Ein Kanton wächst

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Themenheft von Hochparterre, Oktober 2021

Ein Kanton wächst

Bis 2040 soll im Kanton Solothurn viel neuer Lebens- und Arbeitsraum entstehen. Grosse Industriebrachen in und um Solothurn, Dornach und Olten sind im Umbruch.

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Vielerorts ist der Kanton Solothurn ländlich. Das soll auch so bleiben, denn der Kanton will sein Wachstum in und um die Städte konzentrieren.

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Editorial

Aus Industriebrachen werden Lebensräume

Inhalt

4 Gegenwart und Zukunft Vier grosse Industrieareale werden derzeit umgenutzt.

12 Auf einen Blick Entwicklungsareale, Regionen und die wichtigsten Zentren.

14 « Solothurn ist ein Kanton der Regionen » Kantonsbaumeister und Baudepartementsvorsteher im Gespräch.

16 Kanton der Gegensätze Vom logistischen Mittelpunkt der Schweiz bis zum peripheren Juratal.

22 Zwei Städte, zwei Entwicklungen Wohnräume für Solothurn und ein neu gestalteter Bahnhof für Olten.

Am Anfang stand die Frage, welche Risiken und Chancen grosse Entwicklungsareale ausserhalb der städtischen Zentren in der Schweiz bieten. Sie geraten immer mehr in den Fokus professioneller Anleger, da ein grosser Teil der Industriebrachen im urbanen Raum bereits umgenutzt oder zumindest verplant ist. Das 110 Hektar grosse Areal der Cellulosefabrik Attisholz in der Nähe der Stadt Solothurn ist eine beispielhafte Industriebrache im ländlichen Raum. Es traf den Kanton hart, als die Fabrik 2008 geschlossen und 450 Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen wurden. Heute gilt die Umnutzung des nördlichen Arealbereichs als Paradebeispiel einer erfolgreichen Wiederbelebung. Sie ist zudem Beispiel für eine Regierung, die die Aufräumarbeiten selbst in die Hand nimmt. Weil der Kanton « mitreden wollte, was nach der Still­legung der Cellulosefabrik » passiert, wie sich Baudirektor Roland Fürst im Interview auf S. 14 erinnert, hat er fast die Hälfte des 110 Hektar grossen Areals gekauft und selbst entwickelt. Dies hätte auch schiefgehen können. Doch 2016 gelang es, den Biotechnologiekonzern Biogen vom Standort zu überzeugen. Das Unternehmen baute eine Produktionsanlage und will bis zu 600 Arbeitsplätze schaffen. Dieses Themenheft spürt den nächsten vier grossen Umnutzungsprojekten im Kanton Solothurn nach: Attisholz Nord, Papieri in Biberist, Riverside in Zuchwil und Wydeneck in Dornach. An einigen dieser Standorte sind die Bagger längst aufgefahren, andere ruhen noch im Dornröschenschlaf. Das Heft wirft auch einen Blick auf aktuelle Entwicklungs- und Bauprojekte in den beiden Zentren Solothurn und Olten. Eine Analyse der Bevölkerungsentwicklung und der Beschäftigungslandschaft vergleicht den Mittellandkanton mit der gesamten Schweiz. Der Fotograf Alexander Jaquemet hat den Kanton mit der Kamera im Gepäck bereist.  Roderick Hönig

Impressum Verlag Hochparterre AG  Adressen  Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Verleger  Köbi Gantenbein  Geschäftsleitung  Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid  Verlagsleiterin  Susanne von Arx  Konzept und Redaktion  Roderick Hönig  Fotografie  Alexander Jaquemet  Art Direction  Antje Reineck  Layout  Barbara Schrag  Produktion  Nathalie Bursać, Marion Elmer  Korrektorat  Mirjam Läubli, Lorena Nipkow Lithografie  Team media, Gurtnellen  Druck  Stämpfli AG, Bern Herausgeber  Hochparterre in Zusammenarbeit mit Wüest Partner Bestellen  shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.—

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Attisholz im Nebel: Blick vom Süd- aufs Nordareal. Am gegenüberliegenden Aareufer will Besitzerin Halter bis 2040 rund 1400 Wohnungen erstellen.

Gegenwart und Zukunft Vier grosse Industrieareale befinden sich derzeit in verschiedenen Stadien der Umnutzung. Ein Augenschein zeigt, was es dabei braucht: Kreativität, Schnelligkeit, Flexibilität und Geduld. Text: Reto Westermann

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Vorbildliche Umnutzung: Die ehemaligen Klärbecken der Cellulosefabrik Attisholz sind heute Teil des Uferparks Attisholz, entworfen von Mavo Landschaften. Themenheft von Hochparterre, Oktober 2021 —  Ein Kanton wächst — Gegenwart und Zukunft

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Gut die Hälfte des Wydeneck-Areals in Dornach mietet bis 2024 noch Swissmetal. Bis 2040 will die Hiag hier über 1000 Wohnungen und Arbeitsplätze realisieren.

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Wer beim Bahnhof Luterbach zum Aareufer abbiegt, betritt eine andere Welt. Plötzlich taucht, fast schon surreal anmutend, das klobige Produktionsgebäude des amerikanischen Biotechunternehmens Biogen im Niemandsland auf. Kaum vorstellbar, dass sich hier bis 2006 das Holzlager der Cellulosefabrik Attisholz sowie landwirtschaftlich genutzte Flächen befanden. Historische Bilder zeigen Berge von Baumstämmen, die auf die Weiterverarbeitung warten. Wer im Gewirr der jüngst angelegten Strassen und Baustellen den Weg findet, landet schliesslich beim neuen Uferpark. Diesen hat der Kanton 2019 in und neben den Becken und Kammern der ehemaligen Fabrik-Kläranlage angelegt. Noch heute verbinden Rohrleitungen und eine Brücke die beiden Arealbereiche über die Aare hinweg. Vor der Brücke treffen ein amerikanischer Grosskonzern und die beschauliche Solothurner Landschaft aufeinander. Während auf der einen Seite Pfosten mit Videokameras stehen und Schilder, zum Teil auf Englisch, die vor dem unbefugten Betreten des Biogen-­ Areals warnen, fällt der Blick flussabwärts auf das Grün der Aarelandschaft und der Jurakette.

Umnutzung produziert Verkehr Neue Wohnungen und Arbeitsplätze an Standorten, die vom öffentlichen Ver­kehr schlecht erschlossen sind, bringen immer auch neuen Autoverkehr mit sich. Deshalb werden parallel zur Nutzungs­ entwicklung von Arealen Mobilitätskonzepte ausgearbeitet. In ihrem Fokus stehen die Festlegung einer maximal verträglichen Anzahl Autofahrten pro Tag sowie darauf basierend der Modalsplit, also die Aufteilung zwischen öffentlichem, Fuss- und Velo- sowie motorisiertem Individualverkehr ( MIV ). Das Mobilitätskonzept für Attisholz Nord, das das Planungsbüro Kontextplan ausgearbeitet hat, sieht eine Begrenzung auf maxi­mal 5000 Autofahrten pro Tag und einen Modalsplit von 27 Prozent öffentlicher Verkehr, 35 Prozent Fuss- und Veloverkehr sowie 38 Prozent MIV vor. Diese restrik­tiven Zielwerte basieren auf der Idee eines ‹ Areals der kurzen Wege ›,

also eines, das Wohnen, Arbeiten, Ein­ kaufen und soziale Einrichtungen in Gehund Velo­distanz zusammenbringt, so Kontextplan-Geschäftsführer Markus Reichenbach. D ­ ie mittel- bis länger­ fristigen Entwicklungen können jedoch zum heutigen Zeitpunkt nur schwer abgeschätzt werden. Reichenbach geht davon aus, dass sich das Mobilitätsver­ halten in Zukunft deutlich verändern wird. Umso wichti­ger wird das Monitoring und Controlling, das die tatsächliche Arealund Ver­kehrsentwicklung periodisch beurteilt. Deshalb wird für die Begleitung der Arealentwicklung ein Mobilitätsgremium eingesetzt. Es besteht aus Vertretern der Bauherrschaft, der Gemeinde und des Kantons und kann – im Sinne eines selbstlernenden Prozesses – das heutige Mobilitätskonzept basierend auf Er­fah­rungen, neuen Gegebenheiten oder Entwicklungen in einem gewissen Rahmen anpassen.

Vier Areale im suburbanen Raum Aktuell befinden sich im Kanton vier grosse Areale in verschiedenen Phasen der Transformation, eines davon gegenüber dem neuen Uferpark im Nordteil der ehemaligen Attisholz-Fabrik. Knapp zwei Kilometer flussaufwärts entsteht im Riverside-Areal – einst eine Sulzer-Produktionsstätte – der erste Teil eines neuen Wohnquartiers. Fünf Kilometer südlich wartet das Papieri-Areal in Biberist auf Nutzer und Bewohnerinnen, und in der Nordostecke des Kantons, an der Grenze zu Basel-Landschaft, macht das ehemalige Metalli-Areal – heute Wydeneck genannt – erste Schritte in die Zukunft. « Durch die industrielle Tradition verfügen wir über eine Grosszahl an bestens ausgebildeten Arbeitskräften für Industrie und Gewerbe », wirbt Kantonsbaumeister Guido Keune für den Standort Solothurn. Entsprechend setzt der Kanton bei der Umnutzung von Arealen nicht nur auf Wohnprojekte, sondern versucht auch, neue Betriebe anzusiedeln. « Die industrielle Produktion ist ein wichtiger Eckpfeiler unserer Wirtschaft und soll es auch bleiben », sagt Keune. Ob die Rechnung aufgeht, weiss heute noch niemand. Prognosen sehen bis 2045 für den Kanton einen Zuwachs von acht Prozent vor. Bei der Wohnnutzung sind die Szenarien weniger deutlich: entweder Stagnation bis 2042 oder Bevölkerungswachstum von bis zu zwanzig Prozent. Diese unklare Ausgangslage verlangt von den Arealentwicklern ein differenziertes Vorgehen, das möglichst lange viele Türen offenlässt. Ein Besuch vor Ort und Gespräche mit den Arealbesitzern zeigen, dass diese darauf mit massgeschneiderten Lösungen und ganz unterschiedlichen Rezepten reagieren. Attisholz – urbanes Wohnen am Fluss Schauplatz eins ist das Attisholz-Areal am Nordufer der Aare, das seit 2016 Halter gehört. Aufgrund der Lage am Wasser und des Weitblicks in die Alpen setzen die Entwickler hier schwergewichtig auf Wohnungsbau. Bis zu 1400 Einheiten sollen auf dem fünf Hektar grossen Areal entstehen. Der Weg dorthin ist lang, dessen ist man sich bewusst: « Hier entwickelt man über zwei Jahrzehnte hinweg – Attisholz ist für uns ein Generationenprojekt », sagt Andreas Campi von Halter. Die Perspektive reicht denn auch bis 2045. Campis derzeitige Hauptaufgabe: Attisholz als künftigen Wohnort in den Köpfen potenzieller Neuzuzüger und Bewohnerinnen verankern. Da diese nicht von alleine kommen, setzt das Unternehmen auf eine Entwicklung in mehreren Phasen. Dabei soll das Areal langsam →

Das Areal Attisholz Nord ist rund 500 000 Quadratmeter gross. Ein guter Nutzungsmix soll für kurze Wege und damit weniger Verkehr sorgen.

