Human Resources Manager 2/19 "Erwartungen"

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Erwartungen



EDITORIAL

In Habachtstellung

Coverfoto: Jana Legler  Foto: Julia Nimke

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as Spiel mit den Erwartungen beginnt jeden Tag aufs Neue. Mit Kollegen, die sich offensiv anpreisen, um von ihrem guten Blatt zu überzeugen, und solchen, die tiefstapeln, um ein As im Ärmel zu behalten. Mit Führungskräften, die einen viel zu hohen Einsatz verlangen, um wenigstens die Hälfte tatsächlich zu bekommen, und Mitarbeitern, die sich enttäuscht abwenden, weil sie sich fühlen, als wären sie auf einen Bluff hereingefallen. Auch im Privaten ist der Umgang mit Erwartungen zuweilen zweischneidig. Ist das Ende eines 400-Seiten-Thrillers erwartbar, ist das schlecht. Findet die Tochter im Osternest die präzise georderte Einhornfigur vor – und nicht etwa eine mit elterlicher Sorgfalt und konsequent am Kindesinteresse vorbei ausgewählte Überraschung –, ist das tendenziell eher gut. Feiertage sind ohnehin eine Sache für sich. Gefährlich, weil meist absolut erwartungsgeladen, vom sagenumwobenen „schönsten Tag des Lebens“ ganz zu schweigen. Das Desillusionierungspotenzial ist immer besonders hoch, wenn wir uns vorher ein genaues Bild eines Tages, einer Situation, des Verhaltens der anderen machen. „Das habe ich nicht kommen sehen“, ist dann selten Ausdruck des Jubels. Wenn wir uns auf etwas ein-

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gestellt haben, soll das bitte genauso (oder maximal noch eine Spur besser) eintreten, sonst fühlen wir uns überrumpelt. „Expect the unexpected“, floskelt es uns derweil aus der Vuca-Welt entgegen. Jaja – was einst vermeintlich planbar und routinefreundlich war, erfordert heute Flexibilität, von tradierten Geschäftsmodellen bis hin zum wechselnden Schreibtisch im Design-Lab. Für manche kein Problem, andere, die qua Persönlichkeit weniger offen für neue Erfahrungen sind, betreten diese Welt mit Bauchschmerzen, immer auf der Hut vor der nächsten (bösen?) Überraschung. Aber lässt sich eine unerfüllte Vorannahme auch anders als mit Bitterkeit verarbeiten? Der Illustrator und Kinderbuchautor Janosch definierte klug in Duden-Manier: „Ent-täuschung: Eine Täuschung wurde aufgehoben. Etwas Besseres kann einem nicht passieren.“ Inwiefern wir überhaupt dazu in der Lage sind, unsere Erwartungen zu steuern, verrät der Psychologe JensUwe Martens im Interview zum Auftakt unserer Titelstrecke. Darin widmen wir uns darüber hinaus der Macht des ersten Eindrucks, den HR und Bewerber voneinander gewinnen, und den Forderungen der Generation Z an ihr Job­ umfeld. Außerdem werfen wir einen

Blick auf die Ansprüche, die Fachkräfte aus dem Ausland an deutsche Arbeitgeber stellen. Die eigenen drosseln, die der anderen weitestgehend erfüllen: Das Management von Erwartungen fordert den meisten von uns mehr ab, als wir uns bewusst machen. Gleichzeitig kann es Freiheit bedeuten, sich Erwartungen mal nicht zu beugen oder sie bewusst zu brechen. Statt permanent zu antizipieren und in Gehorsam vorauszueilen, nötigen uns doch oft eher die Menschen Respekt ab, die Überraschendes tun. Die so verwurzelt sind in ihrem persönlichen und professionellen Handeln, dass sie sich nicht darum scheren, andere womöglich aus der Fassung zu bringen. Wer mindestens einmal am Tag etwas Unerwartetes sagt oder tut, wird nicht nur zum besseren Pokerspieler, sondern kommt darüber hinaus auch eher auf neue Ideen. Probieren Sie es aus! Falls Sie an dieser Stelle ein anderes Gesicht erwartet hatten: In den kommenden Monaten vertrete ich HRM-Chefredakteurin Hannah Petersohn während ihrer Elternzeit. Schreiben Sie mir gern, was Sie sich vom Magazin wünschen und erhoffen, ich freue mich über Ihr Feedback an redaktion@humanresourcesmanager.de. Eine gute Lektüre!

Anne Hünninghaus, Chefredakteurin i. V. Human Resources Manager

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Editorial

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Desktop Gilbert Dietrich, Executive Direc­tor People Team bei Aperto, arbeitet am liebsten im Team

SCHWERPUNKT: ERWARTUNGEN 26 Die Macht der Erwartung Woher kommen Vorurteile? Wie vermeidet man Enttäuschungen? Ein Gespräch mit dem Psychologe­n Jens-Uwe Martens

10 Debatte aktuell Staatssekretär Björn Böhning im Interview über das geplante Recht auf Homeoffice

30 Was erwarten Sie von HRlern? Ein Betriebsratschef, ein CEO und eine Bewerberin über ihre Wünsche an Personaler

16 Innere Leere Wie lässt sich frühzeitig verhindern, dass Mitarbeiter innerlich kündigen?

34 Herzlich willkommen Beim Bewerbungsgespräch zählt der erste Eindruck. Das gilt auch für Arbeitg­eber

18 Zeigen Sie Kante! Um neue Talente zu gewinnen, dürfen Personaler ruhig mal etwas mutiger sein

38 Die neuen Player auf dem Arbeitsmarkt Die Generation Z stellt Ansprüche, an die sich manches Unternehmen noch gewöhnen muss

20 Von Anerkennung zu ­ Akzep­tanz Über den Umgang mit dem dritten Geschlecht 24 Simulierte Identität Was passiert mit uns, wenn die Kommunikation mit Dialog­ robotern Alltag wird?

42 Aber bitte mit Sahne Arbeitgeber erwarten von Mit­arbeitern meist mehr, als in den Verträgen steht. Wie lassen sich Anforderungen überprüfen? 46 Wir melden uns … Unklare Aussagen seitens der HR sorgen beim Mitarbeiter oder Bewerber für Unmut. Wie es besser geht

10 Besuch im Arbeitsministerium: Wie ist der aktuelle Stand beim „Recht auf Homeoffice“? Nachgefragt bei Staatssekretär

50 Die Geduldsfrage Der perfekte Kandidat ist gefunden, kann aber erst viel später anfangen. Was nun? 54 Mehr als ein Begrüßungspaket Was kann man tun, damit sich Fachkräfte aus dem Ausland im Unternehmen wohlfühlen?

