Broschüre "Die Geschichte des Faschismus in Österreich"

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IMPRESSUM Medieninhaber: Trotzdem Verlag GmbH Sondernummer II/ 2004 Verlagspostamt: 1050 Wien, Erscheinungsort Wien Zulassungsnummer: GZ02Z032957S Herausgeberin: Sozialistische Jugend Österreich Alle: Amtshausgasse 4, 1050 Wien Erscheinungsjahr: 2004 Autor: Florian Wenninger Layout: Michael.Schneider@modularplus.com Herzlichen Dank für alle Hilfestellungen, besonders an: Prof. Hugo Pepper, Hannes Dolleisch, Torsten Engelage, Peter Friesenbichler, Wolfdietrich Hansen, Tobias Heinrich, Andrea Kappel, Klaus Kienesberger, Andreas Kollross, Peter Larndorfer, Martina Punz, Sabine Schatz, Stefan Schmid, Michael Schneider, Stephan Sturm, Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung - Mag. Christian Stadelmann, Helmut Wartlik, Rene Wintereder Powered by: BMSG, gem. § 7, Abs. 2, B-JFG Umschlagfoto: Treueschwur anlässlich des "zweiten Bundesappells der Vaterländischen Front", 17. Oktober 1936


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00| INHALT

INHALT 1.2. EINLEITUNG DIE GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUM VERSTÄNDNIS DER GEGENWART Geschichte wie wir sie lernen... Die Funktion von Wissenschaft Wissenschaft und Herrschaft Was ist Geschichte? Wie aus Geschichte lernen? 3. FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION Soziale Funktion im Widerspruch zur sozialen Basis Ideologie: Führerprinzip, Nationalismus und Rassismus Pseudorevolutionäre Rhetorik und faschistische Massenbasis Die Absage an die Aufklärung - der faschistische Wertekatalog Faschistische Machtergreifung und Machterhalt

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4. FASCHISTISCHE BEWEGUNGEN IN ÖSTERREICH: HEIMWEHR UND NAZIS

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Die revolutionäre Phase in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg Die ArbeiterInnenbewegung bleibt geeint Der revolutionäre Elan flaut ab Die "Sanierung des Staatshaushaltes" als Mittel im Kampf gegen die ArbeiterInnenbewegung Die Anfänge der Heimwehr Die Frühphase der österreichischen Nazis Die Linke reagiert auf die Gefahr von rechts Die Heimwehr schwächelt Der Justizpalastbrand und seine Folgen Die Heimwehr vor der Selbstauflösung Die Heimwehr versucht die Einigung mit den Nazis Die Nazis verbuchen nach langer Durststrecke erste Erfolge Der Weg in die Diktatur

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5. EXKURS I: DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND - BILANZ EINER GESCHEITERTEN STRATEGIE

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6. "WIR GEHEN NICHT MEHR ZURÜCK" - ZEITZEUGENBERICHTE ÜBER DIE FEBRUARKÄMPFE

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7. DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

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Die "Ständische Gesellschaft": Ideologisches Trugbild und soziale Realität Versuche der "Faschisierung" des Staates und das Ende der Heimwehr Gescheiterte Einheitspartei - Die Vaterländische Front (VF) Die letzte Phase des "Ständestaates" und die Mär vom Widerstand gegen die Nazis

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EXKURS II: "IM NAMEN GOTTES": POLITISCHER KATHOLIZISMUS IN DER INHALT 8.ERSTEN REPUBLIK Was ist "Politischer Katholizismus"? Kirche und Kapitalismus: Stand oder Klasse? Die Macht der Kirche in der jungen Republik Schützenhilfe für antidemokratische Kräfte Der Klerus und die Errichtung der Diktatur Das "Vergelt's Gott" der Diktatur 1934 - 1938

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9. AUSTRO"FASCHISMUS"? ZUM WESEN DES REGIMES 1934 - 1938

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10. LÜGEN UND LEGENDEN UM DAS ENDE DER ERSTEN REPUBLIK

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Die "antidemokratische" Sozialdemokratie und der Anschluss an Deutschland Die "Weigerung der Sozialdemokratie" Die "geteilte Schuld" am Ende der Demokratie Die "Selbstausschaltung" des Parlaments 1933 Die "plötzliche Eskalation der Geschehnisse" Der "Ständestaat" als "Antwort auf den Roten Terror" Der "Ständestaat" als die "bessere Diktatur" Der "gemäßigte Patriot Dollfuß" Der "Bruderkrieg" Der "Widerstandskampf" gegen die Nazis

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11. NACHWORT

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12. KOMMENTIERTE LITERATURLISTE

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HINWEIS:

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Die vorliegende Broschüre ist in geschlechtergerechter Sprache abgefasst. Dadurch soll darauf hingewiesen werden, dass Geschichte von Männern und Frauen gemacht wird, was in den herkömmlichen (rein männlichen) Formulierungen untergeht. Frauen werden dort bestenfalls mitgedacht, es geht aber darum, ihren Anteil und sie selbst sichtbar zu machen. Aufmerksamen LeserInnen wird dennoch nicht entgehen, dass in der Broschüre nicht geschlechtsneutral formuliert wird. Das stellt keine Achtlosigkeit dar. Es wurde bewusst davon abgesehen, Frauen "mitzumeinen", wenn Geschichte dargestellt wird, in der so gut wie ausschließlich Männer eine aktive Rolle

spielten und Frauen zur Passivität gezwungen waren: zu den Merkmalen des Faschismus zählt eine scharf antifeministische Haltung. Das und der Umstand, dass Frauen innerhalb faschistischer Bewegungen und Systeme nie Schlüsselrollen besetzten, ändert zwar nichts an den Sympathien, die zweifellos auch viele Frauen für den Faschismus empfanden. Da sie aber nicht aktiv ins Geschehen eingreifen konnten, sondern praktisch nur Statistinnen abgaben, bleiben sie sprachlich ausgeklammert, wenn von faschistischen Akteuren die Rede ist.


