Der letzte Baustein

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Themenheft von Hochparterre, Juni 2021

Der letzte Baustein

Nach dem Studienauftrag ‹ Maaglive › bekommt der Prime Tower neue Nachbarn: einen Wohnturm mit Arbeitsräumen, ein Kulturhaus aus Holz und einen Platz mit Bäumen und öffentlichen Nutzungen.

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Wohnen und Arbeiten, Alt und Neu – das Maag-Areal hat viele Facetten.

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Editorial

Bäume vorm Balkon

Inhalt

4 Eine Grossstadt im Kleinen Ein Augenschein auf dem Maag-Areal in Wort und Bild.

11 Der Wettbewerb Der Studienauftrag ‹ Maaglive ›: Aufgaben und Pläne, Jury und Expertinnen, eingeladene Architekturbüros und Vorgehen.

12 Blätterdach und Farbenspiel Das Siegerprojekt von Sauerbruch Hutton mit einem dreiteiligen Ensemble und hochstämmigen Bäumen.

16 Geschichtete Zeit Der Vorschlag von Lacaton & Vassal stellt die neuen Gebäude auf die vorhandenen Bauten und begrünt die Dächer.

2 0 Ikonen, Konglomerate und eine Riesenpergola Sechs weitere Vorschläge von Buchner Bründler, EMI, Holzer Kobler, Meili Peter, Spillmann Echsle und Staufer & Hasler.

3 4 « Es gab Überraschungen » Die Verantwortlichen von Swiss Prime Site über das Ergebnis ihres Studienauftrags und die Hürden bei der Umsetzung.

3 6 « Es war ein intensiver Austausch » Zwei Jurymitglieder über den Prozess, das Siegerprojekt von Sauerbruch Hutton und den Ansatz von Lacaton & Vassal.

3 7 « Beide Ansätze sind hochaktuell »

Die Zürcher Stadtbaumeisterin über die Rolle der Stadt, den baurechtlichen Rahmen und die beiden finalen Projekte.

3 8 « Man muss die Dinge reifen lassen » Die Berliner Architekten und der Zürcher Landschaftsarchitekt über ihr Projekt und die hiesige Baukultur.

Es ist schon lange her, und doch ging alles ganz schnell. Vor etwas mehr als zwanzig Jahren schlossen sich die Grundstückseigentümer mit der Stadt Zürich zur Planergemeinschaft ‹ Maag-Areal Plus › zusammen: Maag ( später im Besitz von Swiss Prime Site ), Coop und Welti Furrer. ‹ Kooperative Entwicklungsplanung › taufte man dieses Vorgehen. Das Ziel: die Transformation des Industrieareals am Bahnhof Hardbrücke. Es folgten ein städtebaulicher Wettbewerb und Sonderbauvorschriften. Seit 2004 bauen die Eigentümer nach diesen Regeln mit verschiedenen Architekten an dem, was wir heute Maag-Areal nennen: den Bereich zwischen Pfingstweidpark und Hardbrücke, Pfingstweidstrasse und Gleisfeld. Was Swiss Prime Site mit dem 2011 fertiggestellten Prime Tower und dessen Nachbarsbauten angefangen hat, vollendet sie nun auf dem zweiten Grundstück. Das dreieckige Baufeld im Herzen des Areals ist vielen bekannt: Vier Jahre lang spielte hier das Tonhalle-Orchester Zürich in seinem hölzernen Provisorium in einer alten In­dus­ trie­halle. Aus der Halle daneben erklangen Musicals und Clubmusik. Mit einem Studienauftrag lotete die Besitzerin das Potenzial für eine Weiterentwicklung des Teilgebiets aus. Das inventarisierte Gebäude K muss erhalten bleiben. Ob in ihren Vorschlägen auch die Tonhalle Maag bestehen bleibt, konnten die teilnehmenden Planerteams entscheiden. Am Ende kürte die Jury zwei Projekte: eins mit Erhalt der Tonhalle und eins ohne. Nach Abklärungen und Entwurfsüberarbeitungen entschied sich Swiss Prime Site für das Projekt der Berliner Architekten Sauerbruch Hutton. Neben einem Wohnturm mit Balkonen und Arbeitsräumen sieht es den Neubau eines Kulturhauses vor: ein offener Holzbau, der verschiedene kulturelle Nutzungen vereint. Das zweite zur Weiterbearbeitung empfohlene Projekt der Pariser Lacaton & Vassal sah vor, alle vorhandenen Gebäude stehen zu lassen und die Neubauten daraufzustellen. Da die alten Hallen zum Teil ausserhalb der Baufelder liegen, wäre dieser Vorschlag baurechtswidrig. Zudem macht der Entwurf von Sauerbruch Hutton den Ort durchlässiger. Zwischen den drei Häusern – Hochhaus, Kulturhaus und Gebäude K – schlägt er etwas vor, was heute fehlt: einen baumbestandenen Platz mit Aufenthaltsqualität und öffentlichen Nutzungen in den angrenzenden Erdgeschossen. Der neue Treffpunkt des Maag-Areals ? Dieses Heft stellt das Ergebnis des Studienauftrags ‹ Maaglive › vor. Es zeigt die Aufgabe und alle acht Projekte. Es befragt die Bauherrschaft und die Architekten, die Jury und die Stadtbaumeisterin zum Ort, zum Prozess und zum gewählten Projekt. Zwei Reportagen führen uns auf das aktuelle Maag-Areal: ein Text von Anna Raymann und Fotos von Dan Cermak.  Axel Simon

Foto Rückseite: Fabian Burkard und Sarah Fluri arbeiten auf dem Maag-Areal.

Impressum Verlag  Hochparterre AG  Adressen  Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon + 41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Verleger  Köbi Gantenbein  Geschäftsleitung  Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid  Verlagsleiterin  Susanne von Arx  Konzept und Redaktion  Axel Simon  Fotografie  Dan Cermak, www.dancermak.ch  Art Direction  Antje Reineck  Layout  Barbara Schrag  Produktion  Nathalie Bursać, Linda Malzacher  Korrektorat  Marion Elmer, Lorena Nipkow  Lithografie  Team media, Gurtnellen  Druck  Stämpfli AG, Bern Herausgeber  Hochparterre in Zusammenarbeit mit Swiss Prime Site Immobilien Bestellen  shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.—

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Eine Grossstadt im Kleinen Wo Max Maag einst Zahnräder herstellte, ist neues Leben eingekehrt. In munterem Neben- und Miteinander wird gewohnt, geskatet, gegessen und gearbeitet. Text: Anna Raymann Fotos: Dan Cermak

Thomas Lohberger ist morgens einer der Ersten auf dem Maag-Areal. Wenn der Prime Tower in der tief stehenden Sonne noch einen langen Schatten wirft, schliesst er den Haupteingang für die ersten Besucherinnen auf. Aussen spiegelt das Glas, innen fliesst ein künstlicher Wasserfall über die blanke Wand. Man könnte in einem Hotel in Madrid oder London sein. « Die Aufgaben am Empfang eines Büros und dem eines Hotels unterscheiden sich nicht so sehr », sagt Lohberger, der Empfangsleiter im Prime ­Tower ist. Viele Jahre hat er in Hotels gearbeitet, nun heisst er hier Kunden willkommen. Weste, Krawatte und Jackett sitzen perfekt, nur der blonde Schnauzbart zuckt spitzbübisch. Rund zwanzig Unternehmen, darunter Banken und Beratungsfirmen, haben ihre Büros in der Landmarke, die Gigon / Guyer in den Spickel vor dem Bahnhof Hardbrücke gesetzt haben. Etwa 2000 Personen sorgen hier für geschäftiges Treiben. Dennoch: « Es ist sehr familiär im Tow­ er », sagt Lohberger und grüsst im Vorbeigehen eine Kundin mit Namen. « Meine Aufgabe ist es, dass die Besucher mit einem positiven Gefühl zum Vorstellungsgespräch, zur Verhandlung oder zu einem anderen Termin kommen. » Die Pöstlerinnen, Kurierfahrer und früh aufstehenden Büroangestellten dirigiert Lohberger speditiv aneinander vorbei. Kein Gast wartet bei ihm lange auf den Lift. Gelegentlich fragen Besucherinnen abendlicher Veranstaltungen nach Parkmöglichkeiten. Auch da kann er helfen. Lohberger ist für alle Gastgeber.

Aus der Hocke in den Liegestütz und dann hoch zum Strecksprung. ‹ Burpees › nennt man die Übung, die der Mann im Sportdress einer kleinen Gruppe vorführt. Rhythmisch ahmen sie nach, die Zöpfe festgezurrt, Stöpsel im Ohr. Aus Stufen und Verkehrspollern werden Fitnessgeräte für den Frühsport.

Schwere Motoren « Wie ein Ameisenhaufen », sagt ein paar hundert Meter weiter Remo Giger, Geschäftsführer beim Transportunternehmen Welti Furrer. Zügelmänner beladen die gelben Lastwagen an drei Rampen des unscheinbaren Baus. Ein Fahrer nimmt die Jacke, die über der Tür hängt, schlägt diese kräftig zu und fährt los. Um die Ecke wird der nächste Wagen noch beladen. Der Parkplatz vor dem Lagerhaus bildet den Übergang vom Schiffbau zum Maag-Areal. LanWeitsicht ge bestimmte die Industrie diesen Ort. Bis 1910 baute die Von den oberen Etagen des Prime Towers überblickt Firma ‹ Safir › auf dem Areal Automobile. Dann folgte die man die Stadt im Südosten mit Sicht bis in die Alpen, gegen ‹ Max Maag Zahnräderfabrik ›, die Zahnräder für mächtiWesten reicht der Blick bis nach Altstetten und Schlie- ge Getriebe von Zürich aus in die ganze Welt exportierte. ren. Und natürlich sieht man über das zirka 100 000 Quadratmeter grosse Maag-Areal: Längs spannt es sich zwischen Pfingstweidstrasse und Bahngleisen auf, quer ist Man stellt sich die Arbeit es von Hard- und Duttweilerbrücke eingerahmt. Dort, am damals laut vor, die Gegend westlichen Rand, in den Ecken aufgestellt, die Hochhäuals keine, in der man sich ser. Dazwischen, im dreifachen Zickzack und im markanaufhält. Die Stadt hörte beim ten U des Hardhofs, wird gewohnt. Einkaufen kann man in Eisenbahnviadukt, späte­s­drei Supermärkten. Die Wege, die alles verbinden, zeichtens vor der Hardbrücke auf. nen von hier oben hübsche Figuren. →

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Thomas Lohberger ist der Empfangsleiter im Prime Tower.

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Nicht nur Schreibtische: Auch das Transportunternehmen Welti Furrer arbeitet auf dem Areal.

→ An die schwermotorige Vergangenheit erinnern heute zwei geschützte Bauten und einige Hallen – und in direkter Nachbarschaft die Zügelwagen. Die meisten Lagerhallen hat Welti Furrer inzwischen verlegt, über die Stadtgrenzen hinaus, und mit ihnen auch den legendären ‹ Kunsttresor ›, in dem Bilder und Skulpturen von Museen und Galerien lagern. Auf dem Grundstück hinter der verbliebenen Lager­ halle hat das Unternehmen Büros gebaut, in die gerade ein Telekommunikationsanbieter einzieht. Man kennt die Bedürfnisse der Nachbarn. « Es ist ein Neben- und ein Miteinander », sagt Remo Giger. Ziehen neue Firmen in den ­Prime Tower, organisiert Welti Furrer die Umzüge.

Ein Mann lenkt ein E-Trottinett über den Gleisbogen. Leise, beinahe elegant. Doch die Wucht des Cellokoffers auf seinem schmalen Rücken bringt die Räder zum Schlingern. Ein älterer Herr kämpft auf der Wiese daneben mit den Leinen, die sich im tobenden Spiel zwei­­er Hunde mit­einan­der ver­ heddert haben.

