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pressesprecher Magazin f체r Kommunikation

IRGENDWELCHE

IDEEN ?

Kreativit채t


AGENDA

Von wegen „Tafelsilber“ ThyssenKrupp verkauft seine Edelstahlsparte. Der Konzern verabschiedet sich damit von einer 200 Jahre alten Ära. Entscheiden sich Unternehmen ihren bekanntesten Produktionszweig zu verkaufen, gilt es für Kommunikationsexperten strategisch zu handeln.

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AGENDA

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Foto: Thyssenkrupp

TEXT LUCIA DETTMER

„Krupp ohne Stahl“ titelte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ als Thyssen Krupp Ende Januar bekannt gab, seine Edelstahlsparte an den finnischen Wettbewerber Outokumpu zu verkaufen. Schon seit Jahren hatte das deutsche Traditionsunternehmen mit der Sparte keinen Gewinn mehr erzielt. Einen Verlust von 357 Millionen Euro meldete Thyssen Krupp im ersten Quartal dieses Jahres. Dabei hatten Analysten im Schnitt schwarze Zahlen in Höhe von 92,3 Millionen Euro erwartet. Durch den Verkauf der Edelstahlsparte erhält das Unternehmen Mittel für Investitionen in Wachstumsgeschäfte wie die Technologiesparte. Dass der Konzern sein bekanntestes Produkt abtritt, ist für seine B2BKunden keine Überraschung. Schon früh hatte das deutsche Unternehmen den Verkauf der Edelstahlsparte Inoxum an seine Abnehmer kommuniziert. „ThyssenKrupp hat seine Kunden mit einer jahrelangen Corporate-Kampagne auf die Umstrukturierungsmaßnahmen eingestimmt“, sagt Rupert Ahrens, Chief Executive Officer der Berliner Kommunikationsagentur A&B One. Den Fall beobachtet er schon länger. Ungeklärt bleibt jedoch, wie die Umstrukturierungsmaßnahmen in der breiten Bevölkerung aufgenommen werden. Das Image deutscher Traditionsmarken verbinden Verbraucher oftmals mit einem bestimmten Produkt. Dabei kann das vermeintliche Kerngeschäft einen verschwindend kleinen Anteil

eines Unternehmens mit breiter Produktpalette darstellen. Wird das bekannteste Produkt dann abgetreten, gilt es auch das Image zu korrigieren. Aus Kreisen ThyssenKrupps heißt es, dass die PR-Experten bis zur endgültigen Abwicklung des Verkaufs in der zweiten Jahreshälfte keine konkreten kommunikativen Pläne ausarbeiteten. Das Gros der Medien habe jedoch die Pläne des Konzerns, sich zu einem diversifizierten Industriekonzern entwickeln zu wollen, positiv aufgenommen. Schon vor geraumer Zeit taufte das Unternehmen seine Edelstahlsparte „Inoxum“, um sich namentlich zu distanzieren. „Je nach Gewicht der Umstrukturierung muss man sich als Kommunikationsexperte entscheiden, ob man die Marke sterben lässt oder das Unternehmen unter einem anderen Markennamen führt. Wichtig ist jedoch, dass sich der alte Markenname dann mit dem neu angestrebtem Image verträgt“, sagt Ahrens.

Starke Markennamen

Gegen das Sterben des Markennamens hat sich Philips entschieden. Der Technologiekonzern hatte sich den taiwanesischen Hersteller TPV Technology als Joint-VenturePartner für seine berühmte TVSparte suchen müssen. Obwohl Philips heute nur noch 30 Prozent an dieser Sparte hält, verkauft der Technologiekonzern die TV-Geräte weiterhin unter dem Namen Philips. „Philips ist ein starker Markenname, der für hohe Qualität steht. Für die TV-Sparte ein komplett neues

Markenimage unter neuem Namen aufzubauen, würde zudem enorme Investitionen bedeuten“, sagt Georg Wilde, Sprecher der TV-Sparte von Philips. Anders verhält es sich, wenn ein Markenname für unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen steht. Das Multidienstleistungsunternehmen Dussmann etwa ist in der Hauptstadt vor allem für sein Kulturkaufhaus bekannt. Dabei ist sein eigentliches Kerngeschäft die Gebäudereinigung. Trotz solch unterschiedlicher Produkte ist es den Kommunikationsbeauftragten der Dussmann-Gruppe dennoch gelungen, ein eindeutiges Markenimage aufzubauen. Während an Endverbraucher gerichtete Produkte wie das Kulturkaufhaus und der Kulturkindergarten das Image einer kulturellen Institution nach Außen kommunizieren, scheinen die B2B-Produkte des Unternehmens diesen ImageRichtlinien nicht unterworfen zu sein. „Das Kulturkaufhaus ist der Image-Motor unseres Unternehmens. Unsere B2BProdukte wie zum Beispiel Catering, Gebäudereinigung und Sicherheitsdienste müssen wir nicht an Endverbraucher kommunizieren. Daher gibt es in der Wahrnehmung der breiten Bevölkerung ein Bild der Dussmann-Gruppe, das über relativ kleine Geschäftsbereiche geprägt wird.“, sagt Jan Flaskamp, Leiter Kommunikation der Dussmann-Gruppe. Bei Unternehmen mit einer homogenen Produktpalette kann manchmal schon die Popularität eines einzelnen Produkts ausreichen, um das Image

der Marke zu positionieren. Die Aussage „gib mir doch mal den Tesafilm“, etwa versteht fast jeder. 98 Prozent der Deutschen kennen einer Studie der International Research zufolge die Marke tesa. Dabei macht der berühmte Tesafilm lediglich ein Prozent vom Umsatz des Traditionsunternehmens aus. Rund 300 verschiedene Produkte bietet tesa für Endverbraucher an. Dass die Verbraucher mit dem Markennamen tesa zuallererst den berühmten Klebestreifen assoziieren, stört die Kommuni kat ionsverant wor t lichen des Unternehmens nicht. „Ein Markenimage kann nur durch die kontinuierliche Einlösung des Qualitätsversprechens aufgebaut werden. Unsere Kunden wissen, was sie bei tesa erwarten können. Das positive Image des Klebestreifens strahlt somit auch auf unsere anderen Produkte für die Industrie ab“, sagt Reinhart Martin, Leiter Unternehmenskommunikation bei tesa. Es verwundert also nicht, dass die PR-Experten des Unternehmens das dominante Image des Klebestreifens zu schätzen wissen. Zu Recht. Denn laut einer aktuellen Studie der Dr. Doeblin Gesellschaft für Wirtschaftsforschung bewerten Journalisten die Ausstrahlung, Innovationsstärke und Langlebigkeit einer Marke eines Unternehmens als besonders positiv für ihre mediale Berichterstattung. Die Mehrheit der Kommunikationsveranwortlichen unterschiedlicher Branchen scheint auf die Einhaltung dieser Werte bei ihrer kommunikativen Arbeit bewusst zu achten.

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Kinderklau-Behörde, Knöllchenschreiber, ParkSheriff – insbesondere das Image der Jugend- und Ordnungsämter gilt in der Öffentlichkeit als verbesserungswürdig. Doch die Notwendigkeit einer guten Öffentlichkeitsarbeit rückt bei den Ämtern immer stärker ins Bewusstsein.

cher-Redaktion ging es bei der Recherche zu diesem Beitrag zum Teil nicht anders. Doch die Pressearbeit der Ämter wird schneller und professioneller, denn die Bedeutung guter Öffentlichkeitsarbeit ist mittlerweile auch dort stärker ins Bewusstsein gerückt und hat interne Strukturen verändert.