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01| EINLEITUNG

WARUM DARÜBER REDEN? DIE LEBENDIGKEIT DER GESCHICHTE Im Jahr 2004 jährt sich zum 70. Mal der Aufstand der österreichischen ArbeiterInnen gegen die Errichtung des "Ständestaates", der christlichsozialen Diktatur des Engelbert Dollfuß. Auf viele wirken die Appelle, die damaligen Entwicklungen in Erinnerung zu behalten, überholt, eigenbrötlerisch, ja "hysterisch" oder schlicht "lächerlich". Was also bewegt SozialistInnen, allen Unkenrufen zum Trotz, sich mit dem österreichischen Bürgerkrieg und seiner Vorgeschichte zu beschäftigen? Der Staat, in dem wir leben, ist nicht vom Himmel gefallen. Nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes 1945 wurde ein Gebilde erneut aus der Taufe gehoben, das schon nach dem Ersten Weltkrieg 15 Jahre lang existiert hatte: die Republik Österreich. In der politischen Auseinandersetzung standen sich die selben politischen Kräfte gegenüber wie vor dem "Anschluss" an Deutschland 1938. Im Bemühen auch nur irgendeine gemeinsame Basis zu finden, auf der eine demokratische Politik möglich war, wurde von der Sozialdemokratie ein stillschweigender Kompromiss akzeptiert: Um der Zweiten Republik eine Zukunft zu eröffnen, wurde das Scheitern der Ersten Republik höchstens auf Gedenkveranstaltungen thematisiert. In der Öffentlichkeit einigten sich ÖVP und SPÖ auf die Sprachregelung von der "geteilten Schuld". Die dazugehörige Legende besagt kurzgefasst, dass in der harten Zwischenkriegszeit hüben wie drüben radikale Elemente an Einfluss gewonnen hätten. Statt sich zu einigen, hätten beide Seiten hochgerüstet, bis schließlich ein Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Die Geschichte der Diktatur ab 1934, verharmlosend "Ständestaat" genannt, blieb weitgehend im Dunklen. Die einigende Klammer bildete die Verklärung Österreichs als "Erstes Opfer der deutschen Aggression" und der "gemeinsame Wille zum Wiederaufbau" nach 1945.

Die Sozialdemokratie nahm mit diesem Kompromiss viel in Kauf. Denn es war ja die Linke gewesen, die nach dem Ersten Weltkrieg der Monarchie das Grab geschaufelt und die Demokratie erkämpft hatte. Weder Christlichsoziale und Kirche, noch die deutschnationale Großdeutsche Partei waren Freunde des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts gewesen. Nach 1945 tolerierte die SPÖ dann trotzdem die Mär von der "Republik, die keiner wollte". Nicht nur 1918, auch später war die Linke jene politische Kraft gewesen, die sich bis 1934 gegen alle diktatorischen Bestrebungen der Rechten für den Erhalt der demokratischen Republik eingesetzt hatte. Nun stimmte sie dennoch indirekt einer Version zu, die ihr eine erhebliche Mitschuld an der Beseitigung der Demokratie zuwies. Die Christlichsozialen hatten bis 1934 (und danach wieder ab 1935) intensiv versucht, sich mit den Nazis zu arrangieren, um Sozialdemokratie und Gewerkschaften ungestört vernichten zu können. Nach 1945 nahm die Sozialdemokratie jene Legende mehr oder weniger unwidersprochen hin, die behauptete, der "Ständestaat" wäre nichts als ein österreichisches Abwehrprojekt gegen den deutschen Nationalsozialismus gewesen. Unwidersprochen verklärte die ÖVP Dollfuß & Co. zu Widerstandskämpfern und behauptet bis heute, der kleine Diktator wäre "das erste Opfer der Nazis" gewesen. Jene aber, die lange Jahre alleine gegen die Nazis gekämpft hatten, wurden und werden im gleichen Atemzug als "antidemokratische Bolschewisten" denunziert. Die Spätfolgen des Schweigens treten auch heute noch oft genug zu Tage. Besonders offensichtlich dann, wenn der österreichische Nationalratspräsident ein Dollfuß-Portrait, das bis heute den ÖVPParlamentsklub ziert, mit dem Argument verteidigt, Dollfuß sei als "Märtyrer im Kampf gegen die Nazis"

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gestorben. Weitaus weniger offensichtlich - aber nicht minder besorgniserregend wie so plumpe Geschichtsklitterung sind die Parallelen der gegenwärtigen Politik mit Entwicklungen in der Ersten Republik, die allgemein kaum aufzufallen scheinen: Schon damals führten die Zerschlagung sozialer Sicherungssysteme, der aberwitzige konservative Sparfetischismus (der Schuldenmachen immer nur dann goutiert, wenn Reiche davon profitieren) und die "Verschlankung" des Staates zu Massenarbeitslosigkeit und Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Schon damals galten die Angriffe der Konservativen den Hochburgen der Sozialdemokratie: Wie heute wurde die "rote" Eisenbahn zerschlagen und das "Rote Wien" finanziell ausgehungert; damals wurden Gewerkschaften in Betrieben von den Unternehmern, unterstützt von konservativen Politikern, bekämpft - heute werden verstaatlichte Betriebe mit einem hohen sozialdemokratischen bzw. gewerkschaftlichen Organisationsgrad gegen jede ökonomische Vernunft verschachert um den politischen Gegner zu schwächen; wie heute kamen autoritäre Tendenzen schrittweise zum Tragen - von der dauernden Verbrämung von Politik und Religion über die großangelegte Ausweitung der Polizeikompetenzen auf Kosten fundamentaler staatsbürgerlicher Rechte bis hin zum systematischen Verfassungsbruch.

wen sie steht und was einmal ihr Ziel war, dann ist das fatal. Die Sozialdemokratie hat keinen Grund, sich ihrer Geschichte zu schämen. Aber sie hat allen Grund, aus ihr zu lernen. Etwa, dass der Versuch, sich als die bessere bürgerliche Partei zu präsentieren, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Oder, dass sich kompromisslerisches Zurückweichen vor den Bürgerlichen früher oder später rächt.

