politik&kommunikation_10_2011

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Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 06/11 | Oktober 2011 | 7,20 Euro

www.politik-kommunikation.de

Optik Welche Rolle das Design im modernen Wahlkampf spielt KAMPAGNE 28

Gestik Was ein Fotograf bei Interviews mit Politikern erlebt – und was er ihnen rät MEDIEN 46

Think-Tanks Ihre Strategien, ihre Ziele


Inhalt

politik&kommunikation 6/11 – Oktober 2011

18 Taktik

28 Optik

46 Gestik

Die neuen deutschen Denkfabriken stehen für einen Umbruch: Sie sind längst zu modernen Dienstleistern geworden – und ihr Einfluss auf die Politik wächst weiter.

Die neuen Kommunikationskanäle bedeuten Herausforderungen für das politische Design – aber auch neue Möglichkeiten. Höchste Zeit, dass die Parteien darauf reagieren.

Marco Urban erzählt, was er als Fotograf mit Politikern erlebt – und was er sich von ihnen wünscht. Außerdem erklärt er, warum er bei jedem Interview auch die Hände fotografiert.

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26 Kompakt 28 Zeit für Experimente Die Parteien müssen ihr Design der modernen Kommunikation anpassen

52 Die Karrierekurve Martin Biesel 54 Merkels Tafelrunde p&k nimmt für Sie die Sitzordnung am Kabinettstisch unter die Lupe 56 Mein Lieblings… p&k befragt Bundestagsabgeordnete nach dem, was ihnen lieb ist 58 Personen und Karriere Ehemalige Staatssekretäre wechseln, Matussek wird Cheflobbyist 64 Ossis Welt Das Politikbilderbuch 66 Gala Die wichtigsten Events 71 Politikkalender Die Top-Termine im Oktober 72 Porträt in Zahlen Georg Streiter

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Meldungen Kein Bock auf Blog, Lobby kritisiert Regierungs-PR

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12 Mehr Demokratie wagen? Pro und Kontra von Petra Pau und Hans-Peter Uhl 14 Parteilos, unabhängig, erfolgreich In Deutschland gibt es immer mehr parteilose Bürgermeister 16 Die Spielchen der Mächtigen In Parteien regieren intransparente Eliten – das schwächt die Demokratie von Marco Bülow ������ �������

18 Perfekt vernetzt Think-Tanks gewinnen im politischen System zunehmend an Bedeutung 20 „Die Welt ist schneller geworden“ SWP-Direktor Volker Perthes im p&kInterview 22 „Es gibt noch Baustellen“ p&k sprach mit Andrea Ypsilanti über das Institut Solidarische Moderne 24 Das Gesetz des Monats Das Verordnungsstrukturgesetz von Jana Grühn

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34 Kompakt ������

36 Rhetorik ������

38 Kompakt 40 Die entfesselte Politik Wie die Ansprüche der Bürger die politische Kommunikation verändern von Thymian Bussemer 42 Der Krieg, den die Zeitungen brachten p&k Historie – Teil 5: Der amerikanische Bürgerkrieg von Marco Althaus 44 Demut und Dolchstoß Beobachtungen zur Rhetorik KarlTheodor zu Guttenbergs von Heinrich Detering 46 Wenn Hände sprechen Was ein Fotograf bei Interviews mit Politikern erlebt von Marco Urban 50 Bücher und TV

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Redaktionstagebuch Liebling des Monats Das Lobbyregister wird kommen Essay von p&k-Chefredakteur Sebastian Lange 74 Letzte Seite 3 5 6

pol i t ik & kommunikation | Oktober 2011

Fotos: www.wikipedia.org; Archiv (35); www.marco-urban.de; Wilhelm W. Reinke

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Liebling des Monats: Loriot Dem kürzlich verstorbenen Humoristen Loriot verdanken wir vieles – auch einen wichtigen Beitrag zur deutschen Debattenkultur, nämlich die wegweisende Rede des Abgeordneten Werner Bornheim, die auch Edmund Stoiber übrigens stets als Richtschnur seiner Rhetorik gedient hat. Ein Auszug aus Bornheims Rede: „Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, und davon sollte man

ausgehen, das ist doch – ohne darumherum zu reden – in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden. Ich kann meinen politischen Standpunkt in wenige Worte zusammenfassen: Erstens das Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens, und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind, drittens, die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück eines zukunftsweisenden

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Parteiprogramms. Wer hat denn, und das muss vor diesem hohen Hause einmal unmissverständlich ausgesprochen werden. Auch die wirtschaftliche Entwicklung hat sich in keiner Weise. Das kann auch von meinen Gegnern nicht bestritten werden, ohne zu verkennen, dass in Brüssel, in London die Absicht herrscht, die Regierung der Bundesrepublik habe da – und, meine Damen und Herren,

warum auch nicht? Aber wo haben wir denn letzten Endes, ohne die Lage unnötig zuzuspitzen? Da, meine Damen und Herren, liegt doch das Hauptproblem. Bitte denken Sie doch einmal an die Altersversorgung. Wer war es denn, der seit 15 Jahren, und wir wollen einmal davon absehen, dass niemand behaupten kann, als hätte sich damals – so geht es doch nun wirklich nicht!“

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Kompakt Kompakt

Blick in einen Newsroom: Regionale Journalisten nehmen Blog-Einträge kaum zur Kenntnis J OU RNALISMUS

Kein Bock auf Blog schaftler haben überprüft, wie häufig politische Journalisten Blogs zitieren. Das Ergebnis: Gerade einmal 5,7 Prozent aller in der Studie untersuchten Beiträge von regionalen Printmedien beziehen sich auf Webtagebücher. Umgekehrt verweisen Blogs in ihren Berichten noch seltener auf die klassischen Medien, hier sind es bloß 0,6 Prozent der Fälle. „Es gibt in den untersuchten Ländern kaum regi-

W HISTLEB LO WING

KOMMUNALWAHLKAMPF

Kaum Regeln

SPD scheingrün

Whistleblower können sich in Deutschland nur selten auf betriebliche Rahmenregelungen stützen, wollen sie gegen rechtswidriges und unmoralisches Verhalten von Führungskräften vorgehen. So lautet eines der Ergebnisse einer Studie des Whistleblower-Netzwerks zu Betriebs- und Dienstvereinbarungen, durchgeführt im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Ausgewertet wurden 32 betriebliche Vereinbarungen aus den vergangenen drei Jahren. Die meisten Regelungen drehten sich um die Bekämpfung von Korruption zu Lasten der eigenen Firma. Das Thema Whistleblowing gewinne an Relevanz, heißt es.

Der SPD-Politiker Bernhard Reuter, frisch gewählter Landrat im Kreis Göttingen, irritierte im Wahlkampf. „Wer Rot-Grün will, wählt Bernhard Reuter“ prangte es auf Anzeigen und Internetbannern, die komplett in Grün gehalten waren – und den Plakaten seiner grünen Konkurrentin zum Verwechseln ähnlich sahen. Die Grünen, die im Kreistag mit der CDU koalieren, fanden diese Aktion überhaupt nicht lustig und drohten der SPD mit einer Urheberrechtsklage. Der lokale Streit schlug Wellen bis in den Bundestag: Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPDBundestagsfraktion und Vorsitzender der Göttinger Sozialdemokraten, versicherte, dass die Genossen künftig auf solche Manöver verzichten.

www.boeckler.de

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onale Blogs, die die politische Diskussion spürbar beeinflussen“, sagte Thomas Horky, Journalistikprofessor an der Macromedia-Hochschule, zu p&k. Die Meinungsmacher seien weiterhin die traditionellen Medienhäuser. Es gebe allerdings Blogs, die durchaus zu einer breiteren Öffentlichkeit durchdringen würden, etwa „Lummaland“ oder der „Wahlbeobachter“, beide aus Hamburg.

Die SPD warb in Göttingen auffallend grün pol i t ik & kommunikation | Oktober 2011

Fotos: Herbert Knosowski; SPD Göttingen

Polit-Journalisten in den Ländern nehmen Blogs offenbar kaum zur Kenntnis. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation. Die Forscher haben jetzt erste Zwischenergebnisse der Studie veröffentlicht, die Artikel von Zeitungen und Blogs im zeitlichen Umfeld der sieben Landtagswahlen des Jahres 2011 untersucht. Die Wissen-


O N L IN E - P L ATT F O R M

WAHL

Was im EU-Parlament läuft

DGB empfiehlt nicht

Mit dem EU-Parlameter des ZDF können sich Internet-Nutzer seit Anfang September über das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten informieren. Die Nutzer können die Parlamentarier dabei nach Herkunftsland, Geschlecht, Berufsgruppe und Alter auswählen. Neben einem Profil, dem Lebenslauf, einer Auflistung der politischen Ämter und den Kontaktdaten sind die Voten der Parlamentarier zu einzelnen politischen Themen aufgelistet. Mit dem Online-Tool will das ZDF das Interesse und das Verständnis der Bürger für euro-

Das EU-Parlameter macht Politik transparenter

päische Politik fördern. „Nur wer Politik versteht, kann sich eine Meinung bilden“, so ZDF-Online-Chef Eckart Gaddum.

