Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 02/13 | April 2013 | 7,20 Euro
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Antiquiert Studentenverbindungen und ihr zweifelhafter Ruf
POLITIK 16
Pointiert Kabarettist Dieter Hildebrandt über seine neue Polit-Satire im Internet MEDIEN 48
Im Auftrag des Herrn � �� ��� � ��� �� ��� � � �� � � �� ���
Inhalt
politik&kommunikation 2/13 – April 2013
16 Antiquiert
20 Etabliert
48 Pointiert
Studentenverbindungen haben wegen rechtsextremer Umtriebe von Burschenschaften keinen guten Ruf. Dennoch sind sie nicht nur für konservative Politiker ein wichtiges Karrierenetzwerk.
Trotz Bedeutungsverlust und Skandalen finden die Kirchen im Deutschen Bundestag viele Fürsprecher. p&k begab sich auf die Suche nach dem Erfolgsgeheimnis des christlichen Lobbyings.
Dieter Hildebrandt will stören. Der Altmeister des politischen Kabaretts beteiligt sich am Internet-Fernsehen stoersender.tv. Mit p&k sprach er über das Projekt, Crowdfunding und sein Verhältnis zum Medium Internet.
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30 Kompakt 32 „Merkel hat kein Branding nötig“ Interview mit Rich Beeson und Ralf Güldenzopf von Felix Fischaleck und Björn Müller 34 „Ein mulmiges Gefühl“ Interview mit Christoph Bieber von Felix Fischaleck 36 Das militante Theater der Suffragetten p&k-Historie: Teil 17 von Marco Althaus
54 Karrierekurve Hartmut Mehdorn 56 Die Gerd-Huldigung Dagewesen von Felix Fischaleck 57 Mein Lieblings... p&k befragt Bundestagsabgeordnete nach dem, was ihnen lieb ist 58 Ossis Welt Das Politikbilderbuch 60 Personen und Karriere Neue Landesvorsitzende bei der CDU und bei den Grünen in SchleswigHolstein, Bamler folgt Büchner bei Porsche 64 Gala Die wichtigsten Events 68 Politikkalender Die Top-Termine im April 69 Porträt in Zahlen Reimer Böge
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Meldungen Politik entdeckt Netzspenden, Risikofreudige Volksvertreter
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12 Kirchensteuer abschaffen? Pro und Kontra von Lasse Becker und Patrick Meinhardt 14 Der Typ von nebenan Porträt über Bundestagskandidat Karamba Diaby von Christina Bauermeister 16 Unter Brüdern Studentenverbindungen als Netzwerke für Politiker von Felix Fischaleck und Benjamin Vorhölter ������ �������
20 Gottes Werk und Staates Beitrag Das Lobbying der Kirchen von Christina Bauermeister und Björn Müller 26 Lobbyieren wie Kaiser Lothar Porträt über das Deutsche Institut für Altersvorsorge von Björn Müller 28 Gesetz des Monats Novelle des Straßenverkehrsgesetzes von Martin Gerig
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38 Kompakt 40 „Wir bleiben Letten“ Interview mit Dace Kalsone von Benjamin Vorhölter ������
42 Rhetorik 44 Raus aus dem Hinterzimmer Wahlkampf mit OpenGovernment-Plattformen von Maximilian Rapp und Florian Hahn ������
46 Kompakt 48 „Wir wollen stören“ Interview mit Dieter Hildebrandt von Benjamin Vorhölter und Björn Müller 52 Bücher und TV
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Redaktionstagebuch Liebling des Monats Die schon wieder! Essay von p&k-Chefredakteurin Nicole Alexander 70 Letzte Seite 3 5 6
pol it ik & kommunikation | April 2013
Fotos: flickr.com; Marco Urban; flickr.com; www.baumannstephan.com; www.nocke.de
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Liebling des Monats: Marina Weisband Als hätte sie es gewusst. Im April 2012 trat Marina Weisband nicht mehr als politische Geschäftsführerin der Piraten an und zog sich aus der Politik zurück. Rückblickend sieht es so aus, als hätte sie damals noch rechtzeitig das sinkende Schiff verlassen. Ihre Partei droht im Ozean der politischen Bedeutungslosigkeit unterzugehen, auch wegen endloser interner Querelen. Je mieser ihre
Umfragewerte, desto srahlender der Heiligenschein ihrer einstigen Hoffnungsträgerin, desto lauter die Rufe nach einem Comeback. Und prompt steht Weisband wieder im Rampenlicht. Allerdings nicht für ihre Partei, sondern als Buchautorin. „Wir nennen es Politik“, heißt ihr Erstling, in dem sie ein Loblied auf die demokratischen Teilhabemöglichkeiten des Internets singt und das promotet
pol it ik & kommunikation | April 2013
werden will. Mit Erfolg: Die Medien lechzen nach der 25-Jährigen, die mit ihrer Mischung aus Charme und Chuzpe viele Journalistenherzen höher schlagen lässt. Und so gibt sie massenweise Interviews und tourt durch Talkshows, fast wie früher. Klar, dass sie vor allem über ihr Buch reden will. Die Piraten kriegen dennoch ihr Fett weg. „Wir sind im Arsch, aber keiner, aus dem man nicht
wieder herauskommt“, gestand Weisband mit entwaffnender Offenheit dem „Spiegel“. Keine erfreuliche Diagnose, aber auch keine hoffnungslose. Zumal sie ankündigt, bei der OP Hinterteil mitzuhelfen und sich zur Bundestagswahl wieder stärker für die zur Kleinstpartei marginalisierten Piraten zu engagieren. Da dürften deren Leidensgenossen von der FDP ganz schön neidisch werden.
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Public Affairs
Gottes Werk und Staates Beitrag In der Gesellschaft verlieren die Kirchen immer weiter an Boden, doch im Parlament scheint ihr Einuss stark zu bleiben. Was ist das Erfolgsgeheimnis des CHRISTLICHEN LOBBYINGS?
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pol it ik & kommunikation | April 2013
Politik trifft Kirche: Ökumenischer Gottesdienst zur Bundesversammlung am 19. März 2012. Den Gottesdienst leiten Karl Jüsten (l.) vom Katholischen Büro und Bernhard Felmberg, Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublik.
Euro von den Ländern- in die Kirchenkassen. Insgesamt dauert die Debatte keine halbe Stunde, mehrere Redner wie der CSU-Haudegen Norbert Geis haben ihre Reden zu Protokoll gegeben. Für sie gibt es Wichtigeres: den Gottesdienst in der Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale zu Ehren des scheidenden Papstes Benedikt XVI. Die wenigen Parlamentarier im Bundestag lehnen zur gleichen Zeit erwartungsgemäß den Antrag der Linken ab. So einfach wie in dieser Plenarsitzung hatte es die katholische Kirche in den vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit nicht immer. Die Frage nach dem nächsten Pontifex Maximus wurde in Rom zwar schnell entschieden, doch die Probleme der Weltkirche bleiben.
