Stahl in der Hauptrolle

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Themenheft von Hochparterre, Januar 2017

Stahl in der Hauptrolle Stahl prägt die Architektur – offensichtlich oder im Hintergrund. Eine Auseinandersetzung mit einem starken Material.

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In dieser Anlage werden die Profilkanten im Pressschweissverfahren zusammengeführt. Dabei verdampft das Kühlwasser. Beim Abhobeln der Schweissnaht fallen dicke Späne.

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Editorial

Inhalt

4 Kathedrale des Verkehrs Eine dramatische Dachkonstruktion für den neuen Bahnhof Rotterdam ( NL ).

10 « Die grosse Herausforderung ist die Digitalisierung » Patric Fischli-Boson vom Stahlbau Zentrum Schweiz und der Unternehmer Urs Neuhauser über den Wandel im Stahlbau.

12 Hauptsache Hintertür Eine Glasfassade ersetzt die Backsteinwand in einem Wohnhaus in Den Haag ( NL ).

18 Über die Lust am Stahlbau Ingenieur Tivadar Puskas und Architekt Jürg Graser diskutieren den Stand des Stahlbaus in der Schweiz.

2 0 Panzer mit Himmelblick In Salzburg ( A ) ermöglicht die Sanierung des Dachs der alten Panzerhalle Durchbrüche und Lichtblicke.

28 Stahlbau in der Schweiz: Vier Beispiele Sanierung Industriegebäude in Zürich, Picasso Center in Basel, Werkhalle Glas Trösch in St. Gallen, Neubau Géopolis bei Lausanne.

Zwischen Handwerk und Technologie Stahlbau wird in der Schweiz nicht grossgeschrieben. Zu Unrecht, wie dieses Themenheft behauptet. Es schreibt dem Systembau und Systemlösungen in Stahl eine Hauptrolle zu und skizziert den Stand der Dinge bei Fenstern, Türen und Fassaden. Dafür geht der Blick ins nahe Ausland, wo das Material vielfältiger, häufiger und selbstverständlicher angewendet wird. Drei Reportagen aus den Niederlanden und Österreich zeigen, wie Architekten beim neuen Bahnhof Rotterdam, beim Umbau eines traditionellen Reihenhauses und bei der Umnutzung einer Werkhalle in ein Kreativzentrum die Potenziale des Materials ausloten. Sechs Kurztexte von Reto Westermann zu wiederkehrenden Themen ergänzen die Reportagen: Stahlbausysteme, digitales Bauen, Wirtschaftlichkeit, Ökostahl, hybride Strukturen und Wohnungsbau. Eine differenzierte Betrachtung liefern der Bauingenieur Tivadar Puskas und der Architekt Jürg Graser im Gespräch: Sie erinnern einerseits an die Könnerschaft der ‹ S olothurner Schule ›, durch deren Bauten die Schweizer Stahlbauarchitektur in der Nachkriegszeit ihren Höhepunkt fand. Andererseits skizzieren die Stahlbauspezialisten das Spannungsfeld zwischen Regulierungen und Materiallust, in dem der Stahlbau in der Schweiz heute steht. Patric Fischli-Boson vom Stahlbau Zentrum Schweiz und Urs Neuhauser, Mitglied der Geschäftsleitung der Jansen AG, weisen in einem zweiten Gespräch auf die Potenziale der digitalen Kette hin, aber auch auf die tiefgreifenden Veränderungen, die die Digitalisierung der Branche mit sich bringt. Das Heft schliesst mit vier Rezensionen von Stahlbauten und Systemlösungen aus der Schweiz. Die Beispiele zeigen eindrücklich die Stärken des Materials: Tragfähigkeit, Eleganz, Langlebigkeit, Formbarkeit und Rezyklierbarkeit.  Roderick Hönig

Umschlagbild vorne Sorgfältig gestapelte Stahlprofile warten in den weiten Hallen der Firma Jansen in Oberriet auf den Abtransport in die Metallbaubetriebe der Welt. Umschlagbild hinten Der Bandstahl wird in Form von tonnenschweren Coils angeliefert. Nach dem Abwickeln wird der Bandstahl in der Profilschweissanlage zum fertigen Profil geformt, verschweisst und in die gewünschte Länge gesägt.

Impressum Verlag Hochparterre AG  Adressen  Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon 044 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Verleger und Chefredaktor  Köbi Gantenbein  Verlagsleiterin  Susanne von Arx  Konzept und Redaktion  Roderick Hönig  Fotografie  Stephan Rappo, www.stephanrappo.net Art Direction  Antje Reineck  Layout  Juliane Wollensack  Produktion  Sue Lüthi  Korrektorat Marion Elmer, Lorena Nipkow   Lithografie  Team media, Gurtnellen  Druck  Somedia Production, Chur Herausgeber  Hochparterre in Zusammenarbeit mit Jansen AG Bestellen  shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—

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Kathedrale des Verkehrs Mit einem weit ausladenden Dach öffnet sich der neue Bahnhof Rotterdam zur Stadt. Eine schlichte Fassade aus Stahl und Glas macht die dramatische Geste erst möglich. Text: Nils Ballhausen Fotos: Jannes Linders

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Bauboom der Neunzigerjahre hat sich die Stadt Rotterdam in grossen Schritten weiterentwickelt, und das vor allem in die Vertikale. Das nähere Umfeld des Stationspleins ( B ahnhofplatz ) liegt im Schatten des spiegelverWie in kaum einer anderen europäischen Stadt wird in glasten Komplexes Delftse Poort ( 1991 ) und anderer BüRotter­dam das positivistische Versprechen der Nach- rohochhäuser internationaler Konzerne, die eine Skyline kriegsmoderne gepflegt. Die Tabula rasa, seit jeher das etablierten. Dass diese Entwicklung der spätmodernen bevorzugte Arbeitsfeld der Planer, hatte der deutsche Geste noch längst nicht abgeschlossen ist, zeigen die vor Luftangriff am 14. Mai 1940 hergestellt. Vom Kern der alten Kurzem fertiggestellten Grossbauten De Rotterdam ( 2013 ) Hafenstadt war nach dem Bombardement kaum etwas üb- und Timmerhuis ( 2015 ) aus Rem Koolhaas’ Office for Metrig geblieben. Nur das Rathaus, die Post, die Börse und die ropolitan Architecture an anderen Stellen in der Stadt. Laurentiuskirche blieben aus der Vorkriegszeit erhalten. Die Lösung ist ein neues Projekt Der Stadtgrundriss und die technische Infrastruktur Der Dimensionssprung, den der neue Hauptbahnhof wurden nach dem Krieg umfassend neu geordnet. Davor besass die Stadt vier dezentrale Bahnhöfe, von denen die vor diesem Hintergrund nachzuvollziehen hatte, betraf Züge in Richtung Den Haag / Amsterdam, Dordrecht, Ut- nicht zuletzt auch die Bildsprache seiner Architektur. Das recht und Scheveningen verkehrten, also plante man im alte Empfangsgebäude van Ravesteyns war ein sachliRahmen des Wiederaufbaus erstmals einen Hauptbahn- cher, recht spröder Betonriegel, dessen konkave Biegung hof. Der Architekt Sybold van Ravesteyn, der bereits diver- mit etwas Wohlwollen als eine Geste der offenen Arme se Bauten für die niederländische Staatsbahn errichtet aufgefasst werden durfte. Davor, auf dem Stationsplein, hatte, arbeitete schon 1941 an einem ersten Entwurf. Doch kreuzten sich immer mehr Strassenbahnen, Busse, Taxis, erst 1954 stand die Planung fest, 1957 wurde die Centraal Radfahrer und Fussgänger. Der mit den Jahren unüberStation eröffnet. Fünfzig Jahre später schloss man das Ge- sichtlich gewordene Wegknäuel und dazu noch die Bar­ bäude wieder, und im Jahr 2009 war es abgetragen. riere der mehrspurigen Schnellstrasse Weena verhinderMit 110 000 Passagieren täglich hatte der Bahnhof sei- ten einen entspannten Zugang ins Zentrum. Ebenso ging ne Kapazitätsgrenze erreicht. Der Anschluss Rotterdams die visuelle Verbindung vom Bahnhof zur Stadt verloren. an das europäische Hochgeschwindigkeits-Schienen­ Eine neue urbane Visitenkarte und bessere Übersicht, beinetz soll die Zahl der Reisenden im nächsten Jahrzehnt des konnte nur ein Neubau liefern. Den Wettbewerb für den neuen Hauptbahnhof geauf rund 320 000 ansteigen lassen. Aber nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch städtebaulich und archi- wann 2005 das Team CS, eine Arbeitsgemeinschaft der tektonisch hatte das Gebäude zur Jahrtausendwende den Amsterdamer Architekturbüros Benthem Crouwel und Anschluss an die Gegenwart längst verloren. Seit dem MVSA Meyer en Van Schooten zusammen mit den →

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Weit greift das dreissig Meter hohe Vordach des Bahnhofs Rotterdam über den Vorplatz. Es wird von zwei Betonfundamenten und der Stahl-Glas-Fassade getragen.

Die wettergeschützte Unterseite des Faltendachs ist holzverkleidet. Das verleiht der Empfangshalle eine schon fast wohnliche Atmosphäre. Themenheft von Hochparterre, Januar 2017 —  Stahl in der Hauptrolle — Kathedrale des Verkehrs

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Längsschnitt durch die von auffälligen Y-Stützen geprägte Bahnsteighalle: Der Zugang für Fussgänger ist unterirdisch, die Züge fahren auf der Eingangsebene.

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Längsschnitt durch die Empfangshalle mit ihrem auffälligen Faltendach: Darunter liegt der Provenierstunnel, die einzige öffentliche Verbindung zwischen der Nord- und der Südseite des Bahnhofs.

Grundriss Eingangsebene: Im Süden öffnet sich der Bahnhof auf die Esplanade Kruisplein und die daran anschliessende Kulturachse, im Norden auf das relativ ruhige Wohnquartier Provenierswijk.

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Das Faltendach markiert den Haupteingang, das gläserne ‹ Gewächshaus › deckt die Bahnsteighalle. 130 000 Solarpaneele sind zu einem dunklen, unregelmässigen Muster im Glasdach angeordnet.

Grundrissdetail Fassade: Am Hohlprofil, das auch Dachlasten trägt, ist die Sekundärkonstruktion von 80 Millimetern Breite und 160 Millimetern Tiefe aufgesetzt. Diese trägt die 700 Kilogramm schweren Scheiben.