Geübte Praxis

Der Tod der elfjährigen Chantal aus Hamburg machte Anfang Januar deutlich, in welchem Spannungsfeld sich die Pressearbeit von Jugendämtern bewegt. Bundesweit wurde in den Medien über den Fall berichtet. Gerade dramatische Einzelfälle haben für die Medien einen hohen Nachrichtenwert. Für das Image der Jugendämter sind sie eine Katastrohe. Schnell werden positive Berichte in den Hintergrund gedrängt und das Image der versagenden Behörde aufgebaut. Für die Pressearbeit der Ämter heißt es in solchen Fällen jedoch, ansprechbar bleiben. Anruf beim Jugendamt des Kreises Kassel. Auch dort bittet eine freundliche Mitarbeiterin, die Interviewanfrage zunächst an den Pressesprecher des Landkreises Kassel, Harald Kühlborn, zu richten. In dessen Aufgabengebiet fielen neben der Kommunikation für den Landkreis auch die Internationale Kommunikation, der Bereich Kultur und als übergeordnete Dienstelle des Jugendamts auch dessen Medienarbeit. Die Interviewfrage per Mail wird nach wenigen Minuten telefonisch beantwortet. Ein Interviewtermin? Morgen? Kein Problem. Denn von der kommenden Anfrage wusste Kühlborn bereits, bevor die E-Mail aus der Redaktion in seinem Computer eintraf. Ruft ein Journalist beim Jugendamt an, wird dieser von den Mitarbeitern freundlich an die Pressestelle des Landkreises weitergeleitet. Gleichzeitig erhält Kühlborn intern eine Nachricht, dass sich ein Journalist gemeldet hat. „Diese Informationskette ist geübte Praxis und keine feste Dienstanweisung, aber die Kommunikation untereinander muss stimmen. Die Vertreter regionaler Medien wissen bereits, dass sie sich am besten direkt an mich wenden“, sagt er. Die Zusammenarbeit zwischen Fach- und Presseebene funktioniere gut. Über geplante

Weder Bösewicht noch Büroschläfer TEXT JUDITH SCHULDREICH

„Unser Presseansprechpartner? – Versuchen Sie es doch bitte einmal im Rathaus“, sagt die Frau am Telefon des Jugendamts einer Kleinstadt. Freundlich und hilfsbereit gibt sie Namen und Telefonnummer des städtischen Pressesprechers weiter. Nach einem kurzen Telefonat verspricht dieser, sich beim zuständigen Amtsleiter nach einem Gesprächspartner zu erkundigen. Zwei Tage später folgt die Absage. Vom Amt, zum Stadtsprecher, zur Amtsleitung und zurück – für Journalisten ist es gerade bei Ämtern ohne direkten Ansprechpartner schwierig, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Rufen überregionale Medien an, scheint es oftmals, als schwankten die Mitarbeiter geradezu zwischen Überforderung und Schockstarre. Doch gerade in Krisensituationen kann das Hin-und-Herschicken von Journalisten für das Behördenimage gefährlich werden. Denn gerade bei emotional stark aufgeladenen Themen verlieren Ämter durch lange Reaktionzeiten oftmals die Möglichkeit, die mediale Darstellung positiv zu beeinflussen. Der Satz „XY war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen“ ist schnell geschrieben. Auch der pressespre16

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Integration: Das Jugendamt fördert die Integration aller Kinder und Jugendlichen.

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Fotos: BFSFJ

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Maßnahmen, wie etwa eine Inobhutnahme oder die Herausnahme eines Kindes aus einer Familie wird Kühlborn durch das Jugendamt ebenfalls rechtzeitig informiert und kann sich auf entsprechende Anfragen vorbereiten. Wenn eine kommt, kann Kühlborn schnell reagieren. „Journalisten schätzen oftmals die kurze und zusammenfassende Aussage eines Pressesprechers“, sagt er. Doch gerade bei sensiblen Themen gehöre es auch zum Alltag, die eine oder andere Anfrage nicht zu kommentieren. „Bei vielen Ereignissen muss man zwischen medialem Interesse und dem Kindes- beziehungsweise Datenschutz abwägen. Manchmal ist es dann besser, nichts zu sagen“, sagt Kühlborn. Doch Nichtkommunikation wird Jugendämtern oft vorgeworfen. „Jugendämter können nicht nicht öffentlich sein. Sie können lediglich durch die Art ihrer Kommunikation bestimmen, wie sie in den Medien dargestellt werden“, sagt Sonja Enders, DiplomPädagogin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Koblenz-Landau. In ihrer Dissertation untersucht Enders die Berichterstattung über Jugendämter in regionalen und überregionalen Zeitungen und Zeitschriften von 2006 bis 2008. In der Sensibilität und Aufmerksamkeit der Medien sieht sie Chancen für die Pressearbeit der Jugendämter. „Ein Großteil der Berichterstattung bezieht sich auf neutrale bis positive Aspekte der Jugendamtsarbeit. Für die kommunale Öffentlichkeitsarbeit und auch bundesweite Kampagnen kann das ein guter Anknüpfungspunkt sein, um am Image des Jugendamts zu feilen und Angebote zu präsentieren“, sagt Enders. Dass man in der Öffentlichkeitsarbeit offensiv nach außen treten sollte, ist auch Harald Kühlborn bewusst. Gemeinsam mit der„Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“ erarbeitete Kühlborn eine Reihe anonymisierter, aber realer Fälle, mit der die verschiedenen Hilfsangebote des Fachbereichs Jugend und die Mitarbeiter vorgestellt werden konnten. „Zusätzlich haben wir mit Hilfe einer externen Journalistin eine Broschüre erstellt, in der jede Abteilung ganzseitig mit Ansprechpartnern und Kontaktdaten dargestellt wird. Damit haben wir gleichzeitig die Angebote vor-

Mit Plakaten wurde die bundesweite Kampagne der Jugendämter begleitet. Dabei immer identisch der Slogan: „Das Jugendamt. Unterstützung, die ankommt.“

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Erzieherische Hilfen: Das Jugendamt steht Eltern, Kindern und Jugendlichen bei Problemen mit individuellen Hilfen zur Seite und entwickelt mit ihnen gemeinsam Lösungen.

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gestellt und der Presse Material für persönliche Geschichten geliefert“, sagt Kühlborn.

Regional organisiert

20 traten die deutschen Jugendämter fünf Wochen mit dem Slogan „Das Jugendamt. Unterstützung, die ankommt“ an die Öffentlichkeit. Eine bundesweite Kampagne sollte die öffentliche Wahrnehmung der Jugendämter durch die Darstellung der unterschiedlichen Angebote und Dienstleistungen positiv verändern. Wie wenig über die Angebote der Jugendämter bekannt ist, machte eine Forsa-Umfrage im Vorfeld der Image-Kampagne deutlich. 37 Prozent der Eltern von minderjährigen Kindern gaben an, keine Vorstellung davon zu haben, was Jugendämter leisten. Mit der bundesweit angelegten Kampagne wollten die Jugendämter weg von einem verschlafenen, negativen Behördenimage. Die eigenen, regionalen Leistungen und Angebote sollten in den Vordergrund rücken.

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„Die meisten Veranstaltungen wurden dabei regional organisiert und auf die Bedürfnisse vor Ort angepasst. Bundesweit einheitlich waren der Slogan, das Logo, die Pressemappen und das Informationsmaterial, das vorher bei uns bestellt werden konnte“, sagt Birgit Zeller, Leiterin der Abteilung Landesjugendamt im Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung Rheinland-Pfalz und Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Landesjugendämter, die für die bundesweite Betreuung und Koordinierung der Kampagne verantwortlich war. „Die Kampagne der BAG war für die Jugendämter eine gute Möglichkeit, sich durch regionale Aktionen dem Konstrukt ‚das Jugendamt’ entgegenzustellen und in der Region das eigene Image zu verbessern“, sagt Enders. Der regionale Aspekt sei deshalb so wichtig, weil selbst in regionalen Medien oft nicht zwischen dem Dienstleister vor Ort und einem medial geprägten Bild vom Jugend-

