Interview mit Franz Müntefering
Quo vadis Sahra Wagenknecht?
Table Media will angreifen
EU-Wahlkampf wird mobil
Interview mit Franz Müntefering
Quo vadis Sahra Wagenknecht?
Table Media will angreifen
EU-Wahlkampf wird mobil
Wie die Union in die Oppositionsrolle hineinfand –und wieder hinausmöchte
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KONRAD GÖKE
ist Chefredakteur von politik&kommunikation.
Ich weiß, was Sie denken: Schon wieder nur Männer auf dem Cover! Das ist uns auch aufgefallen. Aber in den Machtzirkeln, die wir zuletzt porträtiert haben, sieht es eben so aus. In den langen Krisensitzungen nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts saßen sich für die Regierung die Männer Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) gegenüber. In der Union, mit der wir uns in der aktuellen Titelgeschichte beschäftigen, bestimmen der Partei- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz, Generalsekretär Carsten Linnemann und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei die Geschicke.
Die Frauen in der Regierungskoalition können das verkraften. Die Ampel hat Geldsorgen, die oben genannten Männen müssen Verteilungskämpfe ausfechten. Davon hat etwa Annalena Baerbock (Grüne) einigen Abstand. Die Außenministerin beschäftigt sich auf der Weltbühne mit bedeutenden Problemen. Das macht einen besseren Eindruck, als öffentlich um Haushaltsposten zu feilschen. In der Union ist es nicht so, als hätte Friedrich Merz es nicht versucht, sich mehr Frauen an die Seite zu holen. Vor seiner gewonnenen Wahl zum Parteivorsitzenden konnte er Kandidatinnen aber kaum etwas bieten. Mit Blick auf die nächste Bundestagswahl wird es zu den wichtigeren Projekten der Partei gehören, starke Frauen in der ersten Reihe zu haben. Den Rest lesen Sie ab S. 14.
Wir haben in den Reihen unserer p&k-„Young Thinkers“ einige starke Frauen. Wir wollten von ihrer Expertise profitieren und haben sie und einen starken Mann zum Roundtable-Gespräch eingeladen, um uns die generelle Lage in Geopolitik, Sicherheit und Klimaaußen politik
einordnen zu lassen. Das tun die Russlandexpertin Sarah Pagung, Klima- und Migrationsfachfrau Kira Vinke und der Innovationsmann für die Bundeswehr Sven Weizenegger ab Seite 56. Das Gespräch hat vor dem Abhörskandal der Bundeswehr stattgefunden.
Grund genug, weiter im Gespräch zu bleiben. Und gesprächig sind wir: 2002 erschien die erste p&k-Ausgabe mit einem Interview mit Franz Müntefering. Über 20 Jahre später haben wir erneut mit dem Ex-Parteichef der SPD und Minister a. D. gesprochen (S. 46). Mit dem „Focus“-Chefredakteur Georg Meck sprachen wir darüber, was sein Magazin von den anderen abhebt und wie es noch mehr weibliche Leserschaft erreicht (S. 68). Schließlich haben wir das neue Medienstartup „Table Media“ besucht und natürlich auch mit Chefredakteur Michael Bröcker und Herausgeber Sebastian Turner gesprochen (S. 62). Sie werden es gemerkt haben: p&k ist auf ein anderes Papier gedruckt. Wir verwenden jetzt Recyclingpapier. Wir glauben: Printprodukte haben weiter ihre Berechtigung. Es ist ein Gefühl von Wertigkeit, ein gründlich ausgearbeitetes Magazin auf dem Kaffeetisch liegen zu haben. Richtig ist aber auch, dass Printerzeugnisse unter Rechtfertigungsdruck stehen. Unser Nachhaltigkeitsbewusstsein gebietet das. Deshalb setzen wir p&k auf Geschichten mit einer längeren Halbwertszeit. Unser Ziel ist es, dass p&k ins Bücherregal wandert, nicht ins Altpapier. Auch darum setzen wir jetzt auf Recyclingpapier. Und unser neues Rückendesign wird Ihnen diese Entscheidung weiter erleichtern, Sie werden sehen! Uns gefällt das neue Look & Feel – Ihnen hoffentlich auch.
Eigentlich wollten wir das Jahrbuch der Agenturen bereits in der vergangenen Ausgabe abdrucken. Letztlich wurde es diese. Sie sind also gut beraten, ab Seite 77 nachzulesen, wie die wichtigsten Beratungshäuser sich aufgestellt haben.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!
Konrad Göke14
PLÖTZLICH OPPOSITION
Wie sich die Union in ihre neue Rolle reinfand und rausfinden will aus der Redaktion
22
LÜCKENTHEORIE
Wo das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ im Parteiensystem steht von L. Constantin Wurthmann und Lucas Gerrits
26
PARTEIWECHSLER
Eine Partei zu verlassen oder zu wechseln ist keine Kleinigkeit von Günter Bannas
30
WO SIND ALL DIE JUNGEN HIN?