→ Landschaftsarchitekten West 8. Mit der Bauherrschaft ist es ihnen gelungen, den Bau bei laufendem Betrieb und innerhalb des Kostenrahmens zu realisieren, was bei einem Projekt dieser Komplexität allein schon bemerkenswert ist. Die feierliche Einweihung fand 2014 in Anwesenheit des Königs statt. Grösstmöglicher Kontrast zum Vorgängerbau Eine bessere Übersichtlichkeit war auch im Inneren des Bahnhofs gefordert, auch um ein grösseres Gefühl von Sicherheit für die Nutzer zu erzeugen. Aus diesem Grund entschieden sich die Architekten für eine möglichst weite und zusammenhängende Dachform, die jedoch die übliche Zweiteilung in Empfangs- und Bahnsteighalle beibehält. Aus der flachen, modularen Gleisüberdachung entwickelt sich nach Süden die freie Form der Empfangshalle. Um den Anschluss der unterschiedlichen Verkehrsmittel an die Bahn neu zu ordnen, liessen die Architekten diese Empfangshalle weit über den Vorplatz ausgreifen. Statt einer Front bietet der Bahnhof nun drei Seiten an, über die er betreten werden kann. Im Westen schliesst das neue Busterminal an, im Osten die Tramhaltestelle ; nach Süden öffnet sich das dramatisch aufgeworfene Vordach zu der mit Bäumen gesäumten Esplanade Kruisplein und der daran anschliessenden Kulturachse der Stadt, die am Schouwburgplein vorbei bis zum Museumspark führt. Wer von dort kommend auf den Bahnhof zuläuft, sieht den bis zu dreissig Meter hohen ‹ Faltenwurf › schon von Weitem. Man erkennt: Grösse allein genügt in dieser aufgewühlten Stadtlandschaft schon lange nicht mehr, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, es bedarf auch einer unkonventionellen Gestalt wie des schräg nach oben verzogenen

Vordachs. Funktionale Gründe für die asymmetrische Geometrie dieser Form erschliessen sich zwar nicht jedem, ihren Zweck als grösstmöglicher Kontrast zum Vorgängerbau erfüllt sie aber mit Bravour. Die überdimensionale ‹ Frittentüte › ( patatzaak ) – dieser Spitzname wurde den Rotterdamern von der Lokalpresse kurz nach der Eröffnung in den Mund gelegt – gibt das Geheimnis ihrer Konstruktion nicht preis. Das stützenfreie Dach besteht aus Stahlfachwerkträgern, die allseits verkleidet sind, vergleichbar einer Flugzeugtragfläche. Es lagert auf der Platzseite im Wesentlichen auf zwei punktförmigen Hauptfundamenten, die auf den Betonwänden der Metrotunnel aufgesattelt sind. Die wettergeschützte Unterseite des Dachs erhielt eine Holzbeplankung, was dem Innenraum ein fast wohnliches Ambiente verschafft. Als Dachverkleidung dient eine dünne Haut aus zerknittertem Edelstahl. Primär- und Sekundärdachkonstruktion Im Gegensatz zu einer Origami-Figur, die nur durch die Faltung des Papiers stabilisiert wird, benötigt das ‹ gefaltete › Hallendach Unterstützung – denn enorme Windlasten wirken auf die Konstruktion. Verstärkung erhält sie durch die rund 3000 Quadratmeter grosse Glasfassade. Damit der Eindruck von Leichtigkeit erhalten bleibt, wurde sie so unauffällig und schlicht wie möglich konstruiert. Das Dach ist an einer umlaufenden Primärkonstruktion aus Stahlstützen fixiert. An diese angebun­den ist die Sekundärkonstruktion aus horizontalen Rie­geln ( 80 × 160 mm tiefe Stahlprofile ), die die Last der bis zu 700 Kilogramm schweren VSG-Scheiben aufnehmen. Vertikal sind die Scheiben nur aneinandergestossen und →

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Centraal Station Rotterdam, 2014 Stationsplein 1, Rotterdam ( NL ) Bauherrschaft: ProRail, NS Nederlandse Spoorwegen und Stadt Rotterdam Architektur:  Team CS, Amsterdam, ( Kooperation von Benthem Crouwel Architects, MVSA Meyer en Van Schooten Architecten und West 8 Urban Design &  Landscape Architecture ) Projektleitung:  Jan Benthem, Marcel Blom, Adriaan Geuze, Jeroen Van Schoote Auftragsart: Wettbewerb Tragwerksplanung:  Arcadis, Amersfoort ( NL ), und Stadt Rotterdam, Arge TBI Rotterdam CS, Apeldoorn ( NL ), und Iemants NV, Arendonk ( B ) Kosten:  EUR 600 Mio. Partner Stahlbausystem:  ODS, Barendrecht (NL) Profile:  Fassade / Sekundär­ konstruktion, horizontale Riegel: Jansen VISS Basic, Innenfassaden: Jansen VISS Fire

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Stahlbausysteme

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Digitales Bauen

Architekten lassen ihre Ideen und Entwürfe nicht gerne in vorgegebene Systeme pressen. Sie entwerfen lieber eigene Fas­ sa­den, Fenster oder Türen. Doch nicht immer ist das nötig, denn « Stahlbausysteme erfüllen heute fast jeden Gestaltungswunsch », sagt Philipp Rüttimann, Leiter Product Lifecycle Management bei Jansen. Wenn es trotzdem eine Spezialanfertigung braucht, lassen sich Stahlpro­file fast beliebig formen, biegen und beschichten. Eigenentwicklungen müssen allerdings oft erst aufwendig getestet und zertifiziert werden. Produkte aus den Systemkatalogen erfüllen bereits alle Normen – beispiels­weise bezüglich Brandschutz, Einbruchhemmung, Dichtheit, Fingerschutz oder Festigkeit.

Das computermodellbasierte Planen revolutioniert nicht nur die Planungsprozesse von Architekten und Fachplanern, sondern auch die Produktion von Bauteilen: Mit Daten direkt aus den Zeichnungsprogrammen können Maschinen Bauteile fertigen, ist die digitale Produktionskette erst einmal geschlossen. Auch Stahl­bauer und Stahlelementhersteller machen ihre Planungstools mit den heutigen Planungssystemen kompatibel. Viele Un­ter­nehmen bieten die Möglichkeit, die Daten ihrer Bauteile elektronisch zu beziehen und sie direkt ins BIM-Modell einzupassen. Und der Facility-Manager erfährt mit einem Klick im BIM-Modell, wie die Fenster, Türen und Fassaden gepflegt werden müssen und welche Bestellnummern Ersatzteile haben.

→ mit einer feinen Silikonfuge geschlossen. Das statisch wirksame Zusammenspiel von Primär- und Sekundär­ konstruktion unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von einer Standardkonstruktion. Doch trotz ihrer statischen Funktion wirkt die Stahl-Glas-Fassade so leicht wie eine ( vorgehängte ) ‹ curtain wall ›. Diesen Eindruck unterstützt nicht nur die Autonomie der Dachform, sondern auch die Orientierung der Reisenden auf ihrem Weg von und zu den Gleisen. Für die gläsernen Innenfassaden der Büro- und Geschäftsflächen kam im Erdgeschoss dasselbe System zum Einsatz, in den Obergeschossen, wegen der im Innenraum geltenden erhöhten Brandschutzanforderung EI60, jedoch ein anderes System mit einer entsprechenden Verglasung. Die Reduktion auf die wenigen sichtbaren Materialien Glas, Stahl und Holz bindet die in ihrem Charakter so unterschiedlichen Hallen zusammen. Die Bahnsteighalle wird von den eleganten stählernen Y-Stützen geprägt, auf denen eine Dachkonstruktion aus Brettschichtholzträgern ruht. Unter der lichten, gläsernen Dachhaut fühlt man sich an eines der niederländischen Riesengewächshäuser erinnert. Das unregelmässige Muster der Gläser, das in der Vogelperspektive erkennbar ist, entsteht durch 130 000 Solarzellen, die gut ein Drittel dieses 28 000 Quadratmeter grossen Dachs bedecken und eine Strommenge von 320 Megawatt pro Jahr erzeugen, was ungefähr dem Verbrauch von hundert Haushalten entspricht. Dem metropolitanen Stadteingang im Süden steht auf der Nordseite das relativ ruhige Wohnquartier Provenierswijk gegenüber, das in seiner Bausubstanz überwiegend dem 19. Jahrhundert entstammt. Der neue Hauptbahnhof sollte als Bindeglied dieser unterschiedlichen

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Stadträume dienen. Die Nordfassade wirkt, als sei das lichte ‹ Gewächshausdach › der Bahnsteighalle einfach in die Vertikale überführt worden. Nüchterner stellt sich das Gebäude von dieser Seite dar, auch weil der Publikumsverkehr hier weitaus geringer ist. Stadtverbindung versus Sicherheitszone Wer aber vorhat, durch die Bahnhofspassage vom einen in den anderen Stadtteil zu promenieren, oder wer jemanden zum Zug begleiten möchte, muss im Besitz eines gültigen Tickets sein ( Mindestpreis: 3.60 Euro ). Vollautomatische Scannerpforten unterbinden auf beiden Seiten den Zugang für Menschen ohne Reiseabsicht. Rotterdam Centraal ist der erste Grossstadtbahnhof in den Niederlanden, in dem diese Form der Kontrollautomatik angewendet wird. So nachvollziehbar diese Entscheidung aus Sicht der Bahn ( und der Bahnpolizei ) sein mag, so kontraproduktiv ist sie für die verbindende Aufgabe der Architektur. So wird der Bahnhof zum Sicherheitsbereich, ähnlich einer Abflughalle. Die kostenlose Querung ist nur noch durch den schlauchartigen Provenierstunnel möglich – ein eher beklemmendes Erlebnis. Vielleicht sind Bahnhöfe als öffentliche Räume, als Orte des absichtslosen Aufenthalts Bilder der Vergangenheit ? In Rotterdam fällt auf, dass der reibungslose Transport der Reisenden im Fokus steht, nicht etwa die Optimierung für noch mehr Einzelhandels-, Gastronomie- und Eventflächen. Die blaue Leuchtschrift des alten Bahnhofs, die als Relikt unter dem Vordach in die Glasfassade des Neubaus transplantiert wurde, erinnert auch heute wieder an den Neubeginn. Sie scheint mit ihrer modernen Typo­ grafie nur auf diesen Bau gewartet zu haben.

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Das Nordportal ist klar die Rückseite des neuen Bahnhofs. Das Faltendach der Bahnsteighalle geht hier in die Vertikale über.