LEAKING

In der Vertrauenslücke Das Vertrauen potenzieller Whistleblower in Wikileaks ist nach dem Datenleck-Skandal der Plattform erschütert. Die Chancen der neuen Plattform Globaleaks, Anhänger zu finden, sind also nicht gering. Die Pläne für Globaleaks hat der Darmstädter Software-Entwick-

ler Seif Lotfy im August vorgestellt. Bei dem Projekt handelt es sich jedoch nicht um eine eigene Whistleblower-Plattform, sondern vielmehr um einen Quellcode. Noch befindet sich die Software allerdings in der Entwicklungsphase. www.globaleaks.org

Zwar ist der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Michael Sommer, Mitglied der SPD – eine Empfehlung Micheal Sommer für die Sozialdemokraten will er bei der nächsten Bundestagswahl aber nicht abgeben. Das erklärte Sommer jetzt in einem Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“. Der DGB sei „parteipolitisch unabhängig“, eine Wahlempfehlung „ein Rückschritt, den ich nicht will“, so Sommer. Wähler bräuchten „keine Wahlhilfe“. Allerdings machte der Gewerkschafter auch deutlich, dass es ihm nicht egal ist, wer SPD-Kanzlerkandidat wird. „Er oder sie sollte fähig sein, Wahlen zu gewinnen und das schon einmal bewiesen haben.“ Bereits bei der Bundestagswahl 2009 verzichtete der DGB auf die noch vor wenigen Jahren nahezu selbstverständliche Wahlempfehlung, ebenso wie die Gewerkschaft Verdi. Das Verhältnis zur SPD, so Sommer, sei heute „konstruktiv, kritisch, voneinander unabhängig, aber miteinander bemüht“.

TENEXPER P T IP

Fotos: ZDF; Marco Urban; Privat (3); Marco Urban; Uni Münster; Marco Urban

Kohl, Schmidt und Fischer kritisieren ihre Nachfolger: Verstoßen sie gegen die guten Sitten der Politik?

Wolfgang Ismayr (Uni Dresden)

Uwe Jun (Uni Trier)

Ulrich von Alemann (Uni Düsseldorf)

Karl-Rudolf Korte (Uni DuisburgEssen)

Wichard Woyke (Uni Münster)

Peter Lösche (Uni Göttingen)

Die Zahl der Think-Tanks in Europa steigt: Verliert die wissenschaftliche Politikberatung an Einfluss? Wikileaks steht nach Daten-Panne in der Kritik: Ist die Ära der Whistleblowing-Plattformen schon wieder zu Ende? SPD erzielt Erfolge bei Landtagswahlen: Hat die Partei schon zu alter Stärke zurückgefunden? Politiker fordern Vereinigte Staaten von Europa: Braucht es mehr große Visionen, um etwas zu bewegen?

pol it ik & kommunikation | Oktober 2011

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Kompakt

INTERVIEW

UMFRAGE

„Keine Sonderregel für das Internet“

Lobby kritisiert Regierungs-PR

Im Sozialen Netzerk Google+ sind Pseudonyme verboten. Dagegen protestierten 28 Netzaktivisten mit einem Offenen Brief. Der FDPBundestagsabgeordnete Jimmy Schulz unterzeichnete auch. Mit Schulz sprach p&k-Mitarbeiter Thomas Trappe.

Wie bewerten Sie die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in den letzten zwölf Monaten? 58 55

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Sehr gut

Gut

Schlecht

Sehr schlecht

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keine Angaben

Wie Lobbyisten mit Volksvertretern kommunizieren 92

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8 Persönliche RegelTreffen m. mäßige relevanten Mailings politischen Entscheidern

Newsletter

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Sonstige Podiums- Politische Social diskusSalons, Media sionen Parlamenund tarische Web 2.0 Abende Elemente

(Alle Angaben in %. 2011 verglichen mit 2010)

Quelle: Studie MSL

www.mslgroup.de

DROHUNG

ANALYSE

Henkels Protestpartei

Klarheit lohnt

Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, hofft auf eine eurokritische Partei. Wie er in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ deutlich machte, sei eine solche aus seiner Sicht der einzige Weg, die europäische Währung vor dem Scheitern zu bewahren. „Da unsere Parteien nicht zur Vernunft kommen wollen, müsste eine neue Partei ihnen Beine machen“, schrieb Henkel. In einem Interview mit „n-tv.de“ sagte Henkel zudem, er wisse, dass seine Positionen von rechten Parteien zitiert würden. „Für mich ist das ein Warnsignal: Wenn man über längere Zeit die Bedenken der Deutschen nicht ernstnimmt, darf man sich nicht wundern, dass die Rattenfänger immer erfolgreicher werden.“

Die Mehrheit der FDP-Wähler ist männlich, ein überdurchschnittlicher Anteil beruflich selbständig. Das geht aus der Studie „Die Wählerschaft der FDP 20012010“ hervor, welche die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung nun präsentiert hat. So waren bei der vorigen Bundestagswahl 25 Prozent der FDP-Wähler selbständig, den geringsten Anteil machten Arbeiter und Beamte aus. Der Männeranteil lag ein Drittel über dem der Frauen. Das Fazit des Studienautors Thomas Volkmann: „Die Wählerschaft ist nicht auf ein bestimmtes Milieu begrenzt“. Außerdem zeige sich, dass „die FDP-Wähler sich an Inhalten orientieren und lanfristig thematische Klarheit honorieren“. www.freiheit.org pol i t ik & kommunikation | Oktober 2011

Foto: Privat

Herr Schulz, wollen Sie nicht wissen, mit wem Sie es bei Diskussionen zu tun haben? Jimmy Schulz: Doch, aber darum geht es nicht. Es gibt Leute, die wollen anonym bleiben, andere mögen die offene Auseinandersetzung. Und beide Seiten müssen das Recht haben, frei zu entscheiden, wie sie sich verhalten. Welche Gefahr sehen Sie darin, Pseudonyme zu verbieten? Grundsätzlich sehe ich dadurch nicht die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht. Das ist aber nicht die Jimmy Schulz Frage. Bloß darf im Internet keine Sonderregel gelten. Ich darf Briefe ohne Absender abschicken, in der Telefonzelle bin ich auch anonym. Und das ergibt Sinn: Es gibt einfach Situationen, in denen man verständlicherweise anonym bleiben will. Zum Beispiel der Beamte im Ministerium, der im Netz an politischen Debatten teilnimmt. Oder ein politischer Flüchtling aus Arabien, der über Facebook einen Aufstand in seinem Heimatland unterstützt. Eine Namensnennung wäre hier lebensgefährlich. Hat Google schon auf den Brief reagiert? Noch nicht. Ich hoffe ja nicht nur auf eine Antwort, sondern vor allem auf eine Änderung der Nutzungsbedingungen. Herr Schulz, waren Sie selbst eigentlich schon mit Pseudonym im Netz unterwegs? Ja, selbstverständlich.

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22

Interessenvertreter sind unzufrieden mit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Das zeigt eine Umfrage der Berliner Agentur MSL Deutschland. 58 Prozent der Befragten beurteilen die Kommunikation der Koalition als schlecht, weitere 20 Prozent als sehr schlecht und lediglich 22 Prozent als gut. „Im Vergleich zum Vorjahr ist die Unzufriedenheit deutlich angestiegen“, sagt Axel Wallrabenstein, Chairman von MSL Deutschland. 2010 hielten lediglich zwölf Prozent der Befragten die PRArbeit der Regierung für sehr schlecht – und immerhin 31 Prozent für gut. Für Wallrabenstein ist das jedoch kein Beleg für eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Schwarz-Gelb. „Die Public-AffairsVerantwortlichen trennen zwischen Leistung und Kommunikation.“ So seien rund 60 Prozent der Meinung, dass die Regierung den wirtschaftlichen Aufschwung eingeleitet habe. Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Im Vergleich zum Vorjahr setzen mehr Interessenvertreter auf Mailings und Soziale Netzwerke, um ihre politischen Kontakte zu pflegen. An der Umfrage nahmen 50 Lobbyisten teil.