amt unterschieden werde. „Es gibt Hinweise darauf, dass das negative, verallgemeinerte Bild vom Jugendamt durch den persönlichen Kontakt verbessert werden kann. Interessante und spannende Berichte in der Regionalzeitung stärken durchaus das positive Bild vom Jugendamt in der Region“, sagt Enders. Um das regionale Image der Jugendämter zu stärken, waren nach einer gemeinsamen Auftaktveranstaltung mit Bundesfamilienministerin Kristina Schröder in Berlin auch die Jugendamtsmitarbeiter vor Ort gefordert. Mit Veranstaltungen, Ausstellungen und anderen Aktionen stellten die Jugendamtsmitarbeiter ihre Arbeit vor und wurden so gleichzeitig Ansprechpartner für die Medien. Bereits im Vorfeld der Kampagne hatten Jugendamtsmitarbeiter die Möglichkeit, auch die Zusammenarbeit mit Medienvertretern zu üben und sich über die eigenen Erfahrungen auszutauschen. Wie ticken Journalisten? Wie geht man mit Reportern und Redakteuren um? Auf was muss man achten, wenn die eigene Botschaft beim Leser ankommen soll? Wie verhalte ich mich in Krisensituationen? „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhielten Tipps für die eigene Pressearbeit“, sagt Zeller. Die Imagekampagne habe neben der Außenwirkung auch einen positiven Effekt nach innen gehabt. Sie habe das Selbstbewusstsein gestärkt und „viele Mitarbeiter haben gelernt, dass die Presse neugierig ist auf ihre Arbeit und die damit verbundenen Geschichten“, sagt Zeller. Auch langfristig ist in das Thema Öffentlichkeitsarbeit bei den Jugendämtern Bewegung gekommen. Ein, zunächst für die Kampagne gegründeter, bundesweit agierender Beirat für Öffentlichkeitsarbeit ist mittlerweile zur ständigen Arbeitsgruppe geworden. „Mit der Arbeitsgruppe wollen wir weiterhin daran arbeiten, dass die Jugendäm17


AGENDA

„Gute Regeln machen Sinn“ – Die Berliner Ordnungsämter präsentierten 2011 mit verschiedenen Kampagnen ihre zahlreichen Aufgabengebiete.

ter als moderne Dienstleister wahrgenommen werden und Medien und Öffentlichkeit sich langfristig vom negativen Image lösen können. Eine Kampagne allein reicht da nicht“, sagt Zeller.

Ordnung muss sein

Von ihrem negativen Image wollten sich 20 auch die Berliner Ordnungsämter mit einer großangelegten Kampagne lösen. Für die Behördenmitarbeiter ein notwendiger Schritt. „Das Image der Berliner Ordnungsämter ist bisher nicht das Beste, das sehen auch die Ordnungsämter selbst so“, sagt Marlies Meunier, zuständig für landesweite Bürger- und Ordnungsangelegenheiten bei der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport. „Die Kampagne sollte ein Signal setzen und die positivere Außenwahrnehmung der Ordnungsämter stärken“, sagt Meunier. Mit dem Slogan „Gute Regeln machen Sinn – Wir kümmern uns darum“ sollte der Ruf als Knöllchenschreiber hin zum Image als kompetenter Ansprechpartner gestärkt werden. Mit Plakaten und Kinospots, Flyern und Informationsbroschüren warben die Ordnungsämter um ein besseres Ansehen. Die Auswertung und Umsetzung ist dann in den Bezirken unterschiedlich verlaufen. „Alle Ordnungsämter sind 18

sich aber einig, dass eine kontinuierliche Öffenlichkeitsarbeit und eine Imageverbesserung wichtig sind“, sagt Meunier. Die Bezirke haben zwar eigene Pressestellen, die Pressemitteilungen und Informationsbroschüren herausgeben, aber in den Ordnungsämtern selbst gibt es in der Regel keine eigenen Stellen für Öffentlichkeitsarbeit. Doch die Kampagne kam nicht überall gut an. Laut einer Telefonabstimmung des „Tagesspiegel“ waren rund 68 Prozent der Anrufer dagegen, dass der Ruf der Berliner Behörden, speziell der Ordnungsämter, mit einer Werbekampagne „aufgehübscht“ werden sollte. Statt Geld für eine Imagekampagne auszugeben, sollten die Mitarbeiter des Ordnungsamts vielmehr vor Ort durch „nachsichtiges, offenes Handeln mit Augenmaß und Vernunft“ um Sympathie werben. Der Erfolg einer PR-Kampagne sei nämlich nur kurzfristig und durchaus nicht sicher, fasste „Tagesspiegel“-Redakteur Bernd Matthies den Tenor der Telefonabstimmung zusammen. Doch auch daran will man bei den

Berliner Ordnungsämtern weiter arbeiten. „Die Mitarbeiter sollen als freundliche, offene und kompetente Ansprechpartner vor Ort auftreten und wahrgenommen werden, deshalb werden für sie auch regelmäßig Schulungen zur Service-Orientierung, Konfliktund Kommunikationsfähigkeit angeboten“, sagt Meunier. Wichtig für eine positivere Wahrnehmung sei auch, dass die Zusammenarbeit der Ordnungsämter mit Bürgerinitiativen ausgebaut wird. In vielen Bezirken gäbe es schon gute Ansätze. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport unterstützt solche Initiativen auch mit Schulungs- und Moderationsangeboten sowie gezielten Öffentlichkeitsmaßnahmen. Wie solch eine Maßnahme aus der Zusammenarbeit zwischen Pressestelle und Fachabteilung umgesetzt werden kann, zeigt die Ak-

tion „Trostpflaster“ der Stadt Böblingen. Wer 20 in der Adventszeit auf öffentlichen Parkplätzen in der Innenstadt die Parkzeit überzogen hatte, fand neben dem Knöllchen zusätzlich ein kleines Trostpflaster der Stadtverwaltung an seinem Fahrzeug. Die Parksünder konnten sich bei Vorlage ihres Knöllchens im Bürger- oder Ordnungsamt eine Karte für zwei Stunden Gratis-Parken in einer der städtischen Tiefgaragen abholen. „Die Idee zur Trostpflaster-Aktion stammt von den Ordnungsamtsmitarbeitern selbst“, sagt Wolfgang Pfeiffer, Pressesprecher und Leiter der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Böblingen und damit auch Sprecher des Ordnungsamts. Durch einen ständigen Austausch sei es möglich, gute Ideen aus der Praxis für die Imageförderung der Ämter zu nutzen. „Dabei kommt bei den Lesern gut an, wenn ab und zu die Menschen und nicht die Behörde in den Blick rückt“, sagt Pfeiffer. Viele Mitarbeiter hätten die Sorge, dass Journalisten ihnen das Wort im Mund verdrehen oder dass das Gespräch anders geschnitten werde als erwartet. Aber dann sei der hauptamtliche Pressesprecher gefordert, zu ermutigen und zu begleiten. Von der Anfrage über die Vermittlung des Gesprächspartners bis zu den Interviews mit Fachleuten müsse dieser dann dabei sein, um den Mitarbeitern den Rücken zu stärken. „Es ist hilfreich, wenn das gegenseitige Verständnis zwischen Pressestelle und Leitung des Ordnungsamts für die jeweilige Aufgabe vorhanden ist und man in der Vorgehensweise einer Meinung ist“, sagt Pfeiffer. In Böblingen fällt dieser Konsens vielleicht etwas leichter als andernorts, denn der Ordnungsamtsleiter war früher auch einmal Pressesprecher. Die Kampagnen der Ämter zeigen, dass das Bewusstsein um das eigene Image wächst. Unter Öffentlichkeitsarbeit wird längst nicht mehr nur das Verfassen einer Pressemitteilung verstanden. Nicht für die Pressearbeit zuständige Mitarbeiter helfen Journalisten bei der Suche nach dem richtigen Ansprechpartner. Doch oftmals zerstören lange Reaktionszeiten und die zentralistisch organisierten Informationswege viele positive Eindrücke.

Fotos: Berlin.de

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Kreativit채t l채sst sich noch planen. Warum Freir채ume und vor

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weder verordnen die PR mehr allem Mut braucht.

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TITEL

Das Marketing gilt nach wie vor als die eigentliche Kreativschmiede in der Kommunikation. Dabei kann die PR mit vergleichsweise geringerem Aufwand ebenfalls wirksame Kampagnen entwickeln. Doch freche, ideenreiche Kommunikation ist noch immer eine Ausnahme.