Auch abseits der Tagespolitik ist innerhalb der Linken ein Mangel an entsprechendem Geschichtsbewusstsein deutlich spürbar. Wenn ein führender sozialdemokratischer Politiker der Meinung ist, "unsere schärfste Waffe gegen den Faschismus" sei ja bekanntlich "der Stimmzettel", dann ist das peinlich. Wenn die Gewerkschaft in ihrem Kampf gegen neoliberale Politik ausgerechnet die Sozialpartnerschaft als die ideale Form der Mitbestimmung herbeisehnt ist das tragisch: Der "Korporatismus"1 war ein Ziel der Rechten gewesen, als sie im Februar 1934 das Feuer auf ArbeiterInnenhäuser eröffnete.

Wien, im März 2004

Wenn Manche in der Sozialdemokratie aber überhaupt zu vergessen scheinen, woher diese Partei kommt, für

Bildungsarbeit tut also bitter not. Selbstverständlich kann das Leisten von Bildungsarbeit keine Angelegenheit von Jubiläen sein. Es wäre jedoch eine sträfliche Nachlässigkeit, das 70-Jahre-Gedenken 19342004 der ÖVP zu überlassen. Deren Bemühen wird wie schon in der Vergangenheit - darauf gerichtet sein, vor allem die Auseinandersetzungen des österreichischen Bundesheeres und der Heimwehr mit dem NaziPutschversuch im Juli 1934 in den Mittelpunkt der historischen Betrachtung zu stellen. Es wird nicht nur an der SPÖ, sondern auch an uns jungen SozialistInnen liegen, ob sie dabei auf Widerspruch stößt oder nicht. Die vorliegende Broschüre versteht sich als Einstieg ins Thema und als Argumentationshilfe für Diskussionen im Alltag. Sämtliche Zitate stammen, so nicht anders angeführt, aus den im Anhang aufgeführten Büchern. Diese seien zur weiteren Vertiefung empfohlen.

Florian Wenninger "Korporatismus": Faschistische Wirtschafts- und Gesellschaftsdoktrin, durch die der "Klassenkampf aufgehoben" werden sollte. Kerngedanke ist eine organisch gewachsene "Volksgemeinschaft", in der alle verpflichtet seien, zum Wohle benachteiligter "VolksgenossInnen" aktiv zu sein - allerdings ohne an den bestehenden Besitzverhältnissen etwas zu ändern. Unternehmer hätten demnach grundsätzlich ähnliche Interessen wie Arbeitende und sollten sich mit diesen gütlich einigen. Vgl. auch den Abschnitt dieser Broschüre über die katholische Soziallehre. Vgl. auch den Abschnitt dieser Broschüre über die katholische Soziallehre, S 65

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02| GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUR GEGENWART

DIE GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUM VERSTÄNDNIS DER GEGENWART GESCHICHTE, WIE WIR SIE LERNEN... Die Frage, warum wir uns mit Geschichte allgemein und jener des Faschismus im Besonderen befassen sollten, wird sich jede/r im Lauf der eigenen Schulzeit gestellt haben. Und tatsächlich: Warum sollen wir Bescheid wissen über Feldherren und ihre Schlachten, über das pompöse Leben am Hof der Kaiser und Könige, über die Dekrete der Päpste? Was macht es aus, wer Amerika "entdeckt" hat? Welchen Sinn hat das Auswendiglernen der endlosen Abfolgen von Jahreszahlen und Herrschernamen? Wozu sollen wir wissen, dass Ludwig XIV. angeblich stolz darauf gewesen sein soll, in seinem Leben in Nichts außer Parfum gebadet zu haben? Welchen Wert hat für uns die Information über das Leben auf Burgen und die stolzen Taten der Ritter? Ist das alles wirklich "unsere" Geschichte? Weshalb haben wir das Gefühl, dass die Menschheitsgeschichte, die wir in der Schule lernen, so wenig mit uns zu tun hat? Wieso bleibt bei all dem, was uns da erzählt wird, die Geschichte von 99,9 Prozent der Bevölkerung ausgeklammert? Im Unterschied zur Geschichte der Herrschenden erfahren wir über das Schicksal der Beherrschten so gut wie nichts - ein Zufall?