Grund für den Neubau war ein gewaltiger Kapazitätsausbau: Rotterdam rechnet mit bis zu 323 000 Besuchern pro Tag, die in zehn Jahren die Perronhalle benutzen werden. Themenheft von Hochparterre, Januar 2017 —  Stahl in der Hauptrolle — Kathedrale des Verkehrs

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Patric Fischli-Boson ( 37 ) Der Bauingenieur ist Mitglied der Geschäftsleitung des Stahlbau Zentrums Schweiz ( SZS ), des Kompetenzforums für den Stahlbau.

Urs Neuhauser (42) Der Ökonom ist Mitglied der Geschäfts­ leitung von Jansen. Nach der HSG (Universität St. Gallen) ­absolvierte er in Madrid einen Master in Marketing.

« Die grosse Herausforderung ist die Digitalisierung » Der Stahlbau steckt im Wandel. Der Unternehmer Urs Neuhauser und der Verbandsvertreter Patric Fischli-Boson sprechen darüber, wohin die Reise in der Schweiz geht. Interview: Roderick Hönig Fotos: Stephan Rappo

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Die Digitalisierung krempelt die Industrien um: Wandelt sich auch der Stahlbau in eine Technologiebranche ? Urs Neuhauser: Wir befinden uns tatsächlich mitten in einem grossen Veränderungsprozess. Die Industrie, besonders die Fertigung, steht in der Schweiz unter Druck. Die Zukunft ist klar Forschung und Entwicklung. Unser neues Technologiezentrum, das wir derzeit auf dem Areal bauen, ist ein Beispiel für unsere Investition in diesen Bereich. Zeigt sich die Technologisierung vor allem in neuen Produkten oder neuen Prozessen ? Urs Neuhauser:  Wir entwickeln vor allem neue Produkte. Im Bereich der Metallbausysteme geht es etwa um höhere Isolationswerte, bessere Brandschutz- und Sicherheitslösungen. Explosionshemmende Bauteile sind auch immer mehr gefragt. Viel Potenzial sehen wir auch in der Gestaltung unserer Produkte. Hier geht es um Transparenz, Eleganz und Filigranität. Welche Rolle spielt der Stahlbau für den Werkplatz Schweiz ?

Patric Fischli-Boson:  In der Schweiz gibt es fast keine Unternehmungen mehr, die Stahlträger herstellen. Stahlträger werden vom nahen Ausland importiert. Bei den Schweizer Stahlbauunternehmungen, die aus den Rohprodukten fertige Hallen, Gebäude und Brücken machen, hat sich der Druck verschärft. Die hohen Lohnkosten ­hierzulande verschlechtern die Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland. Ein Schweissfachmann in Norditalien zum Beispiel verdient rund 2500 Euro pro Monat und in der Schweiz mehr als das Doppelte. Bei einer Bearbeitungsdauer von dreissig Stunden pro Tonne Stahl mit traditionellen Bearbeitungsprozessen sind wir nicht konkurrenzfähig. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Chance für die Schweiz in der Industrialisierung liegt: Der Einsatz etwa von Portal­ robotern verkürzt die Verarbeitungszeit auf die Hälfte. Urs Neuhauser: In der Schweiz sind die Voraussetzungen für einen Strukturwandel gar nicht so schlecht. Auch Industrie braucht Know-how, etwa für die Fertigung, denn Stahlrohr ist nicht gleich Stahlrohr: Für die Automobil­ industrie braucht es ein komplett anderes Produkt als für die Bauindustrie. Jansen beliefert beide Branchen, für die jeweilige Produktion braucht es viel und unterschiedliches Wissen.

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Welches sind die grössten Hürden auf dem neuen Weg ? Patric Fischli-Boson: Im Stahlbau geht es immer weniger ums Material, sondern viel mehr um Prozesse. Die grosse Herausforderung besteht in der Digitalisierung, also im Wandel vom klassischen Industriebetrieb zur ‹ smart factory ›. Sie wird tief in die herkömmlichen Arbeitsprozesse eingreifen. Da bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Die Digitalisierung hat Auswirkungen, sowohl auf die Werkstatt als auch auf die Büros. Kann die digitale Kette in der Bauwirtschaft überhaupt so überzeugend geschlossen werden wie etwa in der Automobilindustrie ? Patric Fischli-Boson:  Auf jeden Fall. Zurzeit bauen wir immer noch wie vor fünfzig Jahren. Vorfertigungsprozesse werden zunehmen. Stahl- und Metallbau sind prädestiniert für Vorfertigung, dies geschieht ja bereits grösstenteils, ähnlich wie im Holz- und im vorfabrizierten Betonbau. Urs Neuhauser: Die Industrialisierung ist der Schlüssel zum günstigeren Bauen und damit auch Wohnen, ein wichtiges Thema unserer Zeit. Nur ein paar Beispiele: In Holland kommen Nasszellen bereits montagefertig auf die Baustelle und werden nur noch eingesetzt. Und die beeindruckend kurzen Bauzeiten chinesischer Hochhäuser sind ein Resultat hoher Vorfertigung. Bauzeiten, und damit Kosten, nehmen massiv ab, Prozesssicherheit und Qualität hingegen enorm zu. Stahl kann bei diesem Wandel eine wichtige Rolle spielen, denn Stahlelemente lassen sich in hoher Präzision vorfertigen und gut transportieren. Was bedeutet der Strukturwandel für den Arbeitnehmer ? Urs Neuhauser: Er wird die Berufsbilder verändern. Die Anforderungen an Arbeitnehmer werden in der Schweiz steigen. Die neuen Prozesse brauchen viel menschliche Intelligenz und Fachkompetenz. Wie werden Arbeitsgänge am besten verkettet, wie Technologien am besten auf der Baustelle eingesetzt ? Das sind die Fragen, auf die zukünftige Stahl- und Metallbauer Antworten finden müssen. Für unser Technologiezentrum, das wir derzeit bauen, brauchen wir genau solche Experten. Sie müssen vom Material und seiner Bearbeitung, aber auch von digitalen Prozessen und der Steuerung der neuen Maschinen tiefe Kenntnisse haben. Was ist die Kehrseite ? Urs Neuhauser: Arbeitsplätze kommen unter Druck. Für einen fünfzigjährigen Metallbauer wird der Übertritt in die digitale Arbeitswelt ein grosser Schritt werden. Wenn wir allerdings unsere Arbeitsplatzstatistik am Standort anschauen, zeigt sich ein nicht ganz so düsteres Bild: Heute arbeiten trotz Industrialisierung und Digitalisierung

Welche Vorteile hat die Digitalisierung der Produktionsprozesse für Architekten oder allgemein für den Entwurf ? Urs Neuhauser: Der Vorteil liegt ganz klar in der Gestaltungsfreiheit, die der Planer gewinnt – und das bei gleichbleibenden Kosten. Die Fertigungskette etwa von Fassa­ denelementen, Fenstern oder Türen lässt sich mit der Digitalisierung sehr individuell gestalten. Der Architekt wird etwa Fassaden frei und dreidimensional gestalten können, der Computer wird die Art und Weise der Kon­ struktion automatisch berechnen und über die digitale Maschinensteuerung in die Fertigung einbringen. Der grosse Konkurrent des Stahlbaus in der Schweiz ist der Holzbau. Kann Stahl wirtschaftlich mit Holz mithalten ? Patric Fischli-Boson:  Stahlbau hat in der Schweiz das Image, teuer zu sein, weil er oft für aufwendige und teure Villen benutzt wird. Dabei kann er preislich ohne Probleme mit dem Holzbau mithalten. Auch ist das Material viel ökolo-

« Im Stahlbau geht es weniger ums Material, sondern viel mehr um Prozesse. »  Patric Fischli-Boson

gischer, als man denkt. Aller Stahl, der in der Schweiz verbaut wird, wird zu hundert Prozent rezykliert. Das Stahlbauzentrum hat die Umweltbelastungspunkte von Holz und Stahl verglichen: Ab fünf Metern Spannweite ist ein Stahlträger sogar ökologischer als ein Brettschichtträger. Im Ausland wird Stahl im Hochbau häufiger angewendet als in der Schweiz. Wie erklären Sie das ? Patric Fischli-Boson:  Dass in der Schweiz so wenig mit Stahl gebaut wird, ist eine Frage der Kultur und der Ausbildung: Bauen mit Stahl wird weder in den Architektur- noch in den Ingenieurschulen grossgeschrieben. In Frankreich, Spanien oder Holland wird Stahl auch bei günstigen Bauten eingesetzt, zum Teil auch in Kombination mit anderen Materialien. In Mulhouse haben die Architekten Lacaton & Vassal sogar einen sozialen Wohnungsbau in Stahl realisiert. Leichte Stahlkonstruktionen könnten auch bei der Verdichtung im Bestand eine viel grössere Rolle spielen, etwa bei Aufstockungen oder bei Hochhäusern. Wie steht es um die Energiebilanz des Stahls ? Urs Neuhauser:  Nicht Abriss und Recycling sind die Zukunft, sondern das direkte Wiederverwenden der Elemente. Und das ist bei Stahl besser möglich als bei anderen Baumaterialien. In Finnland haben wir bei einer Renovation eiUrs Neuhauser ner fünfzigjährigen Stahlfassade die ganze Trägerstruktur stehen lassen und nur die Aufdopplungen, also Dichtungen und Glas, ersetzt. Eine viel bessere Bilanz der grauen Energie bekommt man mit einem anderen Material nicht 750 Personen am Standort Oberriet, das sind deutlich hin. Heute erreicht das Gebäude Passivhaus-Standard. mehr Menschen, als vor bald hundert Jahren in unseren In Holland finden immer mehr gebrauchte StahlfensHallen arbeiteten, als noch fast alles von Hand gefertigt ter oder -türen in anderen Gebäuden ein zweites Leben. wurde. Der grössere Teil ist aber nicht mehr an den schwe- Grundsätzlich ist ‹ Cradle to Cradle › für uns als Profilherren Maschinen tätig, sondern in den Ingenieurbüros, in steller zwar nicht besonders interessant, es wertet aber der Entwicklung, im Vertrieb oder in der Vermarktung. die Bausysteme auf, die wir anbieten.

