An die Grenze des Machbaren

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An die Grenze des Machbaren

Fenster sind ein wichtiges Element der Architektur. Um sie auf die Entwürfe abzustimmen, entwickelt Huber Fenster aus Herisau massgeschneiderte Lösungen.

Themenheft von Hochparterre, Juni 2023

Anna Vetriak ist vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet und macht bei Huber Fenster eine Lehre.

Anpassungsfähig an Kundenwünsche: Gianfranco Romano, Mitglied der Geschäftsleitung, hat die Schwelle für Hebeschiebetüren entwickelt.

Cover:

Inhalt

4 Haute Couture statt Standard

Drei Brüder am Ruder: Wie die fünfte Generation das 140-jährige Familienunternehmen in die Zukunft führt.

8 Zuhören, verstehen, umsetzen

Fenster nach Mass: Ein Blick in die Entwicklungsabteilung –und vier aktuelle Referenzobjekte.

16 Beratung digital und analog

Crossmediale Beratung: Vom 3-D-Konfigurator zum Showroom und zurück

18 Ukrainisches Holz für Schweizer Qualität

Die Herkunft des Holzes: Vom Umgang mit dem wertvollen Rohstoff und dem langjährigen Engagement in der Ukraine.

Grenzgänger im Fensterbau

Die Fenster sind die Augen eines Gebäudes. Von aussen prägt ihre Anordnung und Proportionierung das Gesicht der Fassade. Aus dem Innern öffnen sie den mehr oder weniger gerahmten Blick auf die Umgebung, und sie entscheiden, wie das Licht in den Raum fällt. Es ist also nur logisch, dass Architektinnen und Architekten massgeschneiderte Fenster wollen, die auf ihre Entwürfe abgestimmt sind. Die Firma Huber Fenster aus Herisau hat sich auf dieses Bedürfnis spezialisiert. Zusammen mit Bauherrschaften und Planerinnen entwickelt sie individuelle Lösungen und geht dabei immer wieder an die Grenze des Machbaren. Der Beitrag von Reto Westermann zeigt, was es braucht, damit diese Entwicklungen zustande kommen.

Angefangen hat die Spezialisierung 1982, als Huber im Auftrag von Ernst Gisel die Fenster des Neubaus der Appenzell-Ausserrhodischen Kantonalbank in Herisau realisieren konnte. Offenbar wollte niemand sonst diesen anspruchsvollen Auftrag annehmen, wie Werner Huber in seinem Artikel erzählt. Die Herisauer Fensterbauer aber erkannten das grosse Potenzial dieser Art der Zusammenarbeit. Heute stehen namhafte Büros wie Gigon Guyer, Diener & Diener o der Herzog & de Meuron in den Auftragsbüchern. Aussergewöhnlich ist auch das Engagement von Huber Fenster in der Ukraine. Seit fast 20 Jahren b ezieht das Unternehmen für die Fensterfabrikation in Herisau zu 100 Prozent FSC-zertifiziertes Eichenholz aus seinem Werk in Iwaniw. Pieter Poldervaart beschreibt, wie Huber in der Ukraine Bäume pflanzt, pflegt und verarbeitet, und wie der Verein ‹ Ukraine Hilfe › entstanden ist, der im kriegsversehrten Land Modulhäuser finanziert und aufstellt.

Dieses Jahr feiert das Familienunternehmen sein 140jähriges Jubiläum. Dieses Heft erzählt auch, wie die fünfte Generation – Pascal, Matthias und Sebastian Huber – die Geschicke der fast 100-köpfigen Firma übernommen hat. Die drei Brüder sind zusammen mit einer Reihe von Mitarbeitenden Teil der Porträtserie des Fototeams Maya & Daniele. Die Bilder geb en dem Heft den visuellen Bogen, stellen die Menschen von Huber Fenster in den Mittelpunkt und zeigen, wie sie in verschiedenen Funktionen und Projekten ihren Beitrag für die massgeschneiderten Entwicklungen leisten. Urs Honegger, Werner Huber

Impressum Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid Verlagsleiterin Susanne von Arx Konzept und Redaktion Urs Honegger, Werner Huber Fotografie Maya & Daniele, www.mayandaniele.com Art Direction Antje Reineck Layout Jenny Jey Heinicke Produktion Linda Malzacher Korrektorat Dominik Süess Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit Huber Fenster AG, Herisau Bestellen shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.—

Themenheft von Hochparterre, Juni 2023 An die Grenze des Machbaren Inhalt 3
Editorial
Die fünfte Generation am Steuer: Pascal, Sebastian und Matthias Huber von links nach rechts.

Haute Couture statt Standard

Ein Auftrag von Ernst Gisel machte aus Huber Fenster ein Unternehmen für massgeschneiderte Produkte. Nun hat die fünfte Generation übernommen und führt diese Tradition in die Zukunft.

« Sie sagen nie etwas, sondern hören nur zu. Ich weiss jeweils gar nicht, ob Sie mich verstanden haben. » Das habe Ernst Gisel, selbst kein Mann der grossen Worte, einst gesagt, erinnert sich Martin Huber. Er plante mit Gisel ab 1982 den Neubau der Appenzell-Ausserrhodischen Kantonalbank in Herisau. Im Jahr davor hatte Huber den Betrieb in vierter Generation von seinem Vater Emil übernommen.

« Damals waren wir eine ganz normale Glaserei mit sechs Angestellten und Vater und Mutter im Betrieb », erzählt Huber. Die Werkstatt lag mitten im Dorf, am heutigen Firmenstandort gab es erst ein Holzlager. « Mit uns eren Nullachtfünfzehn-Produkten standen wir in Konkurrenz mit allen anderen Fensterbauern. Der Günstigste erhielt den Zuschlag », blickt Martin Huber zurück. 30 bis 40 Kilometer betrug der Radius, in dem das Unternehmen lieferte.

« Den Auftrag für Gisels Kantonalbank erhielten wir wohl nur, weil ihn sonst niemand wollte », meint Huber schmunzelnd. Denn die Arbeit war anspruchsvoll: Ganzmetallrahmen aus Baubronze mit Fensterflügeln in SipoMahagoni. ‹ Emil Huber Fenster Herisau ›, wie die Firma zu dieser Zeit hiess, führte den Auftrag in einer Arbeitsgemeinschaft mit dem damaligen Metallbauunternehmen

Caluori aus Chur aus. « Das Holz haben wir unten im Lager – dem heutigen Standort der Firma – zugeschnitten und mit dem Hanomag-Transporter ins Dorf hinauf in die Werkstatt gefahren. Dort haben wir es gehobelt, profiliert und zu Rahmen verarbeitet », erzählt Martin Huber. Die Kantonalbank war nicht das erste Objekt von Architekt Gisel, für das Huber die Fenster lieferte. Ende der 1960er-Jahre hatte Emil Huber bereits die Fenster für den

Andachtsraum im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen hergestellt. Aber die erfolgreiche Umsetzung der Kantonalbank gab Martin Huber den Mut, mehr zu wagen. Bald klopften weitere Architekten an: Dolf Schnebli, Martin Spühler, Roger Diener. Annette Gigon und Martin Huber sind in der gleichen Nachbarschaft in Herisau aufgewachsen, und weil Hubers Bruder Architekt bei der ‹ Helvetia ›-Versicherung war, kam der Kontakt mit Herzog & de Meuron zustande. « Wob ei ich Christine Binswanger schon lange kenne », sagt Hub er auf gemeinsame WG-Bekanntschaften zurückblickend.

