Themenheft von Hochparterre, August 2023
Mit Taktplan und Tellifon
Die Telli in Aarau ist eine der grössten Überbauungen der Schweiz. Nun wurden zwei Wohnzeilen energetisch saniert – ein Kraftakt in jeder Hinsicht.
Die Siedlung Telli – Situationsplan
A Telli A ( 19 72 ), 417 Wohnungen
B Telli B ( 19 74 ), 2 20 Wohnungen
C Telli C ( 19 80 ), 3 61 Wohnungen
D Telli D ( 19 91 ), 2 60 Wohnungen 1 D ojo 2 ‹ Telli Treff ›
Subtile Erneuerung
Inhalt
4 Vom Werden eines Denkmals
Ein ambitionierter Generalunternehmer und ein weitsichtiger Planer brachten das Grossprojekt Telli ins Rollen.
10 Gestern Klimasünderin, heute Musterschülerin
Die erneuerte Siedlung Telli ist ein Vorzeigebeispiel in Sachen energetische Gebäudesanierung.
18 Sanieren am Fliessband
Trotz eines ambitionierten Zeitplans blieben die Bauarbeiten auf der Megabaustelle Telli schön im Takt.
24 « Wir wollten vermeiden, dass die Leute die Faust im Sack machen »
Eine Kommunikationsexpertin und eine soziokulturelle Animatorin über die Unverzichtbarkeit von Begegnungen auf Augenhöhe.
26 « Energetische Sanierungen fordern uns stark »
Die Eigentümervertreterin und der Bauprojektleiter darüber, wie die Sanierung der Telli gelang.
28 Lauschige Weite
Auch der Tellipark entlang der Wohnzeilen B und C wurde erneuert.
Das Besondere sehen
Der Kunstfotograf Christof Plümacher hat für das Heft eine Bildserie geschaffen, die unsere Sehgewohnheiten herausfordert. « Das uns alltäglich umgeb ende Grün der Natur nehmen wir nicht mehr als Besonderheit wahr », sagt Plümacher Neuen Natureindrücken, etwa auf Fernreisen, würden wir dagegen mit Neugier be gegnen. Durch das Mittel der Infrarotdarstellung erzeugt der Fotograf eine farbliche Verfremdung einer gewohnten Umgebung. « Die Telli-Häuser erfahren dadurch eine andere Aufmerksamkeit, es entwickelt sich eine kuriose Neugier. »
Eine energetische Sanierung, ein Nachhaltigkeitszertifikat und die bestmögliche Rücksichtnahme auf die Mieterinnen und Mieter – lediglich diese drei Forderungen stellte die AXA an das Planungsteam. 2015 beauftragte sie dieses mit einer Machbarkeitsstudie für die Sanierung ihrer beiden Telli-Wohnzeilen B und C. Die Ertüchtigung der unter Ensembleschutz stehenden Siedlung Telli in Aarau würde, das war der Eigentümerin bewusst, auch ohne enges Anforderungskorsett knifflig genug werden.
Acht Jahre später stehen die gestuften Betonzeilen der Telli fast unverändert im Park. Die vergrösserten Balkone und frischen Fassaden verraten nicht, dass der Heizwärmebedarf der Häuser um zwei Drittel gesunken und der Heizungsbetrieb nun weitgehend fossilfrei ist. Auch die Mieterschaft hat sich kaum verändert: Drei Viertel der Mietverträge blieben bestehen. Die minutiöse Planung, die reibungslosen Bauabläufe und die enge Begleitung der Bewohnerschaft vor und während der Sanierung waren ausschlaggebend für den Erfolg des Grossprojekts.
Die Auftaktgeschichte dieses Hefts zeichnet die Anfänge und die bewegte Bauhistorie der Telli-Siedlung nach. Der Architekt Markus Peter und der Nachhaltigkeitsexperte Attila Gygax erläutern, wo die Potenziale des Bestandes lagen und wie sie energetische mit architektonischen Verbesserungen verknüpften. Die Bauleiterin Anke Lochner erklärt, wie man in Rekordzeit 581 Wohnungen saniert, ohne dabei aus dem Takt zu fallen. Die Kommunikationsexpertin Andrea Schafroth und die soziokulturelle Animatorin Lea Estermann sind überzeugt, dass eine offene Kommunikation und direkte Begegnungen mit den Mieterinnen und Mietern bei einem solchen Projekt unverzichtbar sind. Die Eigentümervertreterin Manuela Gnehm und der Bauprojektleiter Tillmann Hohenacker beantworten die Frage, weshalb sich der grosse Aufwand für die AXA gelohnt hat. Ein Spaziergang durch den im Rahmen des Grossprojekts ebenfalls instand gesetzten Tellipark bildet den Abschluss. Deborah Fehlmann
Impressum
Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid Verlagsleiterin Susanne von Arx Konzept und Redaktion Deborah Fehlmann
Fotografie Christof Plümacher Art Direction Antje Reineck Layout Lena Hegger Produktion Nathalie Bursać Korrektorat Rieke Krüger
Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit AXA hochparterre.ch / Telli Themenheft bestellen ( Fr. 15.—, € 12.— ) und als E-Paper lesen
Vom Werden eines Denkmals
Am Anfang stand ein sehr grosses Stück Land. Dann brachten ein ambitionierter Generalunternehmer und ein weitsichtiger Planer das Grossprojekt Telli ins Rollen.
Text: Lukas Zurfluh
Die Entstehungsgeschichte der Siedlung Telli geht zurück bis in die späten 1940er-Jahre: 1948 wurde die Regionalplanung von Aarau und den umliegenden Gemeinden, kurz « Repla », in Angriff genommen – es war eine der ersten Regionalplanungen der Schweiz. Hans Marti, der spätere Planer und Architekt der Telli, war massgeblich daran beteiligt. Nachdem die Planungsarbeiten beendet und die Nutzungsplanentwürfe an die Gemeinden abgeliefert waren, wirkte er mit seinem Architektur- und Planungsbüro Marti + Trippel ab 1954 bei der anschliessenden Ortsplanung der Stadt Aarau mit. Auch an der 1960 abgeschlossenen Totalrevision der Bauordnung – verfasst von Erich Zimmerlin, Stadtammann von Aarau und Studienfreund von Marti – sowie an der Erstellung eines Zonenplans siehe Abbildung Seite 5 war Marti beteiligt.
Die nordöstlich des Stadtzentrums gelegene und an die Auenlandschaft der Aare anschliessende Untere Telli war zum damaligen Zeitpunkt mit knapp 200 00 0 Quadratmetern die letzte grosse Landreserve der Stadt. Im Südwesten war sie geprägt von Industriefirmen wie der Chemischen Fabrik Frey, der Chocolat Frey sowie der Färberei Jenny, die die grösste Grundeigentümerin war. Im Entwurf zum Zonenplan wurde die Landreserve einer provisorischen Sondernutzungszone zugewiesen, die durch parallel dazu laufende Studien im Detail definiert werden sollte.
Das Grossprojekt nimmt Form an
Ende der 1960er-Jahre nahmen die Arbeiten richtig Fahrt auf. Der Bauunternehmer Josef Wernle siehe ‹ Das Generalunternehmen Horta ›, Seite 5 hatte im Gewerbegebiet der Telli eine grosse Landfläche erworben und war dem Vorschlag des Aarauer Stadtbaumeisters René Turrian nicht abgeneigt, zusammen mit den anderen Grundeigentümern eine einheitliche Grossüberbauung zu planen. Neben dem Generalunternehmen Horta besassen die ehemalige Färberei Jenny, die Einwohner- und die Ortsbürgergemeinden von Aarau sowie der Kanton Aargau Landflächen.
Im Auftrag der fünf Grundeigentümerschaften lud Horta im Juli 1970 sechs Architekturbüros zu einem Wettbewerb ein: Emil Aeschbach, Jul Bachmann und Geiser + Schmidlin aus Aarau, Funk + Fuhrimann aus Baden, Marti + Kast aus Zürich und Konrad Wolf aus Bern. Ziel war laut Wettbewerbsbroschüre « die Schaffung einer grossen, zeitgemässen und mit der nötigen Infrastruktur versehenen Wohnüberbauung in unmittelbarer Nähe des organisch gewachsenen Stadtzentrums ». Der Wettbewerb sollte die Grundlagen für den Gestaltungsplan und die Sonderbauvorschriften, aber auch für die Planung der Schulanlagen und weiterer Folgeeinrichtungen hervorbringen. Gefordert waren Vorschläge für eine Mehrfamilienhausbebauung für 4500 Menschen, ein Quartierschulhaus, sechs Kindergärten und eine Kinderkrippe, eine Zentrumsüberbauung mit Einkaufsmöglichkeiten, eine Freizeitanlage mit Räumlichkeiten für Versammlungen sowie Büround Gewerberäume.
Die im Dezember 1970 eingereichten Entwürfe lassen sich in zwei Gruppen einteilen: In der einen gab es Entwürfe mit sehr langen, geknickten und teilweise horizontal gestaffelten Baukörpern. In der anderen Entwürfe mit kürzeren Baukörpern in verschiedenen Formaten. Die Expertenkommission entschied sich für die Projekte von Emil Aeschbach und Marti + Kast aus der ersten Gruppe und forderte von den beiden Teams unter anderem « eine Verb esserung der städtebaulichen Aspekte und
Zonenplanskizze von 1956. Das orange Telli-Areal ( kariert ) ist als Spezialplan-Gebiet definiert. Bild: GTA-Archiv/ETH Zürich, Hans Marti
der Konzeption besonders in Hinblick auf die Baumassenverteilung ». Nach der Präs entation der Überarbeitungen im Januar 1971 empfahl die Jury das Projekt von Marti + Kast als Siegerprojekt zur Weiterbearbeitung. Das Zürcher Büro wurde mit dem Gesamtrichtplan und der Ausführung der Wohnsiedlung beauftragt, während Aeschbach, Felber und Kim das Einkaufszentrum bauen sollten. Nur ein halbes Jahr nach dem Wettbewerbsentscheid reichten die Architekten das Baugesuch ein. Die Baubewilligung für die erste Etappe erfolgte Ende 1971. Sofort wurden die Bauarbeiten aufgenommen und im Dreischichtbetrieb und sogar mit Nacht- und Sonntagsarbeit vorangetrieben. So fielen die Bauzeiten unglaublich kurz aus: Die Wohnzeile A wurde zwischen 1971 und 1972 erstellt, das Einkaufszentrum mit Bürohochhaus entstand bis 1973. Die Wohnzeile B und das Gemeinschaftszentrum folgten bis 1974. Doch ab 1973 bremste die Ölkrise den Baufortschritt der Telli: Sie löste eine Immobilienkrise aus und der Wohnungsmarkt brach zusammen, was wiederum die Generalunternehmung Horta 1976 in den Konkurs trieb –zu viel Immobilienbesitz und zu wenig Liquidität hatten ihr das Genick gebrochen. Die Winterthur-Versicherung, die seit 2006 zu den AXA Versicherungen gehört, kaufte die Wohnzeilen B und C und stellte Letztere bis 1980 fertig. Obwohl das Badener Planungs- und Architekturbüro Metron im Hinblick auf die verbleibende Etappe noch alternative Siedlungsformen studiert hatte, entschied man sich, beim alten Konzept zu bleiben. Geplant durch die Architekten Aeschbach, Felber und Kim und finanziert durch eine Eigentümergemeinschaft entstand so zwischen 1987 und 1991 schliesslich die Wohnzeile D.
