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�������� 100 Ausgaben p&k: Die Leser haben ihr Lieblingscover gewählt
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EIN REVOLUTIONÄR, DER NICHTS ERREICHEN WILL. DAS NULL-EMISSIONSAUTO. FÜR UNS DER NÄCHSTE SCHRITT. Mirco Schwarze ist einer von über 100.000 Mitarbeitern beim nachhaltigsten Automobilhersteller der Welt.* Und er hat ein Ziel: Das Null-Emissionsauto. Erfahren Sie wie Mirco Schwarze und sein Team mit dem BMW ActiveE eine Revolution auf den Weg brachten. Mit dem Start des BMW i3 in diesem Jahr ist das Ziel jetzt zum Greifen nah. Jetzt Film ansehen.
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Redaktionstagebuch DIE WAHL IST NOCH NICHT GELAUFEN
Im August Für die 100. Ausgabe von p&k haben wir den bekannten Karikaturisten Klaus Stuttmann gebeten, das Cover zu gestalten – natürlich mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl. Stuttmanns Sicht der Dinge scheint klar: Die übermächtige Merkel wird die Wahl gewinnen; es fragt sich nur, wen sie sich zum Koalitionspartner erwählen wird. Deshalb die Unterschrift: Die Wahl ist noch nicht gelaufen. In einem ganz anderen Sinne würden wohl die SPD und die Piraten diesen Satz verstanden wissen wollen. Für unserer Titelstrecke zur Wahl 2013 haben wir die beiden Parteien, die im Umfragetief festzustecken scheinen, im Wahlkampf-Endspurt begleitet und ihren Kampf um Last Minute Swing und Fünf-Prozent-Hürde verfolgt – immer in der Hoffnung: Die Wahl ist noch nicht gelaufen.
STRESS AB DREI
Im August Die Idee, Klaus Stuttmann für die Gestaltung des Covers unserer Jubiläumsausgabe zu gewinnen, entstand übrigens beim p&k-Gespräch mit ihm und seinen Karikaturisten-Kollegen Barbara Henniger und Rainer Ehrt. Gut gelaunt gaben die drei einen Einblick in ihren Arbeitsalltag. Bei Stuttmann, der vorwiegend tagesaktuell arbeitet, ist er stark vom Redaktionsschluss seiner Auftraggeber geprägt. Bis halb fünf Uhr nachmittags muss seine Karikatur bei den Zeitungen sein, und das sechs, sieben Mal pro Woche. Da gerate er schon etwas in Stress, wenn er bis drei Uhr noch keine Idee habe. Henniger tat er sichtlich leid: Sie selbst sei ja gewissermaßen Rentnerin und zeichne nur noch zum Vergnügen. Worau�in Stuttmann konterte: „Ich zeichne auch zum Vergnügen, aber au�ören könnte ich nicht!“ Anzeige
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SCHWITZENDE GENOSSEN
Im August Die Sozialdemokraten sind in den heißen Augustwochen allerdings nicht nur wegen der schlechten Umfragewerte ins Schwitzen gekommen. Mit der Klimaanlage im Willy-
TK-Pressestelle
Fotos: Laurin Schmidt (3)
Pressesprecherin Dorothee Meusch Bramfelder Straße 140 22305 Hamburg Tel. 040 - 69 09-17 83 Fax 040 - 69 09-13 53 pressestelle@tk.de www.tk.de
Brandt-Haus ist es nämlich so eine Sache. Ökologisch sollte sie sein, erzählt Generalsekretärin Andrea Nahles während eines Rundgangs in der Kampa. Und fügt scherzend hinzu: „Klar ist die ökologisch, denn sie funktioniert ja nicht.“ Das gute Stück ist eine Hinterlassenschaft der ehemaligen Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier. Ein Trost für die schwitzenden Genossen: Auch die Piraten haben keine Klimaanlage – und außerdem nur einen Festnetzanschluss. pol it i k & komm un ika t ion | Sept e mbe r 2 0 1 3
Der direkte D ra h t
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Inhalt
politik&kommunikation 5/13 – September 2013
26 Anvisiert
54 Karikiert
60 Prämiert
Miese Umfragewerte, personelle Querelen, Wahlkampf-Pannen: SPD und Piraten haben bis zur Wahl noch einiges gut zu machen. Zwei Geschichten.
Sie nehmen die politische Klasse aufs Korn: Die Karikaturisten Barbara Henniger, Klaus Stuttmann und Rainer Ehrt im p&k-Interview über ihr Verhältnis zu Politikern.
Für die 100. Ausgabe wollte p&k von den Lesern wissen, welches ihr Lieblingscover ist. Es gewann der klare Himmel über „Bonn“ vor dem „Großen Kino“.
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32 „Die CDU muss aufpassen“ Meinungsforscher Richard Hilmer im Interview von Christina Bauermeister 36 Dr. Gallup fühlt den Puls p&k-Historie: Teil 20 von Marco Althaus 38 Von wegen US-Import Zwei Wahrheiten zum Negative Campaigning von Christina Angela Rauh und Annemarie Walter
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Meldungen Keine Antwort, Merkels Freunde
������� 12 Schon gehört? - Lange nichts gehört! Im Porträt: Nadine Schön (CDU) und Reinhard Bütikofer (Grüne) von Christian Lipicki 14 Diskriminiert das deutsche Wahlrecht Menschen mit Behinderung? Pro und Kontra von Markus Kurth und Reinhard Grindel ������ ���� 16 Youngsters im Anmarsch Norbert Müller (Die Linke) und Max Koziolek (FDP) im Porträt von Nicole Tepasse 22 Wahlen in Hessen und Bayern Interviews mit Thomas Holl und Ulrich Berls von Felix Fischaleck 24 Wie erlebt das Ausland den deutschen Wahlkampf? Ausländische Journalisten berichten 25 „Sechs Stunden Schlaf, sonst wird das nix“ Tipps von Johannes Kahrs und Martin Fuchs für den Wahlkampf-Endspurt 26 Norma-Markt und Wahlkampfindex Vor Ort in den Wahlkampfzentralen von SPD und Piraten von Christina Bauermeister 30 „Die Union ist ausmobilisiert“ Interview mit Andrea Nahles von Christina Bauermeister und Martin Koch
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52 Kompakt 54 „Merkel zeichne ich blind“ Drei Größen der Karikaturszene im Interview von Nicole Alexander und Kim Döpke 58 Bücher und TV �����
44 Kompakt 46 Digitale Wunder Vorwort des neuen Buches zum ObamaWahlkampf von Teddy Goff 48 „Graswurzelbewegungen verändern die Welt“ Obamas Top-Wahlkämpfer Marlon Marshall im Interview von Nicole Alexander
60 100 Ergebnisse der p&k-Coverumfrage 62 Who’s Where der Interessen 64 Wahlkampf mit Rucola und Wikipedia Test: Wie schnell antworten die Parteien? 66 Personen und Karriere 70 Karrierekurve Thorsten Schäfer-Gümbel 72 Gala Die wichtigsten Events 76 Ossis Welt Das Politikbilderbuch 78 Porträt in Zahlen Tarek Al-Wazir 80 Mein Lieblings... p&k befragt Bundestagsabgeordnete nach dem, was ihnen lieb ist 81 Politikkalender Die Top-Termine im September
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50 Rhetorik
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�������� 40 Kompakt ������ ������� 42 Streiten mit Schiedsrichter Was Mediation leisten kann von Anatol Itten und Lillemor Ullrich �������������
Redaktionstagebuch Liebling des Monats Ein Kind der Berliner Republik p&k-Chefredakteurin Nicole Alexander zur 100. Ausgabe von p&k 82 Letzte Seite pol it ik & kommunikation | September 2013
Cover-Illustration: Klaus Stuttmann / Fotos: Laurin Schmid
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Foto: Archiv
Liebling des Monats: Siegfried Kauder Demokratie, nein danke. Das dachte sich wohl der kleine Bruder von Volker Kauder, als er sich entschied, auf das innerparteiliche Votum der CDU zu pfeifen. Die Mehrheit wollte Thorsten Frei als Direktkandidaten des Schwarzwald-Baar-Kreises sehen, nur einer sah das nach über zehn Jahren im Bundestag gar nicht gern: Siegfried Kauder. Wie einst die deutschen Kaiser klammert
er sich weiter an die Macht. Getreu dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht, wählte sich Kauder einfach selbst zum Direktkandidaten. Ohne Partei reicht zum Glück auch eine Stimme zur absoluten Mehrheit – Enthaltungen gab es keine. Und die CDU? Betrachtet man das Gebaren der Partei, wird die Zukunft der Union wohl im Schwarzwald-Baar-Kreis entschie-
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den. Von Schäuble bis zum Bruder herrscht Einigkeit darüber, dass der Gegenkandidat nicht geduldet werden kann. Dem Querulanten droht jetzt der Parteiausschluss, weil er der Partei Schaden zufügen würde. So etwas kann man in der CDU nicht gebrauchen, dafür hat man schließlich schon die CSU. So mancher zweifelt gar am Verstand des nach Macht gierenden Juristen, der schon erfolglos gegen
das Transparenzgesetz klagte. Tritt er einfach aus der Partei aus, würde er die Zweifler Lügen strafen. Doch Kauder hat sich in Berlin wohl schon einiges von Merkels Flexibilität abgeschaut. Er bleibt konsequent inkonsequent: Trotz allem was passiert ist, will er in dem „Abnickverein“, in dem „niemand mehr Eier hat“, bleiben – schön, wenn man weiß, wo man hingehört.