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Auf dem knapp drei Hektar grossen Papieri-Areal in Biberist setzt die Besitzerin Hiag auf Gewerbe- und Industrienutzungen.

Riesig und leer: Ehemalige Industriehallen in Biberist, manche so gross wie mehrere Fussballfelder zusammen, warten auf neues Leben.

→ zu einem Ort werden, den man im Umkreis von zwanzig Kilometern kennt. Heute stehen angejahrte Industriebauten dicht beieinander, die bis zu dreissig Meter in die Höhe ragen. Links und rechts der Hauptachse des Areals – auf dem künftigen Boulevard – finden sich Street-ArtKunstwerke. Nicht illegal angebracht, sondern ganz offiziell. Auch sonst wird das Gefühl eines halb verlassenen Industrieareals heraufbeschworen: Grosse Betonblöcke bilden eine Open-Air-Arena für bis zu 800 Zuschauende. Weiter oben turnen Kinder auf dem neu erstellten Spielplatz in ehemaligen Silos, und dahinter steht die umgebaute Kiesofenhalle. Sie bietet 2000 Plätze und wird mit Kultur bespielt – alles Massnahmen, um künftige Bewohnerinnen und Nutzer aufs Areal zu locken. Neben zwei Gastrobetrieben sind derzeit rund 150 weitere Gewerbetreibende eingemietet. Anspruchslose Pioniere nennt Entwickler Campi die aktuellen Nutzer. Eines von Halters Vorbildern für die Entwicklung ist das Areal Wynwood in Miami, wo Street-Art eine wichtige Rolle spielt. Auf dem Attisholz-Areal macht Halter – parallel zur Übergangsnutzung – auch planerisch vorwärts. Das Richtprojekt wurde 2016 entwickelt siehe Seite 11. Kernstück der Neunutzung werden die hohen Bestandesgebäude entlang des Boulevards sein. Parallel zur Planung wurden mit der Gemeinde alle Details für das weitere Vorgehen geregelt. « Für Riedholz ist das ein grosser Wachstumsschritt, daher ist es wichtig, dass alle mit dabei sind », sagt Campi. Die Unterstützung von Gemeinde und Kanton ist gross. « Das klappt hier in Solothurn bestens, die Leute sind greifbar, und bei Veranstaltungen taucht selbst der zuständige Regierungsrat persönlich auf – das sind wir uns im grossstädtischen Umfeld nicht gewohnt », freut sich Campi. Seit Sommer 2021 steht die Nutzungsplanung. Damit ist der Weg frei für die Entwicklung der Baufelder. In vier Jahren sollen im Kernareal die ersten Wohnungen bezugsbereit sein. Parallel dazu treibt Halter die Freiraumgestaltung voran. « Hier auf dem Land müssen der Freiraum und die Adressierung von Beginn weg stimmen, nur dann kommen die Leute auch – deshalb starten wir die Umnutzung mit einem Studienauftrag für Landschaftsarchitekten », sagt der Entwickler. Gelöst werden muss bis in vier Jahren auch das Problem des Anschlusses an den öffentlichen Verkehr. Der Bahnhof des nächsten Dorfes Riedholz ist weit weg. Doch der Pfad für einen besseren Anschluss ist bereits geebnet: Die neue Buslinie 10, die vom Bahnhof Solothurn bis ans Südufer des Attisholz-­Areals fährt, ist unter der Woche bereits in Betrieb. Ihr Takt wird bis zur Eröffnung des Nordareals sukzessive erhöht. Im Rahmen des Mobilitätskonzepts soll dann auch der Brücken­schlag über die Aare erfolgen. Eine Interessen­gemeinschaft verfolgt zudem den Bau einer Gondelbahn von Solothurn bis ins Areal. Riverside – grünes Gewerbequartier in Stadtnähe Schauplatz zwei, das Riverside-Areal, befindet sich zwar auf dem Boden von Zuchwil, ist aber Teil des Einzugsgebiets von Solothurn. Die einstige Textilmaschinenfabrik wurde 2012 von Swiss Prime Site als Entwicklungsprojekt gekauft und gehört heute der Swiss Prime Anlagestiftung ( SPA ). Die Ausgangslage ist eine andere als in Attisholz: Der Bahnhof Solothurn und die Altstadt sind nur eineinhalb Kilometer entfernt. Die Hallen der Fabrik waren vermietet, und der unbebaute nördliche Grundstücksteil zur Aare hin bot sich für Wohnbauten an. « Die durchmischte Nutzung des Areals ist attraktiv und bietet eine gute Ausgangslage für die Entwicklung », so Tobias Hossfeld, Riverside-­Projektleiter bei Swiss Prime Site Solutions, der Geschäftsführerin und Ver- →

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Werbung vor Ort: Eine Pop-up-Bar auf dem Riverside-Areal in Zuchwil bewirbt die 700 geplanten Wohnungen, ein Teil von ihnen ist bereits dieses Jahr bezugsbereit. Themenheft von Hochparterre, Oktober 2021 —  Ein Kanton wächst — Gegenwart und Zukunft

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→ mögensverwalterin der SPA. Der Zukauf des Widi-Areals im Jahr 2016, das östlich angrenzt, ermöglicht es der SPA zudem, weitere Wohnhäuser sowie ein Erholungsgebiet an der Aare zu realisieren. Vergleichsweise schnell ging und geht die Entwicklung deshalb voran. Vier Jahre nach dem Kauf lag der Masterplan vor. Er sieht den Bau eines neuen, durchgrünten Wohnquartiers zwischen den bestehenden Industriehallen und dem Aareufer vor. Der Grossteil der Fabrikbauten bleibt bestehen und wird renoviert. Einzig die nördlichste Halle soll mittelfristig weichen und die gewonnene Fläche Teil des Uferquartiers werden. Die ersten fünf Wohnhäuser mit insgesamt 140 Wohnungen nach den Plänen von GSJ Architekten aus Solothurn und AGPS aus Zürich stehen bereits im Rohbau und sollen 2022 alle bezogen sein. « Die nächsten Etappen sind vorgespurt und werden parallel zur Nachfrage nach und nach realisiert », sagt Projektleiter Hossfeld. Spätestens im Jahr 2032 soll die Umnutzung gemäss Plänen der SPA abgeschlossen sein. Papieri Biberist – Flächen für Industrie und Gewerbe Ein ganz anderer Anblick bietet sich fünf Kilometer südlich auf dem Papieri-Areal in Biberist, dem dritten Schauplatz. Das fast drei Hektar grosse Gelände der einstigen Papierfabrik ist derzeit noch Terra incognita. Mit dem Auto fährt man fast 500 Meter den Zaun entlang, die Tore sind zu. Nur ein paar Schilder machen auf das Eventlokal P 9 sowie ein paar Gewerbebetriebe aufmerksam. « Da bis vor Kurzem in den Hallen Demontage- und Aufräumarbeiten liefen, ist das Gelände aus Sicherheitsgründen noch nicht frei zugänglich », sagt Michele Muccioli. Er ist bei der Hiag, die das Areal 2012 erworben hat, für die Entwicklung zuständig. Die Ausgangslage zeigt sich ungleich schwieriger als am Aareufer: Für neue Wohnungen ist dieser Teil von Biberist höchstens im Bereich des Bahnhofs attraktiv. Deshalb setzt die Hiag vor allem auf Gewerbe- und Industriebetriebe. Nur maximal dreissig Prozent der Fläche in nächster Nähe zum Bahnhof sollen gemäss Masterplan von 2015 einer Mischnutzung mit Wohnen zugeführt werden. Doch auch wenn das Papieri-­ Areal mit einer zentralen Lage innerhalb der Schweiz und riesigen Flächen punkten kann, stehen künftige Gewerblerinnen und Nutzer nicht Schlange. « Um hier erfolgreich umnutzen zu können, muss man unkonventionell denken, schnell und flexibel sein », sagt Entwickler Muccioli. Flexibel sein heisst für ihn etwa, auf einen Gestaltungsplan zu verzichten. « Dieses Instrument funktioniert bei einer raschen Entwicklung in Gebieten mit hoher Nachfrage, hier ist das Korsett zu eng », sagt Muccioli. Er könne heute noch nicht wissen, wer in zehn oder fünfzehn Jahren seinen Betrieb auf dem Areal ansiedeln möchte und wie dann die Anforderungen aussehen würden: « Wenn man Pech hat, passt die Gebäudebreite oder –höhe im Gestaltungsplan dann grad nicht. » Flexibel ist die Hiag auch, da sie das Areal nicht verkaufen will und daher keine Investorinnen, sondern Nutzer sucht. Schnell sein bedeutet für Muccioli, die Arealflächen so vorzubereiten, dass eine Interessentin ihre Pläne ab Vertragsunterzeichnung in zwölf Monaten realisieren kann. Deshalb werden die Besitzer auf einer 20 000 Quadratmeter grossen Arealflä­ che einen Teil der alten Hallen im Voraus abreissen. « Ein freies Baufeld ist bei Verhandlungen mit Interessenten psychologisch wichtig », hat der Entwickler festgestellt. Unkonventionell Denken bedeutet für ihn, in verschiedensten Branchen nach potenziellen Nutzerinnen zu suchen. « Alle hätten gerne Hightechfirmen – aber da steht man in nationaler oder internationaler Konkurrenz », sagt Muccioli. Für ihn zählen deshalb nicht die Namen, son-