Variantenreich und starr zugleich
Das Generalunternehmen Horta
Josef Wernle wollte als Unternehmer hoch hinaus. 1951 eröffnete der gelernte Zimmermann in Küttigen bei Aarau eine Werkstatt. Zunächst spezialisierte er sich auf den Küchenbau, später entwickelte er Elementbausysteme in Holz und Beton für ganze Gebäude. Das Programm seiner Horta Systembau AG umfasste nebst Wohnhäusern in allen Grössenordnungen auch Kindergartenpavillons, Schulhäuser und Kirchengebäude.
Angetrieben vom Bauboom der Nachkriegszeit und von einer aggressiven Expansionsstrategie, wuchs die Horta in den 1960er-Jahren stark. Josef Wernle kaufte in der ganzen Schweiz Grundstücke und realisierte als Generalunternehmer vermehrt Grossüberbauungen. 1973 fasste er seine Firmen unter dem Namen Horta Holding AG zusammen. Doch noch im selben Jahr begann mit der Ölkrise und dem darauf folgenden Einbruch des Immobilienmarktes der Niedergang: 1976 ging die Horta Holding in Konkurs.
Literatur
– Dr. iur. Erich Zimmerlin: ‹ Bauordnung der Stadt Aarau ›. Sauerländer, Aarau 1960.
– Ortsbürgergemeinde Aarau ( Hg. ):
‹ Aarauer Neujahrsblätter 1998 ›. Sauerländer, Aarau 1997.
– Ortsbürgergemeinde Aarau ( Hg. ):
‹ Aarauer Neujahrsblätter 2018 ›. Hier und Jetzt , Baden 2017.
– Susanna Knopp, Markus Wassmer: ‹ Der Reiz des Rationellen ›. In: Werk , Bauen + Wohnen. Heft 10 / 1995.
– Fabian Furter, Patrick Schoeck-Ritschard:
‹ Göhner Wohnen. Wachstumseuphorie und Plattenbau ›. Hier und Jetzt, Baden 2013.
– Claude Ruedin, Michael Hanak ( Hg. ):
‹ Hans Marti – Pionier der Raumplanung ›.
GTA Verlag, Zürich 2008.
– Horta Holding AG ( Hg. ): ‹ Rastel- Granit. Der Schlüssel für den rationellen Bau von Qualitätswohnungen ›. Selbstverlag, Aarau 1974.
– Eveline Althaus: ‹ Sozialraum Hochhaus. Nachbarschaft und Wohnalltag in Schweizer Großwohnungsbauten ›. Transcript, Bielefeld 2018.
– Michael Koch: ‹ Wohnbauten als StadtBausteine ›. In: Werk , Bauen + Wohnen Heft 10/1995.
– ‹ Wohnbebauung für 4500 Einwohner ›.
In: Bauen + Wohnen Heft 5 / 1973
Ein Einkaufszentrum mit Bürohochhaus und vier verschieden lange und in die Landschaft ausgreifende Wohnzeilen prägen die Telli. Die im Grundriss einfach geknickten Bauzeilen haben an den Endpunkten sechs bis acht Geschosse und steigen stufenweise bis auf 19 Geschosse an. Die Hochpunkte der B aukörper fallen jeweils mit den Knicken im Grundriss zusammen. Vom Süd- und Westrand der Siedlung aus erschliessen unterirdische Strassen die Tiefgaragen. Der grosse, zusammenhängende Freiraum ist vollständig autofrei. Bei der Gestaltung des Telliparks gelang es dem Badener Landschaftsarchitekten Albert Zulauf, den Freiraum der Siedlung nahtlos in die Auenlandschaft der Aare übergehen zu lassen. Er passte das Gelände in beträchtlichem Masse und unter Verwendung des anfallenden Aushubs an, auch um über den Tiefgaragen genug Überdeckung für das Anpflanzen von Bäumen zu gewährleisten. Zwischen den Bauzeilen C und D fliesst der Sengelbach als weiteres Landschaftselement durch die Siedlung bis zur Aare. Im Tellipark finden sich vielfältige gemeinschaftliche Nutzungen, wie etwa ein Kindergarten, mehrere Spielplätze und -wiesen, ein Planschbecken, Sportplätze oder eine Grillstelle.
Das Generalunternehmen Horta verlangte von den Architekten, dass sie das Horta-Bausystem ‹ Rastel-Granit › verwendeten. Josef Wernle hatte das System zusammen mit den Architekten Aeschbach und Felber zum ersten Mal beim Aarauer Wohnquartier Goldern angewendet. Die Planer mussten das System möglichst unverändert einsetzen, damit die firmeneigenen Schreinereien standardisierte Ausbauten produzieren und montieren konnten. ‹ Rastel-Granit › ist eine zwar vollrationalisierte und modularisierte, aber eigentlich konventionelle Bauweise. Im Gegensatz etwa zu den Konstruktionsweisen einer Ernst Göhner AG bestand der Rohbau dabei nicht aus vorfabrizierten und voll installierten Plattenelementen.
Die Tragstruktur wurde vor Ort mit Grossflächenschalungen betoniert, die Zwischenwände gemauert. Nur wenige Elemente, wie etwa die Treppenläufe, waren vorfabriziert. Die Fassaden- und die Innenausbauelemente wurden industriell vorgefertigt und dann vor Ort montiert.
Trotz ihrer variierenden Grössen war der eigentliche Spielraum bei den Wohneinheiten begrenzt und so entsprachen diese alle dem gleichen Typus der durchgesteckten Zweispänner-Wohnung. Die durch die Abtreppung der Baukörper generierten zahlreichen Attikawohnungen waren kaum grösser und verfügten über eine zwar grosszügigere, aber nur schlecht an den Wohnraum angeschlossene Dachterrasse. Auch beim Innenausbau wurde nur wenig Rücksicht auf die unterschiedlichen Wohnungstypen genommen, verfügten doch alle Wohnungen über die gleich grossen, halboffenen Küchen. In den Wohnungen kamen verschiedene – damals mo derne, aus heutiger Sicht aber teilweise fragwürdige – Werkstoffe zur Anwendung: Teppich- und PVC-Beläge, sehr viel Kunststoff wie beispielsweise Spritzplastik an den Wänden. Die Fassaden waren geprägt von den beidseitig durchlaufenden Balkonen mit Brüstungen aus Beton und Glas sowie die zurückliegenden Fensterfronten in Meranti-Sichtholz. Auf den Ostseiten rhythmisierten die hervorstehenden, vertikalen Liftschächte die langen Fassaden.
Eine bemerkenswerte Siedlung
Eine Referenz für den Bau der Telli ist sicherlich die 1971 vollendete Cité du Lignon in Vernier bei Genf von Georges Addor und Dominique Juillard. Laut Aussagen von Fritz Wagner, dem späteren Stadtplaner von Aarau, reiste die Aargauer Expertenkommission in die Romandie, um sich die neue Siedlung anzuschauen, befand sie jedoch für zu gross und zu stur. Dennoch verbindet die Cité du Lignon die Telli mit französischen Grosssiedlungen wie beispielsweise der Toulouse-le-Mirail von Candilis, Josic und Woods in Toulouse.
Hinsichtlich der Grösse und Anzahl der Wohneinheiten gibt es in der Schweiz mehrere mit der Telli vergleichbare Grosssiedlungen. Die volumetrische und geometrische Ausformulierung der Baukörper – lange, geknickte und ansteigende Wohnzeilen – sowie die Grosszügigkeit und der landschaftliche Charakter des Freiraums machen die Telli jedoch einzigartig. Als Vergleiche kommen nur wenige Siedlungen in Frage: Göhner-Siedlungen wie die Sonnhalde in Adlikon ( 1969 – 1979 ), Langgrüt in Zürich ( 1970 – 1971 ) oder Avanchet-Parc in Vernier ( 1970 – 1977 ) oder auch Grünau in Zürich-Altstetten ( 1975 – 1976 ). Keine dieser Siedlungen hat jedoch einen vergleichbaren Massstab mit einer gleichzeitig derart radikalen Freihaltung und landschaftlichen Charakteristik des Aussenraums.
Es ist zudem bemerkenswert, dass die Telli nach einer längeren Baupause erst 1991 fertiggestellt wurde – und das bei gleichbleibendem Bebauungskonzept, obwohl für die letzte Etappe Alternativen evaluiert worden waren. Das hat auch damit zu tun, dass die im Volksmund « Staumauer » genannte Siedlung aus s ozialer Sicht bis zu diesem Zeitpunkt eine Erfolgsgeschichte war und es auch heute noch ist. Die Bewohnerschaft ist divers und fühlt sich stark mit der Siedlung verbunden – die B ewohnerinnen und Bewohner bezeichnen sich selbst gerne als « Tellianer » – und macht mehr als einen Zehntel von Aaraus Wohnbevölkerung aus. Als Reaktion auf eine drohende Abwertung Ende der 1990er-Jahre lancierte Aarau 2000 das Quartierentwicklungsprogramm ‹ allons-y Telli! ›, das unter anderem mit sozialen Projekten und der Erneuerung des Aussenraums sowie der Gemeinschaftseinrichtungen erfolgreich Gegensteuer geben
Die Aarauer Siedlung Telli ist für Schweizer Verhältnisse gross, ihr Bausystem ist rigide. Die Wohnqualität in der Telli ist dank des klugen städtebaulichen Konzepts und der sie umgebenden weitläufigen Parklandschaft dennoch hoch.