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100. Ausgabe
Ein Kind der Berliner Republik politik&kommunikation feiert die 100. Ausgabe! Höchste Zeit für eine kleine RÜCKSCHAU auf die Anfänge des Jubilars.
VON N I C O L E A L E X A N D E R
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eptember 2002, Endspurt zur Bundestagswahl. Gerhard Schröder und Edmund Stoiber liefern sich einen erbitterten Kampf ums Kanzleramt. Zur gleichen Zeit arbeitet in einer Kreuzberger Büroetage ein kleines Redaktionsteam Tag und Nacht unter Hochdruck an einem neuen Magazin. Schließlich ist es geschafft: Rechtzeitig zur Bundestagswahl erscheint die erste Ausgabe von „politik&kommunikation“, Titelthema: „Wahlkampf 2002 – Macher, Methoden, Meinungen“. Deutschlands erstes und bis heute einziges Fachmagazin für politische Kommunikation ist geboren. Heute halten Sie die 100. Ausgabe in Händen. Wie die erste steht sie ganz im Zeichen der Bundestagswahl. Für uns ist diese Ausgabe, der wir ab Seite 60 eine kleine Jubiläumsstrecke gewidmet haben, natürlich etwas Besonderes. Wir freuen uns daher sehr, dass der bekannte Karikaturist Klaus Stuttmann ihr Cover gestaltet hat – natürlich mit einem Kommentar zur Wahl am 22. September, dem – wie immer bei Stuttmann – nichts hinzuzufügen ist. 100 Ausgaben politik&kommunikation – das macht uns schon ein bisschen stolz. Mit großen Ambitionen und noch größerem Enthusiasmus vor genau elf Jahren gestartet, ist p&k heute aus dem politischen Berlin nicht mehr wegzudenken, zählen Abgeordnete, Regierungsvertreter, Hauptstadtjournalisten, Kampagnenmacher und Lobbyisten zu unseren treuen Lesern. Doch woran liegt es, dass p&k im Berliner Parlamentsviertel inzwischen zur Standardlektüre gehört und sich erfolgreich gegen publizistische Schwergewichte wie „Spiegel“, „Zeit“ und „FAZ“ behauptet? In erster Linie wohl an seinem speziellen Fokus: Methoden, Techniken und Strategien der politischen Kommunikation sind für alle, die politisch aktiv sind oder auf Politik Einfluss nehmen wollen, heute so wichtig wie nie zuvor. Von Anfang an hat sich p&k als Fachmagazin verstanden, das den neuesten 6
Trends der politischen Kommunikation im In- und Ausland auf der Spur ist und dazu Experten aus Theorie und Praxis zu Wort kommen lässt. Publizistisch lag das Thema politische Kommunikation Ende der 90er Jahre in der Luft. Das Gründungsteam um Verleger Rudolf Hetzel, Chefredakteur Tobias Kahler und Beiratsmitglied Marco Althaus hatte also das richtige Gespür, als es sich entschloss, mit p&k ein Magazin zu launchen, das seinen besonderen Schwerpunkt bereits im Namen trägt. Dabei half, wie so oft, der Blick in die USA, wo es bereits damals mehrere Polit-Magazine gab, die sich ausschließlich mit politischer Kommunikation beschäftigten. Eines davon, „campaigns&elections“ (C&E), wurde zum erklärten Vorbild für die deutsche Neugründung. „Ein Magazin braucht Listen, Listen, Listen“, so das Credo von C&E-Chefredakteur Ron Faucheux, das die p&k-Macher erfolgreich übernahmen. „Salons und Netzwerke. Die 80 wichtigsten Adressen der Hauptstadt“ (Mai 2003), „100 der wichtigsten Interessengruppen in Deutschland“ (Juni 2004), „100 Experten. Wen die Politik zu Rate zieht“ (September 2006): Mit p&k bekam der Leser vor allem in den Anfangsjahren des Magazins rasche Orientierungshilfe, um sich in der unübersichtlichen Berliner Polit-Szene zurechtzufinden. Im kleinen, beschaulichen Bonn wäre das wohl kaum nötig gewesen. Dort kannte man sich, traf sich in den immer gleichen Restaurants und Zirkeln. p&k zu Bonner Zeiten? Schwer vorstellbar. In Berlin hingegen war das Bedürfnis nach einem Magazin, das die Szene vernetzte und zusammenhielt, groß. Beherzt sprang p&k in die Bresche, informierte über die wichtigsten Personalwechsel und Events im politischen Berlin – und tut es bis heute. Insofern ist p&k ein echtes Kind der jungen Berliner Republik – eines, von dem man nach 100 Ausgaben mit Fug und Recht behaupten kann, dass es erwachsen geworden ist.
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Foto: Albrecht Noack
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Youngsters im Anmarsch Fotos: Thomas Seuthe Foto: www.baumannstephan.com
In der DDR geboren, in Brandenburg zuhause, den Bundestag im Blick: NORBERT MÜLLER (LINKE) und MAX KOZIOLEK (FDP) haben viele Gemeinsamkeiten. Ihre politischen Ansichten aber könnten unterschiedlicher nicht sein. Letzter Teil der Serie über Bundestagskandidaten
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Wahlen 2013
VON NICOLE T E PA S S E
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n die „Tiefste Provinz“ hat es Max Koziolek verschlagen – so heißt das kleine Theater im brandenburgischen Kremmen, das dem jungen Mann in lässiger Hose und leichtem Baumwolljackett an diesem Sonntag im August als politische Bühne dienen soll. Die rund 80 Besucher finden nur knapp Platz, um das Wahlkampf-Schauspiel auf dem Podium zu verfolgen, in dem Max Koziolek für sie allerdings eher die Nebenrolle spielt. Ihr Hauptdarsteller – das wird schnell klar – ist Gregor Gysi. Mit viel Applaus und großem Hallo wird er empfangen, als er – wegen einer Vollsperrung auf der Autobahn – verspätet durch den Hintereingang auf die Bühne tritt. „Schön, dass Sie da sind, Herr Gysi. Verraten Sie uns, wie Sie da jetzt rausgekommen sind?“, fragt der Moderator. Und der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag demonstriert gleich seine Schlagfertigkeit: „Bin mit ‘ner Drohne geflogen.“ Der Saal johlt, auch Max Koziolek schmunzelt. Er weiß, was in den nächsten zwei Stunden auf ihn zukommt – und hat sich vorbereitet. Bereits am Abend zuvor ist er nach Kremmen gefahren, um Plakate aufzuhängen. An jeder zweiten Laterne auf dem Weg zum Theater ist jetzt 18
blau auf gelb und gelb auf blau zu lesen: „Schulden runter – Nur mit uns“, „Bürgerrechte stärken – Nur mit uns“. „Revier markieren“, nennt Koziolek das und grinst. Ihm macht die politische Auseinandersetzung mit Politprofis wie Gysi sichtlich Spaß. Die beste Voraussetzung für das, was er vorhat: Der 23-jährige Jura-Student, der seit 2007 Mitglied bei den Jungen Liberalen und seit 2008 in der FDP ist, will für seine Partei in den Bundestag. Als Direktkandidat im Wahlkreis 60, der sich von Brandenburg an der Havel im Norden über den Landkreis PotsdamMittelmark bis nach Teltow-Fläming im Süden erstreckt, hat er es dabei mit einem
„Ich habe so viele tolle Erfahrungen gemacht. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, es zu versuchen“ Max Koziolek
