativ-Methode mit Händen zu arbeiten, sei ein wesentlicher Vorteil. Schwächen der Methode im klassischen Sinne gebe es zwar nicht. Wenn Mitarbeiter aber Lego im Zusammenhang mit Business hörten, falle bei manchen zuerst ein d ezem ber 20 1 6 / ja nuar 2017

Vorhang, weiß Poguntke. Das sei oftmals im Zusammenhang mit Strategien und Konflikten der Fall. Auf manche wirkt es zu bunt oder chaotisch. „Bei LSP geht es auch darum, Metaphern zu entwickeln. Manchen Teilnehmern fällt das schwer“, so der LSP-Faciliator. Nicht jede Methode sei etwas für jeden Mitarbeiter. Dabei sind die Anwendungsmöglichkeiten von LSP vielfältig. So kommt es teilweise in Einstellungsgesprächen bei Kreativberufen zum Einsatz. Neben der Selbstreflexion erhalten Unternehmen Einblicke, wie sich Bewerber verhalten, wenn sie plötzlich ihre Kreativität ausleben sollen. „Die Mehrzahl nutzt es aber im Rahmen von Trainings und gibt Workshops. Ebenso eignet es sich für Teambuilding mit dem Blick zurück“, sagt Pogunkte.

Es geht um Visionen

gemeinsame Erarbeiten von Visionen – einer klaren Bestimmung des Ziels. Das ist bei der Entwicklung von Strategien oder der Etablierung einer Innovationskultur der Fall, ebenso bei Veränderungsprozessen. Unternehmen können komplexe, relativ unpräzise Fragestellungen mit LSP bearbeiten. Durch die Methode gelangen sie an einen Punkt, an dem sich das Problem begreifen lässt. „Das funktioniert mit vielen anderen Methoden nicht“, so LSP-Expertin Elster. Und: Aus einem Workshop lasse sich eine kommunizierbare, klare Lösung beziehungsweise Vision ableiten. Die Methode ist sehr inklusiv – dies bringt positive Effekte mit sich. „Unternehmen können auf diese Weise über enorm viele Hierarchieebenen hinweg arbeiten. Sie bekommen eine von allen Teilnehmern getragene Lösung.“ Veränderungen gehen schließlich vom Individuum aus und werden erst dann in die Organisation getragen. •

Aus Sicht von Elster ist LSP definitiv keine multi-einsatzfähige Methode. Es funktioniere nicht bei Fragestellungen, bei denen Unternehmen schon wissen, was sie wollen – also nur der Weg dorthin unklar ist. „Wenn sie aber auf ihrem Weg von A nach B nicht wissen, was B ist, funktioniert die Methode gut“, sagt sie. Es eignet sich daher für das 63


ANALYSE

Essay Fünf Schritte zur Beschleunigung Die Herausforderungen für das Recruiting sind enorm: Der Talentmarkt ist hart umkämpft. Stellenbesetzungen dauern wesentlich länger als früher. Und die Aufgaben werden immer komplexer. Gefragt ist ein völlig neues Rollenverständnis der Recruiter. Von André Fortange

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ersonalmanager sind sich schon seit langer Zeit bewusst, dass der Wettbewerb um Talente härter wird. Mit der Zunahme neuer Technologien, die Geschäftsmodelle ins Wanken bringen sowie veränderte Kompetenzen und neue Arbeitsweisen erfordern, wächst die Nachfrage nach qualifizierten Talenten immer schneller und übersteigt die verfügbaren Kapazitäten. Basierend auf den Daten zu Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften, die mit Hilfe unseres TalentNeuron-Tools ermittelt wurden, zeigt sich, dass innerhalb der ersten sechs Monate dieses Jahres in Deutschland circa 7,7 Millionen Stellen online ausgeschrieben wurden. Das sind etwa 43.000 offene Stellen pro Tag. Wenn man zudem bedenkt, dass drei Viertel der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter bereits in einem Beschäftigungsverhältnis steht, schafft dies ein hart umkämpftes Umfeld, in dem mehrere Arbeitgeber bei dem Versuch der Rekrutierung und Bindung derselben Arbeitnehmer in direktem Wettbewerb zueinander stehen. Zudem beobachten wir zurzeit auf dem Arbeitsmarkt eine branchen- und spartenübergreifende Angleichung der erforderlichen Qualifikationen, was wiederum in bestimmten Feldern einen Engpass des Angebots an qualifizierten Talenten verursacht. Wenn dieser Trend anhält, könnten 76