Sonderstatus im Arbeitsrecht
VON CHRISTINA B A U E R M E I ST E R UND BJÖRN M Ü L L E R
Foto: 2013 KNA-Bild
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m Tag, als im Vatikan erstmals seit mehr als 700 Jahren ein Papst freiwillig den Stuhl Petri verlässt, debattiert der Bundestag wieder einmal über das liebe Geld. Genauer gesagt über die Summe, die der Staat jedes Jahr an die evangelische und katholische Kirche zahlt. Die Fraktion der Linken hat einen pol it ik & kommunikation | April 2013
Antrag eingebracht, die jahrhundertealten Entschädigungszahlungen für enteignete Klöster und Residenzen abzulösen – durch eine Einmalzahlung, summa summarum 4,75 Milliarden Euro. Der Ansatz ist nicht neu. Schon 1918, mit dem Ende des Kaiserreichs, sollte mit den Staatsleistungen eigentlich Schluss sein. Auch im Grundgesetz findet sich dieser Ablösungsauftrag wieder. Trotzdem fließen jährlich rund 460 Millionen
In Deutschland geriet vor allem die katholische Kirche in den vergangenen Wochen in ernste Erklärungsnöte. Gerade ihr Sonderstatus beim Arbeitsrecht steht zunehmend in der öffentlichen Kritik. Anders als normale Unternehmen darf die Kirche ihre Mitarbeiter darauf verpflichten, sich der christlichen Lehre gegenüber loyal zu verhalten. Die Folgen dieses Privilegs sind mitunter skurril. So wurde vor einem Jahr der Leiterin eines katholischen Kindergartens in Königswinter wegen „Ehebruchs“ gekündigt. Durch ihre Scheidung sei sie zu einem „schädlichen Ärgernis“ geworden, so der Pfarrer, dem sie die Trennung von ihrem Mann anvertraute. Ihre Geschichte dokumentiert die WDR-Journalistin Eva Müller in ihrem aktuellen Buch „Gott hat hohe Nebenkosten“. Die Politik lässt sich trotz der öffentlichen Kritik am Sonderstatus der Kirchen, die angesichts solcher Vorfälle immer lauter wird, viel Zeit mit ihren Antworten. „Unter Drei“ ist von den Abgeordneten zu hören, dass man es sich mit den Gotteshäusern nicht verscherzen sollte. Wie schaffen es die Kirchen bloß, ihre Macht zu wahren? 5
Public Affairs
Einer, der genau dafür Sorge trägt, hat sein Büro im modernen Flachbau der Deutschen Bischofskonferenz unweit der Berliner Charité. Prälat Karl Jüsten ist von der Jobbeschreibung her Seelsorger und „Lobbyist für Gott und die Menschen“. Er vertritt in Berlin seit nunmehr 13 Jahren die Interessen der katholischen Kirche in Deutschland. Dabei helfen ihm sechs Referenten, deren Aufgabenbereiche sich spiegelbildlich zu den Ministerien aufteilen. Hier im Katholischen Büro trafen sich vor eineinhalb Jahren Angela Merkel und Papst Benedikt während seines Deutschlandbesuches zu Gesprächen. Jüsten leugnet nicht, dass für seine Arbeit persönliche Kontakte die wichtigste Währung sind. In dringenden Fällen wisse er die Bundeskanzlerin zu erreichen, das sei auch schon bei Gerhard Schröder so gewesen und, sofern es der Wähler wolle, werde das auch bei Peer Steinbrück wieder so sein.
Im Auftrag des Herrn Diese Politiker sitzen im Zentralkomitee der deutschen Katholiken
Maria Böhmer CDU
Alois Glück CSU
Maria Flachsbarth CDU
Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
CSU-Politiker, Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
Religionsbeauftragte der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion
Winfried Kretschmann
Annegret KrampKarrenbauer CDU
Sylvia Löhrmann Grüne
Strategische Ökumene Jüsten ist kein verklemmter Kirchentheoretiker. Seine lockere Art und sein rheinischer Humor kommen bei den Abgeordneten gut an. Zusammen mit seinem evangelischen Pendant, Prälat Bernhard Felmberg, bildet er in Berlin ein perfektes Tandem. „Ökumenische Zusammenarbeit ist selbstverständlich und prägt unsere tägliche Arbeit wie wohl kaum woanders“, sagt der Kirchenmann amüsiert. Aber hat das harmonische Bündnis nicht auch strategische Gründe? Jüsten relativiert: „Nein, wir arbeiten aus innerer Überzeugung zusammen, aber natürlich sind wir nur glaubwürdig, wenn wir gemeinsam unsere Sicht vortragen.“ In ein Lobbyregister würde sich der Statthalter des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch aber nicht eintragen. Die Kirche vertrete keine Einzelinteressen, sondern habe die gesamte gesellschaftliche Agenda im Blick. Andere Kirchenlobbyisten sind da pragmatischer. Wer den Status quo sichern will, dreht nicht mehr das große Rad, sondern macht nüchterne Public Affairs wie Mario Junglas, Direktor des Caritas-Büros in Berlin. Lediglich in Kernfragen wie dem kirchlichen Arbeitsrecht stimmt er sich mit Jüsten ab. Junglas befürwortet ein Lobbyregister in Deutschland und würde sich dort selbst eintragen. Seit gut zwei Jahren haben das Ca6
Grüne Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg
Ministerpräsidentin des Saarlandes
ritas-Netzwerk und die Diakonie einen Transparenzkodex, der einen offenen Haushalt vorsieht. Auch Brüssel wird für das Status-quoLobbying des katholischen Wohlfahrtsverbandes wichtiger. Auf EU-Ebene will die Caritas das sogenannte „sozialrechtliche Dreiecksverhältnis“ wahren. Dahinter verbirgt sich das typisch deutsche Modell einer engen Kooperation von Staat und freien Trägern, zu denen auch die Caritas-Einrichtungen gehören. Die EU-Kommission dagegen ist bekannt für ihre Vorliebe zu marktliberalen Lösungen. Laut Junglas fordern deutsche Kommunen immer wieder die Ausschreibung sozialer Dienstleistungen. Die Caritas will die Europäische Union
Stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen
aber davon überzeugen, dass die deutsche Variante „gleichwertig“ ist. Für Junglas ist klar: „Wir müssen die deutsche Lösung in Brüssel noch mehr bewerben.“ Während ihr Sozialverband in Brüssel eifrig selbst lobbyiert, ist die katholische Kirche Deutschlands auf Absprachen angewiesen. Ihr EU-Lobbying läuft über die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft. Hier ist der deutsche Vertreter nur einer von 24 Bischöfen aus den Unionsländern. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat dagegen ein eigenes Büro in Brüssel. Zur Strategie des Machterhalts der beiden großen Kirchen gehört auch das Werben für andere Religionsgemeinpol it ik & kommunikation | April 2013
kirchen ihren Platz zu verlieren. Ab 2014 soll diesen ein muslimischer Vertreter besetzen, so der Plan von Winfried Kretschmann, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Jörgensen hat ihm einen Brief geschrieben. Die Freikirchen wollen ein Proporzsystem, das alle Religionen, also auch die Freikirchen, berücksichtigt. Seine Hoffnungen ruhen zudem auf Markus Bräuer. Der ist Medienbeauftragter der EKD und macht den Job auch für die Freikirchen. „Er ist hier der Fachmann mit den nötigen Verbindungen“, so Jörgensen. Prälat Felmberg wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern, ob er die Freikirchen bei ihrem Kampf um einen Platz im Rundfunkrat unterstützt.
Barbara Hendricks SPD
Julia Klöckner CDU
Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
Bundesschatzmeisterin der SPD
Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz
Philipp Rösler FDP
Wolfgang Thierse SPD
Josef Philip Winkler Grüne
Bundeswirtschaftsminister, Bundesvorsitzender der FDP
Bundestagstagsvizepräsident
stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen
Fotos: Privat(2); Deutscher Bundestag; Marco Urban(2); Privat; Volker Schrank; Privat(2); Marco Urban(2); S. Kaminski
Reiner Haseloff CDU
schaften. In Zeiten, in denen sich immer weniger Menschen zu einer Glaubensrichtung bekennen, gilt: Gläubige, egal welcher Konfession, sollten zusammenhalten. So helfen die „Staatsprotestanten“ der EKD ihren kleinen Brüdern, den Freikirchen, bei deren Lobbying.