Eva Presenhuber hat einen zweiten Standort in New York und ein weiteres Standbein in Zürich. Was macht das Maag-Areal interessant für die Kunst ? Hier im Zürcher Kreis 5 gibt es einige Kunsträume: die Zürcher Hochschule der Künste mit einem Standort des Museums für Gestaltung, das Löwenbräu-Areal. In der Zeit des Umbruchs zwischen ‹ Zahnrädli-Maag › und Prime Tower waren sie noch Kunst und Industrie In den Galerien hingegen ist es ruhig. Im denkmalge- viel dichter gestreut. In den ‹ Nagelhäusern › etwa, die als schützten Industriegebäude ‹ Diagonal › befinden sich die letzte Bastion 2016 für eine geplante Zufahrtsstrasse abgeRäume von Peter Kilchmann und Eva Presenhuber. Die rissen wurden. Der Boden ist teurer geworden, die Ateliers Namen, die sie hier ausstellen, sind international – W ­ yatt und Werkstätten müssen sich behaupten. Eva Presenhuber Kahn, Carroll Dunham oder Ugo Rondinone – und nicht auf beharrt: « Es ist die Aufgabe der nächsten Generation, sich Laufkundschaft angewiesen. « Die Menschen, die hier woh- das Areal anzueignen und mit Aktionen zu bespielen. » nen und arbeiten, verirren sich nie in die Galerie », sagt Eva Presenhuber. « Für uns waren die industriellen Räume ausschlaggebend, die in einer Stadt so schwer zu finden sind. » Der historische Bau ist ein Ruhepol zwischen den Geschäftshäusern. Aus ihrem Turmzimmer blickt die Galeristin direkt auf den Prime Tower, an dessen Fassade sich Licht und Landschaft spiegeln. →

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Jeweils am Montagmittag sind Gabi und Roger Staub mit ihrem Food­truck auf dem Maag-Areal anzutreffen – dann ist Bagel- und Burger-Tag.

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Zweimal täglich schiebt sich ein Güterzug mit einer Ladung Getreide vom Swissmill Tower durch die gläserne Häuserschlucht. Waggon um Waggon unterbricht der Zug für einen Moment alles Tun. Vis-à-vis findet ein Paar im Maag-Areal die Kulisse für sein Fotoshooting. Das Rattern des Zuges übertönt das Klicken des Auslösers.

Kurze Distanzen Eigentlich hätte man im Erdgeschoss des Maaghofs bummeln sollen, so wie man es auf der anderen Seite der Hardbrücke im Viadukt nun kann. Dort bieten Boutiquen unten in den steinernen Bögen Feines an, während oben die Züge fahren. In den Maaghof sind statt Läden Menschen eingezogen. In vielen Balkons hängen Lichterketten, unten sind die Rollläden geschlossen. Nur zuoberst an der Ecke sind zwei Schaufenster offen. Hinter einem werkelt ein Modellbauer. Der Schein einer OP-Lampe beleuchtet kaum mehr als seine Hände, die einen Miniaturwaggon bearbeiten. Daneben liegt ein Fahrradgeschäft. Rennvelos stehen ordentlich aufgereiht entlang der Betonwand. Eine Küchenzeile verrät, dass man in diesen Räumen auch wohnen könnte. « Wir zwei sind hier die Exoten », sagt Harald Schweikert. Seine Kunden können die schnellen Räder direkt aus dem Laden auf der breiten Turbinenstrasse Probe fahren. Schweikert nutzt die vergleichsweise günstige Miete für den Laden, aber er wohnt auch auf dem Areal. « Die Wege sind beinahe zu kurz », meint er schmunzelnd. In Gehdistanz erreicht er alles, was er im Alltag braucht.

Ein sauber ausrasierter Nacken beugt sich behutsam über ei­nen Gummibaum, der quer über dem Gehweg liegt. Die Pflanze hat in den Wintermonaten in seinem Friseursalon etwas gelit­ten. « Das habe ich von meiner Mutter in Sibirien gelernt », sagt der dazugehörige Mann, während er das Grün aufrichtet und ins Licht schiebt.

Vor zwanzig Jahren planten Elisabeth und Martin Boesch das Maag-Areal mit, heute wohnen sie hier.

Städtebauliches Zahnrad Der Blick über die Gleise reicht weit. Später am Abend, wenn sich die Züge in der Dunkelheit kreuzen, sei das « fast wie ein Tanz », sagt Elisabeth Boesch. Industrie­romantik, Grossstadt. Trotzdem kenne man sich im Haus – über das Ausmass sind sie und ihr Mann sich nicht einig: « S chon eher anonym », findet Martin Boesch. « Wie im Dorf », sagt seine Frau. Die beiden wohnen im ‹ Haus A Am Pfingstweidpark ›, dem Zickzack aus Beton. Sie führen gemeinsam ein Architekturbüro. Ihre Beziehung zum Areal ist eine besondere: Vor 21 Jahren haben sie zusammen mit Viele Anwohner arbeiten in der Nähe. Auch einige WGs den Basler Architekten Diener & Diener am Studienaufgibt es im Maaghof. Lange fehlte dem Quartier eine Schu- trag gezeichnet und ihn gewonnen – mit der Idee eines le – das 2019 eröffnete Pfingstweid-Schulhaus wird es für städtebaulichen Zahnrads: Die neuen Bauten sollten sich Familien attraktiver machen. Auf den Spielplätzen turnen mit der Umgebung verzahnen. Sind Elisabeth und Mardie Kinder aus den Kitas, auf der weitläufigen Wiese am tin Boesch zufrieden, wie sich das Areal entwickelt hat ? Fuss der Hochhäuser treffen sich Hundebesitzerinnen und « Womöglich ist der Wandel zu schnell passiert, und die ihre Vierbeiner zum Benimmtraining. Gebäude sind zu individualistisch. Aber der Knochenbau stimmt », meint Martin B ­ oesch. Spuren des Alten sind die beiden einzigen geschützten Bauten und die In­dus­ trie­gleise. Aus dem alten Industriehof wurde der zehngeschossige Maaghof mit grüner Mitte.

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Grosse Bäume können auf dem Areal nur schwerlich Wurzeln schlagen. Tiefgaragen und Infrastruktur lassen ihnen nur wenig Platz. Unterhalb des Balkons lugt zögerlich ein Stück Vorgarten hervor. In der Nachbarschaft hat man sich darauf geeinigt, nicht mehr zu jäten. So sorgt nun das Unkraut als wilde Wiese für etwas Grün. In einer Kiste stehen Boulekugeln bereit, und aus einigen Hochbeeten ragen Küchenkräuter und eine Mohnblume. Elisabeth ­Boesch: « Es ist hier wie mit den Pflanzen: Alles braucht Zeit zum Wachsen. »

Drüben auf dem Maagplatz trifft sich eine Gruppe Jugendlicher zum Skaten. Schlägt das Board nach einem Sprung auf, hallt es laut nach. Einmal sind die Skater versehentlich in die Schei­ben des Prime Towers gebrettert, hatte Empfangsleiter Thomas Lohberger am Morgen geschimpft. Stolperbänder aus Metall sol­len sie daran hindern, über die Sitzmäuerchen zu ‹ grinden ›. Die Skater sind trotzdem hier, denn: « D er Asphalt ist gut ! »

Zürich statt USA Gut zehn Meter stehen die Menschen vor dem Foodtruck für ihr Mittagessen an. Sie machen Pause von ihrer Arbeit, sei es im Tattoostudio, in der Arztpraxis, im Büro oder im Home­office. Das Angebot variiert, jeden Tag bietet ein anderer mobiler Imbissstand Köstlichkeiten aus aller Welt. « Mittwoch ist Pita-Tag », sagt ein Mann in greller Windjacke, als stünde er für einen Werbefilm vor der Kamera. Nach einigen Minuten steht man bei Martin Heiss an der Theke. Hinter ihm bräunt das Fleisch am drehenden Spiess. Mit jedem Brot gibt Heiss den Hungrigen einen Spruch mit auf den Weg. Er selbst wollte nicht länger Kunden zu Geldanlagen beraten, sondern etwas Eigenes aufbauen. Etwas, bei dem man am Ende des Tages weiss, was man geleistet hat, erzählt der gebürtige Münchner. Bald will er auch ein Restaurant eröffnen, doch auf dem Maag-Areal soll am Mittwoch weiterhin Pita-Tag bleiben. Ursprünglich sei sein Plan gewesen, den Kebab in die USA zu bringen. Geworden sind es Poulet-Pitas in Zürich. Aber auch hier sind die Häuser hoch.

Bei Skatern ist das Maag-Areal beliebt: « Der Asphalt ist gut ! » Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — Eine Grossstadt im Kleinen

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Das Teilgebiet 2 mit dem inventarisierten gelben Gebäude K.

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Der Wettbewerb Zwischen 1913 und 1997 stellte die Zahnradfabrik Maag auf dem Areal Werkzeugmaschinen, Getriebe, Kupplungen und Zahnradpumpen her. Heute verbindet man das Maag-­Areal mit einem Mix aus Gewerbe, Dienstleistung, Kultur und Wohnen. Seit fast dreissig Jahren transformieren verschiedene Grundeigentümer diesen Ort in Zürich West in ein vielfältiges neues Quartier – auf der Grundlage eines städtebaulichen Konzepts, 2004 festgeschrieben in den Sonderbauvorschriften ‹ Maag-Areal Plus ›. Swiss ­Prime S ­ ite Immobilien ist eine der Grundeigentümerinnen. Auf einem Teil des Areals baute sie nach den Plänen von Gigon / Guyer Architekten den Prime Tower und die Gebäude zu dessen Füssen: die Neubauten ‹ Platform › und ‹ Cubus › sowie den umgebauten Altbau ‹ Diagonal ›. Gesucht: Nutzungsvielfalt und Belebung Der Wettbewerb ‹ Maaglive › sucht nun das vorerst letzte Puzzleteil: Das Teilgebiet 2 ist heute fast vollständig mit Industriebauten aus verschiedenen Zeiten überbaut. Seit 2017 dient der hölzerne Einbau eines Konzertsaals in einer alten Industriehalle als Provisorium für das Tonhalle-­ Orchester Zürich, während dessen Stammhaus beim Kongresshaus umgebaut wird. Im historischen Gebäude K befinden sich das Foyer, ein Grossteil der Nebenräume und ein Bistro. Eine weitere Industriehalle nutzt die Maag Event Hall für Musicals und die Härterei als Club. Der Bestand schöpft die zulässige Ausnützung nicht aus. Der Studienauftrag ‹ Maaglive › soll die Weiterentwicklung des Teilgebiets 2 qualitätsvoll gestalten und die bestehende Ausnützungsreserve erschliessen. Dabei sollen die inventarisierten Bauten – das Gebäude K mit Eingang und Foyer der Tonhalle Maag – erhalten bleiben. Ob die Tonhalle Maag in ihrem Entwurf bestehen bleibt oder rückgebaut wird, konnten die teilnehmenden Teams entscheiden. Am Ende des Verfahrens sollten zwei Projekte stehen: eines mit und eines ohne den Konzertsaal. In der Ausschreibung suchte die Auftraggeberin Swiss ­Prime ­Site nach einem Projektvorschlag, der « durch die langfristig ausgelegte Rentabilisierung von sich ergänzenden Nutzungen den hohen Erwartungen an die vorerst letzte Überbauungsetappe im Maag-Areal gerecht werden kann ». Im Fokus sollten vor allem die Nutzungsdiversifikation, die Belebung des Areals rund um die Uhr sowie eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität stehen. Komplexe Aufgabenstellung Im nicht anonymen Studienauftrag wünschte sich die Auftraggeberin von jedem der acht Teams eine aus seiner Sicht für das Areal adäquate Kombination von Nutzungen: Mikroapartments in zwei verschiedenen Grössen plus gemeinschaftliche Räume. Kleinwohnungen, ebenfalls in zwei unterschiedlichen Grössen. Ein Hotel, Büros sowie Kultur-, Event- und Dienstleistungsnutzungen. Ein vielfältiges Angebot an neuen Aussen- und Freiräumen sollte das Areal insgesamt ergänzen und bereichern. All das innerhalb der komplexen Rahmenbedingungen auf dem Areal wie den Sonderbauvorschriften ‹ Maag-Areal Plus ›, Lärmschutz und Schattenwurf.