"Fragen eines lesenden Arbeiters" Bert Brecht

Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? Und das mehrmals zerstörte Babylon Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute? Wohin gingen an dem Abend, Wo die Chinesische Mauer fertig war Die Maurer? Das große Rom Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang Die Ersaufenden nach ihren Sklaven. Der junge Alexander eroberte Indien Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte Untergegangen war. Weinte sonst niemand? Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer Siegte außer ihm? Jede Seite ein Sieg. Wer kochte den Siegesschmaus? Alle zehn Jahre ein großer Mann. Wer bezahlte die Spesen? So viele Berichte. So viele Fragen. SEITE|7


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Fragen wir nach dem Sinn von Geschichtswissenschaft, bekommen wir meist eine verschwommene Antwort, die in der Erklärung mündet, wir sollten "aus der Geschichte lernen". Nur: Wie soll das gehen? DIE FUNKTION VON WISSENSCHAFT In anderen Bereichen der Wissenschaft lässt sich die Frage einfach beantworten: Durch die jahrhundertelange Beobachtung von Naturphänomenen war es dem Menschen mit der Zeit möglich, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Die Menschen stellten beispielsweise fest, dass Pflanzen abhängig von Jahreszeiten und Wetterlagen besser oder schlechter gedeihen. Sie leiteten ab, wann die Saat ausgebracht werden und die Ernte vonstatten gehen sollte - der Beginn von Astronomie und Agronomie (Landwirtschaftslehre). Die Erkenntnis, dass der Verzehr bestimmter Substanzen heilende Wirkung hat, bildete den Ursprung der Medizin - die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Auf der Basis des gewonnenen Wissens begannen die Menschen, Naturphänomene bewusst zu nützen und schließlich zu steuern. Kurz gesagt: Wissenschaft bildete zu allen Zeiten die Grundlage des technischen, somit aber auch des gesellschaftlichen Fortschritts. WISSENSCHAFT UND HERRSCHAFT

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Mit dem Anfang der Wissenschaft in den altorientalischen Hochkulturen vor ungefähr 5000 Jahren ging die Entwicklung der Klassengesellschaft einher. Bis dahin hatten die Menschen mehr oder weniger von der Hand in den Mund gelebt: Sie waren als NomadInnen umher gezogen und hatten von dem gelebt, was sie gerade jagen bzw. sammeln konnten. Die Anhäufung von größeren Reichtümern war kaum bzw. gar nicht möglich gewesen, weil alle nur besaßen, was sie tragen konnten. Das änderte sich zunächst mit dem Beginn der Viehzucht und in weiterer Folge mit den Anfängen des Ackerbaus und der damit verbundenen Sesshaftwerdung. Nun waren die Menschen erstmals in der Lage, mehr zu produzieren, als sie zum täglichen Leben be-

nötigten. Alles, was darüber hinaus ging, konnte nun in Vorratslagern aufbewahrt werden. Es war aber ab diesem Zeitpunkt auch möglich, sich den Überschuss, den andere produzierten, anzueignen. Diejenigen, die über die Macht verfügten, sich fortan den - von anderen geschaffenen - Überschuss anzueignen, werden in der marxistischen Theorie als herrschende Klasse bezeichnet. Ein zentrales Element ihrer Herrschaft war und ist seitdem der Versuch, die Wissenschaften möglichst weitgehend zu monopolisieren. Damit war die Masse der Menschen auf das Wissen einiger weniger angewiesen. Solange die herrschende Klasse die Wissenschaft kontrollierte, hatte sie maßgeblichen Einfluss auf den gesellschaftlichen Fortschritt. 2 Wissenschaft erhielt nun eine ideologische Funktion. Es ging nämlich nicht mehr nur darum, Naturgesetze zu beobachten und daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Die Wissenschaft begann auch, die Welt zu interpretieren. Das heißt, sie begann, gesellschaftliche Phänomene mit dem gleichen "objektiven" Anspruch zu erklären wie zuvor Vorgänge in der Natur. Es war naheliegend, dass diese Analysen überwiegend den Interessen der Herrschenden entgegenkamen: x Arm und Reich wurden zu "natürlichen Zuständen" erklärt. x HerrscherInnen waren damit "natürlich" bzw. gottgewollt. x Den beherrschten Massen wurde "wissenschaftlich" erklärt, sie seien zur Unterordnung verpflichtet, dies wäre zu ihrem eigenen Besten. x Folgerichtig waren alle Bestrebungen, die sich gegen die Herrschenden und die ungerechten Besitzverhältnisse richteten, "unnatürlich" bzw. "sündhaft". Diese Tatsache ist keineswegs auf die graue Vorzeit beschränkt, Beispiele aus der Gegenwart gäbe es zuhauf - so etwa den Streit um Medikamente, die zur Bekämpfung von AIDS entwickelt wurden. Durch die Patentierung dieser Medikamente verhindern Pharma-Konzerne seit Jahren, dass Millionen Menschen diese, für sie lebensnotwendigen Erkenntnisse, nutzen können. Die Pharmaindustrie kann durch ihr Wissensmonopol die Preise diktieren, zu denen die Medikamente abgegeben werden. Wer nicht zahlen kann, ist zum Tod verurteilt. 2


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02| GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUR GEGENWART

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wissenschaft die Möglichkeit bietet, Gesellschaft und Natur planvoll zu gestalten und damit menschliche Bedürfnisse besser zu befriedigen. Gleichzeitig ist Wissenschaft aber ein Mittel der Herrschaft und der Unterdrückung. Wenn es im Interesse der Herrschenden lag, wurden Erkenntnisse verfälscht. Durch diese Verfälschung und deren Einbettung in ein irrationales Weltbild wurde der wissenschaftliche samt dem gesellschaftlichen Fortschritt gehemmt.3 Das irrationale Bild der Welt, das in den vergangenen Jahrhunderten im Dienste der Herrschenden entworfen worden war, wurde in zwei Etappen von den Naturwissenschaften entscheidend ins Wanken gebracht: x Kepler, Galilei und Newton wiesen nach, dass die Welt der toten Materie von inneren Bewegungsgesetzen gesteuert wird und nicht durch göttlichen Willen. x Darwin erbrachte den Beweis, dass sich alle Lebewesen (und damit auch der Mensch) durch Evolution weiterentwickeln. Die menschliche Entwicklung war damit nicht länger ein "göttlicher Schöpfungsakt", sondern ein erklärbarer Prozess. WAS IST GESCHICHTE?