starken, wenn nicht übermächtigen Gegenkandidaten zu tun: SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Allerdings tritt Koziolek nicht nur als Direktkandidat an, auf der Landesliste der brandenburgischen FDP steht er auf Platz zwei. Bei einem Ergebnis wie vor vier Jahren wäre ihm ein Sitz im Bundestag sicher. Aber die Ausgangslage ist eine andere. Während die FDP im Jahr 2009 satte 14,6 Prozent holte, muss sie in diesem Jahr bangen, überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Vertraut man auf die Umfragen, muss Die Linke diese Sorge nicht haben. „Aber nach einem zweistelligen Ergebnis wie beim letzten Mal sieht es derzeit noch nicht aus“, sagt Norbert Müller. Der 27Jährige tritt ebenfalls zum ersten Mal für den Bundestag an; sein Wahlkreis, zu dem Potsdam und Umgebung gehören, grenzt an Kozioleks. Wie der FDP-Kandidat ist er Student, wie er in der DDR geboren. Damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Während Koziolek seine Leidenschaft für Politik 2006 bei „Jugend debattiert“ entdeckt hat, sind es Müllers Kindheit und Jugend in Strausberg, die ihn politisch sozialisiert haben. In dieser Stadt östlich von Berlin, bis 1990 Sitz des DDR-Ministeriums für Nationale Verteidigung, hat er als Kind erlebt, wie mit der deutschen Einpol it ik & kommunikation | September 2013
Fotos: www.baumannstephan.com; Frank Nürnberger; www.baumannstephan.com
Auf der Bühne des Kremmener Theaters „Tiefste Provinz“: Von PolitProfi Gregor Gysi lässt sich Max Koziolek nicht bange machen
heit auf einen Schlag mehr als 10.000 Menschen ohne Arbeit dastanden und Strausberg von „Trostlosigkeit und großen Verwerfungen“ geprägt war: „Mein Vater war Soldat und hat bis heute so eine typische Nachwendebiografie: Er war entweder arbeitslos oder prekär beschäftigt.“ Diese Erfahrung macht ihn bis heute wütend – und hat ihn 1999 politisch aktiv werden lassen. Die Hoffnungen, die er nach der Abwahl Helmut Kohls mit der rot-grünen Regierung verbunden hatte, erfüllten sich für ihn nicht. Sein Fazit: „Ich muss widerständisch Politik machen.“ Die PDS-Jugendorganisation, die er in Brandenburg mit aufgebaut hat, wurde seine Heimat. 2002 trat er in die PDS ein. „Intellektuell ansprechender wurde die Partei für mich mit dem Zusammenschluss von PDS und WASG“, sagt Müller. Erst Die Linke hätte Debatten über Themen wie öffentliches Eigentum und Privatisierungen geführt – „und das im Widerspruch zum Zeitgeist“. Dass der Staat kein Eigentum benötige und Wasserwerke oder Wohnungsbaugesellschaften in den Händen privater Investoren besser aufgehoben seien – für ihn nicht mal auf den ersten Blick schlüssig. „Das ist völlig bescheuert“, sagt Müller mit ruhiger Stimme. „Das hat nirgendwo funktioniert. Die konnten nichts besser – außer sich zu bereichern.“ Dass öffentliche Haushalte um jeden Preis wie der der schwäbischen Hausfrau geführt werden sollten, hält er für absurd. Auch Max Koziolek bemüht das Bild von der schwäbischen Hausfrau, um seine politische Haltung zu verdeutlichen. Er ist anders als Müller überzeugt: „Im Grunde weiß jeder, dass es vernünftig ist, nicht mehr auszugeben, als man einnimmt.“ Koziolek setzt sich gegen Neuverschuldung und für Generationengerechtigkeit ein, „enkel-tauglich“ heißt das bei ihm. Er wolle der „Anwalt der Jugend“ sein, sagt pol it ik & kommunikation | September 2013
er in Kremmen und hat beim fast ausschließlich älteren Publikum keinen leichten Stand. Laute Buh-Rufe bekommt Koziolek zu hören, als er die OECD zitiert, um zu belegen, dass sich die Schere zwischen Arm
und Reich in den vergangenen Jahren in Deutschland nicht weiter geöffnet habe. Gysi hält dagegen mit Zahlen vom Bundesamt für Statistik, die das Gegenteil beweisen sollen. Überprüfen kann in diesem Moment niemand, wer Recht hat, aber gemessen an den Reaktionen der Frauen und Männer im Publikum erleben sie eine andere Realität als Max Koziolek. Es dürfte die Realität sein, auf die sich auch Norbert Müller bezieht, wenn er von Potsdam als dem „München des Ostens“ spricht – einer Stadt mit hoher Lebensqualität, die allerdings ihren Preis hat. Wie die steigenden Mieten, die nicht jeder zahlen kann. „Es entstehen Ghettos für Reiche“, kritisiert Müller. Er steht auf dem Potsdamer Bassinplatz, „AsphaltKultur“ heißt die Plakate kleben ist oberste Wahlkämpferpflicht: Norbert Müller im Hinterhof der Potsdamer Linken-Zentrale Veranstaltung, die er hier besucht. Breakdance, Diskussionen und Live-Musik sind angekündigt. Aber es ist heiß an diesem Nachmittag und die 36 Grad sorgen dafür, dass das „soziokulturelle Get-together“ nur langsam in Gang kommt. Außer ein paar GraffitiSprayern und Müller, der sich zum Schutz gegen die Sonne seine Mao-Mütze aufsetzt, ist noch kaum jemand da. „Die Linke will, dass jeder seinen Platz in der Stadt hat“, erklärt Müller, „damit Potsdam lebendig bleibt.“ Wie Koziolek Bürgerdialog – nicht nur für die SPD ein Thema, auch Max Koziolek übt sich darin will auch er jungen Menschen eine Stimme zu geben – nur denkt er dabei nicht in erster Linie an die Lasten, die künftige Generationen zu tragen haben. Müller studiert Geschichte und Lebenskunde an der Universität in Potsdam. Er will Lehrer werden und hat die Erfah„So ein Mandat macht ja rung gemacht, dass viele Schüler mit dem Gefühl lebten, dass für sie kein Platz in was mit einem. Da sollte dieser Gesellschaft sei, wenn sie im perman sich sicher sein, dass manenten Wettbewerb nicht mithalten könnten. Dabei seien die Schüler doch in man reif genug ist“ einem Alter, in dem Menschen eigentlich Norbert Müller Visionen hätten, sich frei fühlten. Vielen 19
würde aber signalisiert: „Ihr seid Schrott, Rest, euch braucht eigentlich keiner. Ihr seid übrig in der Verwertungsgesellschaft, Pech gehabt.“ Das wollten er und seine Partei nicht akzeptieren. So argumentiert auch Gysi in Kremmen: Die Linke würde einfach gebraucht, um immer wieder daran zu erinnern, dass Menschen überall in Deutschland den Anspruch auf gleiche Lebensverhältnisse hätten. Jetzt greift Koziolek an: „Sie erinnern daran, aber ändern könnten Sie an ungleichen Lebensverhältnissen nichts. Schließlich haben Sie im ZDF-Sommerinterview zugegeben, dass Sie und Ihre Partei ein großes Defizit in der Wirtschaftspolitik haben.“ Das habe ihn schon erstaunt, ergänzt er, und Gysi kontert: „Seh’n ’se mal, wie ehrlich ich bin.“ Nach der Veranstaltung sagt ein älterer Mann zu Koziolek: „Ich finde Sie sympathisch, ehrlich, authentisch. Bleiben Sie so.“ Er ist Mitglied der Linken und als er weggeht, sagt Koziolek: „Selbst wenn es am 22. September nicht klappen sollte, ich habe bis jetzt schon so viele tolle Erfahrungen gemacht, so viel gelernt. Es hat sich in jedem Fall gelohnt, es zu versuchen.“ Der Bundestag ist sein Plan B: „Wenn die Nachricht kommt, Max, du sitzt im Bundestag, dann wird die Freude riesengroß sein. Aber im Hinterkopf weiß ich: Es wird ganz ganz ganz viel Arbeit.“ Damit meint er nicht nur sein Mandat. Denn sein Plan A ist das erste juristische Staatsexamen – und das will er auch als Abgeordneter im kommenden Jahr machen: „Das werden 100-Stunden-Wochen.“ Aber dazu gibt es keine Alternative. Er will unabhängig sein, auch vom politischen Geschäft, und nicht nur Abitur und Führerschein als Qualifikationen vorweisen können: „Wenn ich ein Ziel vor Augen habe, bin ich unglaublich ehrgeizig.“ Er ist sich sicher, dass ihm sein Studium im Parlamentsbetrieb nützen wird. „Das, was ich wegen des Studiums heute aus dem Ärmel schütteln kann, müssen sich andere ganz anders erarbeiten.“ Allerdings denke und rede er manchmal schon zu juristisch. „Das merke ich immer dann, 20