« In der Schweiz sind die Voraussetzungen für einen Strukturwandel gar nicht so schlecht. »

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Hauptsache Hintertür Eine kühne Glasfassade ersetzt die Rückseite eines alten Backsteinhauses in Den Haag. Eine sechs Meter hohe Glastüre lässt Licht, Luft und Garten ins Wohnhaus. Text: Julia Hemmerling Fotos: Léon van Woerkom

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nen, alten Bäumen. Weil der Bezug nach aussen fehlte und auch das Holzwerk der zurückspringenden Terrasse im ersten Obergeschoss marode war, entschied sich der Architekt für einen radikalen Eingriff: Er öffnete das ErdBeim Streifzug durch Den Haag, aber auch durch ande- und das erste Obergeschoss zu einem loftartigen Raum, re Städte, Dörfer und Landschaften in den Niederlanden der in der Auflösung der Rückfassade gipfelt. fällt ein Material besonders auf: der rote Backstein. Mal tragend, mal verkleidend, in der Stadt oft in dreigliedriStahlbau als Rückfassade ge Fassaden unterteilt oder nach hinten terrassiert – der Der fast vollständige Ersatz der Rückfassade durch Backstein prägt unsere Vorstellung von traditioneller nie- eine leichte Stahl-Glas-Konstruktion bringt üppig Tagesderländischer Architektur. licht ins Innere und viel Aussicht in den Garten. « Ein GeSo ein typisches Backsteinhaus ist das terrassierte fühl, als lebe man im Park », so Schleurholts. Der RückHerenhuis in Den Haag. Es wurde 1924 als Teil einer Rei- sprung des oberen Geschosses wird Teil des Wohnraums. henhaussiedlung erbaut, seine Strassenfassade ist heu- Der Abstand zur neuen Glasfassade schafft zugleich eine te denkmalpflegerisch geschützt. Der Architekt Ronald Verbindung in der Vertikalen. Die Glasfassade ist aber nur Schleurholts hat das 190 Quadratmeter grosse Haus 2013 zur Hälfte festverglast, die andere Hälfte besteht aus eigekauft und umgebaut. Das Haus war bereits nicht mehr ner zweigeschossigen Tür, die sich vom Erdgeschoss aus im Originalzustand, im Inneren wurde es in den Sieb- bedienen lässt. Bei gutem Wetter öffnet Schleurholts mit zigerjahren umgebaut, die Mittelwand war demontiert. einem Griff beide Etagen, bringt Luft und Licht in den Schleurholts fand trotzdem, dass die Qualitäten des Hau- Wohn- und den darüberliegenden Arbeitsraum. ses kaum ausgespielt würden. Denn nach Südwesten oriFür die Aussenwand griff der Architekt, der das Proentiert profitiert die Hinterseite von viel Sonnenschein ; jekt im Rahmen seiner Anstellung bei Cepezed Architekausserdem staffeln sich am schmalen Ende der langen ten realisierte, auf ein vollisoliertes Fassadensystem zuParzelle einzelne Gärten zu einem dichten Park mit schö- rück. Gemeinsam mit dem Unternehmer e ­ ntwickelte →

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In einem Wohnquartier in Den Haag hat der Architekt die rückwärtige Backsteinwand durch eine Glasfassade mit zweigeschossiger Wendetüre ersetzt.

Mehr Licht, mehr Luft und mehr Garten ins Wohnzimmer: Ist die über sechs Meter hohe Glastüre geöffnet, werden die Grenzen zwischen innen und aussen fliessend. Themenheft von Hochparterre, Januar 2017 —  Stahl in der Hauptrolle — Hauptsache Hintertür

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Wohnungsbau

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Wirtschaftlichkeit

« Hinter der Wohnungstüre sind unsere Produkte in der Schweiz leider oft nicht gefragt », sagt Philipp Rüttimann, Leiter Product Lifecycle Management bei Jansen. Stahltüren oder Stahlfenster beispielsweise kommen vorwiegend im Eingangsbereich zum Einsatz. Hier sind die Dauerhaftigkeit und die Sicherheitseigenschaften des Materials gefragt. Stahl im Wohnungsbau ist eine Frage der landesspezifischen Baukultur, so Rüttimann. In England beispielsweise kaufen Wohnungs- sowie Hausbesitzer gerne robuste Ganzmetallfenster. In Holland werden filigrane Stahlprofile in Kom­­­bina­tion mit Glas erfolgreich als raum­tren­nende Elemente in Wohnungen verwendet. Damit lässt sich beispielsweise die Küche oder die Garderobe vom Wohn- und Esszimmer trennen, ohne dass der Sichtbezug verloren geht.

Türen, Fenster oder Fassadenbauteile aus Stahlprofilen sind in der Beschaffung teurer als Konkurrenzprodukte aus Aluminium. Mit ein Grund dafür ist die tradi­ tionell geprägte Produktionskette. Während etwa ein Alumi­nium­rahmen für eine Glastüre komplett montiert und lackiert ab Werk geliefert wird, ist der Ablauf beim Stahlbau komplizierter und mit mehr Handarbeit verbunden: Der Metallbauer schweisst den Rahmen in seiner Werkstatt aus den angelieferten Profilen zusammen und lässt ihn danach in einem Spritzwerk beschichten. Stahlprodukte haben zwar höhere Einstands­p reise, sind dafür aber langlebiger: Die preiswert eingekaufte Türe muss oft früher ersetzt und häufiger repariert werden als das Pendant aus Stahl.

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Die Fläche, die die fast zwei Meter breite Türe zum Öffnen braucht, definiert die Tiefe des Rücksprungs im oberen Geschoss, wo das Heimbüro liegt.

→ er die Details der monumentalen Wendetür. Sie ist 6,4 Meter hoch, 1,8 Meter breit und wiegt 600 Kilogramm. Ihr Drehpunkt ist exzentrisch angebracht, um eine möglichst grosse Öffnungsbreite zu erreichen. Steht die Tür offen, ragen etwa ein Drittel in den Garten und zwei Drittel in das Haus hinein. So ist der grössere Teil vor den hohen Windlasten der Küstenregion geschützt. Die Fläche, die die Türe zum Öffnen braucht, definiert die Tiefe des Rücksprungs im oberen Geschoss. Als Schutz vor Überhitzung und Blendung wurde die Fassade mit Sonnenschutzglas und innenliegenden Storen ausgestattet. Sie nutzen die Profiltiefe des Rahmens im Inneren. Ein grosses Dachfenster entlässt kaminartig die aufsteigende warme Luft. Bei schlechtem Wetter nutzt der Bauherr eine zweite, eingeschossige Tür am Rand, die zusammen mit dem transluzenten Glas des darüberliegenden Badezimmers einen schmalen seitlichen Streifen in der haushohen Glasfassade bildet. Die Glasfassade basiert zwar auf einem bestehenden Fassadensystem, trotzdem brauchte es in Den Haag einiges an Unternehmerwissen und -erfahrung für die Umsetzung: Das Drehlager, das das gewaltige Gewicht der Türe aufnimmt, musste speziell entwickelt werden, und darum mussten auch neue Dichtungen eingesetzt werden.

Detailschnitt Glasfassade: Die 1,8 Meter breite und 6,4 Meter hohe Wendetüre öffnet nach innen. Der Sonnenschutz ist in die Rahmentiefe eingelassen.

Um das Erdgeschoss noch offener zu machen, hat Schleurholts eine bestehende Längswand durch einen auf drei schlanken Rundstützen und einem Rest Mauerstück aufliegenden IPE-Träger ersetzt. Um einen wilden Materialmix zu vermeiden, haben die Arbeiter an den Stahlträgern von unten eine seitlich leicht auskragende Stahlplatte befestigt. Sie dient als Auflager für die Gipskartonplatten, die über den Backstein bis unter die Decke montiert und verputzt wurden. Stahlbau nimmt sich zurück – Fokus auf dem Alten Alle Stahlteile im Innenraum sind weiss beschichtet – selbst die Türprofile. So tritt das Neue in den Hintergrund, und das Augenmerk bleibt auf dem Alten, etwa der Stuckdecke und den kassettierten Türen. Unterstützt wird dieser Eindruck durch einen hellgrauen Kunststoff-Industrieboden, der auf den Unterlagsboden mit Bodenheizung gegossen wurde – über den bestehenden Holzbalkenboden. Um eine Kältebrücke zwischen der Fassade und dem Innenraum zu vermeiden, musste ein zusätzlicher Konvektor zwischen Fassade und Boden angebracht werden. Etwas kühler wird es dann trotz hochisolierendem Fenster im Winter schon – aber das gehöre bei einer kompletten Stahl-Glas-Fassade dazu, so Schleurholts. →

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Umbau Wohnhaus, 2013 Den Haag ( NL ) Bauherrschaft:  Ronald Schleurholts, Den Haag Architektur:  Cepezed, Delft ( NL ) Auftragsart: Direktauftrag Ingenieure:  IMd, Rotterdam Bauunternehmung:  Bouwlinq, Den Haag Partner Stahlbau­system:  ODS, Barendrecht ( NL ) Haustechnik:  Mobius Consult, Delft Fassade:  J. M. van Delft & Zn, Drunen ( NL ) Fassadensystem:  Jansen VISS

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Vor dem Umbau: Wo heute das Heimbüro liegt, war früher eine Terrasse.

→ Einfache Montage am Bau In den Niederlanden scheint die Antwort auf die starren Backstein- und Betonbauten der Vergangenheit eine flexible Stahlarchitektur der Gegenwart zu sein. Nicht nur im Zentrum von Den Haag türmen sich gläserne Hochhäuser hinter den traditionellen Backsteinhäusern auf. « Stahl ist ein effizientes Baumaterial, es reduziert den Materialverbrauch auf ein Minimum », so Schleurholts, « Stahl ist eines der Hauptmaterialien von Cepezed. » Das Material sei präzise, elegant und leicht. Es könne mit weniger Toleranz und somit ökonomischer geplant werden. Die Bauten von Cepezed zeigen, dass Stahl sich für Neubauten wie auch Umbauten eignet. Die Stahlbauten des Architekturbüros sind als Summe von Systemen entwickelt, die auf die verschiedenen Bauaufgaben adaptierbar sind. Dabei verwenden die Architekten oft simple Stahlkonstruktionen aus vorfabrizierten Standardträgern, deren Aufbau vor Ort in kürzester Zeit erfolgen kann. Ronald Schleurholts definiert es wie folgt: « Wir haben eine wesentliche Regel für unsere Entwürfe: kein Schweissen auf der Baustelle, kein Betongiessen, keine nassen Materialien, sondern nur Montage. » Einfache Mittel aus der Industrie finden dabei auch Anwendung im Wohnungsbau. Immer wieder braucht es dafür Spezialan-

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fertigungen und konstruktive Erfindungen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den Unternehmern essenziell. « Entscheidend dabei ist, spezialisierte Unternehmer zu haben, wenn man nach speziellen Lösungen sucht », so Schleurholts. Neue Lösungen würden aus dem Zusammenspiel der Erfahrung des Ingenieurs und der Ideen des Architekten resultieren, so der Holländer. Als Mittel der Kommunikation dient immer mehr Building Information Modeling ( BIM ): « Alles, was im Entwurfsprozess schon angedacht wird, verbessert die Qualität des Gebauten », beschreibt Schleurholts den Nutzen von BIM. Das digitale Modell könne oft direkt an den Unternehmer weitergeleitet und zur Herstellung der Elemente genutzt werden. Auch wenn Stahl ein beliebtes Material in der aktuellen niederländischen Architektur zu sein scheint, ist es Schleurholts zufolge in den Niederlanden nicht leichter als anderswo, Stahlbauten umzusetzen. Einen Grund dafür sieht Schleurholts in der schlechten Position des niederländischen Architekten während der Ausschreibungs- und Ausführungsphase: « Projekte werden in den Niederlanden oft mit Totalunternehmern durchgeführt. Und deren Position ist stark. Wenn sie Stahlelemente auch aus Aluminium fertigen können, so können sie das auch ohne das Einverständnis des Architekten tun. »

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Die verglaste Gartenfassade macht das Haus schon fast zum Puppenhaus: unten Wohnraum und Küche, oben Büro, darüber zurückversetzt Schlafräume und Balkon.