Schubkraft aus Moskau

Von Herisau aus baute Huber Fenster ein Netzwerk mit renommierten Architekturbüros auf, und mit dem 1987 erstellten Fabrikationsgebäude am heutigen Standort setzte die vierte Generation Huber auch ein bauliches Zeichen. Einen grossen Schub erfuhr die Firma aber an einem anderen Ort: in Moskau. 1993, mitten in den politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen nach der Auflösung der Sowjetunion, nahm der Direktor des Moskauer Kombinats für Spanplatten, Möbel und Fenster DOK3 Kontakt mit Martin Huber auf. Die Situation in Russland war damals nicht nur chaotisch, sondern es war auch eine Zeit der Hoffnungen und der unbegrenzten Möglichkeiten. Diese wollte der Kombinatsdirektor Jurij Janower nutzen. Er besuchte die Huber’sche Fensterfabrik und war von der Qualität überwältigt. Beim Gegenbesuch in Moskau war auch Martin Huber überwältigt – je doch nicht von der Qualität, sondern von der Quantität.

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Text: Werner Huber

Huber und Janower gründeten zusammen eine Firma. Der erste Auftrag war ein Hochhaus mit 3600 Elementen in Moskau. « Mehr, als wir in der S chweiz pro Jahr produzierten », erinnert sich Martin Huber, betont aber, dass er und seine Frau Jacqueline das Risiko sehr dosiert eingesetzt hätten, um den Betrieb in Herisau nicht zu gefährden. So konnten die beiden auch noch ruhig schlafen, als nach der ersten Akontozahlung kein Geld mehr floss, obwohl der Auftrag bereits ausgeführt war. Sieben Monate mussten sie auf das Geld warten und beschlossen, fortan vom öffentlichen Sektor keine Aufträge mehr anzunehmen. Mit privaten Bauherrschaften machte das Unternehmen gute Erfahrungen und konnte etwa Fenster für Bauten von Nestlé oder für das Hotel Marriott Twerskaja in Moskau liefern. Der nächste Schritt war der Kauf einer alten Isolierglasstrasse, um die Glasproduktion ebenfalls selbst in der Hand zu haben, gefolgt von einer Handelsfirma für Beschläge. Die Geschäfte liefen gut – zu gut, wie Martin Huber sagt: « Es hat uns zwischen Russland und der Schweiz zerrissen. » 2004 verkaufte Huber seine Anteile in Russland.

Fokus auf die Schweiz

« In Russland hab en wir gemerkt, wie gut wir es in der Schweiz haben », sagt Martin Hub er. « Das gab uns den Mut, hier Gas zu geben. » Die enge Zusammenarb eit mit den Architektinnen und Architekten, die mit Ernst Gisel begonnen hatte, wurde immer wichtiger. Die Firma verabschiedete sich weitgehend von der Produktion von Standardfenstern, bei der einzig der günstige Preis zählt, und konzentrierte sich auf die ‹ Haute Couture ›. Das hatte zur Folge, dass heute rund ein Drittel der Mitarbeitenden im Büro tätig ist. Was für einen produzierenden Betrieb eigentlich ein zu grosser Wasserkopf wäre, ist für Huber Fenster lebenswichtig: Die Entwicklung von massgeschneiderten Lösungen erfordert viel Kopfarbeit. Und die hat ihren Preis. Der Radius, in dem das Unternehmen tätig ist, erstreckt sich längst über die ganze Schweiz – allerdings nicht flächendeckend, sondern punktuell an Orten, wo der Preis nicht die zentrale Rolle spielt. Dazu zählen neben dem Grossraum Zürich das Engadin, partiell Luzern, die Stadt Basel sowie Genf und das Tessin.

Besteht bei eigens entwickelten Lösungen nicht die Gefahr, dass die Fachleute von Huber etwas konstruieren, das dann ein anderer Fensterbauer herstellt ? Tatsächlich nehmen die Architekten oft früh Kontakt auf und bitten um eine Kostenschätzung. Huber Fenster hütet sich, zu früh in die Entwicklung einzusteigen. « Wir machen höchstens eine Skizzenberatung, um abzuklären, ob eine Lösung grundsätzlich funktioniert », s o Martin Huber. Sie hätten auch schon überlegt, bloss die Beratung zu verkaufen, doch davon habe die Firma nichts. « Man muss so lange in Kontakt bleiben, bis der Auftrag kommt. »

Fensterkanteln aus der Ukraine

Mit dem Verkauf des Russland-Geschäfts war das Engagement in Osteuropa nicht beendet. Noch in Moskau kam der aus der Ukraine stammende Mitarbeiter Sergij Medwedtschuk auf Martin Huber zu und schlug vor, in sei-

ner Heimat im Gebiet Winnyzja etwas zusammen zu machen. Doch was ? Die Wälder gaben die Antwort: In der Gegend um Winnyzja bestehen sie zu mehr als 70 Prozent aus Eiche. In der Schweiz sind es gerade mal 1,7 Prozent, während Hub er Fenster für die Produktion mittlerweile rund 50 Prozent Eichenholz braucht. Mit der eigenen Firma in der Ukraine kann das Herisauer Unternehmen die für die Fensterfabrikation benötigten Kanteln aus nachhaltiger Produktion beziehen – und das seit nunmehr 18 Jahren siehe ‹ Ukrainisches Holz für Schweizer Qualität ›, Seite 19. So ist es für Martin Huber selbstverständlich, dass er sich nach dem russischen Angriff vor Ort humanitär engagiert siehe ‹ Fertighäuser made in Iwaniw ›, Seite 20

Die fünfte Generation übernimmt

Gut 40 Jahre führten Martin und Jac queline Huber ihre Firma. Dann übernahm die fünfte Generation das Steuer, und zwar gleich dreifach: 2018 wurde Pascal Huber CEO und Matthias Huber COO, 2021 folgte Sebastian Huber als CFO. Martin Huber hat das Unternehmen an seine Söhne verkauft. Er sitzt noch in der Geschäftsleitung, aber nicht mehr im Verwaltungsrat, und er leitet noch die Tochterfirma Divario in der Ukraine.

Jacqueline Huber war es, die den Generationenwechsel 2016 initiierte. Im gleichen Jahr mussten die HuberBrüder eine erste Bewährungsprobe bestehen, als ihr Vater nach einem Velounfall zwei Monate ausfiel. Bei Pascal Huber ( geboren 1986 ) war s chon länger klar, dass er einmal in den Familienbetrieb einsteigen würde. Während der Ausbildung am Technikum machte er ein Praktikum bei einem Fenstermaschinenhersteller in Italien. 2013 stieg er voll in den elterlichen Betrieb ein. Matthias Huber ( geboren 1987 ) absolvierte eine Lehre als Hochbauzeichner. Danach arbeitete er in verschiedenen Abteilungen der Firma, um Geld für seine Reisen zu verdienen. So lernte er mit der Zeit alle Bereiche des Unternehmens kennen. Als er 2014 die Abteilung Hebeschiebetüren leitete, erlitt der Produktionsleiter ein Burn-out. Matthias sprang ein –und blieb hängen. Sebastian Huber ( geboren 1992 ) machte zunächst eine kaufmännische Ausbildung, besuchte in St. Gallen die Kunstgewerbeschule, studierte an der ZHdK in Zürich Design und bildete sich sprachlich weiter. Matthias und Pascal haben sich an der Universität St. Gallen weitergebildet, Sebastian macht zurzeit den Fachausweis in Finanz- und Rechnungswesen. Für alle drei galt eine Timeline bis zum Entscheid, ob sie in die Firma einsteigen möchten oder nicht. Als Jüngster hatte Sebastian etwas mehr Zeit ; er entschie d sich erst Mitte 2021 definitiv für das Unternehmen.