Kompakt

Foto: Anna Heyse

Aufgedeckt: Mann von Welt Horst Seehofer hat es wenig mit seinem poligeschafft: Er wird in tischen Lebenswerk und einer Reihe mit den viel mit seinem Privatganz Großen genannt. leben zu tun. Monica Bill Clinton, Arnold Lewinski, Mildred PatriSchwarzenegger – cia Baena und Anette und Horst SeehoFröhlich – so heißen fer, der bislang eher die Frauen, mit denen in einer Reihe mit die drei SchauspieEdmund Stoiber und ler, Verzeihung, PolitiUlla Schmidt genannt ker fremdgegangen sind. wurde. Der US-PräsiDas Plakat, auf dem die dent Clinton, der sich drei zusammen zu sehen als Vermittler im festsind, gehört folgerichgefahrenen Nahosttig zu einer WerbekamFriedensprozess profipagne des SeitensprungIn bester Gesellschaft: Seehofer liert hat, der TerminaPortals „AshleyMaditor Schwarzenegger, son.com“. Schade, aber der als Gouverneur die grüne Revoluirgendwie auch egal. In der Politik ist tion in Kalifornien ausrief – und der schließlich jedes Mittel recht, um sich bayerische Ministerpräsident, der – ja als Mann von Welt und Format zu posiwas eigentlich? Achso, der laut eigetionieren. Und in Berlin gibt es durchner Aussage immerhin Karl-Theodor zu aus Politiker, denen im kommenden Guttenberg erfunden hat. Wer sich nun Bundestagswahlkampf ein bisschen wundert, wie es Seehofer in die Reihe internationales Renommé ganz gut tun dieser internationalen A-Prominenz würde. Von Seehofer lernen, heißt in geschafft hat, dem sei verraten, dass es diesem Fall siegen lernen.

GAL HAMBURG

Unverwechselbar Die Hamburger Grünen spielen mit dem Gedanken, ihren Namen zu ändern. Bislang firmiert der Hamburger Landesverband als GrünAlternative Liste (GAL). 1980 als eigenständige Partei gegründet, schloss sich die GAL erst 1984 den Grünen an. Der Name ist seitdem erhalten geblieben. Gerade bei jungen Zugezogenen ruft das aber zunehmend Irritationen hervor. Diese würden oftmals vergeblich nach den Grünen auf dem Wahlzettel suchen, so die GAL-Vorsitzende Katharina Fegebank. Die Hamburger Grünen können so nur eingeschränkt vom positiven Bundestrend der Partei profitieren. Eine Kommission soll nun bis Herbst 2012 einen Vorschlag für die künftige Bezeichnung der Landespartei vorlegen, kündigte die GAL an. hamburg.gruene.de

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Gut, dass es Versicherungen gibt.


Politik

In Fraktionen und Parteien regieren INTRANSPARENTE ELITEN, die Ämter unter sich ausmachen. Die Institutionen der Demokratie sind geschwächt – doch entwickelt sich zunehmend eine Gegenöffentlichkeit.

V O N M A R C O B Ü LO W

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n unserem politischen Alltag offenbart sich eine Reihe von Symptomen, die auf das hindeuten, was die Politikwissenschaftler als Postdemokratie bezeichnen – eine Demokratie, in der politische Eliten mithilfe einiger Medien und einflussreicher Unternehmen allein die Agenda bestimmen, und in der die eigentlichen demokratischen Institutionen massiv an Einfluss verlieren. Wir erleben es im Parlament regelmäßig, dass das Abnicken ohne ausgiebige oder gar strittige Diskussionen für die Regierungsfraktionen immer mehr zur Routine wird. Die Ökonomisierung der Politik verfestigt sich zunehmend, und die Politiker, vor allem die Basisgruppen der Parteien, verlieren ihre politischen Gestaltungsspielräume. Immer wieder hat die Bundesregierung die Mitwirkungsrechte des Bundestags, des eigentlichen Gesetzgebers, missachtet – eine Entwicklung, die sich seit vorigem Jahr eher verschlimmert als verbessert hat. Der Euro-Rettungsschirm, die Verhandlungen zur Etablierung eines permanenten Stabilitätsmechanismus für die Eurozone, die Vorgänge um die Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke oder die Einsetzung einer Ethikkommission zum Atomausstieg sind nur einige von unzähligen Beispielen. Beim Rettungsschirm hat die Bundesregierung wochenlang taktische Spielchen gespielt, um dann unausgegorene Vorschläge ohne ausreichende Beratungszeit durch den Bundestag zu peitschen. Bei den Verhandlungen über den Stabilitätsmechanismus ist sie ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament viel zu lange nicht nachgekommen und hat verhindert, dass der Bundestag ausreichend eingebunden wurde. Die Debatten über die Atompolitik sind exemplarisch: Als die Regierung die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke im Herbst 2010 verlängerte, wurde der Opposition nicht genügend Beratungszeit eingeräumt, die Aussprachen im Umweltausschuss waren eine Farce und der Dimension und Wichtigkeit des Themas nicht angemessen. Einer zeitlich viel zu knapp 8

Gewissen aufgegeben? Auch nach Fukushima, als die Regierung zwar verbal eine Kehrtwende bei ihren eigenen Positionen vornahm, gab es leider kein Umdenken bei der Gestaltung des demokratischen Willensbildungsprozesses. Wieder regierte ein enger Zeitplan, und wieder sollte das eigentliche Entscheidungsgremium, das Parlament, am Ende nur die Vorschläge der Regierung abnicken. Erarbeitet wurde diese Entscheidung dagegen in der Atomkraft-Ethikkommission, in der kein einziger Parlamentarier vertreten war. Ich habe nichts gegen die Beratung durch Wissenschaftler, Ökonomen und Unternehmensvertreter. Doch gibt es dafür Anhörungen, in denen wir, die Abgeordneten, die Fragen stellen und mit den Fachexperten diskutieren können, anstatt uns am Ende die Antworten vorgeben zu lassen. Ich kann nicht verstehen, wie die gewählten Volksvertreter der Regierungsparteien sich durch solche Gremien oder aufgrund angeblicher Zeitnot immer wieder freiwillig entmündigen lassen und am Ende die fremdbestimmten Vorgaben auch noch brav abnicken. Gerade bei der Atomdebatte wird doch offensichtlich, wie wenig die Abgeordneten ihrem Gewissen folgen. Entweder hatten Fraktionsmitglieder von Union und FDP bei der Laufzeitverlängerung ihr Gewissen vollständig aufgegeben oder sie taten es, als sie im Sommer die Kehrtwende beschlossen haben. Wenn der Bundestag und die Abgeordneten wieder zur Entscheidungsmitte in diesem Land werden wollen, müssen sie sich selbst ernst nehmen und das Parlament gegenüber der Exekutive stärken. Dazu gehören mindestens eine bessere Ausstattung mit wissenschaftlicher Expertise und genügend Beratungszeit bei Gesetzesvorhaben. Dazu gehört auch, dass Experten zu Anhörungen eingeladen werden, die die Abgeordneten bei Entscheidungen beraten und nicht selbst die Vorlagen erarbeiten. Doch nicht nur in den Fraktionen, sondern auch in den Parteien regieren weiterhin kleine intransparente Eliten, welche die Spitzenfunktionen und Ämter unter sich ausmachen. Es ist zur Routine geworden, dass zahlreiche Politiker auf diesem Weg Vorpol i t ik & kommunikation | Oktober 2011

Fotos: Archiv; Privat

Die Spielchen der Mächtigen

bemessenen Anhörung folgten zwei Sonderausschuss-Sitzungen, in denen die Regierungsfraktionen ihr Mehrheitsrecht überstrapazierten und nur eine Diskussionsrunde zu dem gesamten Themenkomplex zuließen. Dies hatte definitiv eine neue Qualität. Anstand bewies hier auf Regierungsseite lediglich Bundestagspräsident Norbert Lammert, der der Regierung vorwarf, die Atomgesetze zu schnell durch das Parlament gepeitscht zu haben. Er sprach von „Zumutung“ und „mangelnder Sorgfalt“. Mutig war dies vor allem deshalb, weil er als CDUMitglied selbst zu einer Regierungsfraktion gehört und wegen dieser Aussage sicher nicht viel Beifall von seinen Kollegen erhalten hat.