Die weiss gestrichene Stahlkonstruktion und ein makelloser Gussboden lassen den historischen Elementen des Hauses den Vortritt. Themenheft von Hochparterre, Januar 2017 —  Stahl in der Hauptrolle — Hauptsache Hintertür

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Tivadar Puskas ( 56 ) Der Bauingenieur ist Mitgründer von Schnetzer Puskas Ingenieure mit Büros in Basel, Zürich und Bern. Das Büro be­ schäftigt rund 75 Mitarbeiter und arbei­tet unter anderem mit Architektur­büros wie Herzog & de Meuron, Diener & Diener, Christ & Gantenbein, BIG Bjarke Ingels Group, Morger & Partner zusammen.

Jürg Graser ( 51 ) Der Architekt studierte an der EPF Lausanne und ETH Zürich. 2001 promovierte er an der ETH Zürich über die Schule von Solothurn. Graser führt ein Architek­ turbüro in Zürich, forscht und publiziert zum Spannungsfeld serieller Gestaltung und industrieller Herstellung. Graser lehrt an der ZHAW in Winterthur.

Über die Lust am Stahlbau Warum hat der Stahlbau in der Schweizer Architektur einen schweren Stand ? Der Ingenieur Tivadar Puskas und der Architekt Jürg Graser diskutieren die Vor- und Nachteile. Text: Roderick Hönig Fotos: Anne Morgenstern

Mit Stahl wird in der Schweiz vor allem im Gewerbe- und Industriebau gebaut. Wieso nicht im Wohnungsbau ? Tivadar Puskas: Es wird schon Stahl im Wohnungsbau verbaut, aber vor allem im privaten und im Bereich der oberen Preisklasse. Dass Wohnungen nicht im grossen Massstab in Stahl gebaut werden, hat vor allem mit unserem Klima und unseren Regulierungen zu tun: Wir müssen in der Schweiz immer dickere Hüllen um unsere Häuser bauen. Sie sind von der inneren, tragenden Schicht zu entkoppeln. Würde man sie aus Stahl bauen, bräuchte es quasi zwei Tragkonstruktionen: eine innere und eine äussere. Das ist aufwendig und kostet mehr. Stahlbau verliert an Sinnhaftigkeit, wenn man die Tragstruktur verblenden und dann in einer zweiten, darüberliegenden Schicht noch einmal zeigen muss. Jürg Graser:  Die Regulierungen bezüglich Brandschutz und Haustechnik sowie die energetische Normierung haben in der Schweiz in den letzten Jahren zugenommen. Architek-

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ten müssen heute anders bauen, als das etwa die Protagonisten der Schule von Solothurn noch konnten, die für ihre Stahlbauten bekannt wurde. Bauen in Stahl und ihn auch nach aussen zeigen, ist heute kaum mehr möglich. Mich aber interessiert Stahlbau nur, wenn ich ihn auch strukturell verwenden und zeigen kann. Wo ist Stahlbau heute sinnvoll und möglich ? Tivadar Puskas:  Bei einem Stadion, bei einem Industriebau, bei Leichtbauten. Die Palette ist begrenzt. Ausweichen kann man dem Problem, indem man Stahl mit anderen Materialien kombiniert, etwa mit Holz oder Beton. Die Regulierungen und Normierungen sprechen dagegen, was spricht für den Stahlbau ? Jürg Graser:  Sein Ruf und seine Eleganz. Stahl steht immer noch für modernes Bauen und für Fortschrittsglauben. Und mit keinem anderen Material kann ich eine so schlanke und elegante Tragstruktur gestalten. Ich behaupte sogar, dass man in Stahl nicht bieder bauen kann. Viele der prägenden Bauten der Schule von Solothurn sind Stahlbauten. Einer der Protagonisten, Fritz Haller, hat auch ein Stahlbausystem entworfen. Wieso hat es sich nicht durchgesetzt ?

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Jürg Graser:  Es liegt nicht an Fritz Hallers System, sondern daran, dass heute niemand mehr Bausysteme will. Der Architekt und die Architektin wollen sie nicht, weil sie lieber selbst entwerfen, statt ihre Ideen innerhalb eines bestehenden Systems umzusetzen. Sie versuchen lieber, mit jeder Aufgabe, mit jedem Entwurf neue objektspezifische Qualitäten herauszuschälen. Es gibt aber auch eine ökonomische Komponente: Hallers System war nicht günstiger als Massivbau, wie er behauptete. Tivadar Puskas: Im kleinen Massstab hat sich Hallers System schon durchgesetzt: Das USM-Haller-Möbelsystem ist immer noch ein weltweiter Erfolg. Bei Gebäuden ist es allerdings anders: Auch Bauherren wollen keine standardisierten, sondern individualisierte Bauten. Trotzdem finde ich, wir könnten mehr in Systemen denken und bauen. Halten Sie es für sinnvoll, für jede Bauaufgabe eine individuelle Lösung zu finden ? Jürg Graser: Nein. Denn die Individualisierung, oder was heute darunter verstanden wird, führt nicht unbedingt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der Automobilbau etwa,

keine Kostenfrage mehr: Für eine Fräse spielt es keine Rolle, in wie vielen Ebenen sie fräst, sondern nur, wie lange. Hier sehe ich grosses Potenzial. Wie wird entschieden, ob ein Gebäude aus Stahl oder einem anderen Material gebaut wird ? Tivadar Puskas: In der Regel entscheiden der Architekt und der Bauherr die Materialisierung. Der Ingenieur steht beratend zur Seite in Fragen der technischen Machbarkeit, der Wirtschaftlichkeit und auch des Kontextes: Steht das Gebäude eher in einem Umfeld mit einer langen Stahlbautradition ? Kommt das Bauwerk in einem städtischen oder ländlichen Umfeld zu stehen ? Was spricht an diesem Ort für oder gegen das Material Stahl ? Es sind alles Fragen, die wir gemeinsam mit dem Architekten und Bauherrn ausloten. Natürlich kommen auch Nutzungen und Spannweiten und die Affinität zum Material zur Sprache. Jürg Graser: Ob in Stahl gebaut wird, hat auch mit dem Konstruktionswissen und der Lust der Architekten zu tun, etwas Mehraufwand zu betreiben. Die Umrisslinie einer Betonstütze zu zeichnen, ist viel weniger Aufwand, als ein Stahldetail zu konstruieren. Es ist allerdings nicht so, dass Architekten nicht wissen, wie man in Stahl baut, aber es fehlt ihnen oft die Erfahrung. Die wenigsten entwickeln heute noch die konstruktive Meisterschaft etwa eines Max Schlup. Wenn ich allerdings in Architekturwettbewerben das Potenzial des Stahlbaus ausreize, haben unsere Projekte in der Regel keine Chance bei der Jury. Tivadar Puskas: Das stimmt in der Tendenz, aber nicht nur. Wir haben derzeit etwa zwei Schulen in Arbeit, beides Wettbewerbserfolge. Beide Häuser haben grosse ShedJürg Graser dächer aus Stahl. Es sind aber keine reinen Stahlbauten, sondern Hybride. Was braucht es neben dem Konstruktionswissen auf der Planerseite ? wo die Individualisierung zum Beispiel bei der Innenaus- Tivadar Puskas: Es braucht das konstruktive Verständnis stattung weit fortgeschritten ist, zeigt ein anderes Bild: Im des Architekten, aber auch der Ingenieur muss ein Gefühl Vergleich zu früher gleichen sich die Autos immer mehr. für Ästhetik entwickeln. Denn auch bei den Ingenieuren Diese Tendenz beobachte ich auch in der Architektur: Die ist der Aufwand grösser: Einen Knoten in Beton zu giessen Häuser werden sich immer ähnlicher. oder in Stahl zu gestalten, sind zwei Welten. Doch vor alTivadar Puskas:  Wir haben einmal für die Basler Uhren- und lem unsere jüngeren Mitarbeiter haben kaum Erfahrung Schmuckmesse ein modulares Stahlbausystem für ihre im Umgang mit dem Material. Bauingenieure lernen heute Stände entwickelt. Trotz der Kosten, die die Kunden der in der Ausbildung rechnen, aber nicht, wie man Bauteile Messe durch die Standardisierung und mehrfache Nutzung ihres Standes hätten einsparen können, waren sie am Bausystem nicht interessiert. Denn heute ist es modisch, möglichst individuell aufzutreten. Längerfristig wird es mehr spezifische Bauten geben, einfach auch, weil es viel mehr Möglichkeiten gibt, solche zu bauen. Die Individualisierung ist ein Zeichen unserer Zeit. Von der Individualisierung zur Digitalisierung: Sie ermöglicht, industriell gefertigte Produkte individueller zu gestalten. Macht das die Tivadar Puskas Architektur und das Ingenieurwesen auch besser ? Jürg Graser: Nein. Die Digitalisierung zielt vor allem auf eine wirtschaftliche Optimierung ab, die den Architekten in die Rolle des Fassadendekorateurs drängt. Tivadar Puskas: Bei uns im Büro arbeitet die jüngere Gene- fügt und Anschlüsse gestaltet. Das sind oft Erfahrungsration Ingenieure nur noch modellbasiert. Für sie sind die werte, aber das ist auch praktisches Wissen, das an den Zeichnung und der Plan nur noch ein Abfallprodukt eines Schulen so nicht weitergegeben wird. Für Hochschulen dreidimensionalen Computermodells. Trotzdem: Die Di- ist das Thema Konstruktion zu wenig relevant, vielleicht gitalisierung optimiert Planungs- und Produktionsprozes- fehlt den Professoren der Praxisbezug, oder das Lehrprose, ersetzt aber keinesfalls die Kreativität des Entwerfers. gramm überlässt das Konstruieren der Berufswelt. Umso Können die vielen Versprechen der BIM-Lobby im wichtiger wäre es, dass Architekt, Ingenieur, Fachplaner Planungs- und Bauwesen überhaupt eingelöst werden ? und Unternehmen wieder mehr zusammenarbeiten. Dafür Tivadar Puskas: Gerade im Stahlbau ist die digitale Kette braucht es die Bereitschaft von allen. Wir dürfen uns nicht heute schon Realität. Überall, wo Bauelemente vorgefer- zu schade sein, Details mit dem Schlosser zu entwickeln. tigt werden, sind die Fertigungsketten mehr oder weniger Mit der Stahlbautabelle alleine kann man noch keine gugeschlossen. Individualisierung von Bauteilen ist damit ten Knoten entwickeln.