D B A

Übersicht Maag-Areal Plus Teilgebiet 1 Teilgebiet 2 A Platform B Diagonal C Prime Tower D Cubus

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Jury ─– Dietmar Eberle, Architekt, Baumschlager Eberle Architekten, Lustenau ( A ), Prof. ETH ( Vorsitz ) – Mike Guyer, Architekt, Gigon / Guyer Architekten, Zürich, Prof. ETH ─– An Fonteyne, Architektin, noAarchitecten, Brüssel, Prof. ETH ─– Lukas Schweingruber, Landschafts­ architekt, Studio Vulkan, Zürich ─– Peter Lehmann, CEO, Swiss Prime Site Immobilien, Zürich ─– Urs Baumann, CIO, Swiss Prime Site Immobilien, Zürich ─– Johanna Gerum, Development, Swiss Prime Site Immobilien, Zürich Expertinnen und Experten ( mit beratender Stimme ) ─– T ivadar Puskas, Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich ( Statik ) ─– ─Robert Hormes, Confirm Baumana­ gement, Zürich ( Bauökonomie ) ilvie Yvonne Müller, Gartenmann ─– S Engineering, Zürich ( Lärm ) Verfahrensbegleitung ─– Manuel Peer, Planar AG für Raum­ entwicklung, Zürich ─– Dominic Schuppli, Planar AG für Raumentwicklung, Zürich

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Bestand Teilgebiet 2 inventarisiert Rückbau optional Rückbau 1 Eingang Tonhalle Maag 2 Foyer 3 Tonhalle Maag 4 Bistro K 2 5 Containerbrücke 6 Maag Event Hall 7 Härterei 8 Gebäude H

Eingeladene Planungsteams ─– ─ Buchner Bründler Architekten, Basel ─– Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten, Zürich ─– Holzer Kobler Architekturen, Zürich ─– ─ Lacaton & Vassal Architectes, Paris ─– Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich ─– Sauerbruch Hutton, Berlin ─– Spillmann Echsle Architekten, Zürich ─– ─ Staufer & Hasler Architekten, Frauenfeld Vorgehen Die Unterlagen zum Studienauftrag gingen am 15. Oktober 2019 zu den Teilnehmen­ den. Die Startsitzung fand am 22. Oktober 2019 vor Ort statt. Die Schlussabgabe erfolgte am 12. Februar 2020, die Schluss­ beurteilung am 4. und 11. Mai 2020 als Videokonferenz ( Corona-Bestimmungen des Bundes ). Die Jury empfahl zwei Pro­ jekte zur Weiterbearbeitung: das Projekt von Lacaton & Vassal mit Erhalt der Tonhalle und das Projekt von Sauerbruch Hutton ohne Erhalt der Tonhalle. Im Anschluss untersuchte Swiss Prime Site die Potenziale, Chancen und Risiken beider Projekte. Es fanden runde Tische mit den städtischen Ämtern statt, und Spezialisten überprüften verschiedene kulturelle Nutzungskonzepte. Anfang Februar 2021 entschied sich die Auftrag­ geberin, das Berliner Büro Sauerbruch Hutton mit der Planung zu beauftragen.

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Die neuen Bauten des Siegerprojekts von Sauerbruch Hutton ( rechts und Mitte ) ergänzen die vorhandenen.

Blätterdach und Farbenspiel Drei sehr unterschiedliche Solitärbauten bilden ein Ensemble: ein Hochhaus, das inventarisier­ te Gebäude K und ein neues Kulturhaus. Dazwi­ schen gibt es einen öffentlichen Raum als neue Mitte des Areals. Er ist mit hochstämmigen Bäu­ men bestanden und sorgt so für ein angenehmes Mi­kro­klima. Das Blätterdach schafft eine Aufent­ haltsqualität, die auf diesem Teil des Areals bis­ her fehlt. Diese Qualität sowie die Nutzungen in den Erdgeschossen werden den Platz beleben. Das Hochhaus kann flexibel genutzt wer­ den, wobei die Wohnnutzung überwiegt. Dort, wo die Lärmbelastung zu gross ist, ergänzen Stu­ dios die Kleinwohnungen. Im zweigeschossigen Sockel befindet sich ein Businessclub mit Café und Weinbar. Der anfangs als « zu generisch » be­ urteilte Ausdruck der Fassade wurde in der Über­ arbeitung verfeinert. Die Lärmschutzbedingun­ gen führten zu einer umlaufenden Balkonschicht und einer volumetrischen Staffelung dahinter. Der ockergelb bis ochsenblutrot changierende Farbverlauf der äusseren Fassadenschicht sucht selbstbewusst den Kontrast zum gros­sen Bruder ­Prime ­Tower. Ein üppig bepflanzter Dachgarten

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ergänzt die Bibliothek und einen Raum mit Ge­ meinschaftsküche für die Bewohnerinnen und Bewohner am höchsten Ort des Turms. Das Gebäude K ist von allen Anbauten be­ freit und kommt als Industriedenkmal und Ort für kulturelle Veranstaltungen neu zur Geltung. Fo­ yer, Restaurant und Bar schaffen betriebliche Sy­ nergien mit dem neuen, nutzungsoffenen Kultur­ haus nebenan. Dieses erinnert mit Sheddächern an die industrielle Vergangenheit des Orts. Eine anspruchsvolle Holzkonstruktion gibt dem Inne­ ren einen starken Charakter. Nach aussen sorgen eine Markthalle, ein Buchcafé mit Galerie und ein offen gestalteter Raum mit Lounge und Bar für Leben rund um die Uhr. Projekt Sauerbruch Hutton Architektur:  Sauerbruch Hutton, Berlin ( Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton, Juan Lucas Young, Tom Geister, Nan Liu, Gregory Then, Johanna Wörner, Asya Guney, Mei Yi Chen, Ricardo Espinoza, Anita Hu ) Landschaftsarchitektur:  Hager Partner, Zürich ( Pascal Posset, Mirjam Scharnofske ) Bauingenieurwesen:  Werner Sobek, Berlin ( Radu-Florin Berger, Robert Lachmann, Karen Roller ) Kontakt-Architekten:  ltten + Brechbühl, Zürich ( Dennis Clayton Matthiesen, Beatrice Dornseifer ) Technische Gebäudeausrüstung und Brandschutz:  Amstein + Walthert, Zürich

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Die Jury sagt « Die Projektstrategie von Sauerbruch Hutton ehrt die industrielle Vergangenheit und macht diese weiterhin im Quartier spürbar. Gleichzeitig schafft sie mit dem charmanten ‹ Stadtwald › einen gross­ zügigen, zen­tra­len Aussenraum mit identitätsstiftendem Charakter. »

Die Markthalle im Erdgeschoss des Kulturhauses.

Fassade mit Loggien.

Farbverlauf der Fassaden des Wohnturms und seiner Nachbarsgebäude.

Ein Hain aus hochstämmigen Bäumen zwischen den Neubauten. Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — Blätterdach und Farbenspiel

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Erdgeschoss

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3. Obergeschoss

tagsüber 9 – 16 Uhr

morgens 7 – 9 Uhr

Afterwork 16 – 19 Uhr

Regelgeschoss Wohnen

nachts 23 – 7 Uhr

1. – 3. Obergeschoss Option Wohnen

2. Obergeschoss

abends 19 – 23 Uhr

24-Stunden-Nutzung Gastronomie Co-Working Büro Kultur Einzelhandel Bildung Wohnen

Regelgeschoss Büros

1. – 3. Obergeschoss Option Büros

Auftakt für das gesamte Quartier in Zürich West.

1. Obergeschoss Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — Blätterdach und Farbenspiel

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Geschichtete Zeit Das Projekt ist eine Hommage an das Maag-­ Areal und entspricht der allgemein akzeptierten Wertvorstellung der Nachhaltigkeit. Alt und Neu überlagern sich, um « die Vergangenheit mit der Gegenwart und der Zukunft zu verbinden », wie es im Jurybericht heisst. Über die bestehenden Maag-­Hallen wird entlang der Maschinenstrasse ein viergeschossiger, schmaler Riegel gelegt. Quer dazu, entlang der Zahnradstrasse, steht eine 14-­ge­schos­sige Scheibe, ebenfalls auf den alten Hallen. Da auf der Fussgängerebene keine neuen Aussenräume entstehen, finden sich diese vor allem auf den Dächern der Hallen: ein üppiger Dachgarten auf der Tonhalle Maag sowie Gewächshäuser als Urban Gardening Plaza auf der Maag-­Halle. Eine lange Fussgängerrampe entlang der Fassade von Maschinen- und Naphta­strasse macht die Dachgärten öffentlich zugänglich. Die Nutzungen in den bestehenden Bauten könnten mit einem intelligenten Betreiberkonzept beibehalten und weiterentwickelt werden. Die vorgeschlagenen Neubauten sind flexibel nutzbar. Sie werden durch die Hallen hindurch fundiert und bestehen zu einem grossen Teil aus vorgefertigten Elementen. Eine Winter­garten-­Balkon-­Schicht

mit eigens entwickelten Sonnenschutz- und Wärmedämmvorhängen erfüllt sowohl klimatische Aufgaben als auch solche des Lärmschutzes. Die sanierte Tonhalle Maag könnte – ohne Holzbox – als Markthalle dienen. Die Maag-­Halle kann für Kongresse, Seminare oder kulturelle Anlässe genutzt werden und mit Schiebeelementen oder Vorhängen unterteilt werden. Da die Hallen teilweise ausserhalb der Baubereiche der Sonderbauvorschriften ‹ Maag-­Areal Plus › liegen, sind sie stark baurechtswidrig. Deren Anpassung würde eine zusätzliche Bewilligungshürde bedeuten und weitere Risiken wie Verzögerungen oder Einsprachen mit sich bringen. Unter anderem aus diesem Grund zog die Bauherrschaft das Projekt nach der Überarbeitung nicht weiter in Erwägung. Projekt Lacaton & Vassal Architectes Architektur:  Lacaton & Vassal, Paris ( Anne Lacaton, Jean-Philippe Vassal, Julien Callot, Francisco Latorre, Marcos García Rojo, Tomas Rodriguez ) Landschaftsarchitektur:  Cyrille Marlin, Pau ( F ) Bauingenieurwesen:  Dr. Deuring + Oehninger, Winterthur ( Bastien Leu, Simon Braun ) Akustik:  Gui Jourdan, Montpellier Umweltingenieur:  Atmos Lab, London ( Olivier Dambron, Florencia Collo )

Auf den Hallen befinden sich öffentlich zugängliche Dachgärten und Glashäuser für Veranstaltungen.

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Der Zugang zur inneren Passage.

Die Jury sagt « Es entsteht eine einmalige Verbindung von Alt- und Neubauteilen, die nut­ zungsmässig und architektonisch eine neue Einheit bilden. Diese Gleich­ wertigkeit von Alt und Neu bietet eine ausserordent­liche Qualität. » ‹› › » »« » » »

Einblick in die Maag-Halle von der inneren Passage.

»

Blick auf die Ecke Zahnrad- und Maschinenstrasse. Bestehende und alte Gebäude bilden ein neues Ganzes. Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — Geschichtete Zeit

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2. Obergeschoss

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Erdgeschoss

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10. – 15. Obergeschoss

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6. Obergeschoss

3. Obergeschoss

Schnitt Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — Geschichtete Zeit

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Vertikal geteilt Kern des Projekts ist ein Platz mit einem Wasserbecken, in dem sich der Neubau, das aufgewertete Gebäude K und die Tonhalle spiegeln. Die renovierte Tonhalle ist an der Platzseite stark begrünt und ermöglicht ein breiteres Spektrum an Aktivitäten. Die Ausrichtung von Zahnradstrasse und Tonhalle bestimmt den Fussabdruck des Turms. Durch die Symmetrie des Baukörpers entsteht ein weiterer Platz an der Maschinenstrasse. Im Erdgeschoss befinden sich Räumlichkeiten für eine Foodhall und für Retail. Das erste Stockwerk des Turms bietet Platz für weitere öffentliche Nutzungen wie zum Beispiel ein Fitnessstudio. In den oberen Etagen sind Wohnungen und Büros vorgesehen. Ein zentraler Kern teilt diese Nutzungen und damit das gesamte Gebäude vertikal: die Wohnungen auf der lärmgeschützten, die Büros auf der lärmbelasteten Seite. Über Treppen lassen sich mehrere Stockwerke intern verbinden. Die Struktur des Gebäu-

des erlaubt sowohl Mikroapartments als auch Kleinwohnungen. Die Fassaden des Turms bestehen aus Sichtbeton. Auf der Nord- und der Südwestseite bilden sie eine Schicht, die Aussenräume ermöglicht – auf der Wohnseite auf jedem Geschoss, auf der Büroseite auf jedem zweiten. Die Gruppierung der Öffnungen über zwei Stockwerke betont die vertikale Wirkung. Für den Fall, dass die Tonhalle durch einen Neubau ersetzt werden sollte, skizzieren die Verfasser die Öffnung der Lichtstrasse durch den Baublock. Über eine Arkade verbindet sich der Neubau mit dem zentralen Grünraum. Projekt Buchner Bründler Architekten Architektur:  Buchner Bründler, Basel ( Andreas Bründler, Daniel Buchner, Raphaël Kadid, Moritz Schmidlin, Dominik Hesse ) Landschaftsarchitektur:  Ghiggi Paesaggi, Zürich ( Dominique Ghiggi, Lorenzo Fassi ) Bauingenieurwesen:  Dr. Lüchinger + Meyer, Zürich ( Andreas Gianoli ) Akustik:  Applied Acoustics, Gelterkinden ( Martin Lachmann ) Architektonischer Ausdruck.