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dern die Bedürfnisse der künftigen Nutzer. Und hier kann er mit der grossen Kelle anrichten ; so ist etwa das Baufeld, auf dem heute die Papiermaschinen-Halle steht, so gross wie sechs Fussballfelder und könnte in kurzer Zeit zum Standort für eine internationale Firma mit hohem Flächen- und Infrastrukturbedarf werden. Wydeneck – Wohnen mit Baselanschluss Muccioli ist zugleich für die Entwicklung des vierten Schauplatzes, des ehemaligen Areals der Swissmetal in Dornach, zuständig. Die Hiag hat es 2015 erworben und nutzt es unter dem Namen ‹ Wydeneck › um. Das Areal auf Solothurner Boden gehört zum Einzugsgebiet der Stadt Basel und profitiert von ihrer urbanen Anziehungskraft. Trotzdem kann die Besitzerin in Dornach nicht mit demselben Tempo umnutzen, wie dies in Zürich der Fall wäre, sondern muss auch hier aufgrund der Komplexität schrittweise den Erfolg suchen. Die aktuelle Planung geht von mindestens fünfzehn bis zwanzig Jahren Umnutzungsdauer aus. Gut die Hälfte der Fläche mietet bis 2024 noch Swissmetal, im restlichen Areal sind erste Übergangsnutzer eingezogen. Wie das Wydeneck-Quartier nach 2040 aussehen wird, ist aber schon klar. Den Grundstein dafür legte eine Testplanung, die 2018 in einen Masterplan mündete. Dieser sieht einen Wohnanteil von rund siebzig Prozent vor sowie einen grossen Grünraum zum heute kaum zugänglichen Birsufer hin. « Die Birs als Naherholungsort ist neben dem nahe gelegenen Basel ein wichtiger Pluspunkt des Areals », sagt Muccioli. Zusätzlich erhöht werden könnte die Attraktivität durch eine Verbindung mit dem in Realisation befindlichen Vollanschluss an die Schnellstrasse im benachbarten Aesch. Voraussetzung dafür ist der Bau eines Zubringers von Dornach her, der am Wydeneck-Quartier vorbeiführt. Ein Entscheid zur künftigen Linienführung steht aber noch aus. Bereits klar ist aber, dass 2026 / 27 die neue SBahnstation Apfelsee in Betrieb geht – direkt neben dem Areal. Auf diesen Zeitpunkt hin plant die Hiag auch die Fertigstellung von bis zu 200 Wohnungen. Gleichzeitig sollen grosse Teile des Aussenraums realisiert sein. Analog zum Attisholz-Areal misst auch Michele Muccioli diesem Aspekt eine grosse Bedeutung bei. « Wir müssen hier eine attraktive Destination kreieren, ansonsten kommen die künftigen Bewohnerinnen und Nutzer trotz S-Bahnanschluss nicht. » Geduld und Geld Der Augenschein auf den vier Arealen zeigt: Der Kanton Solothurn ist eine Region, in der grosse ehemalige Industrieareale einer neuen Nutzung zugeführt werden können. Neben Flexibilität und kreativen, massgeschneiderten Lösungen brauchen die Besitzer dazu vor allem zwei Dinge: Geduld und ein grosses Portemonnaie. Geduld, um Projekte mit einem Zeithorizont von bis zu dreissig Jahren zu entwickeln, und ein grosses Portemonnaie, um Geld vorzuschiessen, bis nach Jahrzehnten der Return on Investment kommt. Eine Faustregel besagt, dass für die Entwicklung eines Areals drei bis fünf Prozent der Gesamtkosten investiert werden müssen. Allein beim Attisholz-Areal, dessen Umnutzungskosten auf eine Milliarde Franken geschätzt werden, dürfte sich die Summe also auf dreissig bis fünfzig Millionen Franken belaufen.

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Attisholz 1881 gründete Benjamin Sieber die Cellulose Attisholz, damals die einzige Cellulosefabrik der Schweiz. Das Unternehmen wuchs und belegte in seiner Blütezeit rund eine Million Quadratmeter entlang beider Aareufer. Eine Eisenbahnbrücke sowie Brücken mit Rohrleitun­ gen verbanden die beiden Werksteile. Zum Konzern gehörte ab 1914 auch die Firma Tela mit Standorten in Balsthal und Niederbipp, später kam das deutsche Unternehmen Hakle hinzu. 1999 wurde der Konzern an Kimberly-Clark verkauft. Im Jahr 2000 übernahm die EMS-Chemie die Cellulose Attisholz, verkaufte sie zwei Jahre später an die norwegische Borregaard, die das Werk 2008 schloss. Grosse Flächen des Südteils des Areals auf dem Boden der Gemeinde Luterbach über­ nahm 2010 der Kanton Solothurn, der einen Teil an den Biotechnologie­konzern Biogen verkaufte. Standort: Riedholz Ursprüngliche Nutzung: Cellulosefabrik Aktuelle Besitzerin:  Halter, Schlieren Jahr des Erwerbs: 2016 Arealfläche:  Rund 500 000 m2, davon 160 000 m2 Industriezone Geplante Nutzung:  1340 Wohnungen, 1400 Büro-, Gewerbeund Gastronomiearbeitsplätze Entwicklungshorizont: 2040 Aktuelle Nutzung:  Gastronomie, Veranstaltungshalle, Spielplatz, Street-Art, Eventund Kreativwirtschaft, Büros und Ateliers Bisherige Entwicklungsschritte:  – Richtprojekt ( 2016 ) – r äumliches Teilleitbild ( 2017 ) – Nutzungsplanung ( 2021 ) Planer:  Burckhardt + Partner, Basel ( Richtprojekt ) ; BSB + Partner, Oensingen ( Nutzungsplan ) ; Kontextplan, Solothurn ( Mobilitätskonzept ) www.attisholz-areal.ch

Riverside Ab 1912 wurden auf dem Areal Uhren hergestellt, in den 1920er-Jahren sattelte man auf Patronen und Werkzeugmaschinen um. Im Jahr 1949 übernahm die Firma Sulzer das Areal, erweiterte es und stellte auf die Fabrikation von Textilmaschinen um. 1982 erwarb Sulzer die Maschinenfabrik Rüti. ‹ Sulzer Rüti › trennte sich 2001 vom Textilmaschinengeschäft und veräusserte es mitsamt dem Areal in Zuchwil an den italienischen Webmaschinenhersteller Promatech. Dieser produzierte in Zuchwil weiter, 2009 wurde die Firma in Itema Weaving um­ benannt. Das Unternehmen ist bis heute auf dem Areal tätig, aktuell noch mit rund 150 Mitarbeitenden. Promatech verkaufte das Gelände bereits 2007 an die britische Firma Nirvana International, von der es Swiss Prime Site im Jahr 2012 erwarb und 2015 an die Swiss Prime Anlagestiftung weitergegeben hat. Standort: Zuchwil Ursprüngliche Nutzung:  Textilmaschinenfabrik Aktuelle Besitzerin:  Swiss Prime Anlagestiftung, Olten Jahr des Erwerbs:  2015 ( 2012 durch Swiss Prime Site als Entwicklungsprojekt ) Arealfläche:  200 000 m2 ( inklusive Zukauf Areal Widi ) Geplante Nutzung:  700 Wohnungen, 1500 Arbeitsplätze in den Bereichen Büro, Industrie, Gewerbe, Retail und Gastronomie Entwicklungshorizont: 2040 Aktuelle Nutzung:  Gastronomie, Veranstaltungshalle, Spielplatz, Street-Art, Eventund Kreativwirtschaft, Büros und Ateliers Bisherige Entwicklungsschritte: – erster Versuch Arrondierung Areal ( 2014 ) – städtebauliches Konzept ( 2015 ) – Arrondierung mit Areal Widi ( 2016 ) – Masterplan ( 2016 ) – Nutzungsplanung und Energiestrategie ( 2016 – 2018 ) – Planerwahlverfahren für die ersten fünf Wohnhäuser ( 2017 ) – Umzonung ( 2018 ) – Entwicklung Büroneubau Rivernest ( 2020 ) – Weiterentwicklung Masterplan ( 2020 / 21 ) – strategische Projektentwicklung und Machbarkeitsstudien in Bezug auf das Quartier prägende Bauten ( 2021 ) Planer:  KCAP Architects & Planners, Zürich ( Masterplan ) ; WAM Planer und Inge­nieu­re, Solothurn ( Ortsplanung ) ; Arge GSJ Architekten, Solothurn / AGPS Architec­ ture, Zürich ( fünf Gebäude mit 140 Wohnungen ) ; David & von Arx Landschaftsarchitektur, Solothurn ( Freiraumplanung ) ; SSM Architekten, Solothurn ( Bürobau Rivernest ) www.riversidezuchwil.ch