Musterschülerin
Mehr Lebensqualität, ein weitgehend fossilfreier Betrieb und ein deutlich tieferer Energieverbrauch: Die erneuerte Telli ist ein Vorzeigebeispiel in Sachen Gebäudesanierung.
« Kann ich Ihnen helfen? », erkundigt sich ein B ewohner mit Hund, als er die Besucherin im gedeckten Zugangsbereich der frisch sanierten Wohnzeile Telli B wartend antrifft. Die Telli, eine anonyme Grossüberbauung ? Wer mit dieser Vorstellung hierherkommt, wird eines Besseren belehrt. Die soziale Struktur in den vier gestuften Wohnzeilen, die zusammen 1258 Wohnungen fassen, erinnert eher an ein Dorf: Man grüsst und kennt sich, trifft sich vor dem Kindergarten und auf der Kegelbahn, im Restaurant TelliEgge und auf dem Tennisplatz. Bis vor Kurzem betrieb die Telli-Siedlung auch einen Kleintierzoo. Der gelebten Dorfidylle zum Trotz hat die Telli, wie viele andere Grosswohnsiedlungen hierzulande, seit ihrem Bestehen mit Vorurteilen zu kämpfen. Angesichts ihrer Grösse und rationellen Architektur sind die Parallelen zu sozialen Brennpunkten an den Rändern grosser europäischer Städte schnell gezogen. Doch die Qualitäten der Telli liegen jenseits ihrer gebänderten Betonfassaden.
Erstens ist die Siedlung baulich ein Kosmos für sich und dennoch keine isolierte Satellitenstadt: Ihre Bewohnerinnen radeln in fünf Minuten zum Bahnhof Aarau oder spazieren in 20 Minuten in die Altstadt. Mit der Auenlandschaft an der Aare liegt ein Naherholungsgebiet vor der Haustür. Zweitens macht die Telli städtebaulich vieles richtig: Die bauliche Dichte ist mit einer Ausnützungsziffer von 1,0 hoch. Weil die Architekten Marti + Kast die bis zu 19-geschossigen Wohnzeilen versetzt zueinander
anordneten, ihnen unterschiedliche Knickrichtungen gaben und ihre Hochpunkte gegeneinander verschoben, wirkt der durchgehend gestaltete Grünraum zwischen den Wohnzeilen erstaunlich weit. Ein dichter Baumkranz trennt die Gebäude von der Tellistrasse, wo Einkaufs- und Gemeinschaftszentrum, Quartierrestaurant und Bushaltestelle liegen. Um zu Schule, Kindergarten und Spielplätzen zu gelangen, durchquert man die autofreie Parklandschaft. Bei Regen tummeln sich die Kinder auf den Spielgeräten und in den « Passerellen », wie die offenen Erdgeschosse hier heissen. Dank dieser Passerellen gelangen auch die älteren Bewohner trockenen Fusses zur Haustür. Die Einkaufswagen dürfen bis dorthin mitrollen, so steht es in der Vereinbarung mit dem Einkaufszentrum.
Eine dritte Qualität der Telli sind die Wohnungen. Sie sind zwar einfach ausgestattet und je nach Typ klein bis sehr klein – doch damit auch günstig. Und sie sind gut geschnitten: Die überwiegende Mehrheit hat zwischen dreieinhalb und fünfeinhalb Zimmern, wobei der kombinierte Wohn- und Essraum mit der offenen Küche sich gegen Westen, die Schlafzimmer sich gegen Osten richten. Die weniger zahlreichen Ein- bis Zweieinhalbzimmerwohnungen blicken nur auf eine Seite.
Knifflige Ausgangslage
Die Eigentümerin AXA war sich der baulichen und sozialen Qualitäten der Aarauer Siedlung bewusst, als sie 2015 beschloss, ihre beiden Wohnzeilen, Telli B und C, für weitere 40 Nutzungsjahre instand zu setzen. Auch war klar, dass die Sanierung der 581 Wohnungen eine Herausforderung werden würde. Die vorhandene Gasheizung →
in Kombination mit der energetisch schlechten Gebäudehülle war der grosse Knackpunkt. Nach den Standards der 1970er-Jahre erbaut, kannte die Ortbetonstruktur weder thermische Bauteiltrennungen noch Dämmungen, die ihren Namen verdienten. Das und der hohe Glasanteil führten zu einem massiven Heizenergieverbrauch.
Allein die Ortbetonstruktur mit ihren über die Längsfassaden durchgehenden Balkonen energetisch zu ertüchtigen, wäre kompliziert genug gewesen. Hinzu kam, dass die Telli unter kommunalem Ensembleschutz steht. Es galt deshalb, das einheitliche Erscheinungsbild der gesamten Siedlung im Zuge der Sanierung zu bewahren. Allerdings lassen die Vorgaben zum Ensembleschutz Gestaltungsspielräume offen, « um Konflikte zwischen Gebrauchswert und Alterswert weniger rigide auszutragen », wie es Architekt Markus Peter ausdrückt. « Das interessierte mich. » D eshalb, und weil Sanierungen und Umbauten grosser Strukturen das Büro Meili, Peter & Partner seit vielen Jahren begleiten, sagte der Architekt gerne zu, eine Machbarkeitsstudie für die Sanierung der Telli zu erarbeiten. Die AXA reduzierte die Aufgabe angesichts der kniffligen Ausgangslage auf drei Anforderungen: Sie verlangte erstens ein Konzept für die energetische Sanierung der beiden Häuserzeilen, mit dem sich zweitens ein anerkanntes Schweizer Nachhaltigkeitszertifikat erreichen liesse. Drittens sollten die Arbeiten in bewohntem Zustand und mit Rücksicht auf die Bewohnerschaft erfolgen. Letzteres erschwerte das Vorhaben zwar erheblich, doch 581 Mietparteien auf einmal zu kündigen, hätte zum einen den Wohnungsmarkt in Aarau überfordert und zum anderen die sozialen Strukturen im Quartier zerstört – zumal nicht wenige s eit Jahrzehnten in der Siedlung wohnten.
Fünf Partner verstärkten das Architekturbüro in der Machbarkeitsstudie: Nänny + Partner für die Statik, EBP für die Haustechnik, HGK für den Brandschutz und Gartenmann Engineering für Bauphysik und Nachhaltigkeit.
Drees & S ommer, mit denen Meili, Peter & Partner später als Generalplaner zusammenspannten, brachten ihre Expertise im Baumanagement und in der Bauleitung ein. Um die Bauzeit für die gut 1000-köpfige Bewohnerschaft erträglich zu gestalten, waren eine minutiöse Planung und reibungslose Bauabläufe unerlässlich.
Neue Balkone, dichtere Hülle
Die Machbarkeitsstudie führte zu zwei Grundsatzentscheiden: Zum einen war der Nachhaltigkeitsstandard SNBS 2.0 Favorit für die Zertifizierung. Die Telli verfügte mit ihrer verkehrsfreien Umgebung, ihren gemeinschaftlichen Erdgeschossnutzungen und ihrer Nähe zum ÖV und zu Dienstleistungsangeboten für den täglichen Bedarf über gute Voraussetzungen für das SNBS-Zertifikat. Doch das ausschlaggebende Argument für SNBS seien die Freiheiten beim Lüftungskonzept gewesen, sagt Attila Gygax von Gartenmann Engineering. Es stand fest, dass die Wohnungen nach der Sanierung aufgrund der dichteren Fassaden eine Grundbelüftung zum Abtransport der Feuchtigkeit benötigten. Im Rahmen von SNBS liess sich dies mit einem einfachen System aus Abluftabsaugung in den Nasszellen und Nachström-Öffnungen in den Fensterrahmen lösen. Auf Basis der ersten Berechnungen setzten sich Planerinnen und Bauherrschaft also das Zertifikat ‹ SNBS Silb er › als Mindestziel.
Der zweite – und handfestere – Grundsatzentscheid war, die durchgehenden Balkone auf der Westseite in der äusseren Fassadenflucht abzutrennen und durch eine neue, thermisch getrennte Balkonschicht zu ersetzen. Das war mit überschaubarem Aufwand technisch machbar, da die Westbalkone bereits im Bestand durch einen zwei
Grossprojekt im Verborgenen
Die erneuerte Fassade der Telli ist, obwohl kaum sichtbar, die augenfälligste Veränderung. Noch unscheinbarer sind die zahlreichen Massnahmen zur Verbesserung der Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit. So schützt etwa eine neue Abdichtung auf den Decken und Aussenwänden die Tiefgaragen vor eindringendem Wasser. Die in die Jahre gekommene Tragstruktur der Garagen wurde instand gesetzt und verstärkt. Der Tellipark litt unter den Bauarbeiten im Untergrund gleich doppelt. Erstens dienten Teile des Parks während der Bauzeit als Parkplatz, zweitens musste die gesamte Erdüberdeckung der Tiefgaragen mitsamt Pflanzen weichen siehe ‹ Lauschige Weite › auf Seite 28 Auch die Treppenhäuser beschäftigten Planerinnen und Baufachleute intensiv. Ihre Umfassungswände und die Treppenläufe hätten sich – dies zeigte eine Untersuchung des Statikers – im Falle eines Erdbebens vom Rest der G ebäude loslösen können. Um das zu verhindern, halten nun Stahlplatten in allen Geschossen die durch Dilatationsfugen getrennten Bauteile zusammen. Auch die Brandschutzertüchtigung war aufwendig, denn die Mehrzahl der Häuser gilt mit über 30 Metern Höhe als Hochhaus. Mit Brandmeldeanlagen, Sicherheitsbeleuchtung und Entrauchungsanlagen entsprechen die Treppenhäuser nun den heutigen Vorschriften. Der Brandschutz war auch ein Grund, weshalb die unbeheizten Treppenhäuser ungedämmt geblieben sind. Die Abwägung zwischen dem energetischen Nutzen und dem Aufwand für eine brandschutzkonforme Umsetzung sprach gegen eine Innendämmung. Eine Aussendämmung stand wiederum aus baukultureller Sicht nicht zur Debatte.