„Lasst euch was einfallen!“ TEXT SEBASTIAN GÜLDE

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»Versuche de den Ideen

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Fotos: Baumann Stephan

unbedarft

Dem Autobauer BMW die Schuld für über 20 Kältetote zuzuschieben, die im Februar das Hoch ‚Cooper’ verursachte, wäre natürlich Blödsinn. Und dennoch sah sich der Konzern in der Pflicht, sich zu entschuldigen. Dass die Wetterlage derart katastrophale Ausmaße angenommen hatte, bedauerte BMW sehr, wie eine Konzernsprecherin dem britischen „Independent“ sagte. Warum aber die Entschuldigung? Zwar fühlte sich BMW nicht für den Wintereinbruch verantwortlich, wohl aber für eine damit verbundene, verhunzte Werbekampagne. Für diese hatte sich nämlich der Konzern Monate zuvor beim Meteorologischen Institut der

Freien Universität Berlin eine Namenspatenschaft für ein Hoch gesichert. Die Idee war so einfach wie genial – und mit den 299 Euro, die eine solche Wetterpatenschaft kostet, auch noch recht günstig. Mit dem Namen ‚Cooper’ sollte das Hoch an den Kleinwagen Mini Cooper erinnern. So sollten nicht nur Anzeigen auf Wetterportalen wie wetter.com geschaltet werden – auch hatte man bereits flotte Slogans wie „Mini macht das Wetter“ oder „Ein Hoch auf den Mini Cooper Roadster“ parat. Eine SocialMedia-Kampagne war ebenfalls bereits in Arbeit. Dumm nur, dass das Hoch nicht nur den erwarteten Sonnenschein, sondern auch einen Temperatursturz mit sich brachte. Dass sich Cooper allerdings zu einer sibirischen Frostwelle mit Toten auswirken würde, konnten die Marketingverantwortlichen bei BMW und der betreuenden Agentur nicht ahnen. Und so stellte BMW Anfang Februar alle mit der Wetterfront verbundenen Werbemaßnahmen kurzerhand ein. Die PR-Abteilung konnte nur noch ihr Bedauern über die missglückte Aktion kundtun. Dass Unternehmen nach schiefgelaufenen Werbekampagnen Abbitte leisten müssen, ist nicht ungewöhnlich – im Gegenteil. BMW ist mit seiner Entschuldigung in guter Gesellschaft. Anfang

und halbh

Februar musste sich auch Daimler für eine Mercedes-Werbekampagne entschuldigen. „Mehr als 200 Pferde und weniger Emissionen als eine Kuh“ – mit diesem Slogan hatte Daimler die neue M-Klasse in deutschen Medien beworben. Der bildhafte Vergleich kam aber nicht überall an. „Die Kuh ist der ideale Ressourcennutzer für unsere Grünlandflächen und produziert dabei hochwertige Nahrungsmittel für die Menschen – eine Leistung, mit der Ihr Geländewagen für die Autobahn nicht konkurrieren kann“, beschwerte sich Helmut Born, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. Der Slogan sei ein „unerträglicher Fehlgriff “. Daimler lenkte ein. „Die Formulierung war überspitzt. Wir haben uns beim Bauernverband entschuldigt“, hieß es schließlich aus der PR-Abteilung des Unternehmens.

Bloß kein Neid

sind oft

Nicht selten, so scheint es, obliegt es der PR, Marketing-Kampagnen zu begleiten oder – wenn diese schiefgelaufen sind – sich für den Fauxpas zu entschuldigen. Besonderer Ideenreichtum ist dafür selten gefragt, Kreativität gilt eher als Privileg der Werbung. Es ist vor allem sie, die überraschen darf. Werbung darf schocken, provozieren, vielleicht auch mal ein wenig über

erzig. «

das Ziel hinauszuschießen – moderat versteht sich. Das Marketing leistet sich Designer und Grafiker, beschäftigt Filmteams und Kreativdirektoren. Immer wieder blicken PR-Manager neidisch auf die Etats ihrer Marketingkollegen. Tatsächlich scheint es unter der Oberfläche zu brodeln. Glaubt man einigen PR-Experten, ist der Wettbewerb zwischen Werbern und PR-Managern in kreativer Hinsicht längst persönlich. „Werbeagentur-Mitarbeiter blicken auf alle anderen Agenturen herab und glauben, auch PR-Verantwortliche würden gerne bei ihnen arbeiten – sie sind aber einfach nicht qualifiziert“, schreibt etwa der britische Blogger Hacked Off Flack, zu Deutsch ‚der genervte PR-Fuzzi’, auf prmoment.com. Auch glaubten Mitarbeiter von Werbeagenturen, sie seien „kreativer als alle anderen“, beschwert er sich. Selbstbewusstsein klingt anders. Dabei muss sich die PR nicht hinter dem Marketing verstecken. Immer wieder erzielen PR-Kampagnen auch mit verhältnismäßig kleinen Budgets erstaunliche Ergebnisse. Júzcar, einer verschnarchten 230-SeelenGemeinde in Andalusien, verhalf 23


TITEL

»Auch skurrile Ideen haben das Potenzial, sich irgendwann totzulaufen «

eine PR-Aktion etwa zu einem beispiellosen Touristenansturm. Die Mitarbeiterin einer Agentur hatte den Bürgermeister Júzcars angerufen und ihn gebeten, das ganze Dorf blau anstreichen zu lassen – schlumpfblau, um genau zu sein. Um den Hollywoodstreifen ‚Die Schlümpfe’ in Spanien bekannter zu machen, suchte die Agentur noch eine passende Kulisse. Drei Monate später waren nicht nur die Häuser von Júzcar, sondern auch die Kirche blau. Über das spanische Schlumpfhausen berichteten die Medien weltweit. Ein kurzfristiger PR-Gag brachte unzählige zahlende Besucher in das einst unbekannte Nest. Die Einwohner entschieden sich, ihre Häuser schlumpfblau zu lassen. Überhaupt scheint die Tourismusbranche eine der Vorreiterinnen für kreative PR zu sein, traut man sich vor allem dort, ‚um die Ecke zu denken’. Bereits vor drei Jahren erregte die Tourismusbehörde in Queensland mit einer viralen PR-Kampagne weltweites Aufsehen. In weltweit geschalteten Anzeigen suchte sie einen Hausmeister in Teilzeit, der die Insel Hamilton am Great Barrier Reef betreuen könnte. Wer einen Laptop bedienen könne, sei quali24

fiziert genug, hieß es. Der ‚Hausmeister’ sollte lediglich in einem Blog über die Schönheit der Region berichten und mit Journalisten übers Schnorcheln, Planschen und Sonnen sprechen. Die Nachricht vom fürstlich entlohnten Faulenzerjob verbreitete sich sprunghaft – und die von der traumhaften Urlaubsregion natürlich mit ihr. Ziel erreicht.