Wie vollzieht sich Geschichte? 1. Bürgerliche sagen: Geschichte ist einmalig und wiederholt sich nicht, weil.. x Geschichte keine Struktur besitzt, sondern nur eine chaotische Ansammlung individueller Begebenheiten darstellt. x Menschen einmalig sind und "große Menschen" (meist Männer) diese Geschichte machen. Aus den oben genannten Gründen ist ein Teil der Bürgerlichen folgerichtig auch der Meinung, es lasse sich wissenschaftlich nichts aussagen über das Woher und Wohin der Geschichte. Eine zweite Gruppe unter ihnen ist aber der Meinung, Geschichte folge durchaus eigenen Gesetzen. Durch Menschen "gemacht" wird die Geschichte aber trotzdem nur bedingt, weil... x ... der Mensch durch Triebe und Instinkte gesteuert und diesen "Naturgesetzen" unterworfen ist. x ... der Mensch nach dem Willen Gottes handelt: "Den letzten Sinn der Geschichte als Ganzes vermögen wir nicht zu verstehen; den kennt Gott alleine."

Wir befinden uns in der dritten Etappe der Auseinandersetzung mit dem irrationalen Weltbild. Deren Kernfrage lautet: Ist die Menschheitsgeschichte ein zusammenhängender Prozess, der bestimmten Gesetzen folgt, oder besteht sie aus einer mehr oder weniger zufälligen Abfolge von einzigartigen Vorgängen und Persönlichkeiten? Darauf gibt es zwei Antwortmöglichkeiten:

Beiden Argumentationsmustern gemeinsam ist die Grundannahme, dass Geschichte kaum bzw. gar nicht durch rationales menschliches Handeln beeinflusst werden könne.

Ein historisches Beispiel wäre die Verfolgung und Reglementierung von Medizin, Physik und Astronomie durch die katholische Kirche.

Quelle: Veröffentlichungen des RDI, Nr. 48, 1929, Berlin 1919 - 1932.

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Der Reichsverband der Deutschen Industrie zur "Autorität der Persönlichkeit": "Solange man in der Geschichte zurückblicken kann, vermag man festzustellen, dass die Schicksale der Völker von großen Persönlichkeiten geformt sind. ... Diese schöpferische Kraft der Persönlichkeit, die uns leider heute auch im Staate fehlt, können wir in keinem Wirtschaftsbetrieb entbehren. ..."

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2. SozialistInnen sagen:

x Die Menschen machen ihre Geschichte selbst. Es gibt keinen Gott, der uns lenkt, und es gibt kein "Endziel der Geschichte"! x Geschichte ist nichts als die Summe menschlichen Handelns. Menschen tun Dinge, um bestimmte Zwecke zu erreichen. Geschichte besteht aus den Resultaten dieses Handelns, unabhängig davon, ob dabei die selbstgesteckten Ziele der Menschen letztlich erreicht werden oder nicht. x Trotzdem ist Geschichte kein "Zufall". Menschen können nicht unabhängig von einander und von ihrer Umwelt agieren, sondern sie müssen immer auf dem aufbauen, was sie vorfinden. Z. B. ist die Entwicklung neuer Medikamente nur möglich, weil auf bereits bestehenden Erkenntnissen aufgebaut werden kann; Sesshaftwerdung war nur dort möglich, wo die Nutzpflanzen angebaut werden konnx ten etc. Veränderungen in der Gesellschafts- und Eigentumsordnung werden in der Geschichte immer erkämpft gegen den Widerstand der jeweils herrschenden Klasse. Das Grundgesetz der Geschichte ist die permanente Auseinandersetzung zwischen den Klassen - der "Klassenkampf". WIE AUS DER GESCHICHTE LERNEN? Warum ist die Beantwortung der Frage, was Geschichte ist, so wichtig? Ganz einfach - weil von der jeweiligen Antwort abhängt, ob und wie wir aus Geschichte lernen können. Ist alles in der Vergangenheit nur Zufall, das Werk großer Männer oder gar Gottes gewesen, folgt daraus, dass wir am Lauf der Geschichte im Grunde gar nichts ändern können. SEITE|10 Aus der "Deklaration zur Stellung der wissenschaftlichen Forscher", verabschiedet von der Generalkonferenz der UNESCO am 23.11.1974.

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Welchen Wert hat nun die Auseinandersetzung mit Geschichte? Eine Antwort darauf gibt uns die für Bildung und Wissenschaft zuständige Sektion der Vereinten Nationen, die UNESCO. Sie definiert Wissenschaft als "eine planvolle Anstrengung der Menschen, durch das objektive Studium betrachteter Phänomene Kausalzusammenhänge zu erkennen und zu beherrschen, um aus dem Verständnis der in der Natur und in der Gesellschaft beobachteten Prozesse und Phänomene Nutzen zum Wohle der Menschheit zu ziehen". 4 Bezogen auf die Geschichtswissenschaft bedeutet das, dass aus der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft Schlüsse auf deren Gegenwart und Zukunft gezogen werden können. Die Geschichtswissenschaft ist gewissermaßen das "Gedächtnis der Menschheit": So wie die Erinnerung an den Schmerz ein Kind davon abhält, mehrmals auf eine heiße Herdplatte zu greifen, kann also Geschichtsschreibung Gesellschaften davor bewahren, Fehler zweimal zu machen. Geschichte wiederholt sich nie exakt gleich. Aber es gibt Grundtendenzen, die gleich bleiben. Und genau diese Grundtendenzen müssen wir ausfindig machen. Dazu ist es notwendig, unsere Geschichte zu kennen. Unsere Geschichte ist nicht die der Herrschenden, sondern die der Beherrschten. Um Lehren für unseren Kampf um bessere Lebensbedingungen ziehen zu können, brauchen wir den Erfahrungsschatz der vergangenen Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende. Denn um ein besseres Leben kämpft die breite Masse der Beherrschten seit Menschheitsgedenken. Wie viel aber wissen wir über die Erfolge, wie viel über die Ursachen der Niederlagen in diesem Kampf? Was wissen wir über unsere GegnerInnen? Wie haben sie sich in der Vergangenheit Reichtum und Macht gesichert, mit welchen Mitteln übten sie ihre Herrschaft in welchen Situationen aus? Diese Broschüre soll solche Fragen im Bezug auf den Faschismus klären helfen. Es ist klar, dass es sich nur um einen Einstieg handeln kann, jede/r ist aufgerufen, sich selbst weiterzubilden.