« Mit keinem anderen Material kann ich eine so elegante Tragstruktur gestalten. »

« Wir dürfen uns nicht zu schade sein, Details mit dem Schlosser zur entwickeln. »

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Panzer mit Himmelblick Die Panzerhalle in Salzburg ist heute ein quirliges Kreativzentrum. Gezielte Öffnungen im Dach machen die alte Halle zu einem lichten Arbeitsraum. Text: Daniela Meyer Fotos: Erich Hussmann

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Wer an Salzburg denkt, denkt vor allem an Mozart, die berühmten Festspiele und die schmucke Altstadt. Doch die Stadt ist kein Museum, ausserhalb des historischen Kerns gibt es auch neuere Architektur zu entdecken. Etwa westlich der Innenstadt, wo früher das Bundesheer seinen Platz hatte. Dort ragen heute bunt gestreifte Punkthäuser in den Himmel. Die neue Wohnsiedlung steht am Übergang zwischen Arbeiterquartier und Industriezone. Zwischen den Neubauten blitzt eine grosse, silbergraue Fläche auf. Es ist das Dach der Panzerhalle, das in der Mittagssonne glänzt. Die dicken Mauern, die es tragen, sind kaum auszumachen – wie eine riesige Schildkröte, die sich unter ihrem Panzer in die flache Landschaft duckt. Die Panzerhalle will sich aber nicht verstecken. Ganz im Gegenteil. Im Schatten der Traufkante wird eine schier endlose Reihe massiver Tore erkennbar. 42 zur Seite geklappte Flügel öffnen die Halle, laden zum Eintreten ein. Das verwitterte Holz und die Rostflecken an den Metallrahmen erinnern an eine Vergangenheit, in der die Tore den Abschluss der Halle bildeten, deren Riegel verschlos-

sen blieben. Aber nicht nur die Halle blieb der Öffentlichkeit verschlossen, sondern das gesamte Gelände. Umgeben von Mauern und Zäunen stand hier die Struberkaserne. Damit erklärt sich auch der Name des 1939 errichteten Baus: Unter seinem ausladenden Dach reparierten Angestellte des Österreichischen Bundesheeres bis Mitte der Achtzigerjahre Panzer und andere Fahrzeuge. Kreativzentrum statt Panzerwerkstatt Heute verbringen die Angestellten einer Werbeagentur ihre Kaffeepause in Liegestühlen vor den Toren. Im Inneren der in mehrere Abschnitte gegliederten Halle verteilen sich die Büroarbeitsplätze über vier Geschosse. Der Mietermix ist bunt und hip: Etwas weiter befindet sich eine Markthalle mit Café und Restaurant. Auch eine B ­ eauty- und Stylezone, ein Geschäft für Outdoorbekleidung oder ein Fitnessstudio gibt es hier. Wer erst am Anfang steht mit seinem Unternehmen, mietet einen möblierten Arbeitsplatz in einem ‹ Coworking Space ›. Wer einen Erfolg zu feiern hat, kann dies in einem der Veranstaltungsräume tun. Für die grosse Party gibt es einen kompletten Hallenabschnitt mit mehreren Ebenen, für den exklusiven Anlass ein luxuriöses Loft unter dem Giebel des grossen, gemeinsamen Dachs. →

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Flach und breit: Die 1939 errichtete Werkhalle ist in ein quirliges Kreativzentrum umgenutzt worden. Über vierzig neue Dachfenster und Loggias lassen viel Licht ins Innere dringen.

42 innenliegende Glasfelder bilden die neue Klimaschicht im Erdgeschoss. Die grossen Öffnungen und Tore erinnern an die Nutzung der Panzerhalle als Werkstatt. Themenheft von Hochparterre, Januar 2017 —  Stahl in der Hauptrolle — Panzer mit Himmelblick

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Grundrissdetail Aussenportale Erdgeschoss: Die neuen Glasportale sind auch brandwirksam. Sie liegen hinter den markanten alten Eingangstoren aus Holz.

Querschnitt: Drei Ebenen schaffen neue Büroflächen.

Ansicht: Ein Neubau mit Büros, Ärztezentrum und Wohnungen ergänzt die 200 Meter lange Panzerhalle.

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Grundriss Erdgeschoss: Vier Architekturbüros haben je einen Abschnitt der Panzerhalle bearbeitet. Entsprechend unterschiedlich sind die Grundrisse.

Dachaufsicht: Grossformatige Dachfenster und neue Loggias durchlöchern den ‹ Panzer › der Halle.

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Auf dem komplett neuen Dach sitzt die aus Stahl konstruierte Dachlaterne.

Panzerhalle, 2015 Siezenheimerstrasse 39, Salzburg ( A ) Bauherrschaft:  Panzerhalle BetriebsGmbH, Salzburg Architektur:  ARGE Panzerhalle mit LP Architektur, Altenmarkt ( Umbau Abschnitt C ) ; Strobl Architekten, Salzburg ( Umbau Abschnitt D ) ; Hobby A, Salzburg ( Umbau Abschnitt B ) ; CS-Architektur, Salzburg ( Neubau Abschnitt A ) Auftragsart: Direktauftrag Bauleitung:  Spiluttini Bau, St. Johann ( A ) Projektsteuerung:  Bleierer Baumanagement, Salzburg Umgebung:  3 : 0 Land­ schafts­architektur, Wien Metallbau: Manfred Brugger, St. Veit i. P. ( A ) Kosten:  EUR 22,8 Mio. Partner Stahlbausysteme:  Alukönigstahl, Wien Stahlbausysteme: Jansen Janisol HI, Janisol 2 EI30, VISS TVS und VISS Fire

Hoher Lichtkamin: Neue Atrien führen in zentral erschlossenen Abschnitten das Tageslicht bis in die Eingangsebene.

Viel Fenster, wenig Profil  Die Panzerhalle steht zwar nicht unter Denkmalschutz, doch ihre besondere Typologie und Architektur sollte beim Umbau erhalten bleiben. So wollten es die Investoren Marco Sillaber und Johann Kainz. Während die Transformation ehemaliger Industrieareale in vielen Städten Europas seit Jahren die Architekten beschäftigt, war diese Umnutzung für Salzburg keine alltägliche Bauaufgabe. Für den dazu notwendigen, tiefgreifenden Umbau konnten die beiden Initiatoren auf ein eingespieltes Team zurückgreifen: Mit den vier Architekturbüros LP Architektur, Strobl Architekten, Hobby A und CS-Architektur hatten sie bereits ein vergleichbares Projekt realisiert, das Gusswerk, ebenfalls in Salzburg. Sillaber beauftragte jedes Team, einen Abschnitt der 200 Meter langen, viergeteilten Halle zu bearbeiten. Nur bei der Aussenhülle sollten sich die Architekten auf eine gemeinsame Herangehensweise einigen. In der fünften Fassade, dem Dach, fanden die grössten Eingriffe statt: Zahlreiche neue Öffnungen durchdringen heute die von Grund auf neu konstruierte, aber in ihrer originalen Form erhaltene Dachfläche. Nebst den grossflächigen Dachfenstern mit minimalem Aufbau gibt es neu auch zahlreiche begehbare Terrassen. Diese Dacheinschnitte dienen

den Büros und Verkaufslokalen als private Aussenräume und schaufeln viel Licht ins Innere. Die schlichten, grauen Stahlprofile der Terrassen und Fenster werden zum einheitlichen Gestaltungselement aller ­Hallenabschnitte. Hannes Sampl, Projektleiter bei LP Architektur: « Es ist gerade das Zurücktreten der neuen Öffnungen, das von ihrer Qualität zeugt. Die schlanken Stahlprofile haben einen ähnlichen Charakter wie die feingliedrigen Profile alter Industrieverglasungen. Ausserdem erlauben sie eine grösstmögliche Belichtung der Innenräume. » Tatsächlich sind die Innenräume überraschend hell und luftig: Blickkontakt ist über die Ebenen hinweg möglich ; die Geschossdecken reichen nie bis an die Fassade. Vom zentral angeordneten Treppenhaus blickt der Besucher sowohl zum Eingang hinunter als auch hinauf ins Dach, durch das ebenfalls viel Tageslicht fällt. Rohe, unbehandelte Oberflächen unterstreichen den industriellen Charakter des Gebäudes: Im Treppenhaus sind die Geländer aus Schwarzstahl, unter den Füssen liegt ein geschliffener Boden, auf Augenhöhe befinden sich Betonstützen und an der Decke sichtbar geführte Installationen. Weil Stahl bereits vor dem Umbau die Halle charakterisierte, haben sich die Architekten auch bei den Fenstern und Türen dafür entschieden. So treten Neu und Alt in eine →

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Hybride Strukturen

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Ökostahl

Die Kombination mehrerer Materialien in einem Element hat im Stahlbau Tradition. Bei Fenstern, Türen oder Fassaden ­etwa fügen sich Stahl und Glas zu einem ­Produkt mit besseren bauphysikalischen Eigenschaften und Brandschutzqualitäten zusammen. Hybride etwa sind die heute oft einge­setzten, thermisch getrennten Stahlprofile: Ein glasfaserverstärktes Stück Kunststoff ­verbindet die Metallteile mit­einander und stoppt die Kälteoder Wärmeübertragung. Voraussetzung ist, dass die Materialien ähnliche Eigenschaften haben, bei­s­piels­weise bezüglich des temperatur­ab­hängigen Ausdehnungsverhaltens. ­Und sie müssen sich – falls nötig – kraftschlüssig miteinander verbinden lassen. Die Kraftschlüssigkeit ist eine der grössten Herausforderungen. Daran scheiterte ­beispielsweise bis anhin die Idee eines Glas-Stahl-Profils, bei dem das Glas eine tragende Funktion übernommen hätte. Die mechanische Verbindung scheidet aus, da ­Löcher im Glas sehr aufwendig herzustellen sind und die derzeitigen Kleb­stoffe weder für einfache noch industriell multiplizierbare System­lösungen genügen.