Hirnblockade

Auf den Geistesblitz, der die eigene Organisation quasi über Nacht weltweit bekannt macht, hofft jeder PR-Manager, der eine neue Kampagne entwickeln soll. Klar, etwas Ungewöhnliches sollte es sein, etwas noch nie Dagewesenes. Facebook, Twitter, Youtube? „Brauchen wir unbedingt.“ Vielleicht noch ein, zwei Prominente mit ins Boot holen? „Kann zumindest nicht schaden.“ Die Konkurrenz hatte doch neulich diesen Lauf organisiert. „Warum sind wir nicht auf die Idee gekommen?“ Spontane Eingebungen, die das Problem auf Anhieb lösen, sind in schnell

einberufenen Ideenrunden die Ausnahme. Aber lässt das berufliche Umfeld des PR-Experten überhaupt Kreativität zu oder herrscht Business as usual? Haben Kommunikationsmanager überhaupt den Freiraum, querzudenken, den eigenen Horizont zu erweitern, oder gibt man sich doch mit routiniertem Mittelmaß zufrieden? Denn so halbherzig und schüchtern manche Idee ist, so halbherzig und unbedarft sind auch viele Versuche des Managements, die Kreativität der eigenen Mitarbeiter zu fördern. Frei nach dem Motto: Genügend Druck und irgendwann platzt es schon aus den Mitarbeitern heraus. Andere wiederum suchen externen Rat, um den Einfallsreichtum ihrer Mitarbeiter anzuspornen. Auf dem Markt tummeln sich mal mehr, mal weniger seriöse Berater, Innovationscoachs und Kreativitätstrainer, die – für entsprechendes Salär – „Kreativitätsblockaden lösen“ oder die „Ideenfindung beschleunigen“. Auch ohne teure Berater reizen Unternehmen die Problemlösungskompetenz ihrer Mitarbeiter aus, setzen auf geheimnisvoll klingende Methoden wie Clustering und morphologische Kästen, Dis-

ney-Methode oder Umkehr-Ansatz. Während das Brainstorming aus kaum einer PR-Sitzung mehr wegzudenken ist, werden andere Methoden allmählich populärer. In der Reizwortanalyse beispielsweise sollen mithilfe von Begriffen Assoziationsketten in Gang gebracht werden. Eine beliebte und besonders für spektakuläre PRKampagnen geeignete Methode ist die Synektik. Zwei scheinbar völlig zusammenhanglose Bereiche werden miteinander verknüpft. Ob man eine Bobbahn mit einer Wokpfanne herunterschlittert oder einen Rückwärtsslalom auf Stöckelschuhen vor dem Kölner Dom veranstaltet, um neue Schaumstoffohrenstöpsel bekannter zu machen: Die Aufmerksamkeit der Medien hätte man mit skurrilen Assoziationen sicher. Doch so erfolgreich diese Methode sein mag, sie hat das Potenzial, sich ebenso schnell totzulaufen. Ein Bentley, der per Hubschrauber zur Markteinführung im Februar dieses Jahres in die Münchener Innenstadt gehievt wird, interessiert die Fachund Regionalpresse. Irgendwann werden solche Aktionen aber nur noch als Abklatsch vorangegangener Events betrachtet. Fehlen der PR also die kreativen Köpfe? Benötigen wir die „gezielte Förderung „schräger Typen“, wie sie der Professor für Organisationspsychologie Peter Kruse im vergangenen Jahr forderte? Sicher, es reicht nicht, zwei bunte Vögel in das PRTeam zu holen, um „den Laden mal so richtig aufzumischen“. Das wäre ebenso erfolgreich wie die Forderung des Chefs für die nächste PR-Kampagne: „Lasst euch was einfallen.“ Aber es schadet sicher auch nichts, andere Denkweisen zuzulassen, Meinungen einzuholen und sich für solche Entwicklungen Zeit zu nehmen. Dass das nicht ohne großzügigen Zeitplan und personelle Ressourcen funktioniert, versteht sich von selbst.

Illustration: dreamstime.com

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PRAXIS

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Selbst bedeutende Unternehmen, die eigentlich keine Probleme haben, die Aufmerksamkeit der Redakteure auf sich zu ziehen, nutzen Advertorials. Andererseits scheuen sich auch große Verlage nicht, redaktionell anmutende Werbung offensiv anzubieten. Manche veranstalten sogar Workshops dazu. Doch der Nutzen von bezahlten Artikeln ist mindestens genauso umstritten wie der moralische Aspekt.

Kein Ersatz für PR – und dennoch wertvoll TEXT JÖRG-STEFAN SCHMITT und THEO REINERTH

Es ist kein Geheimnis: Manche Publikationen würde es gar nicht geben, wenn sie sich nicht den Großteil ihrer Artikel bezahlen ließen, und manche Pressesprecher und PR-Agenturen hätten ohne Advertorials überhaupt keinen Abdruck. Obwohl natürlich auch bei uns früher alles besser war, können wir uns freuen, dass wir weder auf solche Publikationen noch auf solch eine Scheckheft-Pressearbeit angewiesen sind. Aber da nicht jeder Pressesprecher dieses Glück hat, wollen wir vor diesem Hintergrund keine allgemeine moralische Bewertung abgeben. Hier kann und muss jeder seinen persönlichen Maßstab anlegen. Wir mögen Advertorials vor allem deshalb nicht, weil wir zu eitel dafür sind; für Artikel bezahlen ist schließlich keine Kunst. Aus pragmatischen Gründen greifen wir trotzdem hin und wieder auf dieses Werkzeug zurück; in erster Linie weil die Produktion eines Advertorials schneller und günstiger ist als die Kreation einer Werbeanzeige. Doch mehr als mit emotionalen Gesichtspunkten haben wir uns bisher mit der 38

Frage beschäftigt, ob Advertorials auch wirklich ihren Zweck erfüllen und gelesen werden. Denn wir sind auch zu eitel, um für den Papierkorb zu schreiben. In allen uns bekannten Copytests und speziellen Vergleichsuntersuchungen schneiden Advertorials wesentlich schlechter ab als klassische Werbeanzeigen. Bis auf den höheren Informationsgehalt bekommen Advertorials in allen Belangen schlechtere Noten, vor allem bei der Aufmerksamkeit und der Wiedererkennung der Marke. Es wird sogar attestiert, dass Advertorials eine negative Wirkung erzielen können, weil sich einige Probanden getäuscht fühlten.

Forschung im Freien

Wenngleich diese Untersuchungen nachvollziehbar und plausibel sind, unterliegen sie dennoch methodischen Schwächen: Zum einen finden die Befragungen unter ‚Laborbedingungen’ statt. Die Probanden wissen von vornherein, dass sie Werbung beurteilen, auch wenn sie wie redaktionelle Artikel aussehen. Sie sind somit in ihrer Bewertung voreingenom-

men. Zum anderen werden Advertorials stets mit Werbung verglichen. Aber Advertorials sollen ja von ihrer Intention her gar keine Werbung imitieren, sondern redaktionelle Artikel. Im Rahmen eines PR-Projekts führten wir nun, wenn auch unbeabsichtigt, einen Vergleich von Advertorial und Anzeige in ‚freier Wildbahn’ durch. Zwar handelt es sich hierbei nicht um einen Vergleich von redaktionellen Artikeln mit Advertorials, aber die Erkenntnisse sind nicht weniger bemerkenswert. Bei dem Projekt handelt es sich um eine Marktforschung, deren Ergebnisse für die Pressearbeit genutzt werden. Ein strategischer Bestandteil dabei ist, die Leser von Computermagazinen zur Teilnahme an einer Marktforschung zu motivieren. Dieses geschieht einmal per werblicher Anzeige und einmal per redaktionell aufgemachter Anzeige. Für die Beobachtung sind zwei Faktoren wesentlich: zum einen die Erfahrungen aus den vier Jahren, in denen wir das Projekt bereits durchführen, und zum anderen, dass wir responseorientierte Advertorials geschaltet

haben. Als wir 2008 mit der ersten Befragung an den Start gingen, entschieden wir uns aus den oben bereits erwähnten pragmatischen Gründen dafür, die Anzeige nicht klassisch werblich, sondern redaktionell anmutend gestalten zu lassen. Die Anzahl der Anzeigen war uns wichtiger als ein aufwendig gestaltetes Werbemittel.