Huckepack-Verfahren Peter Jörgensen nennt das „HuckepackVerfahren“. Der Baptistenpastor mit Gemeinde im Wedding ist Interessenvertreter der Vereinigung Evangelischer Freikirchen in Berlin. Der höfliche Mann im Maßanzug empfängt am Pariser Platz, Hausnummer 6 a. Schon die edle Adresse ist Teil der Lobbyhilfe. Alleine könnten pol it ik & kommunikation | April 2013
sich die Freikirchen die Räumlichkeiten sicher nicht leisten. Sie gehören der Stiftung für Grundwerte und Völkerverständigung, die es sich laut ihrer Webseite zum Ziel gesetzt hat, „das Bewusstsein für die Verantwortung vor Gott und den Menschen und die Völkerverständigung in der Welt durch die Besinnung auf Gott zu fördern“. Diese ist aus dem überkonfessionellen Gebetsfrühstück im Bundestag entstanden, bei dem sich Abgeordnete aller Fraktionen und Glaubensrichtungen regelmäßig treffen, um sich in privater Atmosphäre auszutauschen. Mit Prälat Felmberg trifft sich Jörgensen einmal im Monat zur Teamsitzung. Bei der nächsten könnte der Rundfunkrat des SWR Thema sein. Hier drohen die Frei-
Argumente statt Predigten Die Art und Weise, wie die Kirchen ihr Lobbying betreiben, hat nichts mehr mit Moral und erhobenem Zeigefinger zu tun. Heute heißt es: Argumente statt Predigten. Die neue Demut der Kirchen hat ihren Grund: Anders als früher haben ihre Mitglieder heute ihren eigenen Kopf oder treten gleich ganz aus der Kirche aus. Im Erzbistum Berlin ist die Lage für die katholische Kirche besonders dramatisch: In der Hauptstadt sind nur neun Prozent der Einwohner katholisch, in Brandenburg ist die Zahl noch niedriger. Die Folge der zunehmenden Kirchenferne vieler Bürger kann derzeit auf Ebay besichtigt werden: Auf der Auktionsplattform bietet die katholische Kirche die St.-Bernhard-Kirche in Brandenburg an der Havel zum Verkauf an, zum Preis von 120.000 Euro. Die Versteigerung ist kein Einzelfall: Auf ähnliche Weise kamen in den vergangenen zwölf Jahren rund zwei Dutzend Gotteshäuser unter den Hammer. Vorbei die Zeiten, in denen Politiker Angst haben mussten, die Kirchen könnten beim sonntäglichen Gottesdienst die Wähler gegen sie aufwiegeln. Trotzdem gibt es bisher keine Partei im Bundestag, die ernsthaft an dem engen Miteinander von Staat und Kirche rütteln will. Selbst Raju Sharma von den Linken bekennt: „Wir sind keine Kirchengegner.“ Und die Grünen werden in einigen Medien schon als neue „C-Partei“ tituliert, so viel inhaltliche Nähe gibt es zwischen ihnen und der Kirche etwa in ethischen Fragen. Religion scheint im Parlament nach wie vor en vogue zu sein. Ob überdimen7
Public Affairs
sionale Kruzifixe oder Bilder vom Besuch beim deutschen Papst in Rom – in immer mehr Abgeordnetenbüros sind derartige Glaubensbekenntnisse zu finden.
Neue Frömmigkeit der FDP Am deutlichsten zeigt sich der Sinneswandel bei den Liberalen. 2009 gründete sich in der Bundestagsfraktion ein christlicher Arbeitskreis, dem heute fast die Hälfte der Fraktion angehört. Dabei sind die katholische Kirche und die Liberalen aus dem Verständnis der Au�lärung heraus traditionelle Gegenspieler. Die Liberalen pflegten zu den Kirchen lange ein Nichtverhältnis, auch um sich vom bürgerlichen Lager abzugrenzen. Wie ist diese neue Frömmigkeit der FDP zu erklären? Die Antwort liefert ein Religionsforscher aus dem schweizerischen Luzern. „Das Wählerklientel der FDP rekrutiert sich immer stärker auch aus dem Unionslager“, analysiert Antonius Liedhegener. Der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker hat sich in seinen Arbeiten intensiv mit dem katholischen Milieu in Deutschland beschäftigt. In der FDP, so Liedhegener, ist seit den 1990er Jahren die Annäherung an die Kirchen vorangetrieben worden. Programmatisch wurde die neue religionsfreundliche Linie 2007 vom Parteipräsidium festgezurrt. Die aktuellen liberalen Leitlinien atmen einen völlig anderen Geist als die sehr kritischen Kirchenthesen von 1974. Personell wurde die neue Liaison vor allem von Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle in die Wege geleitet. Ein Erbe, das der Katholik Philipp Rösler nun nahtlos fortsetzt. Auch in der SPD geben in der Parteiführung bekennende Christen wie Sig8
mar Gabriel und Andrea Nahles den Ton an. Programmatisch hat sich die Partei schon im Godesberger Programm von 1959 von ihrer antikirchlichen Haltung verabschiedet. Neuerdings regt sich jedoch Widerstand: Vor zwei Jahren formte sich eine Gruppe von Laizisten in der Partei, die unter anderem fordern, den Religionsunterricht an den Schulen abzuschaffen und die vom Staat eingezogene Kirchensteuer zugunsten eines kircheneigenen Beitragssystems zu ersetzen. Doch der Antrag auf Anerkennung des Arbeitskreises wurde vom Parteivorstand einstimmig abgelehnt. Auch der Thüringer Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider sympathisierte damals mit den Laizisten, beschränkt sich aber aktuell lieber auf Nachbesserungen beim Arbeitsrecht. Was dieses Thema betrifft, prophezeit der Kirchenkritiker Carsten Frerk den Kirchen bald Ärger mit der Sozialdemokratie. „Bei Lohn-Dumping und Beschneidung der Arbeitnehmerrechte geht es bei der SPD ums Eingemachte“, sagt der 67-jährige Journalist, der seit 15 Jahren in seinen Publikationen der Frage nachgeht, wie reich die Kirchen wirklich sind. Die Beispiele zeigen: Die katholische Kirche findet längst nicht mehr nur in der Union inhaltliche Bündnisgenossen. Es gibt sogar Gemeinsamkeiten mit der Linkspartei, etwa wenn es um stärkere Rüstungskontrollen geht. Dafür hat sich die lebenslange Ehe mit der Union in ein Bündnis auf Zeit verwandelt. Für Cheflobbyist Jüsten ist daher klar: „Die Union muss selbst entscheiden, wo sie sich verortet.“ Einer, der in diesem Punkt auf die offizielle Sprachregelung pfeift, ist Martin Lohmann. Der Haudrauf-Katholik ist bekannt für seine provokanten The-
Gefahr aus Karlsruhe Der Status quo ist immer mehr in Gefahr. Auch die sichere Burg der Kirchen, ihre Sonderstellung im Grundgesetz, ist nicht mehr unangrei�ar. Lange galt: Verloren die Kirchen bei Themen wie Abtreibung in der Gesellschaft an Boden, bot das Grundgesetz sichere Zuflucht. Dessen Status ist in Deutschland fast sakrosankt. Seine Hüter, die Bundesverfassungsrichter, genießen eine Akzeptanz bei den Deutschen, von der die Bischöfe nur träumen können. Früher hoben die Juristen die kirchenfreundlichen Prinzipien des Verfassungsrechts hervor. „Seit einigen Jahren gibt es aber die Tendenz, bei Urteilen das Neutralitätsgebot des Staates zu betonen“, so Rolf Schieder, Theologie-Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Die Großkirchen haben reagiert. Sie lobbyieren einfach direkt beim Bundesverfassungsgericht. Ein Lobbybüro vergleichbar dem „Karlsruher Foyer Kirche und Recht“, das die Kirchen gemeinsam betreiben, hat noch nicht mal ein großer Wirtschaftsverband wie der BDI. pol it ik & kommunikation | April 2013
Foto: www.baumannstephan.com
Baptistenpastor Peter Jörgensen: Lobbying im Schatten der Großkirchen
sen („Die Frage der Selbstbestimmung der Frau ist vielschichtig“), die nicht selten am nächsten Tag als Entgleisungen in der Presse stehen. Der Chefredakteur des katholischen Senders K-TV hat vor zweieinhalb Jahren den informellen Arbeitskreis der Engagierten Katholiken in der CDU gegründet. Inzwischen gilt die lose Gruppe als zerstritten, was Lohmann jedoch verneint. Stattdessen gibt er sich weiter angriffslustig. „Bei allen Erfolgen, die unsere Parteivorsitzende als kluge und machtbewusste Kanzlerin hat, täte uns es gut, auch an die Nach-Merkel-Zeit zu denken. Denn diese Zeit wird kommen. Das C im Parteinamen ist keineswegs eine Einladung zur Unverbindlichkeit, sondern ein Auftrag zur Verlässlichkeit, und die muss wieder erkennbar werden“, sagt der Publizist. Lohmann will das katholische Profil nicht nur programmatisch, sondern auch personell wieder stärken. Was er nicht erwähnt: Ob Scheidungsrecht, Adoption, Homoehe oder Präimplantationsdiagnostik – in vielen moralischen und ethischen Fragen vertritt die katholische Kirche längst nicht mehr den gesellschaftlichen Trend.