Gebäudelabels, die auch graue Energie ­bewerten, wie DGNB, BREEAM oder Minergie-Eco, stimulieren die Nachfrage nach umweltfreundlichen Stahlprodukten. Um die Ökobilanz ver­gleichbar zu machen, haben Jansen und weitere Anbieter ihre Produkte mit der ‹ Environmental Product Declaration › ( EPD ) gemäss Euronorm 15804 bewertet. Diese Deklarierung berücksichtigt alle Prozessschritte vom Stahlrohling bis zur Endmontage. Die Bilanz zeigt, dass nur schon die Herstellung des Rohlings aus Recyclingmaterial rund vier Mal weniger Energie benötigt als aus Erz gewonnener Stahl – bei vergleichbarer Qualität. Die Ökologie hört aber mit dem verbauten Produkt nicht auf: « Unser Partner in Holland tüftelt an einem Cradle-to-CradleAngebot », sagt Philipp Rüttimann, Leiter Product Lifecycle Management. Denkbar wäre etwa, dass ein Hausbesitzer eine Metallfassade in Zukunft nur noch mie­tet. Kann oder will er sie nicht mehr renovieren, werden die Einzelteile de­montiert und für neue Fassaden ver­wendet.

­ erwandtschaft. Die grösste Herausforderung lag → Art V darin, die Profile nach blankem Metall aussehen zu lassen. Eine spezielle Beschichtung erfüllt die Ansprüche an Haptik und Farbton, ist lichtbeständig und schützt gleichzeitig vor Korrosion über die Jahre. Neue innenliegende Glasebene Möglichst dauerhaft sollten auch die neuen Türen im Erdgeschoss sein. Unzählige Male werden sie täglich geöffnet und geschlossen. Sie liegen in einer neuen, an der Innenseite angeschlagenen Isolationsebene aus Glas und Stahl. Das gleiche hochwärmegedämmte Profilsystem wie bei den Fenstern kam zum Einsatz. Diese neuen inneren Glaseinsätze wie auch die vielen Fenster im Dach machen die Räume erst winterfest, machen aus der Werkhalle einen Büroarbeitsplatz. Genau diese Eingriffe in die alte Bausubstanz ermöglichten es den Architekten, den ursprünglichen Charakter des Bauwerks zu erhalten. Mithilfe der neuen Öffnungen machen sie die aussergewöhnlichen räumlichen Dimensionen erlebbar und können gleichzeitig auf weitere Eingriffe in die Substanz verzichten. Sorgfältig gingen die Architekten auch mit den ursprünglichen Eingangstoren um. « Sie prägen den Charakter des Gebäudes und verlei-

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hen ihm ein eigenes Gesicht. Weil neue innenliegende Eingangsportale die Halle gegen aussen schliessen und Tageslicht ins Innere bringen, erinnern sie nur noch an die Geschichte der Panzerhalle », so der Architekt. Die Tore wurden wo nötig repariert und nach dem Umbau wieder an ihrem alten Platz in die Angeln gehängt. Nicht nur an die militärische Nutzung, auch an die Zeit, als die Halle für viele Jahre leer stand, erinnern sie. Von dieser Zwischenphase erzählen Graffiti und Malereien, die noch von den Holzbrettern leuchten. Spuren der Zwischennutzung liessen die Architekten auch im Inneren stehen. Hier und dort taucht ein Bild an der Wand auf. Mal ist es nur ein bunter Wortfetzen in einem Nebenraum, der aufgrund neuer Raumunterteilungen abrupt abbricht, ein anderes Mal ist es ein Porträt in Schwarz-Weiss, das eine prominente Stelle in einem der Veranstaltungsräume ziert. Unter dem ausladenden Dach sind sehr unterschiedliche Arbeitswelten entstanden. Das sorgfältige Zusammenspiel von Stahl, Glas und Beton hält sie visuell und architektonisch zusammen, macht die Umnutzung einer Werkhalle in einen Arbeitsplatz des 21. Jahrhunderts auch konstruktiv erst möglich. Heute erinnert die Panzerhalle nicht mehr nur an ihre Vergangenheit, sondern lädt auch dazu ein, ihre Zukunft mitzugestalten.

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Sonne und Himmel beflügeln die Kreation: Die weiten Arbeitsflächen unter dem Dach geniessen viel Tageslicht. Es fällt durch die filigranen Dachfenster.

Zurückhaltende Einbauten: Dachfenster, neue Ebenen aus Beton, gesichert mit Stahlgeländern, machen aus der Panzerhalle eine luftige Denkwerkstatt. Themenheft von Hochparterre, Januar 2017 —  Stahl in der Hauptrolle — Panzer mit Himmelblick

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Vor dem Schweissen wird der Bandstahl mit Werk­ zeug­rollen zum entsprechenden Profil geformt. Kühlschmierstoff sorgt dafür, dass die Profiloberfläche beim Durchlaufen unbeschadet bleibt.

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Doppelte Fensterschicht

Eine von innen aufgedoppelte Metallfensterschicht ermöglichte die neue Nutzung der alten Maag-Halle in Zürich.

Fensterdetail: bestehende Einfachverglasung – dahinter die neue Fensterschicht. Das innere und das äussere Metallprofil sind durch einen Isolator thermisch getrennt.

Neben dem Prime Tower bei der Hardbrücke in Zürich liegt eine Fabrikhalle aus dem Jahr 1906. Sie ist der einzige umgenutzte Zeuge der Ver­ gangenheit inmitten neuer Dienstleistungsbau­ ten hinter schicken Glasfassaden. Früher setzten die Arbeiter der Fabrik Maag dort Zahnräder zu­ sammen, heute stehen in der Halle die gedeck­ ten Tische eines asiatischen Restaurants. In den oberen Geschossen präsentieren sich Galerien und Büros. Das ehemalige Industriegebäude fällt durch seine grossen Fenster mit einem kleintei­ ligen Sprossenmuster auf. Dass dieses typische Merkmal der Industriearchitektur erhalten bleibt – dafür sorgt der Schutzvertrag zwischen der Stadt Zürich und der Eigentümerin. Für die Umnutzung musste das Haus neu gedämmt werden. Doch an der äusseren Erschei­ nung und der Stahlstruktur durfte nichts verän­ dert werden, und so liessen die Architekten die Fassaden von innen einpacken. Nur der innere Flansch der tragenden Stützen und Träger wur­ de ausgespart – damit sie sichtbar und damit die Tragstruktur nachvollziehbar bleiben. Sprinkler schützen die Stahlstruktur im Brandfall. Hinter den grossen Fenstern übernimmt eine zweite, innere Fensterschicht die Dämmung und Dichtung. So konnte die filigrane, fast quadrati­ sche Sprossen­einteilung der alten Fenster er­ halten bleiben, und es entstand ein natürlich be­ lüfteter Zwischenraum. Die alten Profile wurden mit Rostschutz behandelt und aufgefrischt. Die originalen, einfachen Gläser waren teils kaputt, hatten Asbest im Kitt und mussten neuen wei­ chen. Diese sind mit Schlitzen montiert, damit im Zwischenraum die Luft zirkulieren kann. In den oberen beiden Geschossen setzten die Metallbauer im passenden Rhythmus eben­ falls wärme­gedämmte Fenster ein. Ihre Rahmen bestehen aus einem inneren und einem äusse­ ren Profil, diese werden von einem Isolator aus glasfaserverstärktem Polyester getrennt. Die nur sechzig Millimeter starken Metallrahmen errei­ chen so mit einer Zweifachisolierverglasung einen U-Wert von zwei Watt pro Quadratmeter Kelvin. Mit dieser Lösung erfüllt das Gebäude die wärmetechnischen Bedingungen, und es be­ wahrt den industriellen Charakter – obwohl die neuen Fenster deutlich erkennbar sind. Sue Lüthi, Fotos: Thies Wachter

Die äussere Erscheinung der ehemaligen Industriehalle neben dem Prime Tower rechts ist geschützt – die Fenster erscheinen wie eh und je.

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Sanierung ehemalige Industriehalle Diagonal, 2011 Zahnradstrasse 21 / 23, Zürich Bauherrschaft:  Swiss Prime Site, Olten Architektur:  Gigon Guyer Architekten, Zürich Ingenieure Statik ( Ausführung ): Walt + Galmarini, Zürich; Dr.  Lüchinger + Meyer, Zürich Ingenieure Haustechnik HLK ( Ausführung ):  PB P.  Berchtold, Sarnen ( HK ) ; Hans Abicht, Zürich Metallbauer:  MLG Metall und Planung, Bern Fenstersystem:  Jansen Janisol Primo

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Relief und Muster

Tektonische Architektur: Knoten, Relief und Muster des Bürohauses werden zum Zierstück des Picassoplatzes in Basel.

Gitterartige Glasfassade: Die Einteilung verleiht den Räumen etwas Privatsphäre.

Oben Dreh-, unten Kippflügel: Der mittlere Fensterstreifen lässt sich öffnen.