Erdgeschoss

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Mikroapartments

1. Obergeschoss

Ein kleiner Platz als neuer Empfangsraum des Maag-Areals.

Die Jury sagt « Der Ausdruck der Fassaden in ihrer Doppelschichtigkeit und Tiefe ist ein in­te­res­ san­ter Gegensatz zum Prime Tower. ( ... ) Die Form des 52 Meter hohen Turms kann als Mehrwert für diesen Ort leider nicht überzeugen, weder aus der Ferne noch als Begrenzung für den öffentlichen Raum. »

Ein Wasserbecken als ‹ Miroir d’eau › zwischen Wohnhochhaus und Tonhalle Maag.

Gemeinschaftsraum

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Ein neues Zeichen Es ist ein Ensemble aus verschiedenen Gebäuden mit je eigenem Typ, Gestalt und Ausdruck: Prime Tower, ‹ Cubus ›, Maaghof und die Gebäude ‹ Diagonal › und K auf dem Wettbewerbsperimeter. Zu ihnen gesellt sich der neue, zeichenhafte Baukörper. Mit fünfzig Metern Höhe ist er weder ein eindeutiges Hochhaus noch Teil einer Regelbebauung. Stattdessen verkörpert er einen neuen Gebäudetyp. Die Zeichenhaftigkeit ist plastisch-­ architektonisch und bezieht sich auf keine spezifische Nutzung. Die dreieckige Grundform spielt die abgerundete Ecke des inventarisierten Gebäudes K frei und definiert drei Aussenräume: einen grossen und einen kleinen Platz sowie eine Gasse. Die Form lässt den Solitär mal schlank und stehend, mal breit und gesetzt erscheinen. In den abgefasten Ecken befinden sich die Eingänge. Die nutzungsneutrale Struktur mit dem grossen, stützenfreien ‹ Container › als Sockel und den drei ‹ Regalen › als darauf stehendem Schaft besteht aus rot eingefärbtem Beton und bestimmt sowohl den äusseren als auch den inneren Ausdruck. Drei riesige Kreuze steifen das Gebäude zusammen mit drei Liftkernen in den Ecken aus. Mit ihrer Präsenz bestimmen sie den vierzig Meter hohen Atriumraum, der eine Art Klimapuffer und für alle hier Wohnenden und Arbeitenden eine gemeinschaftliche Mitte bildet. Lichtdurchflutet und halb öffentlich macht das Atrium das Haus offen und zugänglich. Und es verschafft dem Gebäude eine Einzigartigkeit in Zürich. Von Weitem hat das Gebäude eine markante plastische Präsenz, von Nahem wird die Fassade feingliedrig, porös und massstäblich. Das Nutzungskonzept entspricht dem Schnitt. Im generischen Sockel sind verschiedene Nutzungen möglich, etwa ein Multifunktionssaal mit Gewerbe oder eine Mall mit Läden, Gastronomie und Fitness. In den Obergeschossen sind in den zwei lärmabgewandten Flügeln Mikroapartments und Kleinwohnungen vorgesehen, im lärmzugewandten Teil Büros. Die vertikalen Zugänge in den drei Ecken erschliessen über Laubengänge im Atrium jeden Flügel separat. Auf dem Sockel befindet Die ikonische Gestalt vom Prime Tower aus betrachtet. sich eine halb öffentliche Plaza mit angrenzenden allgemeinen Nutzungen wie Lobby, Fitnessbereich und Co-Working-Space. Begrünte Stadtbalkone formen die Ecken, ein grosser Wasserspiegel bildet das Zentrum. Projekt Edelaar Mosayebi lnderbitzin Architekten Architektur:  Edelaar Mosayebi lnderbitzin, Zürich ( Prof. Dr. Elli Mosayebi, Christian lnderbitzin, Ron Edelaar, Roxane Unterberger, James Horkulak, Yvo Corpataux ) Landschaftsarchitektur:  Ganz, Zürich ( Daniel Ganz, Maja Leonelli ) Bauingenieurwesen:  Wlw, Zürich ( Dominic Walser, Roman Granzotto ) ; Block Research Group, Zürich ( Prof. Dr. Philippe Block ) Brandschutz:  Hautle Anderegg + Partner, Bern ( Dirk Boldt )

Die Jury sagt « Das selbstbewusste Projekt ist in sich sehr überzeugend und vertraut mit seinen volumetrischen, räumlichen und struktu­ rellen Qualitäten darauf, einen Beitrag zu liefern, der deutlich besser ist als das jetzt Bestehende. Nach einer eingehenden Analyse des vorhandenen, einzigartigen Nutzungskonglomerats und einer städte­ baulichen Grundsatzdiskussion hat sich die Jury jedoch entschieden, den Weg der Kontinuität und der schrittweisen Ver­ änderung zu wählen.  » ‹› › » »« » » » »

Primärstruktur

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Schnitt

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Situation

Regelgeschoss

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Plaza

Plazageschoss 1:300

Erdgeschoss

Das vierzig Meter hohe Atrium bildet eine gemeinschaftliche Mitte. Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — Ein neues Zeichen

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Konglomerat Ein rechteckiger, fünfzig Meter hoher Turm und eine halb so hohe Gebäudescheibe auf einem gemeinsamen Sockel: Mit der bestehenden Tonhalle Maag und dem Gebäude K bilden die Neubauten ein Konglomerat mit einer ausgewogenen Balance von Neu und Alt. Die Scheibe nimmt Bezug auf die Regelbebauungen des Maaghofs und das neue Bürogebäude Welti Furrer, der Turm bezieht sich auf die 80 bis 126 Meter hohen Türme der Umgebung. Wie auch das gegenüberliegende Gebäude ‹ Diagonal › erinnern die Bestandsbauten an die industrielle Vergangenheit des Areals. Anders als sie sind Turm, Scheibe und Tonhalle orthogonal angeordnet. Zusammen mit dem P ­ rime ­Tower, seinen Annex­bauten, dem Bürogebäude ‹ Platform › und den diagonal verlaufenden Bahngleisen formen beide Gebäudegruppen eine schlüssige städtebauliche Komposition. Die Scheibe schützt den Turm vor Lärm. Der öffentliche Durchgang der Licht­strasse entkoppelt die Tonhalle vom bestehenden Gebäude K und stellt dieses frei. Die Vision des Neubaus ist ein offener Gebäudekomplex mit einem urbanen Nutzungsmix, ein Ort für Events und Veranstaltungen, aber auch ein Quartiertreffpunkt. Über einen Quartierplatz betritt man ein gros­ses Fo­yer, das die Ausstellungsbereiche, das Restaurant, die Läden und die Tonhalle miteinander verbin-

det. Das Foyer wird vertikal über eine Tribüne und eine offene Treppe mit einer Mediathek, einer Lounge, einer Galerie mit vorgelagerter Terrasse und einem Zugang zum Sportdeck auf dem Dach erweitert. Im Turm darüber sind Büros und Kleinwohnungen und in der Scheibe über Laubengänge erschlossene Mikroapartments angeordnet. Gemeinschaftlich genutzte Dach- und Terrassenflächen sowie das Sportdeck ergänzen die Aussenbereiche im Erdgeschoss. Im Sockelbereich trägt Beton, in den Aufbauten Holz. Die Oberflächen aus Sichtbeton und Holz, feuerverzinkten Blechen, Metall- und Textilgeweben erzählen von der industriellen Nachbarschaft und der Nutzung. Die Geste des gros­sen gefassten Platzes zu Lichtund Zahnradstrasse verankert das Ensemble im Innern des Maag-Gefüges. Der runde, baumbestandene Platz fügt sich in die Freiraumprinzipien des Areals ein und schafft einen ruhigen Ort. Projekt Holzer Kobler Architekturen Architektur:  Holzer Kobler, Zürich ( Tristan Kobler, Volker Mau, Filippo Berardi, Hagen Gill, Sina Ramsaier, Calliope Sakellaropoulou ) Landschaftsarchitektur:  Atelier Loidl, Berlin ( Leonard Grosch, Oliver Ferger, Floris Gerits ) Bauingenieurwesen:  Ferrari Gartmann, Chur ( Patrick Gartmann ) Bauphysik / Akustik:  Lemon Consult, Zürich ( Julian Zanders )

Multifunktionssaal

Die Jury sagt « Das Projekt hat in der Diskussion der Jury bezüglich der Nutzungsvision und der Balance von Alt und Neu wichtige Im­pul­se geliefert. Das Aufteilen des Neubau­­ volumens, die Integration des Tonhal­ lenbereichs und die damit verbundene städtebauliche Gesamtkonzeption wur­den jedoch kontrovers diskutiert. » Gebäude K und Neubauten

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Schnitt

7. Obergeschoss

2. Obergeschoss

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Erdgeschoss

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Massiv wohnen Das Projekt sieht das Maag-Areal als Teil eines kulturellen Netzwerks in Zürich West. Es möchte seine Infrastruktur verbessern und erweitern, damit mehr kommerzielle Veranstaltungen wie Messen, Kongresse, Modeschauen oder Ausstellungen stattfinden können. Zu diesem Zweck strebt es eine Synergie zwischen den Aktivitäten im Gebäude K, in der Tonhalle und in einem neu zu errichtenden Foyer an. Als Zugang zu diesen Gebäuden dient die Licht­strasse in Form eines taschenartigen Vorplatzes. Das Foyer ist Veranstaltungsort, dient an den übrigen Tagen aber auch als öffentliche Passage. Eine grosszügige Treppe verbindet das Foyer mit der ersten Etage des neuen Turms und macht so dessen Sockel zu einem öffentlichen Ort. Das Gebäude K verliert seine Anbauten an der markanten Rundseite und erhält einen seitlichen Haupteingang. Die Tonhalle wird intelligent renoviert und bekommt einen weiteren Zugang vom neuen Foyer aus. In einer skizzierten zweiten Phase soll eine neue Halle mit zwei hohen Stockwerken die Tonhalle ersetzen. Neben diesem kulturellen Konglomerat ist ein neuer Turm geplant. Auf der Südseite grenzt er mit einem Restaurant an das Foyer, auf dessen Dach die Bewohnerinnen und Bewohner des Turms einen Dachgarten nutzen können. Im Sockel sind Büro­etagen und die gemeinschaftlichen Nutzungen der Wohnungen vorgesehen. Zwei dezentralisierte Kerne erschliessen ihn geschickt, sodass auch grössere Räume möglich sind. Oberhalb des Sockels teilt sich der Turm in die unteren Büro- und die oberen Wohn­etagen. Sowohl Mikroapartments als auch Kleinwohnungen können um ein Atrium herum gruppiert werden. Loggien ermöglichen auch auf der lärmbelasteten Seite Wohnungen. Die massiv gemauerten und verputzten Fassaden gliedern den Baukörper vertikal. Ausgehend vom etwas romantisierten Bild verlassener Industrieanlagen entsteht im ganzen Aussenraum des Areals ein Belags ­p atch­work, bei dem sich die Spontanvegetation den ihr zugestandenen Raum nehmen wird.

Lichtstrasse

Projekt Meili, Peter & Partner Architekten Architektur:  Meili, Peter & Partner, Zürich ( Markus Peter, Roman Pfister, Christoph Erni, Ansgar Kellner ) Landschaftsarchitektur:  Andreas Geser, Zürich ( Andreas Geser, Anja Weber ) Bauingenieurwesen:  Dr. Schwartz Consulting, Zug ( Joseph Schwartz, Katja Dillier-Kühn )

Blick vom Arealzugang.

