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Herausgegeben von Linz Textil Holding AG
Roman Sandgruber Dionys Lehner Alexander Hofstadler
Autoren: O. Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber Dr. Dionys Lehner MMag. Ing. Alexander Hofstadler Lektorat: Dr. Sieglinde Korab Grafik, Reproduktion und Bildbearbeitung: Herkules Artwork Werbeagentur, Manfred Carrington, Panholzerweg 1, 4030 Linz, www.herkules-artwork.at Herausgeber: Linz Textil Holding AG, Wiener Straße 435, 4030 Linz, Tel. 0732/3996-0, www.linz-textil.at Bildnachweis: Lentia-Verlag, Carrington Manfred: Titelseite, 6, 10, 13, 15, 17, 20, 22, 24-27 o., 35-38, 47-51, 53, 55, 60-63, 67, 70, 71, 75, 83, 102, 104, 109, 100, 111, 112 u., 115, 117, 120, 122, 123, 124 o., 126 o., 127 o., 128, 130, 131, 135, 148 o., 150, 152, 153, 154, 156, 158, 162, 164, 165 u., 166, 167 u., 176, 177, 180; W. Schlafhorst: 16, 18, 19, 32, 34; Stift St. Florian: 108; OÖ Landesmuseum: 29; Voest Geschichte Club: 64; Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH: 68; Rieter Holding AG: 42, 44, 45, 114; Lenzing AG: 159; www.airpix.at: 165 o., 167 o.; OÖN (Volker Weihbold): 132; andere Aufnahmen aus dem Archiv der Linz Textil AG. Quellen und Literatur: Linz Textil, Werksarchiv und Sammlung Thyll; Aktien-Gesellschaft der Kleinmünchner Baumwollspinnereien und mechanischen Weberei bzw. Linz Textil: Geschäftsberichte, 1872–2011; Höfler, Stephanie: Die soziale Lage der Arbeiterschaft in Kleinmünchen 1919 bis 1938. Eine Frauenalltagsgeschichte, Diss. Salzburg 1991; Kapplinger, Astrid Maria: Arbeitersiedlung der Kleinmünchner Spinnerei. Historische Bedeutung, Sanierung und Erweiterung, DA, Innsbruck 1993; Lackinger, Otto: Die Linzer Industrie im 20. Jahrhundert, Linz 2007; Lackner, Helmut, Stadler, Gerhard: Fabriken in der Stadt. Eine Industriegeschichte der Stadt Linz, Linz 1990; Meixner, Erich: 1838–1950. Aktien-Gesellschaft der Kleinmünchner Baumwollspinnereien und mechanischen Weberei Linz-Donau, Linz 1951, Festschrift; Meixner, Erich: Männer, Mächte, Betriebe. Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich, 1848 bis zur Gegenwart, Salzburg 1952; Lehner, Dionys, Sandgruber, Roman u.a.: Österreichische Industriegeschichte. Band 1, Die vorhandene Chance, 1700 bis 1848. Wien 2003, Band 2, Die verpasste Chance, 1848 bis 1955, Wien 2004, Bd. 3, Die ergriffene Chance, 1955–2005, Wien 2005.
Lentia-Verlag, Manfred Carrington, 4030 Linz, Panholzerweg 1, Tel. 0732/320585-0, info@Lentia.at Bücher des Lentia-Verlags sind in jeder Buchhandlung und im Online-Shop unter www.Lentia.at erhältlich.
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I n h a lt Vorwort............................................................ 11
I. Die Innovation der Industrie ......................... 15
II. Der Gründer J. E. Grillmayr (1809–1881)........ 23
III. Die Geschichte der Linz Textil 1. Die Jahre 1838 bis 1872................................... 31 2. Die Jahre 1873 bis 1945................................... 43 3. Die Jahre 1945 bis 1977................................... 71 4. Die Jahre 1977 bis 2013................................... 89
IV. Der Betrieb am Wasser .............................. 109
V. Brandkatastrophen.................................... 125
VI. Technologische Sprünge 1. Spinnereierneuerung 1974 bis 1976................. 137 2. Die S-500 als Herzstück der Rohweberei ........... 141 3. Der große Produktivitätssprung 1990 ................ 145 4. Neubau Weberei 2001.................................... 149 5. Das „Projekt Schmetterling“ 2010 bis 2012....... 153
VII. Die Linz Textil 2013 .................................... 157
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Vorwort
Die Linz Textil ist die älteste noch aktive Fabrik in Linz und Oberösterreich. Der Spruch „Ehret das Alter“ ist, bezugnehmend auf einen Produktionsbetrieb, nichts Positives, bezugnehmend auf eine Firma jedoch schon. Die Linz Textil hat im Jubiläumsjahr den jüngsten Maschinenpark, den sie je hatte. Bei der Gründung im Jahr 1838 waren die installierten Maschinen zwar neu, aber technologisch ein Nachbau von schon länger in England entwickelten Spinnmaschinen. Im Jahr 2013 beträgt das durchschnittliche Alter der Maschinen der Spinnerei Linz rund drei Jahre. Zudem sind neueste Technologien installiert. So fühlt sich die Linz Textil an ihrem 175. Geburtstag jung. Dazu gehört auch die in den letzten Jahren erfolgte Ablöse des bisherigen Vorstands durch ein
neues, deutlich jüngeres Team. Die Firma ist in einer finanziell sehr gesunden Situation und in den Märkten mit ihren Produkten positiv positioniert. Dies sind schöne Rahmenbedingungen, um ein so langjähriges Firmenjubiläum zu feiern. Es gibt aber zwei Gedanken, die in diesem positiven Gefühl nicht verloren gehen dürfen. Der eine ist der große Beitrag, der von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den langen Jahren der Unternehmensgeschichte geleistet wurde. Dieser Einsatz betrifft den Arbeitsplatz an der Maschine genauso wie das Büro einer Führungskraft. An dieser Stelle möchten wir für diese Arbeit zum Wohle der Firma danken. Der andere Gedanke ist das Bewusstsein, dass die 175-jährige Geschichte keine Geschichte eines konstanten Erfolges
Dr. Dionys Lehner, Generaldirektor der Linz Textil Holding AG
Linke Seite: Zettelgatter in der 2001 errichteten Weberei. Zu ihrem 175. Firmenjubiläum ist die Linz Textil technologisch auf dem letzten Stand. 11
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war. Im Gegenteil, es gab kritische Phasen, in denen die Existenz der Unternehmung nicht mehr gesichert schien. Diese Krisen letztlich gesund überlebt zu haben, stärkt die Einsicht, dass es ohne ein Quäntchen Glück und ohne eine gesegnete Hand über dem Betriebsgeschehen nicht gegangen wäre. Die Turbulenzen in der Textilbranche waren seit der Firmengründung groß. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich diese Turbulenzen gewaltig verstärkt, insbesondere seitdem durch die Öffnung der Weltmärkte eine zunehmende Verlagerung der Produktion in nichteuropäische Regionen stattgefunden hat. Aus Exporten wurden Importe. Wie dramatisch die Herausforderung an die europäische und damit auch an die österreichische Textilbranche gewesen ist, zeigt die Entwicklung der heimischen Märkte für Textilien. Betrug der Eigenversorgungsgrad in Österreich in der Nachkriegszeit Anfang der 1950er-Jahre noch rund 90 Prozent, so ist er gut 50 Jahre später im Jahr 2012 auf gut fünf Prozent gefallen, man müsste fast sagen, abgestürzt. Die
zu bewältigenden Anpassungsprobleme, und die hat auch die Linz Textil massiv gespürt, waren enorm. Drei Persönlichkeiten haben die 175-jährige Geschichte der Linz Textil in besonderem Maße geprägt. Es sind dies Johann Evangelist Grillmayr, der das Unternehmen gegründet hat, und das Ehepaar Dr. Robert und Lina Thyll, welches die Firmengruppe in Richtung einer modernen konzernalen Struktur geführt hat. Wir sind daher stolz darauf, dass bei der Feier zum 175-jährigen Jubiläum die Urenkelin des Firmengründers Johann Grillmayr, Frau Cristia E. von Grillmayer-Römer, und die Nichte von Frau Dr. Lina Thyll, Frau Clio Vischer-Bonnard, anwesend waren. Die starke Firmenkultur kommt damit zum Ausdruck. Es ist ein Merkmal der Linz Textil, dass sie die Menschen der Zukunft und die Menschen der Vergangenheit in einer nach vorne gerichteten Art und Weise miteinander verbindet. Diese Kraft der Firmenkultur lässt uns positiv in die Zukunft blicken.
Hochwertige Vossen-Frottierware im Badezimmer-Ambiente. Die Linz Textil wird im Juli 2013 die „VossenBad GmbH“ gründen. Das Produkt wird das Badezimmer als Gesamtkonzept sein.
Dionys L. Lehner
Linke Seite: Detailaufnahme aus der Airjet-Spinnerei am Standort Linz. Heute verfügt die Linz Textil-Gruppe über den jüngsten Maschinenpark ihrer Geschichte. 13
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I. DIE INNOVATION DER INDUSTRIE
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Im 18. Jahrhundert stand die textile Produktion noch ganz im Zeichen der traditionellen manuellen Produktionsgeräte „Spinnrad“ und „Handwebstuhl“. Eine Frau oder ein Mann, oft auch ein Kind, stand hinter den einfachen Maschinen und produzierte langsam Meter um Meter Garn und Quadratmeter um Quadratmeter Gewebe. Je nach Garnfeinheit benötigte man fünf bis zehn Spinner, um einen Weber mit Garn zu versorgen. Man sprach wörtlich vom „Garnhunger der Webstühle“. Es lag in der Luft, eine Innovation zu tätigen, um das Spinnrad, das im 14. Jahrhundert von Indien nach Europa kam, durch Maschinen mit drastisch höherer Produktivität abzulösen.
England wird industrieller Monopolist In der gesamten europäischen Textilindustrie wurde der Ruf, etwas gegen den „Garnhunger der Webstühle“ zu tun, laut. Nicht klar war, welches Land diese Innovation tätigen wird. In England aber schienen die Voraussetzungen dafür besonders gut zu sein: • Durch die Kolonien und die Besitzungen in Amerika verfügte England frühzeitig über ein globales Denken.
Linke Seite: James Hargreaves’ (1740–1779) Spinning Jenny von 1763, die für Großbritanniens Textilerzeugung ein neues Zeitalter einläutete. Sie produzierte das Vielfache eines Handspinnrads und wirkte revolutionierend. Es begann der Aufstieg der Baumwollspinnerei zur nationalen Industrie. Ende des 18. Jahrhunderts sollen in England bereits 20.000 Jennys im Einsatz gewesen sein.
• Durch die Beherrschung der Handelsströme nach Amerika, und auch weiterer Teile der Welt, hat sich in England frühzeitig ein Instinkt für eine globale Marktdominanz entwickelt. • Die Besitzungen zahlreicher Kolonien, vor allem in Amerika, haben England den Zugriff zur modernen Faser Baumwolle gesichert. Der Wunsch nach Stillung des Garnhungers war in England gleichzeitig der Wunsch nach Marktdominanz mit einer entsprechenden Innovation. 1761 schrieb die „Society for the Encouragement of Arts and Manufactures“ einen Wettbewerb für die Entwicklung einer durch eine Person bedienbaren Spinnmaschine für die gleichzeitige Produktion von mindestens sechs Garnfäden aus. Es wurden in der Folge drei bedeutende Erfindungen zur Mechanisierung des Spinnens gemacht: • Die erste Maschine, die die Wettbewerbsbedingungen erfüllte, war die „Spinning Jenny“ von 1763, die von James Hargreaves, einem armen Handweber aus Lancashire, entwickelt worden war. Sie hatte acht Spindeln und produzierte handangetrieben das Achtfache eines Handspinnrads. • Die zweite Maschine wurde 1769 von Richard Arkwright entwickelt. Es war die „Waterframe-Spinnmaschine“, die über einen Wasserantrieb verfügte. Im Gegensatz zur Jenny, die eher weiches Garn für den Schuss herstellte, produzierte die Waterframe ein festeres Garn, das auch für die Kette geeignet war.
Das traditionelle Spinnrad war im 18. Jahrhundert nicht mehr in der Lage, den „Garnhunger der Webstühle“ zu stillen. Innovationen wurden notwendig.
1)In Anlehnung an das Kapitel „Die Textilindustrie“ S. 188–218 in: Chaloupek et al: Österreichische Industriegeschichte, 1700–1848, herausgegeben von der Österreichischen Industriegeschichte GmbH, Linz, 2003.
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• Eine dritte Maschine war die „MuleSpinnmaschine“, die 1770 von Samuel Crompton präsentiert wurde. Sie war besonders für feine Garne geeignet und dominierte über Jahrzehnte den Spinnmaschinenmarkt. Ihre weiterentwickelte Version war die „Selfactor-Maschine“, die von 1830 bis ins 20. Jahrhundert hinein produziert wurde. Von den drei Erfindern ist Richard Arkwright wohl die faszinierendste Persönlichkeit. Er begann als armer Barbier und Perückenmacher. Haareinkäufe führten ihn in das Baumwoll- und Leinenzentrum Manchester, was ihm die Kontakte zur Branche brachte. Seine Innovationen entsprangen dem Traum, einerseits eine Spinnmaschine zu entwickeln, die selbstständig Garn herstellt und von Menschen nur noch überwacht werden muss, und andererseits eine Fabrik so zu bauen, dass die Baumwolle sich „fließend“ über den Weg von Karden, Strecken, Vorgarnmaschinen und Waterframes durch die Fabrik bewegt. So verfügte Arkwright über eine ganze Reihe von Patenten, die nicht nur die Spinnmaschinen selber, sondern auch die Vorstufen betrafen. Der innovative Geist von Arkwright galt nicht nur der Spinnmaschine, sondern auch der kostengünstigen und qualitativ anspruchsvollen Garnherstellung als Gesamtkonzept. In dieser Hinsicht ist Arkwright so etwas wie ein Vorbild für die Linz Textil geworden. Die Innovationen haben die Produktivität bei der Herstellung von Garnen nicht nur verbessert, sondern buchstäblich ex-
plosionsartig gesteigert. Schon der erste Prototyp der „Spinning Jenny“ steigerte die Produktivität auf 800 Prozent des bisherigen Spinnrads. Das Tempo der Innovation ging weiter bis ins neue Jahrtausend. Zuerst dominierten die „MuleMaschinen“, dann der „Selfactor“ und anschließend die Ringspinnmaschine, die letztlich auf die „Waterframe-Maschine“ zurückgeht. In den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts übernahm die
Samuel Crompton (1753–1827) kombinierte in seiner „Spinning Mule“ die Erfindungen von Hargreaves und Arkwright. Ausgestattet mit gewichtsbelasteten Reckwalzen für das Spinngut und einem externen Antrieb konnte die Mule bis zu 100 Spindeln tragen.
Linke Seite: Richard Arkwrights (1732–1792) Patent von 1769 ebnete den Weg zum industriellen Einsatz von Spinnmaschinen. Seine Water-Frame löste den manuellen Betrieb durch Wasserkraft ab. Damit war der Schritt zu einer kontinuierlich arbeitenden Maschine gelungen.
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Open-End-Technologie, bei der das Garn mit einem Rotor hergestellt wird, die Produktivitätsführerschaft. Die Entwicklung der Garnmenge, die ein Spinner pro Stunde herstellen kann, zeigt folgendes Bild: Jahr um 1750 um 1800 um 1950 um 2010
Technik Garnmenge in Std. Spinnrad 0,004 kg frühe Spinnmaschine 0,4 kg Ringspinnmaschine 15 kg Open-End-Maschine 400 kg
Gegenüber der Spinnmaschine war die Entwicklung des mechanischen Webstuhls deutlich verzögert und wirkte am Start verspielt. Der Erfinder des mechanischen Webstuhls, der englische Geistliche und Dichter Edmund Cartwright, schildert in einem Brief die Umstände, die ihn zu seiner Erfindung getrieben haben: „Es war im Sommer 1784 zu Mattlock, wo ich mich in Gesellschaft mit einigen Herren von Manchester über Arkwrights Spinnmaschine unterhielt. Ein Herr der Gesellschaft bemerkte, dass, sobald Arkwrights Patent abgelaufen sei, so viele Spinnereien errichtet würden und so viel Garn gesponnen würde, dass niemals so viele Arbeitskräfte gefunden werden könnten, es zu verweben. Bei dieser Bemerkung meinte ich, dass Arkwright seinen Verstand anstrengen müsse, eine mechanische Weberei zu ersinnen. Darauf waren diese Herren einstimmig der Meinung, dass dieses Problem unausführbar sei. Die angeführten Beweisgründe konnte ich nicht verstehen, da ich bis zu jener Zeit noch niemand weben sah.“ Diese Diskussion muss den Ehrgeiz des geistlichen Engländers, der noch nie einen Webstuhl weben sah, gewaltig angetrieben haben. Nach einem Jahr Entwicklung meldete Linke Seite: Spinnerei mit Rosen, Mischtechnik auf Karton von Christian Ludwig Attersee (2003). Der Künstler bediente sich einer Vorlage von 1834, die eine Spinnereiszene zeigt.
er 1785 seinen mechanischen Webstuhl zum Patent an. Die Funktionen stimmten, aber es bedurfte zweier kräftiger Männer, um die Maschine für kurze Zeit in Gang zu setzen. Der mechanische Webstuhl erreichte erst im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts die volle Praxisreife, und die Industrialisierung der Weberei setzte erst um die Jahrhundertmitte ein. Damit stand das Gründungsjahr der Linz Textil 1838 noch ganz im Zeichen der Industrialisierung der Spinnereien.
Mit dem Selfactor von Richard Roberts (1789–1864), einer Weiterentwicklung der Spinning Mule, gelang 1830 der Durchbruch zur Automatisierung. Bedienpersonal war nur mehr zum Ansetzen der gerissenen Fäden und zum Wechseln der Kopse notwendig.
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Zögerlicher Industriestart in Österreich
Robotmarke für eine halbe Tagesarbeit aus der Linzer Wollzeugfabrik. Sie diente als Beleg für erbrachte Leistungen (1821).
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Die Industrialisierung in Österreich begann, gegenüber England um etwa 30 Jahre verzögert, in Niederösterreich, im Raum südlich von Wien. Das ganze 18. Jahrhundert stand im Zeichen der Manufakturen und einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik. Die österreichischen Merkantilisten, insbesondere Philipp Wilhelm von Hörnigk, vertraten die Ansicht, dass es besser sei, für einen im Inland produzierten Rohstoff zwei Taler auszugeben als für einen importierten Rohstoff einen. Demnach sollten die Rohstoffe Leinen und Wolle gefördert, der Baumwolle aber der Kampf angesagt werden. Die Baumwolle wurde zuerst mit einem vollständigen Einfuhrverbot und später mit in der Höhe schwankenden Zollsätzen belastet. Erst im Jahr 1853, als sich die Baumwollindustrie schon durchge-
setzt hatte und die Wege für die gesamte industrielle Entwicklung Österreichs freigelegt waren, wurde der Import von Baumwolle gänzlich freigegeben und von Einfuhrzöllen befreit. Der Gegensatz zwischen England und Österreich in der Frühphase der Industrialisierung war groß. In England explodierte der Baumwollverbrauch aufgrund der neuen Spinnmaschinen schon im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Die Baumwollimporte stiegen dort zwischen 1771 und 1790 von vier auf 31 Mio. Pfund. In Österreich entstand mit der Spinnerei Pottendorf erst im Jahr 1801 die erste bedeutende industrielle Baumwollspinnerei. Bis dahin gab es im Raum Niederösterreich sechs Baumwollmanufakturen, die größte unter ihnen in Schwechat. Hier wurde in der Zentrale die Baumwollflocke für den Spinnprozess vorbereitet und dann an Heimspinner zur Herstellung
des Garns auf einem Spinnrad vergeben. Der höchste Beschäftigungsstand der sechs Manufakturen zusammen lag bei rund 80.000 Beschäftigten, die Großzahl davon Heimspinner. In Oberösterreich, das über die eigenen Rohstoffe Wolle und Leinen verfügte, war nach dem merkantilistischen Prinzip die Baumwolle ein unerwünschtes Rohmaterial für den Spinnprozess. Auch hier dominierte eine Manufaktur das Marktgeschehen, die „K. k. priv. Wollzeugfabrik“. Die privilegierte Manufaktur hatte gewaltige Ausmaße. Mit knapp 50.000 Beschäftigten im Jahr 1791 war sie vermutlich das größte vorindustrielle Unternehmen auf dem Kontinent. Interessant ist, dass keiner dieser Großbetriebe trotz der starken Marktstellung und der Fachkenntnisse die Industrialisierung schaffte. Alle sechs Baumwollmanufakturen im Raum Wien, wie auch die riesige
Wollzeugfabrik in Linz, gingen aufgrund der Industrialisierungswelle in die Knie. Die Wollzeugfabrik beschäftigte zum Zeitpunkt der Gründung der Linz Textil noch 6.000 Mitarbeiter, 1845 waren es noch 205 Personen und 1851 schloss sie ihre textilen Tore für immer. Die ersten Industriebetriebe in Oberösterreich entstanden noch einmal dreißig Jahre gegenüber dem Raum Wien verzögert in den Jahren 1830 bis 1840 im Raum Linz. Die großen Namen waren Johann M. Rädler, Josef Dierzer und Johann Grillmayr (später auch Grillmayer geschrieben). Es entwickelte sich in der Folge ein kollegialer Wettbewerb zwischen den Betrieben von Grillmayr und Dierzer. Dieses friedliche Match konnte Grillmayr in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für sich entscheiden. Die nachstehende Tabelle zeigt die Spinnstatistik in Österreich für das Jahr 1843:
Spinnerei-Statistik für das Jahr 1843 Anzahl Anzahl Anzahl Produzierte Garne Land Spinnereien Spindeln Mitarbeiter in t Niederösterreich 40 387.468 7.869 6.240 Vorarlberg und Tirol 17 140.718 2.488 2.002 Oberösterreich 5 18.693 398 366 Steiermark 2 12.140 332 209 Gesamt 64 550.019 11.087 8.817 Quelle: J. Slokar, Geschichte der österreichischen Industrie und ihrer Förderung unter Franz I. (Wien 1914) 316; Bericht über die Allgemeine Gewerbeausstellung in Wien 1845 (Wien 1846).
Die 1851 geschlossene Wollzeugfabrik an der Unteren Donaulände in Linz gehörte Ende des 18. Jahrhunderts zu den größten vorindustriellen Unternehmen auf dem Kontinent. Hier wurde der heimische Rohstoff Wolle verarbeitet. Zeichnung von Franz Joseph Preisch, 1795.
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Mitte des 19. Jahrhunderts war Linz von den M채rkten am Hauptplatz dominiert, hatte aber den Anklang einer Provinzstadt. Farbige Lithografie des beschaulichen Treibens am Hauptplatz von Josef Hafner, 1850.
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II. Der Gründer Johann Evangelist Grillmayr (1809–1881) Johann Evangelist Grillmayr ist einer jener sieben Textilindustriellen, die die Anfänge der Industrie im Land Oberösterreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz entscheidend geprägt haben. Man nannte sie die „sieben Fugger“ von Linz und dachte dabei ganz offenbar an die berühmte Augsburger Familie der Fugger, die im 16. Jahrhundert für ihren Reichtum sprichwörtlich geworden war. So reich waren diese oberösterreichischen Industriellen zwar sicher nicht, aber ihre Unternehmungen brachten die Wirtschaft des Landes, die heute so stark von der Industrie geprägt ist, in Bewegung.
Die „sieben Fugger“ von Linz Es waren sieben Männer von ganz entscheidender Tatkraft. Der aus dem alemannischen Raum stammende Josef Rädler war der Schöpfer der ersten Baumwollspinnerei in Oberösterreich. Die Rädler begannen zwischen 1811 und 1814 in der Linzer Innenstadt am Unteren Graben mit einer Baumwollwarenfabrik. Gearbeitet wurde mit Handspinnern und Hauswebern in Linz und Umgebung. Josef Dierzer, der Enkel eines aus dem Rheinland nach Linz gezogenen Wollzeugwebers, der seit 1762 in der Linzer Innenstadt an der Promenade/Schmidttorstraße eine Wollzeugfabrikation betrieb, gründete eine ganze Reihe von Textilfabriken entlang des Traunflusses. 1833 hatte er die erste mechanische Kammgarnspinnerei Oberösterreichs in Theresienthal bei Gmunden begründet, 1838 erwarb er die Weidingermühle in Kleinmünchen (heute Dauphinestraße 11–13),
wo er eine mechanische Schafwollzeugund Teppichweberei samt Färberei und Appretur einrichtete, die er später in eine Baumwollspinnerei umwandelte. Der Linzer Handelsmann Anton Georg Pummerer gehörte zu den Gründern der Lambacher Flachsspinnerei und der Welser Ölmühle. Auf den Fahnentuchweber Franz Honauer geht die „k.k. landesprivilegierte Baum- und Schafwollenfabrik Franz Honauer“ zurück. Der aus der Lombardei stammende „Weberfürst“ Pietro Simonetta, der sich rühmte, so reich zu sein, dass er jeden Stein im Flussbett der Steinernen Mühl mit einem Dukaten bezahlen könne, schuf zwischen 1840 und 1844 in Helfenberg
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Szene aus der Oberen Landstraße am Ausgang des Taubenmarktes in Linz. Hierher war Johann Ev. Grillmayr nach seiner Militärdienstzeit 1835 zurückgekehrt. Farbige Lithografie von Josef Hafner um 1850.
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jene imposanten Fabriksgebäude, die noch heute das Ortsbild der kleinen Gemeinde prägen. Der aus dem Schweizer Kanton Bern stammende Johann Niclaus Vonwiller organisierte von Haslach aus eine sich über drei Kontinente erstreckende Absatzorganisation für Mühlviertler Textilien. Von den Industriegründungen dieser sechs Persönlichkeiten existiert heute keine mehr. Nur die Gründung Johann Evangelist Grillmayrs, des siebten dieser Wegbereiter der oberösterreichischen Textilindustrie, ist heute noch als ältestes Industrieunternehmen von Linz mit technisch modernsten Fabriken voll in Betrieb. Johann Grillmayr nutzte wie alle anderen die Lücke, die durch den Niedergang der staatlich geführten Linzer Wollzeugfabrik im Lande entstanden war. Es waren Aufsteiger, in vielen Fällen Zuwanderer oder wie Grillmayr oft von einfachster Herkunft, die durch ihre Innovationsbereitschaft und ihre organisatorischen Fähigkeiten Reichtum für sich und Wohlstand für die Region schufen.
Johann Grillmayrs Aufstieg begann mit dem Geld seiner Frau. Der 28-jährige Schustergeselle Grillmayr heiratete die 40-jährige Witwe Katharina Hörzinger, die neben sieben Kindern ein beachtliches Vermögen in die Ehe einbrachte.
Der Bauernsohn Grillmayr Der Bauernsohn Johann Evangelist Grillmayr, der am 17. November 1809 in Ehrenreith, Ortschaft Wagenhub in der Pfarre Grünburg in bescheidensten kleinbäuerlichen Verhältnissen geboren worden war, hatte es bis 1838, wenn schon nicht zu einem erheblichen Vermögen, so doch zu überragenden Kenntnissen gebracht. Eine Schulbildung genoss er nur in bescheidenstem Ausmaß. Dass er nie orthographisch richtig zu schreiben oder gelehrt zu formulieren gelernt hatte, soll auch der Grund gewesen sein, dass er trotz seines hohen Ansehens und großen Vermögens nie eine leitende Funktion in der 1849 neu gegründeten Handelskammer oder gar im Landtag oder im Parlament angenommen hat. Doch soll schon dem Lehrer im kleinen Grünburg sein Rechentalent aufgefallen sein, sodass er ihn für eine geistliche Karriere in dem damals für seine naturwissenschaftlichen Schwerpunkte bekannten Kloster Kremsmünster empfehlen wollte. Doch es reichte nur für eine Schusterlehre im heimatlichen Grünburg. Mit 17 Jahren musste Grillmayr zum Militär. Er absolvierte den Dienst in der damals zu Österreich gehörigen Lombardei, in Verona und anderen Garnisonsstädten. Es gab noch die zwölfjährige Dienstpflicht. Weil er das Schuhmacherhandwerk erlernt hatte, arbeitete er als Militärschuster und betrieb seiner rechnerischen Begabung folgend nebenbei kleine Handelsgeschäfte mit italienischen Textilien. Das daraus Ersparte erlaubte es ihm, sich nach acht Jahren vom Dienst
freizukaufen. Was aber offensichtlich viel wichtiger war: Er erwarb sich nicht nur textilwirtschaftliche und kaufmännische Kenntnisse, sondern erlernte auch den Umgang mit fremden Kulturen und anderen Sprachen. Im Jahr 1835 nach Linz zurückgekehrt, fand der 26-Jährige Anstellung beim Ehepaar Franz und Katharina Hörzinger, das einen Zwirn-, Band- und Weißwarenhandel in Linz betrieb und eine Reihe von Hauswebern im Verlag hatte, die mit Garn zu versorgen waren. Grillmayr wurde im Auftrag der Familie Hörzinger zum Garn einkauf nach England geschickt. Dort konnte er sich mit der neuen Technik der Spinnmaschinen vertraut machen, mit den Mule-Jennys und Selfaktoren, deren Export auf den Kontinent immer noch auf erhebliche Schwierigkeiten stieß. Wenn er sich nicht verbotenerweise Skizzen und Pläne angefertigt hatte, so musste er sie sich zumindest so genau eingeprägt haben, dass er sie aus dem Gedächtnis nachbauen konnte. Nach zwei Jahren, also im Lauf des Jahres 1836, kehrte er zurück. Inzwischen war am 28. Mai 1836 Franz Hörzinger verstorben. Am 10. Jänner 1837 heiratete Grillmayr dessen um 12 Jahre ältere Witwe Katharina, die mit sieben unversorgten Kindern, aber einem nicht unbeträchtlichen Vermögen dastand. Trauzeuge und Vormund der Kinder war der Zeugmacher und Linzer Bürger Anton Wöss, der bald darauf auch als Geschäftspartner Grillmayrs auftrat. Das Ganze liest sich wie ein biedermeierliches Märchen: der blutjunge Schustergeselle, der, kaum abgerüstet, nach England geschickt wird, mit Sicherheit ohne jegliche Englischkenntnisse, dort erfolgreich ist, und kaum zurückgekehrt, die Liebe seiner gerade verwitweten Meisterin erringt und sie noch vor Ende der üblichen Trauerzeit heiratet. Noch im Jahr 1837 kauften die neu vermählten Eheleute um
22.000 Gulden ein repräsentatives Haus in der Linzer Altstadt, heute Hofgasse 9, wo sie eine kleine Handweberei und ein Manufakturwarengeschäft einrichteten. Das Haus wurde zum Stammhaus der Firma Johann Grillmayr und zum Firmensitz der späteren Kleinmünchner Aktiengesellschaft. Bis zum Jahr 1942 war hier das Zentralbüro der Kleinmünchner Spinnereien und Weberei AG untergebracht.
1837 erwarb der frisch vermählte Grillmayr das Bürgerhaus Hofgasse 43 (später Nr. 9) in der Linzer Altstadt (viertes Haus von rechts). Es sollte zum Stammhaus der späteren Kleinmünchner AG werden. Kolorierte Fotografie, 1912.