Warum Regierungsspitzen plötzlich wieder älter werden von Judit Čech und Konrad Göke
34
MOBILISIERT
Warum die Europawahlen ausnahmsweise mal wichtig werden von Nicolas Schwendemann
38
SHOWTIME
Wie Parteien ihre Parteitage inszenieren von Mia Pankoke
42
DEUTSCHLAND BLEIBT STABIL
Das Deutsche Grundgesetz wird 75 und ist quicklebendig von Eckhard Jesse
46 INTERVIEW: FRANZ MÜNTEFERING
Der ehemalige SPD-Parteichef und Minister a. D. im Gespräch von Judit Čech und Konrad Göke
52
KRISENKOMMUNIKATION
Welche Tipps haben Kommunikatoren aus Unternehmen für die Politik? von Kathi Preppner
56
INTERVIEW: YOUNG THINKERS
Sarah Pagung, Kira Vinke und Sven Weizenegger im Gespräch von Johannes Bathelt und Konrad Göke
62
AMBITIONIERTE NEWCOMER
Wie Table Media die Medienlandschaft verändern will von Tobias Schmidt
68
INTERVIEW: GEORG MECK
INTERVIEW:
„Focus“-Chefredakteur Georg Meck im Gespräch von Konrad Göke und Volker Thoms
90
GLOSSE
Nur Frieden ist schöner von Konrad Göke
3 Editorial
5 Schnappschuss
6 Expertentipp
8 KI-Kolumne
10 Fragerunde
10 Floskelalarm
12 Reschs Rhetorik Review
72 Bücher
75 Impressum
76 Ein Tag mit ...
78
Wo ist unsere Außenministerin da bloß reingeraten? Bei der 55. Tagung des UN-Menschenrechtsrats in Genf diskutierte Annalena Baerbock (Grüne) über Menschenrechtsverletzungungen – mit den Stars der Menschenrechtsverletzungsszene. In dem Gremium wachen Staaten wie Vietnam (Platz 138 auf dem Demokratieindex), Sudan (144), Usbekistan (149), Eritrea (152) und Katar (114) über die Einhaltung der Menschenrechte. Hier spielen die Böcke Gärtner. Kein Wunder, dass sie am liebsten über Israel sprechen und Israel verurteilen. Baerbocks Gesicht sagt dazu wohl alles.
Ist die Union im aktuellen Zustand „im Fall einer Regierungsübernahme sofort handlungsfähig“ (Friedrich Merz)?
Die Regierung will das Bundesverfassungsgericht vor Verfassungsfeinden schützen und dafür das Grundgesetz ändern. Ist dieses nicht bereits jetzt wehrhaft genug?
Sollte es ein Höchstalter für politische Spitzenposten geben?
Uwe Jun
für
Die Union hat viele erfahrene Minister. Aber ausgerechnet Kanzler Merz hätte keinen einzigen Tag Regierungserfahrung.
Nur die Angst macht die Gegner groß –die Verfassung ist gewappnet!
Durchinszeniert: Geben Parteitage überhaupt noch Aufschluss über die Stimmung innerhalb einer Partei?
Schafft es das Bündnis Sahra Wagenknecht im ersten Jahr seines Bestehens schon in eine Landesregierung?
Kann das bezahlte Fachbriefing (Newsletter) den Pressespiegel in Ministerien ersetzen?
Aber eine Nachbesserung mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht wäre zu begrüßen.
Viel wichtiger wäre die Diskussion über Amtszeitbegrenzungen!
Parteiführungen haben schon immer versucht, Streit möglichst lange von der Bühne fernzuhalten. Das klappt aber ab einem bestimmten Frustpotenzial nicht mehr. Jeder Parteitag braucht sein Ventil.
Wäre es den Parteien der Mitte möglich, den Vorsprung der AfD auf Social Media bis zur Europawahl einzuholen?
Sollte man Posts mit wissenschaftlich gesicherten Fakten in Onlinediskussionen pushen, z. B. durch Moderation?
Es kann jedenfalls derzeit nicht ausgeschlossen werden.
Dafür haben sie zu lange gepennt und tun es zum Teil immer noch.
Das Grundgesetz ist wehrhaft.
Die Partei scheint geeint –nur fehlen die Köpfe.
Absolut. Rente mit 60 für PolitikerInnen. Und JournalistInnen. Für LobbyistInnen schon mit 50.
Definiere „wissenschaftlich gesichert“.
Nachbesserung birgt ein hohes Risiko, den Gegnern in die Hände zu spielen.
Wenn man hinfährt, das Mikro ausschaltet und mit den Delegierten redet.
Mit wem sollten sie koalieren?
Gute journalistische Recherche und Qualität sind in einem kurzen Newsletter nicht darzustellen.
Nichts rockt den Algorithmus wie Randale.
Da müsste sehr viel investiert werden, auch ist Populismus Social-Media-tauglicher.
Es hängt von der Umsetzung ab.
Für Marken gilt in Public Affairs, was für Menschen in Beziehungen gilt: Ein klares, gut sichtbares Profil bedeutet Berechenbarkeit und ist Voraussetzung für Vertrauen. Nur wer sich selber zeigt, kann sich dauerhaft wirksam einbringen. Du magst dich nicht immer durchsetzen, aber du bist als Marke erkennbar. „Sprich, damit ich dich sehe!“ Sokrates hat recht.
Ist eine starke Markenpositionierung förder- oder hinderlich für wirksame Public-AffairsArbeit?
PATRICK KAMMERER ist Hauptgeschäftsführer beim Markenverband.
Was ist für Dich als BrüsselInsider die ungerechteste Kritik am Zustand der EU und wie hilfst Du mit Deiner Arbeit, sie zu korrigieren?
Die ungerechteste Kritik an der EU ist oft, dass sie weit weg von den Menschen und undemokratisch sei. Als Brüssel-Kenner arbeite ich daran, durch transparente Kommunikation und Bürgerbeteiligung das Gegenteil zu zeigen. Ich setze mich für soziale Gerechtigkeit ein, für wirtschaftliche Chancengleichheit, umweltpolitische Nachhaltigkeit und vor allem echte Gleichstellung ein, um die EU den Menschen näherzubringen - für ein solidarisches und inklusives Europa, das allen Mitgliedstaaten und Menschen nützt.
MORITZ DEUTSCHMANN ist Geschäftsführer der SPDEuropaabgeordneten im Europäischen Parlament.