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gestellt wird. Die eigentlichen Entscheider, die Parteimitglieder, werden so von ihren Spitzen und der medial erzeugten Stimmung gleich doppelt entmündigt. Sicher haben wir es noch selbst in der Hand, den Einflussverlust von Abgeordneten und Parteien insgesamt einzudämmen und eine generelle Gefährdung unserer parlamentarischen Demokratie abzuwenden. Einerseits schreitet zwar die „Postdemokratisierung“ voran, andererseits erleben wir zunehmend eine Gegenöffentlichkeit. Die Bevölkerung spürt, dass etwas schief läuft. Viele ziehen sich politisch völlig zurück und bleiben selbst bei Wahlen zu Hause. Andere werden aktiv, beteiligen sich, organisieren Proteste, unterschreiben Petitionen oder wenden sich an die Mandatsträger. Auch in meinem Büro haben die Anfragen und Gesprächswünsche von Bürgern und von kleinen Initiativen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.

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sitzende ihrer Parteien und Fraktionen werden. Einmal von der Spitze vorgeschlagen, könnten die Parteien dem Bewerber nur um den Preis massiver Schäden ihre Zustimmung verweigern.

Steinbrück hochgejubelt Statt offener Kandidaturen und Diskussionen entscheidet die Hinterzimmerdiplomatie. In der SPD gab es zaghafte Bestrebungen, dies nach der harten Wahlniederlage zu ändern. Doch Neuerungen und Parteireformen blieben häufig in der Versuchsphase stecken. Neben den wenigen Politik-Akteuren spielen auch einige Medien mit im Machtkarussell. Da werden Politiker wie Peer Steinbrück zu Kanzlerkandidaten hochgejubelt, bevor die betroffene Partei darüber ernsthaft diskutiert. Häufen sich diese Lobhudeleien, oder wird ein Name für eine wichtige Funktion nur häufig genug ins Spiel gebracht, wird aus dem medial erkorenen Favoriten automatisch ein aussichtsreicher Kandidatenaspirant. Genauso werden mögliche Kandidaten runtergeschrieben, womit sie unter Druck geraten und eventuell sogar ihre Favoritenrolle verlieren. Die Meinungsforschungsinstitute tun ihr Übriges. Sie allein treffen die Auswahl, wer in Umfragen als möglicher Konkurrent beispielsweise gegen Angela Merkel pol it ik & kommunikation | Oktober 2011

Zaghafte Bemühungen Es gibt zudem immer mehr Medienvertreter, die die Situation im Parlament – sei es nun der Lobbyismus oder die Entmachtung der Fraktionen – kritisch hinterfragen und öffentlich machen. Vor allem der Lobbyismus ist im vergangenen Jahr immer häufiger unter die Lupe genommen worden. Aber die journalistische Kritik weist die Bürger immer mehr auch auf die Gesamtproblematik hin. Schlagzeilen wie: „Steht auf, wenn ihr freie Abgeordnete seid!“ oder „Die Bundesregierung treibt die Entmündigung des Parlaments voran“ häufen sich. Auch der Einfluss von Initiativen wie Lobby-Control, Transparency International und Campact nimmt zu. Dies beweist zum Beispiel die Diskussion über die Veröffentlichungspflicht der Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Nach ersten Plänen sollte es eine „BagatellGrenze“ von 10.000 Euro pro Jahr geben. Die Organisationen haben zu Recht auf die Gefahr der Verschleierung von Einkommen bei einer solchen Regelung hingewiesen, einen beispiellosen Protest organisiert und so dafür gesorgt, dass die Regelung noch einmal überarbeitet wird. Es weist nichts darauf hin, dass die zweite Hälfte der Legislaturperiode anders werden wird. Vor allem die europäischen Vorlagen werden die Entscheidungsfreiheit des Bundestags weiter massiv einengen. Aber es gibt immer mehr Abgeordnete, die zumindest einige Regeln für Lobbyisten und auch für sich selbst aufstellen wollen, und die beginnen, die Entwicklung als Problem zu erkennen. So gab es zum Thema Lobbyismus und Transparenz der Abgeordneten schon einige Vorlagen im Bundestag, die die Regierungsfraktionen allerdings alle ablehnten. Nun sind diese ersten Bemühungen noch zaghaft, und zu Recht werden Kritiker einwenden, dass sie nur erste Schritte sind und sich erst in Regierungsverantwortung beweisen wird, wie reformwillig die Oppositionsfraktionen wirklich sind. Aber ein Anfang ist gemacht.

Marco Bülow ist sozialdemokratischer Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Der direkt gewählte Vertreter des Wahlkreises Dortmund I veröffentlichte im vergangenen Jahr das Buch „Wir Abnicker – über Macht und Ohnmacht der Volksvertreter“.

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Public Affairs

Perfekt vernetzt Offen, modern, im ständigen Austausch mit der Basis: Die neuen deutschen THINK-TANKS zeigen, wie die Zukunft der deutschen Politikberatung aussieht. Viele etablierte Denkfabriken müssen sich umstellen. Sie wissen: Die Zeiten akademischer Elfenbeintürme sind vorbei.

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pol i t ik & kommunikation | Oktober 2011


VON JO HA NNE S A LT M E Y E R

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ier also arbeitet die nächste Generation der deutschen Politikeinflüsterer: hoch über den Dächern Berlins, in lichtdurchfluteten Büroräumen mit kahlen, weißen Wänden; auch die obligatorischen Apple-Rechner dürfen nicht fehlen. In der achten Etage eines Bürohauses am Potsdamer Platz sitzt die Stiftung Neue Verantwortung (SNV). Schon mit dem Design ihrer Räume hat die SNV ein Zeichen gesetzt. Sie will zeigen, wie der Think-Tank arbeitet: offen für den gesellschaftlichen Wandel, und vor allem transparent. Die 2008 gegründete SNV ist eine von 30 in den vergangenen zehn Jahren gegründeten deutschen Denkfabriken, unter denen sich einige Institute mit unorthodoxen Beratungs-Ansätzen finden. Sie tragen Namen wie „Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt“, „Brandenburgisches Institut für Gesellschaft und Sicherheit“ oder „Institut Solidarische Moderne“. Die Arbeitsschwerpunkte variieren, das Budget und die Zahl der Mitarbeiter auch. Doch haben sie eines gemeinsam: Sie stehen für einen Umbruch. Denn die Zeiten, in denen Politikberater öffentlichkeitsscheu arbeiteten und über Themen von vorgestern nachdachten, sind vorbei. Die Denkfabriken sind längst zu modernen Dienstleistern geworden – und ihr Einfluss auf die Politik wächst weiter.

Grafik: Marcel Franke

Schöne Papiere reichen nicht „Entschuldigen Sie bitte die Unordnung“, sagt SNV-Vorstandssprecher Lars Zimmermann. Mit „Unordnung“ meint er einen – mit Ausnahme eines Tischs und ein paar Stühlen – leeren Büroraum, in dem er sich mit seinem Laptop provisorisch eingerichtet hat. Die Stiftung bereite gerade eine Abendveranstaltung in ihren Räumen vor, da müsse er schauen, wo er arbeiten könne. Zimmermann sieht nicht aus wie ein grauer Theoretiker, eher wie ein McKinsey-Berater: sportliche Figur, eleganter Anzug, modische Kurzhaarfrisur und ein gewinnendes Lächeln. Als Gründungsgeschäftsführer war der 36-Jährige maßgeblich am Aufbau der SNV beteiligt, die heute von einer Gruppe von rund 20 Unternehmen und Stiftungen getragen wird. Die Motive für die Gründung der Stiftung sind auf deren Webseite zu lesen: „In Deutschland fehlt pol it ik & kommunikation | Oktober 2011

es an einem professionellen Think-Tank, der neue Ideen in den öffentlichen Diskurs über die Zukunft unseres Landes einbringt.“ Zimmermann sagt, dass die Gründung der SNV ein „Experiment“ gewesen sei. Eine Erkenntnis war für ihn damals ausschlaggebend: Die wichtigen Zukunftsthemen ließen sich nicht mehr auf einzelne Politikfelder begrenzen. Ein Beispiel sei die aktuelle Krise des Euro: Diese betreffe nicht nur die Finanz-, sondern auch die Außen- und Wirtschaftspolitik. Die SNV hat ihre Arbeitsweise an dieser Komplexität ausgerichtet. In ihren derzeit zwölf Forschungsgruppen bringt sie bereits etablierte Experten („Fellows“) und Nachwuchstalente („Associates“) aus Politik, Verbänden und Medien zusammen. Die Themen ihrer Projekte reichen von „Cybersecurity“ bis zum „Führungsverständnis in Deutschland“. Das Institut ermuntert die Fellows dazu, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, es unterstützt sie dabei, Diskussionsrunden zu veranstalten, Netzwerke zu knüpfen und Forschungsergebnisse zu publizieren. Eine geschickte Strategie: Auf diese Weise werden die Fellows zu gefragten Gesprächspartnern – und zu Botschaftern der SNV. Zimmermann: „Wir zielen auf die Themen und auf die Führungskräfte von morgen.“ Der SNV-Sprecher sieht keinen Sinn mehr darin, dass ThinkTanks eine Gruppe von Wissenschaftlern in einen Raum sperren, um diese über ein Problem nachdenken zu lassen: „Die Zeiten akademischer Elfenbeintürme sind vorbei“, sagt Zimmermann. Moderne Denkfabriken müssten praxisorientiert arbeiten und sich überlegen, was die Politik wolle. „Schöne Papiere alleine reichen nicht mehr, es kommt auf verbindliche Ansagen und Angebote zur Partizipation an.“ Auch andere neue Denkfabriken wollen die Theorie stärker mit der Praxis verzahnen, zum Beispiel das Institut Soli-