Text eindeutig vorn

Die Resonanz war mit 7.000 Teilnehmern unerwartet gut. Da das Projekt aber nicht nur hinsichtlich der Teilnehmerzahlen, sondern mit über 30 Veröffentlichungen auch publizistisch die gesetzten Ziele weit übertroffen hatte, wiederholten wir es 2009 und 200. Dabei änderten wir weder Grundkonzept noch Anzeigengestaltung oder Platzierung. Lediglich einzelne Publikationen wurden ersetzt. Die Teilnehmerzahlen, die wir mittels ‚Webcodes’ den jeweiligen Publikationen zuordnen konnten, waren jeweils vergleichbar. Bei einem Titel reagierten auf die erste Anzeige drei Jahre hintereinander immer über .000 Leser. Nachdem das Konzept dreimal hintereinander bewiesen hatte, dass es funktioniert, wollten wir in der aktuellen Runde einen Schritt weiter gehen. Dabei hatten wir auch die eingangs erwähnten Vergleichsuntersuchungen zwischen Advertorials und Werbung in unsere Überlegungen einbezogen. Danach vermuteten wir, dass sich durch eine auffälligere Gestaltung der Anzeige noch mehr Leser zur Teilnahme motivieren lassen müssten als durch die unauffällige Textanzeige. Im November 20 schalteten wir also wieder Anzeigen in den gleichen Titeln, mit der gleichen Platzierung, zum gleichen Zeitpunkt und im gleichen Umfang (/2 Seite) wie in den Vorjahren. Nur die Gestaltung war nicht mehr redaktionell anmutend, sondern eher werblich. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Die Teilnehmerzahlen brachen durch die Bank um etwa 75 Prozent ein. Beim Magazin, das uns drei Jahre hintereinander über .000 Teilnehmer beschert hatte, registrierten wir mit dem neuen Motiv nach 4 Tagen gerade mal 250. Da wir außer der Anzeigengestaltung nichts verän-


PRAXIS

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Fotos: Brother Internatioal GmbH (2); Joachim Storch

Grafisch aufgelockert und dennoch weniger erfolgreich als der Textbeitrag. Die Resonanz auf die Bildanzeige (links) war verhältnismäßig gering. Auf die Anzeige in Form eines redaktionellen Beitrags dagegen (unten) reagierten dreimal mehr Leser.

dert hatten, entschieden wir uns für die Gegenprobe. Wir ließen also in einer Publikation das neue Werbemotiv durch das alte ersetzen und vereinbarten mit dem Verlag eine gleich gute Platzierung. Auf die redaktionelle Anzeige reagierten in den ersten 4 Tagen 790 Leser. Damit war für uns der Beweis erbracht, dass es an der Anzeigengestaltung gelegen hatte und – zumindest innerhalb der speziellen Parameter dieses Projekts – ein Advertorial keinesfalls schlechter, sondern tatsächlich drei- bis viermal besser funktioniert als eine Werbeanzeige. Welchen Nutzen können wir nun aus dieser Erkenntnis ziehen? Zwar hat in diesem Fall das Advertorial seinen Zweck besser erfüllt als die Werbeanzeige. Aber nicht jede Werbeanzeige hat zur Aufgabe, Teilnehmer für eine Umfrage zu gewinnen. Image und Emotion kann ein Advertorial nicht transportieren. Außerdem lässt die Wirkung von Advertorials im Gegensatz zur Werbung, die wirkungsvoller wird, je öfter der Leser damit konfrontiert wird, schnell nach. Ein grundsätzlicher Ersatz für Werbung ist ein Advertorial also nicht. Bei der Pressearbeit sieht das etwas anders aus. Unser Experiment zeigt, dass ein Advertorial, wenn es so aussieht und die gleichen Informationen transportiert wie ein re-

daktioneller Artikel, die Leser wie ein redaktioneller Artikel erreichen kann. Für Pressesprecher, die mit ihren Themen sonst überhaupt kein Gehör in Redaktionen finden, könnte ein Advertorial theoretisch eine Alternative sein. Praktisch ist das jedoch nicht ungefährlich. Wer es inhaltlich oder mengenmäßig übertreibt, schadet sich langfristig stärker, als er kurzfristig profitiert. Advertorials sind also weder ein Ersatz für Werbung noch für Pressearbeit. Aber sinnvoll eingesetzt, kann man damit seine Pressearbeit verbessern. Als Pressesprecher erhält man in der Regel keine Reaktion auf eine redaktionelle Veröffentlichung. Das bedeutet, dass man nicht abschätzen kann, ob die Publikation für die Pressearbeit relevant ist. Zwar gibt es kontrollierte Auflagen und Reichweitenmessungen, diese beziehen sich aber immer auf das Medium als Ganzes. Wie viele Leser eines Magazins einen bestimmten Artikel – in unserem Fall über Drucker – auch tatsächlich lesen, lässt sich so nicht bestimmen. Aber gerade wenn man Randthemen besetzt, ist diese Information wichtig. Die Reaktion auf ein Advertorial kann ein Indikator für die Wahrnehmung eines redaktionellen Artikels mit ähnlicher Struktur sein. Verfügt man über begrenzte Ressourcen und muss sich ent-

scheiden, welche Medien man bevorzugt behandelt, hilft solch eine Response-Quote, um die Pressearbeit zielgerichteter und effizienter zu steuern. Schließlich ist solch eine Response-Quote ein interessanter Faktor in der Leistungsmessung. In der Regel wird die Leistung einer Presseabteilung in einem Werbeäquivalenzwert ausgedrückt. Doch wenn eine redaktionell anmutende Anzeige wie in unserem Fall drei bis viermal mehr Aufmerksamkeit erhält als eine werbliche Anzeige, dann muss der ermittelte Anzeigenwert für einen redaktionellen Artikel entsprechend höher berechnet werden.

Fazit

Advertorials sind trotz der guten Erfahrung dieses Experiments weder ein Ersatz für Werbung noch für Pressearbeit. Moralisch bleiben sie zweifelhaft, und ehrenvoller sind bezahlte Artikel für einen Pressesprecher auch nicht geworden. Aber es hat sich gezeigt, dass man Advertorials sinnvoll und

nutzbringend einsetzen kann. Entscheidend ist, welches Ziel man damit verfolgt. Advertorials: Sinnvolle Ergänzung der PR oder Tabu: Diskutieren Sie mit Theo Reinerth am 13. April unter www.pressesprecher.com

Jörg-Stefan Schmitt ist seit 1997 Leiter der Unternehmenskommunikation bei Brother International. In der Position verantwortet er unter anderem PR, Marketingkommunikation und Events des Unternehmens. 1995 stieg Schmitt als Produktmanager bei Brother International ein. Davor arbeitete er unter anderem als Journalist in München. Theo Reinerth arbeitet seit 2002 als Corporate Communications Manager bei Brother. In dieser Position ist er unter anderem für Pressearbeit, Werbung, Sponsoring und Veranstaltungen zuständig. Reinerth arbeitete mehrere Jahre lang als freier Journalist. Von 2000 bis 2002 war er als PR-Manager in der Telekommunikationsbranche tätig. 39


KARRIERE

Niederlage? Hereinspaziert! TEXT MICHAEL STUHLMILLER UND SUSANNE T. HANSEN 50

Kaum etwas verlangt Menschen so viel Energie in ihrem beruflichen Alltag ab wie die Vermeidung von Niederlagen oder dem, was sie oder andere dafür halten. Eine verpatzte Präsentation, die unpassende Krawatte, das falsche Wort – in vorauseilender Scham und Angst scannen sie sich permanent selbst in ihrem Denken und Handeln ab. Dabei sind es gerade die kleinen und großen Momente des Scheiterns, die uns zu einem Zuwachs an Wissen und Klugheit verhelfen können. Der Clown stellt sich uns im Umgang mit Niederlagen als Lehrmeister zur Verfügung. Denn je mehr er scheitert, desto größer ist sein Erfolg. Oder anders: Ein Clown, der nicht stolpert, hat ein Problem. Seit Menschengedenken begleitet er Institutionen, mal

mit Narrenspiegel bei Hofe, mal als Provokateur des Vorstands im Beratergewand. Im dreistufigen ‚Scheiter-Modell’ wird der Clown zum Wegbereiter eines bereichernden Umgangs mit den Nackenschlägen des Lebens, ob beruflich oder privat.

Ignorieren hält dumm

In der ersten Stufe der Erkenntnis löst der ‚Pure Clown’ in der Figur des ‚Dummen August’ reine Schadenfreude beim Betrachter aus. Er will die Menschen zum Lachen bringen über sich, nicht über sie selbst. Wir lernen von ihm, dass seine kindliche Naivität und Dummheit ihn vor jeglicher Not und Übernahme von Verantwortung schützen. Das macht ihn zwar unverletzbar, aber damit auch unveränderbar und somit unfähig, sich zu entwickeln.