KI kann die Public Affairs-Arbeit unterstützen: Die Effizienzsteigerung bei der Informationsbeschaffung im Desk Research ist beispielsweise unbestritten. Die Impulsgabe und Qualitätskontrolle müssen jedoch weiterhin durch den Menschen erfolgen. Allerdings bringen neue Chancen auch neue Risiken: Wie gehen externe KI-basierte Tools mit vertraulichen Unternehmensdaten um? Wie können wir den Einsatz von KI zur Beeinflussung des öffentlichen Diskurses durch demokratiefeindliche Akteure verhindern? Der verstärkte Einsatz von KI stellt uns vor eine Aufgabe, mit der Public Affairs ohnehin täglich konfrontiert wird: vertrauensvoll, klar und glaubwürdig zu agieren und kommunizieren.
Wie wird Künstliche Intelligenz Ihren Job verändern, wie hat sie es eventuell schon?
„LÜCKENLOS AUFKLÄREN“
Sie hat es wieder getan: Nach der Abhöraktion gegen die deut sche Luftwaffe forderte Außenministerin Annalena Baerbock „rasche und lückenlose Aufklärung“. Es ist davon auszuge hen, dass auch die Bundeswehr daran interessiert ist. Den noch musste ich seufzen. „Lückenlose Aufklärung“ forderte Baerbock schließlich in derselben Woche auch nach Schüssen auf einen Hilfskonvoi in Gaza. Berichte über vergiftete Schul mädchen im Iran, über Pushbacks von Frontex sowie die Xinijang Police Files kommentierte sie ebenfalls schon mit der Forderung nach „lückenloser Aufklärung“. Wo wird die berechtigte Forderung also zur Floskel?
Vielleicht in dem Moment, wo der Adressat ganz offensichtlich nicht ernsthaft an Aufklärung interessiert ist. Baerbock rechnet wohl kaum damit, dass in Peking gestresste Beamte Überstunden schieben, um der deutschen Außenministerin Rechenschaft abzulegen. In Wahrheit gilt eher die Devise: Problem öffentlich angesprochen, Schuldigen ausgemacht, Haken dran, weitermachen. Was bleibt ist die Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen. Das Gewissen ist rein. Fordern kostet schließlich nichts.
TOBIAS SCHMIDT SCHREIBT FÜR P&K UND VERANTWORTET DAS STAKEHOLDER-MANAGEMENT VON QUADRIGA.
Blick über die Schultern der CDU/ CSU-Fraktion während einer Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag.
Nach der letzten Bundestagswahl landete die UNION auf den harten Oppositionsbänken und rieb sich die Augen. Auf sie wartete ein Handwerk, das sie verlernt hatte. Mittlerweile scheint sie in der Opposition angekommen zu sein – will aber nicht lang bleiben.
VON JUDIT ČECH, KONRAD GÖKE UND TOBIAS SCHMIDT
Irgendwann nervt es: „Ihr habt doch 16 Jahre regiert.“ Seit zwei Jahren werfen die Ampelkoalitionäre diesen Satz in Diskussionen, wenn sie einen Wirkungstreffer landen wollen. Und ganz falsch ist er nicht. In 16 Jahren unter Angela Merkel verschlief Deutschland die Erneuerung von Brücken, den Ausbau von Glasfasernetzen, die Energiewende, den Bau neuer Wohnungen – die Liste ließe sich fortführen. Trotzdem ärgert es die Konservativen besonders, wenn die Kritik von ihren Ex-Koalitionspartnern aus der SPD kommt. Seit 1998 haben die Sozialdemokraten insgesamt länger regiert hat als die Union.
„Mittlerweile treibt die Union die Regierung mit Wonne vor sich her.“
Neuerdings kommt es aber vor, dass Unionspolitiker mit einem vorbereiteten Konter gegen das 16-Jahre-Argument in eine Diskussion gehen – und gar nicht brauchen. Die Koalitionäre können Patzer nicht mehr einfach auf die Merkel-Jahre schieben. Zu hoch türmen sich die Probleme der Ampelregierung. Heute treibt die Union die Regierung mit Wonne vor sich her. Mit Reden, Anträgen, Anfragen, Interviews und hohen Umfragewerten ist sie jetzt, zwei Jahre später, in der Opposition angekommen, scheint es.
Anfangs war ungewiss, ob die Partei das schafft, nach 16 Jahren Regierung. „Noch wirkt das Ganze eher unkoordi-
niert“, kommentierte die „Zeit“ 2021. „Ein richtiger Treffer war jedenfalls bislang nicht dabei.“ Die Union lag damals in Trümmern. Wahlverlierer Armin Laschet zog in den Bundestag ein, allerdings ins zweite Glied, und gratulierte artig den Wahlsiegern. Die übrigen Unionsleute versuchten sich in ersten Attacken und suchten nach Themen. Das erste war schnell gefunden. „Wir haben Sorgen, bei dem, was zu Migration in diesem Koalitionsvertrag steht“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Auch die geplante Legalisierung von Cannabis stieß der Union übel auf.
Die Neuaufstellung der Fraktion bestimmte der damalige Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Er besetzte den Vorstand mit Gefolgsleuten, obwohl viele schon ahnten, dass seine Tage als Fraktionsvorsitzender bald gezählt sein würden. Im parlamentarischen Alltag musste die Union dann das Oppositionshandwerk lernen und konnte dabei die alten Informationskanäle nicht nutzen. Ein Mitarbeiter erzählt, früher habe man im zuständigen Ministerium angerufen und gefragt: „Habt ihr nicht ein Konzept oder Papier in einer Fachabteilung?“ Das gehe nun nicht mehr. Anderswo ist zu hören, es gebe noch Gesprächskanäle in die lange unionsgeführten Ministerien für Wirtschaft und
Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer, Erhebungszeitraum: Oktober 2021 bis Februar 2024
Vor bald zwei Jahren hat die Union die Führung in Umfragen übernommen.