Die prominente Lage des eleganten Geschäfts­ hauses am Basler Picassoplatz war für die Kon­ zeption der Fassade entscheidend. Architekt Peter Märkli hat eine feingliedrige Hülle aus Stahl und Glas entworfen, ihre Themen sind Knoten, Relief und Muster. Die schlanken Fensterspros­ sen in den sechs Bürogeschossen bilden ein Netz – in einer Feingliedrigkeit, die nur aufgrund der Festigkeit von Stahl erreicht werden kann. Märkli steuert Transparenz und Offenheit mittels Fassadenprofilen. In enger Zusammenar­ beit mit dem Profilhersteller hat er für Basel ein bestehendes Fassadensystem weiterentwickelt: festverschweisste, rechteckige Verstärkungsroh­ re aus Vollstahl ermöglichen Schlankheit. So wer­ den Knoten, Relief und Muster zum Zierstück. Der Knoten, in dem die horizontale und die vertikale Struktur miteinander verbunden wer­ den, spielt in der Architektur von Märkli eine entscheidende Rolle. Der Architekt versteht ihn als historische Gestaltungsaufgabe, die unsere heutige Architektur mit der Baugeschichte ver­ bindet. Die Fassade des Bürohauses staffelt er in drei Tiefen­ebenen, die in dem monolithisch anmutenden Knoten aus dunkelgrauem, einbrenn­ lackiertem Stahlblech zusammenkommen: die äusserste mit vertikalen Lisenen, die ununter­ brochen vom Boden bis zum Dachabschluss verlaufen. Darunter folgt die mittlere Ebene mit horizontalen Bändern, die die Geschossdecken nach aussen abbilden und die Storen aufnehmen. Schliesslich die unterste Ebene, die dreigeteilten Fensterflächen. Von den jeweils drei nebeneinan­ der angeordneten Fenstern ist das mittlere hal­ biert. Es funktioniert oben als Dreh- und unten als Kippflügel sowie als Absturzsicherung. Die Einteilung der Fensterflächen schafft einen gitterartigen Sichtschutz, der den Arbeits­ plätzen etwas Privatsphäre verleiht. Das Muster ist über sechs Geschosse gespannt und verläuft gleichmässig zwischen Sockel und doppelge­ schossigem Konferenzgeschoss um die Ecken des Volumens. Erd- und Dachgeschoss hingegen sind fest verglast, markieren Anfang und Ende. Dop­ pelgeschossige Konferenzräume krönen den Bau. Frida Grahn, Fotos: Carsten Seltrecht Picasso Center, 2007 Picassoplatz, Basel Bauherrschaft:  Picassoplatz AG, Basel Architektur:  Studio Märkli, Zürich Fassadenplaner:  Feroplan Engineering, Zürich Fassade:  Ernst Schweizer, Hedingen Investitionssumme:  Fr. 22 Mio. Fenstersystem:  Jansen Janisol Primo Personal Profiles, VISS TV

Detail: Angeschweisste Verstärkungsprofile ermöglichen die schlanke Konstruktion.

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Gläserne Fabrikation

Aussen gibt sich die elegante, rundherum verglaste Werkhalle dunkel und unnahbar.

Grundrissdetail: An die Pfosten-Riegel-Konstruktion ist die Sekundärkonstruktion montiert. Sie trägt die Glasscheiben.

1976 expandierte Glas Trösch in die Ostschweiz und übernahm die Isolierglas AG in St. Gallen. 41 Jahre später ist der Glasspezialist nicht nur weltweit gewachsen, sondern auch im Industrie­ gebiet St. Gallen-Winkeln ansässig. Heute wird in zwei nebeneinanderliegenden Hallen Glas thermisch zu Einscheibensicherheitsglas vorge­ spannt und mit Folien zu Verbundsicherheitsglas konfektioniert, in der dritten Halle wird energieeffizientes, leistungsfähiges Isolierglas hergestellt. Wie schon für die ersten Etappen zeichnete auch für die dritte Erweiterung das Architekturbüro Schuchter Ehle verantwortlich. Glas und Stahl spielen bei dieser Werkhalle die Hauptrolle. Der 120 auf 40 Meter grosse und 15 Meter hohe Bau ist eine rundherum verglaste Stahlkonstruk­ tion. Von aussen deutet nichts auf die luftige In­ nenwelt hin, die Halle präsentiert sich als dunkler und unnahbarer Glaskubus. Die riesige Fläche wirkt plan und unnahbar, nur ein feines Netz aus sieben Zentimeter breiten, dunklen Edelstahlleis­ ten – sie decken die Stossfugen ab – zieht sich über alle vier Fassaden. Der Innenraum überrascht mit viel Tages­licht, er wirkt aufgrund der strengen Reihe schlan­ ker, weisser Stützen schon fast klinisch. Auf ih­ rer Innenseite sind, entlang der Längsseite, die Schienen für den Montagekran montiert, der die schweren Scheiben durch die Halle schweben lässt. Aussen an die schlanke Pfosten-RiegelKonstruktion ist die Sekundärkonstruktion der Glasfassade montiert. Sie trägt die 2,5 auf 3 Me­ ter gros­sen Dreifach-Isolierglas-Scheiben aus der eigenen Produktion. Die vielen weissen Pfei­ ler setzen den imposanten Innenraum in einen strengen, minimalistischen Rhythmus – Trag­struktur und Fassade scheinen aus einem Guss. Dank der Vorfertigung konnte die ganze Halle in nur wenigen Wochen errichtet werden. Dass auch im Sommer ein gutes Arbeitsklima herrscht, dafür sorgt die Sonnenschutzbeschichtung der Gläser. Einen Blendschutz gibt es in Form von innenlie­ genden Rollos nur auf der Westseite. Im Sommer wird überschüssige Hitze über Öffnungen im Dach wieder entlassen. Roderick Hönig Werkhalle, 2009 Wehrstrasse 10, St. Gallen-Winkeln Bauherrschaft:  Glas Trösch Gossau, St. Gallen Architektur:  Schuchter Ehle, St. Gallen Fassade Halle:  Rino Weder, Oberriet Fassade Büro:  Schoch Metallbau, Waldstatt Stahlbau:  Aepli Stahlbau, Gossau Baukosten( BKP 1 – 9 ):  Fr. 14,32 Mio. Fassadensystem:  Jansen VISS TVS

Schlanke Konstruktion, strenger Rhythmus: Innen öffnet sich eine helle, beinahe sakrale Arbeitswelt aus Stahl und Glas.

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Transparente Lernumgebung

Grundrissdetail Fluchttüre Atrium: Flächenbündig schliessen die Brandschutztüren in der innenliegenden Glasfassade. Die Bautiefe für Türrahmen und -flügel beträgt sechzig Millimeter.

Vier Atrien lassen viel Licht tief ins Gebäude fallen. Vor allem die innenliegenden Lehr- und Arbeitsräume für die mehr als 2000 Studierenden und Mitarbeiter profitieren davon.

Mit dem Rücken zur Autobahn markiert das 148 Meter lange Gebäude die nördliche Grenze des Universitätscampus von Lausanne. Seinem eigenwilligen Namen Géopolis ist seine doppelte Bestimmung für die Institute der Sozial- und Po­ litikwissenschaften sowie der Geo- und Umwelt­ wissenschaften zu entnehmen. Auf dem Areal ei­ ner ehemaligen Möbelfabrik bietet das Gebäude auf fünf Geschossen Lehr- und Arbeitsräume für mehr als 2000 Studierende und Mitarbeiter. Während aussen eine schillernde, schach­ brettartige Fassade aus breiten Fenstermodulen und gewölbten Edelstahlblechen das Gebäude kleidet, entfaltet sich im Inneren eine technisch anmutende Glasfassade um vier Lichthöfe her­ um: Die den Atrien zugewandten Räume span­ nen eine flache, endlos scheinende innere Fas­ sadenfront auf. Die Fassadensysteme basieren auf einem wärmegedämmten Stahlsystem für Pfosten- und Riegelkonstruktionen. Die einzelnen Elemente übernehmen zwar keine tragende Funktion, ga­ rantieren aber Wärme-, Schall- und Brandschutz. Je nach feuerpolizeilichen Auflagen werden sie von Brandschutztüren ergänzt. Für ein so stark frequentiertes, öffentliches Gebäude mit hohen ästhetischen und feuerpolizeilichen Anforderun­ gen bietet sich ein Stahlfassadensystem gerade im Innenbereich an: Es ist aufgrund der hohen Ma­ terialdichte und Festigkeit langlebig, braucht we­ nig Wartung und weist zudem eine grosse Hitzebeständigkeit sowie eine niedrige Ausdehnung auf. Ausserdem sorgt es für gute Schallschutzund Isolationswerte. Wichtig war den Architekten besonders das einheitliche und filigrane Erscheinungsbild der Innenfassade – eine möglichst transparente und helle Lernumgebung sollte entstehen. Die Wahl fiel auf Stahl, weil das Material grössere Element­ einheiten und schlankere Fensterprofile erlaubt als etwa Aluminium. Der Vorteil des Systems zeigt sich in seiner einheitlichen Erscheinung: Obwohl verschiedene Fassadenprodukte verwendet wur­ den, sind die Ansichtsbreiten identisch – eine Vo­ raussetzung für ein harmonisches Fassadenbild. Evelyn Steiner

Viele Anforderungen, ein System: Wärme-, Schall- und Brandschutzelemente haben ein einheitliches Fassadenbild.

Institutsgebäude Géopolis, 2012 Rue de la Mouline, Chavannes-près-Renens Bauherrschaft:  Etat de Vaud, Comité directeur du BUD Architektur:  Itten + Brechbühl, Lausanne Projektleitung:  Robin Kirschke, Itten + Brechbühl Bauingenieur:  SEGC, Fribourg / Daniel Willi, Montreux Bauleitung:  Baumag Generalbau HLSEK-Ingenieure:  Amstein + Walthert, Lausanne Bauphysik:  Planair, La Sagne Andere Teilnehmer:  d’Silence acoustique, Lausanne Fassadeningenieur:  Sottas, Bulle Gesamtkosten ( BKP 1 – 9 ):  Fr. 144,175 Mio. Fenstersystem:  Jansen VISS Fire, VISS TV, Janisol 2 EI30

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Stahl in der Hauptrolle Stahlbau wird in der Schweiz nicht gross­ geschrieben. Zu Unrecht. Dieses Themenheft schreibt dem Material eine Hauptrolle zu und blickt dafür ins nahe Ausland, wo Stahl in Gebäuden vielfältiger und häufiger ange­wen­det wird. Der Blick geht in die Niederlande und nach Österreich, wo Architekten an einem Bahn­hof, einem Wohnhaus und einem Bau­ denkmal die Möglichkeiten des Materials ausloten. Das Thema Stahlbau eröffnet aber auch Diskussionen zwischen Bauingenieuren und Archi­tekten, Verbandsvertretern und Unternehmern. Persönlichkeiten skizzieren die Potenziale des Materials unter dem Vorzei­ chen der Digitalisierung. Ihr Zusammenwirken verleiht dem Stahl die tragende Rolle oder rückt andere Stärken wie Eleganz, Langlebigkeit oder Kombi­nierbarkeit mit anderen Materi­ alien in den Vordergrund. www.jansen.com

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