F R E I H E IT I S T KE I N E S E L B STV E R S TÄ N D LI C H K E IT! Wir gratulieren der Hörfunk-Korrespondentin Bettina Rühl zum Reemtsma Liberty Award 2013! »Mit ihrem Beitrag ›Der Anführer‹ hat Bettina Rühl unter Einsatz ihres Lebens einen großartigen Beitrag recherchiert, der die Hörer aufgrund seiner erschreckenden Realität und der Kontraste zwischen einem deutschem Gerichtssaal und dem Leben im dichten Regenwald in seinen Bann zieht.« W W W. L I B E R T Y- AWA R D . D E
facebook.com/LibertyAward
„Gute Freunde kann niemand trennen, gute Freunde sind nie allein.“ Was Franz Beckenbauer einst trällerte, trifft auf Korporationen ganz besonders zu. In geselliger Runde wird dabei gerne auch mal ein Bier getrunken.
Politik
Unter Brüdern STUDENTENVERBINDUNGEN haben einen schlechten Ruf, schuld daran sind vor allem rechtsextreme Umtriebe in Burschenschaften. Dagegen regt sich nun Widerstand, denn Korporationen dienen auch als Netzwerke für Politiker.
VON FELIX F I S C H A L E C K UND BENJAMIN V O R H Ö LT E R
Foto: flickr.com/ Stefan Ansorge
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ans-Peter Uhl hat sich sehr gefreut über diese Nachricht. „Ich bin erleichtert, dass die Arminia-Rhenania diesen Beschluss am Wochenende mit überwältigender Mehrheit gefasst hat. Es geht darum, der kollektiven Rufschädigung entgegenzutreten“, kommentierte der CSU-Politiker Ende Februar den Austritt seiner Verbindung aus der Deutschen Burschenschaft, dem Dachverband der Burschenschaften in Deutschland. Kurz zuvor war die Burschenschaft von Verkehrsminister Peter Ramsauer, ebenfalls CSU, aus dem Verband ausgetreten, davor 16 weitere Bünde. Seit Langem schon schwelt ein Machtkampf zwischen liberaleren und radikal-konservativen bis hin zu rechtsextremen Kräften innerhalb des Dachverbandes, dem derzeit noch etwa 90 Bünde angehören. Der Konflikt scheint nun entschieden – zugunsten der Hardliner. Dafür spricht auch die Wahl der Wiener Burschenschaft Teutonia zur vorsitzenden Verbindung auf dem Burschentag in Stuttgart Ende vergangenen Jahres. Für die Politologin Alexandra Kurth von der Universität Gießen, die ihre Dissertation über „Männerbünde im Zivilisationsprozess“ schrieb, steht fest: „Die extrem rechten Burschenschaften dominieren derzeit den Verband.“ Dies sei aber kein völlig neues Phänomen, sondern Ausdruck einer schleichenden Entwicklung, die mit der Aufnahme der österreichischen Burschenschaften 1971 an Fahrt gewonnen habe. Kein Wunder also, dass sich Politiker wie Ramsauer und Uhl öffentlich von pol it ik & kommunikation | April 2013
der Deutschen Burschenschaft distanzieren. Sorge um das Ansehen der Studentenverbindungen trägt derzeit auch Michael Schmidt von der Initiative Burschenschaftliche Zukunft (IBZ), ein Zusammenschluss von derzeit 26 Burschenschaften, die als liberal-national gelten. „Wir müssen wegkommen von der Neigung zum Separatismus in den Burschenschaften und Akzeptanz für unsere Themen in der Gesellschaft gewinnen.“ Seine Initiative will sich dem Wandel nicht verschließen und vor allem das Thema Europa in den Mittelpunkt der burschenschaftlichen Diskussion stellen. „Abstammungsdebatten“ wie auf dem Burschentag 2011 will Schmidt nicht mehr führen. Damals hatte die ultrarechte Verbindung
„Der CV pflegt karrierefördernde Netzwerke am effektivsten – und das nicht nur in der Politik“ „Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“ einen Antrag auf Ausschluss der Verbindung Hansea Mannheim gestellt, weil sie einen chinesischstämmigen Studenten aufgenommen hatte. Die öffentliche Empörung war groß. Die Bildung eines eigenen, liberalen Dachverbands hält Michael Schmidt für möglich, allerdings sei es nicht einfach, alle ausgetretenen Burschenschaften an einen Tisch zu bekommen. Wenn man die jüngsten Debatten innerhalb der deutschen Burschenschaften verfolgt, muss man zu dem Schluss
gelangen, dass es für Politiker nicht von Vorteil ist, Mitglied einer Verbindung zu sein. Der Fall des Berliner Sozial-Staatssekretärs Michael Büge scheint dies zu belegen. Nachdem die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus öffentlich kritisierte, dass der CDU-Politiker Mitglied in der umstrittenen Berliner Burschenschaft Gothia ist, steht seine Verbeamtung auf Lebenszeit auf der Kippe. Rücktrittsforderungen werden lauter. Die Causa Büge zeigt, dass in Deutschland die Mitgliedschaft in einer rechten Burschenschaft zum Stolperstein für eine politische Karriere werden kann. Anders ist dies bei politisch gemäßigteren Studentenverbindungen, diese können durchaus karrierefördernd wirken. Angeblich soll Theodor Heuss einmal gesagt haben, dass in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn das Wort ‚Zufall‘ „mit CV geschrieben“ werde. CV ist das Kürzel für den Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen. Wie der Elitenforscher Stephan Peters im p&k-Interview bestätigt, pflegt der CV karrierefördernde Netzwerke am effektivsten – und das nicht nur in der Politik. Prominente Mitglieder in katholischen Studentenverbindungen sind etwa Joseph Ratzinger und Gerhard Cromme. Für eine Politikerkarriere erscheinen neben den Kontakten, die man in einer Verbindung knüpft, vor allem das frühe Erlernen von wichtigen Soft Skills wie etwa Teamfähigkeit und Verhandlungskompetenz entscheidend. In den Conventen, den Mitgliederversammlungen der Verbindungen, lernen die Studenten, wie sie Mehrheiten organisieren und sich durchsetzen – mit anderen Worten: das 11
„Nicht nur in den konservativen Parteien sind Korporierte gut vernetzt, sondern auch in der SPD“ Mitglied im CV sind. Der Vorteil sei, dass man in der Regel eine gemeinsame Sprache spreche: „Bei CV-Mitgliedern kann man davon ausgehen, dass eine gewisse Grundrichtung vorhanden ist“, so der CDU-Politiker. Doch nicht nur in den konservativen Parteien und der FDP sind Korporierte gut vernetzt, sondern auch in der SPD. Dort gibt es seit 2006 den sogenannten Lassalle-Kreis, ein Zusammenschluss von Männern und Frauen, die zugleich einer Studentenverbindung angehören. Bekannteste Mitglieder sind der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, und Klaus Hänsch, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments. Der Kreis ist benannt nach Ferdi12
„Niemand geht damit hausieren“ Elitenforscher STEPHAN PETERS über Rituale von Studentenverbindungen und wie sie als politische Netzwerke funktionieren. INTERVIEW: FELIX FISCHALECK UND BE N J A M I N V O R H Ö LT E R
Herr Peters, viele halten Burschenschaften für antiquiert. Sie auch? Nein, als antiquiert würde ich sie nicht bezeichnen. So gesehen wären auch Schützen- oder Karnevalsvereine, die ja ebenfalls schon über 100 Jahre alt sind, nicht mehr zeitgemäß. Zudem bietet die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft gerade jungen Leuten auch heute noch einige Vorteile. Welche denn? Nun, stellen Sie sich einen konservativen, autoritär denkenden jungen Mann vor, der zum Studium an eine große, anonyme Universität in einer fremden Stadt geht. So jemand findet in einer Burschenschaft sofort einen Freundeskreis, eine Art Mutterersatz. Aber das Ganze hat auch seinen Preis: Man muss sich dem größeren Ganzen, der Gemeinschaft, unterordnen und individuelle Rechte abgeben. Möglicherweise liegt es an martialischen Ritualen wie der Mensur, dass viele die Burschenschaften für nicht mehr zeitgemäß halten. Welche Bedeutung hat der traditionelle Fechtkampf heute noch? Das Fechten ist ein Ritual, das zusammenschweißen soll. Zudem ist die Mensur ein Erziehungsmittel: Ich kann sie nur dann bestehen, wenn ich die Regeln beherrsche. Die Unterwerfung unter diese Regeln bedeutet, dass ich meine natürlichen Reflexe unterdrücken muss: Ich sehe den Säbel auf mich zukommen, darf aber nicht ausweichen, da ich sonst disqualifiziert werde. Sehenden Auges, gegen meinen Fluchtreflex, muss ich eine Verletzung – den Schmiss – in Kauf nehmen.