Verkehr. Beim Innenministerium dagegen würden in der Wolle schwarz gefärbte Beamte angeblich nicht in alle Themen eingeweiht.
Heute attestieren Unionsmitarbeiter den Arbeitsgemeinschaften der Fraktion, gut in ihren Themen angekommen zu sein. Allein beim Thema Haushalt habe niemand die Schuhe des 2021 ausgeschiedenen Chefhaushälters Eckhardt Rehberg richtig ausfüllen können.
Seit seinem Antritt als Parteichef im Januar 2022 hat Friedrich Merz die Parteizentrale mehrfach umgebaut. In der Fraktion konnte Merz dagegen wenig gestalten. Die Aufstellung erbte er von Brinkhaus. Nach Meinung vieler in der Union hat Merz sich damit gut arrangiert. Es gebe keine klaren Blöcke, keine „Anti-Lager“ mehr, heißt es. Merz fördere die Debatte, habe eine klare Linie und lasse sich überzeugen. Nach der Erstarrung unter Kauder und dem Laisser-faire unter Brinkhaus markiere das ein neues Kapitel für die Fraktion.
mehr auf der Höhe. Mit Äußerungen über den „Sozialtourismus“ ukrainischer Flüchtlinge und der Bezeichnung „kleine Paschas“ für junge Migranten erntete Merz Shitstorms. In der TV-Sendung „Miosga“ entgegnete Merz darauf, der Oppositionsführer dürfe „auch mal zuspitzen.“
„Früher konnte man sich im zuständigen Ministerium informieren.“
Seit Generalsekretär Carsten Linnemann an seiner Seite ist, läuft es besser für Merz. Er kann Linnemann die Abteilung Attacke überlassen und sich öfter in der Zurückhaltung üben, die die Deutschen von ihrem politischen Führungspersonal grundsätzlich erwarten. Inzwischen ist Merz fünftbeliebtester Politiker der Republik. Seine möglichen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur, die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Markus Söder liegen allerdings auf Platz zwei und drei vor ihm.
Anfangs schienen sich die Befürchtungen zu bestätigen, Merz sei nach der langen politischen Abstinenz nicht
Im Bundestag hat Merz seine Rolle als Oppositionsführer früh angenommen. Seine Schlagabtausche mit Kanzler Olaf Scholz bieten dem Politikjournalismus erstmals seit Langem wieder den Anlass, größer über Bundestagsdebatten zu berichten. Scholz („Sie sind eine Mimose“) und Merz („Sie können es nicht!“) bringen öfter auch denkwürdige Zitate mit ins Duell. Dass seine Sprüche künftig im Rahmen bleiben, ist die Voraussetzung dafür, dass
Eine PARTEI ZU VERLASSEN oder gar in eine andere zu wechseln, ist keine leichte Sache. Auch für die Abgebrühten und selbst die Rastlosen ist sie kein alltäglicher Vorgang.
Politische Organisationen haben oft einen familiären Charakter. An der Basis – in den örtlichen Zusammenhängen also – haben Politiker nicht bloß ein instrumentelles Verhältnis zueinander. Gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen schweißen zusammen – im Kampf gegen den politischen Gegner oder im Werben um Mehrheiten. Private Freundschaften und sogar verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Akteuren haben sich oft über Jahrzehnte entwickelt. Die Steigerungsform „Feind-Todfeind-Parteifreund“ wird oft und auch zu Recht verwendet. Doch das gegenteilige Verständnis existiert ebenfalls.
CDU-Politiker sehen die Union als eine „Familie“. Sozialdemokraten erinnern an die 160 Jahre, in denen ihre Partei sich für die Interessen der Arbeitnehmerschaft einsetzte und für ein demokratisches Deutschland kämpfte. Helmut Kohl (CDU) wollte die Union nicht verlassen. Selbst als deren Führung sich wegen seiner Parteispendenaffäre von ihm distanzierte, blieb er. Gerhard Schröder blieb der SPD treu, obwohl sich die SPD-Spitze und viele Untergliederungen wegen seiner Freundschaft zu Putin von ihm abwandten und Ausschlussverfahren einleiteten. Die Ehrung für 60 Jahre Mitgliedschaft nahm er an. Die beiden Ex-Kanzler wollten ihre Parteispitzen mit dem Verbleiben nicht bloß drangsalieren. Der eine sah sich weiterhin als Christ-
demokrat, der andere als Sozialdemokrat. Sogar Sahra Wagenknecht bekundete in einer der Jahresrückblicksendungen im Fernsehen, der Austritt aus der Linkspartei sei ihr schwergefallen. Vieles habe sie mit früheren Parteigenossen verbunden. Freunde habe sie verlassen. Politische Glücksritter freilich gibt es auch.
„‚FeindTodfeindParteifreund‘ wird oft und zu Recht verwendet.“
Einer der ersten prominenten Parteiwechsler war Gustav Heinemann. Nach dem Krieg zählte er zu den Mitgründern der CDU. 1949 war er unter Konrad Adenauer der erste Bundesinnenminister. Schon 1950 legte er sein Amt nieder und trat aus der CDU aus. Er lehnte das Ansinnen Adenauers ab, die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik anzustreben. Mit Vertrauten gründete er eine Organisation namens Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP). Doch die GVP hatte bei Wahlen keinen Erfolg. 1957 wechselten viele ihrer Mitglieder zur SPD. Manche kamen später in herausragende Ämter – Johannes Rau und Erhard Eppler etwa. Heinemann wurde 1969 mit den Stimmen von SPD und FDP zum Bundespräsidenten gewählt – eine besondere Provokation für die Unionsparteien.