Der Fabriksgründer Im März 1838 begann der Trauzeuge des Ehepaares Grillmayr Anton Wöss an der Traun mit der Errichtung einer „Baumwollgespunst-Fabrika“. Das Wasserrecht hatte er von Ambros und Elisabeth Hager gekauft, mit denen er gemeinsam am 24. November 1838 eine entsprechende Gesellschaft gründete. Nach einer von der Kreisbehörde bereits am 21. August
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Beim Garneinkauf in England lernte Grillmayr die Technik der Spinnmaschinen kennen. So auch die Mule, die dieses Bild aus der Swainson Birley Cotton Mill in der Nähe von Preston, Lancashire zeigt. Zeichnung von Thomas Allom, 1834.
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1838 vorgenommenen Kommissionierung wurde ihm am 25. November 1838 die Errichtungsbewilligung erteilt. Wöss wollte am Jaukermühlenbach zwei Reihen von herkömmlichen Spinnrädern aufstellen, die er statt mit Tretantrieben von einem Wasserrad antreiben lassen wollte. An jedem Spinnrad wäre eine Spinnerin gesessen. Das eigentliche Spinnen sollte weiter von Hand besorgt werden. Ein Mehr an Technik war ihm offensichtlich nicht bekannt. Ob dieses Produktionsmodell, das Wöss direkt von den bäuerlichen Spinnstuben auf seine kleine Fabrik übertrug, überhaupt funktioniert hätte oder einen nennenswerten Produktivitätsgewinn hät-
te bringen können, sei dahingestellt. Wöss fehlte aber offensichtlich nicht nur das nötige technische Know-how, sondern auch das erforderliche Kapital. Am 24. November 1838 sollte die neue Firma ins Handelsregister eingetragen werden. Die k.k. Hofcammer forderte aber für die Betriebsgenehmigung den Nachweis entsprechender Geldmittel, den Wöss nach Ansicht der Behörde nicht erbringen konnte. Wöss musste daher nach einem Partner Ausschau halten. Diesen fand er im Ehepaar Grillmayr. Es war wohl sowohl den familiär-freundschaftlichen Bindungen als auch den technischen Kenntnissen Grillmayrs und der offensichtlichen
Kapitalkraft seiner Frau zu danken, dass sich Anton Wöss mit den beiden zusammenschloss. Johann Evangelist Grillmayr übernahm die für das Ehepaar Hager vorgesehenen Anteile und beteiligte sich zur Hälfte an dem Projekt. Das Fabriksgebäude wurde gegenüber dem ursprünglichen Plan erheblich vergrößert. An die hundert Personen waren mit der Montage der zehn großen Spinnmaschinen beschäftigt, die alle von Grillmayr nach den in England gesehenen Vorbildern selbst konstruiert und gebaut wurden. Am 25. November 1839 wurde erneut ein Ansuchen um die Verleihung der Landesfabriksbefugnis eingebracht. Im entspre-
Oben: Die Schweizer Spinnerei, erbaut 1845/46. Im Hintergrund sind Schloss und Markt Ebelsberg zu sehen. Links: Nach dem Tod seiner ersten Frau Katharina ehelichte Grillmayr Elisabeth, geborene Much. Sie starb ein Jahr nach ihrem Gatten am 13.8.1882.
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Johann Ev. Grillmayrs einziger Sohn Johann Karl (1862–1915), Textilindustrieller in Schwanenstadt und Mährisch-Krumau.
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chenden Akt des Distriktskommissariats Linz heißt es, das Unternehmen beschäftige eine nicht unbedeutende Anzahl von Arbeitern und erzeuge ein namhaftes Quantum Garn. Die Anlage bestehe aus einem zweistöckigen Gebäude und einer Schlosserei, in welcher zehn Gespunstmaschinen gebaut worden seien, die bereits auf vollen Touren laufen. Die Schlosserei beschäftige derzeit 15, die Spinnerei 64 Personen. Die Firma, so fasste das Distrikts kommissariat Linz zusammen, verdiene eine vorzügliche Beachtung, „um den Fabricanten von Baumwollgespunsten die Gelegenheit darzubieten, die notwendigen Gespunste im Inland zu erhalten und ihre Fabricate in jener Vollkommenheit und Wohlfeilheit zu erzeugen, welche den auswärtigen das Gleichgewicht hält.“ Das Ansuchen wurde daher nunmehr positiv beurteilt. Am 26. März bzw. 17. April 1840 wurde von der oö. Landesregierung den Inhabern der Firma Johann Grillmayr et Wöss die k.k. Landesfabriksbefugnis zuerkannt. Am 3. Oktober 1840 wurde die Firma „Johann Grillmayr et Wöss“ protokolliert: „Nach dem Erwerb der Hälfte der beiden Grundstücke Hammer- und Jaukerwiese von den Hagerschen Ehegatten erklären sich Johann und Katharina Grillmayr grundsätzlich bereit, das zum Teil hergestellte Gebäude zu vollenden.“ Da aber Anton Wöss für die Erbauung des Fabriksgebäudes und für die Anschaffung der Maschinen bereits einen bedeutenden Aufwand getätigt hatte, anerkannten die Grillmayrischen Ehegatten die vorgelegte Ausgabenrechnung und verpflichteten sich, die Hälfte davon Anton Wöss zu ersetzen. Die Grillmayrischen Ehegatten erhielten das alleinige Recht auf den Vertrieb der Erzeugnisse über ihre Niederlage in Linz. Wöss schied 1841 aus der Firma aus.
Der Schlossbesitzer Was folgte, war eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte in der Hektik des frühen Maschinenzeitalters, in den hungrigen 1840er-Jahren, während der Revolution von 1848 und in der schwierigen Zeit des Neoabsolutismus, die 1859 mit dem Verlust der Lombardei endete und in die schwere Wirtschaftskrise der frühen 1860er-Jahre führte. Von Grillmayrs Tatkraft und seinem technischen Geschick zeugen seine diesbezüglichen Notizen und Maschinenskizzen, die er bei zahlreichen Reisen und Firmenbesuchen anfertigte. Über Grillmayrs familiäres Schicksal sind nur einige Eckdaten bekannt. Am 12. Jänner 1860 hatte sich das Ehepaar Grillmayr einen standesgemäßen Wohnsitz zugelegt. Um 56.000 Gulden wurde das bei Offenhausen nächst Lambach gelegene Schloss Würting erworben, dazu 200 Joch Grundbesitz und eine Ökonomie. Das stark baufällige, aus dem 16./17. Jahrhundert stammende Wasserschloss wurde von Grillmayr mit viel Liebe und Aufwand renoviert und vom Keller bis zum Dach mit Kunstwerken vollgeräumt. Die Schlosskapelle wurde mit einem neuen Altar ausgestattet. In diese Zeit fällt wohl auch Grillmayrs angebliche Erhebung in den Adelsstand. Das Wappen mit der Magd und den Lilien schmückte den Altar der Kapelle. Dass im Adelsbrief der Name Grillmayr in Grillmayer geändert wurde, dürfte aber wohl auf einen Schreibfehler zurückzuführen sein. Doch das Glück des neuen Schlossbesitzers währte nur ganz kurz. Am 20. Juni 1860 war seine Frau Katharina gestorben. Zwei Tage vor dem Tod seiner Frau richtete er mit seinen Stiefsöhnen Georg, Johann und Julius Hörzinger und seinen Schwiegersöhnen Moritz Cramer und Wilhelm Stucki die Fa. Johann Grillmayr & Söhne ein. Das Gesellschaftskapital wur-
de mit 200.000 Gulden festgesetzt. Die Leitung des Unternehmens verblieb allerdings allein bei Johann Grillmayr. Am 18. Jänner 1862 vermählte sich der 53-jährige Witwer in zweiter Ehe mit der 24 Jahre alten Elisabeth Much, der Tochter des Wiener Hoteliers „Zum Goldenen Hirschen“. Aus dieser Ehe stammte der am 21. Oktober 1862 geborene einzige leibliche Sohn Grillmayrs namens Karl. Im Boom der Gründerjahre nach 1867 wurde auch das Grillmayr’sche Unternehmen vom Börsenfieber erfasst. Doch der Börsegang im Jahr 1872 verlief nicht wirklich glücklich. Die begleitende Bank ging im Börsenkrach von 1873 in Konkurs. Grillmayr musste einen beträchtlichen Teil der Aktien zurückkaufen, was zwar das Unternehmen rettete, ihn selbst aber wesentliche Teile seiner Mittel kostete. Als Präsident der neu gegründeten Aktiengesellschaft blieb Grillmayr nur ein halbes Jahr im Amt. Dann wurde er von Dr. Rafael von Kremer-Auenrode abgelöst. Bis zu seinem Tod 1881, im Alter von 71 Jahren,
blieb Grillmayr Vizepräsident. Durch das Ausscheiden seines Stiefsohnes Johann Hörzinger 1882 aus dem Verwaltungsrat war ab diesem Zeitpunkt kein Grillmayr mehr im Leitungsgremium der Aktiengesellschaft vertreten. Wie hoch ihre Aktienanteile noch waren, ist nicht bekannt.
Oben: Um seinem Anspruch als nunmehriger Schlossherr gerecht zu werden, nahm Johann Ev. Grillmayr die Dienste eines „Wappenbüros“ in Anspruch, was zu jener Zeit bei Großindustriellen in Mode gekommen war. Es entwarf das oben stehende Wappen und produzierte darüber hinaus einen Schreibfehler im Namen, sodass sich der Industrielle fortan „Grillmayer“ statt „Grillmayr“ nannte. Eine Erhebung in den Adelsstand ist nie offiziell erfolgt. Links: 1860 erwarb die Familie Grillmayr das Wasserschloss Würting in der Nähe von Lambach. Lithographie von Leopold Weismann.
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III. Die Geschichte der Linz Textil 1. 1838 bis 1872: Glanz und Elend der Frühindustrialisierung Das Wachstum der Gründung Grillmayrs und des neuen Fabriksortes Kleinmünchen war stürmisch. Kleinmünchen war um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum „Manchester“ Oberösterreichs geworden. Diese Zuschreibung liest man in der Festgabe 1887 des deutschen und österreichischen Alpenvereins zu dessen 14. Generalversammlung in Linz im Jahr 1887. Auch wenn eine derartige Bezeichnung hoffnungslos übertrieben war – für Oberösterreich war sie richtig. 1848 waren in Oberösterreich rund 61.000 Baumwollspindeln installiert, davon rund zwei Drittel in Kleinmünchen, je etwa 12.000 in den von Rädler, Grillmayr und Dierzer hier errichteten Fabriken.
Maschinen, Beschäftigte und Erzeugung der Grillmayr-Fabrik 1840–1859 SpinnJahr maschinen 1840 10 1841 16 1842 30 1843 35 1844 39 1845 145 1846 178 1847 199 1848 205 1851 224 1854 119 1857 127 1859 *
Kinder Garnerzeugung Spindeln Beschäftigte insgesamt Männer Frauen unter 14 Jahren in Tonnen * 79 * * * * 3.600 99 * * * 69 5.732 109 * * * 85 6.736 130 * * * 98 7.334 96 * * * 99 8.754 147 * * * 111 15.046 232 65 87 80 137 11.178 223 65 80 78 175 11.698 302 94 106 102 58 24.488 299 99 113 87 237 26.960 526 199 206 121 266 39.920 526 169 184 173 332 39.086 451 140 196 115 437
Quelle: Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie, 1841–1859.
Grillmayrs erste zwanzig Jahre (1839–1859) Grillmayr baute seine Fabrik Jahr für Jahr weiter aus. Schon im Oktober des Jahres 1841 zog sich Wöss, dem das von Grillmayr so energisch vorangetriebene Projekt zu riskant wurde, aus der Firma zurück. Grillmayr wurde Alleingesellschafter. Für die weitere Entwicklung der Firma war diese Weichenstellung richtungsweisend. Der dynamische Grillmayr führte sein Unternehmen, das nun unter dem Namen „Johann Grillmayr“ firmierte, auf einen raschen Expansionskurs. Waren die ersten Maschinen noch nach Anleitung Grillmayrs in der eigenen Werkstätte erzeugt worden, so dürfte es Linke Seite: Erwerbssteuerschein der Firma „Johann Grillmayr & Söhne“ aus dem Jahr 1860.
ihm doch auch gelungen sein, Mule-Jennys und Selfacting-Spinnmaschinen mit Vor- und Nachwerk direkt aus England zu beziehen. Jedenfalls erhielt dieser erste Fabriksbau später die Bezeichnung „Englische Spinnerei“. Ob das heißt, dass die Maschinen nach englischen Plänen in Linz gebaut wurden, oder ab 1842 tatsächlich aus England kamen, ist ungewiss. Die Energie lieferte ein Wasserrad. 1845/46 wurde ein zweites Spinnereigebäude notwendig. Dafür wurde ein viergeschoßiger Zubau errichtet, dessen Rohbau allerdings beim ersten Bauversuch bei einem schweren Sturm einstürzte. 1846 konnte das Gebäude eröffnet werden. Der Neubau wurde mit Schweizer Spinnmaschinen von Rieter & Cie. ausgestattet. Die Lieferung von Maschinen aus der Schweiz war einfacher als aus
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England. Damals begann die Beziehung zu Johann Jacob Rieter & Cie. in Winterthur, die nie mehr abgerissen ist. In beiden Betrieben waren 1848 zusammen 11.698 Spindeln installiert. Der technikverliebte Grillmayr pflegte seine Betriebe nach der Herkunft der Spinnmaschinen zu bezeichnen. So nannte er die neu entstandene Spinnerei die „Schweizer“ und die 1856 errichtete dritte Fabrik mit modernen Turbinen, Gasbeleuchtung und Dampfkesseln die „Neue Englische“, da sie wiederum mit englischen, diesmal tatsächlich in England gebauten Maschinen, ausgerüstet wurde. In der alten englischen Spinnerei wurde 1859 eine mechanische Weberei eingerichtet. Zu diesem Zeitpunkt standen
bereits 58 mechanische Kraftwebstühle und in der sogenannten Musterweberei 25 Regulatorstühle in Betrieb. Diese vollständige Umrüstung der Spinnerei nahm allerdings nahezu zehn Jahre in Anspruch und war erst Anfang der 1870erJahre abgeschlossen. Die Umrüstung auf mechanische Webstühle in Kleinmünchen erfolgte durchaus auf der Höhe der Zeit und zeitgleich mit dem Wachstum der Webereien um Reichenberg in Nordböhmen. Bis dahin hatte Grillmayr als Verleger etwa 200 Handweber im Mühlviertel beschäftigt.
Die Englischen Spinnereien. In der „Alten Englischen“ wurde 1859 eine mechanische Weberei eingerichtet. Aufnahme von 1924.
Linke Seite: Eine Schützenwebmaschine mit Oberschlag aus dem Jahre 1860. Zwei horizontal bewegte Schlagstöcke mit Lederriemen treiben peitschenartig den Picker im Schützenkasten.
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Revolution!
Detailansicht einer Spinning Mule von Samuel Crompton. Ihre Bedienung war harte Arbeit. Die reguläre Arbeitszeit betrug 84 Stunden pro Woche.
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Die Erfolge, die Grillmayr im ersten Jahrzehnt zu verzeichnen hatte, waren spektakulär. 79 Personen waren 1840 zum Zeitpunkt der Privilegserteilung in der neuen Fabrik des Ehepaars Grillmayr beschäftigt. Zehn Jahre später waren es mehr als 300, in den 1850er-Jahren bereits mehr als 500. Vierzehn Stunden war die tägliche Arbeitszeit in den Fabriken des Vormärz, dies sechs Tage die Woche, von Montag bis Samstag, macht 84 Stunden pro Woche. Die Arbeitszeit in den Kleinmünch-
ner Spinnereien dauerte gewöhnlich von fünf Uhr früh bis acht Uhr abends, mit einer Stunde Mittagspause. Das Morgenund Abendbrot wurde bei weiter laufenden Maschinen eingenommen, „nicht mit gänzlicher Einstellung der Arbeit, sondern in der Art, dass jeder Arbeiter nach und nach auf höchstens eine halbe Stunde sich entfernt“. Bei Produktionsausfällen während der Woche konnte auch eine Sonntagsarbeit angeordnet werden. Das Spinnen an den Mule-Jennys war eine körperlich harte Arbeit. Die Textilindustrie in der Anfangszeit war von Kin-
derarbeit geprägt. Die Männer bedienten die Maschinen, die Frauen steckten die Spindeln auf, die Kinder knüpften die gerissenen Fäden. Der Anteil der Kinder unter 14 Jahren an der gesamten Belegschaft lag auch in Grillmayrs Betrieben bei etwa einem Drittel. Die Frauen machten fast 40 Prozent aus. Der tägliche Lohn in der Grillmayr-Fabrik wurde mit 16 Kreuzer pro Tag angegeben. Für Verspätungen wurden hohe Strafbeträge in Abzug gebracht. Voll gearbeitet und ohne Abzüge konnte ein Arbeiter etwa eineinhalb Gulden pro Woche verdienen, oder etwa 75 Gulden pro Jahr. Für Freizeit blieb den Arbeitern der Frühindustrialisierung bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 80 Stunden nicht viel. Am Sonntag musste man in die Messe, die Kinder in die Sonntagsschule. Das Quartier musste man in unmittelbarer Betriebsnähe nehmen, sonst war das nicht zu schaffen. In den späten 1840er-Jahren lag Revolution in der Luft. Das Revolutionsjahr 1848 verlief in Linz jedoch recht ruhig. Die Linzer Arbeitslosen meinten zwar, man müsste hinausziehen nach Kleinmünchen, zum Grillmayr und zum Dierzer, um diesmal deren vermaledeite Maschinen, die den Spinnern und Webern nur Unglück brächten, kurz und klein zu schlagen. Ein Flugblatt, unterzeichnet von den „Dreißig Verschworenen von Linz“, kursierte in der Stadt: „Dierzer, Rädler und Grillmaier stehlen euch Arbeit und Verdienst, sie werden reich und ihr arm, brennt ihre Fabriken nieder! Wir sind dreißig Verschworene, wir führen Euch, folgt uns, wenn die Losung auf den Dächern leuchtet, auf, rächt euch, holt euch Brot und schützt eure heiligen Menschenrechte. Auf! Verliert keine Zeit!“ Der Aufruf richtete sich auch gegen den wohlmeinenden Regierungsrat Adolf Ludwig Graf Barth-Barthenheim, der die Arbeiter zu einem Essen einge-
laden hatte und sie nachträglich informierte, dass er ihnen Pferdefleisch vorgesetzt habe: „Graf Barthenheim gibt euch Rossfleisch zu essen, dass ihr alle krank werdet. Nieder mit ihm! Schlagt ihn tot! ...“ Anders als in Wien blieb es in Linz dennoch recht ruhig. Vielleicht erschien der Marsch nach Kleinmünchen den Revolutionären doch zu lang. Es gab nur den als „Mostrevolution“ bekannt gewordenen Sturm auf die Verzehrungssteuerlinie und einige „Katzenmusiken“ vor den Fenstern bekannter Reaktionäre.
„Der freie Linzer-Postillon“ vom 27. Dezember 1848 stellt die Frage: „Was wird aus Österreich noch werden?“ Trotz der Revolution blieb es in Linz und Kleinmünchen recht ruhig.
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Die Cholera Fast 1000 Arbeiter, Arbeiterinnen und Kinder waren in den 1850er-Jahren in den drei Spinnereien Kleinmünchens beschäftigt. Innerhalb eines Jahrzehnts war aus dem kleinen Bauern- und Fischerdorf ein Industrieort geworden. Man brauchte unbedingt Unterkünfte für die vielen Arbeitskräfte, die aus dem oberösterreichischen und südböhmischen Raum angeworben worden waren. Grillmayr versuchte das Wohnungsproblem vorerst nicht durch Bautätigkeit zu beheben, sondern indem er bestehende Mühlen und Bauernhäuser ankaufte, die in Arbeiterkasernen umfunktioniert wurden. Damit konnte er zwei Probleme mit einem Streich angehen: Es konnten nicht nur die Quartierprobleme notdürftig gelöst werden, sondern, was viel wichtiger war, das Unternehmen kam an die so wichtigen Wasserrechte, die mit diesen Mühlen und Bauernhäusern verknüpft waren. Bis 1860 wurden elf Häuser angekauft und in Arbeiterwohnungen umgestaltet. Mit den Gebäuden wurden auch die Liegenschaften erworben, sodass die Kleinmünchner Spinnerei bald zum größten Grundbesitzer des Ortes aufrückte. Auch Baracken, die für die Arbeiter an der Westbahn errichtet worden waren, wurden übernommen. Entscheidend war die Fabriksnähe. Denn bei der 14-stündigen Arbeitszeit war es für die Arbeiter unmöglich, noch zusätzliche längere Wegzeiten zu bewältigen. An ein Fahren zur Arbeit war ja ohnehin nicht zu denken. Viel Komfort darf man sich von den frühen Arbeiterwohnungen nirgendwo erwarten. Es waren „Kasernen“ mit nicht
nur aus heutiger Sicht dramatisch anmutenden hygienischen und sanitären Zuständen. Die Überfüllung, wo in jeder Kammer vier bis sechs, ja acht bis zehn Personen untergebracht waren, erlaubte keinerlei Komfort und Intimität. Da die wenigen Aborte für eine so große Zahl von Leuten nicht ausreichten, war nicht nur der Gestank bestialisch, Schmutz und Ungeziefer förderten auch die Krankheitsherde. Zudem gab es viel zu wenig gutes Trinkwasser. 1855 brach in Kleinmünchen die Cholera aus. Darüber ist ein Bericht des nach Kleinmünchen gesandten Arztes Dr. Franz Keinzelsberger vorhanden, den dieser an die Kreisbehörde geschickt hatte. Die Erkrankten gehörten in der Mehrzahl den Beschäftigten der Spinnereibetriebe an. Die Seuche brach zunächst im Grillmayr’schen Haus Nr. 1 aus, dann im Fuchsenhaus und in den anderen Häusern. In den Fabriken wurden Krankenzimmer eingerichtet, im Franzosenhaus ein Notspital. Die Cholera forderte in ganz Kleinmünchen 61 Todesopfer, weitaus die meisten aus der Textilarbeiterschaft.
Angehörige der Rettungsabteilung Kleinmünchen um 1910. Bis nach dem Ersten Weltkrieg stand es schlecht um die Gesundheit der Kleinmünchner Arbeiterschaft.
Linke Seite: Kinderreiche Familien in zum Teil prekären Wohnverhältnissen. Um Hygiene und sanitäre Versorgung war es schlecht bestellt. Aufnahme aus der Aschensiedlung um 1905.
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1872/73: Börsegang und Börsenkrach
Josef Dierzer v. Traunthal (1800–1857), Textilindustrieller und Politiker
Adolf Hofmann, 1881–1885 Vizepräsident des Verwaltungsrates
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Ende der 1850er-Jahre erreichte die Westbahn Kleinmünchen. Ab 1860 gab es eine durchgehende Eisenbahnverbindung von Wien nach München. Damit war die Verkehrsanbindung auch für Kleinmünchen auf eine neue Basis gestellt. Die frühen 1860er-Jahre waren keine leichten Jahre für die Textilindustrie. 1859 war die Habsburgermonarchie in einen verlustreichen Krieg verwickelt und die reiche Lombardei verloren gegangen. Der amerikanische Bürgerkrieg verteuerte den Rohstoff Baumwolle drastisch. Die Preise für Rohbaumwolle kletterten auf das Vier- bis Fünffache. Die Einfuhr von Baumwolle nach Österreich fiel 1862 um mehr als 56
Prozent. Im Ganzen rechnete man, dass von 350.000 Menschen, die im Jahr 1861 in der cisleithanischen Baumwollindustrie beschäftigt waren, Anfang 1864 nur noch ein Fünftel Arbeit hatte. Österreich litt unter einer schweren Wirtschaftskrise. Doch nach dem Krieg von 1866, der mit der Niederlage gegen Preußen und dem Verlust Venetiens endete, folgte ein unerwarteter Konjunkturaufschwung, der bis 1873 anhielt: Österreichs große Gründerzeit, die zu einem Börseboom führte, der – wie so häufig – mit einem großen Krach endete. Die Eisenbahnbrücke der Kaiserin-Elisabeth-Bahn über die Traun von Ebelsberg nach Kleinmünchen. Links das Schloss Ebelsberg, rechts die Gebäude von Grillmayrs Unternehmen, 1859.
Auch Oberösterreich wurde von der Börsenhektik erfasst. 1869 wurde von Carl Franz Planck zusammen mit Linzer Kaufleuten und Industriellen (unter anderen Josef Dierzer und Adolf Hofmann) und dem Wiener Bankhaus S. M. v. Rothschild das Bankhaus „J.M. Scheibenpogens Eidam“ als „Bank für Oberösterreich und Salzburg“, kurz „Oberbank“ an die Börse gebracht. Im Jahr 1870 wurde als Konkurrenz die „Industrial- und Commer zialbank für Oberösterreich und Salzburg“, kurz Commerzbank, gegründet. Erster Geschäftsbericht der 1872 gebildeten Aktiengesellschaft und Tagesordnung der Generalversammlung 1875. Der Börsenkrach von 1873 hätte das Unternehmen beinahe seine Existenz gekostet.
Ihre bedeutendste Transaktion war die 1872, am Höhepunkt des Börsebooms, erfolgte Umwandlung von Johann Grillmayr und Söhne in die „Aktiengesellschaft der Kleinmünchner Baumwollspinnereien und mechanischen Weberei“, zweifellos ein recht umständlicher Name. Mit einem Aktienkapital von 1,5 Mio. Gulden übernahm die neue Gesellschaft die Fabriken und Liegenschaften in Kleinmünchen und St. Peter aus dem Besitz von Johann Grillmayr & Söhne. Insgesamt etwa 45.000 Spindeln, 181 mechanische Webstühle und eine Wasserkraft von 410 PS aus Wasserrädern und Turbinen umfasste der Maschinenpark. Hauptaktionär war die Commerzbank, die ein großes Aktienpaket im Portefeuille behielt oder nicht
Bankier Josef Hafferl – hier in seiner Uniform als Obmann der Freiwilligen Feuerwehr Linz – war Mitglied des Verwaltungsrates und zugleich Direktor der Commerzbank.
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Aktie der Kleinmünchner Bauwollspinnereien und mechanischen Weberei von 1872, als das Unternehmen inmitten des Börsebooms in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.
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mehr unterbringen konnte. Was Grillmayr zu dem Schritt bewogen hatte, sein Familienunternehmen an die Börse zu bringen, ist unbekannt. Mit dem frischen Kapital hätte sich zweifellos eine weitere Expansion finanzieren lassen. Oder Grillmayr war alt geworden, wollte sein Leben genießen und sich mehr nach privaten Bedürfnissen orientieren. Vielleicht lockte auch das leicht verdiente Geld. Doch der Wiener Börsenkrach am 9. Mai 1873 machte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung. Beide neuen Aktienbanken Oberösterreichs, die Oberbank wie die Commerz-
bank, wurden von der Börsenkrise voll erfasst. Die Commerzbank musste im Unterschied zur Oberbank am 25. Juli 1873 nach einem Sturm auf ihre Kassen ihre Zahlungen einstellen. Ihr Zusammenbruch gefährdete auch Grillmayrs Lebenswerk. Er musste eingreifen. Es gelang ihm, unter Aufbietung aller wo immer verfügbaren Mittel sämtliche 700 gefährdeten Aktien aus der Konkursmasse der Commerzbank herauszulösen und weitere 1.800 Stück von verschiedenen privaten Besitzern zurückzukaufen und zu vernichten. Diese mit einer Kapitalverminderung verbundene Aktion rettete das
Unternehmen. Das Aktienkapital wurde von 1,5 Mio. Gulden auf 950.000 Gulden reduziert. Die Kosten für Grillmayr dürften hoch gewesen sein. Die Stelle des Präsidenten der Kleinmünchner bekleidete er nur kurz. Noch im ersten Jahr wurde er von Dr. Rafael Ritter von Kremer-Auenrode abgelöst. Er blieb zwar Vizepräsident, aber seine Unternehmensanteile waren deutlich reduziert worden. Sein Tod im Jahre 1881 beendete den direkten Einfluss der Familie Grillmayr in der Aktiengesellschaft der Kleinmünchner Spinnereien und Weberei.
Oben: Ein Inserat der Bank für Oberösterreich und Salzburg am Linzer Hauptplatz Nr. 34. Unten: Auf der Wiener Weltausstellung 1873 stellte die Kleinmünchner AG Webstühle sowie Webund Garnmuster aus und errang damit mehrere Auszeichnungen.
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2. 1873 bis 1945: Der Weg zur größten Spinnerei Österreichs Die Bewährungsprobe der Aktiengesellschaft Dank Johann Grillmayrs beherztem Eingreifen konnte die neu gegründete Aktiengesellschaft der Kleinmünchner Spinnereien und Weberei ihr erstes Jahr überstehen, während die Gründungsbank und Hauptaktionärin, die Industrie- und Commerzialbank für Oberösterreich und Salzburg, zusammengebrochen war. In den nächsten zwei Jahrzehnten zwischen 1873 und 1896, die in die österreichische und europäische Wirtschaftsgeschichte als „große Depression“ eingegangen sind, konnte sich die Kleinmünchner Aktiengesellschaft hervorragend weiterentwickeln. Erstmals seit den späten 1850er-Jahren wurde in Kleinmünchen wieder in größerem Umfang investiert. 1874 zählte die Kleinmünchner 44.710 Spindeln, ganz Oberösterreich 96.738. Auf das heutige Österreich bezogen war das ein relativ kleiner Anteil: Niederösterreich hatte im selben Jahr 419.550 Spindeln in 25 Betrieben, Vorarlberg 174.158 in 14 Betrieben. Jetzt, in der zweiten Hälfte der 1870er-Jahre, die allgemein als Krisenjahre gelten, begann in Linz ein frischer Wind zu wehen. Bis 1918 konnte sich das Kleinmünchner Unternehmen zur größten Spinnerei in der neuen Republik entwickeln. Die Kleinmünchner Arbeiter waren im Linzer Raum die ersten, die bereits in den 1870er-Jahren Telefone zu bedienen lernten. 1876 bis 1879 erfolgte in ZusammenLinke Seite: Plandarstellung der Schweizer Firma Rieter/ Winterthur über das „Reorganisationsprojekt“ der alten Schweizer Spinnerei mit 16.656 Selfaktor-Spindeln aus dem Jahre 1893.
arbeit mit der Firma Rieter die Errichtung der „Neuen Schweizer“ als Zubau zu der seit 30 Jahren bestehenden „Alten Schweizer“. Das dreigeschoßige Gebäude stand bis 1945 in Verwendung. Die Anordnung der Produktionsabläufe in die-
Das erste Briefpapier der Aktiengesellschaft aus dem Jahre 1875 mit dem Bericht über die im Baumwollmagazin befindlichen Lagerbestände in der Verkaufsniederlage in Wien.
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Plan der Firma Rieter/Winterthur über die maschinelle Ausgestaltung der Zizlauer Spinnerei, 1884.
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ser neuen Fabrik erfolgte nicht mehr von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Die schweren Maschinen wie Öffner, Schlagmaschinen, Karden, Strecken und Vorspinnmaschinen befanden sich nunmehr im Erdgeschoß, die Feinspinnmaschinen und Spulmaschinen in den oberen Geschoßen. Aber es waren
immer noch mehrstöckige Fabriksgebäude, die aufwendige vertikale Transporte notwendig machten. Die Zentralantriebe erlaubten keine andere Anordnung der Maschinen. Die neue, dreistöckige Spinnerei hatte einen Grundriss von 37 x 30 m. Zwei Turbinen lieferten die nötige Energie, die
über Transmissionswellen und Treibriemen auf die Maschinen verteilt wurde. Im März 1884 entschied sich der Verwaltungsrat für den Bau eines weiteren Spinnereigebäudes am Gelände der seit 1859 zum Firmenbesitz gehörenden Eßmühle unweit der Mündung der Traun in die Donau am Zizlauer Bach. Gebaut wurden
eine Kraftzentrale und unmittelbar daran anschließend die Fabriksobjekte. Ein dreigeschoßiges Putzereigebäude und ein dreigeschoßiger Spinnereikomplex (38,6 x 33,1 m, später erweitert auf 71,5 x 33,1 m) wurden errichtet. Östlich davon entstand ein Kesselhaus für die Beheizung der Arbeitssäle. Man errechnete eine verfügbare
Ein Teil der frühen maschinellen Ausstattung der Kleinmünchner aus einem Katalog der Firma Joh. Jacob Rieter & Co. von 1889.