Zentimeter starken Isolationsstreifen von den Deckenstirnen getrennt waren. Auf der Ostseite hingegen gingen die Geschossdecken durch bis in den Aussenraum. Es wäre aufwendig und aufgrund der hohen Lärmbelastung unzumutbar gewesen, die massiven Betondecken entlang der Fassade durchzuschneiden. Das Team entschied deshalb, die weniger tiefen und zwischen den Treppenhaustürmen eingespannten Ostbalkone so zu belassen und an den Flanken zu dämmen. Zusammen mit neuen, besser gedämmten Fassadenelementen aus Holz und Dreifachverglasung sowie Dämmungen an den geschlossenen Stirnfassaden, an Untersichten und Dächern liesse sich damit der Heizwärmeverbrauch, so die Prognose, um 58 Prozent reduzieren. Der zeitgleiche Umstieg von Gasheizung auf Fernwärme aus einem lokalen Wärmeverbund würde die Treibhausgasbilanz im Betrieb zusätzlich verbessern.
Mehrwerte durch Mehrtiefe
Die über die gesamte Wohnungsbreite durchgehenden Balkone und die raumhohen Fenster seien eine besondere räumliche Qualität der Telli, so Architekt Markus Peter. « Und je dichter die B ebauung, desto wichtiger ist das Vorhandensein qualitativer Aussenräume. » Mit nur
eineinhalb Metern Tiefe waren die Balkone allerdings nur eingeschränkt nutzbar. Die Architekten planten die neuen Balkone deshalb 90 Zentimeter tiefer als die alten. Damit würden diese genügend Platz für Pflanzen, Liegestühle und ein Essen mit Familie oder Gästen bieten.
Die Mehrtiefe erwies sich aus einem weiteren Grund als hilfreich: Bei der ersten Sanierung der Telli im Jahr 2006 hatte die AXA Küchen und Bäder ersetzen lassen. Wollte man Geräte und Wandbeläge nicht schon wieder herausreissen, blieb der Zugang zu den Steigzonen versperrt. Statt vertikal nach oben führen die neuen Abluftleitungen der Nasszellen deshalb den Wohnungsdecken entlang bis zur Westfassade und verschwinden in den farbigen Eternit-Reduits auf den Balkonen. Zusammen mit den neuen Steigleitungen der Heizung füllen die Lüftungsrohre ein grosses Stück der allseits beliebten Stauräume. Der nutzbare Platz blieb jedoch fast unverändert – den zusätzlichen 90 Zentimetern Balkontiefe sei Dank.
Die alten und neuen Balkone unterscheiden sich abgesehen von der Grösse kaum, obwohl feine Anpassungen vorgenommen wurden. Die zusätzlichen zehn Zentimeter Brüstungshöhe verteilen sich auf den massiven unteren Teil, auf die verglaste Mitte und den hohen Seite 17 →
Befreiungsschlag in den Attiken
Spektakulär ist die Aussicht von den grossen Dachterrassen in die grünen Hügel des Jura. Dank ihrer gestuften Gebäudeform besitzt die Telli zahlreiche Attikawohnungen, die von exklusiven Aussenräumen profitieren. Nur waren Wohnräume und Terrassen seit jeher schlecht miteinander verbunden. Grund dafür ist ‹ Rastel- Granit ›, der S ystemgrundriss der Horta AG, auf dem die ganze Siedlung aufbaut. Den normalen Geschosswohnungen gleich, blickt das Wohn- und Esszimmer der Attikawohnungen stur nach Osten. Zu den Dachterrassen im Norden respektive im Süden vermittelt bloss eine Fenstertür.
Die Sanierung bot die Chance, sich aus den Systemzwängen des früheren Generalunternehmers zu befreien. Das Architekturbüro entfernte die Küchenzeile von der Aussenwand und setzte die neue um 90 Grad gedreht an die Rückwand des offenen Koch- und Essbereichs. Die befreite Aussenwand lässt sich nun mit einem Hebeschiebefenster zur Dachterrasse hin öffnen. Anstelle des ge deckten Aussensitzplatzes im westlichen Teil der Dachterrasse entstand ein weiteres Zimmer. Dieser neue Raum ist mit der Wohnung verbunden, verfügt aber über ein eigenes Bad, einen privaten Westbalkon und separaten Zugang zum Treppenhaus und ist damit ideal für Gäste, Eltern oder junge Erwachsene.
Weshalb sanieren?
2021 stiessen die Schweizer Haushalte
7,95 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente aus und waren für 30,3 Prozent des Endenergieverbrauchs verantwortlich. Fast 80 Prozent der Energie nutzten sie für Heizung und Warmwassererzeugung – eine Zahl, die das Potenzial von energetischen Sanierungen hinsichtlich Klimaschutz verdeutlicht. Nach der Telli-Sanierung ergaben Messungen des Heizwärmeverbrauchs eine Reduktion um 63 Prozent, die Treibhaus gasemissionen sind gemäss Berechnungen um 82 Prozent gesunken. Zahlreiche Sanierungen von energetisch vergleichbaren Häusen stehen an. Die Telli setzt nun den Massstab dafür.
Telli B und C
Treibhausgasemissionen im Betrieb Heizen und Warmwasser pro Jahr in Tonnen CO₂-Äquivalente auf Grundlage GEAK Plus
Telli B und C Klassierung nach GEAK vor und nach der Sanierung
Die Baumanagerin und Bauingenieurin Marieke Vagt hat die Zielerreichung der energetischen Sanierung der Telli in ihrer Masterarbeit mit dem Titel ‹ Energetische Sanierung. Aus der Theorie zur Praxis › untersucht. Die bisher unveröffentliche Thesis entstand 2023 im Rahmen des Studiengangs Engineering an der Hochschule Konstanz. Vagts Analyse bildet die Grundlage für die Infografiken auf dieser Doppelseite.
Telli B Heizwärmeverbräuche vor und nach der Sanierung in kWh, Messzeitraum Dezember bis Februar
Quelle: Heizkostenabrechnungen Eniwa
Quelle: Heizkostenabrechnungen Eniwa
Detailschnitt Westfassade
1 A luprofil Natur eloxiert
2 Verbundsicherheitsglas strukturiert
3 H olzfenster, 3-fach-Isolierverglasung
4 B etonschwelle vorfabriziert
5 F lexmörtel
6 A bdichtung
7 Aufschiftung XPS
8 M ontageblech Fenster
9 D ämmung Mineralwolle
10 Ausstopfung Mineralwolle
11 Toleranzbereich Fenstereinbau
12 S eitlicher Abschluss zu Luftansaugung
13 Äussere Sturzverkleidung Holz
14 L amellenstoren
15 E ichenschwelle
16 G ummigranulat
17 H eizrohre örtlich, isoliert
18 S chiftunterlage
19 A bklebung Dampfsperrfolie
20 Montagewinkel Fenster
21 L uftkanal gedämmt
22 I nnere Sturzverkleidung Holz
23 L uftüberströmelement
24 Bodenaufbau Bestand:
– Bestehender Belag 10 mm
– Zementunterlagsboden 50 mm
– Trittschalldämmung 10 mm
– Betondecke 180 mm
– Deckenputz
Quartiertreffpunkt im Zoopavillon
Nicht wenige Bewohnerinnen und Bewohner der Telli waren traurig, als der Kleintierzoo im Norden des Telliparks 2020 seine Türen schloss – schliesslich gehörten die Esel und Ponys, Meerschweinchen und Vögel seit den Anfängen zur Siedlung. Eine artgerechte Tierhaltung war in der veralteten Anlage allerdings kaum mehr möglich. Die AXA nahm die bevorstehende Sanierung deshalb zum Anlass, die Nutzung des Pavillons zusammen mit der Bewohnerschaft zu überdenken. Daraus entstanden ist das Eventlokal ‹ Telli Treff ›. Mit einem regelmässigen Bistrobetrieb und Veranstaltungen von Yogakursen über Kochkurse bis zu Tanzstunden soll es Begegnungen und Bekanntschaften innerhalb der Siedlung fördern. Seine zwei Säle und die Eventküche sollen aber auch Vereinen und anderen Gruppen von ausserhalb offenstehen. Auch die Umgebung des Lokals wurde im Zuge der Sanierungsarbeiten umgestaltet. Statt Tiergehegen gibt es nun einen Aussensitzplatz mit Grillstelle und Kinderspielplatz.
Aluminium-Handlauf. Letzterer besitzt auf der Innenseite ein zusätzliches Profil, auf dem Kräutertöpfe oder Trinkgläser Halt finden. Auch die für die Fassade charakterprägenden Lamellenstoren hängen wieder an ihrem Ort hinter den Betonstürzen. Um Beschädigungen aufgrund der teils starken Windexposition künftig zu vermeiden, werden sie über zentrale Windsensoren und eine hinterlegte Simulationsmatrix sektorenweise gesteuert.
Eine eindrückliche Klimabilanz
Im Sommer 2023 ist allmählich Gras über die drei Jahre Bauzeit gewachsen – wortwörtlich. Im wiederhergestellten Park spriessen neue Pflanzen, in der Telli ist Ruhe eingekehrt. Den meisten Besucherinnen fallen die etwas grösseren Balkone und die saubereren Fassaden der beiden mittleren Wohnzeilen vermutlich nicht einmal auf. Das aufgefrischte Farbkonzept in den Passerellen ist genauso zurückhaltend wie die neuen Deckenverkleidungen aus Holz. Nur hängen die Holzlamellen etwas tiefer als zuvor, dies, um Haustechnik und Dämmungen zu verbergen.