IM FOKUS: RECRUITING 58 Bonbonbunte Bilderwelten Instagram und Recruiting – was gut ankommt und was nach hinten losgehen könnte. Fünf Ansichten 62 Spielen, bis der Job kommt Gamification im Recruiting funktioniert nur dann, wenn sie durchdacht ist 66 HR bleibt ein People Business HRler sollten abwägen, inwie- weit sie Jobbots und Robo­­Re­cruiting nutzen

Björn Böhning

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Foto: Jana Legler & Emoji Island

MEINUNG


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INHALT

VER B AN D 90 Editorial

Große Erwartungen können uns hoffnungsfroh

91 Digitale Bildung Interview mit Julian Nida-Rümelin

stimmen – oder enttäuscht zurücklassen. In der Titelstrecke klären wir, wo unsere Vorannahmen herkommen, wie wir sie beeinflussen können und

94 BPM-Programm rund um den Personalmanagementkongress

welche Rolle sie im Umgang mit Bewerbern und

95 B PM-Awards

Mitarbeitern spielen.

96 Proud2beHR

ANALYSE 68 „Politisch korrekt“ lohnt sich Ein Gespräch mit Konstantina Vassiliou-Enz von den Neuen Deutschen Medienmachern über politisch korrekte Sprache 72 Welche Kompetenzen erfordert agiles Arbeiten? Eine Studie zeigt, auf welche Fähigkeiten es im Vergleich zur traditionellen Arbeit besonders ankommt

LETZ TE SEITE 81 Meine digitale Welt Christina­ Burkhardt, Gründerin der Shiftschool, nutzt viele Apps, kann aber auch abschalten 82 Rezension Warum das klassische Consul- ting an seine Grenzen stößt, Coaches hingegen Rückenwind haben

Foto: Getty Images, LuckyBusiness & Laura Tran

RE CHT PR A X I S

84 Aktuelle Urteile

76 Manager auf Zeit An Interimsmanager werden hohe Erwartungen gestellt – darauf sollte man bei Aus- wahl und Betreuung achten

86 Essay Wie flexibel müssen Mitarbeiter in ihrer Urlaubs- und Freizeitplanung sein? 87 Impressum

80 Sieben Gedanken In der Agentur Rheingans arbe­iten die Mitarbeiter nur fünf Stunden pro Tag

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98 Fragebogen Béatrice Guillaume-Grabisch, Head of Human Resources und Business Services Nestlé, über Erwartungen an Fähig­keiten in der HR

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MEINUNG

DEBATTE

AKTUELL

„ Ich schaffe keinen Zwang zum Homeoffice“ Ein Interview von Anne Hünninghaus Fotos von Jana Legler

Herr Böhning, seit Jahresbeginn geis­ tert der Vorstoß des Arbeitsministe­ riums, ein verbindliches Recht auf mo­ biles Arbeiten zu schaffen, durch die Medien. Wie ist der aktuelle Stand? Björn Böhning: Wir wollen im zweiten Halbjahr einen Gesetzesentwurf präsentieren, der einen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten schafft. Im Moment schauen wir uns an, wie andere europäische Länder mit dem Thema umgehen. In den Niederlanden und in Skandinavien gibt es Regelungen, aus denen wir Schlüsse ziehen können: 10

Pläne des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, ein verbindliches Recht auf Homeoffice durchzusetzen, sorgen seit Anfang des Jahres für Unbehagen bei Arbeitgebern. Aber: Deutschland liegt EU-weit unter dem Durchschnitt, was flexible Arbeitsstrukturen betrifft. Staatssekretär Björn Böhning spricht über die größten Hemmnisse, die Notwendigkeit eines Kultur­ wandels und die Rolle von Personalern.

Was hilft den Arbeitnehmern und Arbeitgebern? Was schafft eine unbüro­ kratische Lösung für alle? Die bei Arbeitnehmern beliebte Home­ office-Option scheitert oft am Willen der Arbeitgeber. Wie bewerten Sie den Status quo? Derzeit nutzen zwölf Prozent der Arbeitnehmer gelegentlich Homeoffice. Rund 35 Prozent würden hingegen gerne diese Möglichkeit wahrnehmen. Offensichtlich können die bestehenden Regelungen diese Erwartungen nicht bedienen. Deshalb wollen wir da ran,

wie der Koalitionsvertrag es uns aufgibt. Dabei ist klar, dass das Auto natürlich weiterhin in der Fabrik produziert und der Patient im Krankenhaus gepflegt werden wird. Warum ist es aus Ihrer Sicht im Inter­ esse der Arbeitgeber, den Mitarbeitern entgegenzukommen? Die neue Arbeitswelt ermöglicht mehr Flexibilität. Und sie braucht sie auch. Wir leben in einem Arbeitnehmerarbeitsmarkt, sind auf dem Weg in eine Vollbeschäftigungsgesellschaft. Viele Unternehmen müssen ihre Einstellung www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e


Foto: Jana Legler

MEINUNG

also verändern, wenn sie qualifizierte Fachkräfte für sich gewinnen wollen. Das Bedürfnis nach einer attraktiven Arbeitgebermarke rückt in den Fokus. Mir schildern Personaler immer wieder, dass Bewerber in den Gesprächen nicht mehr als Bittsteller dasitzen, sondern nach Benefits fragen. Das gilt für begehrte Fachkräfte. Richtig, da muss man differenzieren. Aber mit Blick auf den demografischen Wandel verschärft sich auch in der Breite der Wettbewerb um Arbeitskräfte. Nun könnte man Ihrer Argumentation folgend vermuten, dass sich das alles ohnehin im Laufe der Zeit reguliert – auch ohne staatliches Zutun: Die Be­ triebe müssen sich bewegen, sonst gehen sie leer aus. Mich wundert es, dass die Entwicklung von modernen flexiblen Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland so langsam läuft. Das hat viel mit der hier sehr verankerten Präsenzkultur zu tun. Wie erklären Sie sich diese? Na ja, wir sind eine hochproduktive a p r il / m ai 20 1 9