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Carl Reichel, Generaldirektor (1894–1910)
Ludwig von Gallois, Technischer Direktor (1890–1928)
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Kraft von etwa 800 PS. Daraus ergab sich eine mögliche Spindelzahl von 50.000 bis 60.000. So viel wollte man allerdings in einem Zug nicht riskieren. Man installierte vorerst zwei Turbinen à 200 PS, mit denen etwa 24.000 bis 30.000 Spindeln bedient werden konnten. Eingerichtet wurden vorerst 14.472 Spindeln. Eine Ausweitung auf 30.000 war eingeplant. Die elektrische Ausrüstung wurde von der Österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaft in Steyr geliefert, deren herausragende Leitfigur Josef Werndl war. 1906 wurde die benachbarte, bereits stillgelegte Kunstmühle der „Actiengesellschaft für Mühlen- und Holzindustrie“, vormals Brüder Löwenfeld & Hofmann, mit den Wasserkräften am Jaukerbach um 700.000 Kronen erworben und zur sogenannten „Mühlenspinnerei“ mit etwa 18.000 Spindeln umgebaut. Die Umrüstung von Gruppenantrieben mit Transmissionen auf Einzelantriebe mit Elektromotoren wurde zwar durchgeführt, doch der zugehörige Kraftwerksbau konnte erst nach 1945 erfolgen. Gleichzeitig er-
folgte ein weiterer Ausbau der Spinnerei Zizlau um gut 9.000 Ringspindeln auf insgesamt 28.000 Spindeln. Die Zahl der in den sechs Spinnereien des Unternehmens aufgestellten Spindeln konnte ab 1900 innerhalb eines Jahrzehnts fast verdoppelt werden. Die Zahl der Beschäftigten stieg auf über 900. Der Wert der verkauften Garne und Gewebe erhöhte sich um 75 Prozent auf rund 5 Mio. Kronen. Damit war die Kleinmünchner vor dem Ersten Weltkrieg zur größten Textilfabrik in Oberösterreich geworden. 1902 lag die Kleinmünchner Spinnerei mit etwa 750 Beschäftigten an zweiter Stelle im Linzer Betriebsranking. Nach 1918 war sie der größte Betrieb. Das Aktienkapital wurde in mehreren Schritten von 2 Mio. Kronen auf 2,6 Mio. und zuletzt auf 4 Mio. Kronen erhöht. Die Union-Bank übernahm den größten Teil des neu emittierten Aktienpakets. Zwei Persönlichkeiten prägten die so erfolgreiche Entwicklung der Kleinmünchner vor dem Ersten Weltkrieg: Der junge Linzer Ingenieur Ludwig von Gallois und der aus
Böhmen stammende Generaldirektor Carl Reichel. Ludwig von Gallois war wenige Monate nach dem Tode Grillmayrs in das Unternehmen eingetreten. Er entstammte einer alten Lothringischen Hugenottenfamilie, die im Vormärz nach Linz übersiedelt war. Gallois war neben Josef Werndl einer der ersten in der oberösterreichischen Industrie, der sich mit dem Problem der Erhöhung der Produktivität intensiv beschäftigte und nach dauernder Verbesserung strebte. Neben dem Techniker Gallois war die zweite starke Persönlichkeit der Kaufmann Carl Reichel, der 1894 zum Generaldirektor ernannt wurde. Er war ein Fachmann für das internationale Baumwollgeschäft. Eingekauft wurde in Alexandria oder in Liver-
pool. Ägyptische Baumwolle kam über Triest, alle Überseesorten, insbesondere die amerikanischen kamen über Bremen. Die Baumwollmärkte waren sehr instabil. Die Preise schwankten extrem stark. Das Wohl und Wehe einer Spinnerei hing daher sehr wesentlich vom Geschick und Gespür der Einkäufer ab.
Oben: Belegschaft der mechanischen Weberei mit einer Auswahl an Erzeugnissen im Jahre 1903. Unten: Ansichtskartenmotiv mit Blick in Richtung der Mühlenspinnerei und des Marktes Ebelsberg. Der Ausschnitt rechts zeigt die hölzerne Traunbrücke um 1910.
Linke Seite: Ansicht der Zizlauer Spinnerei. Man richtete sie vorerst auf rund 14.500 Spindeln ein, obwohl die technischen Voraussetzungen 50.000-60.000 ermöglicht hätten.
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Blick vom Wasserturm der Schweizer Spinnerei über die Dächer der Aschensiedlung zwischen Grillmayer- und Schnopfhagenstraße. Im Hintergrund sind der Bahnhof Kleinmünchen (links) und die Spinnerei Zizlau (rechts oben) zu erkennen. Ihr sind die zu Wohnzwecken umgebauten Höfe vorgelagert. Um 1935.
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Soziale Errungenschaften Schrittweise wurde die soziale Situation der Kleinmünchner Arbeiterschaft besser. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die Kinderarbeit zu Ende, nicht nur wegen der Sozialgesetzgebung, sondern auch wegen der Verbesserung der Spinnmaschinen, die das Fadenknüpfen, für das die Kinder eingesetzt worden waren, nicht mehr notwendig machten. Die Arbeitszeit wurde schrittweise verkürzt, von 14 auf 11 Stunden und weiter auf 10 Stunden. Der 8-Stunden-Tag bzw. die 48-Stunden-Woche war das Ziel, das 1918 auch erreicht wurde. 1868 fand die erste große Arbeiterversammlung in Kleinmünchen statt. 1870
war in Kleinmünchen ein Arbeiterkonsumverein gegründet worden, der sich ungewöhnlich gut entwickelte. Die Statutengenehmigung erfolgte am 21. März 1870. 1878 wurde ein „Kleinkinderbewahr-Anstalts-Verein“ gegründet. Wilhelm Löwenfeld stellte ein Grundstück und 24.000 Gulden zur Verfügung. Finanziert wurde der Verein aus Jahresbeiträgen der Mitglieder und Verpflegungsgebühren für die Kinder, dazu mit Beiträgen von Gemeinde und Wohltätern. Die Anstalt war von 5 Uhr morgens bis 19 Uhr 30 geöffnet. Die Kinder wurden ab dem vollendeten 3. Lebensjahr aufgenommen. Im Jahr 1890 gab es auch schon eine Kantine. Ab den 1880er-Jahren erhielten für die Arbeiter auch eine verpflichtende Kranken-
und Unfallversicherung. Was aber immer noch fehlte, waren eine Sicherung gegen Arbeitslosigkeit und vor allem eine geregelte Altersvorsorge. Die starke Zuwanderung nach Kleinmünchen, vor allem aus dem südböhmischen Raum, hielt angesichts des Wachstums der Fabriken weiter an, sodass vermehrt Wohnraum geschaffen werden musste. 1876 wurden drei Häuser für je sechs Parteien errichtet. 1895 bis 1914 folgte eine zweite Phase, in der eine eigene Werkssiedlung gebaut wurde, die sogenannten Aschensiedlung, elf einstöckige Vierfamilienhäuser und 16 Doppelhäuser mit einer Wohnungsgröße zwischen 32 und 45 m2. Aschenhäuser wurden sie genannt, weil sie aus Steinkohlenasche und Zement er-
Ganz oben: Arbeiterschaft um 1910. Schrittweise hatte sich ihre Situation seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts verbessert. 1918 wurde die 48-Stunden-Woche eingeführt. Oben: Häuser in der zwischen 1895 und 1914 errichteten Aschensiedlung. Daneben waren auch ehemalige Bauernhöfe vom Unternehmen angekauft und zu Wohnzwecken umgestaltet worden.
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Am 9. Juni 1903 besuchte Kaiser Franz Joseph in Begleitung von Generaldirektor Reichel und dem Präsidenten des Verwaltungsrates, Emil Dierzer von Traunthal, die Aschensiedlung. Für die besichtigte Wohnung stellte die Fabriksdirektion Möbel und Teppiche zur Verfügung, um einen höheren Lebensstandard der Arbeiter vorzutäuschen. Trotzdem: Die Siedlung galt auch im europäischen Vergleich als vorbildlich.
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richtet worden waren, oder auch „VierTüren-Häuser“, weil jedes Haus vier Eingänge hatte, zwei an der Straßenfront und je einen an jeder der zwei Schmalseiten. Am 9. Juni 1903 besuchte Kaiser Franz Joseph die Fabrik und die Siedlung: Er zeigte sich sehr beeindruckt. Er habe sich sehr gefreut, war der obligate Kommentar. Er wurde auch in einige der Arbeiterwohnhäuser geführt, die extra fein herausgeputzt worden waren. Die Fabriksdirektion stellte den Arbeitern für den Kaiserbesuch extra Möbel zur Verfügung, die anschließend rückgestellt werden mussten. Die dafür aufgelegten Teppiche wollte selbst der Kaiser nicht glauben.
1918 gab es 48 Arbeiterwohnhäuser, die zur Unterbringung der rasch angestiegenen Belegschaft dienten. Etwa 400 Familien waren in Werkswohnungen untergebracht.
Der Erste Weltkrieg im Hinterland Obwohl es anders als im Zweiten Weltkrieg im Hinterland keine Zerstörungen gab, wurde die Geschäftstätigkeit der Textilindustrie durch den Ersten Weltkrieg schwer beeinträchtigt. Die Kleinmünchner Spinnereien und Weberei AG war kein kriegswichtiger Betrieb, obwohl man den militärischen Bedarf auch an
Uniformstoffen nicht unterschätzen sollte. Man verfügte im Jahr 1914 nur über sehr geringe Baumwollvorräte. Bereits im Herbst 1914 musste wegen Rohstoffmangels eine Verringerung der Produktion um die Hälfte bekannt gegeben werden. Im Jänner 1915 gelang noch einmal eine kurzfristige Aufstockung der Baumwollvorräte. Nach dem Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 war man von der Baumwollversorgung nahezu völlig abgeschnitten. Ein Werk nach dem anderen musste stillgelegt werden, zuerst die Mühlenspinnerei, dann die Schweizer und die Zizlauer. Die Weberei produzierte noch für das Militär, 1916 sogar mit voller Auslastung. Wegen des Rohstoffmangels wurden immer mehr Papiergarne verarbeitet. 1917 produzierte man nur mehr Papiergewebe und Papiersäcke. Für 1918 vermerkte der Geschäftsbericht: „Der Spinnerei wurden einige kleine Partien Baumwolle zugewiesen, welche für bescheidenen Lohn auf Garne gesponnen wurden. Sonst wurden nur Papiergarne erzeugt, die von den eigenen Webereien verarbeitet wurden. Die Produktion
bewegte sich im Rahmen des Vorjahres. Die Beschäftigtenzahl war auf unter 400 abgesunken: fast nur Frauen und alte Männer.“ Den Spinnereien in der Nachbarschaft erging es teils noch schlechter. Dierzer mit rund 20.000 Spindeln und 220 Beschäftigten musste schon im Jahr 1914 den Betrieb einstellen. Das Unternehmen hatte nach Emil Dierzers Tod im Jahr 1904 immer mehr an unternehmerischem Schwung verloren. Emil Dierzer hatte seit 1882 auch dem Verwaltungsrat der Kleinmünchner Spinnereien und Weberei AG angehört, von 1902 bis 1904 sogar als ihr Präsident. Ob Dierzer in seinen letzten Lebensjahren eine Fusion seines eigenen Unternehmens mit jenem der Kleinmünchner anstrebte oder eine eigene Aktiengesellschaft plante, ist unklar. Die Schwierigkeiten im Krieg führten schließlich zum Verkauf des Dierzer-Werkes an den großen Nachbarn, die Kleinmünchner. Als die Dierzer am 11.7.1917 von der Kleinmünchner erworben wurde, zählte sie nur rund ein Viertel der 80.000 Spindeln der Kleinmünchner. Und alle standen sie still. Doch die 700.000
Emil Dierzer Ritter von Traunthal, stellvertretender Landeshauptmann und Präsident des Verwaltungsrates (1902–1904) Links oben: Die Dierzer-Fabrik, gelegen an Weidingerbach und Dauphinestraße. Die ehemalige Mühle wurde 1838 von Joseph Dierzer in einen Textilbetrieb umgewandelt.
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Kronen, die die Kleinmünchner bezahlt hatte, waren dennoch gut angelegt. Ein paar Jahre später wären sie wertlos gewesen. Im September 1917 kaufte man auch noch die k.k. privilegierte Baumwollspinnerei und Weberei F.C. Hermann in Reutte mit 21.000 Spindeln und 630 Webstühlen, auch dies vorausschauend: Die Webstühle waren nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie in der neuen Republik Österreich knapp, während bei Spindeln Überfluss herrschte. Der Kleinmünchner standen daher zu Kriegsende 5 Betriebe mit zusammen 101.000 Spindeln und 524 Webstühlen zur Verfügung. Dazu kam die 1917 erKapazität der Kleinmünchner Spinnerei und mechanischen Weberei um 1919
Die 1917 erworbene Baumwollspinnerei und Weberei F.C. Hermann in Reutte war eine strategische Investition angesichts der zerfallenden Monarchie.
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Betrieb
Spindeln
Spinnerei I (Kunstmühle) Spinnerei II (Schweizer) Spinnerei III (Zizlau) Spinnerei IV (Dierzer) Weberei (Englische) Reutte (Tirol) gesamt
18.000 34.000 28.000 21.000 * 21.000 122.000
Webstühle 86 * * * 438 630 1.154
worbene Spinnerei und Weberei Reutte/Tirol mit 21.000 Spindeln und 630 Webstühlen. Insgesamt hatte das Unternehmen 122.000 Spindeln, in der Hauptsache Selfaktoren. In den beiden Webereien standen 1.154 mechanische
Webstühle zur Verfügung. Es gab eine Bleicherei, eine Färberei, eine Appretur, eine Ökonomie, eine Eisfabrik und eine große Zahl von Arbeiterhäusern, alles zusammen etwa 70 Gebäude. Es waren über 2.000 Arbeiter beschäftigt. Die
Kleinmünchner war die größte Textilfabrik Österreichs. Dennoch war man einer unter vielen: 1910 zählte die Habsburgermonarchie 4,7 Mio. Spindeln, Frankreich 7,2 Mio., Deutschland 10,3 Mio., die USA 28,5 und Großbritannien 53,9 Mio.
Textilarbeiterinnen und -arbeiter der benachbarten Bauwollspinnerei Dierzer, die 1917 von der Kleinmünchner übernommen wurde.
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Das kleine Österreich und die große Inflation Die Schwierigkeiten im neuen, kleinen Wirtschaftsraum der jungen Republik Österreich waren groß. Österreich hatte viel zu viel Spinnkapazität für die wenigen Webereien. Die gewohnte Arbeitsteilung mit dem Sudetengebiet, wo die Webereien standen, war nicht mehr so leicht fortzusetzen. Auch innerhalb der Kleinmünchner war die mit 120.000 Spindeln mögliche Garnproduktion viel zu hoch, um auf den eigenen Webstühlen verarbeitet werden zu können. Auch fehlte es immer noch an Baumwolle. Die Produktion von Papiergarnen wurde noch bis 1920/21 weitergeführt. Die Rückumstellung auf Baumwolle konnte nur langsam erfolgen. Die schwankende Auftragslage und die Spinnereiüberkapazität führten immer wieder zu Betriebseinschränkungen und Kurzarbeit. Die Auslastung lag zeitweise nur bei etwa 60 Prozent. Der größere Teil der Produktion erfolgte in Lohnarbeit für andere Unternehmen. Die Kleinmünchner hatte die Hyperinflation der Nachkriegszeit erstaunlich gut überstanden. Es kam zu keiner Kapitalerhöhung und zu keiner Verwässerung der Kleinmünchner Aktien. Während die Spinnerei mit enormen Überkapazitäten zu kämpfen hatte, war die Weberei ausgesprochen gut beschäftigt. Die Bilanz 1924 schloss mit einem Reingewinn von 5 Milliarden Kronen. Die Aktionäre erhielten 1924 eine Dividende von 5 Prozent auf das Aktienkapital. Dazu kam eine Superdividende von 10 Goldkronen oder 144.000 Papierkronen pro Aktie. Das bedeutete eine fünfprozentige Verzinsung des Vorkriegskapitals. Linke Seite: Faktura vom 21. Dezember 1926 an den technischen Direktor Louis (Ludwig) von Gallois über 40 Meter Chiffon und Flanelltücher. Die Drucksorte zeigt sämtliche Werke des Unternehmens.
Am 20. Dezember 1924 erfolgte der Übergang zur Schillingwährung. In der Gold eröffnungsbilanz zum 1.1.1925 wurde das Aktienkapital von 4 Mio. Kronen auf 6 Mio. Schilling erhöht, aufgeteilt in 20.000 Aktien zu je 300 Schilling Nominale, ohne von den Aktionären einen Nachschuss einzufordern. 3 Mio. Schilling wurden darüber hinaus für Reserven bereitgestellt. Die Aktionäre der Kleinmünchner hatten die Hyperinflation damit – anders als die
Im Jahre 1920 führte der durch Horten und Schmuggel bedingte Mangel an (metallischem) Kleingeld zur Herausgabe von sogenanntem Notgeld. Beinahe jede Gemeinde brachte solche Scheine heraus. In Kleinmünchen trugen sie eine Ortsansicht mit der ehemaligen Dierzer-Fabrik (links oben), die zu jener Zeit schon zur KAG gehörte.
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Sparbuch- oder Anleihenbesitzer – ziemlich unbeschadet überdauert. Das Unternehmen saß 1925 auf einem erstaunlich hohen Kapitalpolster, eine Folge der nicht unproblematischen Tatsache, dass zwischen 1907 und 1925 praktisch überhaupt nichts investiert worden war. Diese Politik wurde auch bis 1938 kaum geändert, das Unternehmen machte im operativen Geschäft Jahr für Jahr Verluste. Trotzdem wurden an die Aktionäre extrem hohe Dividenden von 8 bis 10 Prozent ausgeschüttet, im Jahr 1934, am Höhepunkt der Wirtschaftskrise, sogar eine Superdividende von 41 Prozent.
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Die Fluktuation der Eigentümer Seit dem Börsekrach von 1873 hatte das Unternehmen eine recht instabile Aktionärsstruktur. Beteiligt waren neben der Familie Grillmayr, deren Einfluss aber sehr gering geworden war und laufend kleiner wurde, eine Reihe von oberösterreichischen Industriellen, dazu Wiener Investoren und diverse Bankhäuser. Saßen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hauptsächlich Linzer Bürger und oberösterreichische Industrielle und Investoren an den wichtigen Schalthebeln im Verwaltungsrat, so verschob sich die-
ses Gewicht im 20. Jahrhundert immer mehr nach Wien. Angehörige der Familie Grillmayr waren im Stimmverzeichnis der Generalversammlungen letztmals 1893 verzeichnet. Die Machtverhältnisse verschoben sich immer mehr in Richtung der Banken und der Wiener Textilindustrie. Die Verwerfungen in der Wiener Bankenlandschaft in der Zwischenkriegszeit zeigten ihre Auswirkungen auch auf die Kleinmünchner. Als die Wiener Union-
Ansicht der Alten (links) und Neuen Schweizer am Weidingerbach. Markant ist der Sprinklerturm an der Stirnseite des Gebäudes. Um 1924.
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bank in den 1920er-Jahren zu kriseln begann, wurde sie von der Bodencreditanstalt aufgefangen. Damit wurden auch die seit dem beginnenden 20. Jahrhundert bestehenden Beziehungen der Kleinmünchner zur Unionbank von der Bodencreditanstalt übernommen. 1929 stand die Bodencreditanstalt ihrerseits vor dem Ende und musste von der Credit-Anstalt auf Druck der Regierung durch eine Fusion gerettet werden. Die Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe übernahm von der Bodencreditanstalt auch den 25,2 Prozent-Anteil an der Kleinmünchner. Bis 1930 stockte die CA ihr Kleinmünchen-Paket auf 27,8 Prozent auf. Doch inzwischen war die CreditAnstalt selbst zum Sanierungsfall geworden und musste 1931 in einer gigantischen Aktion von der öffentlichen Hand gerettet und teilverstaatlicht werden. 1938 besaß die Creditanstalt-Bankverein 6.533 Stück Kleinmünchner Aktien oder 32,7 Prozent. 1937, nach dem Tode von Julius Stern, wurde Dr. Josef Joham, der Generaldirektor der Creditanstalt-Bankverein, Präsident des Verwaltungsrats der Kleinmünchner.
Die Weltwirtschaftskrise In den 1920er-Jahren erreichte die Kleinmünchner mit fast 2.000 Mitarbeitern ihr Beschäftigtenmaximum. Die Produktion betrug 2.381 Tonnen Garne und 6,6 Mio. Meter Webware. Aber die finanzielle und technische Substanz des Unternehmens war angeschlagen. Schon im Jahr 1929, das an sich ein Boomjahr war, weil die Krise ja erst im 4. Quartal offensichtlich geworden war, schrieb Generaldirektor Willy Nahlovsky: „Es lässt sich die Tatsache nicht ableugnen, dass es weit wirtLinke Seite und rechts oben: Szenen aus dem Websaal im Werk I. Nach dem Ersten Weltkrieg verfügte der Standort Linz über 524 Webstühle in der Englischen und in der Kunstmühle.
schaftlicher wäre, die Spinnereien überhaupt völlig stillzulegen, als weiter mit Verlust zu produzieren …“ Die Weltwirtschaftskrise brachte schwere Umsatzeinbrüche. Am Höhepunkt der Krise im Jahr 1932 waren die Zahlen gegenüber dem Jahr 1929 um 30 Prozent geschrumpft. Die Beschäftigtenzahl war auf knapp 1.000 abgesunken. Es herrschte Arbeitslosigkeit. Die Löhne wurden deutlich gesenkt. Die Geschäftsberichte zwischen den beiden Kriegen bieten ein merkwürdig zwiespältiges Bild. Es wurde so gut wie nichts investiert. Dauernd wurde auf den extrem schlechten Geschäftsgang verwiesen. Im Widerspruch dazu wurde regelmäßig eine hohe Dividende zwischen 8 und 10
Willy Nahlovsky, Generaldirektor (1910–1939)
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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Trosslerei im Jahre 1937, als die Kleinmünchner den größten Linzer Industriebetrieb darstellte.
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Prozent ausgeschüttet. Mit Beschluss der Hauptversammlung vom 25.4.1934 wurde das Aktienkapital von 6 Mio. auf 4 Mio. Schilling reduziert. Ironischerweise wurden im schwierigen Jahr 1934 an Aktionäre und Verwaltungsräte fast 50 Prozent des Aktienkapitals an Dividenden, Superdividenden und Bonuszahlungen ausgeschüttet. Begründet wurden die hohen Ausschüttungen mit hohen Spekulationserträgen. Gen. Dir. Nahlovsky habe es verstanden, durch günstige Baumwollgeschäfte Nutzen zu ziehen. Doch das war auf Kosten der Unternehmenssub stanz teuer erkauft. Von den 1938 vorhandenen Maschinen stammten die besten und jüngsten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Im Verlauf des Jahres 1934 setzte ein zaghafter Aufschwung ein. Die Belegschaft konnte wieder auf etwa 1.240 aufgestockt
werden. Die Produktion der Spinnerei übertraf 1937 mit 3.000 Tonnen Garn jene des Jahres 1928 um 20 Prozent. Die Weberei erzeugte gleichfalls mit 9,3 Mio. Meter um ein Fünftel mehr als 1928. Die 1936 und 1937 erzielten Gewinne von mehr als 400.000 Schilling wurden allerdings wiederum nicht für Investitionen verwendet, sondern fast zur Gänze als 10-Prozente-Dividende ausgeschüttet. Nach der Beschäftigtenzahl war die Kleinmünchner 1937 der größte Linzer Industriebetrieb. Linz war auch vor 1938 eine Industriestadt. Mit 1. Juli 1938 gab es in Linz 85 Industriebetriebe. Sie beschäftigten insgesamt 6.394 Arbeitnehmer, etwa ein Sechstel davon in der Kleinmünchner. Dazu kamen noch etwa 500 Arbeitnehmer außerhalb von Linz. Doch 1938 sollte sich das Aussehen der Industriestadt Linz grundlegend ändern.
Textilstadt oder Stahlstadt? Wegen der hohen Gewinnausschüttungen, die aus den Reserven genommen worden waren, litt die Kleinmünchner an akutem Kapitalmangel. Die nötige Modernisierung der Anlagen unterblieb. Nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich wurde von deutschen Wirtschaftsforschern ein Zustandsbericht über die österreichische Industrie verfasst. Der Bericht war zweifellos tendenziös. Denn er sollte die Fehlentwicklungen in Österreich den im nationalsozialistischen Deutschen Reich erzielten Erfolgen gegenüberstellen. Für die Kleinmünchner allerdings dürfte die Beurteilung zutreffend gewesen sein: Die Hälfte der Spinnmaschinen und Webstühle habe nur noch „musealen Wert“ besessen. Die Kleinmünchner war in ihrer Existenz dreifach bedroht: ein erstes Mal durch die große deutsche Konkurrenz,
die auf die österreichische Textilindustrie hereinbrach, während gleichzeitig durch die nationalsozialistische Autarkiepolitik Exportmöglichkeiten und Bezugsquellen aus dem Ausland wegfielen, ein zweites Mal durch den Aufbau der neuen Industrien im Linzer Raum, der Hüttenwerksanlagen der Hermann Göring Werke und der Düngemittel- und Chemikalienproduktion der Stickstoff-
Ganz oben: Zur Errichtung der Indus trieanlagen wurde neben Grundstücken auch das Zizlauer Werk requiriert. Das Bild von 1942 zeigt es hinter der Bearbeitungswerkstätte und den Fundamenten des Walzwerks. Oben: Vor den neu errichteten Hochöfen: Paul Pleiger (2.v.l.) mit Hans Malzacher (3.v.l.) und Gauleiter August Eigruber (4.v.l.).
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Unten: Mehrere Gebäude wurden (oft aus wasserrechtlichen Gründen) von der Kleinmünchner erworben und zur Unterbringung von Arbeiterfamilien umgebaut. So auch die Eßmühle, welche die Aufnahme zeigt. Sie musste 1938 an die Reichswerke Hermann Göring abgetreten werden.
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werke Ostmark, die Arbeitskräfte absaugten und Grundstücke anforderten, und ein drittes Mal durch die kriegswirtschaftlichen Einschränkungen für den Konsumgüterbereich, die den Textilfirmen die Zuteilung von Investitionsgütern, Rohstoffen und Betriebsmitteln immer mehr kürzten.
Die Kleinmünchner Spinnereien und Weberei AG als größter Industriebetrieb von Linz und zweitgrößter von Oberösterreich mit ihren fünf über eine Fläche von mehreren Quadratkilometern verteilten Produktionsstätten mit zusammen 99.400 Spindeln und 530 Webstühlen und mit ihren großen, stadtnahen Grundbesitz-
Hinter den Anlagen des neu errichteten Mühlbachbahnhofes sind die Sprinklertürme der Schweizer und Dierzer ebenso wie der Kleinmünchner Kirchturm zu erkennen. Um 1942.
reserven war Gegenstand massiver Begehrlichkeiten. Wehrwirtschaftlich hielt man das Unternehmen für nicht relevant. Ein erheblicher Teil des Werksgeländes lag im Bereich der projektierten Hermann Göring Werke. Noch im Mai 1938 begannen die Abtretungsverhandlungen. Die erste Transaktion wurde am 12. August 1938 finalisiert. Sie betraf etwa 250.000 m2. Bald wurden weitere 500.000 m2 eingefordert. Die Verhandlungen zogen sich bis 30. April 1940 hin. Die Transaktion schloss Spinnerei 3 und acht Wohnhäuser ein. Obwohl der Kaufvertrag erst am 30.4.1940 geschlossen wurde, begannen die Reichswerke Hermann Göring schon im Lauf des Jahres 1938 mit Baumaßnahmen auf dem Gelände der Kleinmünchner. Fast 1 Mio. m2 unbebauter Grund, eine Reihe von Wohngebäuden und sämtliche Grundstücke und Gebäude der Spinnerei Zizlau mussten an die Alpine Montan AG Hermann Göring übergeben werden. Praktisch über Nacht sollte die Räumung erfolgen. Es kam zu einer völlig überstürzten Demontage und damit verbunden einer recht planlosen Zerstörung der Spinnereimaschinen. Es wurden lange Listen mit den der Autarkiewirtschaft des Reiches zugeführten Schrottmengen erstellt: Aus der Spinnerei Zizlau seien bislang 350 t Textilmaschinen verschrottet worden, berichtete man. Insgesamt habe die KAG seit August 1940 im Rahmen ihrer Reorganisationsmaßnahmen 785 t Maschinenschrott dem
deutschen Schrottaufkommen zugeführt. Mit weiteren 500 t sei in nächster Zeit zu rechnen, schrieb die KAG am 31.3.1941. Im Oktober 1942 wurden noch einmal weitere 69.000 m2 für Wohnbauten abgetreten. Insgesamt wurde das Unternehmen mehr oder weniger freiwillig zum Verkauf von 833.000 m2 Grund samt dem Werk Zizlau „gezwungen“. Der Kaufpreis wurde mit 0,32 RM pro m2 festgelegt. Insgesamt erhielt die Kleinmünchner 520.000 RM Ablöse. Mit der nur teilweise und recht zögerlich ausbezahlten Entschädigung wollte man endlich neue Maschinen aus der Schweiz anschaffen, nachdem seit 1908 keinerlei wesentliche Investitionen vorgenommen worden waren. Die KAG beantragte Devisenkontingente für die Einfuhr von 20.000 Ringspindeln aus der Schweiz. Dazu kam es nicht. Wohlmeinende Konkurrenten aus der Textilindustrie wussten die Zuteilung zu verhindern. Die ursprünglich bewilligte Zuteilung von 2,5 Mio. SFr wurde auf 430.000 SFr oder 240.000 RM reduziert. Dieses stark reduzierte Maschinenkontingent wurde zwar geliefert, aber nicht mehr ausgepackt. Im Herbst 1945 verbrannte ein Großteil der neuen, nie aufgestellten Maschinen. Nach 1945 bemühte sich die Kleinmünchner gegenüber der VOEST um die Rückstellung der abgetretenen Objekte und Grundstücke. Die Ansprüche konnten aber nicht durchgesetzt werden.