Papieri Der Grundstein für die Papierfabrik wurde im Jahr 1862 gelegt. Sie wuchs in den folgenden Jahrzehnten stark. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Produktion auf bis zu 24 000 Tonnen Papier pro Jahr an. Die Öffnung des Schweizer Markts brachte ab den späten 1970er-Jahren die Papierfabrik unter Konkurrenzdruck. Sie fusionierte 1995 mit der Papierfabrik Utzenstorf. Nach dem Konkurs folgten zwei Besitzerwechsel. Im Jahr 2009 übernahm der südafrikanische Papierkon­zern Sappi die Fabrik, stellte den Betrieb jedoch 2011 ein. Standort: Biberist Ursprüngliche Nutzung: Papierfabrik Aktuelle Besitzerin:  Hiag Immobilien Schweiz, Zürich Jahr des Erwerbs: 2012 Arealfläche:  272 000 m2 Geplante Nutzung:  bis zu 400 Wohnungen und 2300 Arbeitsplätze in den Berei­chen Büro, Produktion / Gewerbe, Freizeit und Gastronomie Entwicklungshorizont: 2035 Aktuelle Nutzung:  diverse gewerbliche Übergangsnutzungen, rund 25 Betriebe mit total rund 120 Mitarbeitenden Bisherige Entwicklungsschritte:  – Studienauftrag ( 2014 ) – Masterplan ( 2015 ) – Ortsplanrevision / Teilzonenplanrevision (  ab 2016 ) Planer:  Raumbureau Architecture &  Urbanism, Zürich ; Kuhn Landschaftsarchitekten, Zürich ; WAM Planer und Inge­ nieure, Solothurn ( Studienauftrag und Masterplan ) www.papieri-biberist.ch

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Wydeneck Direkt an der Birs wurden 1895 die Schweizerischen Metallwerke Dornach gegründet. Sie spezialisierten sich auf die Produktion von Halbwerkzeugen aus Buntmetall, die unter anderem von der Uhren- und der Maschinenindus­ trie nachgefragt wurden. Nach der Jahrhundertwende erweiterte man das Angebot mit dem Bau von Pressund Ziehwerken. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Werk seine Blütezeit. Die Rezession der Sieb­ zigerjahre traf auch die Metallwerke hart, und sie fusionierten 1986 zur UMS Schweizerische Metallwerke. 1990 übernahmen die Busch-Jaeger Dürener Metallwerke aus Lüdenscheid die UMS. Im Jahr 2013 übernahm die Baoshida Swissmetal das Unternehmen und beschloss, sich bis 2024 auf den Standort Reconvilier zurückzuziehen. Swissmetal verkaufte das Areal und mietet seit 2015 rund die Hälfte der Fläche. Standort: Dornach Ursprüngliche Nutzung: Metallwerk Aktuelle Besitzerin:  Hiag Immobilien Schweiz, Zürich Jahr des Erwerbs: 2015 Arealfläche:  136 000 m2 Geplante Nutzung:  650 bis 800 Wohnungen, 500 Arbeits­ plätze in den Bereichen Büro, Gewerbe und Gastronomie Entwicklungshorizont: 2040 Aktuelle Nutzung:  Metallwerk, gewerbliche Übergangsnutzungen sowie Gastronomie und Freizeit Bisherige Entwicklungsschritte:  – Testplanung ( 2017 ) – Masterplan ( 2018 ) –T eilzonenplanrevision Wydeneck ( 2020 ) Planer:  Feddersen & Klostermann Städtebau, Zürich ; Brühlmann Loetscher Architektur + Stadtplanung, Zürich ( Masterplan und Verfahrensbegleitung ) ; Kontextplan, Solothurn ( Mobilitätskonzept ) www.wydeneck.ch

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Schwarzbubenland Passwang

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Auf einen Blick

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tonsteil

Von allen Kantonen der Schweiz hat Solothurn den kompliziertesten Grenzverlauf und dadurch eine in drei Hauptrichtungen verzettelte Form. Im Westen liegt der obere Kantonsteil mit der Hauptstadt Solothurn und der Uhrenstadt Grenchen, im Osten liegt der untere Kantonsteil mit Olten als grösster Stadt. Jenseits des Juras breitet sich das Schwarzbubenland aus, mit zwei Exklaven, die an Frankreich grenzen. Sowohl Solothurn als auch Olten liegt an der Aare, die den Kanton jedoch nur auf zwei kurzen Strecken durchfliesst. Orientiert sich Olten Richtung Aarau und Grenchen Richtung Biel, so blickt das Schwarzbubenland Richtung Norden. Orte wie St. Pantaleon, Nuglar oder Büren liegen im Einzugsgebiet von Liestal ; von Dornach führt das Tram bis nach Basel. Innerhalb des Kantons verbindet die Passwangstrasse die beiden Kantonsteile beidseits des Jura. Fahrbar ist die Strasse seit 1732, 200 Jahre später folgte der Scheiteltunnel. Seine Geografie und Topografie bescherten dem Kanton ein gut ausgebautes Verkehrsnetz. Dabei kreuzen sich die Nord-Süd- und die Ost-West-Achsen des schweizerischen Eisenbahn- und Autobahnnetzes im Kanton Solothurn. Das Oltner Bahnhofbuffet als zentraler Ort für Versammlungen ist sprichwörtlich. Und dass das Schweizer Fernsehen die TV-Serie ‹ Motel › 1984 in Egerkingen ansiedelte, ist kein Zufall: Die Abzweigung der A 2 Richtung Basel mit der Belchenrampe ist einer der bekanntesten Abschnitte des Nationalstrassennetzes. Die Verzweigung der Autobahnen A 1 und A 2, die zwischen Oftringen und Egerkingen zusammenkommen, machte die Gegend für zahlreiche Logistikbetriebe attraktiv.

Grösste Städte nach Einwohnerzahlen 1 Olten, 18  500 2 Grenchen, 17  700 3 Solothurn, 16 900 Vier Industrieareale ( Seite 11 ) 4 Papieri, Biberist 5 Riverside, Zuchwil 6 Attisholz, Luterbach 7 Wydeneck, Dornach Aare Eisenbahn Autobahn

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Roland Fürst ist Vorste­her des Bau- und Justiz­de­partements des Kantons Solothurn und seit 2013 im Regierungsrat. Der stu­die­r­te Biologe tritt 2021 aus der Solothurner Regierung aus.

Guido Keune ist seit 2019 Kantonsbaumeister. Der Architekt ist seit 2004 im Hoch­bau­amt des Kantons Solothurn tätig.

« S olothurn ist ein Kanton der Regionen » Mit der Entwicklung der Industriebrachen kann der Kanton das Wachstum dorthin lenken, wo es erwünscht ist. Wichtig ist auch das Zusammenspiel mit privaten Investoren. Gespräch: Roderick Hönig, Stefan Meier

Stellen Sie sich vor, Sie müssten an der grossen Immobilienmesse in Cannes für den Kanton Solothurn werben. Wie würden Sie den Standort anpreisen ? Roland Fürst: Ich würde zuerst auf seine starke Industrialisierung hinweisen: Jeder dritte Arbeitsplatz ist in der Industrie angesiedelt. Interessant ist auch die internationale Ausrichtung vieler in Solothurn ansässiger Unternehmen. Als Drittes würde ich den Schwerpunkt Medizinaltechnik ins Feld führen – mehr als zehn Prozent aller Medizinaltechnikstellen der Schweiz befinden sich im Kanton Solothurn. Guido Keune:  Ich würde auf den Wasserreichtum, die schöne Landschaft am Jurafuss, die zen­trale Lage in der Mitte der Schweiz und die Versorgungssicherheit, aber auch auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Behörden und Privaten, das Potenzial an Arbeitskräften und die Lebensqualität hinweisen. Die Zersiedelung und die flächenintensiven Nutzungen der Logistikbetriebe rund ums Auto­ bahnkreuz setzen der von Ihnen gerühmten Solothurner Landschaft zu. Ist sie nicht bedroht ? Roland Fürst:   Wir haben in den vergangenen Jahren effektiv zu wenig gegen die Zersiedelung getan. Aber dies ist kein Solothurner Phänomen, sondern ein gesamtschweizerisches Problem. Ich bin froh, dass nun das neue Raumplanungsgesetz die Einzonungsdynamik in den Gemeinden

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zügelt. Doch die Zersiedelung stellt die Solothurner Landschaft nicht grundsätzlich infrage: Die Ausläufer des Juras werden durch eine Juraschutzzone quasi vor Neubauten geschützt – sie sind und bleiben unser ‹ Naturreservat ›. Um die Logistikbetriebe zu konzentrieren, wollen wir rund ums Autobahnkreuz spezielle Flächen ausscheiden. Für die Testplanung ‹ All-Gäu › haben wir Gemeinden rund um das Gebiet Gäu und drei Planungsteams versammelt. Diese Projektgruppe denkt auch über eine Verbindung von Logistik und Landwirtschaft nach. Es gibt sogar Ideen, landwirtschaftliche und Logistikflächen übereinanderzustapeln, um den Fussabdruck zu minimieren. Guido Keune:  Tatsächlich ist bei uns der Verdichtungsdruck noch nicht so hoch wie in urbanen Gebieten. Gerade deshalb sehe ich unsere ‹ ländlichen › Industriebrachen als grosse Chance im Kampf gegen die Zersiedelung. Sie erlauben uns, das Wachstum dorthin zu lenken. Wir versuchen, diese Innenentwicklung aktiv mitzugestalten, etwa indem wir Arealbesitzerinnen und -entwicklern fähige Leute aus der Raum- und Verkehrsplanung beiseitestellen oder auch mal eigenhändig entwickeln. Die grösste dieser Brachen war und ist das AttisholzAreal. Der Kanton konnte mit der Ansiedelung einer Pro­duktionsanlage von Biogen auf dem Areal einen gros­sen Erfolg verbuchen. Wie kam es dazu ? Roland Fürst: Weil wir mitreden wollten, was nach der Stilllegung der Cellulosefabrik passiert, haben wir uns 2008 entschieden, 48 des 110 Hektar grossen Areals zu kaufen. Wir haben die Risiken sorgfältig abgeschätzt. Trotzdem war der Kauf politisch heftig umstritten. Wir sahen aber