« Als Eigentümer ist es s chon noch mal ein anderes Arbeiten », sagt Pascal Huber. Er blickt grundsätzlich positiv in die Zukunft. Der Bereich Sanierung und Umbau werde deutlich wichtiger werden. Dort seien die Stückzahlen oft hoch, der Arbeitsaufwand jedoch ebenfalls. Doch in dem Umfeld, in dem die Firma heute aktiv sei, sei vermutlich immer Geld vorhanden. Eine Herausforderung sei zurzeit der Fachkräftemangel. « Du musst für alles b ereit sein », meint er mit Blick auf die Arbeitsb edingungen und erwähnt die Diskussionen um die Vier-Tage-Woche. « Aber es ist sicher spannender, bei uns Fenster zu bauen als anderswo. » Immer wichtiger würden Zub ehör, Gadgets und Kleinigkeiten, die technisch zwar nur einen geringen Mehrwert brächten, aber ästhetisch von Bedeutung seien. Neu erfinden müsse man dabei kaum etwas, aber man könne das Bestehende verbessern. « Das Fenster wird immer mehr zum Möbel. » Die Philos ophie bleibt dabei die gleiche wie vor mehr als 40 Jahren in der Zusammenarbeit mit Ernst Gisel: zuhören, verstehen, umsetzen. ●

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« Das Fenster wird immer mehr zum Möbel. »
Pascal Huber
Gerhard Weilenmann, Leiter Forschung und Entwicklung, prüft Sicherheitsfenster auf Herz und Nieren.

‹ A true friend reache s for your hand ›: Beruf sbildnerin Stefanie von Allmen und der lernende Schreiner Maurin Forster.

Zuhören, verstehen, umsetzen

Standardisierte Grossserien gibt es bei Huber keine. Bei der Entwicklung individueller Lösungen setzen die Fensterbauer alles um, was technisch machbar ist.

Fenster, so weit das Auge reicht, in allen Grössen und Formen. Im 1000 Quadratmeter grossen Showroom von Huber Fenster in Herisau findet sich alles: kleine Fenster im historischen Stil mit sichtbaren Beschlägen, mehrere Meter breite verglaste Hebeschiebetüren, die sich gerade noch von Hand oder motorisiert bewegen lassen, Klappfenster, Kippfenster, gebogene Fenster, runde Fenster, Vertikalschiebefenster, Drehflügel, Schwingflügel, Rahmen in verschiedensten Hölzern von einfacher Tanne bis zum edlen Nussbaum, Verkleidungen aus eloxiertem Aluminium oder gar Baubronze. Die rund 80 Fenster sind keine Präsentation des aktuellen Sortiments, sondern zeigen das Schaffen der Firma in den vergangenen gut 20 Jahren. « Wir entwickeln keine Fenster auf Halde, sondern nur, wenn wir einen konkreten Auftrag haben », sagt CEO Pascal Huber. Viele der ausgestellten Fenster sind denn auch Prototypen, die auf der Basis von Kundenwünschen gebaut, danach weiterentwickelt und schliesslich in einer kleinen Serie für einen einzelnen Auftrag hergestellt wurden. Die individuelle Fensterfertigung nach den Wünschen von Architektinnen und Bauherrschaften geht bei Huber zurück auf das Jahr 1984, als Architekt Ernst Gisel den Neubau der Kantonalbank in Herisau plante siehe ‹ Haute Couture statt Standard ›, Seite 5. « Wir merkten ras ch, dass uns diese Art des Fensterbaus Spass macht, weil dabei das Können zählt und weniger der Preis unten rechts auf der Offerte », sagt G eschäftsleitungsmitglied Martin Huber.

Fenster in Möbelqualität

Im selben Gebäude wie der Showroom befindet sich die hochmoderne Werkstatt. Hier gibt es keine endlos langen, voll automatisierten Fertigungsstrassen wie in Fensterfabriken mit Massenproduktion. In einer Ecke werden die Hölzer zugeschnitten, im Raum daneben werden sie verleimt, danach geölt, lackiert oder gespritzt und schliesslich verglast und für den Transport bereit gemacht. Gewisse Arbeitsschritte werden von computergesteuerten Maschinen erledigt, etwa der Zuschnitt der aus Einzelstücken verleimten rohen Hölzer. Auch die Profilierung und die Lackierung sind automatisiert. In Handarbeit erfolgen zum Beispiel der Zusammenbau der Rahmen aus

den zugeschnittenen Einzelteilen, das Befestigen von Beschlägen oder die Oberflächenbehandlung. Die fertigen Produkte sind das Resultat eines Zusammenspiels von modernen Maschinen und handwerklichem Können der erfahrenen Mitarbeiter.

Stünden am Ende der Produktion nicht fertige Fenster für den Abtransport bereit, würde man sich in den Hallen eher in einer Möbelschreinerei wähnen. « Ein Fensterbauer wie Huber ist wie ein Fensterschreiner. In ihrer Präzision und Qualität erinnern die Produkte an massgeschneiderte Möbel », sagt Rainer Schlumpf, Partner bei Marques Architekten. Das Büro aus Luzern gehört seit vielen Jahren zur Kundschaft der Herisauer Fensterspezialisten. Für Marques hat Huber etwa grossformatige Schiebefenster für Villen entwickelt.

Erfindergeist ist gefragt

Auch andere Schweizer Architekturbüros wie Herzog & de Meuron oder Diener & Diener arbeiten teilweis e seit Jahrzehnten mit Huber zusammen. Die Projekte decken hauptsächlich zwei Segmente ab: Sanierung oder Nachbau von historischen Fenstern für Denkmalobjekte wie zurzeit für den Südflügel des Hauptbahnhofs Zürich siehe ‹ Historisches am Hauptbahnhof ›, Seite 12 oder aber Fenster für Neubauten, bei denen Standardprodukte den Ansprüchen von Architekten und Bauherrschaften nicht genügen.

Besondere Wünsche an Fenster kommen nicht von ungefähr: « Die Anordnung s owie die Proportionierung und Detaillierung von Fenstern bestimmen den Eindruck eines Gebäudes massgeblich und beeinflussen die Wahrnehmung des Innenraums », sagt Christian S everin, Architekt bei Diener & Diener in Bas el. Entsprechend wichtig seien Fenster, die exakt auf das Gebäude und die Wünsche der Architektinnen abgestimmt sind. « Spezialisten wie Huber eröffnen uns Architekten ganz andere Möglichkeiten für die Gestaltung von Gebäuden », so S everin. Für das Basler Büro hat Huber vor drei Jahren 3,7 Meter hohe Flügelfenster aus lasiertem Eichenholz entwickelt, die beim Balois e Park beim Bahnhof Basel zum Einsatz kamen – Fenster, deren Grösse die Grenzen des technisch Machbaren erreichte.

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Text: Reto Westermann
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Schwergewichte am Luganersee

Im Park der Villa Favorita in Castagnola bei Lugano entstand nach Plänen von Herzog & de Meuron eine Reihe von acht villenartigen Häusern unterschiedlicher Grösse. Damit jedes vom Seeblick profitiert, stehen sie eng beieinander. Jede Villa ist drei- oder viergeschossig und folgt dem sehr steilen Terrain. Kaskadentreppen verbinden die Geschosse und erlauben diagonale Ausblicke. Wohn- und Essräume sind auf dem Gartenniveau angelegt, Schlafzimmer und Terrassen in den oberen Stockwerken.

In Eigenproduktion stellte Huber Fenster den Halbfabrikathybrid aus Teak- und Eichenholz her. Vor dem Verleimen der Lamellen musste das Öl mit Aceton vom Teakholz entfernt werden. Nur so liess es sich mit PU-Leim weiterverarbeiten. Die besonderen Herausforderungen bei diesem Projekt waren die Dimensionen: Die Konstrukteure mussten eine Hebeschiebetür mit einem Flügelgewicht von bis zu 1500 Kilogramm entwickeln, die Eingangstüren haben eine Höhe von bis zu drei Metern. Anspruchsvoll war auch der Transport der grossen Elemente von Herisau nach Castagnola.