Auch andere vormalige CDU-Mitglieder waren bei der Gründung neuer Parteien dabei. Zu nennen ist Herbert Gruhl. Für die CDU saß er in den 1970er Jahren im Bundestag. Er kümmerte sich um Umweltpolitik und schrieb einen Bestseller: „Ein Planet wird geplündert“. Nachdem
Die mythologische Namensgeberin unseres Kontinents, Europa, verfolgt mit Zeus (hier als Stier) Wahlkampagnen auf Social Media.
EUROPAWAHLEN sind Zwischenwahlen. Traditionell betont man ihre Wichtigkeit stark – gerade weil sie nicht so wichtig erscheinen. Bei den anstehenden Wahlen im Juni könnte sich das allerdings ändern.
VON NICOLAS SCHWENDEMANNDie Gesellschaft ist erschöpft von den Dauerkrisen der letzten Jahre und dem dauerhaften Streit. Noch nie wurden für eine Bundesregierung so niedrige Zustimmungswerte gemessen, noch nie waren die Deutschen so skeptisch, wie gut die Demokratie Probleme löst. Das Erstarken der AfD setzt die Parteien massiv unter Druck – und die Dynamik in den sozialen Medien wirkt wie ein Katalysator für die ohnehin schon dramatischen Veränderungen. Dieser Europawahlkampf dürfte sich deswegen deutlich vom vergangenen Europawahlkampf unterscheiden.
Als Second Order Elections ist die Wahlbeteiligung bei Europawahlen traditionell gering – mit unterschiedlichen Folgen: Wählerinnen und Wähler sind bei dieser Wahl eher bereit zu wechseln, weil sie scheinbar weniger wichtig ist und die Konsequenzen weniger folgenreich erscheinen. Traditionell schneiden deswegen Oppositions- und Protestparteien bei Europawahlen besser ab. Die Ergebnisse der vergangenen Europawahl lassen sich zu Teilen also auch durch diese Ausgangslage begründen: Den Grünen gelang ihr historisch größter Erfolg, während SPD und Union ihr jeweils historisch schlechtestes Ergebnis erzielten.
Deshalb ist die Mobilisierung für alle Parteien bei der Europawahl besonders wichtig: Für Union, AfD und BSW bietet sie eine Chance, für SPD, Grüne und FDP birgt sie ein Risiko. Für die Linke könnte die Mobilisierung eine Herausforderung darstellen, da ihr die neu gegründete BSW voraussichtlich bisherige Stammwählerinnen und Stammwähler abzieht. Bei den Grünen dürfte positiv zu Buche schlagen, dass ihre Kern-Wählerschaft sich bei Europawahlen in der Regel häufiger beteiligt als die von anderen Parteien. Insgesamt ist das Risiko für ein schlechtes Ergebnis aufgrund mangelnder Mobilisierung bei der Öko-Partei also geringer als bei den anderen Regierungsparteien.
Bei Bundestags- oder Landtagswahlen tragen spannende Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Spitzenkandidaten zur Mobilisierung bei. Bei Europawahlen ist diese Konstellation nicht möglich, doch könnte Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin und Spitzenpolitikerin mit hohen Bekanntheitswerten der CDU/CSU gerade deswegen einen Vorteil verschaffen. SPD, Grüne und FDP setzen neben den eher unbekannten Spitzenkandidaturen auch auf ihr Berliner Spitzenpersonal, das durch die schwache Performance der Ampel allerdings nur bedingt zur Mobilisierung beiträgt.
Die aktuelle allgemeine Verunsicherung und das weiter sinkende Vertrauen in demokratische Institutionen, aktuelle Probleme zu lösen, könnten die Wahlbeteiligung zusätzlich senken. Bei der vergangenen Europawahl waren 49 Prozent der Wählerinnen und Wähler drei Tage vor der Wahl noch unentschieden, wen sie wählen wollen. Dieser Trend dürfte sich bei dieser Wahl wahrscheinlich noch verstärken. In den USA gehören sogenannte „Get-out-the-Vote“-Kampagnen für die Tage unmittelbar vor der Wahl zum festen Repertoire. Dabei sollen möglichst viele Wahlberechtigte auf den letzten Metern dazu bewegt werden, ihre Stimme abzugeben. Da Europawahlen in der Öffentlichkeit weniger Aufmerksamkeit zuteilwird als Bundestagswahlen, bieten solche Kampagnen eine Chance, über Social Media und direkte Kontakte (wie E-Mails und Messenger) ein Gefühl der Dringlichkeit bei potenziellen Wählerinnen und Wählern zu erzeugen.
„Die Channels auf Tiktok und Whatsapp kommen zu spät.“
Seit 2019, als viele durch das Rezo-Video überrascht wurden, hat sich trotz zahlreicher Ankündigungen, in Social Media zu investieren, strukturell wenig verändert. Die Parteien haben ihr Angebot auf Social Media seit der Bundestagswahl zwar professionalisiert, konnten aber nicht mit der schnellen Entwicklung auf den Plattformen Schritt halten. Sie finden kaum eine Antwort auf die diversifizierte Social-Media-Umgebung. Das liegt nicht nur daran, dass sie nur einen Teil der Plattformen bedienen, die ihre Zielgruppen nutzen, sondern auch daran, dass der veröffentlichte Inhalt selten zu den Anforderungen der Plattformen und den Vorlieben der Zielgruppen passt. Kurz vor der Wahl haben die meisten Parteien begonnen, Tiktok-Accounts und Whatsapp-Channels einzurichten – allerdings zu spät, um bei der Europawahl noch eine Wirkung zu erzielen. Youtube, eine der größten Plattformen, wird so gut wie nicht bedient; die Potenziale von Twitch, Reddit oder Snapchat
Was nach PARTEITAGEN bei Mitgliedern und der Öffentlichkeit hängen bleibt, ist wichtig für Parteien. Daher inszenieren sie die Treffen so gut es geht. Was am Ende wirklich passiert, bleibt aber in Delegierten-Hand.