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auch die Chancen. 2010 zeigte eine Testplanung auf, was man mit dem Areal machen kann. Dabei haben sich alle Beteiligten und die Interessenvertreter auf die wesentlichen Inhalte und Zielsetzungen geeinigt. Danach haben wir die eigentliche Entwicklerarbeit geleistet: Wir haben für unseren Teil, gestützt auf ein Richtprojekt, eine Nutzungsplanung entworfen, bestehend aus einem Bauzonenplan, einem Erschliessungs- sowie einem Gestaltungsplan mit Sonderbauvorschriften. Als die ersten Anfragen kamen, konnten wir schneller agieren als die Konkurrenz. Die Rechnung ging auf: Letztlich konnten wir das Land 2015 zu einem Preis verkaufen, der auch unsere Vorinvestitionen wieder wettmachte. Guido Keune:  Die wichtigste Voraussetzung für diesen Deal war: Der Regierungsrat des Kantons Solothurn kann Anlagen und Bauten in unbeschränkter Höhe erwerben und ins Finanzvermögen integrieren. Dabei handelt es sich finanzrechtlich gesehen nicht um eine Ausgabe, sondern um eine Anlage. Der Kanton kann also quasi über Nacht handeln. Die Liegenschaften im Finanzvermögen dienen aber nicht unmittelbar einem Verwaltungszweck. Sie sollen langfristig zum Gedeihen des Wirtschaftsstandorts beitragen und beim Verkauf marktübliche Erträge erwirtschaften. In kleinerem Massstab haben wir diese Vorgehensweise beim ehemaligen Gefängnisareal neben dem Solothurner Bürgerspital wiederholt. Wir haben es entwickelt und dann an die Axa verkauft. Die Nähe zum Spital hat dazu geführt, dass die 160 Wohnungen in kürzester Zeit vermietet waren. Wieso haben Sie beim Attisholz nur das Südareal gekauft und entwickelt ? Guido Keune: Der Kanton konzentriert sich bei seinen Akquisitionen auf grössere, topografisch unproblematische Grundstücke. Sie sind für die Ansiedelung von Unternehmen besser geeignet. Die erfolgreiche Ansiedelung des Unternehmens Biogen hat dann dazu beigetragen, dass Halter 2016 das noch viel grössere Nordareal gekauft hat. Dort sind mehr als tausend Wohneinheiten geplant. Wir rechnen mit rund 1400 neuen Bewohnern oder vielmehr Steuerzahlerinnen. Es gibt aber auch Brachen im Finanzver­mögen des Kantons, auf die keine Käufer warten. Welche Areale sind die Ladenhüter ? Guido Keune: Sie befinden sich vor allem im Juraschutzgebiet: beispielsweise die ehemalige Höhenklinik Allerheiligenberg oberhalb von Hägendorf oder die Psychiatrische Klinik Fridau in Egerkingen. Für mich ist es allerdings eher eine Frage der Zeit, bis sich ein Käufer findet. Besonders anspruchsvoll in ihrer Entwicklung sind auch die Klöster, die mitten in der Stadt Solothurn liegen. Eines davon ist das ehemalige Kapuzinerkloster, das sich im Kantonseigentum befindet. Dank einer quartierverträglichen Zwischennutzung ist der Entwicklungs- und Handlungsdruck dort aber noch nicht so gross. Decken sich die Vorstellungen privater Entwickler wie Halter, Hiag oder Axa bezüglich Stadt und Wohnquartieren mit jenen des Kantons ? Guido Keune: Sehr oft. Auch wir fördern gemischt genutzte Quartiere. Auf dem Papieri-Areal in Biberist, dem MetalliAreal in Dornach oder eben dem Attisholz soll gelebt, gewohnt und gearbeitet werden. Die Menschen sollen dort auch einen Teil ihrer Freizeit verbringen. Der Kanton ist an diesem Nutzungsmix interessiert, auch weil er kurze Wege mit sich bringt, die wiederum den motorisierten Individualverkehr reduzieren. Schon vor mehr als hundert Jahren fragten sich Firmen wie Bally oder Brown Boveri bei der Planung ihrer Fabrikareale: Wo kann man gleichzeitig arbeiten, wohnen und seine Freizeit verbringen ?

Roland Fürst:  Gegen den Bau von Büros spricht die Zunahme von frei werdenden Büroflächen. Insbesondere in den drei Städten Grenchen, Solothurn und Olten gibt es momentan ausreichend verfügbare Büros. Eine wichtige Rolle spielt bei allen Arealen auch der Anschluss an den Verkehr. Attisholz Nord etwa ist zurzeit noch ungenügend an den öffentlichen Verkehr angeschlossen. Das Mobilitätskonzept setzt auf viel öffentlichen Verkehr und wenig motorisierten Individualverkehr, denn es wird nicht genügend Parkplätze auf dem Areal geben. Menschen, die auf dem Areal wohnen und arbeiten wollen, sind deshalb für Halter und den Kanton interessant. Wo liegen die Risiken des Kantons bei der Zusammen­ arbeit mit privaten Investorinnen und Entwicklern ? Guido Keune: Unter anderem in den komplexen Vertragswerken. Es ist wichtig, nicht nur die Erfolgs-, sondern auch die Misserfolgsszenarien zu skizzieren und diese vertraglich festzuhalten. Wir verkaufen Grundstücke nicht ohne entsprechende Auflagen. Wir bedingen uns zum Beispiel ein Rückkaufsrecht aus, für den Fall, dass der Investor die versprochenen Investitionen, die Qualität oder die Arbeitsplätze nicht wie vertraglich vereinbart umsetzt. Deshalb ist es wichtig, vorher zu definieren: Wie wird ein Vertrag wieder aufgelöst, welche Penaltys kommen in welchen Fällen bei wem zum Tragen ? Dabei darf das Vertragskorsett nicht zu eng, aber auch nicht zu locker gebunden werden. Da braucht es Erfahrung und Spezialistenwissen. Einiges davon konnten wir uns mit der Entwicklung des Attisholz-Areals aneignen. Es braucht aber auch Sitzleder: Nicht jedes Projekt, das nicht gleich von Anfang an fliegt, ist eines, das nie zum Fliegen kommt. Bis anhin haben wir nur über das ebene Vorderland am Südfuss des Juras gesprochen. Was passiert auf der Nordseite der Hügelkette ? Roland Fürst:  Das Gebiet auf der anderen Seite des Bergs ist für uns keineswegs Hinterland. Wichtigstes Entwicklungsgebiet auf dieser Seite ist das Wydeneck-Quartier. Ursprünglich war angedacht, es weiterhin industriell zu nutzen. Nun will die Hiag auf dem ehemaligen Metalli-­ Areal hochwertiges Wohnen anbieten. Aufgrund dieser Nutzungsänderung soll auf den Bau einer geplanten Brücke über den Birsbogen verzichtet werden und ein alternativer, das Naherholungsgebiet weniger störender Anschluss des Dornacher Industrie- und Gewerbegebiets an die A 18 gesucht werden. Kurz: Wir versuchen so weit als möglich, auf diese neuen Bedürfnisse einzugehen. Der Kanton grenzt an vier andere Kantone an. Wie läuft der interkantonale Austausch ? Roland Fürst: Solothurn ist ein Kanton der Regionen. Deshalb müssen wir mehr als andere Kantone mit unseren Nachbarskantonen zusammenarbeiten. Derzeit laufen vier kan­tonsübergreifende Agglomerationsprogramme: Metropolitanraum Basel, Aareland, Solothurn und Grenchen. Das zentrale Steuerungselement ist und bleibt aber der Richtplan. Seine Hauptaufgabe ist es, raumwirksame Tätigkeiten aller staatlichen Ebenen im Hinblick auf die angestrebte Entwicklung abzustimmen. Er definiert die Wiederverwendung von nicht mehr genutzten Betriebsstandorten als prioritäre Aufgabe. Auf Gemeindeebene laufen die Fäden in den Bereichen Siedlung, Raum, Landschaft, Mobilität sowie Kultur und Freizeit bei der Regionalplanungsgruppe Espace Solothurn zusammen. Guido Keune: Die vielarmige Form der Kantonsgrenze und das Mehr an Zusammenarbeit, das sie mit sich bringt, regt meine Fantasie viel mehr an, als dass sie mich begrenzt. So ist es auch mit den Entwicklungsarealen: Wir müssen uns nach ihrer eigenen Geometrie beziehungsweise nach ihren eigenen Bedürfnissen richten.

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Kanton der Gegensätze Nicht nur räumlich, landschaftlich und kulturell, sondern auch in Zahlen zeigt sich der Kanton sehr divers: Solothurn schlägt den Bogen vom logistischen Mittelpunkt der Schweiz bis hin zum peripheren Juratal. Text: Joris Jehle ( Wüest Partner )

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Einwohner pro Vollzeitstelle nach Bezirk 1 – 1 ,9 1 ,9 – 2 ,8 2 ,8 – 3 ,7 3 ,7 – 4 ,6 4 ,6 – 5 ,5

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Beschäftigungsentwicklung 1995 – 2018

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Bucheggberg Lebern Solothurn Wasseramt Thal Thierstein Dorneck Gäu Olten Gösgen

Bevölkerungswachstum 1995 – 2018

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Die Deindustrialisierung setzte in der Schweiz später ein als in Deutschland, England oder den USA – der 1988 verkündete Rückzug von Sulzer aus Winterthur steht symbolisch für den hiesigen Strukturwandel. Er reduzierte nicht nur den traditionell starken Industriesektor, sondern hinterliess auch riesige Brachen. Unzählige Industrieareale wurden inzwischen zu Wohnungen und Büros umgenutzt. In der Raumplanung wird bereits das Ende der Arealtransformationen proklamiert. Der ‹ Entwicklungsatlas › von Wüest Partner, eine GIS-basierte Datenbank mit Arealen von mindestens 10 000 Quadratmetern in Transformation, zeigt jedoch ein anderes Bild, gerade im Kanton Solothurn.