Lugano TI

Bauherrschaft: Privat

Architektur: Herzog & de Meuron, Basel Besonderheiten Fenster: Hebeschiebetüren bis zu 1500 kg, Holzfenster aus Teakholz ohne sichtbare Glasleiste, aufwendiger Transport und Einbau

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Die acht Villen stehen im Park der Villa Favorita in Lugano. Bis zu 1500 Kilogramm schwer sind die eingebauten Hebeschiebetüren. Text: Werner Huber, Fotos: Dani Hunziker
Acht Villen, 2017
Die Lage des Türdrückers illustriert die Raumhöhe von drei Metern.

Vielfalt am Kongresshaus

Das Kongresshaus am Ufer des Zürichsees gehört zu den Meisterwerken der Architekten Haefeli Moser Steiger. Es entstand im Hinblick auf die Landesausstellung 1939 und umfasst auch die Tonhalle aus dem späten 19. Jahrhundert. Die Architektengemeinschaft Boesch Diener befreite das Gebäude von den Zubauten der 1980er-Jahre und stellte so die ursprünglichen Raum- und Sichtbezüge wieder her. Um den nötigen Raum zu schaffen, ergänzten die Architekten vor dem Gartensaal einen weiteren Saal und setzten ein Restaurant mit Seeblick darauf.

So reichhaltig wie die Gestaltung des Kongresshauses, so vielfältig waren auch die Aufgaben von Huber Fenster an diesem Objekt. Das Spektrum reichte von farbigen Kunstgläsern in der Betonfassade bis hin zu automatischen Hebeschiebetüren. Als weitere Besonderheiten sind der Nachbau von Fenstern mit filigran profilierten Flügelprofilen und Zierholzaufdoppelungen oder eine sich einwärts öffnende Fluchttür zu nennen. Vor den Festverglasungen waren teilweise öffenbare Gitter anzubringen. Die exponierte Lage am See ist nicht nur eine Visitenkarte für den Fensterbauer, sie erforderte auch besondere Sorgfalt in der Umsetzung.

Gesamtinstandsetzung

Kongresshaus und Tonhalle, 2021 Zürich

Bauherrschaft: Kongresshaus-Stiftung, Zürich

Architektur: Arge B oesch Diener ( Elisabeth und Martin Boesch, Zürich ; Diener & Diener, Basel )

Besonderheiten Fenster: breites Spektrum an unterschiedlichen Fensterlösungen, farbige Kunstgläser in Betonfassade

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Die exponierte Lage erforderte Sorgfalt in der Umsetzung. Ein Meisterwerk von Haefeli Moser Steiger: das Kongresshaus in Zürich. Die Fenster spielen eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung der filigranen Architektur.

Generalsanierung Hauptbahnhof Südtrakt, 2023

Zürich

Bauherrschaft: SBB Immobilien

Architektur: Aebi & Vincent, Bern

Besonderheiten Fenster: grosser Planungsaufwand, Rekonstruktion von Profilen und Aufdoppelungen, Restauration bestehender Oberflächen von Grün auf maserierte Eiche

Historisches am Hauptbahnhof

Text: Werner Huber, Visualisierungen: SBB Immobilien, Aebi & Vincent Architekten

Der historische Teil des Hauptbahnhofs Zürich gehört mit dem Bundeshaus in Bern und dem ETH-Hauptgebäude in Zürich zu den wichtigsten Bundesbauten ihrer Zeit. Nach 150 Jahren wird der von Jakob Friedrich Wanner entworfene Südtrakt des Hauptbahnhofs nun erstmals umfassend instandgesetzt. Dabei schälen die Architekten die stark verunklärte Raumstruktur des denkmalgeschützten Gebäudes wieder heraus.

Angesichts der zahlreichen historischen Fenster, die nachgebaut werden mussten, war der Planungsaufwand für Huber Fenster aussergewöhnlich hoch. Über einen Zeitraum von rund 15 Monaten waren zweieinhalb Vollzeitstellen mit dem Projekt beschäftigt. 10 Prozent der Arbeiten erfolgten maschinell, 90 Prozent von Hand. Profile und Aufdoppelungen wurden anhand von Fotos aus dem 19. Jahrhundert rekonstruiert. Alugussteile wurden nachproduziert, die alten Ziermetallteile aufgearbeitet und wieder eingesetzt. Um Profile originalgetreu nachzubauen, wurde eine Tür nach Herisau transportiert. Die Aufnahme der Masse vor Ort erfolgte via Laserscanning und wurde in das CAD-Programm integriert. Die Anforderungen an die Sicherheit und an die spätere Nachrüstung mit Türschliessern, elektronischen Schlössern und anderem waren hoch.

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Die ehemalige Wandelhalle im Hauptbahnhof Zürich wird wieder freigelegt. Grosser Planungsaufwand: Zahlreiche historische Fenster wurden nachgebaut. Am Bahnhofplatz sind die neuen Fenster bereits zu sehen. Foto: Werner Huber

Flächenbündig in Holz und Kupfer

Text: Werner Huber

Das Grundmodul einer Zimmereinheit im Alters- und Pflegezentrum Widnau im St. Galler Rheintal besteht aus einem räumlich gegeneinander versetzten Wohn- und Schlafbereich. Diese Wohnsituation lässt sich je nach Pflegestufe flexibel nutzen. Auf einer Etage sind zwei Wohngruppen kombiniert, dreigeschossige Lichthöfe belichten die Kernbereiche. Die Zimmer haben Holzfenster aus Fichte und einen schlichten, eigens entwickelten Zuziehgriff. Flügeltür und Festverglasung sind im Grundriss gegeneinander versetzt, wobei ein Futterbrett aus Fichte und Ulme den Stoss zwischen den beiden Teilen abdeckt. Die Fenster zum Innenhof sind als Holz-Metall-Fenster mit äusserer Kupferschale konstruiert und innen wie aussen flächenbündig eingebaut. Deren Montage im Hof war für die Fensterbauer besonders anspruchsvoll. Aussergewöhnlich war zudem das Einbringen der grossen Festverglasungen mit tiefen Futtern und Lüftungsflügeln.

Neubau Alters- und Pflegezentrum, 2023

Widnau SG

Bauherrschaft: Gemeinde

Widnau

Architektur: Cukrowicz

Nachbaur, Bregenz ( AT )

Be sonderheiten Fenster: gegeneinander versetzte Festverglasung und Flügeltür, breite Futterbretter, innen und aussen flächenbündige Konstruktion der Holz-Kupfer-Fenster im Hof

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Hof mit kupferverkleideten Fenstern. Foto: Pascal Huber Holz-Kupfer-Fenster in der Werkhalle. Foto: Jonas Weibel Das viergeschossige Alters- und Pflegezentrum in Widnau wirkt einladend. Visualisierung: Cukrowicz Nachbaur Architekten

Um solche Wünsche umsetzen zu können, braucht es immer wieder neue Erfindungen. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Fachleute von Huber Dutzende Neuerungen entwickelt. Dazu zählen drei Basisvarianten von Hebeschiebetüren, die an verschiedene Situationen angepasst werden können. Das Modell ‹ Mini › mit einer Flügelprofilbreite von 51 Millimetern, einer bündig eingelassenen Griffrosette sowie Stoppern aus Chrom-Nickel-Stahl kommt besonders filigran daher. Es wurde 2017 mit dem Red Dot Design Award ‹ Best of the B est › ausgezeichnet und ist auch im Hauptsitz von Huber verbaut. Damit konstruierte Hebeschiebeflügel dürfen maximal 400 Kilogramm wiegen. Bei den Modellen ‹ Midi › und ‹ Maxi › mit etwas breiteren Rahmen liegt das Höchstgewicht bei 600 Kilogramm bei manueller Bedienung und bei 1500 Kilogramm, wenn das Öffnen und Schliessen durch Motoren erfolgt. Für die Sanierung von historischen Bauten aus den 1940er- oder 1950er-Jahren, bei denen oft Vertikalschiebefenster eingesetzt worden waren, hat Huber eine Lösung mit verdeckter Seilführung und Führungsschienen ohne Kunststoff konstruiert. Das Augenmerk der Entwicklungsabteilung liegt auch auf den Details, die am Ende entscheidend sind für den Gesamteindruck eines Fensters. Hauseigene Erfindungen sind etwa die filigrane, runde Nanorosette für die Befestigung des Fenstergriffs oder Schwellen aus speziell gezogenen Aluminiumprofilen, die den Vorgaben bezüglich Witterungsschutz und Dauerhaftigkeit genügen und die Holzoptik erhalten. Auch für den Schutz vor Mücken und anderem Getier hat Huber eine elegante Lösung gefunden: Fliegengitter aus einem feinen Stoffgewebe, die sich bei Nichtgebrauch seitlich im Rahmen des Hebeschiebefensters versenken lassen. Aus dem eigenen Haus kommen zudem seit einigen Jahren Haustüren – ein Produkt, das Fensterbauer üblicherweise nicht herstellen. « Vielen Architekten ist es wichtig, dass Haustüren und Fenster aus einem Guss kommen. Durch die Entwicklung eigener Türen können wir diesem Bedürfnis nachkommen », sagt Pascal Huber.