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Dr. Thyll wird wichtigster Entscheidungsträger In der Bilanz zum 31.12.1938 wurde das Aktienkapital von 4.000.000 Schilling zum offiziellen Umrechnungskurs Schilling/Reichsmark auf 2,667 TRM umgerechnet. Die auf 200 Schilling lautenden Aktien wurden auf solche mit Nominale RM 133,33 umgetauscht. Anlässlich der Reichsmarkeröffnungsbilanz Anfang Jänner 1939 wurde das Aktienkapital auf 4.000.000 RM erhöht, indem für eine auf 133,33 RM lautende Aktie eine neue lautend auf RM 200 zum Umtausch kam. Das Unternehmen wurde auch auf das deutsche Aktienrecht umgestellt. Aus dem Verwaltungsrat wurde der Aufsichtsrat. Mehrere Verwaltungsräte mussten aus politischen Gründen oder wegen der Rassengesetzgebung ausscheiden. Dreißig Tage nach Beginn des Zweiten Weltkrieges trat auch der langjährige Generaldirektor Willy Nahlovsky in den Ruhestand. Er verstarb am 5. April 1946. Das als jüdisch eingestufte Bankhaus A. Stern & Sohn besaß gut 4.000 Stück Aktien der insgesamt 20.000 Kleinmünchner Aktien. Diese wurden von der Creditanstalt erworben, die ihre Anteile damit bis Mitte 1940 auf 11.200 Aktien oder 56 Prozent aufstockte. Am 21. Juni 1940 verkaufte die Creditanstalt dieses Paket von 11.200 Aktien um 3,58 Mio. RM an die Vereinigte Färbereien AG in Wien, die ihrerseits zu 100 Prozent im Besitz der Schweizerischen Druckereien und Färbereien Trust AG in Chur stand. Ihr Hauptrepräsentant war Dr. Robert Thyll jun. Sein Vater, Dr. Robert Thyll sen., errichtete diese Schweizer Holding 1921. Am 30. April 1945 hielt Dr. Thyll 58 Prozent und der Österreicher Moritz Seidel 30 Prozent in dieser Holding Das Ehepaar Dr. Robert (1897–1971) und Lina Thyll (1915–1998) hielt die Mehrheit der Schweizerischen Druckereien u. Färbereien Trust AG in Chur, 1950.
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im Schweizer Kanton Graubünden, die über die Vereinigten Färbereien in wenigen Tranchen ihren Besitz an der Kleinmünchner AG auf 75 Prozent aufstockte. Hinter der Kaufentscheidung bei den Vereinigten Färbereien im Jahr 1940 lagen verschiedenen Motive: Die 1906 gegründete Vereinigten Färbereien betrieben an sechs Standorten in Österreich, Tschechien und Ungarn Lohnfärbereien, Bleichereien, Druckereien und Appreturwerke. Die Kapazität lag bei 30 bis 50 Mio. Metern jährlich. Sie beschäftigten 2.000 bis 3.000 Angestellte und Arbeiter. Mit der nach dem Anschluss gültigen deutschen Steuergesetzgebung ergab sich eine deutliche Bevorzugung vertikal integrierter Betriebe. Auch die nationalsozialistische Planwirtschaft wirkte in diese Richtung. Die Unternehmen wollten sich damit mehr Spielraum schaffen. Ein Motiv für Robert Thyll waren auch die Wasserkräfte der Kleinmünchner Spinnereien, die „konstante Werte seien“. Dass zur Kleinmünchner auch noch ein gar nicht so kleines Werk in Reutte mit 20.000 Spindeln
und 500 Webstühlen gehörte, soll Dr. Thyll beim Kauf 1940 gar nicht bewusst gewesen sein. Die Kleinmünchner war in den Jahren 1940 bis 1942 ein Risikofaktor. Die Übermacht der Hermann Göring Werke drohte den benachbarten Textilbetrieb zu erdrücken. Es war völlig unsicher, was in der Kriegswirtschaft von der Kleinmünchner übrig bleiben würde. Vielleicht dachte man auch, dass sich ein in Schweizer Besitz stehendes Unternehmen leichter gegen die Göringwerke durchsetzen könne. Ob die nationalsozialistischen Behörden vom Schweizer Obereigentum wussten, ist unklar. Insgesamt legten die Vereinigten Färbereien für den Erwerb des Aktienpaktes einen Kaufpreis von 4,9 Mio. RM aus. Bezahlt wurde auf Schulden. Ein notwendiger Überbrückungskredit wurde bei der Industrie-Bank Berlin beschafft. Der DebitSaldo 1945 betrug immer noch ca. 3 Mio. RM. Die Nachkriegsinflation befreite die Vereinigten Färbereien fast automatisch von der Last dieser Tilgung.
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Zellwolle und Bomben
Immer mehr Mitarbeiter starben im Feld den „Heldentod“. Die Verlustlisten wurden im Jahresbericht des Unternehmens abgedruckt.
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Um die Rohstoffversorgung angesichts der Autarkiepolitik des Dritten Reichs zu sichern, zeichnete die Kleinmünchner im Jahr 1938 insgesamt 7,5 Prozent des mit einer 1 Million Reichsmark angesetzten Aktienkapitals der am 31. Mai 1938 gegründeten „Zellwolle Lenzing Aktiengesellschaft“. Damit erwarb die Kleinmünchner Anspruch auf Zuteilung von Zellwolle statt der auch zu Friedenszeiten kaum mehr verfügbaren Baumwolle. Um den Aktionären einen besonderen Anreiz zur Zeichnung zu geben, wurde den österreichischen Subskribenten (neben der Kleinmünchner auch die Pottendorfer, Rhomberg, Ganahl, Schindler etc.) ein Zellwolle-Kontingent von 1.000 kg und
den reichsdeutschen ein solches von 500 kg je gezeichneter Aktien mit Nominale 1.000 RM zugesagt. 1945 hatte die Kleinmünchner nach einer Reihe von Kapitalerhöhungen in Lenzing, bei denen die Kleinmünchner nicht mitzog, noch einen Anteil von 1,6 Prozent. Nach dem faktischen Nachkriegskonkurs von Lenzing war dieser Anteil zur Gänze verloren. Mit zunehmendem Kriegsverlauf waren weder Baumwolle noch Zellwolle ausreichend verfügbar. Die technische Überalterung des Kleinmünchner Maschinenparks, die Autarkiepolitik des Deutschen Reichs und die kriegswirtschaftlichen Ereignisse fanden ihren Niederschlag im Geschäftserfolg des Unternehmens. Die Betriebsverluste in den Jahren 1939 bis 1943 summierten sich auf 1,7 Mio. Reichsmark. Produktion und Umsatz waren gegenüber 1938 um zwei Drittel geschrumpft. Zuletzt war die Beschäftigtenzahl von 1.100 auf nur noch 320 abgesunken. Man versuchte zu rationalisieren. Das Zentralbüro wurde von der Linzer Altstadt in ein adaptiertes Bürogebäude nach Ebelsberg verlegt. Doch gleichzeitig wurden die kriegswirtschaftlichen Einschnitte immer drastischer. Am 16. November 1943 erhielt der Vorstand vom Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion den Befehl zur Stilllegung sämtlicher Kleinmünchner Werke mit Stichtag 15. Dezember 1943. Das noch vorhandene Material sollte an andere Unternehmen abgegeben werden. Sämtliche Beschäftigte und Räumlichkeiten sollten den benachbarten Panzerwerken zugeteilt werden. Nach langen Verhandlungen konnte der Befehl abgebogen werden. Die Werkshallen hatten sich für eine Panzerfertigung als völlig ungeeignet dargestellt. Aber die Produktion kam wegen des nunmehr verschärft einsetzenden Bombenkrieges, bei dem Kleinmünchen we-
gen seiner Nähe zu den Rüstungsbetrieben besonders gefährdet war, nicht mehr wirklich in Gang. Insgesamt fielen im Herbst 1944 und Winter 1945 in acht Luftangriffen 896 Bomben auf das Werksgelände. Die größten Verheerungen entstanden bei Angriffen am 16. Oktober 1944 sowie am 17., 18. und 25. Februar 1945. Die Spinnerei 2 sowie fünf Wohnhäuser und das Direktionsgebäude wurden komplett zerstört, 56 andere Gebäude erlitten Schäden unterschiedlichen Ausmaßes. Der Betrieb in Reutte war dagegen glimpflicher davongekommen. Es gab nur unbedeutende Schäden aus der Sprengung der Lechbrücke in den letzten Kriegstagen.
Oben: Aufklärungsfoto während eines Bombenangriffs auf die Linzer Industrie. Die Kleinmünchner erlitt schwere Schäden an Werk II, Wohnhäusern und Direktionsgebäude, 1944. Unten: Mannschaften der Heimatflak im Bereich der ehemaligen Spinnerei Zizlau, 1943.
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Aufklärungsfoto der US Air Force von Mai 1945. Die Luftaufnahme zeigt – rot markiert – die Besitzungen der Kleinmünchner AG. Wie sehr das Werksgelände in Mitleidenschaft gezogen worden war, beweisen die vielen Bombentrichter. Hier Werk II – Dierzer (1), die Mühlenspinnerei (2), das GrillmayrSchlössl (3), die Weberei (4) sowie das Werk I – Schweizer (5) vor der Aschensiedlung (6).
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Rechts: Der Schweizerische Schutzbrief samt Notiz eines Offiziers der amerikanischen Milit채rregierung mit der Anweisung an alle Milit채rstreifen, im Falle von Bel채stigungen Hilfe zu leisten. Unten: Am 5. Mai 1945 erreichten die Spitzen amerikanischer Panzereinheiten den Linzer Hauptplatz. Die Stadt wurde kampflos 체bergeben.
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3. 1945 bis 1977: Die Nachkriegszeit Keine Schlacht an der Traunbrücke Als die Fronten immer näher rückten, kam auch für die Kleinmünchner Spinnerei die Drohung der Politik der verbrannten Erde. Den angreifenden Truppen sollten weder Vorräte in die Hände fallen noch ein intaktes Werk. Es wurden Vorbereitungen zur Sprengung der Brücken im Werksgelände getroffen. Es gelang aber einigen beherzten Männern nicht nur, aus den bereits angebrachten Sprengkörpern die Ladung zu entfernen, sondern auch einen wesentlichen Teil der Vorräte und Betriebsmaterialen vor der Beschlagnahme oder Plünderung zu verbergen. Am 25. April 1945 gab es einen letzten schweren Fliegerangriff. Am 5. Mai erreichte der Landkrieg das Werk. Die Frontlinie verlief kurzzeitig direkt durch das Werksareal. Es bestand die akute Gefahr, dass das Werksareal in letzter Stunde noch Schauplatz eines Kampfes um den Übergang über die Traun werden könnte. Um 14 Uhr rollten die ersten Einheiten der Panzerdivision der III. Armee unter General Patton durch Kleinmünchen und stießen an der Traunbrücke auf die seit Wochen vorbereiteten Panzersperren. Es kam aber diesmal zu keiner zweiten Schlacht um die Traunbrücke, die 1809 so viele Todesopfer gefordert hatte und damals von Napoleon als einer der sinnlosesten Kämpfe der Kriegsgeschichte bezeichnet worden war. An der Brücke erschienen zwei Parlamentäre. Der Kommandant der amerikanischen Panzereinheiten, ein Oberst, empfing sie und nahm die Kapitulation entgegen. Die Kleinmünchner AG hisste die Schweizer Flagge und präsentierte eine bereits lange vorher vorbereitete Tafel des Schweizer Konsulats, die ihren
Status als Schweizer Unternehmen kundtun sollte. Am 5. Mai 1945 war der Krieg in Linz beendet. In Reutte war das Werk vom 25. Jänner bis 15. April wegen Kohlenmangels amtlich stillgelegt worden. Am 29. April marschierten die amerikanischen Truppen in Reutte ein. Es gab in Reutte zwar keine Verluste durch Bombenangriffe, doch bis zum 27. Mai musste an der Behebung von Kriegsschäden gearbeitet werden. Durch die Sprengung der Lechbrücke am letzten Kriegstag hatte das Werksgelände erhebliche Beschädigungen davongetragen.
Befreite französische Kriegsgefangene verleihen ihrer Freude Ausdruck. Die Aufnahme entstand im Bereich der Unterführung Lunzerstraße in Kleinmünchen.
Mut für einen Neubeginn Die Kleinmünchner hatte keine guten Bedingungen für einen Neustart. Die Weberei war zur Gänze, die Spinnerei zum Großteil stillgelegt. In den Hallen war eine Betonplattenerzeugung (Ferro-Betonit) eingerichtet worden. Die Maschinen waren in den Kellern völlig unzulänglich gelagert. Im Mai 1945 waren dem Unternehmen von den 1.400 Beschäftigten des Jahres 1939 nur mehr 176 verblieben, in der Mehrzahl
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Dr. Josef Joham, Generaldirektor der Creditanstalt-Bankverein Wien, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Kleinmünchner AG (1937-1959)
Ein bedeutendes Kontingent Zellwolle ermöglichte die Inbetriebnahme nach dem Krieg. Arbeiterinnen in der Spinnerei um 1948.
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alte Männer und Frauen. Die Zwangsarbeiter, die beschäftigt waren, kehrten in ihre Heimatländer und die Österreicher wieder an ihre Arbeitsplätze zurück. Es gab einen kräftigen Pluspunkt: Kleinmünchen war in der amerikanischen Besatzungszone zu liegen gekommen, zwar hart an der Grenze zur sowjetischen Zone nördlich der Donau und östlich der Enns, aber dass hier die Chancen besser beurteilt wurden, merkte man an der Zahl der Vertriebenen, die hier Zuflucht suchten. Bevor an eine Produktion zu denken war, gab es Unmengen von Schutt wegzuräumen. Die Kleinmünchner zählte mit 896 Bombeneinschlägen zu den schwerst getroffenen Betrieben. Es gab beträchtliche Schäden an den Anlagen. Das Gebäude der Kunstmühle, das seit 1940 stillgelegt und geräumt war, war mitsamt dem Kraft-
werk durch einen Volltreffer nahezu völlig zerstört worden. Auch die Fundamente der Schweizer Spinnerei waren durch die Erschütterungen so schwer beeinträchtigt, dass eine Wiederinbetriebnahme oder Wiederbenützung nicht angeraten erschien. Das Kraftwerk der enteigneten Spinnerei Zizlau stand aufgrund einiger Bombentreffer still. Auch die DierzerSpinnerei musste auf längere Zeit ausfallen. Und die englische Spinnerei war beschlagnahmt und teilweise ausgeräumt, aber wenigstens kaum beschädigt. Das 1943 neu adaptierte Verwaltungsgebäude war durch einen Volltreffer völlig vernichtet. Auch die Arbeiterwohnhäuser hatten schwere Schäden davongetragen. Auch die Zufahrtsstraßen und Schienenwege mussten wieder instandgesetzt werden. Der einzige Aktivposten war die bedeu-
Auch in der Weberei konnte die Arbeit trotz erschwerter Bedingungen wieder aufgenommen werden. Um 1948.
tende Menge an Zellwolle, die vor der Beschlagnahme gerettet worden war und die die Basis für eine Betriebswiederaufnahme bilden konnte. Ein Bericht, den Dkfm. Herbert Müllersen, Vorsitzender des Vorstandes der KAG am 9.8.1945 an den Aufsichtsratspräsidenten Dr. Joham sandte, gibt einen guten Eindruck von den ersten Friedenswochen: „Das Werk konnte durch ständige Tagund Nachtwachen vor Plünderungen geschützt werden. Etwa 14 Tage lang habe ich mit 20 alten, zuverlässigen Arbeitern 24 Stunden pro Tag in der Fabrik Wachdienst gemacht und so jede Plünderung und Zerstörung in der Spinnerei und Weberei verhütet. Doch in unserer Ökonomie (Landwirtschaft) wurden wir in den ersten Tagen der Dinge nicht Herr, bis wir nach etwa zehn Tagen amerikanische Wachen erhielten.“ Die Kunstmühle war etwa sechs Wochen lang besetzt und „... es ergaben sich hieraus teilweise recht ungute Zustände …“ Sowohl die Spinnerei als auch die Weberei sollten gegen Ende Mai wieder anlaufen. Das Problem
war aber, dass die alten Leute, nachdem die polnischen und russischen Zwangsarbeiter abgezogen worden waren, nicht reichten, um auch nur ein Viertel der Kapazität zu nutzen. Müllersen forderte: „Es muss also von Grund auf der seit sechs Jahren den Göringwerken zugeflossene Nachwuchs herausgeholt und nicht nur zum Spinnen und Weben, sondern auch in moralischer Hinsicht erzogen werden. Daneben habe ich alles, was ich an Niederösterreichern und Wienern bekommen konnte, eingestellt, um Fensterscheiben, Dächer und sonstige Schäden reparieren zu lassen. Der Aufbau der Weberei wurde weiter fortgesetzt, alte Stühle wurden wieder aufgestellt, mit Einzelantrieb ausgestattet, mit Großraumschützen versehen, generalrepariert und zum Laufen gebracht. Seit Eintreffen der Amerikaner haben wir etwa 70 neue Stühle aufgestellt. Sämtliche Dächer sind repariert bzw. vollkommen neu gedeckt. Am schwierigsten war der Glasmangel, um all die Schäden aus den Angriffen seit 17., 18. und 25. Feber wieder zu be-
Dr. Robert Thyll, stv. Vorsitzender des Aufsichtsrates um 1950
Herbert Müllersen, Vorsitzender des Vorstandes
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Ein Brand in der Schweizer Spinnerei 1945 ließ die Idee der Errichtung einer neuen Produktionshalle reifen. Trotz kontingentiertem Baumaterial wurde das Projekt 1946 in Angriff genommen.
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seitigen …“ An Rohmaterial sei er rechtzeitig vor Eintreffen der Amerikaner für ein ganzes Jahr eingedeckt, sowohl für Kleinmünchen als auch für Reutte. Damit wurden alle Bankguthaben verbraucht. „Insgesamt beschäftigen wir zur Zeit etwa 600 Leute“, schloss Müllersen. Ende Mai konnte in der Spinnerei die Produktion mit rund 10.000 kg Garn monatlich wieder aufgenommen werden. Vom 3. August bis 4. Oktober musste sie aber wegen Rohstoffmangels wieder stillstehen. Bis gegen Ende des Jahres 1945 gelang es, die Spinnereiproduktion allmählich bis auf monatlich 30.000 kg zu
steigern. Die Weberei Kleinmünchen, die im Jahr 1942 behördlich stillgelegt worden war, wurde mit den im Keller gelagerten Webstühlen wieder reaktiviert. Sie begann im Juni mit einer Produktion von 10.000 m und erreichte zu Jahresende mit den bis dahin montierten 102 Stühlen 40.000 m pro Monat. Arbeitskräfte gab es aufgrund der vielen Flüchtlinge, die im Linzer Raum untergekommen waren, genug. Etwa 700 wurden eingestellt, ca. 300 davon blieben auf Dauer. Die Weberei Reutte startete im Juni mit einer Produktion von 58.000 m und konnte sich bis Jahresende auf 72.000 m steigern. Ende
des Jahres 1945 zählte man in Kleinmünchen 447 Beschäftigte und in Reutte 160. Dr. Robert Thyll, der Exponent und Vizepräsident der Druckereien und Färbereien Trust AG in Chur hatte während des Krieges kaum Einfluss auf die österreichischen Werke nehmen können. Aber man setzte große Hoffnungen auf die Möglichkeiten, die ihm als Schweizer Staatsbürger offenstanden. Im November 1945 wurde eine Generalversammlung abgehalten und der Aufsichtsrat neu beschickt: Die Holding musste sich neu orientieren. Die Unternehmen in Tschechien und Ungarn waren gefährdet und gingen in weiterer Folge verloren. Die Zukunft der in der sowjetischen Zone Ostösterreichs gelegenen Unternehmen war ungewiss. Österreichs Wirtschaft machte einen Ruck nach Westen, was wiederum die Standorte Linz und Reutte stärkte.
Neubau statt Wiederaufbau Ende 1946 waren zwei Drittel der Webstühle in Kleinmünchen wieder aufgestellt und in Gang. Die Produktion der Spinnerei stieg von 29.000 kg auf ca. 60.000 kg pro Monat, die der Weberei von 40.000 m auf rund 120.000 m. 1947
waren das im Jahr 1945 ausgebombte Kraftwerk Zizlau und das Kraftwerk Kunstmühle wieder aufgebaut und in Gang gesetzt. Die Belegschaft erreichte Ende 1947 wieder 890 Personen, der Umsatz 12,7 Mio. Schilling und damit wieder annähernd den Vorkriegsstand. Ein Viertel ging in den Export. 1948 waren folgende Kapazitäten vorhanden: Die Spinnerei I in Kleinmünchen war zerstört, die Spinnerei II zählte knapp 18.000 Spindeln, die zum Teil zweischichtig arbeiteten, die Spinnerei III war verkauft, die Spinnerei IV zählte 2.600 Zwirnspindeln. Die Weberei war im Aufbau. 200 Stühle arbeiteten in zwei Schichten, weitere 120 Stühle sollten nach Erhalt der Motoren in Betrieb gehen. In Reutte gab es 10.000 Spindeln und rund 400 Webstühle. Der Wiederaufbau wurde durch einen von einem Kurzschluss am 26. Oktober 1945 in der Schweizer Spinnerei ausgelösten Brand zusätzlich behindert, aber gerade deswegen auch in neue Wege geleitet. Die Werksleitung entschloss sich, sämtliche Kleinmünchner Spinnereien in einer neuen Großhalle samt Verwaltungsgebäude zu konzentrieren. Mit den Arbeiten wurde im Frühjahr 1946 begonnen. Wegen
Aquarell der 1949 fertiggestellten Shedhalle mit vorgelagertem Verwaltungsgebäude.
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Aufstellungsplan von Rieter/ Winterthur für die 1949 fertiggestellte Shedhalle, die genügend Platz bot, auf einer einzigen Ebene zu produzieren.
der nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten bei der Beschaffung der nötigen Bau- und Betriebsstoffe war aber die Fertigstellung in den Jahren 1946 bis 1949 kaum zu schaffen. Baumaterialien waren kontingentiert und es gab sie noch lange nur auf Zuteilung. Daher führte man entsprechend genau Buch: Verbaut wurden für die mehr als 10.000 m2 große neue Halle und das Verwaltungsgebäude über 2.400 Tonnen Zement, 500 Tonnen Bau-
Ausstattung: 176 Karden mit Revolverkannenpressen, 12“ K. 16 Wattenmaschinen 22 Strecken mit Wickelvorlage, je 6 Ablieferungen
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stahl, 600 m3 Bauholz, 5.000 m3 Schotter, 1,2 Mio. Stück Ziegel, 20.000 m2 Dachpappe, 180 Tonnen Steinkohlenteerpech, 15.000 m2 Korkisolierplatten, 1.300 m2 Industrieglas. Angesichts der Engpässe der Nachkriegszeit eine eminente logistische Leistung. Am 15. September 1949 war die neue Shedhalle endlich fertiggestellt. Die neue Halle mit einer Grundfläche von rund 11.000 m2 bot die Möglichkeit, die Maschinen in einer Ebene aufzustel-
22 Bandstrecken, je 6 Ablieferungen 22 Grob-Mittelflyer, Type g-MN mit je 150 Spindeln 90 Ringspinnmaschinen, Mod. 31 mit je 360 Spindeln, 82,55 mm Teilung 10 Ringspinnmaschinen, Mod. 31 mit je 448 Spindeln, 66,67 mm Teilung
len. Man hatte endlich einen modernen Flachbau als Produktionsstandort gewonnen und damit leichte Produktionsabläufe und Transportwege. Die Zahl der pro Spindel beschäftigten Arbeitskräfte konnte um 50 Prozent reduziert werden. Das in der amerikanischen Zone gelegene Linzer Werk wurde vorrangig mit Mitteln aus dem Marshallplan bedacht. Die Kleinmünchner verwendete die 13 zugeteilten ERP-Millionen zum Ankauf eines modernen Spinnerei-Maschinensatzes mit 10.000 Ringspindeln aus der Schweiz, womit sich die Kapazität der Spinnerei um zwei Drittel erhöhte. Gleichzeitig wurde die Weberei mit Einzelantrieben, Großraumschützen und Kettfadenwächtern modernisiert. Insgesamt liefen nunmehr in Kleinmünchen 25.000 Spindeln und 330 Webstühle in Doppelschicht und im Werk Reutte 12.000 Spindeln und 600 Webstühle. 1950 beschäftigte das Unternehmen wieder rund 1.000 Personen, 396 Männer und 683 Frauen. Rund 100 Personen wa-
ren Angestellte. Das Durchschnittsalter der Belegschaft, das während des Krieges auf 55 Jahre gestiegen war, sank auf 32 Jahre. 1950 waren etwa 500 Arbeiter und Angestellte in werkseigenen Gebäuden untergebracht. Das Werk Reutte, das durch den Krieg nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war, brachte vorerst die Gewinne. Doch es brauchte ebenfalls Investitionen, da dort der Maschinenpark noch veralteter war als in Linz. Da das Linzer Werk so nahe an der Grenze zur sowjetischen Zone lag und man in Linz mehr als in Reutte auch mit der Möglichkeit einer Verstaatlichung kalkulieren musste, kam es zu der Überlegung, Reutte zu verselbständigen. 1949 wurden die Reuttener Textilwerke gegründet und diesem Unternehmen der Betrieb Reutte von der KAG in Pacht übergeben. Ein weiteres Motiv mag auch gewesen sein, dass in Linz 44 Stunden gearbeitet wurde, in Reutte sowie in den übrigen österreichischen Textilbetrieben 48 Stunden.
Blick über den Maschinenpark von 176 Rieter-Karden mit Revolverkannenpressen. Um 1950.
Um 1950 beschäftigte die Kleinmünchner rund 1.000 Arbeiter und Angestellte.
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Aufnahme aus der in der neuen Shedhalle untergebrachten Ringspinnerei mit 100 Rieter-Spinnmaschinen des Modells 31 mit je 360 bzw. 448 Spindeln. Die Shedhalle wurde so ausgerichtet, dass die auf der Nordseite befindlichen Lichtfl채chen stets Tageslicht, jedoch keine direkte Sonneneinstrahlung garantierten.
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Der 1942 beh旦rdlich stillgelegte Websaal ging im Juni 1945 dank der im Keller gelagerten Webst端hle wieder in Betrieb. Bis Jahresende 1945 wurden mit 102 St端hlen 40.000 m pro Monat erzeugt. Das Bild um 1960 zeigt die Weberei mit den neuen Sulzer-Webst端hlen. 80
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Das ausgebliebene Wirtschaftswunder 1950 war die Zeit des Wiederaufbaus vorbei, nicht nur in Kleinmünchen, sondern in ganz Österreich. Die Bewirtschaftung lief aus. Es gab keine Lebensmittelkarten mehr und auch keine Bezugsscheine. Dass die Hochkonjunktur vorerst immer noch nicht ansprang, lag nicht nur am Koreakrieg, sondern auch an innerösterreichischen Defiziten. Planwirtschaftliche Elemente in der Devisenbewirtschaftung und in der Preisregelung mussten erst abgebaut werden, Budget und Außenhandel ins Gleichgewicht gebracht werden. Es gab einen großen Hunger nach Konsumgütern. Man sprach von der Ess- oder Fresswelle, der Bekleidungs-, der Haushaltsgüter- und der Motorisierungswelle, die nacheinander befriedigt werden mussten. Auf dem Inlandsmarkt sorgte ab etwa 1950 die sogenannte Bekleidungswelle für eine entsprechende Nachfrage nach Textilien. Auf den Auslandsmärkten
Anfang der 50er-Jahre herrschte großer Bedarf an Textilien. Hier eine Schärmaschine zur Herstellung von Webketten, dahinter ein Parallel-Zettelgatter von Schlafhorst.
spürte man aber bereits die ostasiatische Konkurrenz, damals im Textilbereich noch aus Japan kommend. Die Beschäftigungslage in der Textilindustrie war, was Mengen betraf, sehr gut. Bei den Preisen und den Kosten klagte man. Gearbeitet wurde in den 1950er-Jahren in Linz in zwei Schichten à 44 Stunden, verarbeitet wurden 60 Prozent Zellwolle und 40 Prozent vorwiegend nordamerikanische Baumwolle. Im Jahr 1957, für die Textilindustrie wohl das beste seit 1951, fuhr man in der Spinnerei teilweise sogar in einer dritten Schicht. Von den 2.650 t Jahresproduktion der Spinnerei wurden mehr als 1.000 t exportiert. 1958, mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in der Österreich nicht dabei war, begann eine immer schwierigere Zeit für die Textilindustrie. Exporte in die 1960 gegründete EFTA, etwa in die klassischen Textilmärkte Großbritannien oder Schweiz, konnten keinen Ersatz bieten. Es gab große Rückschläge im Exportgeschäft, vor allem in der Produktion der Spinnerei. Der Umsatz in der Spinnerei sank von 65 Mio. Schilling auf 56 Mio., in der Weberei blieb er mit 30,5 Mio. Schilling nahezu
Das 6 x 5 m große Wandfresko im Verwaltungsgebäude aus dem Jahre 1950 drückt die Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre aus.
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Der Geschäftsbericht des Jahres 1975 zeigt die neuen Ringspinnmaschinen von Rieter auf der Titelseite. Das Investitionsprogramm in der Höhe von 120 Mio. Schilling wurde in den Jahren 1974–1976 umgesetzt.
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unverändert. Ab 1955, in der klassischen Zeit des Wirtschaftswunders, schrieb das Unternehmen im operativen Bereich tendenziell Verluste, ab 1960 während 20 Jahren permanent. Der Konkurrenzdruck bei den Löhnen war durch die nahegelegene VOEST und die Stickstoffwerke in Linz immer größer geworden. Dazu gesellte sich der Druck der Gemeinde, Grundstücke für die anlaufenden Wohnbauprojekte zu verkaufen. Das nährte die immer stärker werdenden Überlegungen, aufs Land abzuwandern und die Linzer Grundstücke für Wohnbau- und Kraftwerksprojekte zu verwerten. Bereits in der Schillingeröffnungsbilanz von 1955 waren die stillen Reserven aufgedeckt und möglichst hoch angesetzt worden, um bei späteren Grundverkäufen keine außerordentliche Erlöse versteuern zu müssen. Es wurde 1:30 aufgewertet, wohl als einziger Betrieb in Österreich, was den Aktionären eine bedeutende Ausschüttung brachte. Der Nominalwert des Schillings wurde von 100 auf 3.000 angehoben, während Sparkasseneinlagen von 100 auf 12 abgewertet werden mussten. Die Kleinmünchner Baumwollspinnerei und Weberei AG war auch in den 1960erJahren immer noch der beschäftigungsmäßig größte in Privatbesitz befindliche Linzer Industriebetrieb. Mit fortschreitender Rationalisierung schrumpfte die Beschäftigtenzahl weiter, von 1955 bis 1964 um fast ein Drittel von knapp 900 auf knapp 600. Auch in den 1970er-Jahren behauptete die Kleinmünchner mit einem Industriekern von 128.000 m2 und etwa 600 Beschäftigten einen Platz unter den zehn größten Linzer Industriebetrieben. Die Produktionsanstiege fielen aber bescheiden aus. Dem Werk gelang es nicht, aus der Verlustzone herauszukommen. Der Gesamtkonzern war ein recht komplexes Geflecht von Gesellschaften: Die Holding in der Schweiz, die Vereinigten
Färbereien mit Zentralen in Wien und Reutte, den Betrieben in Möllersdorf und Hacking, die Spinnerei und Weberei in Linz, die Großmolkerei MIAG in Wien, die landwirtschaftlichen Aktivitäten in Niederösterreich und im Burgenland, die verlorenen Unternehmen in Tschechien (von denen Dr. Thyll als Schweizer Entschädigungen erkämpfen konnte), ein Betrieb in Brasilien und schließlich Versuche, in Tirol in ganz andere Branchen wie etwa die Molybdängewinnung einzusteigen. Was die 1960-Jahre zudem kennzeichnete, waren die erheblichen Rückstellungen für Prozesskosten wegen Aktionärsklagen bezüglich der Gewinnabführungs- und Verlustübernahmeverträge mit der Vereinigte Färbereien Ges.m.b.H. aufgrund einer Organschaft, die zwischen den Betrieben zur Steuerschonung – hätte man Gewinne gemacht – bestand. Die Anregungen aus Aktionärskreisen, in dem industriell nicht genutzten Teil des Grundbesitzes Reserven zu mobilisieren und für Investitionen und zur Verlustabdeckung zu verwenden, wurden immer stärker. Ab 1964 wurde begonnen, Liegenschaften in großem Ausmaß zu verkaufen. Das ergab außerordentlichen Erträge, im Jahr 1964 3,6 Mio. Schilling, 1965 schon 29,1 Mio. Schilling. Ohne die außerordentlichen Erträge wäre ein Verlust von 9,4 Mio. Schilling entstanden. Im Geschäftsjahr 1966 wurden Grundstücke zum Gesamtwert von 24,8 Mio. Schilling veräußert. Im Geschäftsjahr 1967 waren es Grundstücke mit einem Erlösbetrag von 12,1 Mio. Schilling. Ohne die außerordentlichen Erträge durch Grundstücksverkäufe wäre ein ähnlich hoher Verlust entstanden. 1973 wurde ein Tankstellengrundstück um 2,4 Mio. Schilling verkauft, im November 1973 eine Liegenschaft an den langjährigen Mieter um 7,1 Mio. Schilling, und im September 1973 Baugrundstücke an
eine Wohnungsgesellschaft um 45,1 Mio. Schilling. Auf ein weiteres Grundstück wurde im Februar 1974 eine Option für einen Kaufvertrag von 6,5 Mio. Schilling gegeben. Aus der Textilindustrie, heißt es im Geschäftsbericht 1972, wurde ein in diesem Ausmaß nicht erwarteter äußerst kapitalintensiver Industriezweig. Das verlangte den Einsatz aller verfügbaren Mittel für die Modernisierung der Produktionsanlagen. Das genehmigte und von der Kleinmünchner baureif gemachte Wasserkraftwerksprojekt an der Traun wurde daher der städtischen Elektrizitätsgesellschaft überlassen. Die ESG erwarb die bereits errichteten Bauwerke und die erforderlichen Grundstücke und vergütete sämtliche Projektkosten um einen Gesamtbetrag von 96 Mio. Schilling. Einen wesentlichen
Vertragsbestandteil bildete zudem ein langfristiges Stromlieferungs- bzw. Strombezugsübereinkommen. 1973 wurde in der KAG mit einer verstärkten Investitionstätigkeit begonnen. Von 1972 auf 1973 und von 1973 auf 1974 hatte sich die Investitionstätigkeit jeweils verdoppelt. Das Investitionsprogramm zur Modernisierung der Spinnerei umfasste 120 Mio. Schilling. Es wurde auch 1975 und 1976 fortgesetzt. Das war auch die Grundlage für umfassende Personaleinsparungen zwischen 1974 und 1976. Trotz dieser Anstrengungen überstiegen die Verluste 1975 und 1976 rund 20 Mio. Schilling im Jahr. Man war am Entscheidungspunkt angelangt: grundlegende Neuausrichtung des Unternehmenskonzeptes oder Stilllegung und Verwertung der wertvollen Grundbesitzreserven und Wasserrechte.