Ist der Schmiss immer noch ein Statussymbol unter Burschenschaftlern? Früher war das sicherlich so. Es gab sogar Ärzte, die auf Wunsch einen Schmiss in die Wange operiert haben. Heute ist das anders: Wenn man eine riesige Narbe im Gesicht hat wie etwa der frühere Aufsichtsratsvorsitzende der Allianz Henning Schulte-Noelle, gilt das nicht mehr als chic. Das sieht man heutzutage nur noch ganz selten. Welche Ziele verfolgen Burschenschaften und andere Studentenverbindungen? Das ist sehr unterschiedlich. Die katholischen Studentenverbindungen wollen ihren Glauben verbreiten, die Corps möchten unter traditionellen Gesichtspunkten mitmischen. Der frühere Bundesinnenminister Manfred Kanther, „Alter Herr“ beim Corps Guestphalia et Suevoborussia Marburg, hat das einmal auf den Punkt gebracht mit den Worten: „Wir wollen auch weiterhin national gesinnte Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft entsenden.“ Gelingt ihnen das denn? Wie groß ist ihr Einfluss etwa auf die Politik? Was das genaue Ausmaß der Verflechtungen zwischen Politik und Studentenverbindungen betrifft, gibt es keine verlässlichen Zahlen. Auffällig ist, dass etwa zehn bis 15 Prozent der Abgeordneten der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag dem Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV) angehören. Das ist bei einem Verband mit rund 30.000 Mitgliedern nicht wenig. Ist die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft aufgrund des negativen Images heutzutage eher ein Nachteil für einen ambitionierten Politiker? pol it ik & kommunikation | April 2013
Foto: D Light Germany
demokratische Handwerkszeug. Norbert Herr, Landtagsabgeordneter der CDU in Hessen und Mitglied in der katholischen Studentenverbindung Adolphiana zu Fulda, hält viel vom Verbindungswesen. Der 68-Jährige, der sich auf seiner Webseite als „bodenständig und kompetent“ charakterisiert, schätzt daran insbesondere das Leistungsprinzip – sich öffentlich darzustellen und zu engagieren – sowie die Vermittlung konservativer Werte. „Studentenverbindungen sind ein Spiegelbild der Gesellschaft und ein tragendes Band für die Demokratie“, so Herr. Der Netzwerk-Charakter von Verbindungen wiederum wird betont durch das Lebensbundprinzip, ein gemeinsames Merkmal fast aller Korporationen. Dieses besagt, dass man in der Regel ein ganzes Leben lang einer Verbindung angehört. Den „Alten Herren“, so heißen die Mitglieder einer Vereinigung nach deren Studienzeit, kommt dabei die Aufgabe zu, die Verbindung finanziell zu unterstützen und jüngere Brüder zu fördern. Auch Norbert Herr lebt dieses Prinzip: Er habe öfters Praktikanten in seinem Abgeordnetenbüro, die
Politik
Sagen wir es so: Mit einer Mitgliedschaft in einer Burschenschaft geht heute sicherlich niemand hausieren. Und dass es einem peinlich sein kann, Mitglied in der Deutschen Burschenschaft zu sein, kann ich sehr gut nachvollziehen – in diesem braunen Sumpf würde ich auch nicht gern baden. Für traditionell geprägte Bereiche in unserer Gesellschaft hat die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft aber durchaus Vorteile. Dort lernt man, willkürliche Hierarchien anzuerkennen. Dies kann in konservativen Parteien und Unternehmen hilfreich sein, gerade als Berufseinsteiger. Welche studentischen Verbindungen pflegen karrierefördernde Netzwerke am Besten? An erster Stelle steht sicherlich der Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV). Prominente Mitglieder sind Jürgen Rüttgers (Rappoltstein Köln) und Thomas Gottschalk (Tuiskonia München). Auch Franz Josef Strauß gehörte der Tuiskonia München an. Es gibt, soviel ich weiß, auch einen Referentenstammtisch des CV im Bundestag. Sehr auffällig sind zudem die Corps; sie sind in der CDU, der FDP und in der Wirtschaft gut vertreten. Dann gibt es noch die Landsmannschaften, da ist zum Beispiel Günther Oettinger zu nennen, der Mitglied in der Landsmannschaft Ulmia Tübingen ist. Sie selbst waren in einer katholischen Verbindung, aus der Sie schließlich ausgetreten sind. Warum? Es gab kein konkretes Erlebnis, nach dem ich gesagt habe: „Jetzt reicht’s!“, es war eher eine schleichende Entwicklung. Ich hege gegen die Bundesbrüder auch keinen Groll, auch wenn die Freundschaften, die ich dort geschlossen hatte, mit meinem Austritt schlagartig beendet waren. Wenn Sie eine Burschenschaft verlassen, sind Sie für ihre Mitglieder eine Persona non grata. Als ich damals ausgetreten bin, wurde jede Organisation im Dachverband darüber informiert.
Stephan Peters war Mitglied der katholischen Studentenverbindung „Palatia“ in Marburg. Der Politologe schrieb seine Doktorarbeit über Korporationen. Heute ist der 44-Jährige Studiengangsmanager an der Hochschule Kehl und als selbstständiger Rhetoriktrainer tätig. pol it ik & kommunikation | April 2013
nand Lassalle, einem der Gründerväter der SPD und Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks, die heute als stramm rechts gilt. Der Gründung vorausgegangen war eine SPD-interne Diskussion darüber, ob ein Verbindungsstudent in einer Burschenschaft oder einem Corps gleichzeitig Mitglied bei den Sozialdemokraten sein kann. Vor allem die Jusos machten damals Druck. Letztlich vereinbarten Präsidium und Vorstand der SPD, dass le-
„Wollen Korporationen auch künftig als Netzwerke relevant sein, müssen sie sich modernisieren“ diglich Mitglieder einer Burschenschaft, die der Burschenschaftlichen Gemeinschaft angehören, einer rechtslastigen und derzeit Ton angebenden Gruppierung innerhalb der Deutschen Burschenschaft, nicht gleichzeitig SPDMitglied sein könnten. Die Kritiker fanden den Beschluss zu milde, die Verbindungsleute störten sich an der mangelnden Differenzierung zwischen den
Studentenverbindungen sind Zusammenschlüsse von meist männlichen Studenten, die Brauchtümer und gewachsene Traditionen pflegen. Die ersten studentischen Korporationen waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts an den Befreiungskriegen gegen Napoleon beteiligt und setzten sich für demokratische Prinzipien ein. Seitdem gibt es bis heute Burschenschaften, Landsmannschaften, Corps, konfessionelle Verbindungen sowie Turner- oder Sängerbünde. Einige so genannte „Alte Herren“ aus der Politik sind etwa der Bundestagsabgeordnete Thomas Strobl (CDU), der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin Eberhard Diepgen (CDU) und Friedhelm Fahrtmann (SPD), früher Sozialminister von Nordrhein-Westfalen. Auch die Grünen-Politiker Winfried Kretschmann und Rezzo Schlauch waren Mitglied in einer Studentenverbindung.