Luege, lose, lehre, mache

Der Aufwand für die speziellen Anfertigungen ist oft gross. Nicht selten bauen die Fachleute von Huber bereits in der Offertphase einen Prototyp, um zeigen zu können, dass ihre Idee für die gewünschte Fensterlösung funktioniert. « Einen Grossteil der Entwicklung machen wir hier im Haus », so Pascal Huber. Für einzelne Bereiche hole man sich Unterstützung von einem externen Ingenieurbüro. Wichtig ist auch die enge Zusammenarbeit mit den Zulieferern, etwa der Gläser oder der Beschläge. « Da braucht es oft viel Beharrlichkeit, um Lösungen zu erhalten, die von den Standardbauteilen abweichen. » Überzeugt das Ergebnis nicht, entwickelt Huber Metallbauteile auch mal selbst und lässt diese extern produzieren.

Erfindergeist, hochstehende Technik und der Wille, neue Wege zu gehen, sind drei Bausteine, die zum Erfolg beigetragen haben. Für die Zusammenarbeit insbesondere mit den Architektinnen und Architekten hat Martin Huber in Anlehnung an den bekannten Slogan der Beratungsstelle für Unfallverhütung ein Credo entwickelt: « Luege, lose, lehre, mache. » « Luege » und « los e » heisst: Nach einer Anfrage setzen sich die Spezialisten von Huber erst einmal in Ruhe mit den Architekten zusammen, hören ihnen zu und schauen sich die Pläne genau an. « Wir versuchen stets, genau zu verstehen, was das gestalterische Ziel des jeweiligen Projekts ist und welche Ansprüche an die Fenster daraus abgeleitet werden », sagt Pascal Huber. Mit « lehre » ist gemeint, dass aus dem Gehörten und Gesehenen die richtigen Schlüsse für die Konstruktion der Fenster gezogen

werden, um die Wünsche der Architekten möglichst exakt zu erfüllen. « Mache » schliesslich bedeutet zu schauen, ob und auf welchen vorhandenen Fenstern aufgebaut werden kann, und fehlende Details, Elemente oder komplette Fenster neu zu entwerfen. Huber baut Prototypen, testet sie zusammen mit den Auftraggebern und entwickelt sie weiter, bis der definitive Entwurf in der Werkstatt und vor Ort umgesetzt wird. Die Architekturbüros schätzen dieses Vorgehen, etwa Herzog & de Meuron: « Wir legen Wert auf hohe Qualität und entwickeln bisweilen auch Bauteile gemeinsam mit Handwerkern wie Huber Fenster. Wir erachten diese Art des gegenseitigen Austauschs als wertvoll. » Das Basler Büro hat mit Huber etwa die Fenster für die Sanierung von acht Villen in Castagnola bei Lugano realisiert siehe ‹ Schwergewichte am Luganersee ›, Seite 10

Individuell, aber normgerecht

« Alles, was technisch irgendwie geht, setzen wir auch um », sagt Pascal Huber. Um die Grenzen des Machbaren auszuloten, gehen die Herisauer Fensterbauer weit, wie die Villen von Herzog & de Meuron im Tessin zeigen. Dort hat Huber gleich mehrfach bewiesen, was möglich ist, wenn alle an einem Strick ziehen. Allein schon die schiere Grösse der Fensterflügel mit einer Breite von 4,75 Metern, einer Höhe von 3,05 Metern und einem G ewicht von rund 1,5 Tonnen war eine Herausforderung. Dazu kamen Teakholz als Material und ein Motorantrieb, um die schweren Flügel überhaupt öffnen zu können. Huber schaffte eine Trennbandsäge an, um das harte Holz bearbeiten zu können, und die Fachleute eigneten sich das nötige Know-how für den Umgang mit Teak an. Danach bauten sie einen Prototyp des Fenstersystems, beschwerten ihn mit Stahlgewichten und bewegten ihn 44 00 0-mal, um zu prüfen, ob alles wie berechnet funktioniert. Eine weitere Herausforderung war der Transport der Fenster über die San-Bernardino-Route. Damit die riesigen Gläser durch den zweimaligen Druckunterschied aufgrund der Höhenverhältnisse keinen Schaden nahmen, brauchte es ein spezielles Ventil im Glas und einen Druckausgleichbehälter. In Castagnola angekommen mussten die Fenster über eine schmale, nur zeitweise befahrbare Strasse angeliefert und mit dem Kran eingehoben werden.

Auch wenn das Team von Huber Fenster erst dort richtig warmläuft, wo andere Fensterbauer die Segel streichen, sind Normen oder technische Empfehlungen für das Herisauer Unternehmen sakrosankt: « Unsere Fenster erfüllen alle Sicherheitsvorschriften und bauphysikalischen oder statischen Vorgaben. Da machen wir keine Abstriche », sagt Pascal Huber. Wert wird darauf gelegt, der Bauherr schaft und den Architektinnen – etwa bei sehr grossen Fenstern – vor der Bestellung klarzumachen, dass ein späterer Austausch schwierig oder je nach Grösse und Position im Gebäude sogar schlicht unmöglich ist. Grenzen setzen dabei die Zugänglichkeit der Fenster nach Abschluss der Bauphase oder die Tragfähigkeit von Unterlags- und Fussböden. Solche Punkte würden auch in den Verträgen explizit erwähnt, so Pascal Huber.

Obwohl Huber Fenster laufend neue Bauteile und Lösungen erarbeitet, lässt das Unternehmen diese nicht patentieren. « Wir stecken unsere Energie lieber in die Entwicklung neuer Lösungen, anstatt ein Patent auf bestimmte Fenstersysteme einzutragen », sagt Martin Hub er. Zu den im Showroom des Fabrikationsgebäudes in Herisau ausgestellten Fenstern dürften sich in den kommenden Jahren also weitere Objekte gesellen. Zusammen mit den älteren Modellen werden sie dann den passenden Rahmen für erste Gespräche mit Bauherrschaften und Architekten bilden – getreu dem Motto: « Luege, lo se, lehre, mache. » ●

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CCO Roger Schiess vor den denkmalgeschützten, zweifach verglasten Antikfenstern des Landesmuseums Zürich.

3-D-Konfigurator

Idee und Konzept: Huber Fenster, Herisau ( Pas cal Huber, Lea Bill )

Corporate Design: Simone Züger Design

Studio, Zürich

Design und Programmierung: Absolut Agentur, St. Gallen ( Philipp Sutter, Joachim Hummel )

Kosten: knapp Fr 100 000.— huberfenster.ch / konfigurator

Beratung digital und analog

Für den intensiven Austausch zwischen Planung, Entwicklung und Produktion setzt Huber auf einen analogen Showroom in Herisau und einen digitalen Konfigurator im Web.