Was also hat der riesige Aufwand gebracht? Da wäre der beindruckend tieferere Heizenergieverbrauch. Die als Erstes sanierte Zeile Telli B hat bereits zwei Heizperioden hinter sich und verbrauchte im Schnitt 63 Prozent weniger Heizwärme als in den letzten Wintern vor der Sanierung. Das merken auch die Bewohner. Zwar hat die AXA einen Teil der wertvermehrenden Investitionen auf den Mietzins überwälzt, das Mietrecht lässt dies zu. Die zeit-
Sanierung Telli B und C, 2023
Delfterstrasse 21 – 44, Aarau
Bauherrschaft:
AXA Anlagestiftung, Winterthur
Generalplanung: Drees & Sommer
Schweiz, Zürich; Meili, Peter & Partner
Architekten, Zürich
Architektur: Meili, Peter & Partner, Zürich
Landschaftsarchitektur: Müller Illien, Zürich
Ausführung in Zusammenarbeit mit:
Plan Werk, Laufen
Statik: Nänny + Partner, St. Gallen
Haustechnikplanung: EBP Schweiz, Zürich
Bauphysik:
Gartenmann Engineering, Luzern
Brandschutzplanung:
HGK Consulting, Aarau
Kommunikation: S2R, Zürich
Siedlungscoaching: Itoba, Baden
Bauleitung:
Drees & Sommer Schweiz, Zürich
Baumeisterarbeiten: ARGE Staumauer ( Amrein Bau, Emmen; Interbohr, Olten )
Fensterbau: Wenger Fenster, Wimmis
Elementbau Aussenwände:
Schäfer Zimmerei, Aarau
Elementbau Balkone: Element , Veltheim
Spengler- und Flachdacharbeiten:
Tecton, Neuenhof
Umgebungsarbeiten: Schoop + Co., Baden
Baulogistik: BCL Schweiz, Dietlikon
Mietermanagement, Umzüge:
Lagerhäuser Aarau, Hunzenschwil
Sonnenschutzanlagen:
Schenker Storen, Schlieren
Elektroanlagen: Elektro-Bau AG, Rothrist
Photovoltaik-Anlagen:
Solarville, Härkingen
Heizungsanlagen: Koster, Zürich
Lüftungsanlagen: Hälg & Co., Aarau
Aufzugsanlagen: Schindler, Ebikon
Auftragsart: Direktauftrag, 2015
gleiche Senkung der Heiznebenkosten dämpft die Mieterhöhung jedoch deutlich. Im Gegenzug für die Mehrkosten ist die Lebensqualität in der Siedlung gestiegen. Dazu tragen die grösseren Balkone und die verbesserte Wärmeund Schalldämmung der Fassaden genauso bei wie die erneuerten Oberflächen im Bereich der Treppenhäuser, Eingangsbereiche und Tiefgaragen.
Auch die AXA kann zufrieden sein. Es ist ihr gelungen, die Wohnhäuser in bewohntem Zustand für die nächsten 40 Jahre in Schwung zu bringen. Dass drei Viertel der Mietverträge bestehen geblieben sind, ist nebst dem klugen Sanierungskonzept der intensiven Kommunikation und engen Begleitung der Bewohnerschaft zu verdanken. Eine Errungenschaft ist die weitgehende Befreiung von fossiler Heizenergie – weitgehend, weil der Fernwärmeanbieter zur Spitzenlastabdeckung Gas benötigt. Nachhaltigkeitsspezialist Attila Gygax schätzt, dass die durch die Sanierung verursachten Treibhausgasemissionen bereits nach dreieinhalb Betriebsjahren amortisiert sein werden. Die SNBS-Zertifizierung steht zwar noch aus, doch Gygax ist zuversichtlich, dass es ‹ SNBS G old › wird.
Schade ist einzig, dass mit der Sanierung nur die Hälfte der baukulturell wertvollen Telli gerettet ist. Die Wohnzeilen A und D warten noch auf eine Ertüchtigung. Die Eigentumsverhältnisse in den beiden Zeilen sind zersplittert, was die Ausgangslage kompliziert macht. Doch immerhin: Von den soliden planerischen Grundlagen könnten sie nun profitieren. ●
Jeweils vier Wohnungen wurden gleichzeitig saniert, die Bauarbeiten dauerten zehn Tage. Der obige Ausschnitt aus dem Sanierungsplan zeigt den Bauprozess für zwei Wohnungen.
Dank einer minutiösen Planung, Testläufen und einer ausgeklügelten Baustellenlogistik blieben die Bauarbeiten an der Telli trotz des ambitionierten Zeitplans im Takt.
Sanieren am Fliessband
Stellen Sie sich vor, Sie schliessen Ihre Wohnungstür hinter sich ab und verreisen in die Ferien. Zwei Wochen später kommen Sie nach Hause zurück und finden Ihr Hab und Gut unverändert vor: Möbel, Pflanzen, die Bilder an der Wand. Nur riecht es in der Wohnung nach frischer Farbe, zwischen den Wänden spannt sich eine neue Fensterfront und der Balkon davor ist ein gutes Stück gewachsen. Was wundersam klingt, erlebte die Bewohnerschaft der beiden Wohnzeilen Telli B und C. Verantwortlich für die Verwandlung waren keine Heinzelmännchen, sondern Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter, die ihr Kommen mit kreischenden Sägen und brummenden Bohrern längst angekündigt hatten. « Die Telli b esteht praktisch nur aus Beton. Schall und Erschütterungen breiten sich in der Struktur stark aus », erklärt Anke L ochner. Die Bauleiterin von Drees & Sommer verantwortete die Wohnungssanierungen in der Telli. Der Baulärm habe die Bewohnerschaft stark belastet, gerade zu Zeiten des Corona-Lockdowns, als alle tagein, tagaus in ihren Wohnungen sassen.
Getaktet wie die Automobilindustrie
Um die Bauzeit für die Mietenden erträglicher zu gestalten, liessen sich Bauherrschaft und Projektteam einiges einfallen: Ruhewohnungen, das Tellicafé, Balkonkonzerte, ein Halbzeitfest siehe ‹ Wir wollten verhindern, dass die Leute die Faust im Sack machen ›, Seite 24. Für die Bauleiterin war die Rücksichtnahme ein Balanceakt: « Wir mussten einers eits möglichst rasch vorankommen und andererseits die Ruhezeiten einhalten, damit sich die Leute erholen konnten. »
Tag für Tag gaben vier benachbarte Wohnparteien ihre Schlüssel ab, vier andere erhielten ihre zurück – von Frühling bis Herbst, über zwei Jahre hinweg. So arbeiteten sich die Bauleute von unten nach oben durch die Häuser. Waren sie im obersten Stockwerk angekommen, verlegten sie ihre Arbeit wieder ganz nach unten und starteten mit den nächsten vier Wohnungen. Genau zehn Arbeitstage lagen zwischen dem vereinbarten Auszugs- und dem Einzugstermin. Was während dieser Zeit geschehen sollte, hatten die beteiligten Planerinnen und Unternehmer unter der Leitung von Drees & Sommer im Zweistunden-Raster durchgetaktet. « Auf dem Bau sind Tages- oder Wochenprogramme die Regel. Unser Taktplan gleicht dagegen schon fast einem aus der Automobilindustrie », sagt L ochner. Der genaue Taktplan schaffte Verlässlichkeit für die Bewohnerinnen, die während der zwei Wochen Bauzeit teils wegfuhren oder in einer der 35 voll ausgestatteten Ausweichwohnungen in der Siedlung unterkamen. Doch auch zeitlich und finanziell zahlte sich der Taktplan aus: Durch die Optimierung eines Arbeitsablaufs liess sich pro Wohnung eine Stunde einsparen, bei 581 Wohnungen bedeutete dies immerhin rund 70 Arb eitstage.
Üben und optimieren
Die erste Voraussetzung für ein solches Vorgehen war der grosse Wiederholungsfaktor, den die Bauarbeiten hatten. Zwar sind die Wohnungsbreiten verschieden und auch in den Details sind nicht alle Wohnungen gleich. Mit Ausnahme der Attikawohnungen sind sie sich aber ähnlich genug, um den Bauablauf pro Wohnung standardisieren zu können. Die zweite Voraussetzung war eine minutiöse Planung, die unter anderem verlangte, sämtliche Arbeitsschritte im Voraus durchzuspielen und zu üben.
Gewerke
Baumeisterarbeiten
Montagebau in Holz Fenster in Holz Bodenbeläge aus Holz Lüftungsanlagen Plattenarbeiten S chreinerarbeiten an Fenstern Elementwände allg. Schreinerarbeiten Sonnenschutzanlagen Malerarbeiten Reinigung weitere Arbeiten
Arbeitsschritte
1 Balkon einheben und montieren
2 Reprofilieren, Winkel montieren
3 F assadenelement montieren
4 A bsturzsicherung demontieren, Element schützen
5 D uripanel innen und M ontagewinkel vorbereiten
6 S ockelleiste und Teppich entfernen
7 Fenster an- und abtransportieren
8 F enster rückbauen, Montage vorbereiten
9 B ohrungen anzeichnen
10 Kernbohrungen
11 Fliesen bis Brandsch ott rückbauen oder tauschen
12 F enster austauschen
13 F assadenelement
isolieren
14 W inkel Erdbebensicherung montieren
15 F enster montieren
16 S priessung entfernen
17 S chwelle schleifen
18 L üftungselemente
montieren
19 L üftung abkoffern
20 B randschott einbauen
21 F liesen einbauen
22 Glasplatte und A nschluss Fassade
23 S toren montieren
24 B alkonschwelle versetzen
25 Wetterschenkel montieren
26 Reduit montieren
27 P arkett einbauen
28 Aussenverkleidung montieren
29 S treichen innen
30 F enster einstellen
31 Reinigen
32 H ydrophobieren, trocknen lassen
Im Frühling 2018, also drei Jahre vor dem Start der Sanierungsarbeiten in der Telli, ragte deshalb aus der Fassade von Telli B plötzlich ein neuer Balkon. Er gehörte zur Musterwohnung, anhand derer das Planungsteam zum einen die Gestaltung überprüfte und zum anderen Erkenntnisse über den Bauprozess sammelte. Die einzelnen Arbeitsschritte für den Balkonersatz konnten an der Musterwohnung nicht tatsächlich durchgeführt, sondern lediglich simuliert werden. Dennoch half der Testlauf, das Vorgehen zu koordinieren und Schnittstellen zu klären. Gestützt auf die Erkenntnisse aus der Musterwohnung erarbeitete das Planungsteam bis 2019 ein Gesamtterminprogramm und schrieb die Arbeitspakete aus.