einzelnen Spielarten von Studentenverbindungen. Florian Boenigk, Vorsitzender des Lassalle-Kreises, will diesen unzureichenden Informationen über Korporationen innerhalb der SPD entgegenwirken. Der 32-Jährige ist Alter Herr bei der Akademischen Verbindung Virtembergia zu Tübingen, einer liberalen, nichtfarbentragenden und nichtschlagenden Studentenverbindung. „Im rot-grünen Lager ist es mitunter nicht von Vorteil, in einer Korporation zu sein“, sagt Boenigk. Er selbst habe jedoch noch keine negativen Erfahrungen aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer Verbindung gemacht. Einen Netzwerk-Effekt bestreitet auch Florian Boenigk nicht, die Loipe für eine politische Karriere sei durch die Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung gewissermaßen schon gespurt. Doch er merkt auch an, dass das Protegieren von Brüdern im Berufsleben – wie es früher vielleicht an der Tagesordnung war – nicht mehr möglich sei. Das Leistungsprinzip dominiere in einer globalisierten Welt. Aktuell leiden die Studentenverbindungen an einem Nachwuchsproblem, die Mitgliederzahlen gehen seit Jahren zurück, gleichzeitig wird die Alterspyramide nach oben wesentlich breiter. Wollen Korporationen auch künftig Bestand haben und als politische Netzwerke relevant sein, müssen sie sich modernisieren. Getreu dem Motto: Das einzig Beständige ist der Wandel. Die Politologin Alexandra Kurth kritisiert, dass sich die Korporationen in den vergangen Jahren hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt hätten. Auf drängende Fragen unserer Zeit, die mit Integration, Ökologie und Gleichheit zu tun hätten, böten sie keine Antworten. Im Gegensatz zur Deutschen Burschenschaft scheinen zumindest einige Verbindungen, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Auch Frauen sind dort mittlerweile willkommen. Ein No-Go ist dies für die Burschenschaft der Racezks, die auf ihrer Webseite den Ausschluss von Frauen wie folgt begründet: „Weil dann alle möglichen Liebschaften und Eifersuchtsdramen Unruhe in unseren Bund bringen würden und wir auch mal gerne in gepflegter Runde den einen oder anderen Herrenwitz erzählen.“ Na dann, viel Spaß. 13
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„Merkel hat kein Branding nötig“ Mitt Romneys Ex-Kampagnenmanager RICH BEESON und RALF GÜLDENZOPF, Experte für politische Kommunikation bei der Adenauer-Stiftung, im Gespräch über Demagogie im US-Wahlkampf, die Aushöhlung des amerikanischen Parteiensystems und die Aura der deutschen Bundeskanzlerin. INTERVIEW: FELIX F I S C H A L E C K UND BJÖRN M Ü L L E R
p&k: Herr Beeson, in Mitt Romneys
Wahlkampfteam waren Sie für die politische Strategie zuständig, also dafür, potenzielle Wählergruppen zu identifizieren und zu mobilisieren. Warum ist Letzteres nicht in ausreichendem Maße gelungen? Rich Beeson: Die Demokraten hatten durch Obamas Amtsbonus einen großen Vorteil. Es ist immer schwer, gegen einen Amtsinhaber anzutreten, das haben auch die vergangenen Präsidentschaftswahlen gezeigt. In den letzten 30 Jahren war nur eine Herausforderer-Kampagne erfolgreich, nämlich die von Clinton gegen Bush Senior 1992. Aber 2016 fällt dieser Vorteil weg, dann müssen auch die Demokraten durch einen aufreibenden Vorwahlkampf. Ist das Problem nicht grundlegender? Kritiker sagen, die Republikaner seien nur noch die Partei des „alten, weißen Mannes“. Beeson: Das sehe ich anders. Sicher müssen wir wichtige Wählergruppen wie die Latinos besser erreichen. Mit Susana Martinez (Anm. d. Red.: erste Gouverneurin von New Mexico mit hispanischem Hintergrund) und Marco Rubio (Anm. d. Red.: Senator aus Florida und Sohn kubanischer Einwanderer) sind wir hier aber gut aufgestellt. Auch Chris Christie (Anm. d. Red.: Gouverneur von New Jersey, der zum liberalen Flügel der Republikaner gehört) versteht es, nichttraditionelle Republikaner-Wähler anzusprechen. Eine große Rolle beim US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 spielten erstmals die sogenannten Super-Pacs. Wie bewerten Sie die Rolle dieser Spenderplattformen? Beeson: Ich sehe diese Reform der Kampagnenfinanzierung sehr kritisch. Ziel der Reform war es, das Geld aus der Politik herauszuhalten, indem das Spendensammeln auf die Super-Pacs ausgelagert 14
Zwei Fans der Bundeskanzlerin: Rich Beeson und Ralf Güldenzopf (v. l.)
wurde. Der Effekt war aber, dass die Wahlkampffinanzierung aus den Parteistrukturen verdrängt wurde. Für die RomneyKampagne haben wir rund eine Milliarde Dollar aufgetrieben, was lächerlich gering war im Vergleich zu dem, was die SuperPacs an Spenden eingenommen haben. Auch hatten wir keinen Einfluss darauf, wie diese ihre Mittel au�ringen. Neben
dieser Schwächung des Parteiapparats bereitet mir noch etwas anderes Sorgen. Und das wäre? Beeson: Der zunehmende Einfluss der Super-Pacs auf die Wahlkampfführung. Da gab es schlimme Auswüchse. So hat etwa Priorities USA Action … … ein Super-Pac, das US-Präsident Obama unterstützte, … pol it ik & kommunikation | April 2013
Beeson: … im August 2012 in einem Wahlvi-
deo nahegelegt, dass Romney mitverantwortlich für den Krebstod einer Frau sei. In diesem Video erzählte Joe Soptic, ein ehemaliger Arbeiter des Stahlwalzwerkes von Kansas City, dass er seinen Job verloren habe, nachdem
Beeson: Ein Vorwurf, der nachweislich
falsch war und die Demagogie im Wahlkampf befördert hat. Dies alles schwächt die Rolle der Parteien als Gestalter der Politik. Ralf Güldenzopf: Denkst du, die Super-Pacs könnten irgendwann die Rolle der Par-
eine rudimentäre Basisstruktur verfügen und nicht mehr als eine Art Hülle sind. Das heißt, sie dienen zunehmend nur noch als loser Rahmen für die Gestaltung von Politik; die Macht hingegen wandert ab. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hat die These aufgestellt, Obamas neue Amtszeit werde zu einer „Dauerkampagne“. Hintergrund seien die verhärteten Fronten zwischen Demokraten und Republikanern. Wie sehen Sie das? Beeson: Was der „Spiegel“ als „Dauerkampagne“ bezeichnet, ist eine gängige Mobilisierungsstrategie für das eigene Lager. Nach einer Wahl, für die ja alle Kräfte mobilisiert wurden, ist es für den neu- oder wiedergewählten Präsidenten nicht ein-
Foto: www.baumannstephan.com
„Die Super-Pacs schwächen die Rolle der Großparteien als Gestalter der Politik“
Romneys Investmentunternehmen Bain Capital das Werk übernommen und geschlossen habe. Dadurch hätten er und seine Familie sich keine Krankenversicherung mehr leisten können. Kurz darauf sei seine Frau an Krebs erkrankt, der aber wegen der fehlenden Krankenversicherung viel zu spät diagnostiziert worden sei. pol it ik & kommunikation | April 2013
teien übernehmen und beispielsweise die Kandidaten nominieren? Beeson: Es wird immer Delegierte geben und damit auch Parteien, in denen sie sich organisieren. Das Problem ist, dass die Infrastruktur der Parteien zunehmend ausgehöhlt wird. Sollte diese Entwicklung so weitergehen, kann es sein, dass die Großparteien bald nur noch über