Das Gros der Arbeitsplätze im Industriesektor befindet sich in den Bezirken Wasseramt, Lebern und Olten. In Lebern findet sich mit 9000 Vollzeitäquivalenten nicht nur die grösste Anzahl, sondern mit 54 Prozent auch der höchste Anteil am sekundären Sektor. Wie die Firmen Biogen im Areal Attisholz Süd oder Synthes am Bahnhof Solothurn exemplarisch aufzeigen, zeichnet sich innerhalb des Sektors ein Strukturwandel von traditionellen hin zu hoch spezialisierten Branchen ab. So schrumpft die Herstellung von Textilien, Holzwaren, Papier und Maschinenbau, während die Produktion von Elektronik, Chemikalien sowie Nahrungs- und Genussmitteln sehr stark wächst. Die drei dominanten Branchen im Industriesektor sind allerdings die Baubranche Grosse Flächenreserven in Industriearealen Gegenwärtig sind im ‹ Entwicklungsatlas › schweiz- mit rund 8 Prozent sowie die Herstellung von Metallerweit mehr als 900 Grundstücke vermerkt. 330 davon sind zeugnissen und von elektronischen und optischen ErzeugIndustrie-, Bahn- und Militärareale, die zusammen knapp nissen sowie Uhren mit je 4,5 Prozent. ein Prozent der gesamten Siedlungsfläche der Schweiz ausmachen. Im Kanton Solothurn entspricht diese Fläche Logistikboom und Dienstleistungszentrum mit 1,7 Millionen Quadratmetern zwei Prozent, verteilt auf Im Kanton Solothurn deckten 2018 Verkehr, Lagerei 21 Areale. Bei einer angenommenen Areal-Ausnützung von und Kurierdienste insgesamt 10 Prozent der Vollzeitäqui0,9 Prozent, einer reinen Wohnnutzung mit Faktor 0,75 valente ab, gesamtschweizerisch hingegen waren es nur ( Bruttogeschossfläche zu Hauptnutzfläche ) und einem 4,6 Prozent. Das kantonale Wachstum dieser drei Brandurchschnittlichen Wohnflächenverbrauch von fünfzig chen von 2005 bis 2018 war mit je 40 bis 47 Prozent enorm, Quadratmetern pro Person könnten diese Areale rund wovon der Bezirk Gäu am meisten profitiert hat. Die Lage 23 000 Personen aufnehmen – das entspricht vierzig Pro- am zentralen Autobahnkreuz der Schweiz sowie der wachzent des Bevölkerungswachstums des Kantons bis 2050. sende Versandhandel dürften die Gründe dafür sein – und Rund die Hälfte der Arealflächen liegt in städtischen, die das Wachstum auch künftig beflügeln. Während der Wachstumsmotor für Industrie und Loandere Hälfte in periurbanen Gemeinden. Die in diesem Heft vorgestellten Arealentwicklungen weisen auf eine In- gistik im Bezirk Gäu das Autobahnkreuz Härkingen ist, vestitionsbereitschaft auch in periurbanen Gemeinden an ist dies der Bahnhof Olten für den Dienstleistungssektor. weniger gut erschlossenen Lagen hin – eine positive Aus- Wie für urbane Zentren üblich ist dieser Sektor in der gangslage für ihre Transformation. Stadt Olten mit einem Anteil von 86 Prozent an den Vollzeitäquivalenten klar übervertreten und liegt im Bezirk Urbanes Mittelland, Wohnlandschaft Jura Olten mit 75 Prozent leicht über dem Schweizer Mittel. Die Ein Blick in Bevölkerungs- und Beschäftigungsstatis- grössten Branchen und gleichzeitig jene mit überdurchtiken zeigt jedoch sehr grosse regionale Unterschiede schnittlichem Wachstum in der Stadt Olten sind Verkehr auf. Von 1995 bis 2018 ist die Bevölkerung in den Mittel- ( 16 Prozent ), Gesundheitswesen ( 10,8 Prozent ), Bildung landbezirken zwischen Grenchen und Olten um 10 bis ( 7,3 Prozent ), Vermittlung von Arbeitskräften ( 6,1 Prozent ) 19 Prozent gewachsen, die Zahl der Beschäftigten stieg sowie Telekommunikation ( 5,8 Prozent ). Bauprojekte wie um 7 bis 26 Prozent. Exorbitant gewachsen ist der Bezirk ‹ Icono › am Bahnhof Olten werden auch mittelfristig das Gäu mit einer Zunahme von 38 Prozent ( Bevölkerung ) und Wachstum von Gesundheitswesen, Bildung und generellen 69 Prozent ( B eschäftigte ). Auch im Bezirk Dorneck in Dienstleistungen sicherstellen. der Region Basel ist die Bevölkerung mit 23 Prozent überdurchschnittlich stark angewachsen. In den Jurabezirken Attraktiven Wohnraum schaffen Thal, Gösgen und Thierstein war die BevölkerungsentwickDer Kanton Solothurn kann also auf mindestens drei lung durchschnittlich, die Beschäftigtenzahl hingegen sehr unterschiedliche wirtschaftliche Standbeine bauen. rückläufig. Aufgrund ihres Verhältnisses von drei bis fünf Erstens konnte die Abwärtsspirale der traditionellen InEinwohnern pro Vollzeitstelle können diese Bezirke als dustrie relativ erfolgreich in einen Strukturwandel umgevorwiegende Wohngegenden klassifiziert werden. Das lenkt werden. Um den Kanton Solothurn noch klarer zu Mittel des Kantons liegt bei 2,4 und jenes der Schweiz bei profilieren, gilt es, für diese hoch spezialisierten, wert2,1 Einwohnerinnen pro Vollzeitäquivalent. Die Mittel- schöpfungsstarken Unternehmen in den gut erschlosselandbezirke weisen mit ein bis drei Einwohnern pro Voll- nen Entwicklungsarealen Raum zu schaffen. Zweitens zeitäquivalent einen ( peri- )urbanen Charakter auf. sollten die Dienstleistungsbranchen nicht vernachlässigt Die Bezirke zwischen Olten und Grenchen fassen rund werden. Die Etablierung von Olten als Bildungsstandort 84 Prozent der Beschäftigten und 70 Prozent der Bevölke- ist richtungsweisend. Und drittens sollte man dem infra­ rung des Kantons – bei lediglich 40 Prozent der Fläche. Es strukturellen Nutzen und der Zukunftsträchtigkeit der zeigt sich somit eine klare Dreiteilung des Kantons in Jura, stark wachsenden Logistikbranchen Rechnung tragen. Region Basel und Mittelland, wobei die letzte Region eine Das Fundament der wirtschaftlichen Entwicklung zentrale Stellung einnimmt. bilden jedoch die Arbeitnehmenden, die es von den unterschiedlichen Wohnorten im Kanton Solothurn zu überIndustriesektor spezialisiert sich zeugen gilt. Die Entwicklungsareale bieten die Chance, Die Statistiken zeigen, dass der Industriesektor im attraktive Wohn- und Arbeitsräume sowie Freizeit-, BilKanton Solothurn mit einem Anteil von 31 Prozent an al- dungs- und Infrastrukturangebote zu schaffen. Solche len Vollzeitäquivalenten gegenüber 24 Prozent im Rest der Arealtransformationen dürften sich vorwiegend im MitSchweiz weiterhin sehr stark ist, trotz des von 2005 bis telland und im Bezirk Dorneck lohnen. Doch auch in den 2018 verzeichneten Rückgangs von 4 Prozent ; schweiz- Jurabezirken wartet noch die eine oder andere Industrieoder Gesundheitsbrache auf ihre Umnutzung.  weit wuchs er im gleichen Zeitraum um knapp 8 Prozent.

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Datenquellen: Wüest Partner Entwicklungsatlas ; BFS Arealstatistik ; BFS Betriebszählung ( bis 2008 ) und BFS STATENT ( ab 2011 ) ; BFS ESPOP ( bis 2010 ) und BFS STATPOP ( ab 2011 )

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Bei Vögeln, Kindern und Familien beliebt als Lebensraum: das Aareufer in Solothurn.

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Zwei Städte, zwei Entwicklungen Während in und um Solothurn viel Wohnraum entsteht, wird der wichtigste Eisenbahnknoten der Schweiz – der Bahnhof Olten – endlich zur Visitenkarte für die Stadt.

Solothurn: Wachstum konzentrieren Text: Roderick Hönig

Als der römische Kaiser Tiberius 20 nach Christus eine Brücke über die Aare bauen liess, entschieden sich seine Soldaten für eine Stelle, die die Kelten ‹ S alodurum › nannten. Die Brücke legte den Grundstein für das heutige Solothurn. 2000 Jahre später feiert die heutige Kantonshauptstadt nicht nur ihren runden Geburtstag, sondern auch den Beginn der Ernte des jüngsten Brückenschlags über die Aare, der Westumfahrung. Der knapp zwei Kilometer lange Strassenabschnitt inklusive Brücke und Tunnel wurde 2008 eröffnet. Er schliesst Solothurn an die Autobahn an und entlastet die Innenstadt vom Durchgangsverkehr. Konsequent wurde mit seiner Eröffnung das Nadelöhr Wengibrücke für den Autoverkehr gesperrt, die seit dem 19. Jahrhundert die Solothurner Vorstadt mit der Altstadt und dem Westbahnhofquartier verbindet. Vorher setzten dort 25 000 Fahrzeuge pro Tag über die Aare. Die Westumfahrung befreit nicht nur die ‹ schönste Barockstadt der Schweiz › vom Verkehr, sondern sie erschliesst auch ein rund 126 000 Quadratmeter grosses Entwicklungsgebiet. Denn auch wenn Solothurn zwar weniger schnell als andere Schweizer Städte wächst, rechnet die Stadt bis ins Jahr 2035 mit einem Zuwachs von rund 4300 bis zu 21 750 Einwohnern. Solothurn hat dem neuen Quartier – in Bezugnahme auf den weiten Entwicklungshorizont – den Namen ‹ Weitblick › verliehen. In den Fokus für eine Stadterweiterung hat diese westliche Ecke von Solo-