„Wahrscheinlich ruft mein Sohn nur noch Papa, Papa, Papa, wenn ich mit ihm durch Potsdam radle“ Norbert Müller
wenn ich meinem Zwillingsbruder Dinge erklären will und mich nicht verständlich genug ausdrücke. Der sorgt ganz gut für Bodenhaftung.“ Sorgen machen wegen der 1500 Wahlplakate, die überall hängen, muss sich sein Bruder nicht; sie sind zweieiige Zwillinge. Max Koziolek ist dagegen
Als Bundestagskandidat ist Norbert Müller der Potsdamer Tagespresse immer ein Foto wert
gespannt, wie es ist, „das eigene Gesicht über Wochen überall zu sehen“. Das fragt sich auch Norbert Müller: „Wahrscheinlich ruft mein Sohn nur noch Papa, Papa, Papa‘, wenn ich mit ihm durch Potsdam radle.“ Allerdings sind es bei ihm weit weniger Plakate – 500 über den kom-
„Wenn die Nachricht kommt, Max, du sitzt im Bundestag, wird die Freude riesig groß sein“ Max Koziolek
pletten Wahlkreis verteilt. „Wir können und wollen nicht so viel Geld dafür ausgeben.“ Neulich sei er allein an einer Straße in Potsdam neunmal an einem Großaufsteller mit dem Bild der CDU-Direktkandidatin Katherina Reiche vorbeigefahren. „Das nervt die Leute doch auch. Da reihe ich mich nicht ein.“ Er will im direkten Kontakt mit den Wählern überzeugen, damit seine Partei am Ende gut abschneidet. Als er gefragt worden sei vor rund einem Jahr, habe er allerdings erst einmal überlegen müssen. „So ein Mandat macht ja auch was mit einem, da sollte man sich schon sicher sein, dass man reif genug ist.“ Für reif genug hatte er sich allerdings schon 2009 befunden, als er für Die Linke in den Landtagswahlkampf zog. Am Ende stand er ohne Mandat da. „Man setzt da ein Jahr lang Leben ein, wenn man es richtig tut“, resümiert er seine Erfahrung. Für seine Nominierung als Bundestags-Direktkandidat hatte er auch deshalb um einen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste gekämpft. So ganz funktioniert hat es nicht – Platz 6 ist keine Garantie. „Aber auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht so schrecklich hoch ist, ist es auch nicht unmöglich, den Wahlkreis direkt zu gewinnen“, weiß Müller. 2009 fehlten seinem Vorgänger nur rund 200 Stimmen, um anstelle der SPD-Abgeordneten Andrea Wicklein den Wahlkreis zu gewinnen. Sollte er in den Bundestag einziehen und sich aussuchen dürfen, in welchem Ausschuss er mitarbeiten darf, er würde sich für den Bildungsausschuss entscheiden. Gerade Forschung sei für seinen Wahlkreis mit drei Hochschulen und den vielen Forschungsinstituten ein wichtiges Thema. Zu einer Zusammenarbeit mit Max Koziolek käme es dann nicht. Der würde am liebsten in den Gesundheits-, den Rechts- oder den Haushaltsausschuss. Allerdings ahnen die beiden, dass ihre Wünsche wohl keine Priorität hätten. Vielleicht bringt der Zufall die beiden dann doch noch zusammen. Aber dafür müssen sie am 22. September erst einmal gewählt werden. pol it ik & kommunikation | September 2013
Foto: Frank Nürnberger
Wahlen 2013
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„Eine Gesellschaft braucht Regeln – die Frage ist nur wie viele?“ DR. REGINE WOLFGR AMM General Manager Qualitätsmanagement bei Reemtsma
Wir bei Reemtsma sind der Ansicht, dass jede Gesellschaft Regeln für den Umgang miteinander braucht. Zu viele Regeln führen jedoch schnell in eine Verbotskultur. Wir sollten nicht vergessen: Die Selbstbestimmung des Einzelnen ist ein hohes gesellschaftliches Gut. Reemtsma leistet hier seinen ganz eigenen Beitrag. So unterstützen wir zum Beispiel mit dem Reemtsma Begabtenförderungswerk die Ausbildung junger Menschen aus sozial schwachen Umfeldern. Denn Bildung ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben. Nur so hat unsere Gesellschaft eine Zukunft. w w w. r e e m t s m a . d e
WER TE LEBEN. WER TE SCHAFFEN.
Wahlen 2013
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ch hatte große Erwartungen an den Bundestagswahlkampf. Aber bislang bin ich enttäuscht. Ich hatte Mühe, meinen Kollegen in Warschau zu erklären, dass die Bundeskanzlerin zwei Monate vor der Bundestagswahl drei Wochen lang in Urlaub fährt. Das wollte mir keiner glauben. Merkels Strategie scheint zu sein, den Wahlkampf so spät wie möglich zu beginnen und Steinbrück alles alleine machen zu lassen. Ich finde auch, dass die Medien zu viel über Umfragen sprechen. Sie scheinen geradezu darauf zu warten, dass Steinbrück sagt: Meine Umfragewerte sind so schlecht, ich trete zurück. Die inhaltliche Auseinandersetzung gerät dabei in den Hintergrund. Dabei ist die deutsche Politik im Vergleich zur polnischen doch immer sehr sachlich orientiert. In Deutschland spricht man viel öfter über politische Inhalte als in Polen. Aber offensichtlich nicht im Wahlkampf. Das ist schade. Marcin Antosiewicz ist Deutschlandkorrespondent für den polnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Telewizja Polska
I
n Großbritannien wird der Bundestagswahlkampf mit Spannung verfolgt – nicht zuletzt weil die Briten fasziniert sind vom ökonomischen Erfolg Deutschlands. Erfolgreich ist auch der Wahlkampfstil der Bundeskanzlerin – taktisch sehr effizient. Sie kann Ideen von der SPD stehlen, wie zum Beispiel die Mietkostenbremse, und wirkt trotzdem euroskeptisch genug, um Überläufer zur AfD zu verhindern. Ob Merkel dabei einer klaren ideologischen Linie folgt, ist fraglich. Aber vielleicht ist gerade das ein Markenzeichen erfolgreicher konservativer Regierungschefs. Steinbrück hat dagegen einen merklich schlechteren Stand. Offensichtlich ist er ein kluger Mann, aber wenn man den Umfragen und Medienberichten Glauben schenkt, kommt er bei den Menschen einfach nicht an. Im Vergleich dazu wirkt Merkel geradezu unangrei�ar.
Wie erlebt das Ausland den deutschen Wahlkampf?