Im Frühling 2020 galt es dann ernst: Die zusammen mit den am Bau beteiligten Unternehmen erarbeitete, provisorische Taktplanung stand fest. Nun übte das Team die Arbeitsschritte an einem Mock-up der Westfassade. Es stoppte die Zeit, sammelte Erfahrungen, verbesserte den Prozess stetig. Zeitkritisch war allem voran das Ersetzen der Balkone und Fassaden. Um plangemäss voranzukommen, mussten die Baufachleute vier der bis zu 18 Tonnen schweren Balkone pro Tag einhängen – alle zwei Stunden einen. Die alten Balkone wurden vorab in grösseren Etappen demontiert und per Tiefladeanhänger zu einem nahe gelegenen Recycling-Platz geführt, die neuen Balkone ‹ just in time › auf die Baustelle geliefert. Ob Sonne oder Regen, die Fassade dahinter war während der 24 Stunden zwischen Rückbau der alten Holzelemente und Montage der neuen komplett offen. « Die reibungslo se Zusammenarbeit der Firmen war also absolut entscheidend », sagt Bauleiterin Anke Lochner. Umso mehr freute sie sich, dass die Unternehmer nach dem Testlauf am Mock-up der Westfassade auf die Bauleitung zukamen und vorschlugen, die Arbeitsabläufe an der Ostfassade und in den Wohnungen nach dem gleichen Prinzip zu üben.
Beim Balkonersatz
CO 2 gespart
Die Baumeister der ARGE Staumauer entwickelten für den Ersatz der Balkone ein massgeschneidertes Recyclingkonzept mit kurzen Transportwegen. Die alten Balkone brachen sie nicht wie gewöhnlich in kleinen Teilen ab, sondern trennten die Betonplatten mitsamt den Brüstungen aus zementgebundenen Holzfasern als Ganzes von der Fassade. Das sparte Zeit und ersparte der Bewohnerschaft unnötigen Lärm und Staub. Per Tiefladeanhänger gelangten die bis zu 18 Tonnen schweren Balkonelemente auf ein 10 Kilometer entferntes Werkareal, wo der Beton von den Armierungen und die Zement- von den Holzanteilen getrennt wurden. Den Stahl übernahm eine Recyclingfirma, der Betonabbruch dient b ei anderen Bauprojekten als Recycling-Beton. Mit den Holzanteilen brannte eine 21 Kilometer entfernte Zementfabrik CO2-reduzierten Zement, der auch in den neuen Telli-Balkonen steckt. In Veltheim, drei Kilometer von der Zementfabrik entfernt, lief derweil die Produktion der neuen Balkonelemente auf Hochtouren. Das Elementwerk produzierte die Balkone mit drei bis sechs Monaten Vorlaufzeit und lieferte sie zeitgenau auf die 13 Kilometer entfernte Baustelle.
Das Baulogistikteam im Hintergrund
Der Planungsaufwand hat sich gelohnt. Trotz Corona und trotz eines verregneten Sommers 2021 seien die Bauarbeiten ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen, erzählt Anke Lochner. Dabei hebt sie auch die zentrale Rolle des zeitweise 20-köpfigen Baulogistikteams hervor, das im Hintergrund aktiv war. Seine Aufgabe war es, kurz gesagt, auf der Grossbaustelle für Ordnung zu sorgen. Auf Baustellen ohne Logistiker geht nämlich bei den ausführenden Gewerken, also etwa dem Baumeister, der Schreinerin oder dem Maler, ein erheblicher Teil der Arbeitszeit durch Nebentätigkeiten verloren: Die Arbeiterinnen müssen sich Werkzeuge zusammensuchen und an ihren Einsatzort bringen, Lieferungen entgegennehmen oder gelagertes Material verschieben, um Platz für anderes zu schaffen. All das übernahm auf der Telli-Baustelle das Logistikteam, das stets den Überblick über Werkzeugund Materialdepots, geplante Lieferungen und nächste Arbeitsschritte behielt. Waren die Arbeiten für den Tag beendet, holten die Baulogistiker das Arbeitsmaterial ab und verschoben es an den nächsten Einsatzort.
Ein zweites Logistikteam betreute die Wohnungen, schützte die privaten Möbel und Gegenstände vor Staub, Dreck und Beschädigung und packte sie nach abgeschlossener Arbeit wieder aus. Über eine Hürde stolperten die Wohnungslogistikerinnen dabei: Weil sich die neuen Heizkörper nicht mehr vor den Fenstern befinden, sondern seitlich davon an der Wand, konnten sie oftmals Schränke und Bücherregale nicht an ihren angestammten Platz zurückschieben. Dass es letztendlich oft kleine Dinge wie diese waren, die bei den Wohnungsübergaben zu reden gaben, spricht dafür, dass das komplexe Vorhaben doch im grossen Ganzen reibungslos vonstatten ging. ●
vermeiden, dass die Leute die Faust im Sack machen »
Andrea SchafrothDie Journalistin ist Mitinhaberin der Kommunikationsagentur S2R in Zürich. Mit ihrer Firma begleitet Schafroth städtebauliche Projekte kommunikativ und partizipativ. Das Ziel von S2R ist es, Transformationen vor Ort zu verankern und diese sozial nachhaltig zu gestalten.
Lea EstermannDie soziokulturelle Animatorin begleitete für die Firma ITOBA aus Baden die Sanierung der Siedlung Telli. ITOBA ist darauf spezialisiert, gemeinsam mit den Mietenden Siedlungsidentitäten zu schaffen, und vereint dabei Soziokultur mit Organisationsund Quartierentwicklung.
Damit die bewohnte Mega-Sanierung der Telli gelingen konnte, liessen sich zwei Expertinnen für partizipative Prozesse so einiges einfallen. Und dann kam der Lockdown.
Interview: Karin Salm
Andrea Schafroth, Ihre Firma wurde 2019 beauftragt, den Sanierungsprozess der Telli mit Kommunikationsmassnahmen zu begleiten. Wie sind Sie vorgegangen?
Andrea Schafroth: Als ich zum ersten Mal den riesigen Plan an der Wand im Baubüro hängen sah, auf dem der dreijährige Sanierungsprozess minutiös auf den Tag genau terminiert war, dachte ich: Wow, das wird eine Herausforderung! Es war klar, dass ein derart komplexes Projekt mit so vielen Betroffenen eine gute Kommunikation benötigt und dass es entscheidend ist, die Mieterschaft im Boot zu haben. Die Sanierung sollte zu einem gemeinschaftlichen Projekt werden: Die Bewohner sollten nicht einfach nur drei Jahre lang auf einer Baustelle sitzen und sich über den Schmutz und Lärm ärgern, sondern am Prozess teilnehmen. Unser Vorgehen basiert immer auf einer Vernetzungsstrategie. Als Erstes führen wir persönliche Gespräche mit den Menschen über ihre Bedürfnisse und Ängste, recherchieren, wie sich die Mieterschaft zusammensetzt und welche Institutionen im Quartier wichtig sind. Es geht darum, die Atmosphäre und Eigenheiten eines Ortes und die Menschen, die ihn prägen, kennenzulernen und dann herauszufinden, was im Prozess wichtig ist.
Inwieweit bezog sich das « gemeinschaftliche Projekt » auch auf andere Beteiligte wie die Bauleitung oder etwa die Verwaltung?
Andrea Schafroth: Bei so vielen Beteiligten aus ganz unterschiedlichen Welten ist die Vernetzung innerhalb des Projektteams wichtig. Und es braucht Ansprechpersonen mit kommunikativen Kompetenzen. Mit den drei Bauleiterinnen hatten wir grosses Glück, auch mit den VerwaltungsVertreterinnen. Es war entscheidend, dass mit Lea Estermann eine Fachperson mit soziokulturellem Hintergrund vor Ort präsent war. Mit der Zeit wurde das Ziel, das wir uns mit dem Slogan « Telli mitenand » gesetzt hatten, immer mehr zur gelebten Realität.
Lea Estermann: Die unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen von Bauleitung, Bauherrin, Vermieterschaft und Kommunikation und Sozialarbeit unter einen Hut zu bringen, war aber auch ein schönes Stück Arbeit. Darum trafen wir uns alle zwei Wochen zu einer gemeinsamen Sitzung, um zu hören, welche Themen auf dem Tisch lagen. Für mich war dieser Abgleich die grösste Herausforderung. Wie haben Sie kommuniziert?
Andrea Schafroth: Digital, analog und persönlich. Wir bauten eine Webseite auf, wo wir von all den Geschichten und Menschen im Sanierungsprozess erzählen konnten. Über die App ‹ beUnity › vernetzten wir die L eute und konnten rasch auf Anliegen reagieren, etwa in der Gruppe ‹ Fragen an die Bauleitung ›. Weil in der Telli viele ältere Leute wohnen, waren Printprodukte unerlässlich. Ein- bis zweimal jährlich erschien das ‹ Telli aktuell ›, eine kleine Faltbroschüre mit Informationen, Porträts und Bildern. Daneben hatten wir den ‹ Telli Ticker › mit aktuellen Info s zu den Bauarbeiten und verschiedene Broschüren, in denen die
« Wir wollten
Abläufe der Sanierung genau erklärt wurden. Auch viele praktische Tipps waren dabei: Wie man am besten vorgeht beim Packen oder wie sich die neuen Heizungen regulieren lassen. Oft reagierten wir auf diesen Kommunikationskanälen auf Themen, die Lea vor Ort wahrgenommen hatte. Zentral war der persönliche Austausch im Tellicafé, der Anlaufstelle vor Ort, und an den Informationsanlässen: Da gingen die Bereichsverantwortlichen auf die Fragen und Anliegen der Mieterinnen ein.
Lea Estermann: Ab dem ersten Tag hatte das Tellicafé geöffnet. An zwei Tagen pro Woche waren jemand von der Verwaltung und ich als soziokulturelle Animatorin vor Ort. Die physische Anwesenheit war essenziell, denn es ging darum, durch Verlässlichkeit Vertrauen aufzubauen. Wir wollten vermeiden, dass die Leute vor geschlossenen Türen stehen und die Faust im Sack machen. Ich hatte vom ersten Tag an ein gutes Gefühl, weil die Leute tatsächlich vorbeischauten, neugierig waren und Fragen stellten. Was waren die Anliegen der Mieterinnen und Mieter?