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03| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

FASCHISMUS -

VERSUCH EINER DEFINITION

Der Begriff "Faschismus" leitet sich ursprünglich von einer Bewegung ab, die in Italien nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde, dem "fascio di combattimento" (Kampfbund). Das Wort "fasces" bezeichnet lateinisch das Herrschaftssymbol der Liktoren (einer Art Leibgarde der Herrscher im alten Rom), ein Rutenbündel mit einer Axt in der Mitte. Schon bald wurde der Name dieser Bewegung um Mussolini, die 1922 in Italien an die Macht gekommen war, zum (oft ungenauen) Sammelbegriff für ähnliche Bewegungen in anderen Ländern. Gemeinsam war ihnen ihre nationalistische, antisozialistische, autoritäre und antiparlamentarische Stoßrichtung. Was nun als "faschistisch" zu gelten habe und was nicht, darüber gibt es seit beinahe achtzig Jahren eine rege Diskussion mit vielen verschiedenen Ansätzen. Schwierig ist die Klärung dieser Frage auch deshalb, weil kaum eines der in Frage kommenden Regime sich selbst "faschistisch" nannte. Große Teile der Heimwehrbewegung in Österreich beispielsweise machten aus ihren Sympathien für Mussolini keinen Hehl. Der "Korneuburger Eid", den die versammelten Heimwehrführer am 18. Mai 1930 schworen, diente nach den Worten des Heimwehrführers Steidle dazu, "sich ... für das faschistische System zu erklären". Was das aber, neben der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und der Niederschlagung der organisierten ArbeiterInnenschaft, genau hieß, darüber herrschte auch in der Heimwehr wenig Einigkeit. Nicht wenige Repräsentanten der Heimwehr lehnten den Faschismus als "undeutsch" ab. Ebenso sahen viele italienische Gefolgsleute Mussolinis im "Fascismo" etwas typisch Italienisches, das nur in Italien funktionieren könne.

Ein Liktor im alten Rom trägt ein Fasces als Symbol kaiserlicher Macht: zu züchtigen (Rutenbündel) und mit dem Tod zu bestrafen (Axt)

Um heute zu einer brauchbaren Definition zu kommen, genügt es nicht, Geschichte oberflächlich nachzuerzählen. Es reicht nicht aus, sich in der Analyse der betreffenden Regime nur auf einzelne Aspekte zu konzentrieren, z. B. auf die Art und Weise, wie geherrscht wird. Und es ist auch nicht gut möglich eine Art "Checklist" zusammenzustellen, um eine Partei oder

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Bewegung anhand ihres Programms zweifelsfrei als "faschistisch" einstufen zu können. Ein politisches Phänomen wie der Faschismus kann nur verstanden werden, wenn die Vorbedingungen eingehend analysiert werden, unter denen er in der Vergangenheit groß werden konnte. Denn eine der größten Gefahren des Faschismus ist seine Wandlungsfähigkeit, seine Tarnung, seine Eigenschaft, erst wenn er an die Macht gelangt ist, zu zeigen, was ihm wirklich innewohnt. Das heißt, ein Urteil kann und darf nicht allein daraus abgeleitet werden, was ein Agitator oder eine Partei sagt bzw. in Programmen und Beschlüssen niederschreibt. Entscheidend ist die Tat, die real betriebene Politik. Wenn wir uns nun der Geschichte faschistischer Bewegungen in der Vergangenheit zuwenden, nützt es relativ wenig, nur die Schriften und Reden der "Führer" zu studieren, um das Wesen des Faschismus zu begreifen.5 Ebenso mag es zwar durchaus wichtig sein, die Gemeinsamkeiten faschistischer Bewegungen im Auftreten, hinsichtlich der (wie gesagt sehr widersprüchlichen) "Ideale" und der Organisationsstruktur etc. zu beleuchten. Aber eine Erklärung des Faschismus dürfen wir uns davon nicht erwarten. Denn von entscheidender Bedeutung ist die Frage, wer von einer Gesellschaftsordnung, wie sie der Faschismus hervorbrachte, profitiert hat und welche sozialen Schichten unter ihr gelitten haben. Es geht kurz gesagt darum, die verschiedenen Aspekte zu einem GesamtEs kann aber durchaus gewinnbringend sein, diese für die Öffentlichkeit bestimmten Gedanken von Hitler & Co. mit dem zu vergleichen, was dann in der Praxis aus ihnen wurde. So lässt sich nämlich feststellen, was davon einer vorauseilenden Legitimierung diente, etwa der Antimarxismus, der die Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung im Voraus zu rechtfertigen begonnen hatte. Darüber hinaus wird aber auch klar, was lediglich der Propaganda gedient hatte und nun, da die Möglichkeit bestand es auch tatsächlich umzusetzen, links liegen gelassen wurde.