Text: Urs Honegger

Am Anfang steht oft ein Anruf. Am Telefon eine Architektin oder ein Bauherr, die oder der sich über die Produkte von Huber Fenster informieren will. Ziemlich schnell wechselt das Medium. « Sitzen Sie gerade vor dem Computer ? », fragt CAD-Planerin Lea Bill in Herisau und schlägt vor, den 3-D-Konfigurator auf Hubers Firmenwebsite zu öffnen. Zusammen erkunden sie die Produkte und ihre Varianten. Der Kunde erhält einen ersten Eindruck, was es gibt und was möglich ist. Er kann sich vorstellen und verstehen, wie eine potenzielle Lösung funktioniert. « Beim ersten Kontakt hilft uns der Konfigurator, die Beratung einheitlich zu gestalten », erklärt Lea Bill, die das Projekt Web-Konfigurator betreut hat. Das neue Werkzeug ist seit August 2022 online, gerade ist Bill damit beschäftigt, weitere Optimierungen umzusetzen. Bei Huber Fenster hat es Tradition, vereinfachte Details für die Studienplanung online zur Verfügung zu stellen, der Konfigurator ist dabei der nächste Schritt.

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Konfigurationen in der 3-D-Webapplikation erforschen, Varianten herunterladen und in die Planungssoftware importieren.

Ausprobieren und entdecken

Nach dem ersten Gespräch kann die interessierte Architektin die Produkte und die gewünschten Konfigurationen in der Webapplikation weiter erforschen. Varianten lassen sich als PDF herunterladen oder als DWG-Datei direkt in die Planungssoftware importieren, um weiter am Entwurf zu arbeiten. « Wir wollen natürlich, dass die Architekten mit unseren Fenstern zeichnen », so L ea Bill.

Ein primäres Ziel des Konfigurators sei es gewesen, die Produkte und die vielen Varianten auf der Website einfach und verständlich zu zeigen. Gerade die Präsentation im dreidimensionalen Modell mache es leichter, die verschiedenen Optionen am Telefon zu erklären und die Unterschiede der Fenstersysteme darzustellen. Zum Beispiel die schmalen Profile, mit denen Huber sich von der Konkurrenz abheben will. Gleichzeitig muss in der Applikation das gesamte Angebot der Firma abgebildet sein. « Wenn etwas nicht im Konfigurator ist, denken die Kunden womöglich, das gehe nicht », sagt Lea Bill. « Natürlich können weitere Details individuell angepasst werden, auch wenn diese im Konfigurator nicht ersichtlich sind. » All das darf die Applikation in der Anwendung aber nicht zu komplex machen. Die User müssen schnell verstehen, wie sie funktioniert, sie sollen Konfigurationen ausprobieren und Lösungen entdecken, an die sie bisher nicht gedacht haben. Sorgen bereitete der CAD-Planerin anfänglich die Übersetzung der zweidimensionalen Schnitte in ein dreidimensionales Modell. Doch der befürchtete Aufwand hielt sich in Grenzen.

Präzision und Detailtreue

Für die Übertragung in die dritte Dimension war die Absolut Agentur aus St. Gallen zuständig, die Huber Fenster mit der Programmierung des Konfigurators beauftragt hat. Verantwortlich für das Projekt waren Philipp Sutter und Joachim Hummel. Bei Absolut hat man nicht jeden Tag mit Architekten als Nutzern zu tun. Herausfordernd waren für die Webentwickler vor allem die verlangte Präzision und der Detailgrad der Produkte. « Die User müssen im Konfigurator sehen, was sie nachher als DWGFile erhalten », sagt Joachim Hummel. Die vielen Produkte und Varianten und das sich in Echtzeit verändernde 3-DModell mit den verschiedenen Texturen bringen grosse Datenmengen mit sich. Trotzdem sollen die Userinnen nicht warten müssen.

Der Konfigurator war Teil der neuen Firmenwebsite von Huber, die Absolut in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Designstudio von Simone Züger umgesetzt hat. Die Gestaltung des 3-D-Tools musste entsprechend die Usability mit dem Corporate Design von Huber verbinden. « Wir wollten, dass die Applikation heraussticht, und haben viel Wert auf Details gelegt », so Hummel. Mit dem Ergebnis ist er zufrieden, von der Arbeit mit den dreidimensionalen Objekten im Internet konnte die Agentur auch etwas lernen – « auf jeden Fall in dieser Detailtreue ! »

Digital und analog ergänzen sich

Beim Launch des Konfigurators habe sie viele Anrufe von Kundinnen bekommen, die bestimmte Funktionen nicht finden konnten, erzählt Lea Bill: « Die Nutzerinnen konnten sich teilweise gar nicht vorstellen, was in der Applikation alles möglich ist. » Insgesamt seien die Reaktionen aber sehr positiv gewesen. Gerade hat Bill die neusten Updates hochgeladen. Die Masseingabe wurde vereinfacht, Varianten der Oberflächenbeschichtung ergänzt und Materialien für den Aussenbereich erweitert. Vom ersten Kontakt am Telefon kann es lange dauern, bis die Interessenten im Showroom in Herisau auftauchen. Im -

Showroom St. Gallerstrasse 57, Herisau Konzept und Umsetzung: Huber Fenster, Herisau Grösse: 1000 m2 huberfenster.ch / kontakt

80 Fenster auf 1000 Quadratmetern: der Showroom in Herisau.

Foto: Jonas Weibel

mer öfter bringen sie die ausgedruckten PDFs mit, die sie im Konfigurator heruntergeladen haben. 2018 hat Huber im neuen Hauptsitz in Herisau diesen 1000 Quadratmeter grossen Raum eingerichtet. Er ist hell und schlicht, gefüllt mit den Fenstern der wachsenden Kollektion. Im Normalfall stellt Huber bei jedem Projekt ein zusätzliches Exemplar her, das dann seinen Platz im Showroom findet. Möglichst wenig soll von den Fenstern ablenken. Die Imitation einer Mauer hilft dabei, sich das eingebaute Produkt vorzustellen. Sonst steht nicht viel im Raum.

« Der Showroom schafft Vertrauen », sagt CEO Pascal Huber, der oft mit Kunden am grossen Holztisch in der Mitte des Raums sitzt und die darauf ausgebreiteten Pläne bespricht. « Hier können die Architekten sich absichern, auch gegenüber der Bauherrschaft, die das Resultat 1 : 1 sehen und bedienen kann. » Man kann Rahmen, Griffe und Oberflächen anfassen oder ausprobieren, wie viel Kraft es braucht, um eine 600 Kilogramm s chwere Hebeschiebetür zu öffnen. Der direkte Kontakt im Showroom ist auch unabdingbarer Ausgangspunkt für Lösungen, die Hubers Fachleute gemeinsam mit den Kundinnen für deren spezifische Projekte entwickeln. Spätestens wenn das Gespräch in diese Richtung läuft, gehen Kundin und Berater zwei Etagen tiefer in die Produktionshalle, wo sie sich anschauen, wie die Fenster hergestellt werden, die sie soeben betrachtet haben. Nicht selten zückt Pascal Huber im Showroom sein Handy und öffnet den Web-Konfigurator, um der Kundin eine Variante zu zeigen, die nicht im Showroom steht – der Präsentationsraum im Internet ist immer mit dabei. « Showro om und Konfigurator ergänzen sich, für sich allein funktionieren sie nicht », sagt Pascal Huber. Zusammen sind sie ein wichtiges Werkzeug für den Service, den Huber Fenster seinen Kunden bietet. ●

Themenheft von Hochparterre, Juni 2023 An die Grenze des Machbaren Beratung digital und analog 17
e
Martin Huber vor einer speziellen Entwicklung: dem Wohnmodul des Vereins ‹ Ukraine Hilf
›.

Ein eigenes Werk in der Ukraine produziert für Huber Halbfabrikate. Das Unternehmen sorgt für die Aufzucht von jungen Bäumen und nutzt die Holzabfälle zur Energiegewinnung.

