Zürcher Zwischenbilanz

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Sara Künzli und Benjamin Meyer wollen den Setzkasten der Bauvorschriften justieren.

Wir können tiefere Wohn kosten nicht üb er alle anderen Ziele stellen »

Was tun gegen den teils markanten Wohnungsmangel ?

Sara Künzli und Benjamin Meyer müssen als neue oberste Raumentwicklerin und neuer Kantonsplaner Antworten bereithalten. Ein Gespräch kurz vor dem grossen Jobantritt.

Text:

Interessen abzuwägen, gilt als Kerngeschäft der Raumplanung. Doch was sich leicht sagt, gleicht manchmal der Quadratur des Kreises – gegenwärtig zum Beispiel beim Thema Wohnen. 2023 ist die Bevölkerung des Kantons Zürich auf 1,6 Millionen Menschen angewachsen.

Für das Jahr 2050 sind gar 2 Millionen Einwohnerinnen vorhergesagt. Menschen brauchen Wohnungen. Doch seit 10 Jahren beschränkt das Raumplanungsgesetz das Angebot an neuen Bauzonen. In der Folge werden alte Häuser durch grössere ersetzt, um die Reserven in den vorhandenen Bauzonen aufzufüllen. Im Zug dieser Abbruchwelle werden bisherige Mieterinnen verdrängt, und die Wohnkosten steigen mancherorts erschreckend. Auf den Bauschutt­Deponien landen enorme Mengen an grauer Energie. Es überrascht wenig, dass manche die Raumplanung für die Lage verantwortlich machen und erneut eine Ausdehnung der Bauzonen fordern.

Ist die Raumplanung tatsächlich schuld an der Lage ? Wie kann sie bezahlbaren Wohnraum ermöglichen und das Bevölkerungswachstum auffangen, ohne gleichzeitig die Klimakrise zu befeuern und die Zersiedelung wieder anzutreiben ? Im Interview erläutern Sara Künzli und Benjamin Meyer, wie die Zürcher Raumplanung reagiert, für die sie ab Juni 2024 als Chefin des Amts für Raumentwicklung und als Kantonsplaner verantwortlich sind.

Seit der ersten Revision des Raumplanungsgesetzes ( RPG 1 ) sind zehn Jahre vergangen. Hat der Kanton Zürich die Ziele der Innenentwicklung erreicht ?

Benjamin Meyer: Weitgehend, ja. Der Paradigmenwechsel zur Entwicklung nach innen hat bereits vorher eingesetzt und mit ihr eine massive Verdichtung. Vor dem RPG 1 beanspruchten die Zürcherinnen und Zürcher zum Wohnen und Arbeiten rund 115 Quadratmeter Bauzone pro Kopf. Jetzt sind es noch 99 Quadratmeter – obwohl der Kanton in weiten Teilen ländlich geprägt ist.

Die Wohnkosten sind jedoch enorm gestiegen. Einige Entwickler und institutionelle Immobilieneigentümer geben der Raumplanung die Schuld. Eine Studie beziffert ihren Einfluss auf sechs bis acht Prozent. Wie beurteilen Sie diesen Einfluss ?

Benjamin Meyer: Wir haben die Studie mit den Nachbarkantonen und dem Bundesamt für Wohnungswesen in Auftrag gegeben, weil wir genau diese Frage untersuchen wollten. Bisher galt in unseren Kreisen eher die Auffassung, dass die Raumplanung wenig oder gar keinen Einfluss auf die jüngste Preisentwicklung hat. Nun zeigt die Studie, dass wir ein relevanter Player unter vielen sind. Allerdings muss die Raumplanung auch negative Externalitäten begrenzen, also verhindern, dass am falschen Ort gebaut und dadurch unnötig Verkehr erzeugt wird oder dass wertvolles Kulturland überbaut wird. Wir können tiefere Wohnkosten daher nicht einfach über alle anderen Ziele stellen. Sara Künzli: Wir lenken zwar die räumliche Entwicklung – ob tatsächlich Wohnungen gebaut werden, hängt jedoch von der Politik und der Finanzierung ab. Faktoren wie Standortattraktivität, Zuwanderung oder Zinspolitik, die hauptsächlich zu höheren Preisen führen, können wir raumplanerisch nicht steuern. Die Wohnungsknappheit entsteht zurzeit durch die enorm starke Nachfrage und den Fakt, dass weniger Wohnungen als bisher gebaut werden. Es herrscht eine starke Diskrepanz. Nur ein bisschen mehr Verdichtung wird diese Effekte nicht aushebeln.

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Wie wirkt sich die Raumplanung auf die Wohnkosten aus ? 2023 hat eine Studie die relevantesten Faktoren ermittelt, die sowohl auf der Nachfrage- wie auch auf der Angebotsseite die Wohnkosten beeinflussen. Demnach sind über 90 Prozent des Anstiegs der Wohnkosten nicht durch die Raumplanung zu erklären. Relevanter sind Faktoren wie Standort und Steuersatz, Zustand und Ausbaustandard sowie die Zinspolitik. Sechs bis acht Prozent des Preisanstiegs schreibt die Studie der Verknappung des Baulands durch die Raumplanung zu. Aufzonungen und Verdichtung dämpfen die Kosten – jedoch nur in Gemeinden mit hoher Nachfrage Studie: ‹ Ursachen für steigende Wohnkosten in der Schweiz mit Fokus auf die Raumplanung ›, 2023

Auftraggeber: Bundesamt für Wohnungswesen, Amt für Raumentwicklung Kanton Zürich, Kantonsplanerinnen und Kantonsplaner des Metropolitanraums

Zürich ( AG, LU, SG, SH, SZ, TG, ZG )

Autorinnen und Autoren: IAZI AG – CIFI SA ; Universität Bern, Center for Regional Economic Development ( CRED )

Mehr Material zum Thema: Paneldiskussion ‹ Mehr bezahlbarer Wohnraum dank oder trotz Verdichtung ? › Schweizer Wohntage 2023, www.bwo.admin.ch

Ersetzen und Verdrängen

Ebenfalls 2023 untersuchten Forscher*innen der ETH Zürich die Ursachen und F olgen der Abbruchwelle im Kanton Zürich. Für den Zeitraum von 2015 bis 2020 ermittelten sie Folgendes:

- Neuer Wohnraum ist 6,5 M al mehr durch E rsatzneubauten als durch Umbauten entstanden.