Volkswirtschaft mit 45 Millionen Erwerbstätigen. In Skandinavien beispielsweise sind sehr weite Pendlerwege ein großes Thema, bei uns nicht so stark und regional unterschiedlich. Dennoch haben auch hier viele den Wunsch, mehr im Homeoffice zu arbeiten, um lange Strecken zu vermeiden. Auch wenn es in ein paar Jahren – und das wäre ja gut – eines solchen Gesetzes vielleicht gar nicht mehr bedarf: Ein gesetzlicher Push, weg von der Präsenzkultur zu kommen, ist jetzt notwendig. Ihr Koalitionspartner sieht das etwas anders. Peter Weiß, arbeitsmarktpo­ litischer Sprecher der Unionsfraktion, warnt vor fehlenden Kontrollmöglich­ keiten, wenn Mitarbeiter zu Hause ar­ beiten. Was entgegnen Sie? Die Vorstellung, dass die Arbeitswelt nur aus Kontrolle und Befolgen besteht, ist veraltet. Gute Resultate bekommt man nicht, wenn Mitarbeiter möglichst eng geführt und überwacht werden. In einem modernen Manage-

ment geht es um Ergebnisse und nicht darum, jeden einzelnen Schritt dahin zu verfolgen. Mobiles Arbeiten ist oft effizienter und effektiver, das zeigen verschiedene Studien. Hinzu kommt: Ich schaffe keinen Zwang zum Home­ office! 70 bis 80 Prozent der Beschäftigten wollen überhaupt nicht zu Hause arbeiten, um die Sphären von Job und Privatleben zu trennen. Wir entwerfen lediglich ein rechtliches Gerüst und wollen anregen, dass Unternehmensleitungen und Betriebsräte oder Arbeitgeber und Gewerkschaften darüber sprechen, wie eine individuelle Vereinbarung aussehen kann, damit Homeoffice möglich wird. Wirtschaftsminister Peter Altmaier plädiert für individuelle Lösungen statt staatlicher Einmischung. Auch die Ar­ beitgeberverbände, die sich bedroht fühlen, suggerieren: Wir bekommen das Thema schon selbst geregelt! Da sind wir uns einig. Ich möchte auch nicht, dass der Staat in betriebliche Vereinbarungen hineinredet und Details 11


TITEL 

ERWARTUNGEN

Die Macht der Erwartung

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Foto: Getty Images, LuckyBusiness

ERWARTUNGEN TITEL

Ein Interview von Heike Thienhaus

Gerade zu Beginn eines jeden Arbeitsverhältnisses stehen große Erwartungen – auf beiden Seiten. Woher rühren sie? Wann sind sie besonders mächtig? Und wie geht man mit möglichen Enttäuschungen um? Ein Gespräch mit dem Psychologen, Coach und Autor Jens-Uwe Martens

Herr Martens, sollten wir in Situati­ onen wie Bewerbungsgespräche mit Erwartungen gehen oder besser nicht? Es ist kaum möglich, keine Erwartungen an ein Bewerbungsgespräch zu haben. Erwartungshaltungen laufen automatisch ab. Wenn man beispielsweise jemandem begegnet, der eine speckige Lederjacke trägt, dessen Haare ungewaschen aussehen, hat man an ihn automatisch andere Erwartungen als an jemanden, der geschniegelt und geputzt mit Krawatte und Maßanzug vor einem sitzt. Doch genau solche Erwartungshaltungen können uns Fallen stellen. Was für welche? Mir selbst wäre das fast passiert. Ich hatte gerade mein Institut für wissenschaftliche Lehrmethoden gegründet und suchte Mitarbeiter – unter anderem für die Produktion unserer Lehrmaterialien. Eines Tages meldete meine Sekretärin einen unangemeldeten Bewerber an, der sich spontan vorstellen wollte. Er sah so aus wie die eingangs beschriebene Person. Auf meinem Schreibtisch stapelte sich die Arbeit. Meine Sekretärin schlug vor, ihn abzuwimmeln – noch bevor ich ihn überhaupt gesehen hatte. Ich hatte

keine Zeit, entschied mich aber nach kurzem Zögern, ihn kennenlernen zu wollen. Und er überzeugte mich. Um es kurz zu machen: Der Bewerber war ein sehr guter Grafiker, der zudem noch gute Kontakte zu einem Verkehrsclub hatte. Ich stellte ihn ein und wegen ihm kam ein lukrativer Auftrag mit dem Club zustande. Woher kam der Impuls, ihn doch zu empfangen? Als Psychologe wusste ich ja damals schon über die Vorurteile, die Erwartungen mit sich bringen. Ich wollte verhindern, in diese Falle zu tappen. Und ich war neugierig. Hätte ich der Erwartungshaltung nachgegeben und ihn wegen seiner ungepflegten Optik wieder nach Hause geschickt, wären mir ein brillanter Mitarbeiter und ein großer Auftrag durch die Lappen gegangen. Warum spricht man von der sogenann­ ten Macht der Erwartung? Weil wir diese Annahmen in der Regel nicht hinterfragen. Wir machen uns nicht bewusst, woher sie kommen beziehungsweise ob sie gerechtfertigt sind oder nicht. Daraus entsteht oftmals die sogenannte „Selffulfilling Prophecy“: Wir stellen Situationen

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unbewusst so her, dass sie sich auch erfüllen. Wie entstehen unsere Erwartungshal­ tungen? Vieles übernehmen wir in der Tendenz von unseren Eltern beziehungsweise von den Bezugspersonen der ersten Kindheitsjahre – sei es eine positive Haltung wie „Natürlich kann ich etwas verändern“ oder eine pessimistische wie „Ich kann eh nichts erreichen, bin Opfer meines Schicksals“. Aber es sind nicht nur die Eltern, die den Blick auf die Zukunft beeinflussen. Natürlich nicht. Die jeweilige Gesellschaft prägt ihn auch. Wir übernehmen Erwartungshaltungen von unseren Freunden und Bekannten, Lehrern, Arbeitskollegen, Nachbarn, aber auch von Institutionen wie Politik und Kirche. Und welchen Nutzen haben sie für uns? Verinnerlichen wir die Erwartungen, die unser Umfeld vorwiegend in der Kindheit an uns richtet, werden diese zu einem Teil unseres Charakters. Unsere Erwartungen, die häufig mit Einstellungen verbunden sind, helfen uns, die Welt, die uns umgibt, zu ordnen. Wenn wir zum Beispiel einem Fremden begegnen, wissen wir gleich, 27


TITEL

ERWARTUNGEN

Herzlich willkommen

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Foto: Getty Images, Vovchyn Taras

Ein Beitrag von André Schmidt-Carré

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ERWARTUNGEN TITEL

Das Vorstellungsgespräch ist vielerorts längst nicht mehr nur eine einseitige Fragerunde mit Fokus auf die Qualitäten des Bewerbers. Auch Unternehmen müssen ihrerseits einen guten Eindruck machen, um die Erwartungen von Top-Talenten zu erfüllen. Dabei geht es vor allem um Details, die eine angenehme Gesprächssituation schaffen.