thurn aber ein anderes, etwas südlicher liegendes Projekt gerückt: die ‹ Wasserstadt Solothurn ›, von der Herzog & de Meuron 2006 erste Pläne und Bilder veröffentlichten. Die Basler Architekten planten auf dem Gebiet der ehemaligen Mülldeponie für eine private Trägerschaft eine spektakuläre, exklusive Wohnanlage mit etwa 530 Wohnungen um eine künstlich angelegte Flussschlaufe. 2015 zeigte ein Rechtsgutachten mehrere raumplanerische Hindernisse auf und nahm dem Projekt den Schwung. Nun entwickelt die Stadt an dieser Stelle Raum für 1700 Menschen und ebenso viele Arbeitsplätze. Vorausschauend ist ‹ Weitblick › insofern, als es Solothurn erlaubt, das künftige Wachstum in diesem zentrumsnahen Gebiet zu konzen­trieren und so die prägenden Einfamilienhausquartiere rund um die Altstadt vom Verdichtungsdruck zu entlasten. Die Gelegenheit, das Land einer Erbengemeinschaft abzukaufen, ermöglichte das Generationenprojekt zwischen Stadion und Industriezone. Das grosse, zusammenhängende Gelände mit Autobahnanschluss und eigenem S-Bahnhof bietet die einmalige Chance, die Stadt langfristig, fortlaufend und nachhaltig zu entwickeln. So ist ‹ Weitblick › auch im räumlichen Leitbild zusammen mit den Gebieten um den S-Bahnhof Solothurn West und um den Hauptbahnhof als eines von drei prioritären Entwicklungsgebieten festgelegt. Die erste Etappe soll in den kommenden Jahren südlich des S-Bahnhofs Allmend realisiert werden. Geplant sind altersdurchmischtes und gemeinschaftliches Wohnen, ein Quartierzen­trum, zwei Kindergärten, Gesundheitseinrichtungen und – gegenüber dem Fussballstadion – ein grosszügiger Grünraum für Sport und Unterhaltung. Rund 8000 Quadratmeter sind in der ersten Etappe für Gewerbe und Dienstleistung →

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→ reserviert. Diese Fläche soll Solothurn helfen, mit diesen grossen, sofort bebaubaren und gut erschlossenen Arealen im Standortwettbewerb um lokale und internationale Unternehmen mitzuhalten. Weiter südlich sollen in zwei weiteren Etappen bis 2036 ein Park, weitere Wohnungen sowie ein Gewerbe- und Dienstleistungszentrum entstehen. Vor allem der Segetzpark, der in der zweiten Etappe realisiert werden soll, wird eine wichtige Verbindung zu den Grünräumen in der Innenstadt schaffen und damit dem Wunsch der Bevölkerung nach mehr Grünflächen im Stadtgebiet nachkommen. Die ersten Erschliessungsarbeiten wurden bereits gestartet. Bauen will und wird die Stadt allerdings nicht selbst, sie wird sich nur um die Entwicklung kümmern. Für die Planung und die Umsetzung sucht sie lokale Klein- und überregionale Grossinvestoren sowie Wohnbaugenossenschaften. Sobald die Gesamtrevision der Ortsplanung abgeschlossen ist, kann die erste Etappe angepackt werden. Die Stadt rechnet damit, dass dies 2022 der Fall sein wird.

Quartier Weitblick Standort: Solothurn Ursprüngliche Nutzung: Landwirtschaftsland / Stadtmistdeponie Aktuelle Besitzerin:  Stadt Solothurn Jahr des Erwerbs: 2010 Arealfläche:  175 000 m2 ; davon 125 600 m2 Entwicklungsgebiet, 22 300 m2 Grün­fläche ( Allmend, Segetzpark ), 27 100 m2 öffentlicher Raum ( Strassen, Plätze, Begegnungszonen ) Geplante Nutzung:  Wohnraum für rund 1700 Menschen und ebenso viele Arbeitsplätze, grüne Freiräume sowie eine flexibel nutzbare Fläche für das öffentliche Leben Entwicklungshorizont:  bis 2036 ( in drei Etappen ) Aktuelle Nutzung:  Grünfläche / landwirtschaftliche Nutzung Bisherige Entwicklungsschritte:  anderwerb durch –L die Stadt Solothurn ( 2010 ) – Volksabstimmung Teilzonenplan, Erschliessungsplan ( 2013 ) – Grundlagenbericht Entwicklungs­konzept ( 2015 ) – Vergabeprozess / -kriterien Baugrund­ stücke 1. Etappe ( 2019 ) – Anpassung Zonenplan, laufende Ortsplanungsrevision ( 2020 ) Planer:  Stadtbauamt Solothurn www.weitblick-solothurn.ch

Wohnüberbauung Schöngrün, 2020 Schöngrünstrasse, Biberist Auftraggeber:  Axa Leben, Zürich Architektur:  ERP, Baden Auftragsart:  Testplanung mit vier ein­ge­ladenen Teams im Auftrag des Kanton Solothurn und der Einwohner­ gemeinde Biberist, 2011 Landschaftsarchitektur:  Hager Partner, Zürich Generalunternehmer:  Baulink, Bern Bauingenieure:  Reinhard + Partner, Fraubrunnen HLS-Planung:  Decorvet HLKS Planungen, Bern Elektroplanung:  CSP Meier, Bern Bauphysik:  CSD Ingenieure, Liebefeld Brandschutzplaner:  Holzing Maeder, Evilard

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In Rekordzeit vermietet Am anderen Aareufer wächst die Stadt bereits heute mit grossen, schnellen Schritten, allerdings nicht auf Gemeindeboden. In Zuchwil sind derzeit – direkt an der Aare und in Gehdistanz zum Bahnhof Solothurn – 140 Wohnungen im Bau siehe Seite 11. Bis 2040 sollen auf dem Areal der Textilmaschinenfabrik 700 Wohnungen und 1500 Arbeitsplätze entstehen. Oberhalb des Neubaus für das Bürgerspital sind 2020 auf dem Areal der ehemaligen Strafanstalt Schöngrün 160 Wohnungen fertiggestellt worden. Das 44 000 Qua­dratmeter grosse Gelände auf dem Boden der Gemeinde Biberist ist 2013 frei geworden, weil der Kanton den Strafvollzug in Deitingen konzentrieren konnte. Bereits 2011 veranstaltete er eine Testplanung für die maximal 19 500 Quadratmeter grosse Bruttogeschossfläche. Das Büro ERP Architekten aus Baden gewann gegen die Konkurrenz mit einer grosszügigen Geste, die auf die erhöhte topografische Situation reagiert und mit der Landschaft spielt. Zwischen und um die beiden Wohnzeilen, die zusammen ein Hufeisen formen, entstehen vielfältige und aufgrund des abfallenden Geländes terrassierte Aussenräume. Der übergeordnete Grüngürtel, die Aussichtslage, der alte Gutshof, das Stöckli, die Scheune und der Holzspeicher bleiben erhalten. Die historischen Bauten wurden in Kita, Bistro, Bioladen, Mehrzweckraum und Boulderhalle umgenutzt und bilden heute die Adresse und die neue Eingangssituation in das ehemals geschlossene Gelände. In einem Bieterwettbewerb unter 26 Mitbewerbern hat der Kanton das Projekt 2016 der Axa verkauft. Absehbar war es nicht, aber alle Wohnungen waren kurz nach Fertigstellung vermietet, für Solothurner Verhältnisse in Rekordgeschwindigkeit. Die direkte Nachbarschaft zum neuen Bürgerspital hat sicherlich zur erfolgreichen Vermietung beigetragen, vermutlich aber auch die besondere Lage zwischen Stadt und Landschaft: In zehn Minuten erreicht man den Bahnhof Solothurn, in einer Viertelstunde das Stadtzentrum, und mit wenigen Schritten ist man im nahe liegenden Oberwald.

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Projektierter Bahnhofplatz Olten: Oben gliedert ein Dach den Raum, unten münden die Unterführungen in eine grosszügige Terrasse an der Aare.

Das Projekt ‹ Icono › schliesst den Bahnhofplatz an der einen Schmalseite ab.

Olten: Brennpunkt am Bahnhof Text: Werner Huber

Winterthur kennt es und La Chaux-de-Fonds ebenso: nach der prominenteren Kantonshauptstadt die Nummer zwei zu sein. Auch Olten könnte im Schatten Solothurns eine solche Stadt sein – und lange war sie das auch: Um 1850 lebten in der stolzen Ambassadorenstadt 5000 Menschen, während es in Olten gerade einmal gut 1600 waren. Heute zählt Olten mehr Einwohnerinnen und Einwohner als die Kantonshauptstadt: gut 19 000 gegenüber den 17 000 in Solothurn. Der Grund, weshalb Olten die Kantonshauptstadt im Lauf der Jahrzehnte überflügelt hat, ist die Rolle als Eisenbahnknoten, den die Stadt seit mehr als 160 Jahren spielt. 1856 nahm die Schweizerische Centralbahn ( S CB ) die Linie Aarau – Olten – Emmenbrücke in Betrieb, bald darauf folgten die Strecken nach Basel und Her­zogenbuchsee. Schliesslich machte 1876 die Gäubahn nach Solothurn und Lyss den Knotenpunkt komplett. Bereits seit 1856 versinnbildlicht der auf Geheiss des damaligen Eidgenössischen Post- und Baudepartements angebrachte Kilometer-Null-Stein für das Schweizer Eisenbahnnetz Oltens spezielle Rolle. Legendär ist das Bahnhofbuffet, in dem dank seiner zentralen Lage unter anderem der Schweizer Alpen-Club, der Schweizerische Gewerkschaftsbund, die FDP und auch der Schweizerische Fussballverband gegründet wurden. Bahnhofplatz wird Visitenkarte Auch in Zeiten des Taktfahrplans und der umsteigefreien Direktverbindungen ist der Bahnhof Olten ein zentraler Punkt im Schweizer Schienennetz. Vor allem aber ist er ein wichtiger Ort im Stadtgefüge. Zwar ist Olten mit