Lea Estermann: Am Anfang bestand in erster Linie eine grosse Unsicherheit. Im Vordergrund stand also, den Leuten zu vermitteln, dass sie mit Unterstützung rechnen können. Das gab Sicherheit. Während der Bauzeit wurden die Fragen konkreter: Weshalb wurde das Geländer noch nicht montiert? Warum liegen diese Bretter noch herum?
Wo können wir die Kinderwagen hinstellen? Am Ende ging es dann um die Frage, wie man die neu erstarkte Gemeinschaft, die während der Sanierungszeit entstanden ist, nachhaltig verankert. So haben sich die Anliegen verändert. In der Halbzeit war es am intensivsten, weil alle Phasen sich überlagerten und bereits über künftige Gartenprojekte diskutiert wurde. Das Tellicafé stand damals mitten in der Siedlung auf einer Wiese in einem Container mit einem Gastrowagen. Es war ein wichtiger Treffpunkt, ein regelrechter Schmelztiegel.
Wie haben Sie das alles gemeistert?
Lea Estermann: Keine Ahnung! ( lacht ) Jetzt, bei der Üb ergabe an meine Nachfolgerin, merke ich, dass es gar nicht so einfach ist zu erklären, wie wir funktionierten. Es war zentral, schnell zu reagieren und pragmatische Lösungen zu finden. Unsere Zusammenarbeit funktionierte wunderbar – ich erfuhr von den Sorgen und Problemen der Menschen und S2R konnte mit seinem Know-how kommunikativ entsprechend darauf reagieren.
Wie nahmen Sie die Ängste und Verunsicherungen wahr?
Andrea Schafroth: Ich erinnere mich gut an uns eren ersten Anlass im Frühling 2019: Die Mieterinnen und Mieter konnte sich in einer Musterwohnung über die Sanierung informieren und den Verantwortlichen Fragen stellen.
Drei Tage lang erklärten wir an der Seite von Bauleiterinnen, Architekten und Vertreterinnen der AXA und der Wincasa immer wieder die Sanierungspläne und Abläufe, nahmen Anliegen auf und versuchten, Ängste abzubauen. Das brauchte Geduld und Empathie. Besonders in dieser Anfangsphase wurden die Sorgen, die zum Beispiel die bevorstehenden Mieterhöhungen auslösten, zum Teil auch recht aggressiv abgeladen – aber das gehört dazu.
Lea Estermann: Als Aggression habe ich das nicht wahrgenommen. Es gab eine tiefe Verunsicherung, die absolut nachvollziehbar ist. Darum war es so wichtig, die richtigen Personen vor Ort zu haben, die zuhören und Empathie aufbringen. Für mich war es in Ordnung, dass einige Leute Dampf abliessen. Das sagte ich ihnen auch so. Am Schluss einer Besprechung bedankten sich alle und entschuldigten sich auch, wenn sie zuvor etwas heftig waren.
Andrea Schafroth: Im Austausch mit den Menschen zu sein, ist etwas anderes, als bloss zu informieren: Man muss auch unangenehme Reaktionen aushalten können.
Kurz nach Sanierungsbeginn kam am 16. März 2020 der Lockdown. Ein Super-GAU?
Andrea Schafroth: Wir mussten uns so einiges einfallen lassen. Da wir das Tellicafé nicht betreiben konnten und viele der älteren Mieterinnen nicht digital erreichbar waren, erfanden wir das ‹ Radio Tellifon ›: Auf einer Gratisnummer konnten sie alle Infos, News und Geschichten regelmässig abhören. Es war wie eine kleine Radiosendung. Ausserdem gründeten wir Telefonclubs, damit Alleinstehende regelmässig mit Nachbarn am Telefon plaudern konnten. Auch die bereits erwähnte App war in dieser Zeit wichtig: Über sie konnten wir unkompliziert eine Nachbarschaftshilfe aufbauen, die übrigens auch zu neuen Freundschaften führte.
Lea Estermann: Corona verlieh meiner Arbeit einen regelrechten Schub. Ich telefonierte tagelang und war eigentlich die ganze Zeit erreichbar. So knüpfte ich schnell viele Kontakte. Aber für die Mieter und Mieterinnen war es natürlich eine höllische Herausforderung, bei all dem Baulärm im Homeoffice zu arbeiten.
Und kleine Kinder oder ältere Leute brauchten ein Mittagsschläfchen!
Lea Estermann: Es gab ja einige, die wegen der Sanierung auszogen. Die leer stehenden Wohnungen wurden dann zu Homeoffice- und Ruhewohnungen umfunktioniert und mit Schreibtischen und Internet respektive mit Sofa, Sesseln und Betten möbliert. Diese Ausweichwohnungen befanden sich immer dort, wo gerade nicht gebaut wurde. Dass ich dann die Aufgabe hatte, die Wohnungen zu verwalten, begeisterte mich nicht. Aber auch dies hatte einen Vorteil: So ergaben sich noch mehr Kontakte.
Welche Lehren ziehen Sie aus dem Sanierungsprojekt?
Lea Estermann: Kommunikation ist das A und O. Natürlich kann man Flyer und Briefe verschicken – do ch letztlich zählt die Begegnung mit den Betroffenen. Man muss den Menschen Empathie entgegenbringen. Nur so kann ein derartiges Projekt gelingen.
Andrea Schafroth: Uns hat die Telli-Sanierung gezeigt, dass Partizipation in einem solchen Prozess funktioniert und für alle ein Gewinn ist. In der Baubranche herrscht das Vorurteil, dass Mitwirkung nur mühsam sei, dass die Leute reinreden, keine Ahnung von Abläufen haben und mit merkwürdigen Wünschen kommen. Wenn ein kontinuierlicher Dialog auf Augenhöhe etabliert werden kann, entsteht tatsächlich Gemeinschaft. Wichtig ist, dass die Ansprechpersonen in den Prozess involviert sind – als o nicht einfach irgendwo in einem Bewirtschaftungsbüro sitzen und lediglich telefonisch oder online erreichbar sind. Frau Schafroth, Sie machen über die Sanierung auch einen Dokumentarfilm. Warum eigentlich?
Andrea Schafroth: Dass eine Sanierung wie die der Telli dokumentiert werden soll, war klar. Gerade heute ist es auch wichtig, zu zeigen, dass Ersatzneubauten nicht die einzige Lösung sind. Der Film ist nahe bei den Bewohnerinnen und Projektbeteiligten, die in den unterschiedlichen Prozessphasen zu Wort kommen. Das ist authentisch – und eine weitere Form der Partizipation. ●
Manuela Gnehm
Die Immobilientreuhänderin ist seit 2013 Asset Manager Real Assets bei AXA Investment Managers Schweiz. Sie begleitete die Sanierung der Telli als Eigentümervertreterin.
Die Eigentümervertreterin und der Bauprojektleiter darüber, wie die Sanierung der Telli gelang – und was dies für zukünftige Grossprojekte der AXA bedeutet.
Text: Pieter Poldervaart
Manuela Gnehm, Tillmann Hohenacker, eine Grosswohnsiedlung wie die Telli im bewohnten Zustand zu sanieren, ist aufwendig – mit dem Ziel eines Nachhaltigkeitszertifikats erst recht.
Wäre es nicht einfacher gegangen?
Manuela Gnehm: Natürlich. Doch wir wählten diesen Weg aus guten Gründen: Erstens verfügt die AXA über einen grossen Immobilienbestand, an dessen langfristigem Werterhalt sie interessiert ist. Nur wenn wir unsere Immobilien pflegen, generieren diese auch Rendite und sichern unseren Kundinnen und Kunden damit die Altersvorsorge. Zweitens ist die AXA dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet. Energetische Sanierungen und Nachhaltigkeitszertifikate sind Massnahmen, die uns dem Ziel Netto-Null bis 2050 näherbringen.
Der Umbau einer Wohnung dauerte nur gerade mal zehn Tage. Weshalb musste es so schnell gehen?
Tillmann Hohenacker: Es war uns ein Anliegen, einen möglichst grossen Teil der Bewohnerinnen zu halten, denn die Telli lebt von ihrer langjährigen Gemeinschaft. Die Frage, wann und für wie lange die Bewohner ihre Wohnungen würden verlassen müssen, stand für viele Mietparteien im Zentrum des Sanierungsprojekts. Je kürzer die Dauer, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Telli bleiben würden. Deshalb galt die Devise: Arbeitsabläufe optimieren und Sanierungszeit minimieren. Dass Bäder und Küchen 2006 bereits ersetzt worden waren, kam uns entgegen. Die Eingriffe in den Wohnungen blieben überschaubar – wir tauschten die Abluft-Dampfabzüge gegen Umluftgeräte aus und installierten die neue BadezimmerAbluft. Zudem nutzten wir die Sanierung für individuelle Erneuerungen und Reparaturen. Wo beispielsweise noch alte Spannteppiche lagen, ersetzten wir sie durch Parkett. Was brauchte es, um den Umbau in der kurzen Zeit möglich zu machen?
Tillmann Hohenacker: Eine gelungene Kombination aus Planung, Organisation und Kommunikation. Bei der Planung war wichtig, alle Partner frühzeitig ins Boot zu holen und eng mit ihnen zusammen an den Arbeitsabläufen zu feilen. An der Musterwohnung und am Mock-up übten wir jeden einzelnen Handgriff. So konnten wir den Zeitaufwand pro Arbeitsschritt ermitteln und optimieren. Auch sparten wir dank einer guten Baustellenlogistik viel Zeit. Die Handwerksleute konnten sich auf ihre Arbeit konzentrieren, während eine Logistikdienstleisterin die Materiallieferungen übernahm und das nötige Werkzeug minutengenau bei der jeweiligen Wohnung bereitstellte. Und inwiefern trug die Kommunikation zum Erfolg bei?