1968 wurden drei Schlafhorst Autoconer (Mod. GKN) mit 4 x 19 Spindeln und Absaugung aufgestellt.
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Luftaufnahme von 1975 zwischen Dauphine- und Wiener Straße. Am unteren Bildrand sind noch Teile der 1978 abgetragenen Mühlenspinnerei und der „Donau-Sportplatz“ zu erkennen. Auch der Weidinger- und der Jaukerbach sind noch nicht kanalisiert. Sie fließen in Richtung des Werks I, wo das Verwaltungsgebäude und die Shedhalle neben der im Jahre 2009 abgetragenen Weberei zu sehen sind.
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Die Bilanz des Unternehmens zum 31. Dezember 1977. Der Jahresverlust betrug 16 Prozent des Umsatzes. Es war damals nicht klar, in welche Richtung sich die Linz Textil AG entwickeln w端rde.
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4. Die Jahre 1977 bis 2013 Die Situation bei der „Kleinmünchner“ im Sommer 1977 war ernst. Es war das 18. Jahr in einer Reihe, in dem die Firma rote Zahlen schrieb. Alle drei Produktionssegmente Spinnerei, Weberei und Textildruckerei machten Verluste. Der Rohüberschuss in der Gewinn- und Verlustrechnung für das Geschäftsjahr 1977 von ÖS 63,7 Mio. war kleiner als die Position „Löhne und Gehälter“ von ÖS 64,3 Mio. Nimmt man die Position soziale Abgaben und andere lohn- und gehaltsabhängige Abgaben hinzu, so resultieren für 1977 Gesamtpersonalkosten von ÖS 78,7 Mio. Der Jahresverlust 1977 betrug ÖS 32,5 Mio. und damit gut 16 Prozent des Jahresumsatzes von ÖS 200 Mio. Bei Abschreibungen von ÖS 11,2 Mio. resultierte ein echter Cash Drain von über 10 Prozent auf den Umsatz. Die Liquiditätsengpässe wurden zu einem existenziellen Problem. Die Verlustabdeckung über viele Jahre führte dazu, dass die Konzernreserven langsam aufgebraucht waren. Die Liquiditätslücken konnten nur noch schwer gedeckt werden, es entstand bei den ersten Lieferanten Unruhe. Dies löste die Bereitschaft, eine massive Strukturveränderung einzuleiten, aus. Dabei war die Schuldfrage nicht so klar zuordenbar, wie man das vielleicht erwarten würde. Die Schuld lag in diesem Fall nicht allein beim Vorstand. Ein träger und unberechenbarer konzernaler Entscheidungsprozess machte den Aufsichtsrat und den Hauptgesellschafter in einem gewissen Sinne mitverantwortlich. Entsprechend sind die Gespräche zum Rücktritt des Vorstands Thomas Siegmund, Ivo Becke und Michael Voggeneder kon struktiv und einvernehmlich erfolgt. Dr. Dionys Lehner, der im Juli 1976 in den Aufsichtsrat berufen worden war, wurde
Nächtliche Leuchtreklame am Dach der Weberei an der Wiener Straße um 1975.
mit Wirkung ab 1. September 1977 zum Vorsitzenden des Vorstands gewählt. Die mitgebrachten Ausbildungsdaten waren eine gute Vorbereitung für die anstehende Sanierungsaufgabe. 1942 in Luzern geboren, studierte Lehner Volkswirtschaft in Zürich, und nach einigen Jahren als Wirtschaftsjournalist erwarb er an dieser Universität den Doktortitel in „öffentlichen Finanzen“. Es folgten 1970 bis 1972 das MBA-Studium an der Harvard Business School und von 1972 bis 1974 eine Beratungstätigkeit bei Mc Kinsey & Co. Die Jahre 1974 bis 1977 als Berater bei der Thyll-Gruppe in Wien waren eine gute Vorbereitung für die bevorstehende Aufgabe in Linz. Der Aufsichtsrat gab Dionys Lehner für zwei Jahre – das war das Zeitfenster, in dem die Sanierung gelingen musste – eine „Blanko-Handlungsvollmacht“. Wohin die Reise geht, war zu diesem Zeitpunkt in keinster Weise klar. In der Firmengruppe von Dr. Thyll war die von Ingenieur Hans Brandner geführte Reuttener Textilwerke AG (RTW) der relativ erfolgreichste Betrieb. Der Produktionsschwerpunkt war Cordsamt, und das Unternehmen verfügte über eine Spinnerei, eine Weberei und Ausrüstung. Die RTW
Mit 1. September 1977 wurde Dr. Dionys Lehner zum Vorsitzenden des Vorstandes bestellt.
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Generaldirektor Thomas Siegmund leitete die Kleinmünchner von 1974 bis 1977. Sein großer Verdienst war die Totalerneuerung der Spinnerei in den Jahren 1974–1976.
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und die Kleinmünchner (KAG) waren konzernintern stets in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander. Beide hatten eine Belegschaft von je rund 500 Mitarbeitern. Als sich der Führungswechsel bei der Kleinmünchner im Sommer 1977 abzeichnete, schrieb Hans Brandner an Dionys Lehner im Juli einen Brief, in dem die Zukunftschancen der KAG als Spinnerei und Weberei als fragwürdig bezeichnet wurden. Der Standort Linz schien aus der Sicht der RTW wegen des Mangels an „billigen und fleißigen Arbeitskräften“, des „lohnbildenden Großbetriebs Voest und der Arbeitsmentalität der Großstadtbevölkerung“ ungünstig. Im Schreiben wurde unter anderem für die KAG der Vorschlag gemacht: „Übersiedlung des textilen Maschinenparks nach Reutte; Verkauf von Gebäude und Grund – damit Stärkung der textilen Position RTW. In Reutte Errichtung der seinerzeit geplanten Spinnerei Lechtal
mit Finanzierungshilfe des Landes und Bundes im Zuge des Industrialisierungsprogrammes Lechtal.“ Dionys Lehner beantwortete diesen Vorschlag mit der Feststellung: „Lassen wir die beiden Unternehmungen drei bis vier Jahre miteinander im Wettlauf. Derjenige, der siegt, wird in der Folge die Konzernzentrale.“ Dieses Rennen ist klar zugunsten der Kleinmünchner ausgegangen.
Die Restrukturierungsphase Zuerst wurde ein leitendes Team zusammengestellt. Die direkt zum Vorstand rapportierenden Stellen wurden von 14 auf fünf reduziert. Michael Voggeneder wurde mit spürbar reduziertem Gehalt für den Bereich Infrastruktur wieder angestellt, allerdings mit einer Cash-FlowBeteiligung, die es ihm später erlaubte, die persönlichen finanziellen Abstriche wieder zu kompensieren. Wolfgang Buhl war zuständig für den Bereich Spinnerei, Helmut Grießmayer für die Weberei, Franz Lemmerhofer für die Finanzen. Manfred Kubera war anfänglich für interne Weichenstellungen stabähnlich organisiert. Später durchlief er die Abteilungen Infrastruktur, Weberei und Spinnerei. Seit 2011 ist er Mitglied des Aufsichtsrats der Linz Textil. Alle Herren des genannten Teams sind trotz verschiedener Abwerbungsversuche aufgrund des späteren Erfolgs der Firma bis zu ihrer Pension bei der Linz Textil geblieben. Das war für den Aufbau einer soliden Firmenkultur wichtig. Jede dieser Führungskräfte hat ein relevantes Verdienst, dass die Firma das Jubiläum „175 Jahre Linz Textil“ erfolgreich erreichen konnte. Für das Ziel, die Firma in schwarze Zahlen zu führen, standen aufgrund der Finanzlage höchstens zwei Jahre zur Verfügung. Um die Weichenstellungen zu beschleunigen, wurde sofort
ein Projektmanagement eingeführt mit Projektunterzielen wie Kostensenkung, Produktivitätssteigerung, neues betriebliches Rechnungswesen, Prüfung von Produktionsprogrammen bis zum Projekt „Beseitigung eines Gerichtsprozesses mit Kleinaktionären.“ Die Projektteams wurden nach Beitragsfähigkeit und nicht nach Kriterien der Hierarchie zusammengestellt. Bei der Neustrukturierung des Entscheidungsprozesses wurde dafür gesorgt, dass jedem „Kästchen im Organigramm“ nicht nur ein klarer Verantwortungsbereich, sondern auch die dafür notwendige Kompetenz im notwendigen Umfang zugeteilt wurde. In den Märkten, vor allem bei der Weberei, herrschte eine gewisse Unruhe, ob die Kleinmünchner als Lieferant weiter bestehen bleiben würde. Aus diesem Grund wurden zwei Aktivitäten gesetzt, um in den Märkten mit einem Lebenszeichen in Erscheinung zu treten, das auch in den Medien kommuniziert werden sollte. So wurde ein kleines Versandprogramm mit eigenen Produkten der Weberei lanciert. Ferner wurde Professor Ernst Fuchs gewonnen, drei Bettwäschemuster zu zeichnen, welche als exklusive Bettwäsche auf den Markt kommen konnten. Das hoch respektierte Modehaus Beck hat damals für jedes der drei Muster ein Schaufenster zur Verfügung gestellt. Nachhaltig waren diese zwei Versuche nicht, aber das gesetzte Ziel, ein Lebenszeichen zu setzen, hatte die Firma erreicht. Zur Neuausrichtung gehörte auch der neue Name „Linz Textil AG“. Der alte Name „Actien-Gesellschaft der Kleinmünchner Baumwoll-Spinnereien und mechanischen Weberei“ war für ein modernes Marketing ungeeignet. Seit den 1960er-Jahren gab es bereits automatische Webstühle und der Name „mechanische Weberei“ war Ausdruck für veraltete Technik. Zudem wurde in Kleinmünchen
nur ganz wenig Baumwolle gesponnen, das dominante Fasermaterial war Zellwolle oder – wie heute tituliert – Viskose. Der neue Name sollte kurz sein und festhalten, wo produziert wird und was produziert wird: also Linz Textil. Der neue Name wurde 1978 eingeführt und im gleichen Jahr auch das Kapital angepasst. Das bisherige Kapital von ÖS 120 Mio. wurde auf ÖS 80 Mio. herabgesetzt. Die Herabsetzung um ÖS 40 Mio. setzte sich zusammen aus einer Kompensation des Verlustvortrags in Höhe von ÖS 31,6 Mio. und einer Rückzahlung an die Aktionäre in Höhe von ÖS 8,4 Mio. Letzteres vor allem auch, um das Vertrauen der beunruhigten Kleinaktionäre wiederzugewinnen.
Prof. Ernst Fuchs entwarf für die Linz Textil drei Bettwäschemuster. Damit konnte das Unternehmen wieder ein Lebenszeichen von sich geben.
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Die neue Fremdkapitaldoktrin Wie in vielen Firmen der Textilindustrie galt das Schuldenmachen als „elegant“. Wenn man eine Fabrik mit Schulden aufbaute, so der Gedanke, hat man nach einiger Zeit immer noch eine Fabrik, währenddem die Schulden durch die Inflation automatisch weniger werden. Die nach dem Ersten Weltkrieg entstandene massive Schuldenvernichtung durch die Hyperinflation schien die Richtigkeit dieser Ansicht zu bestätigen. Auch in der Thyll-Gruppe war das Schuldenmachen nicht als wirkliches Problem eingestuft. Beim Kauf der Kleinmünchner 1940 von der CA durch die Vereinigten Färbereien in Wien ist der Kaufpreis zu 100 Prozent als Kredit aufgenommen worden. Beim Aufbau der Gruppe nach dem Krieg spielten Kraftwerke eine wichtige Rolle, da hier durch die lange Lebensdauer der Kraftwerke die langfristige Wertigkeit der Investition besonders ausgeprägt war und die Schulden sich über die Zeit verwässerten. Die Erfahrungen bei den Vereinigten Färbereien in den 1970er-Jahren und die Erfahrung mit dem Liquiditätsproblem bei der Kleinmünchner in den Jahren 1977 und 1978 haben zu einer neuen Fremdkapitaldoktrin geführt. Die Schulden wurden nicht mehr als durch die Inflation verstärkte Investitionschance gesehen. Als Problem der Schulden galten auch nicht mehr die Zinsen, sondern die Tatsache, dass sie zurückbezahlt werden mussten. Das bedeutete, dass Schulden nur im äußersten Falle und das auch nur mit kurzfristigen Rückzahlungsintervallen gemacht werden durften. Ferner wurde
Linke Seite: Arbeiterin an der Rieter Ringspinnmaschine G0/2 im Jahre 1975. Etwaige Fadenbrüche mussten damals noch händisch behoben werden.
der jährliche Bilanzsummenumschlag im Umsatz als wichtige Kennzahl eingeführt. Die Bilanzsumme, die sich 1977 lediglich 0,6-mal im Umsatz umgeschlagen hatte, sollte dies in der Zielsetzung 1,5-mal tun. Diese neue Doktrin behielt ihre Gültigkeit unverändert bis ins Jubiläumsjahr 2013.
Die erste Open-End-Spinnmaschine der Kleinmünchner, die BD 200, war ein tschechisches Fabrikat. Aufnahme aus der Shedhalle um 1970.
Die Strategiesuche Im Verlauf des zweiten Sanierungsjahres zeichnete es sich ab, dass die Firma eine gute Chance hatte, im Jahr 1980 nach 20 Verlustjahren wieder in die Gewinnzone zu kommen. Es war an der Zeit, eine neue Strategie für die nächsten 15 Jahre zu definieren. Dabei war es auch klar, dass die Vielzahl der Produkte reduziert werden musste, um eine Konzentration auf Segmente zu erreichen, die eine industrielle Herstellung erlaubten. Das Erstaunliche war, dass die Sanierungstätigkeit nicht durch eine komplexe Strategiesuche zu ergänzen war, sondern dass die Strategie durch die Sanierungstätigkeit fast als Nebenprodukt anfiel.
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Die Restrukturierung hatte so einen tiefen Einblick in Machbares und Nichtmachbares ergeben, dass die Konzentration auf das Machbare automatisch zur Definition der Strategie führte. Im Vergleich zu Vorarlberg und München wurde klar, dass Mode aus Linz wenig Chancen hatte. Die Chemie Linz, die ihre Produktion in Tonnen, und die Voest, die ihre Produktion in Kilometern Blech definierte, prägten das industrielle Bild der Stadt. Der Status eines Staplerfahrers im Betrieb war größer als der Status des Designers, der die Designs von Professor Fuchs für die Bettwäsche kolorierte und für den Druck vorbereitete. Auch für die Linz Textil drängte es sich auf, ihre Produktion in Tonnen und Kilometern auszudrücken, nämlich in Tonnen Garn und Kilometern Gewebe.
Dr. Gustav Harmer (stv. Aufsichtsratspräsident), Dr. Karl Josef Steger (Aufsichtsratspräsident), Dr. Dionys Lehner (Vorstandsvorsitzender), Ing. Michael Voggeneder (Vorstandsmitglied).
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Damit entstand die Strategie, sich industriell auf das textile Halbfabrikat zu konzentrieren. Das bedeutete, dass die Textildruckerei Möllersdorf, das Bettwäschekonzept, die Bauernmuster und die Buntgarne als Produktionssegmente
aufgegeben werden mussten. Die Firma begann, sich ganz auf das textile Halbfabrikat auszurichten – hier waren die Zielsetzungen Qualität, Kosteneffizienz, Serviceorientierung und präzise Dispositionstätigkeit. Diese Weichenstellung des Jahres 1979 prägte die langfristige Strategie der Linz Textil-Gruppe.
Massive Expansion Die beiden Segmente Spinnen und Weben machten im Jahr 1977 EUR 11,5 Mio. des Gesamtumsatzes von EUR 14 Mio. aus. Diese Umsatzgröße war für ein industrielles Halbfabrikatkonzept in der Textilindustrie mit den Segmenten Garne und Rohgewebe deutlich zu klein. Es musste ein relativ aggressives Wachstumskonzept in Angriff genommen werden, wobei organisches Wachstum wie auch akquisitorisches Wachstum angestrebt wurden. Schwierig bei dieser Zielsetzung war die Finanzsituation. Hier war der kritische Engpass. Es wurde deshalb klar definiert, dass jeder investive Schritt zuerst verdaut werden musste, bevor ein nächster gesetzt werden konnte. Diese Spielregel wurde über die Jahre peinlich genau eingehalten. Folgende Betriebe wurden im strategischen Planungshorizont von 15 Jahren bis 1995 erworben: • 1982 Erwerb der Spinnerei Felixdorf, die im Zuge des medialen Wirbels um das Projekt Textil West nach langen Verlustjahren von der besitzenden Bank, der Creditanstalt, abgestoßen wurde. Bei der Linz Textil ist damit der Schritt in die zweite Phase, die Baumwolle, gemacht worden. Das Felixdorfer Programm strukturierte sich um die Qualität „Baumwolle 1 1/8 Faserlänge gekämmt“. • 1984 Erwerb der Weberei Telfs, die ein ähnliches Rohgewebeprogramm beinhaltete wie die Weberei Linz;
open end bergin
• 1985 Erwerb der Spinnerei Matrei, deren Programmschwerpunkt im Bereich „Baumwolle kardiert“ lag und die maschinentechnisch veraltet war; • 1987 Erwerb der Weberei Reutte; die Rohweberei war ein Schwesterbetrieb der Linz Textil und wurde aus dem Konzern herausgekauft, um die im Markt störende Konkurrenzsituation zu beenden; • 1992 Erwerb der Spinnerei Klarenbrunn in Bludenz von der Getzner Textil AG. Diese Spinnerei war im hochwertigsten Baumwollsegment in der Herstellung von feinen Pima-Garnen für Hemdenstoffe tätig. Mit Klarenbrunn kam auch der Betriebsleiter Gerhard Metzler in das Führungsteam der Linz Textil-Gruppe. Er ist später der erfolgreiche Verantwortliche für das gesamte Baumwollkonzept geworden.
• 1994 Erwerb der Spinnerei Landeck, die wie Felixdorf im Markt „Baumwolle Mittelstapel gekämmt“ tätig war. Das ultramoderne Werk war in massiv roten Zahlen und litt unter dem Kostendruck der Überinvestition.
An den Rieter Flyern F1/1 in der Bildmitte werden die Streckenbänder zu Vorgarn verarbeitet. Rechts hinten die Rieter Karden sowie die Grobstrecke D0/2.
Im strategischen Expansionsziel war, wie schon erwähnt, nicht nur die Akquisitionsstrategie, sondern auch das organische Wachstum Teil des Konzepts. Für dieses organische Wachstum wurde deutlich mehr Geld ausgegeben als für die Akquisition. Im Nachhinein musste festgestellt werden, dass die Rentabilität des Investitionseuros wegen der größeren Berechenbarkeit beim organischen Wachstum besser war. Mit Ausnahme der Weberei Reutte, deren Webhalle 1984 komplett erneuert worden war, hat die
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Einreichplan der rund 4.000 m2 umfassenden Open-End-Spinnerei von 1986. Unten die Shedhalle, links unten das Verwaltungsgebäude.
Linz Textil alle ihre Betriebe bis 1995 durch Neubauten erweitert. Die damals noch bessere Textilsituation hat es erlaubt, dass sich all diese Investitionen, bis auf die Erweiterung in Telfs, positiv gerechnet haben. Nachstehend die Darstellung der Erweiterungsschritte: • 1981 Erneuerung der Rohweberei Linz und Mengenerweiterung um etwa 40 Prozent. Investitionsschwerpunkt war die S-500, eine neue Doppelgreifermaschine der Firma Saurer.
• 1986 Kompletterneuerung der Spinnerei Matrei auf der „Grünen Wiese“ – auf 14.000 m2 wurden die gesamte Produktion, Logistik und Verwaltung neu erbaut. Die gesamte Ringspinnerei wurde auf moderne Verbundmaschinen umgestellt. • 1987 Erweiterung der Spinnerei Linz durch eine moderne Open-End-Spinnerei. Es wurden die RU-14-Technologie von Schubert & Salzer, Regelstrecken von Rieter und ein Hochleistungsvorwerk von Trützschler installiert.
• 1990 Errichtung einer neuen Verbundspinnerei in Felixdorf zur mengenmäßigen und qualitativen Absicherung eines dreijährigen Garnliefervertrags mit der Firma Huber Trikot. Von dieser Firma wurde das Werk Teesdorf Ende 1989 erworben, Modernisierungsversuche in Teesdorf selbst scheiterten an der Qualifikation der Mannschaft. Die Frage von Dionys Lehner an einen Meister, ob er wisse, was er da tue, wurde von ihm beantwortet: „Nein, aber die anderen auch nicht!“ Das Werk musste 1992 stillgelegt werden. • 1990 maschinelle Kompletterneuerung der Shedspinnerei in Linz und gleichzeitige Erweiterung der Produktionshalle um 4.500 m2, was einer Kapazitätsausweitung von rund 50 Prozent entsprach. Die Erweiterung von außen und von innen hat zu einem massiven Wachstumsschub geführt. Die Linz Textil, die im Jahr 1977 mit Spinnen und Weben einen Umsatz von EUR 11,5 Mio. erwirtschaftet hatte, überschritt 1991 zum ersten Mal die Umsatzgröße von EUR 100 Mio. und erreichte 1994 zum ersten Mal ein Umsatzvolumen von EUR 150 Mio. Der Cash Flow, der 1967 noch kritische minus 10 Prozent betrug, lag in zweiten Hälfte der 1980er-
Jahre und in der ersten Hälfte der 1990erJahre typischerweise bei 12 Prozent. Dieses Selbstfinanzierungspotential erlaubte es, das Wachstum in angemessener Weise aus eigener Kraft zu finanzieren. In den Jahren 1989/90 gab es Überlegungen, die Textilgruppe durch ein anderes Tätigkeitsfeld zu ergänzen. Es wurden knapp hintereinander zwei Firmen auf der „Grünen Wiese“ gegründet, beide auf dem Gebiet der Elektronik. Das eine war die Technosert Electronic Gesellschaft m.b.H. mit einem Stammkapital von ÖS 7 Mio. und im Bereich der Bestückungstechnologie tätig. Die andere Firma war die Safeware Ges.m.b.H. mit einem Stammkapital von ÖS 4 Mio., die auf dem Gebiet der EDVAbsicherung durch die Entwicklung von elektronischen Schlössern und Schlüsseln tätig war. Beide Neustarts waren erfolgreich, es zeigte sich aber im Verlauf der 1990er-Jahre, dass die Parallelführung der Welten Elektronik und Textil zu einer Überforderung des Managements führte. Die Gruppe war dem Textilbereich verpflichtet und so kam es zu einer Trennung von den beiden jungen Gesellschaften: Die Technosert schied durch einen Management-Buyout und die Safeware durch eine Fusion mit dem deutschen Marktführer Utimaco aus dem Linz Textil-Verbund aus.
1987 wurde der Standort Linz mit einer modernen Open-End-Spinnerei von Schubert & Salzer ausgestattet.
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D-Day in zehn Jahren1
1) Anlehnung an das Kapitel „Die Textilindustrie“ S. 261–278 in: Lacina et al: Österreichische Industriegeschichte, 1955–2005, herausgegeben von der Österreichischen Industriegeschichte GmbH, Linz, 2005.
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Die österreichische Textilindustrie kämpfte Mitte der 1990er-Jahre zunehmend mit der intensiven Konkurrenz aus Asien. Diese Entwicklung sollte sich noch verstärken. 1994 wurde die Uruguay-Runde unterzeichnet, das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) wurde mit 1. Jänner 1995 durch die WTO (World Trade Organization) ersetzt und das MFA (Multi-fiber Agreement) zum Auslaufmodell erklärt. Das MFA war für die Textilindustrie sehr wichtig. Es war ein Regelwerk von Zöllen und Mengenquoten für die einzelnen Produktgruppen auf ihrem Weg von den Entwicklungsländern in die konsumierende industrialisierte Welt. Das neue Welthandelsabkommen sah vor, dieses Multifaserabkommen nach dem Ablauf von zehn Jahren am 1. Jänner 2005 komplett zu beseitigen. Das war eine Alarmstufe für die Industrie, die allerdings im Hinblick auf den Zeithorizont von zehn Jahren nicht sehr alarmiert reagierte. Die Linz Textil nahm diese Weichenstellung ernst. Im Frühjahr 1995 brachte Dionys Lehner die Entwicklung mit seinen Führungskräften zur intensiven Diskussion. Es wurde entschieden, die Wachstumsstrategie aufzugeben und nur noch mäßig zu expandieren und das Eigenkapital als Vorbereitung für das Jahr 2005 drastisch zu erhöhen. Die Eigenkapitalquote, die Anfang 1994 bei 38 Prozent lag, sollte bis zum „D-Day im Jahr 2005“ auf 60 bis 70 Prozent angehoben werden. 1996 stagnierte bei der Linz Textil der Umsatz, Gewinn und Abschreibungen waren rückläufig. Bei einer Führungssitzung wurde die konzernale Praxis, zugekaufte Töchter stärker mit „finanzieller Muttermilch“ zu versorgen als die Kernbetriebe in Linz, aufgegeben. Die acht Fabriken wurden in zwei Kategorien auf-
geteilt: Die vier Betriebe Spinnerei Linz, Weberei Linz, Spinnerei Landeck und Spinnerei Klarenbrunn wurden als Kernbetriebe eingestuft, die höhere Investitionen tätigen konnten, aber gleichzeitig auch die Linz Textil-Dividenden bestreiten mussten. Für die vier anderen Betriebe Spinnerei Felixdorf, Spinnerei Matrei, Weberei Reutte und Weberei Telfs war eine etwas flachere Investitionskurve geplant. Sie mussten keinen Beitrag zur Linz Textil-Dividende leisten, sich jedoch selber finanzieren können. Diese Weichenstellungen waren gleichzeitig auch der Blick ins Jahr 2000. Ein konstruktiver interner Wettbewerb zwischen den Linz Textil-Betrieben war erwünscht.
Finanzkrise am Horizont Auf dem Weg ins Jahr 2000 erhöhte sich in der Textilindustrie der Preisdruck durch die dominierende asiatische Konkurrenz. Es zeichnete sich ab, dass die vier genannten Betriebe Felixdorf, Matrei, Reutte und Telfs nicht im Stand waren, sich nachhaltig aus eigener Kraft zu finanzieren, zudem stiegen am Horizont die ersten Wolken auf, die aufgrund der Exzesse der „New Economy“ der 1990er-Jahre eine gefährliche Großwetterlage des Finanzsystems ankündigten. Ein unkontrollierter Zusammenbruch des überliquiden Finanzsystems stand zwar nicht vor der Tür, schien aber auch nicht mehr eine Sache absoluter Unmöglichkeit zu sein.
1999 nahm Dionys Lehner, wie regelmäßig seit vielen Jahren, am World Economic Forum in Davos teil. An einer kleinen Seminarveranstaltung kam es zu einem Schlüsselerlebnis: Bei einem hochrangig zusammengestellten Podiumsgespräch mit Hans Tietmayer, Präsident der Nationalbank BRD, Wim Duisenberg, Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, Präsident der Nationalbank Frankreich, und Fritz Leutwiler, dem ehemaligen Präsidenten der Nationalbank Schweiz, wurden Themen der aktuellen Situation des Finanzsystems diskutiert. Dionys Lehner stellte dem Podium die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Tobin-Steuer auf Finanztransaktionen einzuführen,
Der Standort Linz im Jahre 2002. Die neue Weberei – in der linken Bildhälfte – hatte 2001 ihren Betrieb aufgenommen. Die stillgelegte Weberei ist am oberen Bildrand vor ihrem Abriss 2009 zu sehen. In der Mitte: Spinnerei I und II sowie Verwaltung und Logistik. Unten ist ein Teil der Aschensiedlung zu erkennen, rechts oben das Grillmayerschlössl.
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um einen riesigen Krisenfond anzusparen, mit dem das Finanzsystem im Falle einer großen Finanzkrise die Risiken selber finanzieren könnte. Die Antwort war eindeutig: „Eine Finanztransaktionssteuer wird niemals kommen und ein Zusammenbruch des Finanzsystems ist in der heutigen Zeit absolut undenkbar.“ Diese Aussage wirkte auf Dionys Lehner wie ein Schock. Er war überzeugt, dass eine Großkrise, falls sie kommen sollte, die Wirtschaft 100 Prozent unvorbereitet treffen würde. Ihm war klar, dass die Linz Textil in ihrer damaligen Struktur eine schwere Krise ohne Vorlaufzeit nur schwer überleben könnte. Es entstand der Plan, die vier Betriebe ohne ausreichende Selbstfinanzierungskraft zeitlich gestaffelt und geordnet zu schließen, da ein Verkauf unrealistisch schien. Um die dadurch entstehenden Umsatzlücken auszugleichen, sollte gleichzeitig im Ausland eine Produktionskapazität mit niedrigeren Kostenstrukturen aufgebaut werden. Auch die Möglichkeit der Diversifikation durfte nicht ausgeschlossen sein. Die leider notwendigen BetriebsAufnahme aus der 2002 erworbenen und modernisierten Spinnerei Klanjec in Kroatien.