dem aus der Hauptwerkstätte hervorgegangenen Industriewerk und der Betriebszentrale der SBB nach wie vor eine Eisenbahnerstadt. Daneben ist im Umfeld des Bahnhofs aber eine Dienstleistungs- und – mit dem Campus der Fachhochschule Nordwestschweiz – eine Bildungsstadt herangewachsen. Nur eines ist das Oltner Bahnhofgebiet bis heute nicht: eine Visitenkarte der Stadt. Das soll sich nun ändern. Unter dem Stichwort ‹ Neuer Bahnhofplatz Olten › ( NBO ) wird die Stadt den Bahnhofplatz zusammen mit dem Kanton und den SBB grundlegend erneuern. Im Jahr 2014 lieferte ein Studienauftrag die Grundlagen dafür. Das Team um Han van de Weterings Atelier für Städtebau mit den Verkehrsplanern von Basler & Hofmann und den Landschaftsarchitekten Hager Partner ging daraus als Gewinner hervor. Seine bisherige Funktion als Verkehrsdrehscheibe wird der Platz behalten, aber die Bedürfnisse der unterschiedlichen Verkehrsträger, von den Fussgängern über das Velo und den Bus bis hin zum Auto, werden besser aufeinander abgestimmt. Dass ein derartiger Verkehrsknoten auf zwei Ebenen angeordnet wird, ist nichts Aussergewöhnliches, doch profitiert der Oltner Bahnhofplatz dabei von seiner Lage an der Aare. So lassen sich die Personenunterführungen des Bahnhofs direkt an den Fluss führen und Bahnhofplatz und Aare miteinander in Beziehung setzen. An der Ecke der Martin-Disteli-Unterführung entstehen eine Velostation mit 1200 Plätzen und ein Café; neben der bis zur Aare verlängerten Hardegg-Unterführung ist ein Parkhaus vorgesehen. Ein neuer Aaresteg bindet die linke Stadtseite besser an den Bahnhof an. Auf der Stadtebene, wo das Bahnhofsgebäude seit dem Bau der Gäubahn auf einer Insel zwischen den Perrons steht, wird ein neues Dach den Raum zwischen dem Perron eins und dem Bahnhofplatz strukturieren. Dadurch erhält der Bahnhof endlich einen prägnanten Auftritt im Stadtbild. Abgestimmt auf das Buskonzept für die →

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Umgestaltung Bahnhof Olten 1 N euer Bahnhofplatz Olten Bauherrschaft:  Kanton Solothurn ; Stadt Olten ; SBB Infrastruktur ; SBB Immobilien Betriebs- und Gestaltungskonzept:  Kontextplan, Solothurn ( Verkehr ) ; Van de Wetering, Zürich ( Städtebau ) ; Hager Partner, Zürich ( Landschafts­ar­chitektur ) ; Stauffenegger + Partner, Basel ( Dach­gestaltung ) ; Basler & Hofmann, Zürich ( Bauingenieure ) Realisierung:  2026 – 2030

2 L ückenschluss Fuss- und Radweg Eggerallee Bauherrschaft:  Stadt Olten Planer:  Hager Partner, Zürich ; Fürst Laffranchi Bauingenieure, Aarwangen Realisierung:  ab 2026 3 Wohn- und Geschäftshaus ‹ Icono › ( Areal Bahnhof Nord ) Bauherrschaft:  Credit Suisse Anlagestiftung, Zürich Projektentwickler:  Mettler2Invest, Zürich Planer:  Atelier WW Architekten, Zürich ( Architektur ) ; Maurus Schifferli, Bern, SKK Landschaftsarchitekten, Wettingen ( Landschaftsarchitektur ) Realisierung:  2021 – 2023

4 Projekte SBB 5 Überbauung Turuvani-Areal Bauherrschaft:  Bernasconi Liegen­ schaften, Olten Planer:  Scheitlin Syfrig Architekten, Luzern ( Richtprojekt ) 6 Umgestaltung Aarburgerstrasse Bauherrschaft:  Kanton Solothurn Planer:  Kontextplan, Solothurn ; Rudolf Keller & Partner, Muttenz ; Hager Partner, Zürich Realisierung:  2022 – 2023

7 Attraktivierung Ländiweg Bauherrschaft:  Stadt Olten Planer:  Werk 1 Architekten und Pla­ner, Olten ; Fürst Laffranchi Bau­­ingenieure, Aarwangen ; Grünwerk 1 Land­schafts­architekten, Olten  ; IUB Engineering, Olten Realisierung:  2021 / 22 8 U mgestaltung Bahnhofquai Bauherrschaft:  Kanton Solothurn Planer:  Hager Partner, Zürich Realisierung:  2020 – 2021

‹ Icono › entwickelt. Die Schmalseite des dreizehngeschossigen Gebäudes wird den Bahnhofplatz abschliessen, die Längsseite das Gleisfeld fassen. Basierend auf einem Gestaltungsplan ging das Projekt des Zürcher Architekturbüros Atelier WW aus einem Wettbewerb hervor. Im Erdgeschoss sind Verkaufsflächen vorgesehen, darüber zwei Bürogeschosse. In den leicht auskragenden ObergeschosFlanierwege und Hochbauten sen finden 155 Mietwohnungen Platz. Mit seiner Höhe Die Neugestaltung des Bahnhofplatzes strahlt über markiert das Gebäude ‹ Icono › auch den Eingang zum neuden Perimeter hinaus. Zurzeit laufen die Arbeiten am en Quartier nördlich des Bahnhofs. Eine Art Pendant zu diesem Projekt ist die ÜberbauBahnhofquai, der in seiner Rolle als klassische, baumbestandene Quaianlage gestärkt wird. Daran schliesst die ung des Turuvani-Areals schräg gegenüber am anderen Aufwertung des Ländiwegs an. Diese wichtige Fussgän- Ende des Bahnhofs. Dort soll ein zehngeschossiges Gegerverbindung führt zwischen Altstadt und Aare unter- bäude mit Wohnungen, Läden und Büros die Bebauung halb des Bahnhofquais den Fluss entlang. Im Norden des zwischen Rosengasse, Tannwald- und UnterführungsstrasBahnhofplatzes führt die Eggerallee als Fuss- und Veloweg se abschliessen und das Gleisfeld räumlich fassen. dem Aareufer entlang Richtung Norden nach Trimbach. Auch die Bahn plant Die als Flussweg gestaltete Verbindung wird auch auf dem Während Stadt, Kanton und private Bauherrschaften letzten Abschnitt zwischen Hardegg-­Unterführung und dem Ruderhaus in die Aareböschung verlegt und damit das Gebiet zwischen dem Bahnhof und der Aare neu gein die flussseitigen Fussgänger- und Velo­bereiche einge- stalten, befassen sich die SBB mit der Zukunft des Bahnbunden. Das entsprechende Vorprojekt liegt vor. Dadurch hofs, wo ab 2028 nächste Ausbauschritte anstehen. Für wird die Eggerallee auch auf diesem Stück zu einer attrak- die Passagiere wird vor allem die Verbreiterung der Hard­ tiven, von der Gösgerstrasse losgelösten Verbindung. egg-Unterführung und der Ausbau der Perronanlagen der Auf der anderen Seite der Strasse liegt die Brache Gleise eins bis vier spürbar sein. Ausserdem müssen die der ehemaligen SBB-Hauptwerkstätten. Auf ihr steht be- Gleis- und Weichenanlagen im Vorbahnhof angepasst und reits die SBB-Betriebszentrale. Auf diesem Areal Bahn- die Sicherungsanlage saniert werden. Der Kilometer-Nullhof Nord soll in mehreren Etappen ein Stadtquartier mit Stein beim Gleis zwölf hat seine ursprüngliche Rolle zwar gemischter Nutzung entstehen. Für das Baufeld eins ha- eingebüsst, die Schlüsselrolle im Schweizer Eisenbahnben Mettler2Invest und die Credit Suisse das Projekt netz wird Olten aber weiterhin spielen.  → Bezirke Olten, Gösgen und Gäu werden die Bushaltestellen neu konzipiert, die Standplätze für Taxis und der Kiss-and-ride-Verkehr neu angeordnet. Gestalterisch knüpft das Projekt an die Jurahöhen an. Für den Platz ist ein heller Belag vorgesehen, der sich auf den Jurakalk bezieht, für die Sitzstufen zur Aare Kalksteinbeton.

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Olten ist nicht nur rund um den Bahnhof im Umbruch: Blick vom Entwicklungsgebiet Olten Südwest Richtung Stadthaus und Kirche St. Martin. Themenheft von Hochparterre, Oktober 2021 —  Ein Kanton wächst  —  Zwei Städte, zwei Entwicklungen

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Ein Kanton wächst

Welche Risiken und Chancen bieten grosse Entwicklungsareale ausserhalb der städtischen Zentren ? Dieses Heft zeigt Projekte und Entwicklungsstrategien für den Kanton Solothurn auf, eine Region der Gegensätze. Furore gemacht hat der Kanton mit der erfolgreichen Umnutzung des südlichen Arealbereichs der ehemaligen Cellulosefabrik Attisholz. Er hat fast die Hälfte des Areals in der Nähe der Stadt Solothurn gekauft und selbst ent­wickelt. Die andere Hälfte und drei weitere grosse Brachen im Kanton wollen nun Private vom Industrie- zum Lebens- und Arbeitsraum entwickeln. Bis 2040 sollen in und um die beiden Kantonszentren Solothurn und Olten sowie in Dornach rund 5000 Wohnungen und über 7000 Arbeitsplätze entstehen. Eine Generationenaufgabe.

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