„Schöne Papiere alleine reichen nicht mehr, es kommt auf verbindliche Ansagen und Angebote zur Partizipation an“

darische Moderne, kurz ISM, das im vergangenen Jahr seine Arbeit aufgenommen hat. Anders als die überparteiliche Stiftung Neue Verantwortung ist das ISM ein advokatorischer Think-Tank und politisch klar links positioniert. Auch das ISM setzt darauf, neue Ideen in Netzwerken zu erarbeiten und weiterzuverbreiten. Hier geschieht das allerdings nicht durch Fellows und Associates, sondern schlicht durch die „Mitglieder“. Mittlerweile haben sich rund 1500 Menschen in ganz Deutschland dafür entschieden, an dem Projekt mitzuarbeiten. Voraussetzung: Sie müssen bereits in einer anderen Institution aktiv sein, beispielsweise einer Partei, Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation. „Wir wollen die Mitglieder unseres Instituts – samt ihrer Kompetenzen – miteinbeziehen“, sagt ISM-Vorstandsmitglied Andrea Ypsilanti im p&k-Interview. Dieser neue Ansatz brauche jedoch Zeit und neue wissenschaftliche Richtlinien. So soll ein eigener Verhaltenskodex, der „ISM-Code“, regeln, wie sich die 1500 Aktivisten mit ihren Ideen in Diskussionen einbringen können.

Die „Think-Tanker“ kommen Neben der alltäglichen Arbeit will das Institut, in dessen Vorstand neben Ypsilanti auch der Grünen-Politiker Sven Giegold und die Linken-Bundestagsabgeordnete Katja Kipping sitzen, vor allem mit seiner jährlichen „Summer Factory“ punkten. Das Ziel der dreitägigen Sommerakademie ist es, in Workshops Ideen zu entwickeln – und diese im Anschluss der Öffentlichkeit zu präsentieren. „Dem ISM ist die Quadratur des Kreises gelungen“, sagt Dieter Plehwe vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Plehwe beschäftigt sich seit Jahren mit dem Einfluss der Denkfabriken und hat Ende August die Webseite „Think Tank Network Research“ gestartet. Mit dieser will er Wissenschaftler und Journalisten über die Netzwerke informieren, in denen sich deutsche und europäische Think-Tanks austauschen. Der WZB-Forscher sagt, dass es das ISM geschafft habe, eine üblicherweise elitäre Organisationsform mit demokratischer Partizipation zu verbinden. „Was die Arbeitsstruktur, die Beteiligung der Mitglieder und die mediale Strate11


Public Affairs

Tanks“ längst zu „Do-Tanks“ geworden sind, zu praxisnahen Akteuren, die offensiv für ihre Ideen eintreten. Was aber hat sich verändert in den vergangenen Jahren? Was hat die Institute zum Umdenken veranlasst?

Neue Themen, neue Denker „Die Think-Tanks haben sich mit der digitalisierten Gesellschaft, in der wir mittlerweile leben, lange Zeit schwer getan“, sagt Florian. Zugespitzt bedeutet das: Sie mussten schlichtweg Angst haben, als veraltet zu gelten, als wissenschaftliche Dinosaurier. Doch die Denkfabriken haben die Zeichen der Zeit erkannt. „Früher haben sie dicke Studien verschickt, die jeder sofort weggelegt hat.“ Mittlerweile setzten die Stiftungen und Institute auf E-Mail-Newsletter und kurze, verständliche Politikbriefe, die man schnell durchlesen könne. „Ideal für die Taxifahrt zum Flughafen“, sagt Florian. Die Denkfabriken profitieren davon, dass die Gesellschaft sich immer stär-

„Die Welt ist schneller geworden“ Volker Perthes, 52, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. p&k sprach mit ihm über den steigenden Einfluss deutscher Think-Tanks und akademische Elfenbeintürme.

p&k: Herr Professor Perthes, was zeichnet für Sie einen guten Think-Tank aus? Volker Perthes: In erster Linie eine wissenschaftliche Forschungstätigkeit, die sich in praktische und politisch-inhaltliche Empfehlungen umsetzen lässt. Das unterscheidet einen Think-Tank von einem akademischen Institut, wo zwar auch gedacht und geforscht wird, es aber diese praktische Dimension nicht gibt. Gleichzeitig grenzt sich ein Institut wie die SWP mit seiner Arbeitsweise auch von einer Beratungsfirma ab, die zwar politische Ratschläge geben kann, aber keine wissenschaftlich fundierte Basis hat. In den vergangenen Jahren hat es einen starken Anstieg von Denkfabriken gegeben. Was sind die Gründe? Es hat sich ein Markt für Politikberatung entwickelt, und das meine ich nicht nur im kommerziellen Sinn. 12

Politiker, die Rat brauchen, wenden sich mit ihren Fragen oft nicht mehr an ein Ministerium oder eine Fraktion, sondern an einen externen Berater. Dazu kommen eine Vielzahl privater Stiftungen, die nicht mehr nur fördernd, sondern auch politikberatend tätig sein wollen. Es gibt also Bedarf, der viel mit der gestiegenen Komplexität im politischen Umfeld zu tun hat. Die SWP gilt als einer der profiliertesten Think-Tanks in Deutschland – und als einer der elitärsten. Wie oft hören Sie den Vorwurf, im Elfenbeinturm zu sitzen? Dieser Vorwurf taucht hin und wieder auf. In der täglichen Arbeit spüren wir das jedoch nicht. Unsere Ansprechpartner in der Politik wissen, dass wir die Expertise haben, die sie suchen, dass wir uns aber auch auf die einlassen, die im Maschinenraum stehen – beziehungsweise auf der Kommandobrücke.

WER DENKT NACH? Stiftungen, Institute, Zentren und Gesellschaften: Die Think-Tank-Landschaft in Deutschland ist breit gefächert. Wer beraten will, darf dies in der Regel auch tun – eine staatliche Kontrollinstanz fehlt. Einer der wichtigsten Gründe dafür ist die unklare Definition einer Denkfabrik: Ist sie staatlich finanziert oder privat? Forscht sie interessen- und parteigebunden oder unabhängig? Besteht die Möglichkeit, Mitglied zu werden, oder kann man lediglich als Sympathisant mitarbeiten? Der US-amerikanische Think-Tank-Experte James McGann nennt drei wesentliche Charakteristika, die eine Denkfabrik auszeichnen: eine wissenschaftliche und politiknahe Forschung, ein zeitlich nicht begrenztes Beratungsangebot sowie das Ziel, als unabhängige Stimme zwischen akademischen, politischen und gesellschaftlichen Akteuren zu vermitteln.