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er vor einem Termin schon mal in der Empfangshalle am Firmensitz eines großen Unternehmens gewartet hat, kennt die Situation: Man geht zum Empfang, meldet sich an und wird dann häufig erst einmal sich selbst überlassen: Hinsetzen und warten. Man kann sich die Zeit vertreiben, schnappt sich irgendwann sein Smartphone und checkt Nachrichten. Hauptsächlich sitzt man aber da, wartet und fühlt sich im wahrsten Sinne des Wortes sitzen gelassen, während die großzügige Eingangshalle ihre Wirkung entfaltet, Eindruck und Macht demonstriert. „Ein solcher Ort hat auf jeden Menschen eine einschüchternde Wirkung“, sagt Susanne Schultz, Leiterin des Instituts für Raumpsychologie aus Bad Bergzabern in Rheinland-Pfalz. „Wenn dieses Warten länger als nur einen Moment dauert, schafft das Distanz und Kühle. Das ist kein guter Start für einen Bewerber, der sich vorstellen will und insofern mit einem sehr persönlichen Anliegen zum Unternehmen kommt.“ Deshalb rät die Expertin: Personalmanager sollten Jobkandidaten unverzüglich empfangen und vor dem Gesprächstermin nicht lange warten lassen. Ratgeber und Internetseiten sind prall gefüllt mit Tipps für Kandidaten, die zum Vorstellungsgespräch eingeladen sind, mit Ratschlägen zu Timing, Auftreten, Körpersprache und Kleidung. Einen guten Eindruck zu erwecken, ist jedoch auch auf der anderen Seite wichtig: Denn wenn Personaler Kandidaten nicht überzeugend gegenübertreten, ist das Vorstellungsgespräch zumindest innerlich schnell vorbei. Unternehmen gehen so im schlimmsten Fall Top-Talente verloren. In Zeiten eines immer stärker zutage tretenden Mangels an qualifizierten Fachkräften ist es deshalb wichtiger denn je, wie Personalmanager und Linienvorgesetzte im Gespräch mit Jobaspiranten auftreten und wie sie das persönliche Treffen gestalten, damit der erste Eindruck stimmt a p r il / m ai 20 1 9

– und die Chancen steigen, einen interessanten Kandidaten vom eigenen Unternehmen zu überzeugen.

Auf Nahbarkeit setzen Stimmiger Auftritt heißt: Der Bewerber fühlt sich wohl und gut aufgenommen, schließlich soll er in Zukunft viel Zeit im Unternehmen verbringen. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: „Man will den Bewerber ja so erleben, wie er im beruflichen Alltag ist, und nicht, wie er auf einer Bühne auftritt“, sagt Violeta Mikić, Beraterin für Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation aus Berlin. „Ein Bewerbungsgespräch ist zunächst einmal eine solche Bühne. Wenn ich jemanden wertschätzend behandele, habe ich aber die Chance, dass er sich öffnet.“ Ob das gelingt, hängt stark vom Start und dem viel beschworenen ersten Eindruck ab. Der so genannte Vorkontakt ist deshalb besonders wichtig. Er beschreibt den Moment, in dem Menschen sich begegnen und aufeinander zugehen. Um diesen Moment positiv zu gestalten, sollten Personalmanager sich auf ihr Gegenüber einstellen. Was sich trivial anhört, ist tatsächlich gar nicht so einfach. Denn schnell sind Sätze wie „Wie geht es Ihnen?“ und „Wie war die Anreise?“ dahingesagt, ohne dass der Fragende ernsthaft an der Antwort interessiert ist. „So etwas merken Menschen sofort. Plattitüden vermitteln ein Gefühl von Unaufrichtigkeit, von Nicht-ehrlich-Sein. Damit erzeugt man kein Vertrauen“, sagt Mikić. Personalmanager sollten in der Situation versuchen zu erkennen, wie es dem anderen geht: Ist er gehetzt oder entspannt, braucht er einen Moment zum Durchatmen oder hat er schon wie eingangs beschrieben einige Minuten allein in der leeren Empfangshalle gesessen und gewartet? „Wenn man nur floskelhaft nach der Anreise fragt, die Visitenkarte 35


TITEL

ERWARTUNGEN

Die neuen Player auf dem Arbeitsmarkt

Der Generation Z wird eine tiefe Sehnsucht nach klaren Strukturen nachgesagt.

Ein Beitrag von Thomas Trappe

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Die Generation Z drängt auf den Arbeitsmarkt – der ist aber schlecht auf sie vorbereitet. Der Nachwuchs erwartet verlässliche Strukturen und ist hochpolitisch. Unternehmen, die das nicht verstehen, können schnell ins Hintertreffen geraten.

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ERWARTUNGEN TITEL

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arie Mörtzsch wurde so erzogen, wie es sich viele Eltern heute vornehmen. „Ich habe gelernt, selbstbewusst zu formulieren, was ich denke“, sagt die 23-Jährige. „Dazu gehört, meine Wünsche zu äußern.“ Mörtzsch befindet sich in der Endphase ihres BWL-Studiums, das sie in ihrer Heimatstadt Berlin absolviert, derzeit macht sie ein Praktikum in einem IT-Unternehmen. Auch hier hat sie klare Erwartungen. „Mit Vorgesetzten will ich auf Augenhöhe reden, und ich brauche geregelte Arbeitszeiten, die mir ein Leben neben dem Job ermöglichen“, sagt sie. Keine vermessenen Forderungen, möchte man meinen. Aber so sehen es längst nicht alle: Sie blicken auf die sogenannte „Generation Z“, der Mörtzsch angehört, bestenfalls verwundert, schlimmstenfalls abschätzig. Zu faul, zu fordernd, zu wenig leistungsbereit, so lauten die gängigen Vorwürfe. Marie Mörtzsch, die seit ihrem 14. Lebensjahr arbeiten geht, kann das nicht mehr hören, und sie ist wahrlich nicht die Einzige. Die Generation Z wird kritisch beäugt wie kaum eine andere zuvor. Auch und gerade von Unternehmen und deren HR-Abteilungen. Generationen Namen zu geben ist ein beliebter Sport unter Soziologen und Buchautoren. Über die „Generation Golf“ wurde geschrieben, die „Generation Praktikum“ oder auch die „Generation Kohl“. Jahrgangskohorten mit Buchstaben zu bezeichnen, etablierte sich schon vor einigen Jahrzehnten, als man die Kinder der Babyboomer als Generation X titulierte, die sich auf dem Wohlstand der Eltern ausruhte. Es folgte die Generation Y, also die etwa ab 1980 Geborenen – angeblich äußerst leistungsbereit und flexibel, wissend um eine veränderte Arbeitswelt, die ständige Anpassung erfordert und auch eine gewisse Leidensfähigkeit. Die Zler nun sind jene, die ab ungefähr 1995 auf die Welt kamen. Die Benennung mit dem X zu beginnen, das wird jetzt deutlich, war nicht der klügste Schachzug. Denn für die Z-Nachfolge, die ab 2012 Geborenen, deuten sich bereits ernsthafte Benennungsschwierigkeiten an.