- 12 998 Personen wurden verdrängt durch Ersatzneubauten oder Renovationen von Mehrfamilienhäusern mit drei oder mehr Wohneinheiten

( 2 014 – 2 019 ) . Sie hatten mindestens drei Jahre in dem Gebäude gewohnt.

- Die verdrängten Haushalte verdienen monatlich 4800 F ranken weniger als der durchschnittliche Haushalt im Kanton Zürich.

- Ausländische Personen haben eine 30 P rozent höhere Wahrscheinlichkeit, verdrängt zu werden.

– De r Anteil Personen mit Staatsbürgerschaft afrikanischer Länder sowie der Anteil vorläufig Aufgenommener ist drei Mal höher, der Anteil Alleinerziehender fast zwei Mal höher.

Studie: ‹ Er kenntnisse zum aktuellen

Wohnungsnotstand: Bautätigkeit, Verdrängung und Akzeptanz ›, 2023

Autorinnen und Autoren: Elena Lutz, Fiona Kauer, David Kaufmann, Malte Wehr, Michael Wicki, ETH Zürich

Projektentwickler und Investorinnen kritisieren zudem, dass die berechneten Bauzonenreserven nur teilweise genutzt werden können, weil Innenentwicklungs-Projekte viele Vorgaben und Ansprüche berücksichtigen müssen. Scheitern die kantonalen Berechnungen an der Realität ?

Benjamin Meyer: Es ist allgemein bekannt, dass die ausgewiesenen Reserven theoretisch sind. Im Raumplanungsbericht 2021 legt der Kanton dar, dass, rein rechnerisch betrachtet, Reserven für mehr als 600 00 0 zusätzliche Einwohnerinnen und Einwohner vorhanden sind. Realistischerweise könne jedoch nur knapp die Hälfte der Geschossflächenreserven aktiviert werden. Die tatsächlich nutzbaren Reserven sollten also bis 2040 ausreichen, danach benötigen wir zusätzliche Kapazitäten. Ende Februar veröffentlichte der Bund den ‹ Aktionsplan Wohnungsknappheit ›. Einige Massnahmen betreffen die Raumplanung, zum Beispiel « Ausnützungsziffern erhöhen » oder « Grenzabstände reduzieren ». Sind diese Anweisungen sinnvoll ?

Sara Künzli: Es gibt im Kanton Zürich in bebauten Gebieten noch viele Ausnützungsreserven, weshalb eine generelle Erhöhung der Ausnützungsziffern wenig bewirken dürfte. Abgesehen davon würden wir die Devise « überall mehr » aus raumplanerischer Sicht nicht befürworten. Um bestehende Reserven zu nutzen, muss das Weiterbauen im Bestand einfacher werden. Aber Grenzabstände oder Gebäudehöhen generell anzupassen, sehe ich kritisch. Besser wären Erleichterungen im Einzelfall, beispielsweise um von Vorschriften oder Normen abweichen und den Bestand erhalten zu können.

Ist der Aktionsplan denn generell hilfreich für die Situation im Kanton Zürich ?

Sara Künzli: Er zeigt, dass es ein weit gefasstes Massnahmenpaket braucht, um die Lage zu verbessern. Doch die Zeithorizonte sind vage formuliert und vieles ist mittel­

und langfristig ausgelegt. Soll der Aktionsplan rasch wirken, müssen sich die Akteurinnen selbst konkrete Zeitvorgaben setzen und eng zusammenarbeiten. Lässt sich die Nachfrage nach Wohnraum in den Grosszentren bremsen, indem Subzentren urbaner, dichter und gemischter gestaltet werden ?

Benjamin Meyer: Natürlich müssen wir uns fragen, wo Stadt entstehen soll und wie wir die Transformation von locker bebauten Gebieten zu attraktiven und dichten Quartieren fördern wollen. Das ist der Kern der raumplanerischen Tätigkeit. Wir wollen kein « überall alles und überall viel ».

Sara Künzli: Ein Ziel lautet auch, die Standorte der kantonalen Einrichtungen besser zu verteilen. Viele müssen nicht zwingend in den grossen Städten liegen. Nach RPG 1 haben wir zum Beispiel angefangen, Mittelschulen polyzentral im Kanton zu platzieren. Dies trägt zu kürzeren und besser verteilten Mobilitätsströmen bei.

Benjamin Meyer: Letztendlich ist der Nachfrageüberhang so gross, dass das Verstellen von ein paar Schrauben auf der Angebotsseite kaum einen Einfluss auf die Wohnkosten hat. Denn gleichzeitig befeuern wir als Kanton und als Gesellschaft diese Nachfrage durch attraktive Standorte, das Ansiedeln von Firmen oder die Steuerpolitik. Wir müssen uns deshalb die Grundsatzfrage stellen, ob wir wollen, dass der Kanton von heute 1,6 Millionen auf 2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner bis 2050 wächst – oder ob wir uns dafür mehr Zeit geben. Diesbezüglich braucht es eine breite Debatte in der Politik, mit den Gemeinden, den kantonalen Stellen und so weit wie möglich auch mit der Öffentlichkeit. Erst wenn wir darüber Klarheit haben, können wir uns überlegen, wo und wie dieses Wachstum stattfinden soll. Diesen Prozess möchten wir nun angehen. Wo kann und soll die Raumplanung ansetzen ?