Wie haben sich die politischen Anforderungen an die Stiftung verändert? Der Bedarf an außen- und sicherheitspolitischer Beratung hat zugenommen. Das hängt mit der größeren Rolle Deutschlands in der Außenpolitik zusammen. Es gibt dort größere Erwartungen an uns. Die Welt ist komplexer geworden, schneller – die Politiker brauchen mehr Rat. Think-Tanks haben in den USA eine längere Tradition als in Deutschland. Wodurch unterscheiden sich die Denkfabriken der beiden Länder? In den USA verfügen die Denkfabriken über mehr privates Geld als hierzulande. Dazu kommt, dass amerikanische Think-Tanks eher bereit sind, parteipolitische Aufträge anzunehmen. Sie schreiben zudem Parteiprogramme oder wirken an diesen mit. In Deutschland versuchen Denkfabriken, stets das gesamtgesellschaftliche Interesse im Blick zu haben. Die US-Denkfabriken gelten als Personalpool bei einem Regierungswechsel. Sollte es auch in Deutschland mehr Austausch zwischen der Politik und der Wissenschaft geben? Ich finde diesen Austausch, wie er in den USA zu beobachten ist, hilfreich. Wenn auch nicht in dieser radikalen Form. Es ist gut, wenn die Expertise aus den Think-Tanks in die Politik fließt, und sich die Forscher in der Praxis bewähren können. pol i t ik & kommunikation | Oktober 2011

Foto: Privat

gie angeht, hat das ISM einen spannenden und neuen Weg eingeschlagen“, sagt Plehwe. Das Hineinwirken in die Öffentlichkeit ist für den Politikwissenschaftler eines der Erfolgsgeheimnisse der ThinkTanks neuen Typs. Als genauso wichtig schätzt er aber auch die einzelnen Mitarbeiter der Denkfabriken ein: die „ThinkTanker“, wie Plehwe sie nennt. „Das Anforderungsprofil an die Mitarbeiter in politikberatenden Stiftungen und Instituten hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert“, sagt der Kommunikationsberater Daniel Florian, der die Entwicklung der deutschen Denkfabriken mit seiner Webseite „Think Tank Directory“ verfolgt. Letztlich sei hier ein neuer Berufszweig entstanden. Florian: „Die ‚Think-Tanker’ sind mittlerweile hochspezialisierte Politikberater. Sie können wissenschaftlich arbeiten, schwierige Materie in leicht verständliche Sprache übersetzen und sie wissen, wie sie in den Medien auftreten müssen.“ Für Florian ist die neue Profession ein Beleg seiner These, dass die „Think-


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ker beschleunigt. In den vergangenen Jahren wichtiger gewordene Fragen der digitalen Kommunikation wie Urheberrecht, Open Government oder Informationsfreiheit standen gerade bei den parteinahen Einrichtungen lange Zeit nicht auf der Agenda. Die Think-Tanks nutzten das aus, verstärkten sich gezielt mit jungen Experten und können sich nun als versierte Berater für Ministerien und Fraktionen präsentieren. Auch das neue „Institut für Internet und Gesellschaft“, das vom Suchmaschinengiganten Google finanziert und im Oktober seine Arbeit aufnehmen wird, will sich auf eine von der Politik lange ignorierte Frage konzentrieren: Welche Konsequenzen hat die weltweite digitale Vernetzung für unsere Gesellschaft? Das neue Institut will Antworten finden, die Voraussetzungen dafür sind bestens: Google finanziert das auf drei Jahre angelegte Projekt mit 4,5 Millionen Euro und konnte zum Start gleich vier renommierte Partner gewinnen: die Humboldt-Universität, die Universität der Künste, das Wissenschafts-

zentrum Berlin für Sozialforschung und das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Ein von Google gegründetes Institut forscht über die Auswirkungen der modernen Technologien auf die Gesellschaft? Kritiker befürchten, dass die neue Denkfabrik Studien erarbeiten soll, die vor allem ein Ziel haben: die Interessen des Internetriesen in Deutschland zu stärken. Google versucht, diesen Vorwurf zu entkräften: Als die am Institut beteiligten wissenschaftlichen Einrichtungen Mitte Juli über die zukünftige Arbeit des Think-Tanks sprachen, betonte Googles Verwaltungsratschef Eric Schmidt via

Video-Botschaft, dass das Institut eine komplett eigenständige und unabhängige Forschungseinrichtung sei. Im Forschungsalltag will das Institut jedenfalls ganz auf eines der wichtigsten Merkmale der neuen Denkfabriken setzen: die Kooperation. Die Wissenschaftler haben vor, sich nicht allein auf die akademische Welt zu beschränken, sondern gezielt mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. Unter anderem wollen sie Workshops und öffentliche Seminare anbieten sowie alle Ergebnisse im Internet veröffentlichen. Auch die „Weisheit der Massen“ will der neue Think-Tank nutzen: Das Institut plant Projekte, bei denen sich Internet-Nutzer für einen begrenzten Zeitraum zusammenschließen und an der Forschung beteiligen können. Der „Schwarm“ als ultimatives ThinkTank-Netzwerk. Gut möglich, dass Google, der Konzern, der ein Gros der gesellschaftlichen Veränderungen durch das Internet ausgelöst hat, nun auch den deutschen Denkfabriken vormacht, wie vernetztes Denken aussieht. 

heißt: Im Institut Solidarische Moderne arbeiten die progressiven politischen Parteien, Wissenschaftler, Gewerkschaftsmitglieder sowie Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft zusammen. In seinem Gründungsaufruf fordert das ISM einen ‚neuen Politikentwurf‘. Konnten Sie den liefern? Unser Anspruch ist nicht, schnell etwas auf den Tisch zu legen. Wir haben erst einmal an Methoden und Regeln gearbeitet, um diesen Prozess des „Crossover“-Ansatzes produktiv zu gestalten. Wir haben an unsere Arbeit einen wissenschaftlichen Anspruch: Transparenz und Partizipation. Das braucht Zeit. Das ISM hat rund 1500 Mitglieder. Eine beachtliche Zahl für eine Denkfabrik. Wir setzen auf solidarisches Arbeiten – und zwar in

gegenseitigem Respekt vor unterschiedlichen Positionen. Wir wollen die Mitglieder unseres Instituts – samt ihrer Kompetenzen – miteinbeziehen. Dazu braucht es Regeln und neue Methoden, die wir im vergangenen Jahr erfolgreich erarbeitet haben. Spüren Sie, dass die Basis ungeduldig wird? Ja, viele Mitglieder wollen mehr Ergebnisse sehen. Das ist verständlich, denn oft führen wir einen Kampf gegen die Zeit – zum Beispiel in der Klimadiskussion. Deswegen haben wir bei unserer „Summer Factory“ Mitte September auch ein umfangreiches Papier zum sozial-ökologischen Umbau vorgelegt. Gibt es in Deutschland eine Skepsis gegenüber Think-Tanks? Ich denke schon. Bei einigen ist sie auch begründet, weil die Arbeit eben nicht transparent ist und ganz offensichtlich nur Ergebnisse im Sinne des Auftraggebers produziert. Der Vorteil für diese Institutionen ist, dass sie finanziell abgesichert sind. Wir dagegen wollen unabhängig arbeiten. Die Beiträge der Mitglieder und deren Spenden finanzieren uns. Reicht das für die tägliche Arbeit aus? Wir könnten viel mehr Projekte starten, wenn wir mehr Geld hätten. Wir arbeiten noch daran, unsere finanziellen Ressourcen durch Spendenwerbung zu verbessern. In unserem Gründungsaufruf steht: Fragend schreiten wir voran. Und so ist es auch, es gibt durchaus noch Baustellen.

„Die Think-Tanks haben sich mit der digitalisierten Gesellschaft, in der wir mittlerweile leben, lange Zeit schwer getan“

„Es gibt noch Baustellen“ Andrea Ypsilanti, 54, ist Vorstandssprecherin der Denkfabrik Institut Solidarische Moderne. p&k sprach mit ihr über unabhängiges Arbeiten und ungeduldige Mitglieder.

p&k: Frau Ypsilanti, ist das ISM ein klassischer Think-Tank? Andrea Ypsilanti: Wir selbst bezeichnen uns nicht so. In der Regel sind Think-Tanks in ihren Möglichkeiten begrenzt, weil sie durch ihren Auftrag an eine Institution gebunden sind, die beraten werden will. Wir dagegen sind von niemandem beauftragt. Unsere Gründung war eine politische Entscheidung der Gründungsmitglieder, gemeinsam über eine solidarische Gesellschaft nachzudenken. Deshalb nennen wir uns nicht Think-Tank, sondern Programmwerkstatt. Durch was zeichnet sich die Arbeit des Instituts aus? Wir wollen mit vielen politischen Akteuren einen Diskurs und eine Debatte über ein zukünftiges politisches Konzept führen. Dazu haben wir die Methode des „Crossover“-Ansatzes gewählt. Das 14

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Zeit für Experimente Die neuen Kommunikationskanäle stellen die Politik vor Herausforderungen. Es ergeben sich völlig neue Ansprüche an POLITISCHES DESIGN – aber auch neue Möglichkeiten. Höchste Zeit, dass die Parteien darauf reagieren.