Jeevan Vasagar ist freier Journalist und schreibt als Deutschland-Korrespondent für den „Daily Telegraph“ in London und die „Los Angeles Times“
Vier INTERNATIONALE KORRESPONDENTEN berichten ngela Merkels passiven Wahlkampfstil finde ich verständlich. Sie nutzt ihre Position aus. Sie ist die Kanzlerin und die Favoritin. Allerdings: In Frankreich wäre ihr Wahlkampfauftakt wohl feierlicher und größer ausgefallen. Ein Tipp für die SPD: Wenn Steinbrück die Wahl verliert, sollte sich die SPD künftig vielleicht die Vorwahlen der französischen Sozialisten zum Vorbild nehmen. Natürlich wird die Wahl in Frankreich mit großem Interesse verfolgt – wie überhaupt alles, was Deutschland politisch bewegt. Entweder weil die Themen auch für Frankreich wichtig sind, wie die Eurokrise oder das Thema soziale Gerechtigkeit, oder weil die öffentliche Debatte darüber so typisch deutsch ist, wie bei der Energiewende oder der NSA-Affäre. Die Berichterstattung über die Wahlkämpfe ähnelt sich zwar, aber die französischen Medien müssen mehr Wert auf die kleinen Parteien und Kandidaten legen. Frédéric Lemaître ist Deutschlandkorrespondent der französischen Tageszeitung „Le Monde“
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s ist eine taktisch kluge Entscheidung von Merkel, den Wahlkampf auf ihre Person zu fokussieren. Sie ist in der glücklichen Position, dass sie außer ein paar Wahlgeschenken nichts Besonderes machen muss, um die Wahlen zu gewinnen. Steinbrück ist zwar eine starke Persönlichkeit, aber er eckt eben zu sehr an, hat zu viel Angriffsfläche geboten. Das rächt sich nun, wie seine schlechten Umfrageergebnisse zeigen. Dass Merkel den Wahlkampf gelassen angeht, hat sie vor allem einem wahltaktischen Manöver zu verdanken: Sie hat im Vorfeld versucht – und teilweise ist es ihr auch gelungen – das Thema „Eurokrise“ im Wahlkampf so klein wie möglich zu halten. Die Schuldenkrise ist natürlich längst nicht überwunden. Nach der Wahl werden diese Themen wieder hochkommen. Die Griechen verfolgen den Bundestagswahlkampf übrigens sehr genau. Die Erwartung, dass die Politik in Berlin sich gegenüber Griechenland und der Eurokrise nach der Bundestagswahl ändert, egal ob mit Kanzlerin Merkel oder ohne, ist sehr groß. Georgios Pappas ist freier Journalist. Er schreit unter anderem als Berlin-Korrespondent für die Athener Tageszeitung „TA NEA“ pol it ik & kommunikation | September 2013
Fotos: dreamstime.com(4); Privat, Dan Chung, Privat, Marco Urban
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„Sechs Stunden Schlaf, sonst wird das nix“ Was kommt auf der Straße an, was nicht? p&k fragte den SPD-Abgeordneten JOHANNES KAHRS, der seit 1998 mit Hamburg-Mitte den einwohnerstärksten Wahlbezirk Deutschlands vertritt, nach seinen Tipps für den OfflineWahlkampf. INTERVIE W : C H R I ST I N A B A U E R M E I ST E R
Fotos: Privat (2)
p&k: Herr Kahrs, Sie
gelten als erfolgreicher Straßenwahlkämpfer. Was machen Sie denn anders? Verteilen Sie am Info-Stand etwa Hamburger Fischbrötchen? Johannes Kahrs: Nein, ich bin ein Fan von klassischen Werbemitteln. Das gute alte Stellschild im Format A0 aus Holz ist für mich immer noch ideal, um viele Menschen im Wahlkreis zu erreichen, egal ob Nerd, Yuppie, Rentner oder Unternehmer. Und was ist mit netten Giveaways wie Einkauf-Chips oder Kondome? Davon halte ich nicht viel. Wenn man mit allerlei Schnickschnack anfängt, braucht man von jedem Artikel mindestens 3000 Stück, damit die eigenen Anhänger ihren Vorrat auffüllen können. Ich benutze lieber nur ein Werbemittel wie Kugelschreiber, aber das dann in richtig satten Mengen. Und das soll reichen? Das klappt nur, wenn man nicht erst kurz vor der Wahl damit anfängt. Die Leute müssen sehen, dass man rödelt, vier Jahre lang. Seitdem ich im Parlament bin, mache ich jedes Jahr 250 Hausbesuche. Da laden mich dann Bürger zu sich nach Hause ein. Ich bringe Butterkuchen, Bienenstich und zwei Stunden Zeit mit. Im Gegenzug erwarte ich nur einen Tee, am besten Darjeeling, weiß. Und das machen Sie auch im Wahlkampf? In abgekürzter Form, indem ich von Tür zu Tür gehe. Das ist vor allem in den Straßen sinnvoll, in denen ich bei der letzten Wahl gut abgeschnitten habe, aber die Wahlbeteiligung gering war. Außerdem lade ich jede Woche 80 bis 90 Leute zu einer Barkassen-Fahrt auf der Elbe ein. Wie schaffen Sie es bei dem Stress, immer freundlich zu bleiben? Für mich ist es wichtig, zwei bis dreimal die Woche Sport zu machen, um abzuschalten. Außerdem passe ich auf, dass ich nicht zu spät ins Bett komme. Ich brauche mindestens sechs Stunden Schlaf, sonst wird das nix. pol it ik & kommunikation | September 2013
WIE GEHT EIGENTLICH ONLINEWAHLKAMPF, HERR FUCHS?
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LASSEN SIE SICH FINDEN
Kurz vor der Wahl steigt das Informationsbedürfnis vieler Bürger rasant an. Nutzen Sie die Möglichkeiten der Suchmaschinenoptimierung und überlegen Sie, Google AdWords- und Facebook-Werbung zu schalten. Damit können Sie Ihre Themen und Ihre Positionen zu aktuellen Diskussionen zielgerichtet den Wählern Ihres Wahlkreises präsentieren. Schrecken Sie auch nicht davor zurück, Begriffe und Namen von politischen Wettbewerbern zu besetzen. 2
SEIEN SIE AKTUELL
Kontrollieren Sie bei abgeordnetenwatch.de, ob Sie alle Fragen beantwortet haben. Ist Wikipedia auf dem aktuellen Stand? Sind bei Ihren Social-Media-Accounts und auf Ihrer Webseite alle Infokästen, Kontaktseiten und das Impressum aktuell? Zudem sollten Sie spätestens jetzt die Social-Media-Profile prominent auf der Startseite Ihrer Webseite verlinken und diese auch überall dort im Netz ergänzen, wo Sie noch aktiv sind. 3
WAGEN SIE DEN DIALOG
Analysieren Sie genau, was und wo im Wahlkreis diskutiert wird, und diskutieren Sie mit. Schauen Sie, auf welchen Seiten (Lokalpresse, Facebook, Blogs, Seiten der Mitbewerber) die Wähler sich austauschen, und bringen Sie Ihre Position ein. Sie werden sehen: Es kommt an, dass Sie sich persönlich beteiligen. 4
BINDEN SIE IHRE SYMPATHISANTEN EIN
Erstellen Sie für die letzten Tage nochmals einige prägnante Facebook-Titelbilder, Banner und Infografiken, die Ihre wichtigsten Botschaften transportieren. Motivieren Sie Ihre Fans und Follower, diese bis zur Wahl als Titelbilder zu verwenden und zu posten. Binden Sie auch alle Seiten und Twitterprofile Ihrer Parteigliederungen, Jugendorganisationen und parteinahen Vereine ein. So erreichen Sie kurz vor Schluss eine maximale Reichweite. 5
STARTEN SIE EIN LETZTES FEUERWERK
Seien Sie kreativ und initiieren Sie am Ende eine Aktion mit Wahrnehmungsgarantie. Laden Sie Wähler zum Google-Hangout mit einem Parteipromi ein, starten Sie online eine Wette über den Wahlausgang und erstellen Sie Grafiken und Analysen zum Fanwachstum und Followerzahlen im Vergleich zu den Mitbewerbern. Bieten Sie diese der Lokalpresse an und drehen Sie kurze YouTube-Videos mit wahlkreisbekannten Unterstützern, die zu Ihrer Wahl aufrufen.
Martin Fuchs berät öffentliche Institutionen und die Politik bei der Nutzung sozialer Medien. Unter www.hamburger-wahlbeobachter.de bloggt er über Social Media in der Politik.
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International
Digitale Wunder Von Obama lernen heißt siegen lernen: Mit der DIGITALEN PRÄSIDENTSCHAFTSKAMPAGNE erreichte er 2012 de facto die gesamte US-Bevölkerung. Kampagnenexperte Yussy Pick beschreibt in seinem neuen Buch die Veränderungen in der Onlinekommunikation. Exklusiv für p&k hier Auszüge aus dem Vorwort des Digital Director der Obama-Kampagne Teddy Goff.