Benjamin Meyer: Die bauliche Entwicklung muss qualitativ gut sein, sonst fehlt den geschaffenen Orten die Anziehungskraft. Am wichtigsten scheint mir darum der Gestaltungswille in den Gemeinden. Es reicht nicht, flächendeckend aufzuzonen. Exekutivbehörden benötigen Zeit, Energie und Fachwissen, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie sich ihre Gemeinde entwickeln soll. Zustimmung schaffen für die Innenentwicklung verlangt den Dialog mit der Bevölkerung und den Eigentümerinnen oder Investoren. Manche fordern ja, den Städtebau wieder über grosse gestalterische Würfe zu definieren und zu steuern. Das sehe ich skeptisch. Das Bedürfnis mitzureden, Einfluss zu nehmen und mitzugestalten, wenn es um unseren Lebensraum geht, ist gross.

Sara Künzli: Natürlich unterstützen gute Grundlagen und Gesetze die Qualität der räumlichen Entwicklung. Für Themen wie Klimaschutz und Klimaanpasssung, das Weiterbauen im Bestand und generell die Qualität der Innenentwicklung braucht es daher neue Bestimmungen. Aber die allein machen noch keine qualitativ gute Entwicklung. Zudem hinkt der Rechtsetzungsprozess neuen Bedürfnissen immer hinterher. Darum müssen wir jetzt und innerhalb der heutigen Rahmenbedingungen Lösungen finden – gemeinsam mit den Gemeinden, Projektverantwortlichen und Verbänden. Das ist das Credo des ARE.

Doch das Weiterbauen im Bestand ist kompliziert, egal, ob man nun ersetzt oder ergänzt. Für Frustrationen sorgen zum Beispiel die häufigen Einsprachen. Würden

Sie die Einsprachemöglichkeiten gerne einschränken ?

Sara Künzli: Nicht grundsätzlich. Bevölkerung und Verbände sollen eine gerichtliche Prüfung verlangen können. Problematisch sind Rekurse durch Nachbarn. Ein Einspracheverfahren wie das bei Strassenbauprojekten könnte die Situation entlasten. Dort wird die Einsprache vor dem Entscheid der Bewilligungsbehörde verhandelt, erst

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Wohnungsbau

nach Zimmern

2010 – 2023, Kanton Zürich

Am grössten ist der Anteil der 3-ZimmerWohnungen. Darum werden diese auch am häufigsten abgebrochen und neu gebaut. Die Nettoproduktion von 2-ZimmerWohnungen steigt, jene von grossen Wohnungen sinkt. Die Grafiken berücksichtigen alle Wohnungen in neuen bzw. abgebrochenen Gebäuden, ohne Aufstockungen oder Umbauten.

Anmerkung: Die Skalierung der Y-Achsen ist verschieden.

Neubauwohnungen

Abbruchwohnungen

Saldo

Am stärksten ist die Wohnbautätigkeit in der Stadt Zürich, wo sich auch fast ein Drittel aller Wohnungen befinden. Im übrigen Kantonsgebiet ist die Entwicklung unterschiedlich. Der Wohnbausaldo kann von Jahr zu Jahr stark schwanken, was sich häufig auf einzelne Grossprojekte zurückführen lässt. Hinweis: Die Y-Achsen sind unterschiedlich skaliert. Alle Kantonsregionen auf www.zh.ch/de/planen-bauen/ raumplanung/immobilienmarkt/ wohnbautaetigkeit)

Neue Wohnungen sind deutlich grösser. Oft wohnen deswegen jedoch nicht mehr Personen darin.

Statistisches Amt Kanton Zürich, Kantonales Gebäude- und Wohnungsregister ( GWR ); Bearbeitung: Hochparterre

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Neubauwohnungen Abbruchwohnungen Saldo
Neubauwohnungen Abbruchwohnungen 4 Zimmer 1 Zimmer 6+ Zimmer 3 Zimmer 5 Zimmer 2 Zimmer 0 0 0 1000 0 0 0 1000 250 1000 1000 500 500 1000 200 200 1000 250 2000 1000 2000 400 2000 500 3000 1500 600 3000 2010 2010 2010 2010 2010 2010 2012 2012 2012 2012 2012 2012 2014 2014 2014 2014 2014 2014 2016 2016 2016 2016 2016 2016 2018 2018 2018 2018 2018 2018 2020 2020 2020 2020 2020 2020 2022 2022 2022 2022 2022 2022 Anzahl Anzahl Wohnungsbau nach Regionen 2010 – 2023 Glatttal Zürcher Unterland 0 0 0 500 500 400 400 300 300 1000 800 600 1500 1200 2010 2010 2012 2012 2014 2014 2016 2016 2018 2018 2020 2020 2022 2022 Knonaueramt 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 Anzahl Winterthur Stadt Zürcher Oberland 0 0 500 500 500 500 1000 1000 2010 2010 2012 2012 2014 2014 2016 2016 2018 2018 2020 2020 2022 2022 Stadt Zürich 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 0 2000 2000 Anzahl Fläche von neuen und ab gebro chenen Wohnungen 2023, Kanton Zürich Medianfläche in Quadratmetern 0 1 Anzahl Zimmer 2 3 4 5 6+ 100150 50 Quellen:

danach wird ein Rekurs beim Gericht eingereicht. Die Entscheide wären damit robuster, und nur Einsprechende könnten später Rekurs einlegen. Es kann also noch 10 Jahre dauern, bis das Weiterbauen im Bestand einfacher wird. Heisst das, wir schaffen es, klimaangepasst zu bauen, bevor wir aufhören, klimaschädlich zu bauen ?