Unternehmen sich mit einem extremen Wettbewerb, charakterisiert durch verzerrte Gehaltsangebote und aggressive Strategien, konfrontiert sehen. Dies alles führt zu einer zunehmend komplexen Rolle der Recruiter. Ihre Arbeitsbelastung hat sich im Laufe der letzten fünf Jahre um gut ein Drittel erhöht, da mehr und mehr Stakeholder in den Einstellungsprozess einbezogen werden müssen, es höhere Anforderungen in Bezug auf Compliance und Vorschriften zu erfüllen gilt und größere Talentpools zur Stellenbesetzung einbezogen werden müssen. Zudem verlängerte sich die Dauer des Personalbeschaffungszyklus. Der Talentmangel auf dem angespannten Arbeitsmarkt von heute hat einen entscheidenden Einfluss auf die Personalbeschaffung. Eine unserer jüngsten Studien hat gezeigt, dass es durchschnittlich 63 Werktage dauert, eine Stelle neu zu besetzen, was einen Anstieg um 21 Werktage in den letzten sechs Jahren bedeutet. Diese Verlangsamung bei Neubesetzungen kann zu Einschränkungen bei der Produktivität, Innovation und des Unternehmenswachstums führen – Produktentwicklungsinitiativen kommen ins Stocken, Produkteinführungen verzögern sich, neue Geschäftsabschlüsse können nicht realisiert werden und bestehende Kunden werden nicht optimal bedient.

Um auf diese Marktgegebenheiten zu reagieren, müssen sich Recruiter zu „Talent Advisorn“ weiterentwickeln, um die geschäftliche Wirkung voranzutreiben und einen Mehrwert für die strategische Entscheidungsfindung zu bieten. Um Fähigkeiten eines „Talent Advisors“ aufzubauen, sollten Personalleiter und ihre Teams die folgenden fünf Schritte befolgen: 1. Anwendung von wertvollem Know-how über den Arbeitsmarkt Recruiter, die über Kenntnisse zu den Arbeitsmärkten verfügen und diese einsetzen, zeigen eine um 16 Prozent bessere Leistung als diejenigen, die diese nicht haben. Diese Kenntnisse können darüber hinaus zu einer Steigerung des geschäftlichen Einflusses der Recruiter um 42 Prozent führen. Unsere Studien zeigen, dass folgende Faktoren Arbeitnehmer dazu bewegen, den Arbeitgeber zu wechseln: bessere Vergütung, ein besseres kollegiales Arbeitsklima und eine respektvollere Umgebung. Recruiter, die sich dieser Arten von Arbeitsmarktindikatoren eindeutig bewusst sind, können bessere Entscheidungen im Hinblick auf die arbeitsbezogenen Attribute treffen, die für Bewerber am wichtigsten sind – zumal sich Präferenzen zwischen den Talentsegmenten auch unterscheiden. Dieses Niveau an www. hu ma n re so u rces ma n age r. d e


ANALYSE Arbeitsmarktexpertise wird von internen Geschäftspartnern zunehmend erwartet und baut Vertrauen bei den Personalverantwortlichen auf.

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2. Wissensaufbau hinsichtlich Sourcing von Schlüsselkompetenzen Unternehmen erschweren sich den Wettbewerb um Talente, indem sie sich streng an die oft übertrieben spezifischen Anforderungen der Personalverantwortlichen halten. Tatsächlich stimmen 64 Prozent der Recruiter darin überein, dass es schwerer ist, Kandidaten zu finden, die exakt dem Kompetenzprofil entsprechen, das von den Personalverantwortlichen gefordert wird, als noch vor fünf Jahren. Daher sollten Recruiter die Personalverantwortlichen davon überzeugen, die Suchkriterien flexibler zu gestalten, aber zugleich auch eine agile Sourcing-Strategie festzulegen, die das richtige Verhältnis zwischen den Bedürfnissen des Unternehmens einerseits und der Anpassung an die Realitäten des Talentangebots auf dem externen Arbeitsmarkt andererseits findet. Darüber hinaus sollten sie ihre Suche auch auf Talentquellen jenseits konventioneller Talentpools ausdehnen und abseits von traditionellen Kanälen rekrutieren, um Kandidaten mit vielseitigerem Hintergrund zu erreichen.