VON MIA PANKOKERosa Luxemburg und Clara Zetkin betreten im Jahr 1910 Arm in Arm den SPD-Parteitag in Mannheim. Ein berühmtes Schwarz-Weiß-Foto hält diesen Moment fest: Zetkin blickt in die Kamera, während Luxemburg mit Strohhut und kariertem Rock neben Männern in dunklen Anzügen hervorsticht. Obwohl sie selbst noch nicht wählen dürfen, sind die beiden Frauen bereits wichtige Stimmen der Sozialdemokratie. Luxemburg insbesondere hat auf Parteitagen schon mehrere, teils umstrittene Reden gehalten. Ein Beispiel ist ihre Rede in Jena im September 1906, in der sie, entgegen der Mehrheitsmeinung in der SPD, klar für Massenstreiks argumen-
tierte und den Parteivorstand für seine Hinterzimmer-Abmachungen „in stiller Kammer“ kritisierte.
Die Meinungsbildung innerhalb der Partei und die Kritik an der Parteiführung sind feste Bestandteile von Parteitagen. Früher fanden die Reden der Delegierten ohne Öffentlichkeit statt. Heute planen die Parteien Parteitage minutiös als Inszenierungen für die Öffentlichkeit: Zeitungen und Rundfunk berichten mit vielen Korrespondentinnen vor Ort, und über Debatten wird teilweise live auf Social-Media-Plattformen berichtet. Die Parteien versuchen deshalb, die Tage in ihrem Sinne zu arrangieren. Wie sie das tun, legen sie weitgehend in ihren Satzungen
Das stand nicht im Drehbuch: Eine Aktivistin wird von der Bühne beim SPDBundesparteitag im Dezember 2023 geführt. Im Hintergrund redet Kanzler Olaf Scholz.
fest. Bei SPD und FDP sind etwa 600 Delegierte anwesend, bei den Grünen mehr als 800 und bei der CDU sogar um die 1000. Das Parteiengesetz macht keine genauen Vorgaben, bestimmt aber, dass die Parteitage das oberste Organ sind. „Das heißt, die Delegierten könnten theoretisch den kompletten Kurs der Partei und insbesondere der Parteiführung kippen“, sagt Philipp Richter, Politikwissenschaftler und Experte für Parteitage an der NRW School of Governance. Deshalb ist die Organisation und Steuerung der Debatten und Entscheidungen für die Regie des Parteitags so bedeutend. So organisieren sie nicht nur die Wahl des Parteivorsitzenden oder Wahlkampfentschei-
dungen, sondern verwenden große Mühe darauf, Stimmung und Bilder des Parteitags möglichst zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. „Diese Inszenierungsfunktion hat seit den 70ern und nochmals in den 2000ern stark zugenommen“, sagt der Experte.
Viele Parteitage verfügen über eigene Websites. Besucht man beispielsweise eine Webseite des SPD-Treffens vom vergangenen Dezember, startet sofort ein Video von knapp
FRANZ MÜNTEFERING war SPD-Vorsitzender und Minister. Heute schreibt er Bücher, eins ist unlängst erschienen. Im Interview mit p&k erzählt er, was er der Ampelkoalition rät, warum Alte mehr gehört werden müssen und warum er das Wort „Ruhestand“ nicht ausstehen kann.
INTERVIEW JUDIT ČECH UND KONRAD GÖKE
Herr Müntefering, was kann man mit Reimen ausdrücken, was in anderen Textformen weniger gelingt?
Ich bin mir nicht sicher, ob Reime etwas anders oder Spezielles vermitteln können. Es bereitet mir einfach Freude. Ich schreibe und lese gerne, auch Reime und ähnliches. Sie machen die Sprache lebendiger. Als Nicht-Wissenschaftler strebe ich nicht danach, wissenschaftlich oder tiefgründig zu schreiben. Ich möchte auch keine Berichte verfassen, die wie Parteiprogramme wirken. Mein Ziel ist es, den Menschen etwas zum Nachdenken zu geben. Was sie davon halten, sei es auch Kritik, ist Teil der Interaktion mit den Lesenden. Das Leben ist voll von interessanten Themen.
Können Sie Ihren Schreibprozess beschreiben?
Ja, das liegt daran, dass man beim Sprechen oft das äußert, was einem spontan in den Sinn kommt, was nicht immer präzise ist. Beim Schreiben bemerke ich spätestens bei der dritten oder vierten Zeile Ungenauigkeiten. Das zwingt mich, neu nachzudenken und meine Gedanken klarer zu entwickeln. Ich versuche, meinen persönlichen Standpunkt einzubringen und einen Beitrag zur Diskussion zu leisten, ohne den Anspruch zu haben, wissenschaftlich zu argumentieren.
Haben Sie diese Methode auch während Ihrer aktiven Zeit in der Politik angewandt?
„Schreiben zwingt mich, Gedanken klarer zu entwickeln.“
Ich sammle Gedanken auf Zetteln, sobald mir ein wichtiges Thema begegnet. Das reicht von politischer Kommunikation bis zu alltäglichen Begebenheiten. Mein Schreiben beginnt oft mit der Frage nach dem Sinn des Lebens, ein Thema, das viele beschäftigt. Obwohl meine Überlegungen nicht philosophisch oder wissenschaftlich fundiert sind, glaube ich, dass viele Menschen ähnlich empfinden. Ich genieße es einfach.