Benjamin Meyer: Die rechtlichen Anpassungen fürs Weiterbauen werden wohl vorher gemacht sein. Aber bis zur baulichen Umsetzung kann es tatsächlich ein Jahrzehnt dauern. Beim klimaangepassten Bauen geht es primär um begrünte Aussenräume und Kaltluftströme. Das Weiterbauen im Bestand dagegen tangiert viel mehr Fragen. Auch alle betroffenen Normen beim Bauen müssen angepasst werden, was mehrere Jahre beansprucht.

Sara Künzli: Das Planungs­ und Baugesetz ist quasi ein Neubaugesetz. Seine Vorgaben passen nicht mehr für das Weiterbauen. Wir müssen es ermöglichen, dass man im Rahmen einer Interessenabwägung von bestimmten Bauvorschriften oder von Normen abweichen kann, um mehr Bestand zu erhalten. Das ist unsere Absicht, und die Baudirektion prüft derzeit solche Lösungen. Wie kann der preisgünstige Wohnungsbau rascher gefördert werden ?

Benjamin Meyer: Der ganz grosse Hebel liegt beim Mehrwertausgleich und bei den sogenannten städtebaulichen Verträgen auf kommunaler Stufe. Der Kanton Zürich hat als einer der letzten Kantone ein Mehrwertausgleichsgesetz eingeführt, und noch nicht alle Gemeinden haben die Grundlage in den kommunalen Bau­ und Zonenordnungen ( BZO ) verankert. Dieser zentrale Teil des RPG 1 wird somit erst jetzt Fahrt aufnehmen.

Sara Künzli: Die Frage ist, wer denn die Aufgabe hat, bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Die Bundesverfassung weist diese Verantwortung neben den Privaten auch dem Staat zu. Aber einen klaren Auftrag an die Kantone, selber preisgünstigen Wohnraum zu erstellen, gibt es nicht. Da braucht es entweder Anpassungen auf Bundesebene, oder die kantonale Politik muss den vagen Auftrag präzisieren. Ist denn die Wohnungsnot nicht schwerwiegend genug, um einen staatlichen Eingriff zu rechtfertigen ?

Sara Künzli: Viele Gemeinden unternehmen ja aus Eigeninitiative bereits viel, um mehr preisgünstige Wohnungen zu schaffen. Die Raumplanung ist davon jedoch nur am Rand betroffen, wie die erwähnte Studie zeigt. Denn viele relevante Faktoren der Wohnungsnot und des Preisanstiegs zählen nicht zu den Aufgaben der Raumplanung, etwa das Mietrecht oder die Zinspolitik.

Benjamin Meyer: Trotzdem ist aus Sicht der Raumplanung bezahlbarer Wohnraum für alle Einkommensklassen zentral. Die Nähe von Arbeit und Wohnen muss in der Stadt auch für Geringverdienende möglich sein. Sozialer Zusammenhalt, soziale Gerechtigkeit, Vielfalt, Durchmischung – all das zeigt: Bezahlbarer Wohnraum ist für das Funktionieren einer Gemeinde fundamental. Aber es ist nicht Aufgabe der kantonalen Raumplanung, vorzugeben, über welche Massnahmen dies erreicht werden soll.

Der Immobilienberater Martin Hofer schlägt eine «Verdichtung nach aussen » vor. Erschlossene Freiflächen auf Stadtgebiet o der an der Stadtgrenze, erst recht solche in öffentlichem Besitz, sollten eingezont und zu dicht bebauten Wohnquartieren für tausende Menschen werden – geknüpft an Bedingungen wie eine ökologische Bauweise oder einen Mindestanteil an günstigen Wohnungen. Was halten Sie davon?

Benjamin Meyer: Ich schliesse Ansätze wie diese nicht aus. Der kantonale Mehrwertausgleich soll das Verschieben von Bauzonen an geeignete Lagen unterstützen. Einen Teil

der rund 2000 Hektaren unüberbauter Bauzonen im Kanton könnten wir dafür verwenden. Doch auch das ist kein Selbstläufer. So haben die Stimmberechtigten in der Region Zimmerberg 2022 eine Richtplanvorlage abgelehnt, die ein grösseres, stadtnahes Gebiet in Adliswil zur Überbauung vorschlug. Und Uster hat kürzlich beantragt, auf das grosse Entwicklungsgebiet Eschenbühl zu verzichten.

Sara Künzli: Wir halten am Trennungsgrundsatz und der Siedlungsentwicklung nach innen fest. Wollen wir grosse Freiflächen an geeigneten Lagen einzonen, fragt sich, ob wir dafür andernorts in gleichem Umfang auszonen können. Auch die Freiflächen erfüllen wichtige Zwecke. Auch darum ist dieser Vorschlag nicht so einfach umsetzbar. Zehn Jahre mit dem RPG 1 liegen hinter uns. Welche Prioritäten setzen Sie für die nächsten zehn Jahre Innenentwicklung ?

Sara Künzli: Das ARE versteht sich in den laufenden gesellschaftlichen Veränderungen als verlässlicher und kooperativer Partner. Zusammenarbeit braucht manchmal mehr Zeit. Aber sie ist unabdingbar, um neue, gute Antworten zu finden. Doch wir müssen auch verlässlich sein bezüglich der Leitlinien, die wir festlegen, und hoheitliche Aufgaben umsichtig erfüllen. Es besteht ein Widerspruch zwischen mehr Interessen, die berücksichtigt werden müssen, und der Forderung nach einfacheren Verfahren. Wir kennen die Lösung noch nicht, aber wir arbeiten daran.