VON TEDDY G O F F
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Ausgeklügelte Kampagne: Social Media und Haustürwahlkampf sicherten Obama 2012 die Wiederwahl
„Die Beziehung zwischen normalen Menschen und Politikern hat sich in den letzten vier Jahren fundamental geändert“
allzu viel zu tun. Wenn sie Geld und Lust hatte, konnte sie auf eine Postwurfsendung mit einer kleinen Spende antworten oder etwas mehr Geld geben und dafür an einem Abendessen mit dem Kandidaten oder einer Funktionärin teilnehmen. Doch hier endete ihr Spielraum. Heute haben aktive Unterstützer sogar mehr Macht als die noch unentschlossepol it ik & kommunikation | September 2013
Foto: Official White House Photo by Pete Souza
ene Menschen, die in beiden Wahlkampagnen für Obama gearbeitet haben, werden oft gefragt, was – hinsichtlich des digitalen Bereichs – der größte Unterschied zwischen den Kampagnen von 2008 und 2012 gewesen sei. Hinter der Frage verbirgt sich wohl häufig die Vorstellung, dass wir in der ersten Kampagne eine Fülle an Lehren gesammelt hätten, die wir beim zweiten Mal nur erneut anwenden mussten, weil die Techniken und Ideen unendlich brauchbar und nur einige wenige überholt gewesen wären. Nicht ganz. In diesen vier Jahren veränderte sich das technologische Umfeld rascher und dramatischer, als selbst jene, deren Job es ist, das zu verstehen, sich bewusst sind. Die beiden Kampagnen hätten genauso gut auf zwei unterschiedlichen Planeten ablaufen können. Facebook hatte 2008 einen Bruchteil der heutigen Größe und bot Organisationen wie der unseren wesentlich weniger Funktionen. Twitter steckte sogar so sehr in den Kinderschuhen, dass man höchstens mit einem müden Lächeln bedacht wurde, wenn man die Worte „Twitter“ und „Strategie“ im selben Satz verwendete. Sogar Smartphones – so unmöglich es heute ist, sich an eine Zeit zu erinnern, in der man nicht alle paar Minuten seine E-Mails abgerufen hat – waren brandneu. Das iPhone wurde im Sommer 2007 präsentiert – während der ersten Kampagne. Was der Aufstieg dieser und anderer Tools für Politik heißt, ist nicht nur, dass die Fachleute Kompetenz in immer mehr Bereichen haben müssen – wobei das natürlich auch stimmt. Es bedeutet, dass sich die Beziehung zwischen normalen Menschen und den Politikern, die sie unterstützen – oder ablehnen –, fundamental geändert hat. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte eine Unterstützerin einer Kampagne nicht
nen Wählerinnen und Wähler. Sie hören nicht mehr nur zufällig von der Kampagne, weil andere Menschen in ihrem Bezirk durch Fernsehwerbung angesprochen werden oder wenn eine dieser Postwurfsendungen ins Haus flattert. Unsere Kampagne postete zwei- bis dreimal pro Tag auf Facebook, twitterte zwischen zehnund zwölfmal und war dafür berühmt (be-
ziehungsweise für jene ohne Humor berüchtigt), mindestens ein E-Mail pro Tag zu schicken. Zum Großteil waren diese Nachrichten auf die Unterstützenden zugeschnitten – nicht um sie zu überzeugen, sondern um sie zu beteiligen, zu informieren und zu inspirieren. Warum? Nach der Wahl 2008 wurde unsere E-Mail-Liste analysiert und wir fanpol it ik & kommunikation | September 2013
den heraus, dass von allen unseren wahlberechtigten Abonnierenden (der Rest war jünger als 18 Jahre alt, besaß nicht die USamerikanische Staatsbürgerschaft oder war aus anderen Gründen zur Wahl nicht zugelassen) fast alle – buchstäblich alle, bis auf ein oder zwei Prozent – für Präsident Obama gestimmt hatten. Wir wissen zudem, dass seine 34 Millionen FacebookFans mit 98 Prozent der amerikanischen Facebook-Bevölkerung befreundet sind – das sind mehr Menschen, als insgesamt zur Wahl gehen. Also war uns einerseits klar, dass die Personen, mit denen wir direkt sprechen konnten, mehrheitlich für uns stimmen würden; andererseits, dass diese Menschen zusammen die Möglichkeit hatten, de facto die gesamte Bevölkerung zu erreichen. Und wenn sie das taten, waren sie effektiver als der Kampagnenapparat selbst – denn während Wähler im Allgemeinen politischer Werbung skeptisch gegenüberstehen, vertrauen sie ihrem Freundeskreis und ihrer Familie. (...) Diese Macht kann der Kampagne Schaden zufügen, wenn sie den Kreis ihrer Unterstützer nicht so behandelt, wie dieser es fordert. Gleichzeitig ist die Multiplikatorfunktion der Unterstützer und Fans das größte Plus, wenn die Kampagne diese ernst nimmt. „Wie können wir unseren Aktivisten die Erlebnisse bieten, die sie erwarten?“, war daher eine zentrale Frage der Kampagne. So konnten wir engere Beziehungen zu ihnen au�auen und sie im Gegenzug besser einsetzen. Den Unterstützern eine gute „User Experience“ zu geben, hieß auch, nur wirklich interessanten Content zu veröffentlichen. Ist es nicht faszinierend, dass das bis vor Kurzem nicht das Hauptziel von Contentproduzenten war? Deshalb veröffentlichten wir zum Beispiel kein Pressedokument, als Gouverneur Romneys Steuermathematik nicht stimmte, sondern eine Microsite (www.romneytaxplan.com). Wenn man versuchte, auf dieser Seite den Button „Get the Details“ zu klicken, tanzte der Button davon wie der Besen des Zauberlehrlings in Disneys „Fantasia“. Es ist ein Beispiel für politische Kommunikation, wie sie vor dem Internet niemals hätte existieren können – und weil es innovativ, witzig und verbreitbar war, vermittelte es unsere Botschaft viel effektiver und an mehr Menschen, als es ein Whitepaper je hätte tun können. (...) Für das Organising programmierten wir „Dashboard“, eine clevere und
unglaublich leistungsstarke Plattform. Denn unsere hohen Zielvorgaben für Onlinefreiwilligenarbeit hätten wir unseren Ehrenamtlichen nicht abverlangen können, ohne ihnen dieselben Möglichkeiten zu geben, die sie in einem Kampagnenbüro hätten – ganz zu schweigen vom schönen, intuitiven und hoch performenden Interface. Die Ergebnisse sprechen für sich – und weisen den künftigen Weg für Politik. Vier Millionen Menschen spendeten 690 Millionen Dollar online. Unsere Videos wurden 133 Millionen Mal gesehen. 1,1 Millionen Menschen nutzten unsere Website, um sich zur Wahl zu registrieren. (...) Doch diese Ergebnisse kamen nicht primär aufgrund der schrittweisen Optimierung von Content und User Experience oder einer Flutwelle von Werbung zustande. Sie resultierten aus den Beziehungen, die wir aufgebaut hatten, dar-
„Die beiden Kampagnen hätten genauso gut auf zwei unterschiedlichen Planeten ablaufen können“ aus, dass wir für positive Erlebnisse unserer Fans sorgten, und aus den inspirierenden Qualitäten eines Mannes namens Barack Obama. Ich weiß nicht, ob Facebook im nächsten Wahljahr 2016 noch immer dominant sein wird, was Twitters Zukunft bringt oder welches neue Service, von dem wir vielleicht gerade erst gehört haben, den Thron in drei Jahren bestiegen haben wird. Aber die Richtung, in die diese Technologie weist, ist klar. Zusammengenommen geben diese Services normalen Menschen mehr Ressourcen, mehr Tools, mehr Zugang, mehr Information und mehr Verbindungen zu noch mehr Menschen. Nichts wird diesen Trend stoppen. Also werden jene Kampagnen und Unternehmungen erfolgreich sein, die verstehen, wie sich die Beziehung mit ihren Unterstützerinnen und Unterstützern dadurch verändert hat. (...) Es ist eine grundlegende Herausforderung für die gesamte Branche. Sie verlangt von Kandidierenden und Marken, besser zu sein, weil schlechte Performance sich 47
International
Teddy Goff war Internet-Wahlkampfleiter der Wiederwahlkampagne „Obama For America 2012“.
Yussi Pick Dieser Auszug ist die leicht gekürzte Version des Vorworts des im Juli erschienenen Buches „Das EchoPrinzip – Wie Onlinekommunikation Politik verändert“ von Yussi Pick. Der Österreicher ist Managing Partner bei „Pick & Barth Digital Strategies“, wo er Verbände, Unternehmen und NGOs unterstützt, Social Media und andere Onlinekanäle sinnvoll einzusetzen. Czernin-Verlag, Wien, 176 Seiten, 16,90 Euro
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„Graswurzelbewegungen verändern die Welt“ In Obamas Wahlkampagne 2012 war MARLON MARSHALL für die Organisation der ehrenamtlichen Helfer zuständig. Mit p&k sprach er über Nervenkitzel im Wahlkampf, die Motivation von Freiwilligen und warum sich Haustürwahlkampf immer lohnt.
INTERVIEW: NICOLE ALEXANDER
p&k: Mr. Marshall, Sie haben einmal
gesagt, Wahlkämpfe seien Ihre Berufung. Was finden Sie so faszinierend daran? Marlon Marshall: Eine Reihe von Dingen. Du arbeitest ja viel während der Kampagne – zwölf oder mehr Stunden am Tag. Und die Leute, mit denen du zusammenarbeitest, die werden so etwas wie deine Familie. Ich finde das großartig, weil ich wahnsinnig gern mit Leuten zusammen bin. Außerdem bin ich sehr ehrgeizig. Ich liebe es zu gewinnen. Es gibt ein Datum, einen Tag, auf den Du hinarbeitest – als Familie, als Team. Das ist Nervenkitzel pur. Und dann glaube ich natürlich an die Sache, an die Demokratische Partei und ihre Agenda für unser Land. Die Chance zu haben, daran beteiligt zu sein, ist einfach großartig. Bei den Vorwahlen der Demokraten 2008 haben Sie zunächst für Hillary Clinton Wahlkampf gemacht. Als sie sich im Juni 2008 aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur zurückzog, sind Sie in Barack Obamas Wahlkampfteam gewechselt. War Obama für Sie zweite Wahl? Nein, gar nicht. Hillary Clinton hat mich am meisten berührt mit dem, was sie für das Land tun wollte. Ich habe unglaublich gern für ihre Kampagne gearbeitet. Aber es war mehr als das. Es ging darum, wie wir den Wandel in unserem Land gestalten. Und deshalb habe ich mich nach ihrem Rückzug dem Obama-Team angeschlossen. Wir mussten einfach dafür sorgen, einen Demokraten ins Weiße Haus zu bekommen. Es war eine fantastische Zeit. Und deshalb wollte ich auch bei der Wiederwahl-Kampagne 2012 dabei sein.