Fotos: Michael Stuhlmiller Schule für Clowns

Niederlagen sind die Aufforderung zum persönlichen Wachstum – was der Clown uns über den Umgang mit Stolpersteinen im beruflichen Leben lehrt.

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KARRIERE

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Im Kollektiv des beruflichen Umfelds ist die Versuchung besonders groß, beim Misslingen einer Aufgabe unbewusst in die Infantilität, den Zustand der Schuldunfähigkeit des puren Clowns zu flüchten. Durch einen hierarchisch abgesicherten Sanktionsmechanismus droht sonst die Befriedigung des Urbedürfnisses nach Zugehörigkeit – existenziell oder sozial – aufs Spiel gesetzt zu werden. Dieses zu vermeiden, scheint oft das höhere Gut gegenüber dem Bekenntnis zu sich selbst bei einem vermeintlichen Fehlverhalten zu sein. Auch

wer sich für den ‚Dummen August’ als Reaktionsmuster auf Niederlagen entscheidet, trägt zumindest sich selbst gegenüber dafür Verantwortung, bei jeder Flucht in die Ignoranz ein Stück seiner Selbstachtung geopfert zu haben.

Verweigern macht krank

In der zweiten Stufe betritt der ‚Charakter-Clown’ die Bühne der Erkenntnis. Er manövriert sich ins Verderben und öffnet damit für sein Publikum das Tor zur Selbsterkenntnis. Das Lachen über diesen Clown nennt man Humor, weil

er etwas in uns zu berühren, etwas ‚in den Fluss’ zu bringen vermag (humor: lateinisch/griechisch für Flüssigkeit). Und er wird witziger, je mehr er uns den Spiegel vorhält. Die Konfrontation mit der eigenen Unzulänglichkeit gelingt dem Charakter-Clown, weil sich seine Niederlagen nicht im wertefreien Raum bewegen, sondern ihre Bewertung im Abgleich von Gut und Böse entsteht. Sein Verweigerungsverhalten basiert auf Schuld und Scham, was auch im Betrachter diese Gefühle aufsteigen lässt. Das Lachen vermag eine solche emotionale Momentaufnahme im Augenblick des Geschehens wieder aufzulösen. Der Charakter-Clown wäre glücklich, wenn danach etwas anders wäre als zuvor. In einer arbeitsteiligen Organisation wie einem Unternehmen, in dem Strukturen und Spielregeln vorgegeben sind, weigern sich viele Mitglieder, ähnlich wie der

Charakter-Clown, ihre Niederlagen als solche anzuerkennen. Vielmehr herrschen aus Angst vor drohendem Machtverlust oder aus schlechtem Gewissen zwei gängige Varianten des Reaktionsmusters ‚Verweigern’ vor: das Leugnen und das Vertuschen. Bisweilen hat man den Eindruck, dass die Menschen in den Firmen geradezu eine Virtuosität darin entwickelt haben, ihre Fehler nicht nach außen sichtbar werden zu lassen. Ob dem Einzelnen nun der Bekennermut fehlt oder ob das Unternehmen es gar nicht zulässt, sich ohne Gefährdung eine Blöße zu geben, sei dahingestellt. Fest steht nur, dass der Preis einer solchen Kultur für alle Beteiligten hoch ist. Denn wer vornehmlich mit dem Verschieben von Verantwortlichkeiten und dem Vertuschen eigener Unzulänglichkeiten beschäftigt ist, der wird keinen inneren und äußeren Impuls mehr 51


KARRIERE

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Das „Scheiter-Modell“ – Der Clown als Symbol für Niederlagen Quelle: Stuhlmiller/Hansen 2012 Der „Charakter-Clown“ spiegelt/ berührt in seinem Scheitern  Humor

Der „Pure Clown“ scheitert als naiver Held  Schadenfreude

Annehmen

Verweigern

Ignorieren

wahrnehmen, die Fülle seiner Talente einzubringen – Wachstum perdu. Die Ironie liegt darin, dass im Verleugnen von Niederlagen das eigentliche große Scheitern liegt! Die damit im System in Gang gesetzte Schuld-Sühne-Spirale trägt vielleicht zu einem Verhalten nach Regelprozessen, aber sicher nicht zum Erobern von Märkten und Mitarbeitern bei.

Annehmen macht weise

In der dritten Stufe der Erkenntnis lädt der Charakter-Clown sein Publikum in die Welt des Scheiterns ein, um es in tragisch-komischer Manier mit dessen eigener Begrenztheit zu konfrontieren. Wer dieser Einladung folgt, nimmt die Chance wahr, seiner eigenen Essenz ein Stück näherzukommen. Denn das Annehmen von Niederlagen als immanentem Bestandteil des menschlichen Daseins eröffnet den Raum, sich fortzuentwickeln. So wird persönliches Wachstum möglich, bis hinein in die lebenszyklisch letzte Phase, in der die Stufe der Weisheit erreichbar wird. Der Charakter-Clown kreiert mit jedem Stolpern die Notwendigkeit, sich unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen aus seiner misslichen Lage zu befreien. Und jedes

Weiser

Erwachsener

unbewusst

Stufe 1

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bewusst-reaktiv

Lebenszyklus

Inneres Wachstum

bewusst-aktiv

Kind Stufe 2

Stufe 3

Mal gewinnt er dabei an Erkenntnis und Erfahrung. Damit leitet uns der Clown vielleicht zur einzig wahren Kunst des Lebens an: mit einer intuitiven Systematik genau die Niederlagen zu produzieren, die uns auf den Weg zu uns selbst führen. Die Unternehmen täten gut daran, vom Charakter-Clown zu lernen. Denn angesichts volatiler Märkte, verschärften Konkurrenzdrucks, verkürzter Produktzyklen und hybriden Konsumentenverhaltens finden sich Manager wie Mitarbeiter in der Situation des permanenten Stolperns. Das Genick brechen sich dabei meist diejenigen, die sich nicht in den Fluss der Veränderung begeben. Das zeigen Analysen diverser Firmenpleiten ebenso wie Untersuchungen zu Trennungsgründen des Arbeitgebers. Nur, gibt es denn in der sogenannten freien Wirtschaft tatsächlich Raum für Menschen, die den Mut aufbringen, offen zu ihren Niederlagen zu stehen? Gefühlt eher nicht. Dabei liegen intelligente Ansätze und ermutigende Erfahrungen darüber vor, wie der Spagat zwischen einem notwendigen, allgemein gültigen Verhaltenskodex und einer konstruktiven Fehlerkultur zu bewältigen ist. Die Stichworte

heißen ‚Diversity’, weil Vielfalt Überleben sichert, ‚strategische Personalentwicklung’, weil Mitarbeiter wachsen wollen, ‚Lernende Organisation’, weil Reflexion zum Programm wird. Diese Beispiele stehen dafür, wie es Unternehmen gelingen kann, eine Kultur immanenter Konflikte, Krisen und Scheiter-Situationen als eine Art Überlebenstraining zu installieren – so wie der Charakter-Clown sich seinen Improvisationsimpuls organisiert.

Reframing

Wenn die Niederlage geeignet ist, Menschen zu einem höheren Reifegrad zu führen, stimmt dann überhaupt noch die einseitig negative Konnotation, die dem Begriff innewohnt? In jedem Fall steht der tief sitzenden Angst vor dem Versagen ein ebenso elementares Gut gegenüber, nämlich das der persönlichen Entwicklung. Diese Ambivalenz kann sich situativ bis hin zur existenziellen Wertekollision steigern. Und sie fordert permanent Entscheidungen ab, um die innere Balance wiederherzustellen. Der Clown lehrt dabei mitnichten den fröhlichen Untergang ins Verderben, sondern er bereichert den Betrachter mit einem schlichten Perspektivwechsel: Der

Spot wird auf die Chancen, die im Scheitern liegen, gerichtet – und auf die Unausweichlichkeit des Scheiterns in der menschlichen Existenz. Als Ausdruck dieser fundamentalen Erkenntnis sollte die Bedeutung all der negativen Synonyme, die unser Wortschatz für den Begriff Niederlage bereithält, gewandelt werden. Begrüßen wir also Scheitern & Co künftig mit einem clownesken „Willkommen, Lerngeschenk“.