Foto: Michael B. Rehders

3. Optimierung des Einstellungsprozesses durch präzisere Methoden der Bewerberauswahl Da Unternehmen bestrebt sind, strategischen Unternehmensprojekten Rechnung zu tragen, verlagert sich der Schwerpunkt der Assessment-Strategien vom menschlichen Urteilsvermögen auf datenbasierte Entscheidungen. Fast zwei Drittel der von uns befragten leitenden Mitarbeiter im Personalwesen führten die Stärkung der Fähigkeiten ihres Unternehmens, Talente zu bewerten und auszuwählen als eine der drei höchsten Prioritäten an. Heutzutage werben Recruiter nur selten Kandidaten an, ohne diese zunächst einem objektiven psychometrischen Assessment zu unterziehen. Die erfolgreichsten Assessment-Strategien beruhen dabei auf den folgenden vier Elementen: -

Eine eindeutige Festlegung der erforderlichen Kompetenzen und Fähigkei-

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ten zur Ausführung der Strategie und Realisierung der Geschäftsziele (der Stelle) Festlegung eines gleichbleibenden Vorgehens, um sicherzustellen, dass alle Kandidaten in Bezug auf die relevanten Kompetenzen, Fähigkeiten und Qualifikationen fair beurteilt werden Anwendung und Einführung zuverlässiger, objektiver und stabiler Assessment-Instrumente, um richtige und faire Einstellungsentscheidungen zu gewährleisten Verwendung von Assessment-Daten in aggregierter Form, um die Assessment-Ergebnisse aussagekräftiger und besser verwertbar zu machen

Die Ausschöpfung des Potenzials von Assessments erlaubt Unternehmen einen präziseren Einblick in die aktuellen Einstellungen, Verhaltensmuster und Fähigkeiten von Bewerbern. Der Einsatz von Assessment-Technologien und Analysen ermöglicht so die Ausrichtung der Ressourcen von Recruitern auf wertschöpfendere Tätigkeiten. 4. Zielgerichteter Einsatz von fortschrittlicher Analytik und Big Data Die Hälfte aller Personaler weltweit ist bestrebt, die analytischen Fähigkeiten im Personalwesen zu steigern. Und 70 Prozent der Personalchefs geben an, dass sie bereits relevante Erkenntnisse aus aktuellen Analysen ziehen. 73 Prozent gehen zudem davon aus, dass in den nächsten zwei Jahren Analysen ein erheblich höherer Stellenwert zukommen wird. Das Ziel in der Rekrutierung besteht darin, jederzeit mit nur wenigen Klicks auf aussagekräftige Talentdaten zugreifen zu können, um eine schnelle und zutreffende Analyse zu ermöglichen. Allerdings sind selbst die besten Analyseinstrumente nur so gut wie die Daten, mit denen sie versorgt werden. Aus diesem Grund muss die Assessment-Strategie so aufgebaut werden, dass sie der Sammlung und Nutzung von Daten Vorschub leistet, damit analytische Einblicke in den Prozess integriert und nicht nur bei Bedarf extrahiert werden können. Die wirklich aussagekräftigen, strategischen Einblicke in den Talentpool beruhen auf der Fähigkeit, interne und externe Benchmarking-Daten zur Analyse des Talentangebots und der Talentnachfrage zu nutzen. Dies hilft wichtigen Stakeholdern

bei der Orientierung zu folgenden Fragestellungen: Welche Geschäftseinheiten stellen den größten Anteil an zukünftigen Führungspersönlichkeiten? Auf welche Städte beziehungsweise Standorte sollte sich das Unternehmen in Bezug auf kritische Talentsegmente fokussieren? Welche Aspekte der Personalmarketingstrategie sind am effektivsten bei der Anwerbung der besten Mitarbeiter? Und: Welche Kombination an Fähigkeiten ist an den Unternehmens-Standorten verfügbar? 5. Steigerung des Wertschöpfungsbeitrags des Recruiting-Bereichs Recruiting-Bereiche haben oftmals Schwierigkeiten, die erforderliche Unterstützung zur Verbesserung von Geschäftsergebnissen zu leisten. Tatsächlich betrachten weniger als ein Fünftel aller Fachvorgesetzten Recruiter als effektive Partner. Gute „Talent Advisor“ lassen die Talentstrategie in die Einstellungsentscheidungen einfließen. Sie nutzen ihre tiefgehende Arbeitsmarktexpertise und präzise Datenanalysen, um Einstellungsentscheidungen zu beeinflussen und eine zielgerichtete Nachfolgeplanung zu verfolgen. Um am heutigen Talentmarkt bestehen zu können, müssen Recruiting-Bereiche sowohl schnell als auch effektiv sein. Durch die Optimierung von Sourcing-Strategien, die Rationalisierung des Einstellungsprozesses mithilfe von Assessment-Instrumenten, die Nutzbarmachung von Analysen sowie den Aufbau von „Talent Advisorn“ können nach unseren Erfahrungen Unternehmen offene Stellen doppelt so schnell besetzen. Und dass ohne dabei Qualitätseinbußen in Kauf nehmen zu müssen. Sofern sie richtig umgesetzt werden, führen all diese Aktivitäten und Investitionen außerdem zu hohen Einsparungen und leisten damit einen direkten und nachhaltigen Wertschöpfungsbeitrag.