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schließungen sind wie folgt durchgeführt worden: • 2002 Weberei Telfs, • 2005 Spinnerei Felixdorf, • 2007 Verlagerung der Spinnerei Matrei nach Landeck, Kürzung des bisherigen Programms Landeck und Schließung der Spinnerei Matrei, • 2008 Schließung der Weberei Reutte, die in den Jahren zuvor bereits in der Kapazität um 50 Prozent reduziert worden war. Im gleichen zeitlichen Rahmen nahmen die Expansionsschritte im Ausland konkrete Formen an. Auch eine Diversifikationsbemühung wurde durch den Kauf einer Marke realisiert: • 2002 Erwerb der Spinnerei Klanjec, das Projekt war erfolgreich. Ein im Jahr 2000 begonnenes Pilotprojekt mit 10.000 Spindeln im tschechischen Neuhausen wurde 2005 zugunsten von Klanjec abgebrochen. Der Plan, in Tschechien eine neue Spinnerei mit 30.000 Spindeln zu errichten, wurde fallen gelassen.
• 2004 Erwerb der Firma Vossen: Damit wurde die führende Marke im Frottierbereich im deutschsprachigen Raum erworben und die bereits vorhandene Beteiligung von 30 Prozent auf 100 Prozent aufgestockt. Vossen verfügte über einen neu erbauten Konfektionsbetrieb im nahe an der österreichischen Grenze liegenden ungarischen St. Gotthard. Auch an der Kapitalstruktur der Linz Textil AG hat sich in den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausends einiges bewegt. 2001 erfolgte die Umstellung des Grundkapitals von Schilling auf Euro. Die Nennbetragsaktien wurden gleichzeitig mit einem Aktiensplit im Verhältnis eine alte Aktie für zwei neue Aktien in 300.000 nennbetragslose Stückaktien umgewandelt. Das Grundkapital wurde durch eine Gratiskapitalaufstockung auf EUR 15 Mio. erhöht. In der Folge wurde aufgrund der komfortablen Liquiditätslage dieses Kapital bis 2007 in zwei Schritten auf EUR 6 Mio. reduziert. Die „Dr. Robert und Lina Thyll-DürrStiftung“ in der Schweiz veräußerte 2005 ihre 30-prozentige Beteiligung an der Linz Textil Holding AG an die Allgemeine Sparkasse in Linz, die diesen Erwerb in zahlreichen Einzelpaketen auf den Markt brachte. Die Linz Textil ist seit 1872 an der Wiener Börse notiert: 60,5 Prozent der Stimmrechte sind konzernal gebündelt. Die Eltex Verwaltung GmbH, die im Hintergrund eine Stiftung hat, vertritt seit dem Jahr 2006 diesen Stimmanteil an der Hauptversammlung. Diese unverkäuflichen 60,5 Prozent werden voraussichtlich auch in den nächsten 15 Jahren unverändert den Entscheidungsprozess der Hauptversammlung mit industriellen Langfristzielen prägen.
Die Bewältigung der Finanzkrise Nach dem Einbruch der sogenannten Internetblase im Jahr 2001 kamen die USA, die Führungsmacht der westlichen Wirtschaftswelt, mit einer leichten Rezession von lediglich zwei Quartalen davon. Der Grund war der nahtlose Übergang in den Aufbau einer riesigen Immobilienblase. In der Pipeline der Liquiditätsschwem-
Aktien des seit 1872 an der Wiener Börse notierten Unternehmens im Wert von 30.000 (1959) und 10.000 (1979) Schilling. 2001 erfolgte die Umstellung des Grundkapitals auf Euro.
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Airjet-Spinnerei der Type J 20 von Rieter. Garn wird hier mit Luftdüsentechnologie hergestellt.
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me waren damit eine nicht abgearbeitete alte Blase und eine neue, im Aufbau befindliche. Die rasch expandierenden, später als „toxic assets“ bezeichneten neuen Finanzprodukte wurden mit sogenannten CDS (Credit Default Swaps) abgesichert. Der Irrsinn dieser Entwicklung kam durch die Expansion dieser CDS zum Ausdruck. 2001 betrugen sie noch unter USD 1.000 Mrd., sechs Jahre später, 2007 aber bereits USD 65.000 Mrd., was ungefähr der Größe des Weltbruttosozialprodukts entsprach. Der aus Derivaten bestehende Turm zu Babel begann im Sommer 2007 zusammenzubrechen. Das Epizentrum dieses finanziellen Erdbebens lag in New Yorks Manhattan, nicht ganz ohne Nebenbeben in Europa. Die Alarmlichter der konjunkturellen Ausblickserwartungen gingen bei
den ersten Firmen in der Realwirtschaft auf Rot, so auch bei der Linz Textil, die das „wirtschaftliche Unwetter“ erwartet hatte. Es erwies sich nun als großer Vorteil, dass von den vier kritischen Betrieben drei schon geschlossen waren und der vierte, die Weberei in Reutte, mit einer reduzierten Kapazität von nur noch 50 Prozent dastand. Die Analyse an der Jahreswende 2007/2008 in einem herbstlichen Konzernseminar zeigte, dass nach 30 Jahren fast konstanten Wachstums eine Reduktion von Kapazität und Personalbestand um rund 30 Prozent notwendig war. Obwohl in den Medien die Verwerfungen als Probleme der Bankenwelt bezeichnet wurden, die nicht auf die Realwirtschaft durchschlagen würden, entschloss sich der Aufsichtsrat im Frühjahr 2008, rasch zu handeln und
sämtliche Abbaumaßnahmen in kurzer Zeit umzusetzen. Im November 2008 war das Reduktionsmodell zur Gänze durchgeführt. Wie notwendig das war, zeigt der Umsatzvergleich der Linz Textil GmbH von Jänner 2008 mit EUR 11,4 Mio. und Jänner 2009 mit EUR 6,9 Mio. Im Jahr 2011 wurde mit einem Konzernumsatz von EUR 162,7 Mio. der Vorkrisenumsatz des Jahres 2006 von EUR 164,0 Mio. fast wieder erreicht. Die gute Finanzlage der Linz Textil und freiwerdende Mittel aus der Reduktion des Umlaufvermögens haben es erlaubt, im Krisenjahr 2008 mit Rekordinvestitionen von EUR 18,5 Mio. zu reagieren. Neben einem Projekt in China wurden auch große Investitionen in Österreich getätigt. Zwei durch Brandstiftung ausgelöste Großbrände hatten im Dezember Die Errichtung eines Hochregallagers gehörte zum Projekt „360°“, das im Herbst 2012 abgeschlossen wurde.
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2009 und Jänner 2010 die gesamte Logistik der Spinnerei zerstört. Der Wiederaufbau stand außer Zweifel und führte zu radikalen Investitionsüberlegungen. In den Folgejahren 2010 bis 2012 prägten die beiden Projekte „Schmetterling“ und „360°“ das Investitionsbild. Beim „Projekt Schmetterling“ wurde das komplette Vorwerk erneuert sowie eine moderne Luftdüsenkapazität mit Rieter J20-Maschinen für Viskose-Garne aufgebaut. Beim „Projekt 360°“, das im Herbst 2012 zum Abschluss kam, wurde das Ziel erreicht, die Fabrik so zu erneuern und zu verschönern, dass man rund um das Werk gehen konnte und es sich von jeder Stelle gleich gepflegt und neuwertig präsentierte. In dieses Programm gehörten auch die Errichtung eines Hochregallagers, eines neuen Labors, die Errichtung und Bestückung einer anspruchsvollen Versuchsspinnerei und der Bau neuer Sozialräume für Arbeiterinnen, Arbeiter und Meister. Diese Investitionen wurden ungewollt eine erfreuliche Vorbereitung für das Fest zum 175-jährigen Jubiläum, das am 20. Juni 2013 am Werksgelände in Linz stattgefunden hat. Im Sommer 2010 gab es auch einen Wechsel in der organisatorischen Führung. Dionys Lehner, der als Vorsitzender des Vorstands der Linz Textil Holding AG die Konzernführung und gleichzeitig die operative Führung der Linz Textil GmbH innehatte, übergab die operative Tätigkeit nach gelungener Überwindung des Krisenjahres 2008 an Alexander Hofstadler. Die Doppelausbildung als Maschinenbauingenieur und Magister der Betriebswirtschaftslehre und der Handelswissenschaften an der Universität Linz sowie sechs Jahre Erfahrung bei der Linz Textil machten ihn zum idealen Kandidaten für die Nachfolge als
Geschäftsführer in der Linz Textil GmbH. Dionys Lehner behielt die Konzernleitung bei der Linz Textil Holding AG sowie die Verantwortung für den Fertigprodukthersteller Vossen. Die Linz Textil hat auch als notierte Aktie an der Wiener Börse die Finanzkrise gut überstanden. Nachdem in der Bewertung der Aktie vermutlich immer ein Stück die Sorge mitspielte, dass eine Textilfirma eine große Finanzkrise nur schwer überwinden kann, war die Aktie tendenzmäßig eher unterbewertet. Der Linz Textil ist es durch die Krisenbewältigung gelungen, ein hohes Maß an Krisenfestigkeit nachzuweisen. Die Aktie ist 2013 rund zweieinhalb Mal so hoch bewertet wie im Höhepunkt vor der Krise. Im Wirtschaftsmagazin „Gewinn“ vom März 2013 hat die Linz Textil in einer Analyse der besten Bewältiger der Finanzkrise an der Wiener Börse den ersten Platz bekommen. Mit Blick auf die Zukunft wird sich so eine Performance nicht wiederholen lassen.
Das Wirtschaftsmagazin „Gewinn“ kürte die Linz Textil im März 2013 zum Bestperformer an der Wiener Börse.
Linke Seite: Strecke und Rotorspinnmaschinen in der generalmodernisierten Shedhalle in Linz. Aufnahme von 2013.
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Die künstlerische Trilogie zum Unternehmensumfeld. „Goldhauben“ (oben), „Fadensuche“ (rechte Seite unten) und „Dschungel der Märkte“ (links). Peter Hauenschild und Georg Ritter, Pastell auf Holz, 2005, 2009 und 2012.
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Linz Textil und Kunst Die Linz Textil fühlt sich seit jeher der Kunst verpflichtet. Sie hat daher in unregelmäßigen Abständen verschiedene Kunstprojekte unterstützt und Werke in Auftrag gegeben. So hat sich die Linz Textil auch im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Linz 09 am Projekt „KUNST FLOW“ beteiligt. Die Idee war, dass ein Unternehmen ein Werk eines Künstlers sponsert und am Firmengelände eine Vernissage organisiert. Die Wahl fiel auf das Künstlerpaar Hauenschild/Ritter, das sich mit großformatigen Pastellkreidezeichnungen einen Namen gemacht hat. Die Linz Textil hatte bereits im Jahr 2004 die Erstellung eines Auftragswerks mit dem Titel „Fadensuche“ an die Künstler vergeben. Weitere Auftragsfertigungen folgten in den Jahren 2009 (Goldhauben) und 2012 (Kopie des Werks „Negro attacked by a Jaguar“ von Henri Rousseau, 1910). Insgesamt verfügt die Linz Textil damit über drei Werke von Hauenschild/Ritter, die eine Trilogie zum Unternehmensumfeld der Linz
Textil darstellen sollen: Die „Fadensuche“ steht für die Produkte, die „Goldhauben“ für den Firmensitz in Oberösterreich und das Bild von Rousseau symbolisiert den „Dschungel der Märkte“, in dem die Linz Textil tätig ist.
Linz09-Intendant Martin Heller und Dr. Dionys Lehner bei der Präsentation des Kulturprojekts „KUNST FLOW“, an dem sich die Linz Textil beteiligte.
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IV. Der Betrieb am Wasser Der Nutzen des Wassers Der Grund dafür, dass sich die Linz Textil dort befindet, wo sie heute ist, ist das Wasser. Textilfabriken waren einst vom Wasser abhängig. Sie benötigten es als Betriebsmittel beim Färben, für die Befeuchtung der Faser beim Spinnprozess und für die Sprinkleranlagen, die nicht nur für eine entsprechende Luftfeuchtigkeit sorgten und die Staubplage reduzierten, sondern seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch zur Brandverhütung eingebaut wurden. Der eigentliche Grund für die Ansiedlung von Spinnfabriken und später auch der mechanischen Webereien am Wasser aber war die Wasserkraft. Mit der Mechanisierung des Spinnprozesses seit dem späten 18. Jahrhundert brauchte man Motoren. Und die besten und billigsten Motoren in der Frühindustrialisierung waren die Wasserräder. Bis heute werden die Fabriken in England, dem Mutterland der Industrialisierung, als „mills“ bezeichnet. Die altbewährte Mühlentechnik war billiger als die neuartigen Dampfmaschinen. Bis weit ins 19. Jahrhundert waren Wasserräder den noch wenig ausgereiften Dampfmaschinen zudem auch wegen ihres viel gleichmäßigeren Laufes überlegen, was das Reißen von Fäden weniger häufig machte. Das Wasser hatte nur einen Nachteil: Man war vom Wasser abhängig, sowohl was den Standort betraf als auch hinsichtlich der Wasserführung. Im Winter froren die Mühlbäche immer wieder zu und vereisten die Wasserräder und Turbinen. Einmal gab es zu wenig Wasser, dann wieder zu viel. Immer wieder kam es zu Hochwasserschäden. Die Mühlbä-
che und Uferverkleidungen, Schleusen, Wehranlagen, Brücken- und Dammbauten waren in Errichtung und Erhaltung kostspielig. Und vor allem: Geeignete Wasserrechte waren knapp und die Streitigkeiten mit den Anrainern und Konkurrenten, mit den Ober- und Unterliegern und mit den Schiffern und Fischern erwiesen sich als endlos. Die Besitz- und Nutzungsrechte des Wassers waren seit Jahrhunderten geheiligte und umkämpfte Rechte.
Die Industrieader Traun Die Traun hat die Wirtschaftsgeschichte Oberösterreichs entscheidend geprägt. Auf ihr wurde das Salz, lange Zeit die wichtigste Einnahmequelle des Landes, von den Salinen im Salzkammergut auf Schiffen zur Donau gebracht und von da weiter zu den Verbrauchern verteilt. Entlang der Traun entwickelte sich die frühe Industrie des Landes: Spinnereien, Papierfabriken, Chemieunternehmen. Die Traun trieb nach 1900 auch die ersten großen Elektrizitätswerke der Region. Die kaum gefrierenden Traunwässer, vor allem aber ihre zahllosen Seitenarme und Zubringer, und die weitläufigen Geländeformen waren für die Industrieentwicklung günstig. An der Traun selbst wurden wegen der Schifffahrt keine hinderlichen Wehrbauten geduldet. Durch Kleinmünchen fließen drei Bäche, Seitenarme der Traun: der Weidingerbach, der sich oberhalb der Binderhäusl-Schleuse mit dem Welser Mühlbach vereinigt, der Jauckerbach und der Magerbach. Diese drei Mühlbäche waren und sind die Lebensader des Ortes. Hier bestand schon vor dem Beginn der Industrialisierung eine Reihe von Mühlen, Stampfen und Walken. Die ältes-
Ein sogenannter „Salztrauner“ auf seiner Fahrt flussabwärts. Einst war die Traun für den Salztransport reserviert, bis die Pferdeeisenbahn Gmunden – Linz – Budweis 1836 die Schifffahrt ablöste.
Linke Seite: Der Plan des Kartographen Anton Schön von 1807 gilt als die zuverlässigste Wiedergabe der damaligen Verhältnisse. Traun und Donau sind noch unreguliert und verzweigen sich in viele Nebenarme. Zwischen der Stadt Linz und dem Dorf Kleinmünchen liegt noch Bauernland.
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ten dieser Mühlen gehen bis ins Mittelalter zurück. Die Linzer Wollzeugfabrik, die durch ihre Lage an der Donau keine technische Möglichkeit hatte, die Wasserkraft zu nutzen, überlegte schon im späten 18. Jahrhundert Teilverlagerungen nach Kleinmünchen. Die Schörgenhubmühle wurde von der Wollzeugfabrik gepachtet und in eine Tuchwalke umgerüstet. Im späten 18. Jahrhundert war sie unter dem Namen „Fabrikenwalke“ bekannt. Mit dem Niedergang der Wollzeugfabrik standen ihre Objekte an der Traun zum Verkauf. Die Brüder Franz X. und Johann Michael Rädler erwarben 1830/32 zwei derartige Objekte, die Markmühle in der Schörgenhub und die benachbarte Schörgenhubmühle. Noch 1830 begannen sie mit dem Umbau zu einer mechanischen Baumwollspinnerei mit 30 Spinnstühlen, an denen sie 150 bis 200 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigten. Das war der erste mechanische Großbetrieb in Kleinmünchen und der erste bedeutende in dieser Branche in Oberösterreich. Das gemeinsame Ansuchen des Anton Wöss und der Eheleute Ambros und Elisabeth Hager um Bewilligung zur Errichtung eines Wasser-Antriebswerkes am Jaukermühlenbach aus dem Jahr 1838 ist das erste Dokument, das auf die Gründung der Kleinmünchner Spinnerei hinweist und wird auch als Geburtsstunde der Linz Textil gefeiert. Am 24. August 1838 fand eine Kommissionierung statt, am 25. November 1838 kam der positive Baubescheid. Schon zwei Jahre nach den ersten Aktivitäten von Wöss und Grillmayr, die Anlagen
waren nunmehr fertiggestellt, setzten Auseinandersetzungen mit den Oberliegern ein. Johann Wilhelm Rübsam, der Besitzer der Kattundruckfabrik und Jaukermühle in Kleinmünchen brachte im September 1841 gegen das Projekt von Anton Wöss und Johann Grillmayr eine Beschwerde wegen eines zu großen Rückstaus ein: „Durch die rechtswidrige Rückschwellung geschieht es, dass ich täglich um ein halbes Muth weniger auf meiner Mühle mahlen kann, dass das Maschinenwerk in meiner Fabrik eine sehr schädliche Hemmung und Schwächung im Triebe leidet, dass das Ufer meiner Wiesengründe abgeschwemmt wird und dass Wasser durch die Schwellung auf die Wiesen dringt ...“ Rübsam behauptete, dass keine ordnungsgemäße Bauverhandlung erfolgt sei oder entgegen den Auflagen gebaut worden sei, und verlangte, dass keine nachträgliche Baugenehmigung erteilt werden dürfe. Rübsams Beschwerde führte zu einer vorübergehenden Baueinstellung. Aber man konnte sich einigen. Die Entwicklung war nicht aufzuhalten.
Mit der Gründung der Aktiengesellschaft erfuhr die Kleinmünchner einen Ausbau. Neben Spindeln und Webstühlen wurden auch verschiedene Turbinen und Wasserräder installiert. Turbinenplan von 1875.
Im 19. Jahrhundert wurden immer mehr Mühlen zu Spinnereien umgebaut, so auch die 1907 von der Aktienspinnerei übernommene und 1978 abgetragene ehemalige Kunstmühle am Jaukerbach. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1938.
Linke Seite: Technische Einrichtung im Turbinenhaus um 1910. Schon im 19. Jahrhundert baute man entlang der Traun immer mehr Mühlen zu Textilbetrieben um.
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Um die Wasserkraft zu nutzen, siedelte das Unternehmen 1884 rund einen Kilometer vom Hauptwerk entfernt eine Spinnerei am Jaukerbach in der Zizlau an. Sie wurde anstelle der Eßmühle errichtet und verfügte als absolutes Novum über elektrisches Licht.
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Wasserrechte sind wertvolle Rechte Zehn Jahre später, im Jahr 1852, schrieb die oberösterreichische Handelskammer in ihrem Jahresbericht, dass die Mühlen an der Traun immer weniger werden, weil sie die Industriellen um der Wasserkraft willen aufkauften. Überall an den Mühlbächen entlang der Traun, von Kleinmünchen über Traun, Marchtrenk bis Wels und Gmunden entstanden Spinnereien und Webereien. Aber auch andere Industrien nutzten die Wasserkraft für den Antrieb ihrer Maschinen. Als in den 1850er-Jahre statt der Wasserräder die ersten Turbinen in Kleinmünchen eingebaut wurden (1854 in der Kunstmühle der Brüder Löwenfeld & Hofmann, 1855
in der Neuen Englischen Spinnerei von Grillmayr), mündete das in langwierige Auseinandersetzungen zwischen allen Beteiligten mit wechselnden Koalitionen. So stritten Grillmayr und die Brüder Löwenfeld & Hofmann gemeinsam gegen den Färbereibesitzer Adrian und andere Anrainer, dann wieder Grillmayr und Dierzer zusammen gegen Löwenfeld. Als die Besitzer der Kunstmühle Ende der 1850-Jahre Pläne für eine teilweise Umlegung des Fabriksoberwassers vorlegten, protestierten Dierzer und Grillmayr. Letztlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich alle Textilfabrikanten für die Instandhaltung der Gerinne zusammentun mussten. Wasserrechtliche Überlegungen veranlassten Grillmayr von Anfang an, weitere Anlagen
vorausschauend für eine Expansion aufzukaufen, etwa die Hammerschmiede in der Blümelmühlau und die Zizlauer Eßmühle. Es gab die Überlegung, von dort mittels einer Drahtseiltransmission die Kraft zu den Spinnereien zu übertragen, wo bereits ein erheblicher Kraftmangel bestand. Die Firma Rieter hatte Systeme dafür entwickelt. Auf gemauerten Pfeilern oder Gittermasten, die in Abständen von etwa 140 Metern gesetzt waren, lagerten Rillenscheiben für die Drahtseile. So konnte man mit relativ geringen Verlusten eine Kraftübertragung zu weit entfernten Objekten gewährleisten. Man entschied sich aber dann, auf derartige Konstruktionen zu verzichten und die Spinnerei, gemeint die Zizlauer, am Ort des Kraftangebots zu
errichten und damit die brach liegende Wasserkraft der Eßmühle zu nutzen. In den 1890er-Jahren wurde ein umfangreiches Projekt ausgearbeitet, das die Ansiedlung weiterer Industriebetriebe in Kleinmünchen möglich machen sollte. Intendiert war eine Erhöhung der Wasserzuflussmengen aus der Traun in den Weidinger- und in den Jaukerbach. Ein 25 m3/ sec fassender Kanal wurde neu projektiert und die Errichtung von vier Turbinenanlagen war vorgesehen. Es sollte ein ganz großes Kraftwerksprojekt werden, in das nicht nur die Kleinmünchner, sondern auch die St. Martiner und Trauner Unternehmen eingebunden werden sollten. Zur Umsetzung kam es nicht, weil sich die Fa. Rädler massiv dagegen stellte.
Schon in den 1850er-Jahren wurden in Kleinmünchen statt Wasserrädern die ersten Turbinen eingebaut. Die Aufnahme zeigt Arbeiten an der Englischen Weberei um 1905.
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Ein kompliziertes System an Transmissionen leitete die durch Wasser erzeugte Kraft zu den Maschinen weiter. Querschnitt der Zizlauer Spinnerei – angelegt von der Schweizer Firma Joh. Jacob Rieter & Cie./Winterthur, 1884.
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Dann kam die Elektrizität. Sie revolutionierte die Standortbedingungen. Bei den Bauarbeiten zur Errichtung der Zizlauer Spinnerei im Herbst 1884 wurde erstmals elektrisches Licht eingesetzt. Im Bericht heißt es: „Inzwischen war die Jahreszeit so weit fortgeschritten, dass sich die Kürze der Tage sehr unangenehm fühlbar machte. Wir beschlossen daher, für Beleuchtung zu sorgen und stellten drei 1.100-kerzige Bogenlampen auf. Die Beleuchtung zeigte sich so günstig, dass nun auch besonders bei der nun vorzunehmenden Pilotierung der Grundfesten der Turbinenstube Nachtarbeit eingeführt wurde.“ Die Kraft für die Dynamos
bezog man aus einem in das Flussbett gehängten Wasserrad. 1893 baute man neben dem 1884 errichteten Turbinenhaus der Zizlauer Spinnerei ein Dynamohaus mit einer 300 PS starken Dynamomaschine. Die Energie wurde nicht in der Zizlauer Spinnerei benötigt, sondern in der Schweizer, deren Maschinensätze auf knapp 17.000 Selfaktorspindeln erweitert worden waren. Der Energiebedarf stieg aber immer mehr. 1907 wurde die Mühlenspinnerei von Gruppenantrieben mit Transmissionen auf Einzelantriebe mit Elektromotoren umgerüstet. Der Elektroantrieb ermöglichte den Verzicht auf Wellen, Riemen
und Seiltransmissionen. Das bedeutete nicht nur mehr Flexibilität bei der Platzierung der Maschinen, sondern auch eine Verminderung des Unfallrisikos. Allerdings unterblieb der für den vermehrten Elektrizitätsbedarf vorgesehene Ausbau der Wasserkräfte bis in die Zeit nach 1945.
Das Traunwehr Die alte Kleinmünchner konnte in der Zwischenkriegszeit auf mehrere Kraftwerke zugreifen: am Welser Mühlbach bzw. Weidingerbach auf das Kraftwerk der alten Dierzer-Spinnerei mit zwei Turbinen und einer Gesamtleistung von 104
kW und ca. 800 m weiter bachabwärts auf das Kraftwerk der Schweizer Spinnerei mit weiteren zwei Turbinen und einer Leistung von 330 kW. Der Jaukerbach trieb das Kraftwerk der alten Kunstmühle mit zwei Turbinen und 380 kW und 300 m weiter bachabwärts das Kraftwerk der alten Englischen Spinnerei mit zwei Turbinen und 280 kW. Nach dem Zusammenfluss von Weidingerbach und Jaukerbach folgte das Kraftwerk Zizlau mit vier Turbinen und ca. 850 kW. Man hätte für den Fabriksbetrieb eine Energiemenge von 3300 bis 3400 kW benötigt, und das gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt. Tatsächlich stand nur ein Gesamtangebot
Energiegewinnung war schon immer eine zentrale Frage. Zur Sicherung der Durchflussmenge entschied man sich nach 1945 zum Bau eines Traunwehrs, dessen Bauarbeiten dieses Gemälde zeigt.
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Im März 1948 begannen die Bauarbeiten zur Errichtung des Traunwehrs, das der Flussregulierung diente. Im Juli 1950 war der Bau abgeschlossen.
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von nicht ganz 2000 kW zur Verfügung, und das nur unter der Voraussetzung, dass die berechnete Wassermenge von 25 m3/sec auch tatsächlich zur Verfügung stand. Es gab aber immer wieder Zeiten mit einer Wasserführung von 10 m3/sec und weniger. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte im Zuge des Wiederaufbaus an eine Neustrukturierung der Kraftwerke gedacht werden. Im Jahr 1946 wurde ein umfassendes Projekt ausgearbeitet. Man wollte von der Wasserrechtsbehörde eine Wassermenge von 70 m3/sec statt der bisherigen 25 m3/sec bewilligt erhalten. Zugestanden wurden von der Behörde schließlich 55 m3/sec. Auf dieser Grundlage mussten die Wasserrechtsverhandlungen mit den Anrainern und Behördenvertretern geführt werden. Nur unter den Bedingungen des ersten Nachkriegsjahres konnten diese Verhandlungen, in die an die 40 Behördenvertreter und Privatbeteiligte involviert waren, so rasch abgewickelt werden. Innerhalb eines Jahres wurden die
Wasserbauverhandlungen abgeschlossen. Bereits im Oktober 1947 konnten nach einjähriger Vorbereitung die Bauarbeiten begonnen werden. Die Baustelle umfasste ein Areal von 53.000 m2. Für die Bewegung des Materials mussten Geleise und Straßen angelegt werden. Zwei Turmdrehkräne und eine Reihe von Baggern waren im Einsatz. Etwa 60.000 m3 Erdreich und 13.500 m3 Schotter mussten bewegt werden. Man benötigte 450 t Stahlspundwände, 450 t Baustahl und 210 t Baueisen, große Mengen Zement, Holz, Dachpappe und Kraftstoff, und das alles in der Mangelwirtschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit. Gebaut wurden ein massives Stauwehr, ein Einlaufbauwerk sowie der Verbindungskanal zum Weidingerbach mit den dazugehörigen drei neuen Schleusen und der Verbindung zum Jaukerbach. Der Baufortschritt wurde auch dadurch noch weiter erschwert, dass das Jahr 1949 vier schwere Hochwässer brachte. Im April 1950 war das Vorhaben nach zweijähriger Bauzeit dennoch abgeschlossen.
Kraftwerk statt Fabrik? In den 1960-Jahren stellte sich für die KAG immer mehr die Richtungsentscheidung zwischen Investitionen in die Modernisierung des Produktionsstandorts Kleinmünchen oder Verwertung der vorhandenen Grundreserven und Konzentration auf die Nutzung der Wasserkräfte. Es war die Zeit, in der in kurzen Zeitabständen entlang der Donau und ihrer Nebenflüsse ein Kraftwerk nach dem anderen entstand. Auch die Kleinmünchner AG überlegte, ihr Kapital in einem großen Wasserkraftprojekt auf dem eigenen Gelände einzusetzen. Allerdings drohte das die Kräfte zu übersteigen. Aus der Textilindustrie, heißt es im Geschäftsbericht von 1972, war ein in diesem Ausmaß nicht erwarteter äußerst kapitalintensiver Industriezweig geworden. Das verlange den Einsatz aller verfügbaren Mittel für die Modernisierung der Produktionsanlagen. Das genehmigte und von der Aktiengesellschaft baureif gemachte Wasserkraftprojekt an der Traun wurde daher an die Linzer städtische Elektrizitätsgesellschaft verkauft. Die ESG erwarb die bereits errichteten Bauwerke und die erforderlichen Grundstücke und vergütete sämtliche Projektkosten um einen
Gesamtbetrag von 96 Mio. Schilling. Einen wesentlichen Vertragsbestandteil bildete ein langfristiges Stromlieferungsbzw. Strombezugsübereinkommen. Das Kraftwerk mit einer Leistung von etwa 10 MW ging 1978 als städtisches Werk in Betrieb. An der Donau begann die Donaukraftwerke AG 1975 mit den konkreten Arbeiten an der Staustufe Abwinden Asten. Diese hatte große Auswirkungen auf den Mündungsbereich der Traun und damit auch auf die Kleinmünchner Spinnerei. Die Donaukraftwerke AG beanspruchte von der Kleinmünchner Ufergrundstücke an der unteren Traun. Vor der Aufschließung der Baugrube mussten Grundabtretungen und Auwaldschlägerungen vorgenommen werden. Bei den Verhandlungen über die entsprechenden Entschädigungssummen konnte vorerst keine Einigung erzielt werden. Daraufhin wurde ein Enteignungsverfahren eingeleitet. Das schließlich erzielte Vertragswerk war für die Kleinmünchner nicht unvorteilhaft. Die Ablösen für die anderweitig ohnehin schwer verwertbaren Ufergrundstücke und die ausgehandelten Strombezugsrechte boten eine gute Ausgangsbasis für das Investitionsprogramm der nächsten Jahre.
Ansicht von Verwaltungsgebäude und Weberei der Kleinmünchner AG im Zuge von Verbreiterungsarbeiten an der Wiener Straße um 1960.
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1. Ehem. Dierzer Spinnerei am Weidingerbach 1838 hatte Joseph Dierzer die „Weidingermühle“ erworben, sie sukzessive ausgebaut und sich einen guten Ruf als Baumwollspinner und Teppichfabrikant erarbeitet. Der 1872 um eine Rotfärberei erweiterte Betrieb wurde 1917 an die Aktienspinnerei verkauft, in deren Besitz sich der Betrieb mit 21.000 Spindeln bis zur Veräußerung an die Vereinigte Linzer Wohnungsgenossenschaft 1947 befand. Das Gebäude wurde 1982 nach einem Brand abgetragen. Manche Nebenanlagen existieren noch heute im Bereich des Unternehmens Gebauer & Griller.