fach, die Partei weiter geschlossen hinter sich zu scharen. Um den Sammlungseffekt der Wahl möglichst lange wirken zu lassen, versucht er daher in der Regel, politische Großprojekte im Kampagnenstil zu verkaufen. Auch Georg W. Bush hat diese Strategie 2005 nach seiner Wiederwahl angewendet, um seine Immigrationsreform durchzudrücken. Und Obama versucht nun so, seine Agenda beim Kampf um den US-Haushalt und seine Reform des Einwanderungssystems durchzusetzen. Herr Güldenzopf, im US-Wahlkampf war Micro-Targeting ein wichtiger Trend. Was können die deutschen Wahlkämpfer daraus lernen? Güldenzopf: Eine Menge. CDU und SPD haben eine gute Infrastruktur. Mit jeweils fast 500.000 Mitgliedern sind beide Parteien bestens aufgestellt. Wichtig ist es, dass sie sich konkrete Ziele setzen, wie zum Beispiel: Wie viele Leute wollen wir erreichen? Wie viele Haustürbesuche streben wir an? Diese Ziele müssen sie dann konsequent verfolgen. Für ihre zielgenaue Wähleransprache verfügen die US-amerikanischen Parteien allerdings über umfangreiche Datenbanken mit genauen Informationen über die Bürger. In Deutschland gelten da deutlich strengere Datenschutzbestimmungen. 15
Kampagne
dings, dass diese Bestimmungen oft als Entschuldigung dienen, um nicht mit den Wählern sprechen zu müssen. Dabei sollten die Parteien auf die Straße gehen, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Eine starke Botschaft und Selbstbewusstsein sind dabei wichtig. Wir brauchen nicht unbedingt die Wahltechniken aus den USA, aber mehr von ihrer Kultur: In den USA ist es selbstverständlich, sich zu einer Partei zu bekennen – das täte uns in Deutschland auch gut. Die SPD fährt also mit ihrem „Bürgerdialog“, mit Haustürwahlkampf und
„Haustürbesuche sind direkt und natürlich; einen besseren Kontakt zu den Menschen kriegt man nicht“ Wohnzimmerbesuchen, eine sinnvolle Strategie? Güldenzopf: Ja, auf jeden Fall. Ich wundere mich immer, wenn Parteien verkünden, dass sie mit den Bürgern ins Gespräch kommen wollen – das sollte selbstverständlich sein. Der direkte Kontakt zu den Wählern ist äußerst wichtig. Ich habe noch nie gehört, dass Politiker von Bürgern verjagt wurden. Anrufe hingegen sind bei den Wählern nicht so beliebt. Bei Haustürbesuchen kann man die Leute auch fragen, ob sie weitere Infos wollen – wenn sie einwilligen, kann man darauf Datenbanken au�auen. Beeson: Haustürbesuche sind direkt und natürlich; einen besseren Kontakt zu den Wählern kriegen Parteien und Kandida16
ten nie. In den USA bringt ein guter Türzu-Tür-Wahlkampf entscheidende Vorteile. Bei den Republikanern lag die Zahl der Haustürbesuche 2008 bei 2,5 Millionen, im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf bereits bei 15 Millionen. Da müssten die CDU-Wahlkämpfer vor allem in den großen Städten ran, denn dort hat die Partei ein Mobilisierungsproblem, wie die OB-Wahlen in Stuttgart, Frankfurt und Hamburg gezeigt haben. Woran liegt das? Güldenzopf: Ich denke, es liegt nicht so sehr an den Politikinhalten, sondern mehr am personellen Angebot. Die Kandidaten müssen einen urbanen Lebensstil verkörpern – Kultur und Mode spielen hier beispielsweise eine Rolle. Es gibt solche Leute in unserer Partei, aber sie haben sich noch nicht durchgesetzt. Wir können als CDU sowohl ländliche, konservative als auch urbane, moderne Wählerschichten erreichen. Wir müssen uns nur genauer überlegen, welche Kandidaten wir aufstellen. Herr Beeson, angenommen, Sie wären der Wahlkampfmanager von Angela Merkel: Welches Image würden Sie ihr im Bundestagswahlkampf verpassen? Beeson: Was Angela Merkel auszeichnet, ist der Eindruck von Effizienz, den sie hinterlässt. Dieser entsteht durch ihren nüchternen Regierungsstil, ihr unprätentiöses Auftreten sowie ihren sachlichen Charakter; die Frau ist vor der Kamera genauso wie hinter ihr. Dazu kommt, dass sie in der Riege der Staatsmänner weltweit ein sehr gutes Standing hat. Eine solche Aura kann man nicht vortäuschen, die Menschen spüren das. Es gibt Kandidaten, die sind darauf angewiesen, dass man ihnen ein Image schafft, was, nebenbei gesagt, oft Teil meines Jobs ist. Aber bei Merkel ist es einfach nicht nötig, ein Branding zu betreiben. Die Frau überzeugt so, wie sie ist. Rich Beeson war als Political Director für die Kampagne des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney zuständig. Zurzeit arbeitet er als Partner bei FLS Connect. Das US-Unternehmen bietet so genannte „Voter Contact Programs“ für politische Kampagnen an.
Ralf Güldenzopf leitet die Abteilung Politische Kommunikation der KonradAdenauer-Stiftung. Er gilt als Fachmann für das politische System der USA. Zu den letzten US-Wahlen gab er den wöchentlichen Videoblog „Politsnack“ heraus.
„Ein mulmiges Gefühl“ Das Online-Campaigning der US-Parteien setzt nach wie vor Maßstäbe. Dennoch taugt es nur bedingt als Vorbild für deutsche Wahlkämpfer, so Internet-Experte CHRISTOPH BIEBER. I N T E R V I E W : F E L I X F I S C H ALECK
p&k: Herr Professor Bieber, wel-
che Lehren können die deutschen Parteien aus dem Online-Wahlkampf in den USA ziehen? Bieber: Der Lerneffekt ist meiner Meinung nach begrenzt. Denn die wichtigste Innovation des US-Wahlkampfes – der Umgang mit großen Datenmengen – lässt sich nicht auf Deutschland übertragen, weil es bei uns keine kommerziellen Datenhändler gibt. Es gab aber durchaus Kampagnentrends in den USA, an denen sich deutsche Parteien orientieren können. Zum Beispiel? Ich glaube, dass man das in den USA praktizierte Microtargeting auch in Deutschland verfolgen wird. Aber weniger in digitaler Form, sondern unter anderem durch Canvassing. Das war nämlich die zweite Lehre des US-Wahlkampfes: Neben dem Digitalen muss das Analoge wieder in den Mittelpunkt rücken. Dass diese Botschaft auch in Deutschland angekommen ist, zeigen nicht zuletzt die Wohnzimmer-Gespräche von SPDKanzlerkandidat Peer Steinbrück: Man möchte in den Alltag der Bürger zurück. Werden wir in Deutschland eine Professionalisierung des OnlineWahlkampfes in Deutschland erleben? Man sollte den Begriff der Professionalisierung nicht überstrapaziepol it ik & kommunikation | April 2013
Fotos: www.baumannstephan.com; facebook.com/peersteinbrueck; Frank Preuss
Güldenzopf: Das stimmt. Ich glaube aller-
Online-Wahlkampf: Bis dato eher die Achillesferse von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück
ren. Auch 2009 waren keine Amateure am Werk. Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf werden normale Lernschritte stattfinden, wie alle vier Jahre. Einen amateurhaften Online-Wahlkampf haben 2009 nur die Piraten gemacht – und genau dies war damals das Erfolgsrezept. Bei ihnen werden wir auch dieses Jahr keine massive Professionalisierung durch Agenturen und Berater erleben, das wäre kontraproduktiv für das Selbstverständnis und die Arbeitsweise der Partei. Welchen sozialen Medien wird vermutlich die größte Bedeutung zukommen? Facebook wird auf Bundesebene zum ersten Mal wirklich wichtig werden. 2009 war Facebook nur eines der kleineren sozialen Netzwerke und hat keine nennenswerte Rolle gespielt. Auf Facebook den richtigen Ton zu finden, ist für Politiker jedoch alles andere als einfach. Warum? Weil sie dort eine Konkurrenzsituation bewältigen müssen: Sie dürfen die Adressaten in den sozialen Netzwerken den Parteimitgliedern gegenüber nicht bevorzugen. Deshalb werden sich die Parteien hierzulande nicht so massiv an Facebook orientieren wie in den USA. Innovative Impulse erwarte ich hier nicht. Wie sieht es mit Twitter aus? pol it ik & kommunikation | April 2013