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Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — Massiv wohnen

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4. Obergeschoss Büro

5. – 6. Obergeschoss Büro

8. – 14. Obergeschoss

Die Jury sagt « Das Projekt überzeugt durch seine gelungene architektonische Ausformu­ lierung und den mineralischen Ausdruck als Gegenstück zum gläsernen Prime Tower. Zweifel erwachsen jedoch beim neuen Foyer zwischen Neubau und Tonhalle, das architektonisch und im Zusammenhang mit dem taschenartigen Vorplatz der Lichtstrasse räumlich nicht vollends zu überzeugen vermag. »

1. Obergeschoss

Situation Erdgeschoss

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Stadthorizont Zwei Höfe prägen das Projekt: Einer entsteht durch die Erweiterung des Gebäudes K, der zweite mit dem Neubau eines prägenden Baukörpers. Mit seinem Grundriss und der Höhenentwicklung bezieht sich das Hofhaus auf die umliegenden Gebäude. Nach Abbruch der Tonhalle entsteht an ihrer Stelle ein gros­ser Kulturplatz. Der kleinere, baumbestandene Maschinenplatz schmückt an der gegenüberliegenden Seite den Eingang zum Areal. Während dieser Platz es im rauen Umfeld zwischen ‹ Cubus › mit Tiefgarageneinfahrt und dem Welti-Furrer-Areal schwer haben wird, verfügt der Kulturplatz über viel Potenzial. Die Doppelrippenkonstruktion des Neubaus ermöglicht gros­se Spannweiten und damit Flexibilität. Diese kräftige, industriell vorgefertigte Rahmenstruktur prägt die Innenräume wie auch die äussere Erscheinung.

Hof Neubau

Projekt Spillmann Echsle Architekten Architektur:  Spillmann Echsle, Zürich ( Annette Spillmann, Harald Echsle, Ulrike Feucht, Marion Spillmann, Katrin Zumbrunnen, András Kiss, Rico Furter, Janek Geiser, Patrik de Oliveira ) Landschaftsarchitektur:  Vetschpartner, Zürich ( Nils Lüpke, Anja Hildebrand ) Bauingenieurwesen:  Walt Galmarini, Zürich ( Carlo Galmarini ) Haustechnik HLKS:  Polke Ziege von Moos, Zürich ( Christian Polke ) Visualisierungen:  Atelier Brunecky, Zürich ( Radek Brunecky ) Akustik:  EK Energiekonzepte, Zürich ( Anna Scholz ) Wohnzimmer

Fassade

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Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — Stadthorizont

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Die Jury sagt « Das Erscheinungsbild vermag die Be­ sonderheit des Orts und seine durch her­vorragende Bauwerke geprägte Atmo­ sphäre nur teilweise aufzunehmen. Trotz der von der Jury positiv beurteilten Zurückhaltung bleibt ein Defizit in Re­lation zur Eigenart und zur emotionalen Dichte des Orts. » Schnitt

2. Obergeschoss

Erdgeschoss

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Der Solitär im Kontext.

Mikrowohnen und Gemeinschaftsraum

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Wohnen und Co-Working

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Projekt Staufer & Hasler Architekten Architektur:  Staufer & Hasler, Frauenfeld ( Astrid Staufer, Lorenz Brunner, Lena Hofer, Felix Beyer ) Landschaftsarchitektur:  Krebs und Herde, Winterthur ( Matthias Krebs, Sigrid Pichler ) Bauingenieurwesen:  Ewp, Effretikon ( Prof. Dr. Hartwig Stempfle ) Verkehrsplanung:  Bhateam, Frauenfeld ( Christian Herrmann )

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tischen Umfeld. Ein Winkelbau mit Pop-­up-­Nut­ zungen im Erdgeschoss und Atelierwohnungen in den Obergeschossen vervollständigt das Gebäude K. Der Kopf des Gebäudes K wird in allen Fällen – Erhalt, Teilabbruch oder Abbruch der Tonhalle – freigestellt und seine Fassade zum Aussenraum und zur Orangerie erneuert. Durch die raumhohe Tragstruktur des Turms können die tausend Quadratmeter Grundfläche des Erdgeschosses mit Gastronomie, Verkaufsflächen und Eingangshallen wirtschaftlich und flexibel genutzt werden. Zwei separate Erschliessungen erlauben unterschiedliche Nutzungen pro Geschoss. Lärmabgewandt sind Mikroapartments und Kleinwohnungen, lärmzugewandt Büro- und Gemeinschaftsräume angeordnet. Zuoberst befindet sich ein Gemeinschaftsbereich, ergänzt mit einem darüberliegenden Dachgarten. Die metallene Hülle formt eine kantige, gefaltete und perforierte Fassade und verleiht dem Gebäude einen eigenständigen Ausdruck. FW

Der runde, 50 Meter hohe Turm stellt sich als mittelhohes Gebäude selbstbewusst neben die 80 bis 126 Meter hohen Hochhäuser und die 25 bis 30 Meter hohen Regelbebauungen. Seine doppelt gezackte Volumetrie mit zurückgesetztem Sockel und Attika soll als Werkstück an die industrielle Vergangenheit des Areals erinnern. Mit seiner Form und der metallischen Hülle strahlt er als Solitär auf den Umraum aus und setzt sich von den Nachbarsbauten ab. Die Bestandsgebäude bleiben erhalten, werden lesbarer gemacht und ergänzt. Im Szenario einer bleibenden Tonhalle erhält diese eine Orangerie als neue Schaufront, die zusammen mit der Lichtstrasse als Drehscheibe zwischen Foyer, Saal und Aussenraum dient. Bricht man nur den hölzernen Musiksaal ab, kann die bestehende Halle flexibel als Markthalle, Sportstätte, Ausstellungsraum oder Eventhalle genutzt werden. Der neue zentrale Zugang erlaubt all diese Nutzungen und aktiviert mit der Orangerie den Aussenraum um den neuen Turm. Wird die gesamte Halle der Tonhalle abgebrochen, soll sie zu einem Hallengarten werden: Ihre Stahlkonstruktion soll erhalten und begrünt werden. Zusammen mit der hier ebenfalls geplanten Orangerie bildet der Hallengarten einen in Zürich einzigartigen Grünraum in einem dichten, städ-

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Werkstück

Zwischengeschoss

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Orangerie

Die Jury sagt « Es entsteht eine bemerkenswerte Vielfalt an Aufenthaltsorten, deren atmosphärische Höhepunkte die Orangerie ( Option 1 ) oder der Hallengarten ( Option 2 ) sind. Beide haben grosses Potenzial, zum neuen lebendigen Zentrum des Maag-Areals zu werden, wurden aber von der Jury kon­ tro­vers diskutiert. Dank des differen­ zierten Umgangs mit dem Bestand und des markanten Turms ist das Projekt ein wertvoller Beitrag. »

Option Markthalle in bestehender Halle.

Erdgeschoss Option Hallengarten.

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Lis van Rietschoten und Lukas wohnen auf dem Maag-Areal.

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Für Manuel Litz ist es ausserdem ein Ort zum Spielen.

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« Es gab Überraschungen » Die Verantwortlichen von Swiss Prime Site über die Zukunft des Maag-Areals, das Ergebnis ihres Studienauftrags und die Hürden bei der Umsetzung. Nach dem Bau des Prime Towers, der dazuge­hörigen Gebäude ‹ Platform › und ‹ Cubus › sowie der Renovation der Liegenschaft ‹ Diagonal › entwickelt Swiss Prime Site nun den verbleibenden Arealbereich des Gestaltungsplans von 2004. Johanna Gerum: Die Plätze rund um den Prime Tower sind heute eher Durchgangs- als Aufenthaltsorte. Das wollen wir künftig anders handhaben. Wir haben die Sonderbauvorschriften ‹ Maag-Areal Plus ›, die einen strikten Rahmen vorgeben, teilweise hinterfragt. Dabei ging es um aktuelle Themen wie Hitzeminderung und Aufenthaltsqualitäten im Aussenraum. Damit wir diese besser berücksichtigen können, haben wir in der Wettbewerbsausschreibung die Entsiegelung von Flächen und mehr Begrünung ermöglicht. Es geht um den vorerst letzten Entwicklungs­schritt innerhalb des Maag-Areals. Was steht für Sie hier im Vordergrund ? Urs Baumann:  Der Prime Tower ist identitätsstiftend für uns und fester Bestandteil der Skyline von Zürich. Swiss ­Prime Site steht für dieses Gebäude und umgekehrt. Als es realisiert wurde, war es zuerst nicht einfach, Mieter zu finden. Man fragte sich: Ist die Gegend um den Bahnhof Hardbrücke ein sicherer Ort ? Gibt es dort Lunchmöglichkeiten für die Mitarbeitenden ? Heute gibt es zahlreiche Verpflegungsmöglichkeiten – und Mitarbeitende, die die Mittagspause für sportliche Aktivitäten nutzen und abends ein Kulturprogramm besuchen. In erster Linie ist das Areal aber ein Bürostandort geblieben. Ein wichtiger Schritt ist nun, mehr Nutzungsdiversität zu ermöglichen: Wohnen in Kombination mit Arbeiten, Gastronomie und Kultur. Johanna Gerum: Das Teilgebiet 2 ist das Tor zu Zürich West und das Herzstück eines Areals, das Menschen anzieht. Ein Erlebnisort, dessen Qualitäten sich jedoch momentan eher in den Innenräumen befinden. Es gilt, ein Pendant im Aussenraum zu schaffen. Das Raumprogramm für den Wettbewerb bestand aus einem Baukasten: Kleinwohnungen, Büros, neue Arbeitsformen, Kultur. Die Wahl der genauen Nutzungsmischung haben Sie den Architekten überlassen. Wieso ? Johanna Gerum: Nutzungsmischungen und Synergiepotenziale hängen immer auch mit dem Raumangebot, dem Charakter eines Gebäudes und mit städtebaulichen Ensembles zusammen. Von den Architekten holen wir uns Meinungen und Visionen. Vor allem in den Gesprächen, die wir rund um die beiden zur Weiterbearbeitung empfohlenen Projekte geführt haben, sind neue räumliche Angebote entstanden. Der Wettbewerb sah zwei Szenarien vor: Abriss oder Teil­erhalt der bestehenden Industriehallen, in denen sich heute die Tonhalle Maag und die Maag Music Hall befinden. Warum ? Johanna Gerum: Wegen technischer Vorgaben beim Lärmschutz und bei der Belichtung war die von uns gewünschte Wohnnutzung nicht ganz einfach zu realisieren. Es galt auszuloten, wie man städtebaulich damit umgehen kann. Ausserdem war noch nicht klar, ob es Nachfolgenutzungen für die Tonhalle gibt. Wir wollten offen damit umgehen, ob und in welcher Form ein Erhalt der Halle möglich