Benjamin Meyer: Für mich stehen drei Themen im Vordergrund. Erstens müssen wir eine Debatte darüber führen, wie viel Wachstum wir wollen. Zweitens müssen wir über die Ausrichtung der Raumplanung diskutieren: Wo und wie setzen wir die Innenentwicklung fort ? Gelingt uns eine qualitätsvolle Transformation bestehender Quartiere oder bauen wir wieder auf die grüne Wiese ? Ich meine: sicher nicht! Drittens müssen wir als Kanton die Gemeinden unterstützen, gerade in den Bereichen Klimaanpassung oder Weiterbauen im Bestand – indem wir die Regelungen anpassen, aber auch beraten und zusammenarbeiten. Raumplanung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. ●

Sara Künzli

Am 1. Juni 2024 wird Sara Künzli Chefin des Amts für Raumentwicklung ( ARE ).

Die Juristin und Raumplanerin arbeitete im kantonalen Amt für Verkehr, in der Privatwirtschaft und bei der Stadt Zürich. Seit 2021 ist sie Abteilungsleiterin Recht und Verfahren sowie stellvertretende Chefin des Amts für Raumentwicklung in der Baudirektion des Kantons Zürich.

Benjamin Meyer

Ebenfalls am 1. Juni 2024 wird Benjamin Meyer Kantonsplaner von Zürich. Der Geograf und Raumplaner ist seit 2013 im ARE tätig und leitete von 2015 bis 2020 die kantonale Richtplanung. Seither ist er Leiter der Abteilung Raumplanung und stellvertretender Kantonsplaner.

Das ARE

Das Amt für Raumentwicklung, kurz ARE, ist Teil der Baudirektion des Kantons Zürich. Das ARE beschäftigt 202 Mitarbeitende bei 142 Vollzeitstellen in fünf Abteilungen: Raumplanung, Archäologie und Denkmalpflege, Geoinformation, Recht und Verfahren sowie Zentrale Dienste.

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Barbara Schultz ( S. 24 ) bewahrt den Schwung im Verteilkampf um die Verkehrsflächen. Christiane Dasen baut Brücken, oft im übertragenen Sinn.

Von der Schwierigkeit

des Umsteigens

Das Gesamtverkehrskonzept

Im Kanton Zürich gilt seit 2018 das Gesamtverkehrskonzept ( GVK ). Es formuliert fünf

Ziele:

– Das Verkehrsangebot vervollständigen –das mit der zentralen Absicht, dass in den urbanen Räumen nicht mehr der motorisierte Individualverkehr ( MIV ) dominiert. Um das zu erreichen, will der Kanton ÖV, Fuss- und Veloverkehr in den urbanen Räumen verbessern. Gleichzeitig sollen die Zugänge zu nichturbanen Räumen , eine ausreichende Kapazität für den Durchgangsverkehr sowie ein hoher Benutzungskomfort erhalten bleiben.

- Die Verkehrsnachfrage steuern – durch reduzierte Tagesdistanzen und einen erhöhten Anteil von ÖV-, Velo- und Fussverkehr.

- Die Verkehrssicherheit verbessern –subjektiv und objektiv.

- Den Ressourcenverbrauch und die Belastung von Mensch und Umwelt vermindern sowie die Siedlungsverträglichkeit des Strassenverkehrs verbessern.

- Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit sicherstellen.

www.zh.ch/de/mobilitaet/gesamtverkehrsplanung/gesamtverkehrskonzept.html

Zürcherische Verkehrsplanung ist selten eine versöhnliche Angelegenheit. Ein Blick in die Peripherie zeigt, wieso es zwischen Plan und Umsetzung hapern kann.

Wenn es um die Nutzung des verfügbaren Raums geht, sieht sich der Kanton Zürich mit ganz schön vielen Herausforderungen konfrontiert. Die Bevölkerung wächst. Die Fristen für Klimaziele wie Netto Null laufen. Zersiedelung und Verdichtung verändern Orte und Quartiere. Also ist auch eine zukunftsgerichtete Verkehrsplanung gefragt. Der Kanton hat die Aufgabe, die Verkehrsströme zu lenken, egal, ob Auto-, Velo-, Bus-, Zug- oder Fussverkehr –am besten nach einheitlichen Prinzipien und immer für alle verträglich. Also auch: ohne erhebliche Nachteile für eines der gängigen Verkehrsmittel.

Das erzeugt ein Spannungsfeld zwischen Raumbedarf, Bewegungsgewohnheiten und demokratisch beschlossenen Zielen wie jenen zur Innenentwicklung oder Klimapolitik. Interessenskonflikte sind vorprogrammiert – zwischen Kanton und Gemeinden, zwischen Gemeinden, Gewerbe und Bevölkerung, zwischen verfügbarem und verbautem Raum. Kurz: zwischen Konzept und Umsetzung. Die zentrale Frage lautet: Wie kann der Kanton die Verkehrsbewegungen kanalisieren und bündeln, aber zugleich auch steuern und verändern?

Will der Kanton die im Gesamtverkehrskonzept ( GVK ) festgesetzten Ziele erreichen, muss er mittelfristig das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung verändern. Konkret soll die Hälfte des Verkehrszuwachses, den der Fuss- und Veloverkehr nicht abdeckt, auf den ÖV gelenkt werden. Als Instrument dient der kantonale Richtplan, eine parlamentarisch beschlossene, behördenverbindliche Grundlage. Oder: ein Werkzeugkasten. Davon ausgehend arbeiten die Zürcher Regionen und Gemeinden regionale und kommunale Richtpläne aus, die sich mit konkreten Projekten befassen.