Nach dem Wahlsieg Obamas 2008 haben Sie unter anderem als Verbindungsmann zwischen dem Weißen Haus und dem State Department unter der damaligen Außenministerin Clinton gearbeitet. Glauben Sie, dass sie die nächste Präsidentschaftskandidatin der Demokraten wird? Keine Ahnung. Ich fände es jedenfalls toll. Hillary ist eine fantastische Führerin und würde fantastische Dinge tun. Die Atempause, die sie sich zurzeit gönnt, ist hochverdient. Ich denke, sie knobelt gerade aus, was sie will. Vielleicht wird es die Kandidatur für die Präsidentschaft sein, vielleicht auch etwas ganz anderes. Sie haben gerade die Kampagne zur Wiederwahl Obamas 2012 erwähnt, bei der Sie als Deputy National Field Director gearbeitet haben. Was genau waren Ihre Aufgaben? Ich war verantwortlich für die landesweite Organisation unserer ehrenamtlichen Helfer. Zu meinen Aufgaben gehörte es, eine Strategie zu entwickeln: An welchen Haustüren müssen wir klingeln? Wie organisieren wir all diese Unterstützer? Wir sind dabei sehr systematisch vorgegangen, Was heißt das konkret? Wir haben die Freiwilligen in Teams zusammenarbeiten und Verantwortung für ihre jeweilige Wohngegend übernehmen
„Beim Campaigning geht es darum, die Werte der Unterstützer und Wähler mit denen der Kampagne zu verbinden“
pol it ik & kommunikation | September 2013
Fotos: Privat; Tony Gigov
nicht verstecken lässt. Unauthentizität und schlechtes Handwerk werden sofort aufgedeckt und öffentlich diskutiert. Der Ruf jener, die sich daran schuldig gemacht haben, leidet. Andererseits werden so auch aufregende Produkte, konsistente Politik, spannender Content und gutes Service entdeckt. Je mehr die Wirkung von Social Media auf unser Leben zunimmt, umso konsequenter verschiebt sich die Machtbalance weiter von den Unternehmen zu ihren Konsumentinnen und Konsumenten, von der Politik hin zu normalen Bürgerinnen und Bürgern. Obwohl sich die Antworten konstant weiterentwickeln, ändert sich die Frage nicht, die sich eine politische Kampagne stellen muss: „Wie können wir Menschen jene Erfahrungen geben, die sie wollen?“ Denn wenn sie diese nicht bekommen, wenden sich aktive Unterstützer ab. Doch wenn sie diese erhalten und sich beteiligen können, kann digitale Unterstützung reale Wunder wirken.
lassen. Pro Team gab es einen Leiter, der die Gesamtverantwortung hatte, einen Freiwilligen speziell fürs Canvassing, einen fürs Telefon-Campaigning und einen für die Wählerregistrierung. Sie alle bekamen spezielle Schulungen für ihre jeweilige
persönlich zu machen. Zum Beispiel: Oh, ich sehe, dank Obamas Gesundheitsreform kann dein Sohn in seiner Krankenversicherung bleiben. Jeder hat doch eine Geschichte, warum er sich engagiert. Es ist mehr als: Ich will für Barack Obama arbei-
Foto: Christine Ambrus
Marlon Marshall sieht seine Berufung im Wahlkämpfen: „Das ist Nervenkitzel pur“
Aufgabe. Diese Organisationsform nennen wir das Neighborhood Team Model. Mein Job war es, dafür zu sorgen, dass es landesweit umgesetzt wurde. Für wie viele ehrenamtliche Helfer waren Sie verantwortlich? Insgesamt 2,2 Millionen, davon 40.000 Teamleader. Wie schafft man es, all diese Leute zu motivieren? Indem man ihnen Verantwortung überträgt, ihnen sagt: Du weißt besser als wir, wie Deine Nachbarn ticken, wie Du sie erreichst. Ich glaube, beim Campaigning geht es darum, die Werte des Individuums mit den Werten der Kampagne zu verbinden. Wir würden nie zu einem Wähler oder Unterstützer sagen: Schau Dir die zehn Punkte von Obamas Gesundheitsreform an. Wir versuchen immer, eine Geschichte zu erzählen und es dadurch sehr pol it ik & kommunikation | September 2013
ten. Es gibt einen Grund, warum du diese Arbeit machst. Die Verbindung über diese Werte zu schaffen, macht eine Kampagne erst kraftvoll. Die US-amerikanischen Parteien verfügen über umfangreiche Datenbanken, die viele Informationen über die Bürger enthalten. Wie wichtig waren diese Daten für die Arbeit der Freiwilligen-Teams? Sie haben definitiv sehr geholfen, weil wir dadurch sehr effizient waren. Anstatt an jeder Haustür zu klingeln, haben wir uns die Türen herausgepickt, die uns am lohnenswertesten erschienen. Schließlich hat jede Kampagne begrenzte Ressourcen. Das Gute ist, dass die Freiwilligen weitere Daten sammeln, wenn sie mit Wählern sprechen. Dank dieser Daten können wir dann einen noch effizienteren Haustürwahlkampf machen.
Deutsche Parteien müssen mit deutlich weniger Informationen über die Wähler auskommen, weil die Datenschutzbestimmungen in Deutschland viel strenger sind als in den USA. Halten Sie die Strategie der SPD, auf den Haustürwahlkampf zu setzen, dennoch für richtig? Auf jeden Fall. Die Leute, die wir wählen, sind unsere Führer; wir sollten in den Wahlprozess einbezogen sein, schließlich werden sie uns repräsentieren. Menschen dazu zu bewegen, bei ihren Nachbarn zu klingeln, sie anzurufen und mit ihnen über Politik zu reden, ist immer eine gute Sache. Was war der Hauptunterschied zwischen der Obama-Kampagne von 2008 und der von 2012? 2012 war härter, weil es ein Kampf um die Wiederwahl war. Die Arbeitslosigkeit war höher, als sich das irgendjemand gewünscht hatte. Wir haben eine Menge Arbeit in den Au�au unserer Freiwilligenorganisation gesteckt, und es war toll zu sehen, dass es funktionierte. Meiner Meinung nach hat diese Kampagne mehr als die von 2008 bewiesen, dass es wahlentscheidend sein kann, wenn man es schafft, dass sich die Leute engagieren. Wie sieht Ihre Vision zukünftiger Wahlkämpfe aus? Obama hat bewiesen, dass Graswurzelbewegungen auch auf Ebene der Präsidentschaftswahl funktionieren. Ich denke, diese Art des Wahlkampfs wird künftig die Norm für alle demokratischen Kandidaten sein. Und das ist gut so, denn dadurch lassen sich mehr Leute in den politischen Prozess einbinden. Graswurzelbewegungen können die Welt verändern.
Marlon Marshall wurde in St. Louis, Missouri, geboren und studierte an der Universität von Kansas Kommunikationswissenschaft. Während seines Studiums, im Jahr 2002, engagierte er sich erstmals als Freiwilliger in Kansas. Danach ließ ihn das Thema Wahlkampf nicht mehr los. Als Field Director von Nevada, Ohio und Indiana gehörte er 2008 zum Wahlkampfteam von Hillary Clinton. Als diese ihre Kandidatur zurückzog, wechselte Marshall in das Team von Obama. In dessen WiederwahlKampagne von 2012 war Marshall Deputy als Deputy National Field Director tätig.
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Szene
Plötzlich begehrt KARRIEREKURVE: Nach dem Aus für Andrea Ypsilanti gilt er als Lückenbüßer: THORSTEN SCHÄFER-GÜMBEL. Doch der hochgewachsene Hesse mit der Brille kämpft sich aus der unvorteilhaften Position hervor. Am 22. September könnte „TSG“ Hessens Ministerpräsident werden.