André FortAnge verantwortet als Managing Director das Gesamtgeschäft von CEB in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) sowie das EMEA HR-Consulting-Geschäft.

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LETZTE SEITE

Schritt für Schritt Felicitas von Kyaw Vice President HR Vattenfall

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nehmen zu begleiten. Durch Self-Services und automatisierte, standardisierte Prozesse einerseits, Selbstverantwortung und -organisation andererseits „entschlackt“ sich die Personalarbeit. Das gibt Raum für Neues. Ein HR-Thema, das in Unternehmen noch immer zu kurz kommt, ist… Kundenorientierung. HR muss sich an den Kundenbedürfnissen ausrichten und die Kundenwahrnehmung in den Vordergrund stellen. Es geht um Beziehungen, Erfahrungen und Erlebnisse – Human Relations. An Schweden mag ich vor allem… den agilen Ansatz des „steg för steg“(Schritt für Schritt)-Gehens. Gutes Coaching hat die Aufgabe…, den Blick für Perspektiven und Optionen zu öffnen und so bewusste Entscheidungen zu ermöglichen. Die Umbrüche in der Energiebranche sind… herausfordernd. Die Energielandschaft ändert sich massiv und stellt neue Anforderungen an die Marktteilnehmer und deren Mitarbeiter. Ein Vorbild meiner Jugend war… meine 1900 geborene Großtante Ulla mit ihrer (guten) Haltung, einer (realistischen) Bodenhaftung und (menschlicher) Größe. Mein erstes Musikalbum war von… Elvis Presley.

Ein guter Morgen beginnt für mich… mit einem Latte Macchiatto. Ich lebe gerne in Berlin, weil… es bunt, abwechslungsreich, neugierig und lebenslustig ist. Ein Buch, das mich inspiriert hat, ist… „Little House on the Prairie“. Es zeigt das Pionierleben im Wilden Westen von Amerika. Ein Kinderbuch über Aufbruch, Entdeckergeist, Abenteuer. Der Beitrag der Personaler zum Thema Industrie 4.0… bleibt anspruchsvoll. Die besten Ideen habe ich… sprichwörtlich unter der Dusche, beim Joggen oder Malen.

FElICITAS Von KyAW arbeitet in Berlin als Vice President Human Resources für den Energiekonzern Vattenfall. Sie ist verantwortlich für die Business Area Customers & Solutions in Kontinental- und Nordeuropa. Davor war sie bei dem schwedischen Konzern Corporate Vice President Organisational Development & Change. Felicitas von Kyaw kam 2010 zu dem Energiedienstleister. Davor war sie Head of Change Management der internationalen Management-Beratung Capgemini Consulting. Sie ist systemische Beraterin und Coach.

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Foto: Julia Nimke

Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als… Babysitterin in den USA. Vattenfall ist ein guter Arbeitgeber, weil… er immer wieder jede Menge Veränderungen und damit Herausforderungen bietet, an denen man wachsen kann. Wir befinden uns in einem extremen Umbruch. Den Veränderungsprozess zu begleiten und den Dialog darüber zu führen, ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Als ehemalige Beraterin habe ich gelernt… dass Konzepte wichtig sind, die Umsetzung entscheidend ist – und die Menschen dabei den Unterschied machen. Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist… auch einmal vermeintliche Umwege – und damit neue Wege – zu gehen. Wenn ich nicht Managerin geworden wäre, dann… Mitarbeiterin? In meinem bisherigen Berufsleben hatte ich unterschiedliche Rollen inne: HR, Change and Transformation Management, Vertrieb und Marketing in Konzernen, Beratungen und Start-ups. Diese Perspektivwechsel finde ich spannend und bereichernd. Die Rolle von Personalern wird in Zukunft… relevant bleiben, nur anders werden. HR ist gefordert, sich selbst zu verändern und gleichzeitig die Veränderungen im Unter-


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