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ist. Anfangs mussten alle Teilnehmer beide Szenarien entwickeln. Dann konnten sie wählen, welches sie mit in die zweite Bearbeitungsphase nehmen. Am Ende gab es fünf Vorschläge mit und drei ohne Tonhalle Maag. Haben die Entwürfe Sie überrascht ? Johanna Gerum:  Es gab Überraschungen, zum Beispiel den Ruinengarten von Staufer & Hasler. Drei städtebauliche Strategien haben sich herausgeschält: die Konzentration im Wohnturm, das Freispielen verschiedener Aussenräume mit oder ohne Tonhalle oder eine flächige Bebauung, wie sie Spillmann Echsle als Phänotyp entwickelt haben. Das hat uns sehr deutlich aufgezeigt, was besser und was weniger gut funktionieren könnte. Als Resultat des Studienauftrags wurden – wie im Programm festgehalten – zwei Projekte zur Weiterbearbeitung empfohlen: Sauerbruch Hutton schlagen einen weitgehenden Abbruch der Industriehallen bis auf das inventarisierte Gebäude K vor, Lacaton & Vassal den Erhalt aller Gebäude und darübergebaute Neubauten. Es folgte eine Phase weiterer Abklärungen und Entwurfsüberarbeitungen mit diesen zwei Projekten. Wie haben Sie schliesslich die Entscheidung getroffen ? Urs Baumann:  Mit der Überarbeitung wollten wir beiden Projekten die Chance geben, gewisse Fragestellungen und Nutzungskonzepte zu verifizieren. In einem intensiven und von den zuständigen Behörden interdisziplinär begleiteten Prozess mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass das Projekt von Lacaton & Vassal baurechtswidrig ist. Hätten wir das vorher bereits gewusst, hätten wir uns gegen die Empfehlung der Fachjurorinnen aussprechen müssen. Gleichzeitig haben Sauerbruch Hutton die Qualitäten des öffentlichen Raums sowie die Nutzungsflexibilität weiter ausgebaut. Inwiefern ist das Projekt von Lacaton & Vassal baurechtswidrig ? Johanna Gerum:  Die Tonhalle wie auch die Maag Music Hall liegen gemäss den geltenden Sonderbauvorschriften teilweise ausserhalb des Baubereichs. Die Hallen können momentan nur mit Einschränkungen genutzt werden. Hinzu kommt: Statische Eingriffe sind nicht erlaubt, beispielsweise der Einbau von Oberlichtern, um durch Tageslicht den möglichen Nutzerkreis zu erweitern. Auch Zwischenböden, Galerien oder Boxen sind nicht möglich – und auch keine energetische Sanierung. Ein Umbau würde zu weiteren juristischen Fragestellungen führen, da das Projekt von Lacaton & Vassal die gesamte Ausnützung konsumiert. Um all das zu ändern, müssten wir einen neuen Gestaltungsplan auflegen oder die Sonderbauvorschriften anpassen – mit entsprechenden Projekt- und politischen Risiken. Sie möchten das Projekt von Sauerbruch Hutton umsetzen. Zürcher Kulturschaffende fordern Sie mit der Initiative ‹ Retten wir die Maag-Hallen › auf, Ihren Entscheid noch einmal zu überdenken. Haben sie eine Chance ? Urs Baumann: Wir haben uns aus sehr guten Gründen für das Projekt von Sauerbruch Hutton entschieden – unter anderem auch, weil es aus unserer Warte die beste Lösung für das Quartier ist. Die Kritiker argumentieren damit, dass das Quartier auf die zahlreichen Besucherinnen

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und Besucher von Veranstaltungen in der Tonhalle Maag und der Maag Music Hall angewiesen ist. Diesen Punkt können wir nachvollziehen. Wir denken aber, dass wir mit den im ausgewählten Projekt vorgesehenen Kulturflächen dem Quartier sogar ein besseres Angebot machen können. Im Gegensatz zu heute sollen Kulturveranstaltungen über den ganzen Tag und das ganze Jahr verteilt stattfinden. Das bringt mehr Leben ins Quartier und spricht eine grössere Bandbreite von Zielgruppen an. Bis anhin fanden mehrheitlich Abendveranstaltungen statt – und auch nicht das ganze Jahr über. Einzelne Mitglieder der Fachjury haben sich auch nach der Überarbeitung noch für das Projekt von Lacaton & Vassal ausgesprochen. Können Sie das nachvollziehen ? Johanna Gerum:  Die Fachjury hat ihre Rolle wahrgenommen und die Projekte primär aus architektonischer Perspektive beurteilt. In den Diskussionen haben Themen wie die baurechtliche Machbarkeit, die langfristige Nutzungsflexibilität und die Wirtschaftlichkeit wenig Raum gefunden. Uns ist es sehr wichtig, eine qualitativ hochstehende Architektur zu bauen. Das zeigen der Wettbewerb und die Überarbeitung. Es gibt aber Aspekte, die für uns mindestens genauso wichtig sind. Und um das Thema Risiko kommt man ebenfalls nicht herum. Die Frage für die Bauherrschaft ist doch: Lässt sich ein besonderer Mehrwert schaffen, der zusätzliche Bewilligungsrisiken rechtfertigen würde ? In diesem Fall lautete unsere Antwort nach sorgfältiger Abwägung: nein. Zumal mit Sauerbruch Hutton ein überzeugendes und bewilligungsfähiges Projekt vorliegt. Urs Baumann: Die Jury attestierte dem Projekt von Lacaton & Vassal, dass es ein zukünftiges Modell für die Auseinandersetzung mit dem Bestand in der Stadt aufzeigen kann. An einer solch guten Lage in der Stadt Zürich sah man die Möglichkeit für ein städtebauliches Experiment. Wir können aber heute nicht absehen, ob sich der Bestand, den man mit diesem Entwurf zementiert, über die Zeit hält. Wir wissen nicht, ob es tatsächlich die nachhaltigere Lösung ist, selbst wenn man mit der Bilanzierung der grauen Energie argumentiert. Wenn wir die Hallen nicht bespielen können und sie unternutzt sind, ist den Quartierinteressen auch nicht gedient. Ihr Ziel für diesen Ort ist es, den Nutzungsmix zu erhöhen, das Areal rund um die Uhr zu beleben, einen Aufenthaltsort und Räume zu schaffen, die Erleb­nisse ermöglichen. Wie erreicht das Projekt von Sauerbruch Hutton diese Ziele ? Johanna Gerum: Das Siegerprojekt bedient all diese Fragen. Mit dem zentralen Platz hat es eine starke Grund­ idee. Jeder der drei um ihn herum angeordneten Gebäudekörper hat eine eigene Identität und ist offen für die unterschiedlichsten Nutzungsszenarien. In der Überar­ beitungsphase hat das Projekt zudem architektonisch noch einmal stark dazugewonnen. Urs Baumann: Das Projekt von Sauerbruch Hutton hat ein Potenzial für Kulturnutzungen von rund 3600 Quadratmetern, verteilt auf mehrere grosszügige und nutzungsoffene Flächen für Ausstellungen, Konzerte und andere Veranstaltungen. Die Räume haben eine Grösse, wie es sie in Zürich kaum gibt. Ideen, wie diese Flächen am besten bespielt werden und wer geeignete Mieter dafür sein könnten, würden wir sehr gern zusammen mit Kulturschaffenden und den Kulturverantwortlichen der Stadt entwickeln. Wir sind offen für einen solchen Dialog. Auch in der Immobilienbranche ist mittlerweile viel von ESG die Rede, also von der Sorge um Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Wo sehen Sie sich in der Verantwortung ?

Urs Baumann:  Gerade mit solch akkurat geführten Wettbewerbsverfahren wie diesem hier, das ja auf freiwilliger Basis durchgeführt wurde, können wir die ESG-Kriterien frühzeitig in ein Projekt einbringen. Und zwar alle drei. Mit der Neuausrichtung der Kulturflächen und vielen weiteren Elementen zur Belebung des Quartiers nehmen wir unsere gesellschaftliche Verantwortung wahr. Unsere Verantwortung besteht aber auch darin, die wirtschaftliche Nachhaltigkeit und entsprechend langfristige Miet­erträge sicherzustellen und gleichzeitig allen relevanten Umweltthemen gerecht zu werden. Der städtebauliche Entwurf für das Areal ist zwanzig Jahre alt, die Sonderbauvorschriften ‹ Maag-Areal Plus › 15 Jahre. Seither hat sich die Gesellschaft verändert. Würden Sie sich als Entwicklerin eine grössere Offenheit der Planungsinstrumente wünschen ? Johanna Gerum: Diese Instrumente haben in der Auslegung immer gewisse Spielräume. Warum sie hier so eng ausgelegt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Es ist bekannt, dass Sonderbauvorschriften sehr schwierig weiterzuentwickeln sind. Sie müssen den gesamten Prozess noch einmal durchlaufen und einen Konsens finden. Vielleicht sollte man in Zukunft mehr Freiräume lassen und den Eigentümerinnen zutrauen, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen. Es ist immer eine Gratwanderung zwischen Qualitätssicherung und dem Verhindern anderer möglicher Qualitäten, wie der vorliegende Fall zeigt. Urs Baumann:  Als Entwickler würde ich mir wünschen, dass mindestens in den Zentrumszonen mehr Flexibilität in der BZO verankert wird, anstatt dass man versucht, sie über die Planungsinstrumente Gestaltungsplan oder Sonderbauvorschriften punktuell zu heilen. Andererseits: Die Planung auf dem Maag-Areal ist zwar 15 Jahre alt, aber immer noch zeitgemäss umsetzbar. Entgegen anfänglicher Zweifel können wir hier durchdachte Wohnungen bauen. Und es gibt verschiedene städtebaulich qualitätsvolle Festlegungen aus dem Gestaltungsplan, etwa die Öffnung der Lichtstrasse und die Freistellung des Gebäudes K, die mit dem Siegerprojekt nun umgesetzt werden können und gerade auch von der Stadt Zürich sehr begrüsst wurden.

Johanna Gerum Die promovierte Architek­tin ist im Bereich Development & Construction bei Swiss Prime Site Immobili­ en tätig und dort Mitglied des Managementteams.

Themenheft von Hochparterre, Juni 2021 —  Der letzte Baustein — « Es gab Überraschungen »

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Urs Baumann Der studierte Architekt ist Chief Investment Officer und Mitglied der Geschäfts­ leitung von Swiss Prime Site Immobilien. Auf Gruppenstufe zeichnet er aus­ serdem für den Bereich Nachhaltigkeit und Inno­va­ tion verantwortlich.

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« Es war ein intensiver Austausch » Eine Vertreterin und ein Vertreter der Jury über den Prozess des Studienauftrags, die Qualität des Projekts von Sauerbruch Hutton und den Ansatz von Lacaton & Vassal. Gab es für Sie als Fachjuroren Überraschungen bei den Wettbewerbsprojekten ? An Fonteyne:  Es war ein spannender Bogen – zwischen einer neuen Ikone neben dem Prime Tower und der Überlagerung neuer Infrastrukturen auf dem Konglomerat der bestehenden Gebäude. Es gab nicht nur unterschiedliche Lösungen, sondern auch sehr verschiedene Haltungen. Die Offenheit des Programms kann man aber auch kritisch sehen. Bei den beiden letzten Projekten hat man das Gefühl, sie seien Antworten auf zwei unterschiedliche Fragen. Das ist interessant, aber es bleibt wie schwarz-weiss. Mike Guyer: Neben den beiden Polen ‹ ikonenartiger Ersatzneubau › und ‹ Gesamterhalt › gab es verdichtete Cluster – einer davon sogar auf eine Bauhöhe von 25 Meter beschränkt – und Konzepte der Vereinzelung: Turmneubau, freigestellter Bestand, Erhalt der Tonhalle oder Ersatz durch einen neuen Kulturbau, grosszügige Freiräume. Nach intensiver Diskussion kamen wir zum Schluss, dass eine weitere Ikone neben Zoelly, Mobimo und Prime ­Tower nicht angemessen wäre. Die klare Haltung von Lacaton & Vassal gegenüber dem Bestand hat uns von Beginn weg überzeugt, und es wurde dann eines von zwei Siegerprojekten. An Fonteyne: Als Siegerprojekt ohne Tonhalle wählten wir den Vorschlag von Sauerbruch Hutton. Die drei klaren Gebäude um einen zentralen Aussenraum und auch das Kulturhaus mit öffentlicher Ausstrahlung waren überzeugend, aber noch sehr offen für Interpretation. Das kann eine Qualität sein, aber es besteht natürlich die Gefahr, dass es zu generisch bleibt. Beim Vorschlag von Lacaton & Vassal war das Gegenteil der Fall: Es gab Raum für Überarbeitung, aber die Haltung und die Lösung waren eindeutig und konkret. Nach Abschluss des Wettbewerbs gingen die beiden Siegerprojekte in eine Über­arbeitungs­runde, die Sie, Mike Guyer, als Vertreter der Fachjury begleitet haben. Wie lief das ab ? Mike Guyer: Mit runden Tischen und bilateralen Gesprächen wollte die Bauherrin die Bewilligungsfähigkeit und die Machbarkeit der beiden Projekte so weit wie möglich abklären. Bei Sauerbruch Hutton war die Architektur des Turms noch relativ generisch, und sie mussten die Vision des Aussenraums und die Funktionalität des Kulturhauses stärken. Bei Lacaton & Vassal gab es ganz konkrete Fragen: zur Fundierung, zum Lärmschutz, zur Bewilligungsfähigkeit oder zur Zugänglichkeit eines öffentlichen Parks auf dem Dach. Und vor allem auch, wie sich die alten Hallen künftig bespielen lassen. Es war ein intensiver Austausch. Laut dem Amt für Baubewilligungen ist das Projekt von Lacaton & Vassal « stark baurechtswidrig ». Ein Teil des Bestands steht ausserhalb der Baufelder und darf deshalb nur minimal verändert werden. Um die Hallen zu erhalten, müssten die Sonderbau­ vorschriften geändert werden. Mike Guyer: Das ist korrekt. Man müsste die bestehenden Regeln anpassen, was länger dauert und das Projekt für Einsprachen exponiert. Das ist mit Risiken verbunden. Ich kann die Baurechtswidrigkeit nur bedingt nachvollziehen: Die Tonhalle Maag konnte vor ein paar Jahren ja auch realisiert werden.