Foto: Getty Images, BrianAJackson

Abschied vom Kickertisch Bei HR-Experten sind Vertreter der Generation Z noch eine weitgehend mysteriöse Gruppe, auch wenn einige Azubis dieser Jahrgänge ihre Lehre schon beendet haben und die ersten frischen Akademiker fleißig Bewerbungen schreiben. Eingestellt sind Personaler vielmehr auf die Generation Y, deren Wünschen nach Flexibilität sie mit Homeoffice, häuslich eingerichteten Büros und den berühmt-berüchtigten Kickertischen entgegenkommen. Eigentlich hinken sie daa p r il / m ai 20 1 9

mit schon wieder eine Generation hinterher. „Das ist das grundsätzliche Dilemma“, sagt Christian Scholz, ein gerade emeritierter Professor der Universität Saarbrücken. Scholz hat die Generation Z erstmals wissenschaftlich vermessen und ein Buch über sie geschrieben. „Immer, wenn sehr behäbige Prozesse in Führungsetagen und Personalabteilungen sich auf eine neue Generation eingestellt haben“, sagt er, „steht schon wieder eine neue auf der Matte, die ganz anders tickt“. So sei es jetzt auch: Anders als ihre Vorgängergeneration mochten die Zler feste Arbeitsstrukturen, wollten aber nach Feierabend nicht mehr behelligt werden. „Dafür geben sie auf der Arbeit aber alles“, meint Scholz. Einen Kickertisch bräuchten sie nicht – Spielzeug im Büro scheint ein Symptom der älteren Generation. Scholz wundert es nicht, dass Jüngere ein anderes Verständnis von Arbeit hätten. Er machte die gleichen Beobachtungen wie fast alle, die unter die Oberfläche der Zler schauen. Diese Generation, heißt es dann, habe einfach verstanden, was die Entgrenzung von Arbeit mit ihren Vorgängergenerationen gemacht habe. Verlust von Freizeit und Freiheit, Entwertung von Familienzeit, die ständige Verfügbarkeit – all das schrecke die Jüngeren ab, nicht selten, weil ihre eigenen Familien daran zerbrochen seien. „Die vielgelobte Zeit- und Ortsautonomie im WorkLife-Blending, die viele Arbeitgeber heute anpreisen, sehen sie als das, was sie ist“, sagt Christian Scholz, „als unbezahlte Überstunden.“

Macht durch Mangel Die Generation Z ist sicher nicht die erste, die das bemerkt, aber vielleicht die erste, die daraus Konsequenzen zieht. Marie Mörtzsch jedenfalls weiß von keinerlei Differenzen zu berichten, spricht sie über die Zusammenarbeit mit Angehörigen der Generation Y. Vielmehr fühle sie sich von denen unterstützt, wenn sie sich gegen alte Strukturen ausspreche. „Die Verständnisprobleme gibt es eher mit der Generation vorher“, sagt sie. Also mit jenen alten Hasen der Generation X, die heute in Unternehmen großteils das Sagen haben – und in den Medien gelegentlich das Klagelied über die jungen Leute von heute anstimmen. Wie unter einem Brennglas wird dieser Konflikt aktuell bei den Debatten über die freitäglichen Schülerproteste in der ganzen Republik deutlich: Vor allem die Babyboomer und Xler sehen in den Protesten eine raffinierte Form des Schulschwänzens. Und die Zler müssen frustriert feststellen, dass ihnen ständig politisches Desinteresse vorgeworfen wird, und nun, da sie auf die Straße gehen, wahlweise Unwissen oder Faulheit. 39


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ERWARTUNGEN

Aber bitte mit

In vielen Jobprofilen gibt es die lange Liste mit Anforderungen. Dabei sind Erwartungen an Mitarbeiter oftmals mehr als eine bloĂ&#x;e Zielvorgabe. Foto: Getty Images, Magone

Ein Beitrag von Sven Lechtleitner

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ERWARTUNGEN TITEL

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b Kompetenzen, Qualifikationen oder Eigenschaften: Die Aufzählung notwendiger Anforderungen für den Job findet sich in nahezu jeder Stellenausschreibung. Zu Recht. Schließlich sollen alle Beteiligten – insbesondere potenzielle Bewerber – wissen, was es für die erfolgreiche Bewältigung der Aufgaben braucht. Ein Blick in den Arbeitsvertrag hingegen lässt nur vage vermuten, welche Erwartungen der Arbeitgeber an seinen Mitarbeiter stellt. Und dennoch gibt es sie – die Erwartungshaltung, die über Stellenausschreibung, Arbeitsvertrag und Zielvorgabe hinausgeht. Insbesondere dann, wenn für den Job ein gewisses Auftreten, eine besondere Haltung oder eine bestimmte Einstellung gefragt sind. Betrachte man nur einmal die Beratungsbranche, in der Kundenunternehmen ein seriöses Erscheinungsbild in Anzug oder Kostüm erwarten. Oder die Hotellerie, in der Personal über eine gewisse Etikette verfügen muss. Und dann gibt es noch Erwartungen, wie besonderes Engagement oder das Fertigstellen von Projekten – egal wie spät es am Abend wird. Doch wie lässt sich das Erwartete vermitteln, fixieren oder gar überprüfen?

Erwartungen im Auswahlgespräch mitteilen „Arbeitgeber erwarten oft, dass Beschäftigte mehr als nur Dienst nach Vorschrift machen – also Kollegen unterstützen, Engagement zeigen oder mal Überstunden machen“, sagt Florian Kunze, Managementforscher und Leiter des Lehrstuhls für Organisational Studies an der Universität Konstanz. Das stehe nicht unbedingt im Arbeitsvertrag oder einer Zielvereinbarung, sei aber trotzdem gewünscht. Seine Erfahrung zeigt, dass sich Vorgaben und Erwartungen häufig auf die Arbeitsnorm – hinsichtlich Anwesenheit und Mehrarbeit – beziehen. Welches Auftreten im Unternehmen gewünscht sei, erkenne ein Mitarbeiter schnell im betrieblichen Alltag. Als Beispiel führt Kunze das Management mana p r il / m ai 20 1 9