Sie sagten uns im Vorgespräch, dass Ihnen das Schreiben hilft, Ihre Gedanken zu sortieren.
Was meinen Sie damit?
Ja, das habe ich immer so gemacht. Es war eine große Hilfe für mich. Ich hatte stets Zettel dabei, um schnell Notizen zu machen, denn oft fehlte die Zeit zum Nachdenken. Ich habe sogar neben meinem Bett Stift und Papier bereitgelegt, um Gedanken, die mir nachts kamen, festzuhalten. Zwar waren 95 Prozent davon am Morgen Unsinn, aber ich habe es dennoch aufgeschrieben. Es ist wichtig, das locker zu sehen. Ich hoffe, die Leser meines Buches gehen ebenfalls locker damit um und erwarten keine wissenschaftliche Abhandlung. Ich spreche über Probleme so, wie ich sie sehe, und das gilt auch für die Politik.
In Ihrem Stück „Zielansprachen“ zitieren Sie verschiedene Persönlichkeiten wie August Bebel, Helmut Schmidt und Ihre Mutter.
„Mein Ziel ist es, den Menschen etwas zum Nachdenken zu geben“, sagt Franz Müntefering über seine zweite Karriere als Autor.
Egal, ob Ukrainekrieg, Desinformation oder Klimawandel: Es gibt gesicherte Erkenntnisse, die sich gegen Propaganda, Lügen und Missverständnisse durchsetzen müssen. Anders können wir als Gesellschaft nicht angemessen darüber diskutieren. Wie frustriert sind Fachleute über die Aufmerksamkeitsökonomie. Wie schaffen sie es trotzdem, der Expertise Gehör zu verschaffen? Wir haben drei unserer Young Thinkers eingeladen, um mit uns über den Bereich Außen-, Klima- und Informationspolitik zu sprechen:
SARAH PAGUNG, KIRA VINKE und SVEN WEIZENEGGER.INTERVIEW KONRAD GÖKE UND JOHANNES BATHELT
In welcher Verfassung ist der außenpolitische Diskurs in Deutschland? Gibt es Themen, die wir gar nicht auf dem Schirm haben, die aber in anderen Ländern diskutiert werden?
Pagung: In unterschiedlichen Ländern gibt es unterschiedliche strategische Kulturen und unterschiedliche Arten über Außenpolitik zu reden, auch bei den Themen Osteuropa und Russland. Einiges ist in der Öffentlichkeit schwerer zu besprechen, zum Beispiel das Thema Abschreckung. Es wird mit Dingen verbunden, die als nicht richtig oder unangenehm empfunden werden. Außenpolitik wird außerdem immer mehr durch die innenpolitische Linse betrachtet und eben nicht anhand von außenpolitischen Notwendigkeiten. Das macht es sehr schwer, gute Außenpolitik zu formulieren. Inwiefern?
Pagung: Gerade in Deutschland dienen Russland und Osteuropa sehr stark als Projektionsfläche von innenpolitischen Befindlichkeiten. Wenn Menschen sagen, sie finden Putin gut, weil „das ist ein starker Mann, der setzt noch was durch, der steht für traditionelle Werte“, treffen
sie damit auch eine Aussage über Deutschland selbst. Das macht es schwierig, mit Leuten wirklich über Außenpolitik ins Gespräch zu kommen.
Es ist bekannt, dass Russland gezielt mit Desinformationskampagnen und Trollfarmen Themen ins deutsche Internet schiebt. Wie groß ist dieses Problem eigentlich?
Weizenegger: Ich glaube, wir haben eine gewisse Naivität in Deutschland. Die Ukrainer haben das spätestens 2014 abgelegt. Was wir erleben, ist für die kalter Kaffee. Das merkt man in der Debatte, wenn die typischen Narrative erzählt werden, etwa: „Wenn wir keine Waffen liefern, ist der Krieg beendet.“ Das glauben einige Leute ernsthaft. Da frage ich mich, ob sich eine Diskussion überhaupt lohnt. Ehrlich gesagt: Ich glaube eher nicht. Man kann diese Menschen nicht von Fakten überzeugen. Das finde ich sehr schmerzhaft in der Diskussion. Was sind so ganz typische Fake-News in Ihrem Gebiet, die Ihnen immer wieder begegnen, obwohl sie längst widerlegt sind?
Vinke: „Das Klima hat sich schon immer geändert!“ An sich stimmt das, aber es verschleiert, dass der anthropogene Klimawandel über einen viel kürzeren Zeitraum verläuft und dadurch enorme Risiken birgt. Eine typische Fake News ist auch das Argument, die nun beobachtete Erwärmung sei nicht menschengemacht. Ebenso im Bereich der Klimaanpassung gibt es viele Missverständnisse. Selbst in Leitmedien wird manchmal stipuliert, dass wir uns an ein Hochemissionsszenario anpassen könnten. In einer vier Grad wärmeren Welt wäre das allerdings nicht mehr möglich.
Eine Tiktokerin hat das Terrormanifest von Osama Bin Laden „An Amerika“ wiederentdeckt und ist damit viral gegangen.
Wie kann das passieren?