Text: Pieter Poldervaart Lokales Holz nicht einfach als Energiequelle zu nutzen, sondern im Bau zu verarbeiten – diese Idee liegt nahe. Doch wenn es um die Herstellung von Fenstern geht, wird ein solches Projekt zur Herkulesaufgabe. Denn der Weg vom stehenden Baum im Wald bis zum fertig montierten Bauteil im Gebäude ist lang. Als Erstes muss die richtige Baumart in der richtigen Qualität gefunden werden. Dann wird gefällt und eingesägt, die Bretter brauchen zudem die passende Restfeuchte für die Weiterverarbeitung. Anschliessend geht es an die Feinarbeit: Das millimetergenau zugeschnittene Holz wird zu Kanteln verklebt. Diese sind in der Regel aus drei oder vier verschiedenen Holzschichten zusammengesetzt und werden danach verleimt. « So werden die Kanteln besonders stabil, reagieren weniger auf Temperaturschwankungen und verziehen sich nicht », erklärt Martin Huber, ehemaliger Verwaltungsratspräsident von Huber Fenster. Die Holzstäbe sind üblicherweise sechs Meter lang und werden erst beim Fensterfabrikanten auf das gewünschte Mass zugeschnitten.

Verlässliche Zusammenarbeit

Würden nur lokale Bäume ausgewählt und zu Fensterkanteln verarbeitet, wäre das aufwendig und teuer, weil das Fällen in der Schweiz aufgrund der Topografie kompliziert ist und Rodungen im grossen Stil nicht erlaubt sind.

Ukrainisches Holz für Schweizer Qualität →

« Hat ein Kunde die sen Wunsch, erfüllen wir ihn natürlich – bisher war das jedoch selten der Fall », s o Pascal Huber, einer der Söhne von Martin Huber und heutiger CEO von Huber Fenster. Während es bei Massenware wie Balken und Brettern sinnvoll sein kann, auf regionales oder –etwa im Fall einer Gemeinde – s ogar eigenes Holz zurückzugreifen, ist die lokale Beschaffung bei Spezialhölzern wie den Fensterkanteln zu aufwendig. Huber Fenster verlässt sich deshalb auf zwei europäische Hauptlieferanten für ihre Halbfabrikate. Der eine ist ein Familienbetrieb

Themenheft von Hochparterre, Juni 2023 An die Grenze des Machbaren Ukrainisches Holz für Schweizer Qualität 19

Fertighäuser made in Iwaniw Tausende Häuser wurden im Krieg in der Ukraine zerstört oder unbewohnbar gemacht. « Die Foto s, die unsere Mitarbeiter nach dem Abzug der russischen Armee nördlich von Kiew schickten, zeigten eine schreckliche Zerstörung », erzählt Martin Huber. Er überlegte: Sein Unternehmen in Iwaniw kann Holz bearbeiten und hat viele junge und motivierte Mitarbeiter. Sie hätten zwar noch nie ein Wohnmodul gebaut, aber dann müssten sie es eben lernen, und zwar schnell. Huber nahm Kontakt auf mit dem Wohnmodulhersteller Uffer in Savognin. Gemeinsam entwickelten sie einen Prototyp: Die 36 Quadratmeter grosse Wohneinheit für eine vier- bis fünfköpfige Familie verfügt über eine Nasszelle, eine einfache Küche, zwei Zimmer und alle nötigen Anschlüsse für Strom und Wasser. Der von der Schweiz in die Ukraine transportierte Prototyp bewährte sich, und die Produktion bei Divario in Iwaniw begann. In den ersten acht Monaten wurden 270 Kilometer nördlich des Firmenstandorts, in Iwankiw, bereits 35 Modulhäuser bezogen. Die lokalen Behörden bestimmen, wer eine Notunterkunft braucht, und bereiten die Stromund Wasserleitungen vor – meist kommen die Wohnmodule neben den zerstörten Häusern im Garten zu stehen. Die Selbstkosten von 40 000 Franken pro Haus bringt der Verein ‹ Ukraine Hilfe › auf, den Martin Huber gegründet hat und präsidiert. verein-ukraine-hilfe.ch

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36 m2 für eine vier- bis fünfköpfige Familie. Ein Fertighaus des Vereins ‹ Ukraine Hilfe › steht im Garten neben einem zerstörten Haus. Das Modulhaus wird bei Divario in Iwaniw zusammengebaut. Aufbau im ukrainischen Iwankiw. Bereits 35 Häuser konnten bezogen werden.

in Slowenien, der in erster Linie regionales Fichtenholz verarbeitet. Das relativ preiswerte Holz kommt bei Anwendungen zum Zug, bei denen das Holz des Fensterrahmens nicht sichtbar ist, sondern lackiert wird. « Jeweils Mitte Jahr bestellen wir, was wir in den nächsten zwölf Monaten benötigen », sagt Pascal Huber. Die Zusammenarbeit besteht seit 15 Jahren. Das s chafft Vertrauen – auch in s chwierigen Zeiten. Als es während der Pandemie zu Lieferengpässen kam, mussten zwar auch die Fensterbauer aus Herisau länger auf den Nachschub warten als üblich. « Do ch wir sind unserem Lieferanten treu geblieben. Umgekehrt hat uns die Firma so zuverlässig wie möglich versorgt. »

Gefragte Eiche

Spezialanfertigungen bringen es mit sich, dass für jedes Objekt andere Masse und Holzarten gefragt sind. « Unsere Partner sind bereit, auf Sonderwünsche und Kleinstmengen einzugehen », so Pascal Huber. Immer beliebter werden Holzfenster, die nicht deckend lackiert sind und ihre Maserung zeigen. Gibt die Optik den Ausschlag, orientieren sich Bauherrschaft oder Architektin daran, welche Holzart für die Fassade oder den Innenraum gewählt wurde. Das ist etwa Nussbaum, Douglasie oder Zeder. Doch weil Eichenparkett boomt, schlägt sich das auch in der Nachfrage nach naturbehandelten Fenstern nieder. Eiche und andere Harthölzer haben gegenüber Nadelholz noch weitere Vorteile: Die höhere Dichte bringt mehr Festigkeit und verbessert den Einbruch- und Brandschutz. In unseren Breitengraden ist Eiche jedoch rar, in der Schweiz stehen lediglich 1,7 Prozent Eichen in den Wäldern. Ganz anders in der Ukraine, wo drei von zehn Bäumen dieser Gattung angehören. In Iwaniw, 250 Kilometer südwestlich von Kiew und 40 Kilometer nördlich der Gebietshauptstadt Winnyzja gelegen, macht Eiche gar 70 Prozent des Waldbestands aus.

Seit den 1990er-Jahren hatte Martin Huber geschäftliche Beziehungen mit Moskau gepflegt, wo er eine Fensterfabrik mit einer Produktionsstrasse für Isolierglas betrieb siehe ‹ Haute Couture statt Standard ›, Seite 5. « Als der junge Mitarbeiter Sergij Medwedtschuk hörte, dass ich mich aus dem Geschäft in Russland zurückziehe, fragte er mich, ob wir nicht in der Ukraine – s einer Heimat – eine Produktion mit Eichen-Fensterkanteln aufbauen könnten. Und ich sagte: Ja, warum eigentlich nicht ? », erinnert sich Huber Das war vor bald 20 Jahren.