cher Konzerne an, das sich Start-up-Mentalität abgeschaut hat: Jeans und Sneaker statt Anzug mit Krawatte. Erwartungen hinsichtlich Haltung und Auftreten zählen für Kunze zu organisationalen Normen. Diese sind nicht unbedingt definiert, äußern sich aber in Handlungen der Belegschaft oder der Führungskräfte. Oftmals erfolge deren Vermittlung schon in Auswahlprozessen – teils bewusst, teils unbewusst. So passe der neue Mitarbeiter fast automatisch zu der vorherrschenden Erwartungshaltung. „Unsere Erwartungen kommunizieren wir im ersten Kontakt mit Bewerbern“, sagt Goran Barić, Geschäftsführer der Page Group Deutschland. Kandidaten in der finalen Runde können einen Tag im Unternehmen verbringen und das Business kennenlernen. Die Personalberatung geht offen mit ihren Erwartungen um. Die Unternehmenswerte hängen für jeden gut sichtbar in den Büros an der Wand. Bei zukünftigen Mitarbeitern achtet Barić darauf, dass sie diese Werte bereits in sich tragen. Der Teamgedanke ist Grundvoraussetzung. Wer nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht sei, möge vielleicht Erfolg für das Beratungsgeschäft versprechen, passe aber nicht in das Konzept. Von ihren Beratern erwartet die Page Group Eigeninitiative und den Mut, Einfluss zu nehmen. Ebenso brauche es Resilienz. Es sei wichtig, mit Misserfolgen umgehen zu können und sich nach einer Niederlage selbst wieder zu motivieren. Auf Managementebene erwartet Barić von sich und seinen Mitarbeitern integres Handeln und Glaubwürdigkeit. Eine Führungskraft müsse ihre Versprechen halten und bereit dazu sein, Entscheidungen zu treffen.

Austausch und Kommunikation Für Ulrich Bensel, Vice President Corporate Human Resources bei der Deutschen Hospitality, sind insbesondere Verlässlichkeit, Loyalität und Respekt wichtige Schlüsselbegriffe, wenn es um die Erwartungen an die Belegschaft geht. Bereits in Auswahlgesprächen achtet das Hotelunterneh43


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ERWARTUNGEN

Wir melden uns … Ein Beitrag von Anna Friedrich

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Oft äußern sich Personalverantwortliche gegenüber Bewerbern und Mitarbeitern schwammig, in den meisten Fällen aus gutem Grund. Unsaubere Kommunikation weckt jedoch schnell falsche Hoffnungen. Häufige Floskeln – und die Alternativen dazu www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e


ERWARTUNGEN TITEL

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ertschätzung gleich null.“ So betitelt ein Bewerber seine Erfahrung bei einem großen deutschen Industriekonzern auf dem Online-Bewertungsportal Kununu. „Leider vergessen viele Firmen, dass während eines Vorstellungsgesprächs auch Werbung für die Firma gemacht wird. Keine offene und ehrliche Kommunikation“, heißt es dort. Mit diesem Eindruck ist der Bewerber nicht allein: In der Kategorie „Wertschätzende Behandlung“ vergeben die 191 Bewertenden im Schnitt nur eine magere 3,06 – bei einer Maximalpunktzahl von fünf. Klickt man sich durch die Bewertungen verschiedener Firmen, wird schnell klar: Viele Arbeitgeber nehmen es mit einer konstruktiven Rückmeldung nicht ganz so genau. Ein solches Verhalten kann Unternehmen wertvolle Talente kosten. Einer Umfrage des Job-Portals Indeed zufolge haben 22 Prozent der befragten Kandidaten schon einmal ein Stellenangebot nicht angenommen, weil sie sich während des Bewerbungsprozesses nicht ausreichend wertgeschätzt fühlten. Dazu kommt: Viele erwarten schon gar keine Status-Updates zu ihrer Bewerbung mehr. Die Hälfte aller Befragten hält es laut Indeed für unwahrscheinlich oder sogar für sehr unwahrscheinlich, dass sie vom Unternehmen regelmäßig über den Stand ihrer Bewerbung informiert werden. Ein alarmierendes Signal, denn die Kommunikation mit Personalern ist der erste Kontakt, den Interessierte mit einer Firma haben. Umso wichtiger ist es, sie nicht mit schwammig formulierten E-Mails, mangelnden Status-Updates oder fehlenden Rückmeldungen zu verärgern. Das gilt natürlich in gleichem Maße für bestehende Mitarbeiter: Auch sie werden häufig mit unklaren Aussagen hingehalten. Ob es um eine Vertragsverlängerung, eine interne Bewerbung oder neue Karriereperspektiven geht: Schwammige Formulierungen erkaufen Personalmanagern zwar Zeit, sorgen aber für Unzufriedenheit in der Belegschaft. Dabei gilt es zu bedenken, dass sich Personaler nicht aus bösem Willen so verhalten. Ungenaue Sprache oder verzögerte Rückmeldungen haben meist gute Gründe. Dennoch gibt es die eine oder andere Stellschraube, an der HR-Verantwortliche drehen können.

„Wir melden uns bei Ihnen.“ Mit diesem Satz verschaffen sich Personaler einen Zeitpuffer. Denn sie wissen: Die endgültige Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten fällt in der Regel nicht in der HR-Abteilung, sondern im jeweiligen Fachbereich oder dia p r il / m ai 20 1 9

rekt in der Chefetage. „Komplexe Prozesse und viele Akteure sorgen häufig für Verzögerungen“, sagt Armin Trost, Professor an der Hochschule Furtwangen. Um die Kollegen nicht bloßzustellen, wählen Personaler daher lieber unkonkrete Formulierungen. Dazu kommt: Viele tun sich schwer damit, im Recruiting-Prozess die Kontrolle zu behalten und ihn zu steuern. „Andere Abteilungen sind da durchaus selbstbewusster“, sagt Trost. Er beobachtet: HR-Experten sehen sich häufig als interne Dienstleister für die Fachbereiche und ordnen sich unter.

So geht es besser: Hier gilt: Warten Jobkandidaten zu lange auf eine Rückmeldung, entscheiden sie sich womöglich für einen anderen Arbeitgeber. Eine Formulierung wie „Wir melden uns bei Ihnen innerhalb von zehn Werktagen“ zeigt, dass das Unternehmen zwar Zeit für eine sorgfältige Prüfung der Unterlagen braucht, aber dennoch interessiert ist. Auch intern herrscht nun mehr Verbindlichkeit: „Die Personalabteilung sollte sich mit dem Fachbereich auf einen klaren Zeitplan einigen“, sagt Trost. „Wer sich nicht daran hält, wird zur Pflicht gerufen.“ So stärken Personaler nicht nur ihre Position im Unternehmen, sondern vermeiden auch unnötige Verzögerungen im Bewerbungsprozess. Jeder HR-Manager weiß: Er muss immer im Sinne des Unternehmens agieren. Falls es also mit dem Zeitplan doch einmal nicht klappen sollte, müssen Personaler das den Bewerbern klar kommunizieren. „Jeder hat Verständnis, wenn es mal etwas länger dauert“, sagt Klaus Becker, geschäftsführender Partner der Personalberatung Becker und Partner. Es komme eben darauf an, wie man damit umgeht.