Moralinstanzen

In ihrer existenziellen Bedeutung steht die Situation, die als Niederlage empfunden wird, niemals losgelöst vom Kontext. Das Scheitern des Clowns ist gedanklich und sprachlich immer an die Frage nach dem ‚Woran’ gekoppelt. Diese internalisierte Relation, ohne die es kein Versagen geben kann, basiert auf dem in der Ursprungsfamilie des Individuums vermittelten Wertesystem. Sein moralisches Korsett, das ihm das Überleben in der Gemeinschaft erst ermöglicht und ihn befähigt, seinen Beitrag für die Sozietät zu leisten, unterliegt einer Fülle von Einflüssen. Sie reichen von den jahrtausendealten Geboten des christlichen Abendlands über Rituale mit regionaler Prägung bis hin zu geltenden Rechtsvorschriften. Evolutionstechnisch ist dieses auf Vielfalt, Stabilität und Kontinuität zielende Prinzip äußerst sinnvoll. Es beinhaltet aber gleichzeitig auch den Auftrag des Charakter-Clowns, Veränderungen an den Stellen vorzunehmen, an denen die Gemeinschaft ohne Nachjustierung ein empfindliches Übel erleiden würde. In einer Welt mit bisher nicht gekannter und kaum beherrschbarer glo-


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baler Dynamik sind alle Systeme aufgefordert, so viel Anpassungsarbeit wie nötig zu leisten und so viel Bestandskraft wie möglich zu vermitteln. Der Charakter-Clown wendet sich als Identifikationsfigur zunächst primär an das Individuum, dem er zur Stärkung seines inneren Kerns verhelfen will. Wenn die Welt um einen herum verrücktspielt, stellt diese Mission des Clowns schon fast einen therapeutischen Ansatz dar. Aber der Blick ist auch auf das Handlungsfeld im System des Einzelnen zu richten, in dem seine Niederlagen am offenkundigsten und damit am schmerzhaftesten sind – das berufliche Umfeld.

Fotos: Privat

Führungs-Kraft

Auf der interpersonalen Ebene zum Vorgesetzten justiert sich täglich nach, welches Maß an Authentizität gelebt werden darf, welcher Grad an Autarkie zugebilligt wird und welche Impulse für persönliches Wachstum ausgesandt werden. Die Führungskraft fungiert somit in ihrer elementarsten Rolle idealerweise als Coach auf dem Weg der persönlichen Entwicklung der ihr Anvertrauten – worin sie der Funktion des CharakterClowns verblüffend ähnlich ist. Kraft seiner Persönlichkeit vermittelt der Vorgesetzte Wertschätzung und das Gefühl von Zugehörigkeit, er gibt Rückmeldungen und Hilfestellung, eröffnet Perspektiven und weist Wege auf. Und kraft seiner funktionalen Autorität schafft er nicht nur den Raum für Entwicklung, sondern auch die Rahmenbedingungen für den Transfer des erlangten Wachstums in den beruflichen Alltag. Wie im Lackmustest entscheidet sich die Wahrhaftigkeit des Hier-

archen an seinem Reaktionsmuster auf Fehler und Unvermögen. Daran gemessen liegen vor vielen Führungskräften noch etliche Stationen der Bewältigung eigener Niederlagen, bevor sie die persön-

»Die Ironie liegt darin, dass im Verleugnen von Niederlagen das eigentliche große Scheitern liegt!« liche Reife erlangt haben, ihnen anvertraute Menschen nachhaltig in deren Entwicklung zu begleiten.

Etwas unternehmen

Auf der institutionellen Ebene des Unternehmens herrscht eine Fülle von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, von Regelprozessen und Kontrollmechanismen. Sie haben ihre Berechtigung darin, die Steuerungshoheit und die Überlebensfähigkeit des Systems zu sichern. Ein guter Platz für den Charakter-Clown scheint auf dieser Ebene zunächst nur schwer vorstellbar. Fakt ist jedoch, dass dem Unternehmen durch ein rigides Diktat der Fehlervermeidung und entsprechender Bestrafungsmechanismen die essentiell wichtige Initiativkraft verlorengeht. Fakt ist genauso, dass ein unkontrolliertes Zulassen nicht regelgerechten Verhaltens einen massiven Schaden für das Unternehmen und seine Kunden

zur Folge hat. Es gilt also, ‚Räume des Clowns’ zu schaffen, in denen das dem Menschen innewohnende Bedürfnis nach persönlichem Wachstum befriedigt wird. Gleichzeitig gilt es, die Dynamik, die aus dem Erleben von Veränderung entsteht, als wertvolle Ressource in die Unternehmensprozesse einzuspeisen. Es entsteht ein sozial-ökologischer Kreislauf und damit eine kostbare, durchaus bilanzwirksame Fehlerkultur. Wenn die Verortung dessen, wofür der Charakter-Clown steht, auf der Unternehmensebene strukturiert umgesetzt und authentisch gelebt wird, erntet das Unternehmen nicht alleine geniale Ideen. Es werden vielmehr auch genau die Kompetenzen in der Breite der Mitarbeiterschaft aufgebaut, die zukunftsrelevant sind: Eigenverantwortung, Veränderungsfähigkeit, Kreativität und der positive Umgang mit Niederlagen.

„Hereinspaziert!“

Der Clown lehrt uns, dass es ein untauglicher Versuch ist, Niederlagen vermeiden zu wollen, weil Stolpern ein fester Bestandteil unseres Lebens ist. Mehr noch, im Scheitern können wir einen Blick in die Tiefe unseres Seins werfen und durch das Annehmen dessen, was wir sehen, Schritt für Schritt über die Lebensphasen hinweg zum Kern unseres Selbst vordringen. Der berufliche Kontext bietet solche Wachstumsimpulse jeden Tag. Entscheidend ist weniger die Tragik des Geschehenen, sondern ob die Chance zur Eigenreflexion auf- und angenommen wurde. So ist die vermeintlich unpassende Krawatte – wie Clowns sie nicht ohne Grund lieben – ein hervorragendes Lernobjekt, weil

die Diskrepanz zwischen relativ großer Wirkung auf das eigene Selbstwertgefühl und der objektiv geringen Bedeutung besonders eklatant ist. Wenn die Achtung vor sich selbst in der Verarbeitung einer Niederlage gestiegen ist, dann ist es kein Scheitern gewesen. Das Clown-Prinzip, Fehler als Quelle der Fortentwicklung zu betrachten, potenziert sich in der Übertragung auf größere Systeme in beeindruckender Weise. Ob nun Individuum oder Unternehmen, der Clown wirft seine Lerngeschenke verschwenderisch ins Publikum – „Hereinspaziert“ – wer zugreift, hat schon gewonnen.

Michael Stuhlmiller ist Gründer und Leiter der privaten staatlich anerkannten Berufsfachschule Schule für Clowns in Mainz. Als Grenzgänger zwischen den Welten entwickelte er einen eigenen Spiel- und Unterrichtsstil, den er als ‚Methode Clown‘ auf der Bühne und in Kommunikationstrainings einsetzt. Er ist Dozent an der Universität LandauKoblenz und an der Frankfurt School of Finance & Management sowie Mitautor in der Reihe Managementkonzepte. www.clownschule.de Susanne T. Hansen ist mit der von ihr gegründeten Unternehmensberatung Exist Personalstrategien als Führungskräfte-Coach und Beraterin für Unternehmen in Veränderungsprozessen tätig. Zuvor war sie Personalleiterin und arbeitete in verschiedenen Führungsfunktionen des HR-Managements in einem internationalen Finanzkonzern. Sie ist als Business Master Coach, Beraterin für Organisationsentwicklung und Systemische Organisationsund Familienaufstellung ausgebildet. www.exist-personal.de 53


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