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Der "Duce" Mussolini mit seiner Gefolgschaft. Zu den wichtigsten Kennzeichen des Faschismus gehört eine Politik, die sich letztlich gegen die Masse der eigenen AnhängerInnen richtete

bild zusammenzufügen, aus dem sich die soziale Funktion des Faschismus in seiner Aufstiegsphase und in der ersten Zeit an der Macht erklären lässt. Denn auch wenn ein Maschinengewehr aus vielen verschiedenen, für TechnikerInnen interessanten Teilen besteht, darf doch in der Auseinandersetzung mit diesem Sammelsurium von Schrauben, Federn und Rohren der eigentliche Sinn und Zweck nicht außer Acht gelassen werden: zu schießen - und zu töten. Der Versuch eine "faschistische Typologie" aufzustellen ist also aus den genannten Gründen problematisch, doch ist sie unerlässlich, wenn das Thema eingehend analysiert werden soll. Dazu sind Abgrenzungen nötig: Nicht jede bösartige Diktatur ist automatisch faschistisch. Die nachfolgende Liste übereinstimmender Merkmale versteht sich als grober Leitfaden.


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03| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

SOZIALE FUNKTION IM WIDERSPRUCH ZUR SOZIALEN BASIS Durchgehend haben sich faschistische Bewegungen in ihrer Aufstiegsphase als Bewahrer des kapitalistischen Privateigentums vor dem "marxistischen Bolschewismus" dargestellt. Gleichzeitig präsentierten sie sich als Retter der ArbeiterInnenschaft bzw. des "Mittelstandes" vor dem "raffgierigen Kapitalismus". In der Realität blieb von den Ankündigungen nur der Schutz der herrschenden Schichten vor der organisierten ArbeiterInnenschaft übrig: Zerschlagung der Linksparteien und der Gewerkschaften, Abschaffung bisher erkämpfter ArbeiterInnen-Rechte, die Ausstattung von Unternehmen mit militärischer Verfügungsgewalt über ihre ArbeiterInnen usw. Damit begannen die faschistischen Bewegungen, nach ihren jeweiligen "Machtergreifungen", Politik gegen einen Großteil ihrer eigenen Gefolgschaft zu machen. Die Masse des faschistischen Fußvolks kam nämlich aus dem Mittelstand, dem Kleinbürgertum und der unorganisierten ArbeiterInnenschaft. IDEOLOGIE: FÜHRERPRINZIP, NATIONALISMUS UND RASSISMUS Die Vorstellung von der prinzipiell unterschiedlichen Wertigkeit von Menschen und Völkern, von der "natürlichen Auslese", die dafür Sorge tragen würde, dass die "von Natur aus am meisten Befähigten" die Geschicke der Gemeinschaft leiten würden, ist vermutlich der Kernpunkt faschistischer Ideologie. Ein Blick in die politische Landschaft der Gegenwart genügt allerdings, um festzustellen, dass dieses hierarchische Prinzip keineswegs auf faschistische Bewegungen beschränkt ist. Im Gegenteil: Die unterschiedliche Wertigkeit, das Prinzip der Auslese, der Konkurrenzkampf - all das sind auch die bestimmenden Elemente der "freien Marktwirtschaft", wenn mittlerweile auch ohne (zumindest offen geäußerter) Ausdehnung auf "Rassen": "Der/die Tüchtige" oder "das beste Produkt" setzt sich durch - zum Wohle aller,

versteht sich. Im Unterschied zu vielen anderen proklamierten Inhalten und Zielen waren weder FührerPrinzip noch Rassismus bloße Propaganda. Diese Inhalte dienten nicht der Maximierung des eigenen Gefolges in der Aufstiegsphase der jeweiligen Bewegungen. Sie sollten vielmehr geistig auf deren aggressive Außen- und Wirtschaftspolitik vorbereiten und der totalen Militarisierung der Gesellschaften in den betroffenen Ländern den Weg ebnen. Wenn nämlich Raubkriege geführt und Völker unterjocht und ausgebeutet werden sollen, dann bedarf das einer Erklärung.6 Die Minderwertigkeit der anderen Völker und die "natürliche Überlegenheit" der eigenen Nation ist die nächstliegende, simpelste und wirksamste propagandistische Rechtfertigung. Erstens, weil Angriffskriege und das Ausplündern fremder Länder dann zu "natürlichen" Vorgängen werden. Zweitens, weil sich damit auch für sozial deklassierte Schichten in der angeblich "höherwertigen Nation" die Möglichkeit ergibt, sich der Schar der Auserwählten zugehörig zu fühlen. Drittens, weil vorhandene Missstände im eigenen Land auf konstruierte "Außenfeinde" zurückgeführt werden, die es zu bekämpfen gelte.7 "Es gehört zur Genialität eines großen Führers, selbst auseinanderliegende Gegner immer als nur zu einer Kategorie gehörend erscheinen zu lassen ... Daher muss eine Vielzahl von innerlich verschiedenen Gegnern immer zusammengefasst werden, so dass in der Einsicht der Masse der eigenen Anhänger der Kampf nur gegen einen Feind allein geführt wird." Adolf Hitler in "Mein Kampf" 6 Hier muß erwähnt werden, dass eine aggressive Aussenpolitik nicht Kennzeichen aller faschistischer Bewegungen war. In kleinen Ländern ohne entsprechendes militärisches Potential, wie z.B. Österreich, richtete sich der Faschismus "nur" gegen die Linke im eigenen Land. 7 Der deutsche Faschismus benannte etwa als Grund für die Wirtschaftsmisere "jüdische Machenschaften" sowie die Tatsache, dass Deutsche und Italiener Völker "ohne Raum" seien. Der benötigte "Lebensraum" (bzw. seine Reichtümer) sei "von Minderwertigen besetzt" und müsse "erkämpft werden".