„Die Ergebnisse waren sehr vielfältig.“ Diese Floskel lesen Bewerber häufig als Rückmeldung auf ihre Teilnahme an einem Assessment-Center. Übersetzt heißt das nichts anderes als: Andere Kandidaten waren besser. Die schwammige Aussage ist dabei Taktik: „Personalverantwortliche müssen vermeiden, genau zu erläutern, aus welchem Grund ein Kandidat möglicherweise die entsprechende Position nicht bekommt“, erläutert Martina Niemann, Vice President Lufthansa HR Management. Denn: Der Kandidat darf keine Anspruchsgrundlage für eine Klage gegen das Auswahlverfahren haben. „Das deutsche Arbeitsrecht ist hier sehr streng und arbeitnehmerfreundlich“, sagt 47


BONBONBUNTE BILDERWELTEN IM

FOKUS

RECRUITING

Ein Beitrag von Marius Lauer

Fünf Personaler und EmployerBranding-Experten berichten, wie sie die Social-Media-Plattform Instagram nutzen, worauf es ankommt – und welche Ideen nach hinten losgehen können.

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uf dem weißen Designertisch steht eine Obstschale aus dunklem Holz. Knackige rote und grüne Äpfel liegen darin, fleckenlose Bananen, Ananas und Pfirsiche. Die Szene ist im schönsten Licht fotografiert. Darunter steht: „Frisches Obst im Büro“, dazu Hashtags wie #work, #healthy und #fruitporn. Fertig ist das perfekte Instagram-Bild, um potenzielle Bewerber zu begeistern. Oder? Längst spielt Instagram bei Recruitern eine große Rolle. Vor allem junge Menschen sind auf der Plattform, auf der hauptsächlich Fotos und Videos geteilt werden, aktiv: 65 Prozent der Nutzer sind zwischen 18 und 34 Jahre alt, belegt eine aktuelle Erhebung von Instagram und dem Datenanbieter Data Reportal. Eine Analyse der University of Massachusetts aus dem Jahr 2018 zeigt: Von den 500 weltweit umsatzstärksten Unternehmen nutzten im vergangenen Jahr 63 Prozent die Plattform. Doch wie gelingt ein ansprechender Auftritt? www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e


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„INSTAGRAM IST EINE UNTERHALTUNGSPLATTFORM, IRONIE UND WITZ GEHÖREN DAZU“ Jörg Schleburg ist Employer-Branding-Experte und be­ rät mit seiner Münchener Agentur „Von Vorteil“ Un­ ternehmen, die eine eigene Marke aufbauen wollen.

Foto: Privat (2) & Emoji Island

„Wer im Netz das millionste Bild von einer Obstschale postet, kann darauf keine großen Reaktionen erwarten. Auf Instagram müssen die Beiträge originell und von hoher Qualität sein – inhaltlich und optisch. Ein Unternehmen braucht eine Kommunikationsstrategie: Was will es erzählen? Zu welchem Ergebnis soll der Beitrag führen? Um bekannter zu werden, eignet sich bezahlte Werbung. Das Unternehmen kann festlegen, wer die Anzeigen sehen soll – Kriterien sind beispielsweise Standort, Interessen und Alter der Zielgruppe. Dafür bietet Instagram verschiedene Bezahlvarianten: pro Klick, nach Reichweite und nach Interaktion. In seinen Beiträgen sollte sich das Unternehmen nicht zu ernst nehmen. Man muss ausprobieren und notfalls korrigieren. Instagram ist eine Unterhaltungsplattform, Ironie und Witz gehören dazu. Dinge können auch mal aus dem Kontext fallen: Postet etwa die Müllabfuhr das Foto einer Schale mit frischem Obst, steht das im Gegensatz zu den Produkten, die sie täglich entsorgt. Dieser Kontrast könnte auf Instagram funktionieren.“

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FOKUS

„WICHTIG IST DIE KOMMUNIKATION MIT DEN NUTZERN“ Simon Hegewald ist Social-Media-Manager in der Re­ daktion „Bundespolizei Karriere“ und Einstellungsbera­ ter der Bundespolizeiakademie. Der Instagram-Account @bundespolizeikarriere hat mehr als 70.000 Follower. „Wir wollen zeigen, dass die Bundespolizei nicht dasselbe ist wie die Länderpolizei – dafür gehen wir auch mal ungewöhnliche Wege. Unsere Hauptzielgruppe sind Schüler, deshalb haben wir mit dem Influencer Felix von der Laden zusammengearbeitet. Er hat auf Youtube mehr als drei Millionen Follower und bei Instagram rund zwei Millionen. Für uns hat er einige Stories gemacht – eine Funktion auf Instagram, mit der sich Bilder oder Videos 24 Stunden lang abspielen lassen. Darin zeigte er, wie die Ausbildung bei der Bundespolizei abläuft. Man sieht ihn beim Sport, im Rechtsunterricht und im Gespräch mit anderen Auszubildenden. Ganz wichtig ist auf Instagram die Kommunikation mit den Nutzern. Unser siebenköpfiges Social-Media-Team duzt sie, was man von Polizisten sicher nicht erwartet. Darüber hinaus setzen wir auf eigene Hashtags. #bundespolizei und das Hashtag zu unserer Kampagne #MitSicherheitVielfältig sind die wichtigsten. Teil der Kampagne ist die Serie „Im Einsatz mit …“, mit der wir potenziellen Kandidaten unseren Alltag näherbringen wollen. Nutzer sehen dort Lisa vom Bundespolizei-Flugdienst im Helikopter, sind mit Theresa und Patrick beim Grenzschutz an der deutschöster­reichischen Grenze unterwegs oder laufen mit Jamie von der Bahnpolizei durch den Münchener Hauptbahnhof. Die Serie erreicht auf Instagram bis zu 100.000 Nutzer.“ 59


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„ Politisch korrekt“ ­ lohnt sich


Foto: Flickr_IngolfBLN

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Ein Interview von Heike Thienhaus

Sprache kann aufklären, vermitteln oder diskriminieren. Wer mit ihr arbeitet, trägt Verantwortung und sollte sich darüber bewusst sein, was seine Worte bewirken. 2014 gab die NGO „Neue Deutsche Medienmacher“ ihr erstes Glossar zu politisch korrekter Sprache heraus. Im Interview erklärt Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz, was dahintersteckt.