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Trotzdem haben Sie als Fachjurorinnen der Bauherrschaft empfohlen, den Entwurf von Lacaton & Vassal umzusetzen. Was hat Sie daran begeistert ? An Fonteyne:  Die Radikalität. Sie schlagen eine Collage vor. Die Stadt im Wandel. Ein starkes Interesse an der Kontinuität und an der Verbesserung des kulturellen und sozialen Lebens, verbunden mit der notwendigen Verdichtung: Das ist ihre treibende Kraft. Ein effizienter und nahezu standardisierter Neubau überlagert die komplexe Bausubstanz. Die Infrastruktur erlaubt es, verschiedene Formen des Wohnens und Arbeitens zu mischen, ohne durch die Architektur definiert oder begrenzt zu werden. Mike Guyer: Dahinter steht eine unbestechliche und sehr politische Haltung. Lacaton & Vassal begegnen grundsätzlich allem Vorhandenen mit grosser Affinität und Respekt, auch, weil sie um die Wichtigkeit der Geschichte für die Menschen wissen. Nicht umsonst haben sie dieses Jahr den Pritzker-Preis gewonnen. Haben Sie mit diesem Projekt die passende Lösung ausgewählt oder etwas Exemplarisches, ein Modell ? Mike Guyer:  Die Umsetzung des Vorschlags von Lacaton &  Vassal wäre ein beispielhaftes Vorbild für eine Alternative zur heute üblichen Praxis der Ersatzneubauten geworden. Der Nutzungsmix auf dem Maag-Areal ist einzigartig – wenn auch ungleich über den Tag, die Woche und das Jahr verteilt. Vor Corona war dieser Ort noch publikumsintensiver als das Toni-­Areal. Hier gibt es alles: hohe Kultur und Populäres, Clubs und Restaurants, Ateliers und Büros. Es ist sehr selten, dass ein Nutzungskonglomerat diese Intensität erreicht. Und es ist sehr schwer, diese in Neubauten wieder auferstehen zu lassen. Die Bauherrschaft ist der Empfehlung der Jury nicht gefolgt, sondern hat sich für den Entwurf von Sauerbruch Hutton entschieden. Können Sie das verstehen ? An Fonteyne:  Ja. Nach den runden Tischen mit der Stadt und den verschiedenen Machbarkeitsprüfungen wurden die Risiken eines Weiterarbeitens mit dem Bestand sehr explizit. Der Entscheid ergibt Sinn, vor allem, weil mit dem Projekt von Sauerbruch Hutton eine überzeugende Alternative vorliegt. Andererseits verstehe ich es auch nicht. Wir sind uns alle einig, dass wir unser Denken und Handeln jetzt ändern müssen. Es wäre eine grossartige Gelegenheit gewesen, diesen Wandel zu beginnen. Die politische Seite hätte das unterstützen sollen, um die Risiken zu reduzieren. Wir müssen umdenken. Heute, nicht morgen. Mike Guyer: Völlig richtig. Mit einem klaren Statement der Stadt wäre es vielleicht anders gekommen. Hier geht es auch um das Interesse der Öffentlichkeit, um den viel beschworenen Mehrwert. Bei anderen Wettbewerben stelle ich fest, dass man beginnt, das Vorhandene mehr zu schätzen und höher zu bewerten. Das Projekt von Sauerbruch Hutton bietet ein Wohnhochhaus, ein umgenutztes Baudenkmal, einen öffentlichen Raum mit Bäumen, der für Aufenthalts­ qualität und Kühle sorgt, ein Kulturhaus aus Holz. Das wird doch ein spannender Ort ? Mike Guyer: Durchaus. Der Ort wird durchlässiger und mit dem Baumhain zu einem attraktiven Aufenthaltsort. Das Wohn- und das Kulturhaus mit den öffentlichen Erdge-

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schossen werden ihn aufwerten. Und das historische Gebäude K bekommt seine Präsenz zurück. Durch die Überarbeitung ist das Projekt richtig gut geworden. Als Gigon / Guyer vor 15 Jahren den ersten Teil des Maag-­Areals planten, standen auch dort wunderbare alte Gebäude. Das kleinste blieb stehen, alle anderen nicht. Jetzt plädieren Sie für das Gegenteil. Ist das auch eine persönliche Entwicklung ? Mike Guyer: Ja, auch weil wir uns gern an die Zeit erinnern, als wir unser Büro auf dem Maag-Areal hatten. 2005 war eine andere Zeit: Wir waren völlig auf den Prime Tower und seine städtebaulichen und architektonischen Möglichkeiten fixiert und bei der Eröffnung 2011 stolz, dass wir es geschafft hatten. Wir wussten um den Wert des erhaltenen Gebäudes ‹ Diagonal ›, aber an die anderen Bestandsgebäude dachten wir nicht. Im Rückblick ist mir klar geworden, wie schwierig es ist, mit Neubauten das gleiche pulsierende Leben zu erschaffen, das es davor gab. Diese Erkenntnis hat mich bei ‹ Maaglive › begleitet. An Fonteyne, Sie leben und arbeiten in Brüssel. Wie geht man dort mit alten Industriearealen um ? An Fonteyne: Durch die Klimadiskussion gab es einen klaren Wandel. Immer mehr wird umgenutzt. Nicht nur beeindruckende Industriebauten oder Baudenkmäler, sondern auch weniger attraktive Gebäude aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Die Stadtentwicklungspolitik und der Stadtbaumeister überzeugen die Entwicklerinnen. Komplexe Projekte wie dieses hier in Zürich können nur funktionieren, wenn es Synergien gibt zwischen Auftraggeber und Verwaltung, Politik und Architektinnen. Idealerweise werden auch die Nutzer und die Nachbarschaft miteinbezogen. Wegen der Risiken und des ungewissen Ausgangs braucht es Mut und viel Energie. Doch wenn man das gemeinsam in Angriff nimmt, kommt es oft zu unerwarteten Lösungen.

Mike Guyer: Auch in Zürich ändern sich die Dinge. Die Bevölkerung reagiert sensibel auf Veränderungen ihres Lebensraums, wie etwa die Initiative ‹ Retten wir die Maag-­ Hallen › von Quartierbewohnern, Kunstschaffenden und Politikerinnen zeigt. Würde das Maag-Areal heute entwickelt, würde der Bestand höher bewertet. An vielen Orten werden Industriehallen erhalten und renoviert. Da die Umwandlung der Industrieareale weitgehend abgeschlossen ist und der Stadt weitere Freiräume fehlen, wächst der Druck auf die gebauten Stadtgebiete. Die Spannung zwischen dem, was dazukommen soll, und dem, was da ist, wächst permanent.

An Fonteyne 2000 gründete die Architektin mit Jitse van den Berg und Philippe Viérin noAarchitecten in Brüssel. Seit 2019 ist sie Mitglied der Royal Flemish Academy of Belgium for Science and the Arts. Nach Lehrtätigkeiten in Delft und Hasselt ist sie seit 2017 Professorin für Architektur und Ent­wurf an der ETH Zürich.

Mike Guyer Der Architekt führt seit 1989 mit Annette Gigon das Büro Gigon / Guyer. Er war Mitglied im Baukolle­gium Zürich und lehrte in Lausanne und Zürich, bevor er 2012 eine Professur für Architektur und Kon­struk­ti­on an der ETH Zürich antrat.

« Beide Ansätze sind hochaktuell » Die Zürcher Stadtbaumeisterin über die Rolle der Stadt, den baurechtlichen Rahmen und die Vor- und Nachteile der beiden überarbeiteten Projekte. Wie beurteilen Sie die beiden finalen Projekte des Studienauftrags ‹ Maaglive › ? Katrin Gügler:  Man kann sie nur schwer miteinander vergleichen. Beide sind interessant und verfolgen relevante Ansätze. Das eine versucht über Freiraum und Grün, Vernetzung und Nutzung die Defizite des Quartiers zu lösen, das andere erhält viel der vorhandenen Bausubstanz. Beide Ansätze sind hochaktuell. Welche städtebaulichen und architektonischen Qualitäten bringt das Projekt von Sauerbruch Hutton für das Quartier und für Zürich ? Bei der Verzahnung von Freiräumen und beim Grün bietet das Projekt einiges. Es stellt das Gebäude K frei, öffnet die Lichtstrasse und durchgrünt die Parzelle. Die Bauherrschaft hat sich nicht umsonst dafür entschieden. Die Petitionäre für den Erhalt der Maag-Hallen schreiben auf ihrer Website, die Stadt Zürich favorisiere das Projekt von Lacaton & Vassal. Stimmt das ? So kann man das nicht sagen. Anders als sonst waren wir nicht im Wettbewerbsverfahren involviert, sondern erst in der Überarbeitungsphase. Es war nicht unsere Rolle, für das eine oder das andere Projekt zu votieren, sondern die Rahmenbedingungen zu klären. Uns war es wichtig, der

Bauherrschaft aufzuzeigen, auf welcher Grundlage sie ein Projekt umsetzen kann. Beim Projekt von Sauerbruch Hutton kann das direkt geschehen. Bei demjenigen von Lacaton & Vassal gäbe es noch viele Fragen zu klären. Warum waren Sie nicht Teil der Jury ? So, wie das Verfahren aufgegleist war, entsprach es in verschiedenen Punkten nicht unseren Wettbewerbskriterien. Das Programm war aus unserer Sicht deutlich zu offen formuliert, was die Vergleichbarkeit der Projekte erschwert. Ich finde es schwierig, Entscheidungen an die Architekten zu delegieren, die typischerweise Aufgaben der Bestellerin sind. Das nun gewählte Projekt wird, wie in diesen Fällen üblich, noch dem Baukollegium vorgestellt. Dank der guten Arbeit der Architekturteams, der Jury und der Überarbeitungsphase kann sich das Ergebnis aber durchaus sehen lassen. Bedauern Sie, dass Sie sich nicht früher eingebracht haben ? Nein. Wir haben unsere Rolle in solchen Verfahren. Dabei geht es auch um Wettbewerbsstandards, Vergleichbarkeit und Gleichbehandlung. Dass ich die Möglichkeit gehabt hätte, schon früher einen Beitrag zu leisten, ist ein Dilemma, mit dem ich mich nicht zu lange aufhalte. →

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→ Das Amt für Baubewilligungen taxierte das Pro­jekt von Lacaton & Vassal als « stark baurechtswidrig ». Sowohl Vertreter der Wettbewerbsjury als auch die Bauherrin zeigen sich überrascht, dass das Baugesetz hier so eng ausgelegt wurde. Warum war das so ? Da bin ich nicht die richtige Adressatin, aber ich versuche eine Interpretation: Es ist ein komplexes Bauvorhaben. Die Tonhalle Maag ist als Provisorium bewilligt worden. Deren Umbau fand Schritt für Schritt statt – der Bestand ist also tatsächlich baurechtswidrig. Zum jetzigen Stand wären nur noch geringfügige Umbaumassnahmen erlaubt, die dem Projekt von Lacaton & Vassal aber nicht gerecht würden. Wir sind an einem Punkt, an dem es für dieses Projekt ein Sonderplanungsinstrument bräuchte, zum Beispiel einen Gestaltungsplan. Die Vorstösse von privater und von politischer Seite zeigen, dass mit dem Abriss der Maag-Hallen All­­ge­mei­ nes auf dem Spiel steht: Bausubstanz und damit Treibhausgase, aber auch eine bestehende Soziokultur. Sollte die Stadt da nicht die Hand reichen ? Die Rahmenbedingungen sind klar. Und wir haben, wie gesagt, zwei Projekte mit sehr unterschiedlichen, aber je relevanten Ansätzen. Wir sind nicht unflexibel, sondern unterstützen die Bauherrschaft, wie auch immer sie sich entscheidet.

Katrin Gügler Die Architektin führte ein Büro in Zürich und Ba­sel und lehrte an der ETH Zürich und an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie war Mitglied der Geschäftsleitung im Amt für Städtebau Winterthur, bevor sie 2017 die Leitung des Amts für Städte­bau der Stadt Zürich übernahm.