2003 wird Schäfer-Gümbel Mitglied des Hessischen Landtages. In den darauf folgenden Jahren wird er Sprecher diverser Fachbereiche, darunter Familienpolitik, Integration und Entwicklungszusammenarbeit.
1969 1997 schließt er sein Studium der Politik- und Agrarwissenschaft ab. In einer Vorlesung hatte er Annette Gümbel kennengelernt. Nach nur drei Wochen folgt der Heiratsantrag, sie lehnt ab. Ein Jahr später hält sie um seine Hand an und aus Thorsten Schäfer wird Schäfer-Gümbel. Auch beruflich läuft es gut. Er wird Referent des Sozial- und Jugenddezernenten der Stadt Gießen. Zu seinen Kernaufgaben gehört das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“. Der Gießener engagiert sich in der SPD und wird 2001 stellvertretender Vorsitzender Hessen-Süd.
Fotos: Sven Teschke; Privat; Florian Jaenicke; Christoph Boeckheler
wird er in Oberstorf im Allgäu geboren. Im Alter von fünf Jahren zieht er mit seiner Familie nach Hessen, wo Schäfer-Gümbel (Mitte) in der Nordstadt Gießens aufwächst.
1986
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tritt er den Jusos und der SPD bei. Während seiner Zeit bei den Jusos schafft es SchäferGümbel, unter anderem zum Bezirksvorsitzenden Hessen-Süd und später auch zum stellvertretenden Juso-Landesvorsitzenden aufzusteigen. Zudem wird er Vizepräsident der Europäischen Sozialistischen Jugend. Schon in seinen Anfangszeiten findet er sich im linken Spektrum der Partei wieder.
pol it ik & kommunikation | September 2013
2008 SUPERWICHTIG
Chaos in Hessen: Nach einem harten Wahlkampf, der in den Medien als Krieg bezeichnet wird, muss sich Andrea Ypsilanti geschlagen geben. Eine Koalition mit ihr an der Spitze wird es nicht geben. Stattdessen folgen Neuwahlen. Der neue Spitzenkandidat der Hessen-SPD heißt Thorsten Schäfer-Gümbel. TSG, wie er auf Grund des langen Namens auch genannt wird, ist oben angekommen, nur seine Partei ist es nicht.
2013
SEHR WICHTIG
Die Umfragewerte steigen: Schäfer-Gümbel holt die Hessen-SPD aus ihrem Tief (30 Prozent; CDU 38 Prozent) und wird zum beliebtesten Politiker des Bundeslandes. Schon lange macht sich niemand mehr über ihn lustig. Er wird ernstgenommen von seinen politischen Gegnern und der Presse. Bei der hessischen Landtagswahl am 22. September könnte es für eine rot-grüne Koalition reichen.
ZIEMLICH WICHTIG
2009 Andrea Ypsilanti übernimmt die Verantwortung für die Wahlpleite. Sie zieht ihre Konsequenzen und tritt zurück. Der neue Partei- und Fraktionsvorsitzende in Hessen heißt Thorsten SchäferGümbel.
WICHTIG
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2009 Opposition: Der Sieben-WochenWahlkampf von Schäfer-Gümbel kann die Wähler nicht überzeugen. Die Hessen-SPD fällt von 37 auf 23 Prozent. Die politischen Gegner, ebenso wie die Presse, stürzen sich auf den Spitzenkandidaten. Die „FAZ“ deutet die Unterschrift von TSG unter der Kampagne „Hands Off Venezuela“ als Unterstützung von Linksextremisten. Bezeichnungen wie „Doppelnamendümpel mit der Flaschenbodenbrille“ ziehen den SPD-Mann ins Lächerliche.
2011 TSG hat die Hessen-SPD auf Kurs gebracht: Das Klima ist ein anderes. Konstruktive Kritik ersetzt das destruktive Gegeneinander. Er weiß seine Partei hinter sich und wird bereits zwei Jahre vor der Landtagswahl zum Spitzenkandidaten gewählt, mit 94,5 Prozent der Stimmen.
UNWICHTIG
Fotos: SPD Hessen (2); Marco Urban (3)
Die Zeiten der Stellvertreter- und Vizeposten sind vorbei: Schäfer-Gümbel wird zum Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks Gießen gewählt. Er bleibt bis 2011 in dieser Funktion.
EIN BISSCHEN WICHTIG
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Wer diesen Strauß gleich fängt, dem spreche ich mein vollstes Vertrauen aus.
��������� Chefredakteurin (V.i.S.d.P.) Nicole Alexander nicole.alexander@ politik-kommunikation.de Redaktion christina.bauermeister@ politik-kommunikation.de martin.koch@politikkommunikation.de kim.doepke@politikkommunikation.de Mitarbeiter dieser Ausgabe: Felix Fischaleck, Nicole Tepasse, Christian Lipicki, Martin Fuchs Politikkalender Stefanie Weimann termine@politik-kommunikation.de Layout/Illustration Marcel Franke, Mona Karimi Fotografen/Fotoredaktion Stephan Baumann Laurin Schmid Marco Urban Frank Ossenbrink
Herausgeber Rudolf Hetzel, Daniel Steuber Anzeigen Norman Wittig norman.wittig@helios-media.com Druck PieReg Druckcenter Berlin GmbH, Benzstraße 12 12277 Berlin Abonnement Ansprechpartner: Maurice Schröder maurice.schroeder@ helios-media.com Inland: 12 Monate – 72 Euro, Studenten Inland: 12 Monate – 32 Euro. Studentenabonnement nur gegen Vorlage einer gültigen Bescheinigung. Alle Preise verstehen sich inkl. MwSt. und Versandkosten. Im Internet www.politik-kommunikation.de
Verlagsanschrift/Redaktionsanschrift Helios Media GmbH Werderscher Markt 13 D-10117 Berlin Telefon: 030 / 84 85 90, Fax: 030 / 84 85 92 00, info@helios-media.com
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Einsendung von Ulrich Klose aus Münster. Ein neues Politikfoto finden Sie im Internet unter www.politik-kommunikation.de. Machen Sie mit! Die beste Einsendung wird veröffentlicht.
HINGUCKER
Im Kino mit Volker Bouffier Man kann sich nur allzu gut vorstellen, wie die CDU-Mitarbeiter im Alfred-Dregger-Haus in Wiesbaden zusammen mit der Wahlkampfagentur darüber philosophierten, was denn bei den jungen Leuten gut ankommen würde. Kondome und Flaschenöffner sind old school, da setzt die CDU lieber auf etwas Frisches und Poppiges wie Apfelschorle und Popcorn. So begeistert man die Jugend für Politik: mit Süßigkeiten. Das Popcorn in der einen, die Dose in der anderen Hand und ab in den Blogbuster: So sehen informierte, mündige Bürger aus! Aber vielleicht will man mit diesem Schachzug ja doch mehr erreichen, als nur das grinsende Konterfei von Bouffier in die Köpfe der Bürger einzubrennen. Möglicherweise gibt es sogar eine politische Message und der aufgeblähte Mais soll metaphorisch für die Wahlversprechen der Hessen-CDU stehen. Auch der Dose könnte man mit genügend Willenskraft eine politische Aussage zuschreiben: Ich bin keine Flasche! Umweltschutz den Grünen!
Popcorn und Drink mit Bouffier-Konterfei
GUT KOMMENTIERT Hier lesen Sie die besten Kommentare von p&k-Lesern in unserer Facebook-Community. Dieses Mal Angela Klassmann zur Studie der Otto-Brenner-Stiftung, nach der die Kommunikation von Verbänden und Parteien in den sozialen Medien häufig nur eine Einbahnstraße ist. Fotos: Marco Urban; CSU
Redaktionsbeirat Prof. Dr. Marco Althaus (Technische Hochschule Wildau) Prof. Dr. Günter Bentele (Uni Leipzig) Prof. Dr. Christoph Bieber (Uni Duisburg-Essen) Dr. Frank Esser (Universität Zürich) Sven Gösmann (Rheinische Post) Eva Haacke (Deutscher Bundestag) Dr. Peter Köppl, M.A. (Mastermind Public Affairs Consulting) Prof. Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte (Uni Duisburg-Essen) Sebastian Lange (Welt Online) Prof. Coordt von Mannstein (von Mannstein) Silvana Koch-Mehrin (MdEP) Peter Radunski (MSL Group) Prof. Volker Riegger (logos Holding) Klaus-Peter Schmidt-Deguelle (Medienberater) Maximilian Schöberl (BMW) Hajo Schumacher (Freier Journalist) Kajo Wasserhövel (Elephantlogic) Cornelius Winter (Hering Schuppener)
pol it ik & kommunikation | September 2013