« 25 Prozent, bitte »

D er Umzug von Moskau nach Iwaniw im Jahr 2005 erinnert an die Gründergeschichten von Microsoft, Google und Apple: Auch die heutige Huber-Tochter Divario nahm ihren Anfang in einer Garage, in der Sergij Medwedtschuk von Hand Kanteln leimte. Die Nachfrage stieg, und als in der Nähe des Bahnhofs von Iwaniw ein Areal frei wurde, griff Huber zu. In einem nächsten Schritt kauften die ukrainischen Arbeiter die Bretter nicht mehr ein, sondern sägten und hobelten sie selbst. Das verbesserte die Qualität und erhöhte die Wertschöpfung. Doch bereits im zweiten Jahr am neuen Standort trat ein, was Martin Huber befürchtet hatte: « Der Verwalter des Areals teilte uns mit, dass er gerne einen Anteil von 25 Prozent an der Firma hätte. »

Huber bezahlte kein Schmiergeld, sondern liess den korrupten Bürokraten ins Leere laufen. Zusammen mit Medwedtschuk suchte er eine neue Bleibe. Schnell wurden sie fündig: ein altes Eisenbahnerlokal, gut ein Hektar gross, mit zwei dunklen Hallen und einem in die Jahre gekommenen Bürogebäude. Nach zwölf Jahren kam unvermittelt die Kündigung. Geschäftsführer Medwedtschuk

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Pawlo Medwedtschuk bearbeitet das Holz in Iwaniw. → Die Belegschaft hilft bei der Aufzucht. Forsttechnik lässt die Bäume gerade wachsen. Divario finanziert die Aufzucht von 25 000 Eichen jährlich. Es dauert 100 Jahre, bis eine Eiche ausgewachsen ist.

aber fand in Iwaniw ein freies Grundstück und beteiligte sich mit 20 Prozent an der neuen Gesellschaft. Huber und Medwedtschuk bauten ein Werk inklusive Sägerei, Trockenkammern und Fertigungskette für die Fensterkanteln. « In den vergangenen fünf Jahren hat die Korruption spürbar abgenommen », sagt Hub er. Als Beispiel führt er die Vermarktung von Rundholz aus dem öffentlichen Wald an: Während man das früher diskret mit dem zuständigen Förster per Handschlag regelte, laufe heute alles transparent über eine Onlineauktion ab.

Eichen für die Fenster der fernen Zukunft

Heute stammen alle Kanteln aus Eiche, Kiefer, Esche und Lärche, die Huber Fenster verarbeitet, aus Iwaniw. Die Firma ist Abnehmerin der Hälfte der Produktion, die andere Hälfte verkauft Divario an Dritte. Das Holz stammt nicht von irgendwoher, sondern wird seit Jahren in den Wäldern rund um Iwaniw geschlagen. Der Weg jedes Stamms zum jeweiligen Holzschlag ist rückverfolgbar, seit drei Jahren bietet Huber auch FSC-zertifizierte Halbfabrikate an. « Wer in Westeuropa Holzprodukte absetzen will, kommt an Zertifikaten nicht mehr vorbei », ist Martin Huber üb erzeugt.

In Iwaniw ist die Eiche die dominierende Baumart. Mit der richtigen Forsttechnik wachsen die Bäume hier besonders gerade und bilden erst weit oben in der Krone Äste –beste Voraussetzungen für hochwertige Kanteln. Damit der Rohstoff langfristig verfügbar bleibt, engagiert sich Divario auch für die Verjüngung der regionalen Wälder. Jedes Jahr finanziert das Unternehmen die Aufzucht von 25 00 0 Eichen und ergänzt damit die Arbeit des örtlichen Forstdiensts, der jeweils im Frühling und im Herbst nicht weniger als 200 00 0 Eicheln s etzt.

100 bis 120 Jahre dauert es, bis eine Eiche ausgewachsen und reif für die Holzproduktion ist. Entsprechend sorgfältig geht Divario mit dem wertvollen Rohstoff um. Was nicht zu Kanteln verarbeitet werden kann, wird zur Wärmegewinnung – und damit zur Trocknung des Holzes – genutzt oder zu Briketts gepresst. Das reduziert die Abhängigkeit von fossiler Energie. Die Schwarten und Teile der Resthölzer schenkt das Unternehmen der örtlichen Schule. Inzwischen hat sich Divario zu einem regelrechten Kraftwerk gemausert: Dank 3000 Quadratmeter Solarpaneelen auf dem Fabrikdach und der Eigenversorgung mit Betriebs-

wärme für die Holztrocknung produziert das Unternehmen im Jahresschnitt mehr Energie, als es verbraucht. Ähnliche Pläne gibt es für die Firmenzentrale in Herisau: Schnittabfälle und Photovoltaik sollen mittelfristig für CO2-Neutralität sorgen. Auch der Zulieferer in Slowenien nutzt die Holzabfälle zur Wärmeerzeugung, und auch sein Rohmaterial erfüllt ökologische Mindeststandards: Die Fabrik und damit ihre Halbfabrikate sind ebenfalls FSC-zertifiziert.

Sägen und hobeln um Mitternacht

Der in Iwaniw produzierte Strom wird ins Netz eingespeist und von dort bezogen – bei einem Blackout stehen die Maschinen still. In den vergangenen Monaten war das immer wieder der Fall, wenn aufgrund der Luftangriffe der russischen Armee die Stromversorgung nur stundenweise sichergestellt war. Die Belegschaft passte sich den Umständen notgedrungen an und arbeitete in ermüdenden Einsätzen von 8 bis 10 Uhr, von 14 bis 16 Uhr und von Mitternacht bis 4 Uhr früh. « Die Ukraine ist riesig, die Front liegt 600 Kilometer von Iwaniw entfernt », sagt Martin Huber. Dennoch sei der Krieg auch abgesehen von den Stromausfällen spürbar. In der Nähe von Iwaniw befand sich ein Munitionsdepot, das die Russen am ersten Kriegstag angriffen. Mehrere Armeeangehörige wurden getötet, auch aus dem Dorf. Das Militär ist überall präsent. Bisher wurde nur einer der 50 Mitarbeiter in den Kriegs dienst eingezogen. « Wir wissen nicht, wie es ihm geht. Wir haben seine Frau und die beiden Söhne besucht. Auch sie wissen nichts über sein Schicksal und hoffen, er sei bloss in Gefangenschaft und noch am Leben. » Der ältere Sohn arbeitet ebenfalls bei Divario, die Firma bezahlt den Lohn für den vermissten Vater weiter.

Mit seinem Unternehmen schafft Martin Huber in der Ukraine nicht nur Wertschöpfung, er hat auch ein humanitäres Projekt ins Leben gerufen siehe ‹ Fertighäuser made in Iwaniw ›, Seite 20: « Wir wollen Menschen, die ihr Zuhaus e verloren haben, eine Unterkunft geben. Wenn wir dabei auch noch Arbeitsplätze schaffen und den lokalen Rohstoff Holz nutzen können, ist das umso besser. » Der Verein ‹ Ukraine Hilfe › finanziert und errichtet Modulhäus er. Mit einer Grösse von 36 Quadratmetern sind sie bescheiden, doch die Schweizer Qualität soll es möglich machen, dass sie auch über das Kriegsende hinaus bewohnbar bleiben. ●

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« Unsere Partner sind bereit, auf Sonderwünsche und Kleinstmengen einzugehen. »
Pascal Huber

Rückseite: Sebastian Signer links und Mario Toma haben die Hebeschiebetür ‹ Mini › entwickelt und dafür den R ed Dot Design Award

C AD-Planerin Lea Bill hat gut lachen: Der von ihr entwickelte Webkonfigurator zeigt den Kunden, was möglich ist.

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erhalten.

An die Grenze des Machbaren

Gemeinsam mit Bauherrschaften und Architekturbüros entwickelt die Firma Huber Fenster aus Herisau individuelle Lösungen im Fensterbau. Dabei geht sie immer wieder an die Grenze des Machbaren. Dieses Heft zeigt, was es braucht, damit diese Entwicklungen möglich sind, wie die fünfte Generation das 140-jährige Familienunternehmen in die Zukunft führt und wie sich die Firma über die eigene Fabrik in der Ukraine hinaus im kriegsversehrten Land engagiert. www.huberfenster.ch

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