Bedürfnis und Effizienz

Doch die verschiedenen Regionen haben verschiedene Probleme. Das beeinflusse zwar die Steuerung, erklärt Christiane Dasen, Projektleiterin beim kantonalen Amt für Mobilität, « aber nicht das Ziel: Nämlich, dass alle ihre

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Text: Sergio Scagliola

Mobilitätsbedürfnisse stillen können und wir das Gesamtsystem am Laufen halten ». Das sei auch eine volkswirtschaftliche Frage: « Wie viel können und wollen wir in welche Mobilität investieren? » Im Umkehrschluss bedeutet das: Die verschiedenen Probleme sind nicht alle gleich dringend. Lautet das Ziel, die Menschen vom Auto in den Bus, auf das Velo oder auf die Schiene zu bringen, dann scheint es unsinnig, dies gleichzeitig anzugehen. Wichtiger ist es, die Verkehrsströme dort zu bündeln, wo sich am meisten Menschen in die gleiche Richtung bewegen, sprich in die Zentrumsgebiete. « In der Stadt kann man büscheln, weil viele Personen ähnliche Wege zurücklegen. Im ländlichen Raum dagegen sind die Wege und Netze disperser und feingliedriger », sagt Christiane Das en. Schliesslich soll der ÖV-Ausbau effektiv sein: Es bringt wenig, wenn der Bus leer fährt und in den Stosszeiten im Bezirkszentrum trotzdem im stockenden Verkehr steht.

Auf dem Land soll der ÖV die Pendelströme lenken –auf der Schiene. Christiane Dasen erläutert: « Wir zielen darauf ab, dass man im Kanton für den Weg in die Stadt Zürich und ins dicht besiedelte Umland aufs Auto verzichtet, wenn dieses nicht zwingend ist. Wenn sich die grosse Masse mit dem ÖV bewegt, haben auf der Strasse jene Platz, die darauf angewiesen sind. »

Platz wollen allerdings alle. « Letztlich b efinden wir uns in einem Verteilkampf unter den Verkehrsmitteln », s o Christiane Dasen. Grund dafür sind Ansprüche und Gewohnheiten: Das Auto hat zwar noch die Vormachtstellung, wird jedoch wegen seines Platzverbrauchs und der Emissionsbelastung pro Kopf hinterfragt. Deshalb wird fast jede Diskussion darüber zum Politikum – ob es nun um Tempo 30, Velowege oder Parkplätze geht.

Soll der Ressourcenverbrauch gesenkt werden, ist die Haltung des Kantons nachvollziehbar: « Wo es viel ÖV gibt, sehen wir weniger Bedarf für Parkplätze – weil der Raum ja bereits anders erschlossen ist », erklärt Christiane Dasen. Wird es konkret, führt dies allerdings zu teilweise emotionalen Konflikten. So geschehen in Bülach.

Bülach und die Parkplätze

Die Stadt im Norden des Kantons ist laut kantonalem Richtplan ein Zentrumsgebiet mit Handlungspotenzial bei ÖV, Velo- und Fussverkehr. Sie will den Durchfahrtsverkehr reduzieren und den ÖV ausbauen. Was die Verbindungen in die Weiler im Umland betrifft, hat man sich jedoch gegen einen Ausbau entschieden – die Nachfrage fehle. Dieser Fokus auf den Ortskern ist typisch. « Städte wie Bülach, die gewachsen und dichter geworden sind, entdecken ihre Zentren und wollen sie beleben. Gleichzeitig haben sie die Aufgabe, die Gesellschaft zusammenzuhalten und dafür Begegnungsräume zu schaffen », kommentiert Christiane Dasen aus Sicht der Planung.

Derweil klagt das lokale Gewerbe, es fehle an Parkplätzen und auch deshalb an Kundschaft. Doch eine Auswertung der Parkplatzbelegung im Jahr 2019 zeigte, dass die Auslastung zu den gebührenpflichtigen Zeiten, also während der Geschäftsöffnungszeiten, durchschnittlich nur 38 Prozent betrug. Trotzdem führte der Konflikt dazu, dass die Altstadtparkplätze erhalten blieben und bei Bedarf sogar ergänzt werden können. Dabei wollen die Anwohnerinnen das gar nicht unbedingt, wie eine Umfrage zur Fussgängerzone in der Bülacher Altstadt zeigte. Zur Frage, ob sie eine autofreie Altstadt für nötig hielten, sagten 52 Prozent der Wohnungsmieter in der Altstadt Ja. 22 Prozent der Gewerbetreibenden und 23 Prozent der Mieterinnen waren hingegen « sehr unzufrieden » mit dem Verkehrsregime in der Altstadt. Die bestehende Begegnungszone fanden wiederum nur 9 Prozent respektive 5 Prozent von ihnen

schlecht. Dass das Gewerbe nun mehr Parkplätze durchsetzen kann, zeigt, wie anfällig Planungen auf emotionale Reaktionen sind. Barbara Schultz, Fachleiterin Richt- und Nutzungsplanung beim Amt für Raumentwicklung ( ARE ), sagt: « Beim Thema Parkplätze fühlen sich alle betroffen: In jeder Debatte um Fussgängerzonen oder autofreie Ortsteile gibt es starke Reaktionen, etwa die Sorge des Gewerbes, dass dann sofort die Lichter ausgehen. » Man sei es sich gewohnt, das Auto zu nehmen, wenn man damit rechnen könne, einen Parkplatz zu finden, sagt Schultz. Dort, wo dies nicht gilt, ist der ÖV das Standardverkehrsmittel. Als Beispiel nennt die ARE-Fachleiterin den Üetliberg, auf den man nicht mit dem Auto hochfahren kann – was aber alle tun würden, hätte es dort 50 Parkplätze.