Z

u den Klängen von David Bowies Song „Heroes“ steigt der künftige Bundeskanzler Gerhard Schröder am Abend des 27. September 1998 auf die Bühne vor dem Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn. Dort, vor der damaligen Parteizentrale der Sozialdemokraten, lässt sich der Sieger der Bundestagswahl von seinen begeisterten Anhängern feiern. Eine Hand zum Schröder-typischen Victory16

Zeichen geformt, winkt der Spitzenkandidat in die Menge. Im Hintergrund leuchtet eine blaue Wand mit rotem Punkt, der das Schlagwort der „neuen Mitte“ symbolisiert. Das klassenkämpferische Rot der Sozialdemokraten ist zu einem Accessoire geworden, es fügt sich in einen Markenauftritt ein, den die Partei seit mehr als einem Jahr kontinuierlich aufgebaut hat. Pünktlich zum Ende der betulichen Bonner Jahre konzipierte die Werbeagentur KNSK ein Design, wie es die deutsche

Politik noch nicht gesehen hatte. „Ein Meilenstein“, schwärmen Experten noch heute. Selbst die „New York Times“ fand damals lobende Worte für die SPD-Kampagne.

Medienwirkung war alles Das Design des SPD-Bundestagswahlkampfs 1998 schien die Verwandlung vorweg zu nehmen, die die deutsche Politik in der Berliner Republik vollziehen pol i t ik & kommunikation | Oktober 2011

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VON FLORI AN RE N NE B E R G


Politisches Design in seiner Vielfalt

sollte: amerikanischer, moderner und medial perfekt inszeniert. „Die Partei hat 1998 verschiedene Medienkanäle, Wahlkampfphasen und Organisationstypen erstmals systematisch zusammengeführt und professionalisiert“, sagt Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach. Damals sei das Verhältnis von Optik und Inhalt komplett gekippt: „Vorher hieß es, Medienwirkung spiele für die Wahlentscheidung gar keine Rolle, nachher war Medienwirkung plötzlich alles“, pol it ik & kommunikation | Oktober 2011

so der Experte für visuelle Kommunikation. Seitdem tritt die Entwicklung des politischen Designs jedoch auf der Stelle. Seit der Bundestagswahl 1998 hätten die Parteien sogar – bis auf wenige Ausnahmen – einen Rückschritt in die 1960er Jahre gemacht, urteilt Detmar Karpinski, Geschäftsführender Gesellschafter von KNSK: „Da war eine Menge Schrott dabei.“ Die Parteien stehen vor einem grundlegenden Problem: Sie machen Jahr

für Jahr in jedem Wahlkampf dasselbe Angebot. Die Union versuchte bis in die jüngste Vergangenheit, mit Werten und Wirtschaft zu punkten, die SPD wirbt mit dem Versprechen sozialer Gerechtigkeit, die FDP verspricht mehr Netto vom Brutto, und die Grünen setzen sich als Garanten einer nachhaltigen Entwicklung in Szene. Vor der Bundestagswahl 2013 steht die deutsche Politik vor einer Herausforderung. Die Parteien müssen sich auf viel 17


Die neue Mitte: neue Wähler durch neues Design?

Personenwahlkampf: Die Union setzte bei der Bundestagswahl 2009 auf ihre Minister

diffuseren Kanälen vermarkten. Onlineund Offline-Elemente, Anzeigen, Plakate und Webseiten müssen optisch miteinander verknüpft sein. Das Design ist ein entscheidender Baustein: „Die Parteien müssen ihre Markenidentität durch einen extrem hohen Wiedererkennungswert au�auen“, sagt Thomas Petersen. Dafür seien klar verständliche Botschaften wichtig: „In der visuellen Umsetzung ihrer Kampagnen sollten die Parteien auf größtmögliche Klarheit, Erkennbarkeit und Einfachheit setzen.“ Nur so wird es künftig möglich sein, sich in der Flut von Informationen, visuellen Reizen und politischen Angeboten von der Konkurrenz abzusetzen – und die Wähler an die Urnen zu locken. Bis dahin steht den Parteien viel Arbeit bevor. Die neuen Herausforderungen der Politik gehen mit Umwälzungen in der Medienlandschaft einher. „Die Innovationsrhythmen werden schneller, die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sich – deshalb müssen Parteien kontinuierlich unverwechselbar kommunizieren“, sagt Kajo Wasserhövel, ehemaliger Wahlkampfmanager der SPD. Um darauf auch im Design reagieren zu können, muss der bisherige Produktionsprozess umgekehrt werden. „Die Corporate Identity der Parteien wird künftig immer über das Netz geprägt, um das Tempo zu halten“, prognostiziert Wasserhövel, der heute Geschäftsführer einer Agentur für Strategieberatung ist.

Raum, um einen eigenen, den Inhalten entsprechenden Look zu etablieren. Das Design werde stattdessen oft durch große Pixelflächen in der Parteifarbe bestimmt. Dass es anders geht, hat Zeisberger mit seiner Agentur beim Online-Auftritt der nordrhein-westfälischen SPD bei der vergangenen Landtagswahl bewiesen: „Dort haben wir die Webseite an einer Stelle mit einer digitalen Kreidetafel bestückt, an anderen Stellen Worte in einer Kohlestift-Optik unterstrichen.“ Das Ziel: die Webseite grei�ar und wiedererkennbar zu machen. „Im Idealfall lässt das Design einer Webseite beim Nutzer sinnliche Erfahrungen im Kopf entstehen“, so Zeis-

Sinnliche Erfahrungen Eine Entwicklung hin zum Primat des Online-Designs hält auch Oliver Zeisberger für dringend notwendig: „Bislang richtet sich das Webdesign der Parteien zu stark nach dem Design der Printprodukte“, so der Geschäftsführer der auf Online-Kommunikation spezialisierten Agentur Barracuda. Da bleibe wenig 18

FORM FOLGT INHALT Der leuchtend weiße Halbkreis im Inneren des Buchstaben gleicht einem Sonnenaufgang, das Blau und die roten Streifen komplettieren die amerikanischen Nationalfarben. Die Botschaft ist klar: Obama verkörpert einen Neuanfang in der amerikanischen Politik.

berger. Das Leinenmuster, das den Hintergrund der SPD-Webseite bildete, ist anschließend sogar in den Offline-Wahlkampf eingeflossen – als Hintergrund für Wahlplakate. In den USA beginnen viele Politiker zwei Jahre vor einer Wahl damit, im Netz ein einheitliches Erscheinungsbild zu etablieren. Für Zeisberger eine zeitgemäße und vorausschauende Art, mit politischem Design zu arbeiten. Zuerst müssten Politiker entscheiden, wie die Wähler sie wahrnehmen sollen, dann erst könnten die Werbeprofis ein passgenaues Online-Design entwickeln: „Entscheidend ist, das Design von den Inhalten herzuleiten, für die ein Kandidat steht.“ Das machte auch das erfolgreiche Design der Obama-Kampagne im US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 aus. Beispielhaft dafür steht das berühmt gewordene blauweiß-rote O – das Logo der Kampagne. Politisches Design im Online-Zeitalter ist jedoch längst mehr als Farbe, Schriftart und Fotoauswahl. Nutzerfreundlichkeit hat sich zu einem unverzichtbaren Design-Baustein entwickelt. „Die Designer müssen sich ständig hinterfragen, ob sie es nicht noch einfacher und übersichtlicher machen können“, sagt Zeisberger. Ein Design, das diese Ansprüche erfüllt, müsse deshalb vor allem für die Mitglieder in den Bezirks-, Kreis- und Ortsverbänden nutzbar sein, so der Barracuda-Chef. „Die beste Corporate Identity kann am fehlenden Handwerkszeug vor Ort scheitern.“ An eine gelungene politische Symbolik formuliert er deshalb den Anspruch: „Sie muss unzweifelhaft mit Partei und Kandidat zusammenhängen, flexibel einsetzbar und für alle Beteiligten nutzbar sein.“ Für die Polit-Designer bringt das Web 2.0 auch Fallstricke mit sich. „Für Parteien ist es extrem schwierig, einen klar definierten Markenkern mit einem einheitlichen Erscheinungsbild online durchpol i t ik & kommunikation | Oktober 2011