Twitter halte ich für deutlich spannender, weil es persönlicher ist, inzwischen auch von den etablierten Medien registriert wird und man damit besser Themen setzen kann. Dennoch hat Twitter das Problem zu geringer Reichweiten. Eine größere Rolle als bisher werden Online-Videos spielen, die bislang im Wahlkampf eher ein Schattendasein fristeten. Welche Rolle spielt der sogenannte Peer-Pressure-Effekt in den sozialen Netzwerken? Studien aus den USA zeigen, dass Freunde auf Facebook dazu beitragen können, eine Parteipräferenz zu verstärken. Politikern, die in diese persönlichen Öffentlichkeiten eindringen wollen, sollte aber bewusst sein, dass sie damit Druck ausüben. Dass das nicht unproblematisch ist, hat das Beispiel USA gezeigt. Dort hat man es mit dem Peer Pressure teilweise übertrieben, nach dem Motto „Geh doch mal zu deinem Nachbarn drei Häuser weiter, der war die letzten Male nicht wählen.“ Da wurde es einigen schon etwas mulmig, was die Kampagnenakteure alles wussten. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist kein Freund der sozialen Netzwerke. Ein Nachteil für den Internet-Wahlkampf der SPD? Überhaupt nicht. Wenn man wie die SPD klar kommuniziert, dass man die sozialen
Medien instrumentell und selektiv nutzt, dann braucht man sich keine Sorgen zu machen. Steinbrück als Online-Kandidat zu inszenieren, wäre der falsche Weg. Ihn durch Aktionen wie den „Peerblog“ von außen zu unterstützen, allerdings auch. Im Übrigen: Auch Angela Merkel ist keine versierte Social-Media-Politikerin. Welche Chancen bietet der OnlineWahlkampf für die Wählermobilisierung? Angesichts der schwindenden Zahl der Parteimitglieder und der sinkenden Wahlbeteiligung sollten sich die Parteien das Ziel setzen, möglichst viele Bürger für Politik wiederzugewinnen und sie zurück an die Urne zu bringen. Die Dialog-Projekte und das kollaborative Schreiben an Parteiprogrammen sind dabei nicht so hilfreich, da sie auf eine recht kleine Klientel zielen. Insgesamt sollte man versuchen, etwas niedrigschwelligere Angebote zu machen und dadurch höhere Reichweiten zu erzielen – das gelingt bei jüngeren Wählergruppen bereits ganz gut. Kann das Internet wahlentscheidend sein? Der tatsächliche Einfluss des Internets auf den Wahlausgang lässt sich bislang nicht wirklich messen. Einiges spricht aber dafür, dass bei knappen Wahlausgängen das Internet sehr wohl eine Rolle spielen kann. In Deutschland wird dies durch das Au�ommen der Piratenpartei unterstrichen. Auch wenn die Piraten bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen würden, so binden sie doch einige Wählerstimmen. Und im Fall eines knappen Wahlausgangs könnten genau dies entscheidende Stimmen sein.
Christoph Bieber arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Online-Kommunikation der Parteien. Der 42-Jährige gilt zudem als intimer Kenner der Piratenpartei.
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Szene
Mister Rammbock KARRIEREKURVE: Die Hassliebe der Politik zu HARTMUT MEHDORN ist legendär. Seit seiner Zeit als oberster Bahn-Manager bewundern ihn Politiker als Macher und fürchten ihn zugleich als Querulanten. Jetzt soll er die Horror-Baustelle BER auf Vordermann bringen.
1984 1979
1961
1942 Hartmut Mehdorn kommt am 31. Juli 1942 in Warschau zur Welt. Seine Eltern kehren 1953 zurück in ihre Heimatstadt Berlin, wo Mehdorn die Oberschule besucht.
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steigt Mehdorn zum Mitglied der Geschäftsführung des Flugzeugherstellers Airbus auf. In Toulouse ist er als Vorstand für Produktion, Einkauf und Qualitätskontrolle mit verantwortlich für die Entwicklung verschiedener Flugzeugtypen .
studiert Mehdorn Maschinenbau an der Ingenieursschule Beuth (heute Beuth Hochschule für Technik Berlin). In den Semesterferien tritt er bei den Berliner Ruder-Meisterschaften an. Er nimmt an Deutschen Meisterschaften teil und wird einmal Berliner Landesmeister im leichten JungmannZweier.
verantwortet der Diplom-Ingenieur die Leitung der Flugzeugfertigung beim VFWNachfolger Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB). Ein Jahr später wird Mehdorn Mitglied der Geschäftsführung von MBB. Der Aufstieg des erfahrenen Industriemanagers geht weiter, denn …
1966 Nach dem Studium startet Mehdorn seine Karriere im Flugzeugbau. Er wird Planungsingenieur bei den Vereinigten Flugtechnischen Werken (VFW) in Bremen. Damals wirkt er an der Entwicklung des ersten deutschen Zivil-Jets mit. Ab 1974 leitet er ein Programm für die Serienfertigung des ersten Airbus (A 300).
pol it ik & kommunikation | April 2013
SUPERWICHTIG
1999
2013 Zwei Monate nach seinem Rücktritt bei Air Berlin spielt Mehdorn nun Feuerwehrmann bei der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg. Der erfahrene Manager soll Ordnung in das BERChaos bringen. Pikant: Als Air-Berlin-Chef hatte er gegen seinen jetzigen Arbeitgeber wegen der Verschiebung der Flughafen-Eröffnung eine Schadensersatzklage eingereicht.
SEHR WICHTIG
... vier Jahre später mit der Deutschen Bahn an. Dort profiliert sich Mehdorn zunächst als knallharter Sanierer. Er stellt die Logistiksparte neu auf und bringt den Personenverkehr auf Vordermann. Unter seiner Leitung präsentiert der Bahnkonzern 2008 einen Rekordgewinn von circa 2,5 Milliarden Euro.
kehrt er zurück in seine Lieblingsbranche, die Luftfahrt, um die angeschlagene Fluggesellschaft Air Berlin aus der Krise zu holen.
übernimmt Mehdorn den Vorsitz der Geschäftsführung der Deutschen Airbus. Nach der Fusion mit der Deutsche Aerospace (DASA) rückt er in den Vorstand des Luft- und Raumfahrtkonzerns auf. Der erfolgreiche Luftfahrtmanager wird damals als künftiger Chef des DASA-Mutterkonzerns Daimler gehandelt.
WICHTIG EIN BISSCHEN WICHTIG
2009 1995
gerät Mehdorn nicht nur wegen des im Jahr zuvor gescheiterten Börsengangs der Bahn in die Kritik. Als im Januar herauskommt, dass die Bahn im großen Stil Daten ihrer Mitarbeiter ausgespäht hat, muss Mehdorn seinen Chefposten räumen.
verabschiedet sich Mehdorn von der Luftfahrt und wechselt als Vorstandsvorsitzender zur Heidelberger Druckmaschinen AG. Ein ganz heißes Eisen packt der Hobby-Schmied …
pol it ik & kommunikation | April 2013
UNWICHTIG
Fotos: Marco Urban (2); Screenshot Youtube.com; Beuth Hochschule für Technik Berlin; wikimedia.org; Marco Urban, wikimedia.org; AirFrance/ Fitzgerald; flickr.com; Marco Urban
1989
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2011
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Wenn Lisa Pirwitz durch die Montagehalle geht, kann sie sich über wenig freuen. Denn jeder leere Restmüllbehälte r ist für sie ein Erfolg. Gemeinsam mit dem Green-Team hat sie sich das Ziel gesetzt, die Produktionsabfälle der Montage im BMW Werk im amerikanischen Spartanburg bis 2012 komplett zu recyceln. Kein einfaches Vorhaben, aber Lisa Pirwitz ist davon überzeugt, dass ihr Projekt zum Erfolg führt, wenn alle Mitarbeiter mitziehen. Und sie weiß, ein origineller Einfall kann viel bewirken: Für ein Video zum Thema Recycling hat sie beispielsweise einmal zwei Handpuppen aus Produktionsabfä llen zum Sprechen gebracht und so viel Begeisterung für das Projekt entfacht. Die BMW Group ist zum siebten Mal in Folge nachhaltigster Automobilherste ller der Welt. Erfahren Sie mehr über den Branchenführer im Dow Jones Sustainability Index auf
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