Der Zug nach Zug

Dass es schwierig ist, den Richtplan für alle verträglich umzusetzen, weiss man auch im Bezirk Affoltern. Anders als in Bülach betreffen dort die Schwierigkeiten nicht den motorisierten Individualverkehr ( MIV ), sondern den ÖV, genauer: dessen interkantonale Koordination. Die Region Knonaueramt hat in der Verkehrsplanung turbulente Jahre hinter sich – das Resultat: eine Autobahn. Diese entlastet die Dörfer vom Transitverkehr. Die Zürcher Planungsgruppe Knonaueramt ( ZPK ) sieht das sehr p ositiv. « Aber damit wurde der MIV im Knonaueramt auch insgesamt attraktiver », s agt Peter Schärer, Sekretär der ZPK. Dies besonders in Richtung Südwesten bis zur Kantonsgrenze und darüber hinaus, wo der MIV ohnehin beliebt ist. Unterdessen stagniert der ÖV, weil die Siedlungen bereits ers chlossen sind, ob mit Bahnhöfen und S-Bahn, mit Bussen zur S-Bahn oder mit Direktbussen etwa nach Zürich.

Affoltern am Albis liegt zwischen zwei urbanen Zentren. Nicht nur der Siedlungsdruck von Zürich, sondern auch jener von Zug macht sich in der Gemeinde bemerkbar. In beiden Städten ist bezahlbarer Wohnraum akute Mangelware. Darum möchte das Knonaueramt den ÖV im Südwesten schon lange ausbauen. Doch das kantonale Raumordnungskonzept definiert den südlichen Teil der Region als « Landschaft unter Druck », als « Kulturlandschaft » oder «Naturlandschaft». Dort sei auf die Steigerung der Erschliessungsqualität zu verzichten, um Zersiedelung zu verhindern. In den Augen von Marsilio Passaglia, Regionalplaner des Knonaueramts, ist das problematisch: « Die Zersiedlung wird bereits und in erster Linie durch die abschliessende Festlegung des Siedlungsgebiets im kantonalen Richtplan begrenzt: Die Gemeinden ausserhalb der urbanen Handlungsräume dürfen gar keine Einzonungen mehr vornehmen. » Das kantonale Raumordnungskonzept sei einseitig auf die Stadt Zürich als Hauptzentrum der Metropolitanregion ausgerichtet, kritisiert Regionalplaner Passaglia. « Es blendet aus, dass es auch Pendlerbewegungen über die Kantonsgrenzen hinaus gibt. » Der Zürcher Verkehrsverbund argumentiere zudem mit dem niedrigen Kostendeckungsgrad. All dies widerspreche dem kantonalen Gesamtverkehrskonzept, das verlange, den Anteil des ÖV an der Mobilität zu steigern.

Der Kanton verlangt von den Gemeinden Zusammenarbeit und ist selbst dazu verpflichtet, mit den benachbarten Kantonen zusammenzuarbeiten. Allerdings ist dabei oft unklar, wer zuständig ist. Im betreffenden Fall sieht Christiane Dasen die Zuständigkeit bei der Stadt Zug: « Das Zuger Siedlungsgebiet wächst wegen seiner wirtschaftlichen Anziehungskraft. Wird dadurch das Wohnen teurer, beginnen die Leute auszuweichen, auch über die Kantonsgrenze hinaus. In dieser Situation muss der Kanton Zug dafür sorgen, dass die im Kanton Zug Beschäftigten mit dem ÖV zur Arbeit pendeln. »

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Autofreie Haushalte

1994 – 2021, Kanton Zürich

Langsam, aber stetig nimmt die Zahl der Haushalte ohne Auto zu – auch ausserhalb der Städte. Die helleren Bereiche zeigen den erhebungsbedingten Ungenauigkeitsbereich.

Quelle: BFS, ARE, Mikrozensus Mobilität und Verkehr ( MZMV ); G rafik: Hochparterre

Anteil der Haushalte ohne Auto Stadt Zürich Stadt Winterthur

Kanton Zürich Übrige Gemeinden

Entwicklung des Modalsplits

1994 – 2021

Die Grafik zeigt den Anteil der Verkehrsmittel an der durchschnittlichen Tagesdistanz. Nach wie vor dominiert das Auto als Verkehrsmittel. Der ÖV gewinnt nur mühsam an Terrain. 2021 prägte die CovidPandemie das Verkehrsverhalten: Im Vergleich zu 2015 nahm die durchschnittliche Tagesdistanz um 19 Prozent ab. Der Anteil des ÖV sank, jener des Autos stieg.

Quelle: BFS, ARE, MZVM; Grafik: Hochparterre

Übrige

Motorisierter Individualverkehr ( M IV ) Öffentlicher Verkehr Fuss- und Veloverkehr

Modalsplit nach Verkehrszweck

2021, Kanton Zürich

Die Gesamtfläche entspricht der mittleren Tagesdistanz der Zürcher Bevölkerung. Sie ist flächentreu in kleinere Rechtecke unterteilt. Diese zeigen zum Beispiel, dass das Auto auch in der Freizeit das mit Abstand wichtigste Verkehrsmittel ist. Allerdings sind auch diese Zahlen von der Covid-Pandemie beeinflusst.