2. „Mühlenspinnerei“ (vormals Löwenfeld) Nachdem die ehemalige Kunstmühle Löwenfeld & Hofmann – später im Besitz der AG für Holz und Mühlenindustrie – der ungarischen Konkurrenz nicht mehr standhalten konnte, wurde sie geschlossen und im Jahre 1907 samt Wasserkraft für K 700.000 an die benachbarte Aktienspinnerei veräußert, die das Gebäude zur sogenannten „Mühlenspinnerei“ mit über 18.000 Spindeln umfunktionierte. 1940 wurde der Betrieb stillgelegt. Der Abbruch der Fabriksanlage erfolgte im Jahre 1978. Einzig die Löwenfeld-Villa erinnert noch heute an die Anlage.
3. Alte und neue „Schweizer“ Spinnerei 1845 ließ das Grillmayr‘sche Unternehmen seinen Neubau mit Schweizer Maschinensätzen ausrüsten. Diese „Alte Schweizer“ wurde 1876/79 um die „Neue Schweizer“ mit vertikaler Arbeitsfolge erweitert. Das dreigeschoßige Gebäude stand bis 1945 in Verwendung, ehe es nach einem Brand abgetragen und an seiner Stelle ein modernes Fabriksobjekt errichtet wurde. Im Vordergrund der markante Wasserturm, der zur Luftbefeuchtung und zum Betrieb der Sprinkleranlage diente.
St ra ttn er st r.
STAND 1924
Gluckhaus 41
1
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Spinnerei (Schweizer)
4
Weberei (Englische)
3
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Kunstmühle
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Traun
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118
Schloss Ebelsberg
Bahnhof Kleinmünchen
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2
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Die Fabriken an den Nebenarmen der Traun Die Nebenarme der Traun – der Weidinger- und der Jaukerbach – bildeten die natürliche Voraussetzung für die Entwicklung des Linzer Vorortes Kleinmünchen. Dort hatten sich schon seit jeher sechs Mühlen die Wasserkraft der Bäche zunutze gemacht. Aus ihnen entstanden jene Betriebe, die den Ort in ein Zentrum der österreichischen Textilindustrie verwandelten. Gelegen an der Wiener Reichstraße, ab 1858 an die KaiserinElisabeth-Bahn (Westbahn) angeschlossen, schienen die Voraussetzungen günstig.
4. Die Englische Die „Alte Englische“ am Jaukerbach bildete ab 1838/40 die erste Produktionsstätte des Unternehmens Grillmayr und entstand anstelle der Steinbruckmühle. Der Betrieb wurde 1859/61 in eine mechanische Weberei umgestaltet, nachdem die benachbarte „Neue Englische“ Spinnerei angelaufen war. Die Gebäude erhielten sich bis in die neuere Zeit und wurden erst vor rund einem Jahrzehnt abgetragen. Heute befindet sich an ihrer Stelle ein Supermarkt.
5. Zizlauer Spinnerei 1859 erwarb Johann Grillmayr die Zizlauer Eßmühle in der Absicht, hier eine Maschinenfabrik zu errichten, jedoch entschloss man sich 1884, die dortige Wasserkraft für eine weitere Spinnerei mit 14.500 Spindeln und horizontaler Arbeitsfolge zu nutzen. Die 1886 fertiggestellte Anlage sorgte in Fachkreisen für Aufsehen. Mit ihrem Anlauf konnte die tägliche Arbeitszeit in allen Betrieben von 14 auf 12 Stunden reduziert werden. Die „Zizlauer“ musste 1940 an die Reichswerke Hermann Göring abgetreten werden. 63
Trakteuer Fixlhaus 36
Arbeiterwohnhaus 34
Waldhaus 35
32
5
Backhaus Kirchbauer
Zizlauer Spinnerei
Mühlbach
Donau
44
6. Arbeiterwohnungen Zwecks Unterbringung ihrer Arbeiter verfügte das Kleinmünchner Unternehmen über ausgedehnte Besitzungen. Einerseits wurden einige Wohnhäuser, etwa die bekannte Aschensiedlung, an der heutigen Schnopfhagenstraße errichtet. Andererseits dienten auch erworbene landwirtschaftliche Objekte in den Katastralgemeinden Kleinmünchen und St. Peter-Zizlau als Unterkünfte. Vielfach wurde dort die landwirtschaftliche Nutzung fortgeführt.
Eßmühle
31
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Traun
N
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Brückenschlagsübung der Freiwilligen Wasserwehr Kleinmünchen 1913. Sie wurde auf Initiative von Direktor Gottfried Riva gegründet. Unten: Hochwasser im Ortszentrum von Kleinmünchen 1902.
Wassernot und Wasserwehr Überschwemmungen stellten und stellen an Flüssen generell eine ständige Gefahr dar. Die Pegelstände der Traun konnten sich sehr rasch und extrem stark ändern. Innerhalb weniger Stunden konnten sie um bis zu sechs Meter steigen. Das war mitten im Winter bei einer plötzlichen Tauwetterperiode möglich, passierte jedes Jahr im Frühling, konnte aber auch bei längeren Regenwetterperioden im Sommer oder bei starken Herbstregenfällen auftreten. Unter dem technischen Direktor Gottfried Riva wurde die Kleinmünchner Wasserwehr gegründet. Sie war in eine Rettungs-, Nachrichten- und Landdienst-Mannschaft eingeteilt. Durch verschiedene Wink-, Blink- und Trompetensignale nach Art des Morsesystems
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konnten alle Bewohnerinnen und Bewohner von Kleinmünchen vor herannahenden Gefahren gewarnt werden. Mitglied dieser Wasserwehr oder auch Feuerwehr zu sein, galt als Auszeichnung. Die Einsatzbereitschaft von 40 Mann musste das ganze Jahr über gewährleistet sein. Man war stolz dabei zu sein und es gab eine eigene Kleinmünchner WasserwehrHymne: „Auf, auf Männer von der Wasserwehr / Zum Berufe löblich und hehr! / Wenn die Traun fängt an zu schäumen, / gibt es für die Wehr kein Säumen, Hipp, hipp, Hurrah!“ Turnusmäßig waren immer an die zehn Leute mit Wasserbau- und Regulierungsarbeiten beschäftigt. Die Traun veränderte immer wieder ihr Flussbett in hunderten kleinen Verästelungen, Seitenarmen und Sandbänken. Schon seit dem 17.
Jahrhundert waren Regulierungen vorgenommen und Schutzdämme errichtet worden. Die Traunufer mussten immer wieder neu befestigt werden. Auf einfachste Art geschah dies mit dem sogenannten Fachl- oder Fächerschlagen, auch Besenwehre genannt. Man verstand darunter einfache Zäune aus Stecken, die in das Flussbett gerammt und mit Weidenreisern verflochten wurden. So konnte eine nötige Wassertiefe gesichert und ein entsprechender Schutz der Uferwände erreicht werden. Zur Arbeit auf dem Wasser benutzte man flache Boote, sogenannte Nürschen. Die Traunhochwässer waren gefürchtet. In fast regelmäßigen Abständen gab es schwere Wasserschäden: 1862 wurde die von Grillmayr erworbene und verpachtete Farbreibemühle am Magerbach
Das Einbauen von „Zäunen“, sogenannten „Fächern“, sollte der Ufersicherung dienen und war somit die älteste Art der Flussregulierung.
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Nach jedem Hochwasser mussten die Werkskanäle von Schlamm und Treibgut befreit werden, um den Betrieb nicht zu gefährden. Die Aufnahme zeigt die Wasserwehr vor dem Werk II (Dierzer) bei Räumarbeiten. Um 1930.
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durch ein Hochwasser weggerissen. Die Hochwasserkatastrophe im Sommer 1897 verursachte in der Schweizer Spinnerei große Schäden. Die Feuerwehren standen tagelang ununterbrochen im Einsatz. Die Hochwasserkatastrophe des Jahres 1899 übertraf das im Jahr 1897 Erlebte noch bei weitem. Sie brachte nicht nur Schäden an den Anlagen, Brücken und Gebäuden, sondern verursachte auch eine Verschotterung der Werkskanäle und führte zu langen Betriebsunterbrechungen. Nach den katastrophalen Hochwässern der 1890erJahre wurde ein durchgehendes Damm-
system traunaufwärts bis Wels in Angriff genommen. Auch die Hochwässer der Donau wirkten auf die Kleinmünchner Industrie immer wieder nachteilig. Wenn schon keine Zerstörungen entstanden, so führte der Wasserrückstau zu Kapazitätseinbrüchen und Betriebsunterbrechungen. So machte der durchgehend zwischen März und September 1896 enorm hohe Wasserstand der Donau eine volle Auslastung der Spinnerei und Weberei unmöglich. Aber auch das Gegenteil, zu wenig Wasser, konnte für die Industrie existenzbedrohend sein. Ein Niederwasser war fast
noch mehr gefürchtet als ein Hochwasser. Niederwasser, wie etwa 1921/22 oder 1943, konnte Betriebsstilllegungen über mehrere Wochen oder sogar Monate hinweg erzwingen, während die Betriebsunterbrechungen bei Hochwässern in der Regel von viel kürzerer Dauer waren. Sorgen bereitete vor allem die zunehmende Eintiefung der Traun, da damit die Wasserzuführung in die Werkskanäle immer schwieriger wurde. Die Wassergefahr kann nie ganz ausgeschaltet werden. Doch mit den Dammbauten, die im Zusammenhang mit den
Kraftwerksbauten der 1970er-Jahre an der Donau und an der unteren Traun durchgeführt worden waren, konnte sich das Verhältnis zum Wasser ändern. Die Überschwemmungsgefahr war gebannt, die Betriebsstillstände wegen Niedrigwasser waren Geschichte. In der Energieversorgung war man von den Elementarereignissen unabhängiger geworden. Das Energieangebot und der Energiepreis sind von regionalen Standortfaktoren zu globalen Faktoren geworden. Oben: 1907 sollte die Traun zwischen Kleinmünchen und der Mündung mit einer „Kleinwasserregulierung“ in ihr Bett gezwungen werden. Eine geregelte Wassersituation war für den Betrieb lebenswichtig.
Blick von Ebelsberg Richtung Kleinmünchen im August 2006. Trotz der Flussregulierung und dem Einbau von Staustufen bleibt hinsichtlich der Hochwassergefahr ein Restrisiko für den Betrieb.
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Mannschaftsaufnahme der Betriebsfeuerwehr 1907. Manche Ausr체stungsgegenst채nde, wie hier das Beil und der reich verzierte Lederhelm des Kommandanten, haben sich bis heute erhalten.
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V. Brandkatastrophen Brände sind in der Textilindustrie keine Seltenheit, früher und auch heute noch. Die Sicherheitsvorkehrungen spielen daher eine besonders große Rolle. 1875 wurde die Freiwillige Feuerwehr Ebelsberg gegründet. Schon am 18. Mai 1877 zeichnete sie sich erstmals bei einem Großbrand in der Aktien-Spinnerei derart aus, dass sie
vom Zentralausschuss der oberösterreichischen Feuerwehren ein Anerkennungsdiplom erhielt. Unter dem Werksdirektor Ludwig Galois wurde auch eine betriebseigene Feuer- und Wasserwehr eingerichtet, um den ständigen Bedrohungen durch Brände und Überschwemmungen besser begegnen zu können.
Nach 1880 wurde die „Neue Englische“ 1891 ein zweites Mal durch einen Brand schwer beschädigt.
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Oben: Kleinbrände, wie hier um 1899, waren keine Seltenheit. Die Aufnahme zeigt zwei Dampfspritzen im Einsatz. Auf die Restauration und die Pflege alter Gerätschaften wird heute viel Wert gelegt. So gehört ein bestens erhaltenes Rüstlöschfahrzeug der Marke Austro Perl, Baujahr 1931, zum Fuhrpark der Betriebsfeuerwehr.
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1880 brannte die Englische Spinnerei. 1891 wurde sie mit 12.000 Spindeln neuerlich durch einen Brand vernichtet. Sprinkleranlagen zur Luftbefeuchtung und als Brandschutz wurden eingebaut. 1901 gab es ein Feuer in der Spinnerei II, welchem der zweite Stock zum Opfer fiel. 1907 konnten der Bau des Sprinklerturmes an der südlichen Stirnwand der Neuen Schweizer sowie die Ausstattung der anschließenden Spinnerei mit automatischen Berieselungsanlagen fertiggestellt werden.
Eine Tragkraftspritze der „Freiwilligen Feuerwehr der Aktienspinnerei“ aus dem Jahr 1935.
Eine der ersten Dampfspritzen der Monarchie besaß die Firma Löwenfeld & Hofmann. Die Aufnahme zeigt die „Donau“ nach der Übernahme des Unternehmens durch die Aktienspinnerei im Jahre 1906.
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Oben: Amerikanische Bomber 端berfliegen das Linzer Industriegebiet. Zwischen Donau und Traun ist das rauchverh端llte Betriebsgel辰nde zu erkennen. Rechts: Durch 900 Bomben auf das Werksareal wurde auch die M端hlenspinnerei schwer in Mitleidenschaft gezogen. Sie wurde 1978 abgetragen.
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Das Feuer von oben Im Zweiten Weltkrieg kam das Feuer von oben: Das Werk wurde von fast 900 Bomben in insgesamt sieben Luftangriffen getroffen. Angriffe mit Schäden wurden am 16. Oktober sowie am 15. und am 20. Dezember 1944, dann wieder am 20. Jänner und an drei Tagen im Februar 1945 verzeichnet. Die Rettungs- und Hilfsmannschaften waren extrem gefordert. Am Anfang war der Schrecken größer als die Wirkung: Zertrümmerte Fensterscheiben, ausgehängte Türen, abgedeckte Dächer, unterbrochene Strom- und Wasserleitungen. Die meisten Bomben landeten in den Auen. „In den zu unserer Landwirtschaft gehörenden Feldern, Wiesen und Auen sind zum Teil Treffer neben Treffer. Roh gezählt 300“, steht in den Berichten. Das Jahr 1945 war in jeder Hinsicht turbulent. Nach den schweren Angriffen berichtete der Werksdirektor an Ing. Moritz Seidel am 23. Februar 1945 in Wien: „Nach einer abenteuerlichen Reise von Wien nach Linz traf ich das Werk leider in einem durch die Angriffe vom 17. und 18. 2. stark ramponierten Zustand an ... Getroffen sind durch die Volltreffer die Kunstmühle, das Verwaltungsgebäude, daneben sind sehr viele Wohnhäuser komplett oder teilweise zerstört.“ Ende Februar 1945 wusste man nicht mehr, wie es weitergehen sollte: „Am 25. 2. wieder ein Luftangriff, welcher in der Wirkung zwar nicht so stark war wie diejenigen vom 17. und 18. 2., aber doch schwer genug. Die Spinnerei Zizlau ist übrigens abgebrannt, während unser E-Werk erfreulicherweise am Leben blieb … Noch sind unsere Turbinen, Generatoren und Produktionsmaschinen der Spinnerei, Weberei und des Schweißwerkes im Großen und Ganzen am Leben. Indessen erscheint es aussichtslos, nur mit einem guten Stern gegen das Gesetz der großen Zahl auf die Dauer durchzukommen.“ Die Ret-
tungs- und Löschmannschaften leisteten Übermenschliches. Alles, was an Kräften noch vorhanden war, wurde für die Aufräumarbeiten aufgeboten: Alte, Frauen, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene. Die Kriegsschäden der Kleinmünchner am Anlagevermögen wurden zwar von der Adriatischen Versicherungsgesellschaft übernommen, aber was nutzte es, wenn die personellen und materiellen Ressourcen für Reparaturarbeiten gar nicht mehr verfügbar waren?
Unten: Das während des Zweiten Weltkrieges übernommene Löschfahrzeug Opel Blitz 3,6 a hat sich bis heute als Oldtimer erhalten. Ganz unten: Die Werksluftschutzgruppe rekrutierte sich 1944/45 vorwiegend aus Frauen.
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Oben: Brand des Meierhofes durch Selbstentzündung von Heu am 21. Juni 1958. Im Hintergrund das Werk II (Dierzer) und – hinter der Rauchsäule – der Kirchturm von Kleinmünchen. Schaulustige verfolgen den Feuerwehreinsatz. Rechts: Mannschaftsaufnahme der Betriebsfeuerwehr unter Kommandant Günther um 1955.
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Nachkriegsbrände Als die Aufräumarbeiten im Sommer 1945 endlich zu greifen begonnen hatten und die Produktion langsam wieder in Gang kommen sollte, wurde der neuere Teil der Spinnerei II (Schweizer) im Oktober 1945 durch einen Großbrand völlig zerstört. Vermutet wurde Brandlegung. Die Feuerwehr konnte wegen einer Störung der Telefonverbindung nur über Umwege verständigt werden. Das Objekt stand bei Eintreffen der Feuerwehr schon in hellen Flammen. Es war, wie die Zeitung berichtete, einer der ersten „friedensmäßigen“ Großeinsätze der Linzer Berufsfeuerwehr. Es war nicht mehr viel zu retten. Die Verluste wogen angesichts der Mangelsituation mehr als doppelt. 17.000 kg Zellwolle, eine Anzahl ganz neuer, aus der Schweiz gelieferter, noch unausgepackter Maschi-
nen, ferner 200 neue Fensterstöcke. Der Schaden betrug mehr als eine Million Schilling, ungefähr genau so viel wie alle Bombenschäden zusammen. Am 21. Juni 1958 brannte der Meierhof der Kleinmünchner Spinnerei. 80 Fuhren gerade erst eingebrachtes Heu gingen verloren. Am 7. Juli 1982 fiel das unbenutzte alte Gebäude der Linz Textil einem Brand zum Opfer. Besonders kritisch war die Situation, weil der etwa 30 m hohe Wasserturm einzustürzen drohte und 35 meist ältere Bewohner im benachbarten Wohnhaus Dauphinestraße 13 gefährdet waren. Für sie wurden Notunterkünfte in einem nahen Gasthaus vorbereitet. „Die alte Bruchbude hätte sowieso schon lange weggehört“, sei die allgemein Volksmeinung gewesen, hieß es in dem Zeitungsbericht der OÖN dazu. Die Brandursache war wahrscheinlich Brandlegung.
Brand des seit 1970 leerstehenden Gebäudes der ehemaligen Spinnerei Dierzer am 7. Juli 1982. Als Ursache wurde Brandstiftung vermutet.
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Die Brandserie 2009/10 Großeinsatz der Linzer Feuerwehren beim zweiten Brand am 13. Dezember 2009. Betroffen war das Fertigwarenlager I, wo neben der 2.100 m2 großen Halle versandbereite Garnpaletten vernichtet wurden.
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Am spektakulärsten war die Brandserie, die das Unternehmen zwischen Oktober 2009 und Jänner 2010 extrem belastete. Beim ersten Ereignis am 20. Oktober 2009 wurde das Verpackungsmateriallager ein
Raub der Flammen. Ein Übergreifen auf die Produktionseinheiten konnte verhindert und der Schaden damit auf etwa 200.000 Euro begrenzt werden. Anders war die Situation beim Brand des Fertigwarenlagers I am 13. Dezember 2009: Die 2.100 m2 große Halle brannte völlig
ner 2010 wieder aufzunehmen und so den Lieferverpflichtungen bestmöglich nachzukommen. Doch da kam der dritte Schlag: In den Morgenstunden des 9. Jänner 2010 wurde die Viskose-Spinnerei innerhalb von drei Monaten zum dritten Mal durch Feuer schwer beschädigt. Betroffen war dieses Mal das 2.800 m2 große Fertigwarenlager II. Als die Berufsfeuerwehr um 3 h 30 eintraf, stand die Lagerhalle bereits in Vollbrand. Auch die Freiwilligen Feuerwehren von Ebelsberg, Pichling, Pöstlingberg und St. Magdalena
Weberei
Logistik
Logistics
Logistik
Spinnereistraße
nieder, die versandbereiten Garnpaletten wurden vollständig vernichtet. Der Gebäudeschaden machte 3 Mio. Euro aus, Waren im Wert von 2 Mio. Euro gingen verloren. Personen waren glücklicherweise nicht betroffen. Es war möglich, den Betrieb der Spinnerei schon im Jän-
Produktion: OE-Spinnerei
Produktion: Spinnerei Shedhalle
Produktion: Ringspinnerei
Verwaltung
Wieners
traße
1. Brand, 20.10.2009 (Kartonagenlager) 2. Brand, 13.12.2009 (Garnlager, Logistik) 3. Brand, 09.01.2010 (Garnlager, Logistik) 133
waren zur Unterstützung nachalarmiert worden. Die Lagerhalle, in der rund 500 Tonnen Garn gelagert waren, stürzte ein. Neben dem Warenlager waren auch die gesamte Warenlogistik, Labor, Mitarbeiterräumlichkeiten und das werkseigene Textilmuseum vollständig zerstört worden. Die Produktion, die völlig ohne interne Logistik dastand, musste wegen ausgefallener Heizungs- und Druckluftleitungen für einige Tage stillgelegt werden. Die winterlichen Bedingungen erschwerten nicht nur die Brandbekämpfung, sondern Eindrücke vom dritten und letzten Brand am 9. Jänner 2010, wo das Feuer im Fertigwarenlager II der ViskoseSpinnerei gelegt worden war.
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auch die Produktionswiederaufnahme. Während zuerst technische Defekte als Brandursache vermutet wurden, konnte beim dritten Mal der Brandstifter durch eine Überwachungskamera und eine DNA-Analyse zweifelsfrei überführt werden. Die Gesamtschäden der drei Brände von rund 12 Mio. EUR waren von der Versicherung gedeckt. Es war der enormen Einsatzbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken, dass die viel bedrohlicheren Folgen von Lieferausfällen oder Kundenverlusten vermieden und die Produktionsausfälle so rasch überbrückt werden konnten. Es gelang nach einer kurzen, aber umso intensiveren Planungsphase noch im ersten
Halbjahr mit den Bauarbeiten zu beginnen, mit dem zeitlichen Ziel, die Jahresinventur per Dezember 2010 bereits mit dem neu erbauten Hochregallager zu erstellen. Den organisatorischen Leistungen im Produktions- wie Logistikbereich und dem enormen Improvisationsgeschick der Mannschaft war es zu danken, dass die volle Geschäftstätigkeit zu jeder Zeit gegeben war. Spektakuläre Ereignisse, wie es Brände nun einmal sind, begleiteten die Linz Textil ihre lange Geschichte hindurch. Sie haben mehrmals an den Grundfesten des Unternehmens gerüttelt. Es ist aber letztendlich immer gestärkt daraus hervorgegangen.
Die Mannschaft der Betriebsfeuerwehr im Jubiläumsjahr 2013. Sie ist mit einem Tanklöschfahrzeug und einem Kleinlöschfahrzeug ausgestattet und stellt ein wichtiges Instrument des vorbeugenden und abwehrenden Brandschutzes dar.
135
136
VI. Technologische Sprünge Die Linz Textil hatte in den 30 Jahren vor dem 175-Jahr-Jubiläum eine überdurchschnittliche Investitionstätigkeit praktiziert. Die Investitionsquote lag gut doppelt so hoch wie im Branchendurchschnitt. Es waren aber immer wieder technologische Weichenstellungen, die massive Investitionen notwendig machten, aber auch eine besonders wirksame Vorbereitung für die Zukunft brachten. Diese Schwerpunkte sollen nachstehend dargestellt werden.
1. Spinnereierneuerung 1974 bis 1976 Zu Beginn der 1970er-Jahre war die Spinnerei in Linz mit Produktionstechnik aus dem Jahre 1950 zum Ersatz reif. Die Ertragslage erlaubte aber eine derartige Großinvestition in keiner Weise. Die einzige Möglichkeit war der Verkauf von „Familiensilber“, über das die Kleinmünchner in Form von Immobilien und Kraftwerken reichlich verfügte. Dieser Weg wurde beschritten. Neben Grundstücksveräußerungen brachte vor allem der Verkauf des genehmigten und baureifen großen Wasserkraftprojekts an der Traun an die städtische Elektrizitätsgesellschaft einen Erlös von ÖS 96 Mio. Damit waren die Weichen für die Erneuerung der Spinnerei gestellt. Das Modernisierungsprogamm umfasste ein Volumen von ÖS 120 Mio. Gekauft wurden 27 Karden C1/2, acht Flyer und 41 Ringspinnmaschinen mit je 504 Spindeln von Rieter sowie die entsprechende Spulkapazität von Schlafhorst. Die Investitionen wurden in den Jahren 1974 bis 1976 realisiert und müssen für den FortLinke Seite: Das Investitionsprogramm zwischen 1974 und 1976 umfasste u.a. 41 Rieter-Ringspinnmaschinen. Hier wurden die Flyerspulen noch händisch aufgesteckt. Rechts: Zwei der insgesamt zwölf Karden Rieter C1/2 von 1974 mit Kannenpresse 40 x 42 Zoll.
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bestand der Spinnerei in Linz als existenzentscheidend eingestuft werden. Die gekauften Maschinen waren technisch und maschinenbauseitig das Beste am Markt. Von der Produktivität aber gab es Nachteile, da die Rieter-Maschinen ohne Doffer zur automatischen Copsabnahme ausgerüstet waren. Die Produktion blieb damit zu personalintensiv. Im Jahr 1977 arbeitete die Spinnerei trotz der großen Investitionsanstrengungen in der Verlustzone. Die Substanzveräußerung zugunsten des Fortbestands der Firma war damals in der Textilindustrie ein übliches Vorgehen. Im Gegensatz zu manchen Traditionsfirmen, die eine Substanzschwächung so lange hinnahmen, bis nur die Liquidation oder der Weg zum Konkursrichter offen blieb, erfolgte der Substanzverkauf bei der Kleinmünchner mit einem besseren Augenmaß. Um die Leistungen in der Periode unter der Führung von Generaldirektor Thomas Siegmund zu würdigen, muss festgehalten werden, dass bei der Übergabe des Vorstandsmandats an Dionys Lehner im vierten Quartal 1977 ausreichend Substanz in der Firma vorhanden war, um die gesamte nachfolgende Restrukturierung aus eigener Kraft zu finanzieren. Es wurden weder Mittel von Seiten der Aktionäre noch Mittel von der öffentlichen Hand beansprucht. Rechts oben: Vier von insgesamt acht Rieter Schnellstrecken D0/2 aus dem Investitionsprogramm von 1974 in der Shedhalle. Rechts unten: Arbeiterin an einem Rieter Mischballenöffner B2/2. Daneben die Viskose-Ballen. Hinter der Maschine ist das Sammeltransportband zu erkennen. Linke Seite: Auf den Spulmaschinen Schlafhorst-Autoconer wurden die Ringspinnkopse zu Konen umgespult. Die Konen bilden das Ausgangsmaterial für Webereien und Stricker.
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Grundriss des Alt- und Erweiterungsbaus der Weberei von 1980. Auf den gr체n eingef채rbten Fl채chen wurden die neuen Webst체hle der Marke Saurer aufgestellt. Die S-500 war webtechnisch ein Quantensprung.
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2. Die S-500 als Herzstück der Rohweberei Auf der ITMA, der Internationalen Textilmaschinen-Messe, 1979 in Hannover präsentierte der Schweizer Webmaschinenhersteller Saurer seinen neuen Tandemgreifer-Webstuhl S-500. Dieser zweiarmige Greifer erreichte und überschritt die Produktionswerte der konkurrierenden Hochleistungs-Webstühle mit den Schusseintragssystemen „Projektil“ und „Luft“. Zwei Eigenschaften machten die S-500 überlegen: • Erstens hatte die Maschine eine luftgelagerte Schussvorbereitung, sodass der Webvorgang im Schussbereich praktisch spannungsfrei erfolgte. • Zweitens webte die S-500 immer, also 360 Grad. Während andere Greifer und das Projektil immer die halbe Zeit leer für die Wiederladung des Schusses arbeiteten, benützte die S-500 die Zeit für die Schussvorbereitung auf einer Seite gleichzeitig für den Webvorgang auf der anderen Seite. Sie webte immer. Das machte diese Maschine sehr energieeffizient. Dionys Lehner versuchte intensiv, eine Probemaschine dieses Typs nach Linz zu bekommen. Die Firma Saurer, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht realisierte, dass bei der Linz Textil auch gewoben wird, lehnte ab. Erst durch die Intervention von Frau Dr. Lina Thyll beim Aufsichtsratspräsidenten von Saurer gelang es, eine Probemaschine nach Linz zu bekommen. Der neue Webstuhl zeigte maschinenbautechnisch im Vergleich zur Sulzer-Projektilmaschine ein ungünstiges Bild, webtechnisch aber war er großartig. Lehner entschied, gegen
die Bedenken der Webereileitung, eine neue Webhalle für die S-500 zu bauen. Begründung: „Wir verkaufen unseren Kunden nicht Webstühle, sondern Rohgewebe. Wir werden lernen, die Technik zu beherrschen.“ Der Neubau in Linz 1981 war der erste betriebliche Bau seit der Errichtung der Shedhalle nach dem Weltkrieg in den Jahren 1948/1949. Die Hausbank wollte nicht finanzieren, eine alternative Bank sprang ein. Das Gesamtkonzept umfasste 54 Maschinen des Typs S-500. In einer ersten Ausbaustufe sollten 36 Aggregate, in einer zweiten 18 Aggregate installiert werden. Beim Kaufabschluss war diese Bestellung die erste industrielle Anlage mit S-500, die Saurer verkaufen konnte. Als Erstkunde erhielt die Linz Textil eine hervorragende Betreuung durch Saurer. Es gelang, die maschinentechnischen Probleme zu überwinden und neben der Qualität auch hohe Nutzeffekte in der Produktion zu erreichen.
Mit dem Tandemgreifer-Webstuhl S-500 von Saurer konnte die Linz Textil ihr Rohgewebe im anspruchsvollen Segment positionieren.
Dank dem neuen Hochleistungsgreifer von Saurer konnte die Linz Textil ihr Rohgewebeangebot rasch in die anspruchsvollen Segmente erweitern. Der Ruf, im Markt ein hervorragender, dem Schweizer Feinweber-Vorbild entsprechender Rohweber zu sein, war wohl weniger das Verdienst der Linzer als das Verdienst der im Gewebebild überlegenen S-500 Maschine. Zusammen mit der Umstellung der 1982 erworbenen Weberei Telfs auf S-500 verfügte die Linz Textil Mitte der 1980er-Jahre über die größte Webkapazität mit dieser SaurerMaschine in Europa.
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54 Tandemgreifer-Webst端hle S-500 der Schweizer Firma Saurer bildeten das Herzst端ck der 1981 neu errichteten Webhalle. Als Erstkunde wurde die Linz Textil hervorragend vom Maschinenhersteller betreut. Dank der neuen Technik gelang es, hochwertiges Rohgewebe aus Linz auch in anspruchsvollen Marktsegmenten zu etablieren.