Pagung: Ich glaube, Debatten, die – vorsichtig formuliert – sehr weit weg von der Fachdiskussion sind, gab es schon immer, sie sind mit sozialen Medien nur sichtbarer. Was Außenpolitik betrifft:
Das Wissen der Menschen über Außenpolitik ist sehr begrenzt. Ich kann das verstehen: Die Fragen sind relativ weit weg vom Alltag, man ist vielleicht nicht so betroffen wie von der Rentenpolitik, das Geschehen findet nicht direkt vor der Haustür statt, es ist häufig sehr abstrakt. Das ist ein Risiko dafür, wie Quellen eingeschätzt und Zusammenhänge eingeordnet werden. Der außenpolitische Diskurs in Deutschland bedarf viel Bildungsarbeit. Zurück zur Geopolitik. Was würde eine erneute Amtszeit Donald Trumps für die deutsche und europäische Strategie bedeuten? Er droht mit dem Austritt der USA aus der Nato.
„Außenpolitik wird immer mehr durch die innenpolitische Linse betrachtet.“Sarah Pagung
Pagung: Das grundsätzliche Problem ist, dass wir absolut nicht wissen, was dann passiert. Das große Risiko ist, dass die USA die Unterstützung für die Ukraine und die Waffenlieferungen massiv reduziert. Aber ob und in welcher Form das passiert, ist nicht ausgemacht. Gerade Politik gegenüber Russland ist in den USA stark innenpoli-
Sebastian Turner (r.) hat mit Michael Bröcker als Chefredakteur und Helene Bubrowski als dessen Stellvertreterin zwei bekannte Politikjournalisten zu sich geholt.
TABLE MEDIA hat mit der Verpflichtung von Michael Bröcker und Helene Bubrowski aufhorchen lassen. Gründer und Herausgeber Sebastian Turner will mit dem Medien-Start-up Großes erreichen: Er will nicht nur die Berliner Medienlandschaft, sondern gleich den Journalismus in Deutschland verändern.
VON TOBIAS SCHMIDTSebastian Turner nimmt sich für seinen Besuch reichlich Zeit. Kleine Führung durch das Gebäude gefällig? Bei Berlin-Kennern werden beim Anblick des Ambientes Erinnerungen wach. Die Einrichtung hat Turner vom Stammhaus des Café Einstein übernommen. Als das bekannte Café und Restaurant in der Kurfürstenstraße dichtmachte, griff der Gründer und Herausgeber von Table Media zu. Alles wurde in vier Schiffscontainern zwischen Weihnachten und Neujahr abtransportiert und in den Räumlichkeiten des Medien-Start-ups unweit des Nordbahnhofs wieder aufgebaut.
Ein Stockwerk tiefer liegt das Podcast-Studio. Der Raum ist wie gemacht für Audioaufnahmen. Dabei handelt es sich in Wahrheit um die ehemalige Küche von Sarah Wiener. Die alte Durchreiche. An einer Stelle wurde eine neue Tür eingesetzt. Ein Regal soll unbedingt noch weg.
Nebenbei werden vom Gastgeber noch Tische abgeräumt und Stühle zurechtgerückt. Hier packt der Chef noch selbst mit an.
Für die Bilder an der Wand nimmt sich Turner besonders viel Zeit: Rudolf Augstein im Spiegelsaal von Versailles, Thomas Middelhoff auf dem Bertelsmann-Haus in New York, Helmut Kohl auf einem Frachter und Vicco von Bülow alias Loriot schlafend auf einem Sofa – alle mit einer breitformatigen „FAZ“ vorm Gesicht. „Dahinter steckt ein kluger Kopf“ war eine Kampagne aus Turners Zeit bei der Agentur Scholz & Friends. Dort war er Vorstandsvorsitzender. Dann wollte er mal Oberbürgermeister in Stuttgart werden. Er scheiterte. Als Herausgeber des „Tagesspiegel“ krempelte der heute 57-Jährige das Geschäftsmodell der Traditionszeitung um und setzte früh auf Newsletter und Veranstaltungen als weitere Einnahmequellen.
Eine Demonstration der neuen Relevanz von Turners aktuellem Unternehmen Table Media gibt es an einem Mittwochabend Ende Januar. Der Herausgeber und seine Chefredaktion, bestehend aus Michael Bröcker und Helene Bubrowski, laden zum Neujahresempfang in die Räumlichkeiten der Redaktion ein. Unter den Besuchern, die sich an diesem Abend die Klinke in die Hand geben, sind sieben Bundesminister, diverse Partei- und Fraktionsvorsitzende, Bundestagsabgeordnete des gesamten demokratischen Spektrums von Linke bis CDU sowie Verbandsund Agenturchefs. Auch die mediale Konkurrenz ist neugierig und schaut zahlreich vorbei – vermutlich auch, um den einen oder anderen ehemaligen Kollegen im neuen Habitat zu erleben. An Fotos von dem Event kam man in den Social Media kaum vorbei.
Die Besucher eint – neben der üblichen Freude am informellen Austausch – das Interesse am Newcomer. Ist Table Media wirklich das neue große Ding? Die Stimmung an dem Abend ist positiv. Dem Gastgeber ist man offenbar wohlgesinnt. Skeptische bis kritische Stimmen hört man von den Gästen kaum. In lockerer Atmosphäre lassen sich einige auf einen kurzen Abstecher ins hauseigene Podcast-Studio ein, um ein paar O-Töne aufzunehmen.
„Mit elf Briefings haben wir auch elf Communitys, die zu ‚ihrem‘ Table gekommen sind“, erklärt Turner den Erfolg der Veranstaltung. „Die Mischung der Gruppen und die damit zwangsläufig interdisziplinären Gespräche haben vermutlich dafür gesorgt, dass wir unsere Gäste bis weit nach Mitternacht bei uns hatten.“
Für das Anfang 2020 gegründete Medien-Start-up ist ein so großes Event zwar neu. Doch hat Turner insbesondere in den vergangenen beiden Jahren intensiv darauf hingearbeitet, dass es so kommt. Er investiert strategisch, sucht gezielt Köpfe mit journalistischer Erfahrung,
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