Frau Vassiliou-Enz, warum brauchen wir eine politisch korrekte Sprache? Konstantina Vassiliou-Enz: Jeder Mensch hat die freie Wahl, sich zu entscheiden, wie er kommuniziert. Dennoch sollte man sich Gedanken machen, ob die Wörter und Formulierungen, die man benutzt, auch wirklich das vermitteln, was man sagen möchte. Und wenn man andere Menschen eben nicht mit voller Absicht ausgrenzen oder verletzen möchten, hilft politisch korrekte Sprache. Die Neuen Deutschen Medienmacher haben 2013 ihr erstes Glossar zu po­ litisch korrekter Sprache herausgege­ ben. Was war der Auslöser? Die Morde der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund. Als bekannt war, dass es Neonazis waren, die gemordet hatten, kursierten in der Berichterstattung immer noch Begriffe wie „Dönermorde“. Daraufhin entwickelten wir Formulierungshilfen mit vier oder fünf Begriffen, die damals in den Medien verwendet wurden. Wir haben darauf hingewiesen, dass da keine Döner, sondern Menschen er-

mordet wurden. Und dass in unseren Augen das Motiv „Fremdenfeindlichkeit“ in der Berichterstattung eine Täterperspektive beschreibt. Die Toten waren ja nicht Fremde wie Touristen. Sie haben alle seit vielen Jahren in Deutschland gelebt. Was war Ihrer Meinung nach die kor­ rekte Bezeichnung? Wir empfahlen, das Motiv als rassistisch oder rechtsextremistisch zu benennen. Unsere Formulierungshilfen wurden damals heftig diskutiert, woran sich zeigte, dass hier großer Bedarf besteht. Einfach weil wir alle unter Zeitdruck arbeiten und oft Formulierungen übernehmen, ohne uns groß Gedanken über ihre Wirkung zu machen. Wer legt bei Ihnen fest, was politisch korrekt ist? Mehr als zwei Jahre lang entwarfen wir das Glossar zusammen mit Leuten aus Wissenschaft und Verwaltung, verschiedenen Communitys, und natürlich mit vielen Journalisten. Wir diskutierten zuerst darüber, wo und bei welchen Themen es überhaupt

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Schwierigkeiten mit Formulierungen und Bezeichnungen gibt, und warum Betroffene damit ein Problem haben. Dann überlegten wir uns alternative Begriffe. Daraus entstand das Glossar, was immer wieder mit Experten überarbeitet und erweitert wird. Gibt das Glossar nun vor, was sprach­ lich richtig und was falsch ist? Das kann man so sehen. Es geht ja häufig nicht nur um „Political Correctness“, sondern um Präzision in der Sprache. Also warum es zum Beispiel nicht richtig ist, pauschal von Migranten zu sprechen, wenn Leute mitgemeint sind, die nie migriert sind. Unsere Absicht ist es eher Orientierung und Einblicke zu geben, um zu verstehen, wie manche Bezeichnungen bei den Leuten ankommen, die damit beschrieben werden. Das hilft, um mit anderen Menschen so zu kommunizieren, dass sie sich adäquat angesprochen und nicht diskriminiert fühlen. Inwieweit sind die Formulierungshilfen für Unternehmen wichtig? So wie ich spreche oder schreibe, nehmen mich die Menschen wahr. Das 69


LETZTE

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Frau mit Durchblick

Nach Jahren als Managerin großer Konzerne entschied ich mich für die Position als Head of HR, weil … Menschen bei mir immer im Mittelpunkt waren, sind und sein werden. Ich erwarte von meinen Teammitgliedern … Integrität, Teamgeist und leistungsorientiertes Handeln. Von mir erwarte ich, dass … ich die mehr als 300.000 Nestlé-Mitarbeiter stark und erfolgreich während der Transformationsphase unseres Unternehmens unterstützen und weiter­entwickeln kann. Von meinem ersten Geld kaufte ich … mir einen Peugeot 205 Junior, um mit Freunden überall hinreisen zu können. Ein Vorbild meiner Jugend war … Nelson Mandela, denn er hat sein Leben für die Menschenrechte eingesetzt. Heute bewundere ich … Sportler, die sich trotz vieler Höhen und Tiefen motivieren, um in jedem Wettkampf Höchstleistungen zu bringen. In einem anderen Leben wäre ich gerne Archäologin geworden, weil … die Vergangenheit einer Zivilisation vieles über die Gegenwart und die 98

Zukunft der jeweiligen Kultur erklärt. Ich wurde dann aber Managerin, weil … ich gern mit Menschen erfolgreich an Innovationen und Businessentwicklung arbeite. Ich rate Frauen, die eine Führungs­ position anstreben, dass …. sie an sich selbst glauben, sich vieles zutrauen und sich beruflich stark vernetzen. Ein guter Morgen beginnt für mich … mit einer oder sogar zwei Tassen Kaffee. Fähigkeiten, die Personaler dringend brauchen, sind … Empathie für die Anliegen der Menschen und gleichzeitig die Gabe, sich für die Ziele und Notwendigkeiten des Unternehmens einzusetzen. Typisch französisch an mir ist … auf schöne Momente und Erfolge mit Freunden mit einem Glas Champagner anzustoßen. Und typisch deutsch fühle ich mich in Momenten, in denen … ich gezielt, strukturiert und diszipliniert arbeite. HR sollte sich in der Zukunft mehr konzentrieren auf … die Team- und Mitarbeiterebene und

hier Change, Speed und Agility unterstützen. Auf Firmenebene sollte HR die Kultur des Unternehmens weiter verstärken – basierend auf Purpose, Diversity und Inclusion. Deutschland unterscheidet sich als Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich vor allem durch … eine gut laufende Wirtschaft mit sehr niedriger Arbeitslosenquote. Ein Lebenslauf ist dann interessant, wenn … er nicht nur die Karriereschritte dokumentiert, sondern auch über die Persönlichkeit des Kandidaten und seine einzigartigen Fähigkeiten Aufschluss gibt.

Béatrice Guillaume-Grabisch ist seit Januar 2019 Head of Human Resources und Business Services bei der Nestlé S.A. in der Schweizer Konzernzentrale. Sie arbeitet bereits seit 2013 bei Nestlé, war unter anderem von 2015 bis 2018 Vorstandsvorsitzende von Nestlé Deutschland. Ihre frühen Berufsstationen führten über Colgate in Paris, Beiersdorf in Hamburg zu Johnson & Johnson in Düsseldorf. Danach war sie unter anderem bei Coca-Cola als Präsidentin Deutschland.

www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e

Foto: Laura Tran

Der die erste Job, lle des o R e zukünftig e rs oder ein Personale : re tü k e L de inspirieren und r re h fü s ft chä HRler, Ges orten eben Antw g r e g g Blo gen o b e m Frag in unsere n te tz e auf der „L Seite“.

Béatrice Guillaume-Grabisch ist seit Januar 2019 als Head of Human Resources und Business Services in der Schweizer NestléKonzernzentrale für mehr als 300.000 Mitarbeiter verantwortlich.


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