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Die maschinelle Ausstattung der Shedhalle, die dieser Plan zeigt, wurde 1989 zur Gänze nach Indonesien verkauft. Anschließend wurde die Halle mit einer OE-Spinnerei ausgestattet und um einen Hallenzubau für die neue Ringspinnerei erweitert. 1 Hergeth-Abfallballenbrecher AB 2 Hergeth-Mischballenbrecher MB 3 Hergeth-Sammeltransportband 4 Hergeth-Mischwalze MZ 5 Hergeth-Schlagmaschine SW 6 Hergeth-Staubfilter 7 Murao-Roving-Stripper
8 Rieter-Mischballenöffner B 2/2 9 Rieter-Abfallöffner 10 Rieter-Sammeltransportband 11 Rieter-Monowalzenreiniger 12 Rieter-ERM-Reiniger 13 Rieter-Flockenspeiser 14 Rieter-C1/2 Karde 7 2 2 2 1
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Verwaltungsgebäude
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Shedhalle
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Ringspinnerei Neuanbau ~ 5.000 m2
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28 Schlafhorst-Autoconer 107 29 Schlafhorst-Autoconer 138 30 Schlafhorst-Autoconer DX40 31 Schlafhorst-Autoconer DX20 32 Saurer-Alma-DD-Zwirnmaschine 33 Mettler-Fachmaschine
Rieter-Flyer F1/1 SRS-Rotorspinnmaschine RU 11 SRS-Rotorspinnautomat-Spincomat Rieter-Rotorspinnmaschine Zinser-Ringspinnmaschine SL 319 Rieter-Ringspinnmaschine GO/2 Schlafhorst-BV-Station
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15 Rieter-C1/3 Karde 16 Rieter-Großstrecke D0/2 17 Schubert & SalzerRegulierstrecke RSB 51 (20“) 18 Rieter-Feinstrecke D 0/2 19 SRS-Regulierstrecke RSB 51 (20“) 20 Rieter-Schnellstrecke D 0/2
3. Der große Produktivitätssprung 1990 In den Jahren 1987/88 arbeitete Dionys Lehner an einem Projekt unter dem Arbeitstitel „60T“, für das er von Minister Rudolf Streicher, zuständig für die verstaatlichte Industrie, und Hugo M. Sekyra, Chef der ÖIAG, den Auftrag erhielt. Lehner war Vizepräsident des Aufsichtsrates der Chemie Linz AG und hatte Einblick in die komplexen und vielfach nicht mehr zeitgerechten Strukturen der im gleichen Gelände situierten Chemie Linz und Voestalpine. „Ich habe Investitionsbudgets bei der Chemie Linz mitgenehmigt, bei denen der Budgetanteil der Reparaturen größer war, als jener für die Neuinvestitionen. Das interne Schienennetz der Voest übertraf jenes der ÖBB im Bundesland Vorarlberg.“ Mit „60T“ sollte das gesamte Areal beider Großbetriebe massiv komprimiert und der Produktionsschwerpunkt Richtung Endstufen ausgebaut werden. Zusammen mit neu anzusiedelnden Serviceunternehmen sollten 60.000 Personen auf dem Gelände der zwei Unternehmen ihren Arbeitsplatz finden. Im ersten Quartal 1989 kam das Projekt mit der Begründung „politisch nicht machbar“ zum Stillstand. Dionys Lehner, der während eineinhalb Jahren rund 40 Prozent seiner Zeit für „60T“ aufgewendet hatte, widmete sich wieder zu 100 Prozent der Linz Textil. Sein Vorsatz: „Das Wasser, das ich bei ‚60T‘ gepredigt habe, trinke ich jetzt mit gleicher Bereitschaft für Radikales bei der Linz Textil.“ Er verkaufte im Sommer 1989 die Spinnerei in Linz, wie sie da stand mit einem Maschinenpark von 1974 bis 1988, zur Gänze nach Indonesien. 1990 wurde geliefert, die Spinnerei von 10.000 auf 15.000 m2 ausgebaut und der komplette Maschinenpark erneuert.
„Wir hatten 1990 rollend immer fünf verschiedene Baustellen: • bisherige Maschinen in Betrieb, • bisherige Maschinen in Demontage, • Neuasphaltierung des Bodens, • neue Maschinen in Montage, • neue Maschinen in Betrieb.“
Gesamtaufnahme des Standorts Linz 1991. In der Mitte das Verwaltungsgebäude. Dahinter und rechts die Ringspinnerei, links die OE-Spinnerei.
Dank einem militärisch präzisen Netzplan, der vom Leiter der Infrastrukturabteilung, Horst Kastner, erstellt worden war, gelang es, das komplexe Investitionsvorhaben in elf Monaten umzusetzen. Die Wirkung war enorm. Die Produktion, die gemessen im Jänner 1990 noch 100 Prozent betragen hatte, erreichte im Dezember 1990 deutlich erhöhte 170 Prozent. Die Produktionskapazität wurde dabei durch den Zubau von 5.000 m2 um 50 Prozent gesteigert. Eine neue Open-EndSpinnerei und eine neue Verbundspinnerei mit 18.000 Ringspindeln waren mit getrennten Vorwerken produktionsfluss-
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optimiert miteinander verbunden. Seither hat die Linzer Spinnerei im europäischen Spinnereivergleich beim Kriterium Produktivität den ersten Platz eingenommen. Das Volumen dieser größten je von der Linz Textil vorgenommenen Investition betrug rund ÖS 200 Mio. Das Konzept arbeitete sofort nach Realisierung in der Gewinnzone. Es wurden damals gleichzeitig zwei weitere Großprojekte in der Textilindustrie Österreichs realisiert: Das eine war ein komplett unterkellerter Spinnereineubau in Landeck mit 19.200 Spindeln für die Herstellung gekämmter Baumwollgarne, der rund ÖS 400 Mio. kostete. Das andere betraf einen Neubau in Schwechat durch die japanische Firma Suzuki zur flyerlosen Herstellung von kardiertem Baumwollgarn mit Investitionen von ebenfalls rund ÖS 400 Mio. Der Betrieb in Landeck ging in der Folge in Konkurs und die Japaner liquidierten ihre Fabrik Linke Seite: Im Vordergrund eine Schubert & Salzer Strecke, als Vorstufe zur OE-Spinnerei. Durch Verzug der Kardenbänder wird eine vordefinierte Faserkompaktierung für den Spinnprozess erreicht.
nach gut fünf Jahren. „Wieso das?“, fragte sich Lehner. Die Analyse zeigte, dass die Wertschöpfung der Produktion im Markt pro investierter Million Schilling in Linz ziemlich genau doppelt so hoch war, wie bei den beiden anderen Projekten. Diese konnten sich aus Gründen der „Überinvestition“ nicht amortisieren. Die Spinnerei Landeck wurde 1994 von der Linz Textil erworben.
Anlässlich des 150-jährigen Firmenjubiläums 1988 führt Dr. Dionys Lehner Finanzminister Dr. Ferdinand Lacina durch den Betrieb.
Blick auf eine Schubert & Salzer Open-End-Spinnmaschine in der 1987 errichteten Halle der Spinnerei II.
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Im Jahr 2001 ging die neu errichtete Weberei in Betrieb. Hier die Garne am Zettelgatter. Die Errichtung einer neuen Weberei auf 30.000 m2 wertvollem Baugrund war ein mutiger, jedoch notwendiger Schritt.
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4. Neubau Weberei 2001 In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre war der Entscheid, eine neue Weberei zu bauen, permanent aktuell. Es gab zwei Vorentscheidungen: Zuerst für einen Standort in Telfs und später in Zittau im Drei-LänderEck Deutschland, Tschechien und Polen. Diese Projekte kamen in der Durchführungsplanung nicht zuletzt wegen nicht eingehaltenen Zusagen zum Stopp. Damit war der Entscheid für den Standort Linz gefällt. Es schien mutig, eine neue Weberei nördlich der Alpen auf der „Grünen Wiese“ in einem Gelände von 30.000 m2 mit einem Marktwert von EUR 300 pro m2 zu bauen. Die starke Finanzlage der Firma und der Gedanke – „Es kann ja ein Bau auch wieder abgerissen werden“ – erleichterten diese Entscheidung. Die Vorgabe lautete: „Wenn schon bauen, dann kompromisslos.“ Das Projekt beinhaltete einen teilweise unterkellerten Neubau von 17.500 m2, eine Webhalle für gut 100 dockenbestückte Hochleistungswebstühle mit einer säulenlos überbrückten Spannweite von 52 Metern, zwei Schlichtmaschinen mit einer neuen Generation von Schlichttrögen und einem sorgfältig optimierten Konzept für den Produktionsfluss. Die Investition wurde 2000/01 umgesetzt. Ende 2001 stand die alte Weberei still und die neue war vollbestückt angelaufen. Der Schritt, die Weberei neu zu bauen, mag mutig gewesen sein, er war aber im Nachhinein gesehen für die Weiterführung des Webkonzepts in Linz entscheidend. Die alte Weberei hätte das Krisenjahr 2008 sicher nicht überlebt. Mit der neuen Weberei war dies aber ohne Cash Drain möglich. Wie 1990 bei der Konzipierung des aufwändigen Netzplans für die Spinnerei war auch beim Projekt „Neue Weberei“
bauseitig Horst Kastner zuständig. Dionys Lehner und Otmar Ornezeder, Leiter der Weberei, entwickelten ein extrem auf den Produktionsfluss ausgerichtetes „Websystem“ und darüber wurde maßgerecht das Gebäude gestülpt. Die Möglichkeit, die Fabrikshalle später einmal für andere Zwecke verwenden zu können, wurde damit praktisch ausgeschlossen. Die neue Weberei ist im Herbst 2001 fast problemlos angelaufen. Horst Kastner hatte diesen Start nicht mehr erleben dürfen. Er starb im Oktober 2000 an einer bösartigen Krankheit. Eine Gedenktafel in der Weberei erinnert an seine große Leistung, die auch ins Jubiläumsjahr 2013 hineinwirkt.
Spatenstich zur neuen Weberei am 7. April 2000. V.l. Dr. Dionys Lehner, Bürgermeister Dr. Franz Dobusch, Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer, Helmut Grießmayer, Horst Kastner.
Gedenktafel für Horst Kastner im Eingangsbereich der neuen Weberei.
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Auf den Webmaschinen Omni+ der belgischen Firma Picanol wird Luftdüsentechnologie (Airjet) eingesetzt. Der Schusseintrag erfolgt pneumatisch. Das Verfahren ermöglicht 1.000 Schuss/Minute. Somit können pro Tag rund 60.000 Laufmeter Rohgewebe hergestellt werden. Die Anlage ist seit August 2001 in Betrieb.
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5. Das „Projekt Schmetterling“ 2010 bis 2012 Ende 2009 zeigte der Ausblick auf das Jahr 2010 klar, dass die große Finanzkrise für die Linz Textil vorerst einmal überwunden war. Es stellte sich aber die Frage, wie man den Standort Linz für einen nächsten größeren Einbruch der Märkte vorbereiten kann. Die beiden Großbrände Ende 2009 und Anfang 2010, bei denen die gesamten 6.000 m2 logistische Fläche der Linzer Spinnerei verloren gingen, zwangen die Firmenführung zum Neuüberdenken eines in die Zukunft reichenden Produktionsprogramms. Die Weberei wurde auch bei verschiedenen Stressszenarien als anpassungsfähig eingestuft. Bei der Spinnerei aber drängte sich eine Umstellung des Produktionskonzepts auf. Das Resultat der Überlegungen war das „Projekt Schmetterling“. Als „Flügel“ sollten ein neues Vorwerk mit zwei überlangen Abtragungsmaschinen, als „Körper“ drei Reihen Strecken und als „Kopf“ eine moderne Luftdüsenmaschinengruppe installiert werden. Auf dem Platz vor den „Flügeln“ und links und rechts vom „Kopf“ war die Aufstellung von OpenEnd-Kapazitäten vorgesehen. Entscheidend bei dem Projekt war die Zielsetzung, dass im Falle von vorübergehenden und teilweisen Kapazitätsstilllegungen es kostenseitig vertretbar war, eine gewisse Zeit mit Unterproduktion ohne Personalabbau durchstehen zu können. Eine wichtige Voraussetzung bei der Umsetzung des Projekts war auch die Tatsache, dass kein Fremdkapital aufgenommen werden musste. Mit der starken Finanzposition Linke Seite: Eine vollautomatische Abtragung der kompakten Faserballen erfolgt am Blendomat der deutschen Firma Trützschler. Der Weitertransport zur Karde geschieht pneumatisch.
bei Projektbeginn und dem Cash Flow der Jahre 2010 bis 2012 war diese Voraussetzung erfüllt. Das „Projekt Schmetterling“, bei dem auch der bauliche Innenbereich der Fabrik modernisiert und verschönert wurde, ist im Sommer 2012 abgeschlossen worden. Die Linz Textil rechnet im Jubiläumsjahr 2013 nicht mit einem größeren wirtschaftlichen Einbruch. Sie stuft die Gesamtsituation in der Weltwirtschaft aber dennoch als deutlich labil ein. Das Projekt „Schmetterling“ soll hier im Ernstfall für ein Mehr an Stabilität sorgen.
Auf den Regulierstrecken Rieter SB- und RSB-D 45 werden verschiedene Kardenbänder zu einer einheitlichen Vorlage für die J20 und R40 / R60 Spinnmaschinen zusammengeführt.
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Die Rieter Airjet-Anlage J 20 in der Shedhalle. Bei diesem Spinnprozess werden die Streckenb채nder in die Maschine eingezogen und durch eine speziell geformte D체se luftgesponnen. Der Fertigungsprozess ist vollautomatisiert und hochproduktiv. Die Erzeugnisse finden vor allem im Fashionbereich Verwendung.
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VII. Die Linz Textil 2013 Die Textilindustrie gehört zu den am stärksten globalisierten Branchen weltweit. Die Verlagerungsprozesse von längerfristig planbaren Großvolumen in Länder mit niedrigeren Einsatzfaktoren haben den Anpassungsdruck auf die europäischen Unternehmen der Textilindustrie erhöht und zu einer Konsolidierung der Branche geführt. So ging etwa die Anzahl der in der EU-27 Beschäftigten in der Textilindustrie von 2005 bis 2011 um etwa ein Drittel zurück. Die Entwicklung in Österreich ähnelt dem gesamteuropäischen Trend. Waren im Jahr 1977 noch 49.520 Personen in der österreichischen Textilindustrie tätig, so sind es im Jahr 2012 noch 12.225 Beschäftigte. Einige österreichische Textilunternehmen konnten sich allerdings entgegen diesem generellen Trend gut auf den Märkten behaupten und dazu gehört glücklicherweise auch die Linz Textil. Im Gegensatz zur historischen Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der österreichischen TextilinBeschäftigte in der österreichischen Textilindustrie 1977–2012 50.000 40.000
Quelle: Fachverband der österreichischen Textilindustrie, 8.4.2013, Schramme
30.000 20.000 10.000
1977 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2012
Linke Seite: Ansicht der auf die Verarbeitung von Chemiefasern spezialisierten Karden TC 07 von der Firma Trützschler.
Linz Textil Holding AG – Kennzahlen 2012 Umsatz: 144,5 Mio. EUR EBIT: 5,0 Mio. EUR Eigenkapitalquote: 79,5% Mitarbeiter: 649 Exportanteil 85,1%
dustrie konnte die Linz Textil im gleichen Zeitraum die Beschäftigungslage steigern. Nachdem im Jahr der ersten Restrukturierung 1977 rund 450 Mitarbeiter bei Linz Textil beschäftigt waren, betrug der Mitarbeiterstand Ende 2012 rund 650. In der Gegenwart ist die Linz Textil ein kerngesundes Textilunternehmen, welches mit einem ununterbrochenen Gewinnausweis von 33 Jahren ins Jubiläumsjahr 2013 gegangen ist. Seit 2008 sind die Weltmärkte von einer schlimmen Finanzkrise mit weitreichenden Konsequenzen für die Industrie erschüttert worden. Darauf hat sich das Unternehmen bereits frühzeitig mit einem investitionsintensiven Modell vorbereitet. Ein hoher Modernisierungsgrad resultiert in effizienten und produktiven Prozessen. Die daraus entstehende konstant hohe Qualität bildet eine wichtige Säule in der Kundenbedienung – das wesentliche Ziel bei allen strategischen Überlegungen. Beispielsweise liegt das durchschnittliche Alter des Maschinenparks der Spinnerei am Standort Linz bei rund drei Jahren. Auch bei einem kompletten Investitionsstopp für zwei Jahre wäre dieser Betrieb noch immer der modernste der Branche in Europa. Der Wunsch, mit moderner Technik zu produzieren, hat über die Zeit zu engen Partnerschaften mit dem textilen Maschinenbau geführt. Diese starken Beziehun-
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gen sind wichtig, weil dadurch bereits in der Frühphase neuer Entwicklungen Kenntnis darüber herrscht, welche Technologien auf den Markt kommen. Damit ist eine optimale Ausgestaltung der Produktionsmodelle möglich. Neben einer Kardenentwicklung mit der Firma Trützschler (Deutschland) ist das Projekt „Luftdüsenspinnen“ mit der Firma Rieter (Schweiz) ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte dafür. Im Jahr 2006 hat in diesem Zusammenhang die Rieter Holding AG gemeinsam mit der Linz Textil begonnen, die Luftdüsentechnologie Comforjet® vom Prototypen-Status zur Serienreife zu entwickeln. Diese Technologie ist auf dem Weg, sich neben dem Ringspinnen und Rotorspinnen als dritte wichtige Spinntechnologie am textilen Weltmarkt zu etablieren. Durch diesen Einsatz für neue Produktionssysteme hat sich die Linz Textil hier einen Vorsprung an Know-how gegenüber dem internationalen Spinnereimitbewerb erarbeitet. Dieser Vorsprung kommt zweifellos den Kunden zugute. Ähnlich wie bei der Technologie agiert man auch im Bereich der eingesetzten Rohstoffe. Einerseits geht man bei der Rohbaumwolle den Weg über ein breit aufgestelltes Einkaufsprofil mit dem Einsatz von Baumwollfasern aus rund zehn Ländern. Andererseits arbeitet man im Bereich der Viskosefaser seit Jahrzehnten ausschließlich mit der Lenzing AG zusammen. Die Linz Textil hat sich dabei seit dem LenzingGründungsjahr stark für diese Partnerschaft engagiert. Wie bereits ausgeführt, war die Linz Textil im Jahr 1938 mit einem Anteil von 7,5 % die größte Beteiligung an Lenzing aus der Textilbranche. In den 1980-Jahren, einer Phase, in der sich Lenzing gegenüber dem europäischen Fasermitbewerb neu positionieren musste, war Linke Seite: Die Luftdüsenspinntechnologie Comforjet® der Firma Rieter wurde von der Linz Textil mitentwickelt.
Linz Textil stets ein starker Partner. Auch in der Vorphase der Lyocell-Investition hatte sich die Linz Textil in Gesprächen mit den Besitzerbanken von Lenzing stark engagiert. Die Nähe zur Lenzing AG bewährt sich bis in die Gegenwart und die Linz Textil ist noch immer deren weltweit größter Viskose-Einzelkunde im Segment Spinnen mit rund 30.000 t jährlich verarbeiteter Menge.
Die Linz Textil verbindet mit der Lenzing AG eine starke Partnerschaft – nicht nur als deren größter Abnehmer von Viskose im Segment Spinnen.
Halbfabrikat Das Herzstück der aktuellen Struktur im textilen Halbfabrikat bildet die Viskose-Division. Neben dem modernen Stammwerk in Linz wurde im letzten Jahrzehnt die Internationalisierung mit der Gründung/ Akquisition von zwei Auslandsstandorten vorangetrieben. Die Spinnerei in Klanjec (Kroatien) bietet Expansionsmöglichkeiten für die Zukunft und ist als spinntechnologischer Vollsortimenter flexibel ausgerichtet. Die Viskose-Spinnerei in Nanjing (China) ist im chinesischen Heimmarkt im oberen Qualitätssegment positioniert und
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Jacquard-Webstühle im VossenWerk Jennersdorf. Hier werden Baumwollgarne verarbeitet.
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hat in diesem Bereich die Produktivitätsführerschaft in einem schwierigen Markt umfeld inne. Im Geschäftsfeld Baumwollspinnerei ist der Betrieb Klarenbrunn in Bludenz im hochwertigen Pima-Segment positioniert und langjähriger Partner der Firma Getzner für Hemd und Damast. Der vom Volumen her größere Betrieb ist die in einem breiten Garnsortiment agierende Spinnerei in Landeck. Mit einer außergewöhnlichen „Built-in-Flexibilität“ und hoher Marktbedienungsfähigkeit aufgrund
unterschiedlicher Garntypen begegnet der Betrieb den starken Schwankungen in diesem Geschäftsfeld. Die Anstrengungen sind auch hier motiviert durch eine ausgeprägte Kundenorientierung der Mannschaft. Hinsichtlich der eingesetzten Faser-Rohstoffe beschäftigt sich die Linz Textil aktuell mit der dritten Volumensfaser Polyester. Die bisher entwickelten und am Markt angebotenen Produkte überzeugen die Kunden durch gute Qualität. Ein industrieller
Einstieg in dieses Segment wird für die zweite Jahreshälfte 2013 vorbereitet. Die Rohweberei am Stammsitz in Linz wurde vor zwölf Jahren neu auf die sprichwörtliche „grüne Wiese“ gebaut und ist von der Struktur für die Erfüllung der aktuellen Marktbedürfnisse noch immer passend. Das Produktprofil hat sich sukzessive in Richtung technischer Anwendungen verlagert, welche heute das Bild dominieren. Die Bereiche Heimtextil und Bekleidung haben immer noch entsprechendes Gewicht, sind allerdings rückläufig. Das zu erwartende Voranschreiten der Konsolidierung der Branche in Europa könnte in diesen Bereichen neue Chancen eröffnen.
Markenstruktur Im Konzern wurde neben der im deutschen Sprachraum gut eingeführten Marke Vossen® im Segment Frottierwaren auch eine Markenstruktur im Halbfabrikat aufgebaut. Der erste Schritt in die Welt der Marke mit dem Erwerb von Vossen war ein Lernprozess für die Linz Textil und hat das Bewusstsein für die Bedeutung von Marken geschärft. Heute arbeitet die Linz Textil im textilen Halbfabrikat im Viskose-Segment ebenfalls mit einer Markenstruktur. Dieser Schritt hat sich als richtig erwiesen, weil damit eine klare Differenzierung möglich wird und wachstumsorientierte Themen unterstützt werden können. Die Linz Textil ist sich bewusst, dass die Führung von Marken eine entsprechende Pflege erfordert und aus Kundensicht mit realen Inhalten untermauert sein muss.
Herausforderungen Die Liquiditätsschöpfung im Finanzsystem hat vorübergehend für eine Entlastung und eine „trügerische Ruhe“ ge-
Produkte der Marke Vossen haben sich im deutschen Sprachraum gut im Segment Frottierwaren etabliert. Im textilen Halbfabrikat bürgen profresh, sensolite und viscoblend für Qualität.
sorgt. Die Gesamtlabilität des Systems ist allerdings enorm und von einer nochmaligen Entladung mit nachteiligen Auswirkungen für die Linz Textil und ihren Kunden ist auszugehen. Die Linz Textil bereitet sich daher weiterhin darauf vor und positioniert sich entsprechend, damit unsere Kunden im Eintrittsfall flexibel unterstützt werden können. Rohstoffe und Währungen sind auch in der Vergangenheit Schwankungen unterlegen, aber das labile Finanzsystem hat diese Effekte verstärkt und die Amplituden erhöht. Das Risiko, in der Entscheidung falsch zu liegen, ist gestiegen. Man kann zu teuer und zusätzlich zum falschen Wechselkurs kaufen. Dies führt zu
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Das Management bei der Aufsichtsratssitzung 2013: Dr. Dionys Lehner (Mitte), Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der Linz Textil Holding AG, MMag. Ing. Alexander Hofstadler (rechts), Geschäftsführer Linz Textil GmbH und Mag. Otmar Zeindlinger (links), CFO Linz Textil Holding AG.
Der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Sitzung im Jubiläumsjahr der Linz Textil am 24. April 2013. Vorne: Dr. Andreas Gassner, Mag. Barbara Lehner, Mag. Reinhard Leitner (Präsident des Aufsichtsrates). Hinten: BR Ing. Bernhard Schinko, BR Josef Stellnberger, Mag. Anton Schneider (Vizepräsident des Aufsichtsrates), KR Manfred Kubera.
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neuen Anforderungen im Management bei der Absicherung, um die preisliche Schwankungsbreite beim Kunden niedrig halten zu können. Die Linz Textil plant, die Strukturen auch künftig modernst auszustatten. Das erklärte Ziel bei den weiteren Strukturanpassungsprozessen ist die Beibehaltung einer Eigenkapitalquote in einer Bandbreite von 75–80 %. Ein Überblick über das Profil der Gruppe im Jubi-
läumsjahr 2013 ist nachstehend auf acht Doppelseiten dargestellt. Trotz der starken Struktur der Gruppe im Jubiläumsjahr 2013 herrscht das Bewusstsein, dass die Linz Textil in den letzten Jahrzehnten einen Segen über dem Handeln gespürt hat. Die Linz Textil fühlt sich verpflichtet, sich auch weiterhin im Einsatz für den Kunden anzustrengen, damit sie diesen Segen auch in den nächsten Jahren verdient.
HOLDING AG
Holding GMBH
Operative Einheit
Betriebsstätten
SPINNEREI LINZ Weberei LINZ spinnerei klarenbrunn SPINNEREI landeck
LinZ (Nanjing) Viscose Yarn Co. Ltd.
LT liegenschaft s.r.o.
100 % 9,0 MIO EUR
100 % 12.000 TCZK
Linz Textil Klanjec d.o.o.
Weberei RTK spol. s.r.o.
100 % 75,0 THRK
50 % 2.760 TCZK
predionica Klanjec d.o.o.
CEESEG Aktiengesellschaft
100 % 12.836,4 THRK
0,4 % 18.621 TEUR
Linz Textil JH s.r.o.
BEATUS Consulting & Partner GmbH
100 % 40.000 TCZK
2 % 750 TEUR
Liegenschaftsverwaltung Reutte GmbH 100 % 600,0 TEUR
vossen GmbH
vossen Frottierwarenvertriebs GmbH
100 % 100,0 TEUR
100 % 25,6 TEUR
vossen GmbH & Co KG
vossen UK Ltd.
100 % 6.785,3 TEUR
100 % 2,0 GBP
vossen Hungaria Kft.
vossen Frottier Kft.
100 % 11 TEUR
100 % 92 TEUR
Organigramm der Linz Textil Holding AG mit deren operativer Einheit, der Linz Textil GmbH.
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Viskosespinnerei Linz Technologie: .......... Rotor- und Luftdüsenspinnmaschinen Rohstoff:................ Zellulosefasern der Lenzing AG Produkt: ................ Viscoblend®-, Sensolite®- und Profresh®-Garne
Luftaufnahme der Viskosespinnerei Linz von Westen gesehen. Die Anlagen, wie etwa die Open-End-Spinnerei (Bild linke Seite) und die Airjet-Spinnerei (Bild links), sind in der Shedhalle und in den rot getönten Hallenzubauten untergebracht.
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WEBEREI LINZ Technologie: .......... Luft- und Greiferwebmaschinen Rohstoff: ................. Viskose-, Baumwoll-, Polyester- und Misch-Garne Produkt: ................ Rohgewebe für die Segmente Technik, Heimtextil und Bekleidung
Ansicht der 2001 neu errichteten Weberei mit einer verbauten Fläche von 17.000 m2. Die Aufnahmen zeigen das Kernstück des Betriebs – den Websaal mit 114 Webmaschinen der Marke Picanol.
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BAUMWOLLSPINNEREI LANDECK Technologie: .......... Rotorspinnmaschinen, Ringspinnmaschinen konventionell und Compact Rohstoff:................ Baumwolle- und Polyester-Fasern Produkt: ................ Baumwoll-, Polyester- und Misch-Garne
Im 1994 erworbenen Werk Landeck (Tirol) befinden sich heute eine Rotorund Ringspinnerei. Das Bild auf der linken Seite zeigt eine Ringspinnmaschine der Marke Rieter. Die Aufnahme links zeigt die K채mmmaschinen Rieter E 72.
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Baumwollspinnerei Klarenbrunn/Bludenz Technologie: .......... Ringspinnmaschinen konventionell und Compact Rohstoff:................ extralangstapelige Baumwollfasern Produkt: ................ Baumwollgarne
1992 체bernahm die Linz Textil die Spinnerei Klarenbrunn/Bludenz und betreibt seither an diesem Standort eine reine Kammgarnspinnerei. Die Aufnahmen zeigen eine Ringspinnmaschine S체ssenFiomax (linke Seite) und eine K채mmmaschine des Typs Rieter E 65 (links).
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Vossen Jennersdorf Technologie: .......... Jacquard- u. Schaft-Webmaschinen, Ausr체stungslinie Rohstoff:................ Baumwollgarne Produkt: ................ Frottierwaren
2004 체bernahm die Linz Textil das seit 1961 bestehende Werk Vossen im burgenl채ndischen Jennersdorf. Die Aufnahmen zeigen eine Auswahl der Produktpalette (links) sowie die Arbeit an einer JacquardWebmaschine.
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Vossen SzentgotthÁrd (Ungarn) Technologie: .......... Konfektionsmaschinen Rohstoff:................ Frottier-Gewebe Produkt: ................ Frottierwaren
Im Werk Vossen im ungarischen Szentgotthárd (Sankt Gotthard) werden ausschließlich Frottier-Gewebe des Schwesterwerks Jennersdorf zu fertigen Produkten verarbeitet.
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Viskosespinnerei Klanjec (Kroatien) Technologie: .......... Rotor-, Ring- und Luftdüsenspinnmaschinen Rohstoff:................ Zellulosefasern der Lenzing AG Produkt: ................ Viscoblend®-, Sensolite®- und Profresh®-Garne
Mit dem Erwerb der Spinnerei „Predionica Klanjec d.d.“ im Jahre 2002 konnte eine Stärkung der Marktpräsenz und eine Verbreiterung der Angebotspalette erreicht werden. Links: Detailaufnahme der Kopse in den Ringspinnmaschinen der Marke Zinser. Linke Seite: Die Rieter-Strecken vor der Open-end und Airjet-Spinnerei.
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Viskosespinnerei Nanjing (China) Technologie: .......... Rotorspinnmaschinen Rohstoff:................ Viskosefasern der Lenzing AG Produkt: ................ Viscoblend®-Garne
Das 2009 in Betrieb genommene Werk Nanjing in China spiegelt die Zielsetzung der Linz Textil wider, als größter Viskose-Spinner Europas einen Standort im Land der größten Viskose-Produktion zu haben. In Nanjing wird in direkter Nachbarschaft zu einem Werk der Lenzing AG produziert. Die Aufnahmen zeigen die Rotorspinnmaschinen (linke Seite) und die Trützschler Karden (links).
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Die Leitung des Unternehmens seit 1838 Generaldirektoren Dr. Dionys L. Lehner seit 1977 Thomas Siegmund 1974–1977 Dipl.-Lw. Adolf Herand Erlach 1972–1973 Dr. Robert Thyll 1953–1971 Herbert Müllersen 1943–1953 W.F. Arnold Hadank 1941–1943 Anton Herkner 1940–1941 Gustav Hefter 1939–1940 Willy Nahlovsky 1910–1939 Carl Reichel 1894–1910 Vinzenz Gartenauer 1872–1894 Johann Grillmayr 1839–1872 Anton Wöss 1838–1839
Präsidenten des Verwaltungsrates, Vorsitzende des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft Mag. Reinhard Leitner seit 2001 Dr. Erasmus Schneditz-Bolfras 1993–2001 Karl Josef Steger 1967–1993 Fritz Eggstein 1967 Dr. Heinrich Foglar-Deinhardstein 1959–1967 Dr. Josef Joham 1937–1959 Julius Stern 1926–1937 Richard Hofmann 1911–1926 Carl Reininger 1904–1911 Emil Dierzer von Traunthal 1902–1904 Dr. Rafael von Kremer-Auenrode 1872–1902 Johann Grillmayr 1872
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