Fotos: www.marco-urban.de

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Florett oder Säbel Das Wahljahr 2011 war für die Parteien ein willkommener Testlauf. In sieben Bundesländern – in Stadtstaaten und Flächenländern, in Ost und West – fanden Landtagswahlen statt. Jede Partei fand sich mal in der Rolle des Herausforderers, mal in der als Regierungspartei. Zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl sind das ideale Bedingungen, um Instrumente zu testen, Trends zu bestimmen und die Ergebnisse auszuwerten. „In basisnahen Landtagswahlkämpfen zeigt sich, wie stabil eine Partei inhaltlich und optisch aufgestellt ist“, sagt von Mannstein. Der Professor für visuelle Kommunikation warnt jedoch davor, erfolgreiche Design-Elemente aus dem Landtagswahlkampf eins zu eins in den Bundestagswahlkampf zu übertragen. Es mache einen Unterschied, ob der Wahlkampf sich in der Stadt oder auf dem Land abspielt: „Plakate in SchwarzWeiß-Ästhetik können Sie in Großstädten machen. Auf dem Land kommen die nicht an.“ Auch Schriftart und Schriftgröße müssten immer wieder aufs Neue an den Kandidaten und die Botschaft angepasst werden: „In Semantik und Typographie drückt sich aus, ob Sie Politik mit dem Florett oder mit dem Säbel machen“, so von Mannstein. Der Werber glaubt, dass das Design der Parteien im Herbst 2013 von großer Bedeutung sein wird. Die Grünen könnten dann von ihrer passenden Corporate Identity profitieren: „Themen, Werte und Personen stimmen mit dem Design überein“, sagt von Mannstein. Die Parteifarbe könnte sich als großes Plus erweisen. Die kleinen Parteien sprechen eine bestimmte Klientel an – ein eindeutiges Erscheinungsbild ist dabei unabdingbar. Das geht so weit, dass der grüne Hambur20

Klaus Wowereit bei der Vorstellung der Wahlplakate zur Berliner Abgeordnetenhauswahl

ger Landesverband, der seit seiner Gründung im Jahr 1980 als Grün-AlternativeListe (Gal) firmiert, darüber nachdenkt, das Corporate Design der Bundespartei zu übernehmen – inklusive des Namens Bündnis90/Die Grünen. Mit dem angepassten Design – so die Überlegung in der Hansestadt – könnte die Gal vom bundesweiten Aufwind der Grünen profitieren. Die FDP hingegen steht derzeit vor einem Problem. Die Liberalen hätten als Marke momentan „generell verschissen“, urteilte der schleswig-holsteinische FDPFraktionschef Wolfgang Kubicki jüngst im Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“. Dabei war gerade der Markenauftritt lange Zeit eine Stärke der FDP. „Mit

DREIDIMENSIONALE SPD Der 3-D-Würfel der SPD hat 2009 das Kasten-Logo abgelöst. Mit dem dreidimensionalen Design passen sich die Sozialdemokraten Kommunikationsgewohnheiten des Web-Zeitalters an. Problematisch ist der Würfel jedoch für das Corporate Design der Partei. Einige Ortsvereine und Kreisverbände nutzen noch immer das alte Logo – und verhindern somit ein einheitliches Markendesign.

dem charakteristischen Gelb und Blau setzt sich die Partei von der Konkurrenz ab“, sagt Coordt von Mannstein. Wenn die Stimmung für die Partei schlecht ist, gerät der Wiedererkennungseffekt allerdings zum Nachteil. In diesem Fall müsse man die traditionellen Farben etwas vernachlässigen, so von Mannstein. Wie das funktionieren kann, war Anfang des Jahres in Hamburg zu beobachten. Im Wahlkampf setzten die Liberalen zwar auf Gelb und Blau – stellten jedoch das Blau in den Vordergrund.

Show, don’t tell Dass das Vertrauen in die etablierten Parteien zunehmend verloren geht, könnte bedeuten, dass im Bundestagswahlkampf die Kandidaten in den Vordergrund rücken. Die Union hat bereits 2009 auf ihr Spitzenpersonal gesetzt. Das Konterfei der Kanzlerin und der Minister prägten die Plakate, dazu ein blauer Hintergrund und kurze, knackige Slogans. Die SPD hat in den Landtagswahlkämpfen dieses Jahres ebenfalls weitestgehend auf das traditionelle Rot verzichtet. In den Wahlkämpfen in Hamburg und Berlin kam die Farbe – bis auf das Parteilogo – kaum vor. Für Detmar Karpinski ergibt es durchaus Sinn, auf die immer wiederkehrenden Motive und Farben zu verzichten. Er stellt einen anderen Anspruch an modernes Design: „Die Menschen müssen sich und ihre Bedürfnisse in den Plakatmotiven wiedererkennen“, sagt der KNSK-Chef. Das sei der Berliner SPD gelungen. Die Plakate erklären dem Wähler nicht mit Slogans, wofür die Partei steht, sondern vermitteln ihm ein Gefühl dafür – show, don’t tell. Die minimalistische „Berlin-Verstehen“-Kampagne der Hauptstadt-SPD stieß beinahe durchweg auf positive Resonanz – und könnte mit ihrem modernen Design wegweisend für die kommende Wahl sein.  pol i t ik & kommunikation | Oktober 2011

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zusetzen, weil die Parteibasis mit den interaktiven Medien völlig neue Spielräume hat und somit Einfluss nimmt“, gibt Coordt von Mannstein, Chef der gleichnamigen Werbeagentur, zu bedenken. Dabei ist gerade die Gesamtstrategie für einen wirksamen Werbeauftritt entscheidend: „Die Botschaften werden in den neuen Medien schnell verwässert – deshalb spielt die signalhafte Wiedererkennbarkeit, das Gesamtdesign politischer Kommunikation eine immer größere Rolle.“



Szene

Überflieger auf dem Absprung KARRIEREKURVE: MARTIN BIESEL, ehemaliger Staatssekretär und ab November neuer Air-BerlinCheflobbyist, hat sich Zeit seines Berufslebens um eine Karriere in der Politik bemüht. Und dabei von Anfang an auf die FDP gesetzt. Das ging lange gut – und manchmal gab es zusammen mit der Partei eben herbe Abstürze. Dann besann sich Biesel meist darauf, dass er einen Flieger kriegt.

1995 Hinzu kommt wenig später die Leitung der Abteilung Politik und Strategie der FDPBundesgeschäftsstelle im Bonner ThomasDehler-Haus. Zwar stand die damalige Dauer-Regierungspartei vielfach in der Kritik, trotzdem war der Job für Biesel ein weiterer Karriereschritt, da er Jahre später beim erneuten Aufschwung der Partei zum Kernpersonal der Liberalen gehört.

1993 Biesel arbeitet Werner Hoyer, dem damaligen Generalsekretär der FDP, als Büroleiter zu. Hoyer ist heute Staatsminister im Auswärtigen Amt.

1990 Biesel beginnt als Referent in der Bundesgeschäftsstelle der FDP, zunächst arbeitet er im Grundsatzreferat, später dann als Referent für internationale Beziehungen.

Biesel kennt offenbar die richtigen Leute. Guido Westerwelle steigt zum Generalsekretär der FDP auf – und übernimmt ihn als Büroleiter. Es entwickelt sich ein gutes Verhältnis, das sich für Biesel auszahlen wird.

1962 wird Martin Biesel in Bergisch-Gladbach geboren, es folgen der Wehrdienst und ein Studium der Politikwissenschaften, Geschichte und Germanistik in Bonn und in den USA. 1990 startet Biesel ins Berufsleben.

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Fotos: www.wikipedia.de; Privat; www.marco-urban.de; www.wikipedia.de Privat; www.baumannstephan.de; Chris Gonz; ddp images/dapd; www.marco-urban.de

1994


2009 SUPERWICHTIG

Biesel wird nach dem Wahlsieg der FDP von Westerwelle zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt berufen.

2002 …und macht Biesel erneut zum Bürochef. Westerwelle wird 2005 zusätzlich Fraktionschef im Bundestag – Biesel gilt als sein engster Vertrauter.

SEHR WICHTIG ZIEMLICH WICHTIG

2011 Im November wird er Direktor für internationale Verkehrsrechte und Vorstands-Bevollmächtigter für Politik bei Air Berlin, Deutschlands zweitgrößter Fluggesellschaft.

WICHTIG

2001

Doch zunächst einmal kam die Wahlpleite. 1999 ging Biesel dann in die Wirtschaft, zum Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS.

EIN BISSCHEN WICHTIG

1998

Biesel kommt zurück und wird Geschäftsführer des „Bürgerfonds für Deutschland“, eines Wahlkampf-Fundraising-Projekts der FDP. Die FDP erholt sich wieder, Guido Westerwelle wird unumstrittener Parteichef…

2011 Westerwelles Absturz hat auch Folgen für Biesel. Da sein Chef den Vizekanzlerposten abgibt, muss das Auswärtige Amt auch auf einen Staatssekretärsposten verzichten – auf den sogenannten Regierungskoordinator. Er verlässt das Auswärtige Amt.

UNWICHTIG

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