Quelle: BFS, ARE, MZVM;

Grafik: Statistisches Amt Kanton Zürich; Bearbeitung: Hochparterre

Anteil der Verkehrsmittel und Verkehrszwecke an der Tagesdistanz

Übrige

Motorisierter Individualverkehr ( M IV ) Öffentlicher Verkehr

Fuss- und Veloverkehr

Themenheft von Hochparterre, Mai 2024 Zürcher Zwischenbilanz Von der Schwierigkeit des Umsteigens 28 Pr o ze nt 0 60 2040 2005 2021 2015 2010 1994 2000 1984 1999 1990 2011 2008 1981 1996 1993 2014 2005 2002 2017 2006 1982 1997 1994 2015 2003 1985 2000 1991 2012 2009 2018 1980 2013 2010 2007 2016 1992 2004 2001 1989 1983 1998 1995 Kilom et er 02000400060008000 Kanton Zürich Schweiz 1994 1994 2010 2010 2000 2000 2015 2015 2005 2005 2021 2021 Pr ozent 0 60 20 80 40 0 60 20 80 40 Proz en t 0 60 20 80 40
Arbeit Ausbildung Freizeit Sonstiges Einkauf
Kanton Zürich Schweiz 1994 1994 2010 2010 2000 2000 2015 2015 2005 2005 2021 2021 Pr ozent 0 60 20 80 40 0 60 20 80 40 Proz en t 0 60 20 80 40 Kanton Zürich Schweiz 1994 1994 2010 2010 2000 2000 2015 2015 2005 2005 2021 2021 Pr ozent 0 60 20 80 40 0 60 20 80 40 Proz en t 0 60 20 80 40

Am Wunschkonzert teilnehmen

Wie lassen sich solche Konflikte in Zuständigkeitsfragen lösen? « In den letzten Jahren hab en sich besonders partizipative Prozesse bewährt. Wenn alle mitdiskutieren können, wird die Planung lösungsorientierter und funktioniert besser. Versucht man dagegen etwas zu forcieren, führt dies meist zu Verzögerungen und Ärger », weiss Christiane Dasen. « Am Ende muss man sich darüber einig sein, wohin man will. » Es geht also darum, gemeinsam ein Wunschkonzert zu dirigieren. So wird sichtbar, was gewünscht und erwartet wird, und was davon schlecht mit dem geteilten Ziel vereinbar ist.

Und da wäre noch ein Aspekt, der die Veränderung von Mobilitätsgewohnheiten behindert: Wohlstand. Unter seinen Bedingungen bedeutet der Ausbau der Infrastruktur eines Verkehrsmittels nicht unbedingt eine Alternative, sondern eine Zusatzoption: Wer Velo oder Auto fährt, nimmt auch mal den ÖV. Maximaler Komfort, maximale Geschwindigkeit und maximale Sicherheit sind nicht in einem Verkehrsmittel vereinbar – wer es sich leisten kann,

Länge der Strassen

1980 – 2023, Kanton Zürich

Der Umfang des Strassennetzes ist überraschend stabil. Seit 1980 kamen rund 440 Kilometer hinzu. Die Gesamtzahl von 7364 Kilometern ist jedoch nach Bern und Waadt die dritthöchste schweizweit. Hinweis: Die Grafik bildet lediglich den Zeitraum bis 2018 ab, weil in diesem Jahr die Berechnungsmethode änderte. Spätere Daten sind daher nicht mehr vergleichbar. Quelle: BFS, ASTRA, Swisstopo

National-, Kantons- und übrige dem M otorfahrzeugverkehr geöffnete

Strassen

Prognose Modalsplit bis 2040

Die Grafik zeigt alle Wege des durchschnittlichen Werktagsverkehrs ( Quell-, Ziel- und Binnenverkehr ). Wie die drei Beispiel-Regionen zeigen, hält die Dominanz des Autos an.

Es handelt sich um eine modellierte Reproduktion der realen Verkehrssituation. Die Referenzprognose beruht auf gefestigten Trends sowie auf beschlossenen und finanzierten Projekten, die Strategieprognose hingegen auf den raumplanerischen Zielen

Quelle: Gesamtverkehrsmodell

Kanton Zürich 2019

Verkehrsmittel

Motorisierter Individualverkehr Öffentlicher Verkehr

Fuss- und Veloverkehr

verzichtet auf nichts. Der daraus resultierende Verteilkampf spiele sich nicht nur innerorts ab, sagt ARE-Fachleiterin Barbara Schultz: « Auch ein Veloweg verbraucht Landschaft. Will man jedem Verkehrsmittel den maximal komfortablen Platz geben, dann kostet das. Irgendjemand bezahlt, und das nicht nur mit Geld. »

Um die kantonalen Verkehrsziele zu erreichen, ist ein planerischer Werkzeugkasten entscheidend, der vorgibt, dass Ressourcen – ob Landschaft, Personal oder Geld – gezielt und nachhaltig genutzt werden müssen. In der Verkehrsplanung besteht dieser Werkzeugkasten aus dem revidierten und an das Raumplanungsgesetz angepassten Richtplan und dem Gesamtverkehrskonzept. 2024 werden sie zehn beziehungsweise sechs Jahre alt. Mit Blick auf die Lage in Bülach und im Knonaueramt könnte man folgern, dass sie inhaltlich zwar überzeugen, vor Ort aber rasch infrage gestellt sind. ●

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Wilhelm Natrup freut sich auf den Absprung.

Zürcher Zwischenbilanz

Seit 2014 gelten im Kanton Zürich das verschärfte Raumplanungsgesetz und der darauf abgestimmte Richtplan. Die Aufgabe der Raumplanung: konsequente Innenentwicklung bei gleichzeitig starkem Bevölkerungs­ und Wirtschaftswachstum. Der Komplexitätsgrad: hoch. Es ist eine Situation voller Zielkonflikte und Ambivalenzen. Dieses Themenheft zieht eine Zwischenbilanz nach zehn Jahren. Und das auf zwei Ebenen: Infografiken veranschaulichen die nüchternen Fakten der Veränderung, Texte erzählen von Menschen, die in unterschiedlichen Rollen an der Innenentwicklung und damit in der spannungsvollen Situation arbeiten.

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