Tillmann Hohenacker
Der Architekt und Real Estate Manager ist seit 2020 Teamleiter in der Abteilung Development & Construction bei AXA Investment Managers Schweiz. Der Fokus seiner Tätigkeit liegt auf Gebäudesanierungen. Er war Bauprojektleiter bei der Sanierung der Telli.
Manuela Gnehm: Stellen Sie sich vor, es ist Tag X, die Handwerkerin Y klingelt an der Tür – und Mieter Z öffnet nicht. Das kann viele Gründe haben: Er ist frustriert und verweigert sich der Sanierung. Oder er ist in die Ferien abgereist, ohne jemanden zu informieren. So eine Situation ist Sand im Getriebe einer eng getakteten Sanierung. Schon früh brachten wir deshalb Fachleute aus der Kommunikation und der Siedlungsentwicklung zusammen, informierten die Bewohnerinnen und Bewohner über die Pläne und diskutierten Vorbehalte offen siehe ‹ Wir wollten vermeiden, dass die Leute die Faust im Sack machen ›, Seite 24 Während der Bauzeit waren Sie mit Sozialarbeiterinnen regelmässig vor Ort. Weshalb?
Manuela Gnehm: Eine dreijährige Sanierung ist nicht einfach – schon gar nicht für Menschen, die nicht mehr berufstätig und deshalb häufig daheim sind. Unsere Sozial-
arbeiterinnen und Sozialarbeiter standen auch für kleine Handreichungen zur Verfügung, wenn etwa ältere Menschen Mühe mit dem Einkaufen hatten oder es darum ging, während der Liftsanierung Taschen nach oben zu tragen oder Altpapier zu entsorgen. Daneben kurbelten wir die Nachbarschaftshilfe an, in der sich Freiwillige engagieren können. Und zweimal die Woche waren wir im Tellicafé präsent. Mit einem Bewirtschaftungsbüro vor Ort wollen wir diese Nähe auch in Zukunft pflegen. Nebst den Wohnungen wurde auch der Aussenraum saniert – welchen Stellenwert hat dieser in der Telli?
Manuela Gnehm: Der Park trägt wesentlich zur Siedlungsqualität bei. Die Bewohnerschaft konnte sich bei der Sanierung einbringen, nun entspricht er besser ihren Bedürfnissen. Wir haben einen Tennis- und einen Multisportplatz erstellt und die neuen Kinderspielplätze präziser auf die verschiedenen Altersgruppen ausgerichtet. Die Senioren erhielten neue Fitnessgeräte und auch die jungen Erwachsenen haben jetzt eigene Aufenthaltsbereiche – mit etwas Distanz zu den Wohnungen, damit sie auch mal laut sein dürfen. Daneben gibt es auch kleine Verbesserungen. Eltern hatten beispielsweise angemerkt, dass es kleinen Kindern, die im Spiel vertieft sind, oft nicht bis zur Toilette in der Wohnung reicht. Also haben wir nun Kompotoi-Einheiten aufgestellt.
Was ist Ihr Fazit zum Schluss dieses Mammutprojekts?
Tillmann Hohenacker: Die sorgfältige Planung und die Vorbereitung mit Musterwohnung und Mock-up waren für uns eine neue Erfahrung, die wir in Zukunft auf grösseren Baustellen berücksichtigen werden. Gleiches gilt für die erwähnte Baustellen- und Wohnungslogistik. Erfreulich war auch die erfolgreiche Zusammenarbeit des Teams. Unsere flachen Hierarchien haben sich bewährt – man wusste stets, was die anderen machen, das Gegenüber dachte mit und half so, noch bessere Lösungen zu finden.
Manuela Gnehm: Energetische Sanierungen fordern uns stark. Mit unserem grossen Portfolio sehen wir uns in der Verantwortung, unseren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Die Sanierung der Telli hat gezeigt, dass wir die Herausforderung meistern können.●
Lauschige Weite
da die Garagendecken undicht waren. Die Erneuerung der Hochhäuser war eine komplexe logistische Aufgabe, für die es grosse Installationsflächen brauchte. So kam es, dass ein grosser Teil des Parks entlang der Wohnzeilen Telli B und C umgepflügt wurde. Alles musste weg: Hügel, Erde, Bäume, Sträucher, Wege, Plätze. Die Parkanlage war nach all den Jahren endlich schön eingewachsen. Doch es gab auch Nachbesserungsbedarf: Die Sportplätze wurden nur noch selten benutzt, einzelne Bänke und Sitzflächen waren morsch und auch für den Kleintierzoo drängte sich eine neue Nutzung auf.
Müller Illien Landschaftsarchitekten nahmen sich der Neugestaltung des Telliparks an. Sensibel und wertschätzend folgt der Entwurf dem Grundkonzept von Zulauf und Partner. Es galt, trotz der grossen logistischen Herausforderungen die Qualitäten zu erhalten. Die Topografie wurde wieder aufmodelliert, dies sogar unter Verwendung des zuvor abgetragenen Erdmaterials. Die Wege verlaufen wieder wie zuvor und bestehen aus den für die 70er-Jahre typischen Betonverbundsteinen. Den ‹ Telli-Stein › gibt es heute nicht mehr und so wurde er nachproduziert.
Das Neue liegt im Kleinen verborgen
Änderungen gab es vor allem in den Details. Gewisse Anpassungen ergaben sich aus den Normen, andere aus der Auswahl der Arten. Es braucht heute breitere Feuerwehrzufahrten und andere Spielplatzgeräte als früher. Und dann galt es, Werkleitungen zu integrieren, einige Ecken zu entrümpeln und defektes Parkmobiliar zu reparieren. So kommt es, dass die runden Tische und Sitzelemente nach wie vor ein prägendes Element des Parks sind. Sie finden sich an versteckten Plätzchen beim Bach wie auch unter der neuen langgestreckten Holzpergola oder beim Sportplatz. Die Nutzungen des Parks wurden zusammen mit der Telli-Bewohnerschaft erarbeitet. In einer Umfrage kam so unter anderem der Wunsch auf, die stillgelegten Tennisplätze wieder zu aktivieren.
Die Telli-Siedlung liegt inmitten eines riesigen Parks. Müller Illien Landschaftsarchitekten erneuerten diesen mit grosser Wertschätzung für das Ursprungskonzept.
Text: Maarit Ströbele
Wer gerne Schweizer Serien schaut, kennt vermutlich den Blick aus einer der Telli-Wohnungen: Kommissar Reto Doerig aus der erfolgreichen Fernsehserie ‹ D er Bestatter › wohnt in einem Telli-Hochhaus und geniesst den Feierabend gerne auf seinem Balkon mit Blick in die Natur.
Der Tellipark war von Beginn an integraler Bestandteil des Telli-Projekts. Albert Zulauf und Partner gestalteten ihn in den 1970er-Jahren offen und weitläufig, mit Hügeln, Bäumen und Strauchinseln sowie Anleihen bei der Auenlandschaft der Aare. Wer im Park sitzt oder spaziert, fühlt sich nicht beobachtet, obwohl hunderte Balkone und Fenster auf den Park zeigen. Vielmehr fühlt sich die Spaziergängerin geborgen. Kinder fahren mit Trottinetts über die betonsteingepflasterten Wege zum Spielplatz. Jogger drehen ihre Runden, ältere Leute spazieren mit Einkaufstrolleys aus dem nahen Ladenzentrum. Versteckt zwischen Bäumen oder unter Holzlauben, laden runde Betontischlein mit ebenso kreisrunden Hockern zur Sitzrunde ein. Zwischen den Pilotis der Hochhausscheiben hängen Schaukeln, befinden sich die Briefkästen und die Veloabstellplätze.
Autos sind in der Siedlung Telli seit jeher in den Untergrund verbannt. Die Entrauchungsöffnungen der Garagen sind unauffällig in den Park integriert. Die Tiefgaragen waren auch einer der Gründe für die Sanierung des Parks,
Die Erneuerung hat auch der Bepflanzung gut getan. Grosse Teile des Parks liegen auf Tiefgaragendecken. So war das Landschaftsarchitektur-Büro mit einem Problem konfrontiert, das sich in den nächsten Jahren an vielen Orten ergeben wird: «Man muss damit leben, dass Bäume auf Tiefgaragen nicht ewig wachsen, sondern alle 40, 50 Jahre neu gepflanzt werden müssen », s o Rita Illien. Gepflanzt wurden hauptsächlich einheimische Arten, die typisch für einen Auenwald sind. Hinzu kamen aber auch einige für die Zeit typische Exoten.
Im Herbst wird sich der Tellipark bald wieder bunt zeigen. Früher waren alle offenen Flächen Rasen, heute findet dieser sich nur noch auf den zentral gelegenen Spielwiesenflächen. An peripheren Lagen wachsen heute artenreiche Wiesen, die in Strauch- und Staudenbepflanzung übergehen. Es gibt also mehr Platz für Biodiversität. Dies zeigt sich auch im Norden des Areals, in Richtung Aare, wo der Park langsam mit der renaturierten Auenlandschaft des Waldes Summergrien verfliesst. Die Natur sorgte auch für ein paar ungeplante Änderungen: Kaum waren die neuen Bäume gepflanzt, waren sie schon wieder gefällt. In den letzten Jahren haben sich nämlich Biber in der Telli angesiedelt. Die Bäumchen mussten ersetzt und mit Drahtgitter versehen werden. ●
Mit Taktplan und Tellifon
Nur drei Dinge forderte die AXA von dem Planungsteam, das sie 2015 mit einer Machbarkeitsstudie für die Sanierung der Wohnzeilen Telli B und C betraute: eine energetische Sanierung, ein Nachhaltigkeitszertifikat und bestmögliche Rücksichtnahme auf die Mieterschaft. Heute ist der Heizwärmebedarf der Häuser um zwei Drittel gesunken, der Heizungsbetrieb ist weitgehend fossilfrei. Das Aussehen der Häuser sowie deren Bewohnerschaft haben sich kaum verändert – drei Viertel der Mietverträge haben die dreijährige Bauzeit überstanden. Ein Heft über die denkmalgerechte Sanierung einer einmaligen Siedlung, über minutiöse Planung und reibungslose Bauabläufe. Und über den Dialog auf Augenhöhe, der dem Grossprojekt zum Erfolg verhalf. www.telliportal.ch
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