« Man muss die Dinge reifen lassen » Die Berliner Architekten und der Zürcher Landschaftsarchitekt über die hiesige Baukultur und darüber, wie ihr Projekt das Maag-Areal verändern wird. Es kommt nicht oft vor, dass ein auslän­di­­sches Büro einen Wettbewerb in Zürich gewinnt. Was macht Ihr Projekt richtig ? Matthias Sauerbruch: Manchmal kann der Blick von aus­sen von Vorteil sein. Das zweistufige Verfahren ist unserer Arbeitsweise sehr entgegengekommen. Mit der Bauherrschaft und anderen Akteuren im Entwurfsprozess sprechen zu können, hilft auch dem Aussenseiter, die Lage vor Ort besser zu verstehen. Jeder Teilnehmer hat zunächst zwei Szenarien ab­ge­geben: eines mit und eines ohne Erhalt der Tonhalle. In der zweiten Runde haben Sie vor allem die Neubau­ variante weiterentwickelt. Ein strategischer Entscheid ? Matthias Sauerbruch: Nach der ersten Phase hat uns das Beurteilungsgremium zwar den ausdrücklichen Auftrag gegeben, die Neubauvariante zu verfolgen, wir haben aber die andere deswegen nicht vergessen. Die Empfehlung der Ausschreibung, die Maag-Halle abzureissen, haben wir akzeptiert. Bei der Tonhalle haben wir alle Optionen offengehalten: Erhalt, Umbau oder Abriss – je nach Nutzung. Für den Fall des Abrisses haben wir ein Kulturhaus entworfen, das die Flächen mehr als wiedergutmacht. Da gibt es nicht nur grosse, dunkle Hallen, sondern auch Räume für ein vielfältiges Angebot wie Galerieausstellungen, Kleinkunst, Off-Theater, aber auch Kongresse oder Bildung. Wandlungsfähigkeit ist ein Kennzeichen Ihres Projekts. Die flexible Nutzung der Gebäude kommt sowohl der Vermarktung als auch der Nachhaltigkeit zugute. Wie setzen Sie das konkret um ? Matthias Sauerbruch: Wir bauen schon seit dreissig Jahren nachhaltig, vom Einsatz emissionsarmer Baumaterialien bis hin zu nutzungsoffenen Strukturen, die man ‹ L oose-­

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fit › nennen könnte. Das haben wir schon mehrfach vorgeschlagen, auch in Zürich. Bisher konnten wir dieses jedoch nie bauen. Jetzt ist die Zeit offensichtlich reif dafür. Vor der Überarbeitung fand die Jury den Ausdruck Ihres Hochhauses « zu generisch ». Ist das eine Kehr­seite der Flexibilität ? Matthias Sauerbruch: Das kann man so sehen ; es muss aber nicht unbedingt negativ sein. Wir hatten in der ersten Stufe des Wettbewerbs noch nicht sehr detailliert über die Fassade nachgedacht. In der Überarbeitung sind dann aus dem Schallschutz heraus die Motive entstanden, die jetzt die Fassade prägen. Aber auch das ist ja nur ein Zwischenstand. Man muss die Dinge reifen lassen. Tom Geister: Das Gebäude K hat eine starke Präsenz. Man würde es nicht als generisch bezeichnen, obwohl es eine sehr flexible Struktur aufweist. Auch unser eigenes Büro in Berlin ist in einer alten Fabrik untergebracht. In Kon­ stanz bauen wir gerade ein Bürohochhaus in ein Wohnhaus um. Wir gehen täglich mit Gebäuden um, deren Ausdruck streng genommen nicht mit ihrer aktuellen Nutzung zusammenpasst und die dennoch interessant sind. Die Entscheidung für einen reinen Wohnturm kam während der Überarbeitung von der Bauherrschaft ? Matthias Sauerbruch: Es gibt beide Szenarien: Büro- und Wohnnutzung. Aber aufgrund der Schallverhältnisse wird es nie nur Wohnungen geben. Pro Stockwerk verbleibt immer eine Büro­fläche von mindestens achtzig Quadratmetern. Das kann angesichts der neuen Arbeitsformen, die wir alle im letzten Jahr eingeübt haben, perfekt sein: Home­office, Minidependancen – ein gutes Angebot für eine mobile Bewohnerschaft. Da entsteht aus der Notwendigkeit vielleicht ein neuer Nutzungs- und Bautyp.

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In der Überarbeitung sind die Gebäude farbig geworden. Farbigkeit ist ein Erkennungsmerkmal Ihres Büros. Matthias Sauerbruch: Ich kenne Zürich und seinen Farbkanon relativ gut. Die Stadt ist viel farbiger, als die hiesigen Architekten sie sehen. Zu Beginn haben wir trotzdem gezögert, ein freies Farbkonzept zu entwickeln. In der zweiten Phase haben wir dann einen Anfang gemacht, weil wir uns über die unterschiedlichen Orientierungen im Stadtraum klarer wurden. Zurzeit schlagen wir eine stufenweise Farbentwicklung vor. Sie beginnt bei einer Gold-­Siena-­ Familie, die vom Gebäude K inspiriert ist, und entwickelt sich zu einem Ochsenblutton. Ein schöner, komplementärer Kontrast zum grünlichen Glas des Prime Towers. In der Projektbeschreibung betonen Sie die Wichtigkeit der CO -Reduktion. Warum haben Sie das Hochhaus als ² Massivbau und nicht als Holzbau vorgesehen ? Matthias Sauerbruch: Das ist eine Abwägungsfrage. Beim viergeschossigen Kulturhaus schien uns eine Holz­hybrid­ kon­struk­ti­on definitiv prioritär. Beim 14-geschossigen Hochhaus ist das eine Option, aber Kompensationsmassnahmen wie Sprinkler würden den Aufwand erhöhen. Das müssen wir in ökonomischer wie ökologischer Hinsicht noch überprüfen. So tief sind wir noch nicht eingestiegen. Ihr öffentlicher Aussenraum hatte grossen Anteil am Gewinn des Wettbewerbs. Was ist er ? Ein Platz ? Ein Hain ? Oder gar ein Stadtwald  ? Pascal Posset: Die Zeit von industriell gedachten, nackten Aussenräumen ist definitiv vorbei. Die Flächen rund um den Prime Tower zeigen, woran die Stadträume in Zürich kranken: Fallwinde, Überhitzung – die Menschen halten sich ungern dort auf. Wir haben uns für einen grünen, mit Bäumen bestandenen Ort entschieden, weil es an solchen im näheren Umfeld mangelt. Bei der Anzahl der Bäume sind wir an die Obergrenze gegangen. Wir wollen einen öffentlichen Raum schaffen, der zugleich durchlässig und vernetzend ist. Wie gross und alt können Bäume auf einem Tiefgaragendeckel werden ? Pascal Posset: Mir wäre es auch lieber, die Bäume könnten im gewachsenen Erdreich gepflanzt werden. Andererseits: Stadt ist immer künstlich und Natur in diesem Kontext auch. Wir haben die Arten auf die Wuchsbedingungen abgestimmt und flachwurzelnde Bäume vorgeschlagen, etwa Kiefern, Birken und verschiedene Eichenarten. Bei der Überdeckung von 1,5 Metern können diese gut wachsen und altern. Der Fokus des nachhaltigen Bauens hat sich von der Betriebs- zur grauen Energie und von der Energie zur Emission verschoben. Wie hat sich Ihre Architektur dadurch verändert ? Matthias Sauerbruch:  Schon 2005 hat ein Beratungsbüro für uns den CO -Fussabdruck aller verwendeten Baustoffe ² eines Projekts analysiert. Der Aha-Effekt kam aber erst zehn Jahre später, als wir das Rohbauskelett eines gros­sen Bürogebäudes aus den 1980er-Jahren wiederverwenden durften. Dort haben wir gelernt, dass alle üblichen energetischen Optimierungen gegen eine flexibel nutzbare Grundstruktur bei der CO -Bilanz keine Chance haben. In ² den letzten Jahren sind wir da sehr viel bewusster geworden und bauen jetzt zum Beispiel viel mit Holz, auch im städtischen Umfeld. Bei ‹ Maaglive › sind Sie nun diejenigen, die abreissen, während Lacaton & Vassal alles stehen lassen wollten. Wer macht es besser ? Tom Geister: Wir bieten eine flexible Stadtstruktur an, die sich auch stufenweise und nach Bedarf entwickeln kann. Architekten machen die Stadt ja nicht allein. Wer weiss schon, wie der Bedarf in fünf oder zehn Jahren aussieht ?

Mit der Öffnung der sehr dichten Struktur im Bereich der Licht­stras­s e schaffen wir einen Verbindungsraum zum grünen Maaghof, den es momentan nicht gibt. Durch diese Freistellung kann auch das Gebäude K verschiedene Nutzungen aufnehmen. Ähnliches gilt für die Maschinenstrasse. Man kann die Maag-Halle auch als eine Art Pfropfen sehen, der den Stadtraum verstopft. Seine Öffnung und die Nutzungen in den Erdgeschossen bieten eine Stärkung des ganzen Quartiers. Matthias Sauerbruch, Sie waren bis vor einigen Jahren Mitglied des Bau­kollegiums der Stadt Zürich. Wie haben Sie die Architekturkultur in dieser Stadt erlebt ? Matthias Sauerbruch: Es war wirklich eindrucksvoll, mit welcher Intensität und Hingabe sich dieses Gremium um die architektonischen und städtebaulichen Fragen der Stadt bemüht hat. Allerdings gab es eine Art Grundkonsens unter den Architekten, den man nur schwer infrage stellen konnte: Architektur als fast autonome Disziplin, die stark mit einem Kodex verbunden war. Obwohl ich mich bisweilen kritisch darüber geäussert habe, wurden wir immer wieder zu Wettbewerben eingeladen, zum ersten Mal 2004 für den Prime Tower. Für das Kunsthaus Zürich haben wir einen sehr schönen Vorschlag gemacht. ‹ Maag­ live › ist der zweite Wettbewerb, den wir in Zürich gewonnen haben. Der erste ist nach der Genehmigungsphase hängen geblieben, da das Grundstück verkauft wurde. Wir hatten immer eine grosse Zuneigung zu dieser Stadt, vielleicht auch, weil ich in der Nähe aufgewachsen bin und familiäre Verbindungen nach Zürich habe. Dennoch: Berlin und Zürich sind schon sehr unterschiedliche Welten.

Interviews: Axel Simon

Matthias Sauerbruch Der Architekt gründete 1989 mit Louisa Hutton in Berlin das Büro Sauerbruch Hutton. Er lehrte in London, Berlin, Stuttgart, Char­lottes­ville und Harvard, ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen und Direktor der Sektion Baukunst der Akademie der Künste in Berlin.

Tom Geister Seit 1999 arbeitet der Ar­chitekt bei Sauerbruch Hutton, wo er seit 2010 Mitglied der Geschäftsleitung und seit 2020 Partner ist. Er lehrte an der Uni­ versität der Künste in Berlin.

Pascal Posset Nach dem Studium in Berlin kam der Landschaftsarchitekt 2003 zu Hager Partner, seit 2007 ist er dort Partner und Mitglied der Geschäftsleitung. Diverse internationale Jurys, Vorträge, Lehrtätig­ keiten und Publikationen dokumentieren sein reges fachliches Interesse. Er ist verantwortlich für die Klimaneutralität bei Hager Partner.

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Der letzte Baustein

Seit fast dreissig Jahren bauen die Eigentümer an dem, was wir heute Maag-Areal nennen: ein Industrieareal in Zürich West beim Bahnhof Hardbrücke. Nach dem Prime Tower und seinen Nachbarsbauten geht es nun um das zweite Grundstück der Entwicklerin Swiss Prime Site, auf dem die Maag-Hallen stehen. Ein Studien­ auftrag lotete das Potenzial aus – und führte schliesslich zu einem Projekt, das die drei Hauptwünsche der Besitzerin erfüllt: die Nutzungs­ mischung, die Belebung des Areals rund um die Uhr und die Verbesserung der Aufenthalts­qua­ lität. Dieses Heft stellt das Ergebnis des Studienauftrags ‹ Maaglive › vor. Es befragt die Bau­ herrschaft und die Architekten, die Jury und die Stadtbaumeisterin zum Ort, zum Prozess und zum gewählten Projekt.  www.maaglive.ch

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