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PSEUDOREVOLUTIONÄRE RHETORIK UND FASCHISTISCHE MASSENBASIS Eine der Kernforderungen der ArbeiterInnenbewegung hatte sich bis nach dem Ersten Weltkrieg in den meisten europäischen Staaten durchgesetzt - die Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Diese Konzession, das war auch den wildesten Gegnern eines solchen Schrittes in den Reihen der Rechten klar, war in Anbetracht eines drohenden linken "Umsturzes" nicht zu umgehen. Die Gründe für die Ablehnung des allgemeinen Wahlrechtes durch die Konservativen und Rechten liegen auf der Hand: Wer dann nämlich nicht Politik im Sinne der Mehrheit macht, läuft zwangsläufig Gefahr, von dieser früher oder später abgewählt zu werden (was, wie die Geschichte zeigt, allerdings lang dauern kann). Bevor die breite Masse der Bevölkerung wählen durfte, waren die bürgerlichen Parteien elitär strukturiert gewesen. Nach der Demokratisierung ihrer Länder, als der gehasste "Pöbel" wählen durfte, sah sich die politische Rechte genötigt sich ideologisch zu öffnen und zumindest öffentlich zu behaupten, ihre Politik auf die Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit abstimmen zu wollen. Anders war der Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit nicht zu verhindern. Das wohl sichtbarste Zugeständnis an die neue Zeit war in diesem Zusammenhang die Aufnahme der Adjektive "demokratisch" bzw. "sozial" in die verschiedenen Parteinamen.

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Der Horror der Schützengräben, das kriegsbedingt weiter verschlimmerte Elend breiter Schichten und schließlich die Wirtschaftskrise im Gefolge des Ersten Weltkriegs ließen die breiten Massen nach einer Alternative zum kapitalistischen System suchen, um Not und Armut endgültig zu überwinden. Diese Suche drückte sich anfangs vor allem in Aufständen, Hungerrevolten und Revolutionsversuchen aus. Nachdem sich die bürgerliche Demokratie als Staatsform fürs erste einigermaßen behauptet hatte, wurde der breite Wunsch nach grundlegenden Änderungen besonders in den Verliererstaaten des Weltkrieges auch in Wahltriumphen der Linksparteien deutlich. Diese schickten sich nunmehr an, so schien es vielen, das System auf demokratischem Weg aus den Angeln zu heben. Guter Rat war teuer, denn keine der bis dahin existierenden rechten

Parteien verfügte über eine aktivierbare Massenbasis, die im Stande war den "Roten" entgegenzutreten. Und die Polizei- und Armeekräfte waren entweder - wie etwa in Österreich - selbst von "Umstürzlern" unterwandert oder ganz einfach militärisch nicht in der Lage, eine etwaige rechte Diktatur gegen den breiten und organisierten Widerstand der Bevölkerung zu erzwingen. Die Antwort der herrschenden Schichten auf dieses Problem war das Bündnis mit dem Faschismus. Denn als einzige rechtsradikale Strömung verfügte der Faschismus über eine relativ große und radikalisierte Anhängerschaft. Und weder Mussolini noch Starhemberg oder Hitler hatten Schwierigkeiten damit, in ihrer Propaganda zwar die Ausbeutung des "kleinen Arbeiters" durch "das Großkapital" und "die Bonzen" zu geißeln, gleichzeitig aber Gewerkschaften und Linksparteien vehement zu bekämpfen. Während auf den Straßen von einer "faschistischen Revolution" die Rede war, wurde den Reichen signalisiert, man werde sie und ihr Eigentum vor dem "Kommunismus" retten. Dem linken Begriff des "Klassenkampfs" setzte die faschistische Propaganda die Parole von der "Volksgemeinschaft" entgegen. Das Wirtschaftssystem dieser "Volksgemeinschaft" sollte "die Interessen sowohl der Arbeitenden als auch der UnternehmerInnen bündeln und damit letztlich dem Wohle aller dienen, statt sich gegenseitig unsinnig zu bekriegen."8 Dem Ruf nach der sozialistischen Revolution begegnete der Faschismus mit der Forderung nach einer "nationalen Revolution". Diese "nationale Revolution" würde "Arbeit und Brot für alle" bringen, ebenso das Ende des "volkszersetzenden Klassenkampfes". Statt dessen würden "Ruhe und Ordnung wieder(!)hergestellt". Hier wird deutlich, dass viele Vorstellungen des Faschismus weder von ihm geboren wurden, noch mit ihm untergingen: Noch heute erklären PolitikerInnen häufig, dass ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen im selben Boot säßen. Dabei wird die Tatsache ignoriert, dass es einen grundlegenden Interessensunterschied gibt UnternehmerInnen wollen für möglichst viel geleistete Arbeit möglichst wenig zahlen, ArbeitnehmerInnen hingegen möchten für möglichst wenig Arbeit möglichst viel Lohn erhalten. 8


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Die Verhöhnung der Werte der Aufklärung in einem Nazi-Schulbuch. Originalunterschrift: "Freiheit - jeder kann tun was er will. Gleichheit der Fleißige gilt nicht mehr als der Lump. Brüderlichkeit - Alle Rassen sind gleich."

Mit diesem in sich widersprüchlichen Mix an Versprechungen und Beschuldigungen konnte der Faschismus große Teile des KleinbürgerInnentums, der BeamtInnenschaft, der Bildungseliten und der bäuerlichen Schichten für sich gewinnen. Ihm gelangen auch nicht unbeträchtliche Einbrüche in die ArbeiterInnenschaft,9 aber der ursprüngliche Zweck wurde verfehlt: Im demokratischen Wettbewerb konnte die Linke auch vom Faschismus nicht gestoppt werden, der nicht in der Lage war, aus eigener Kraft die Macht im Staat zu übernehmen. Das vermochte er in allen Ländern nur in einem breiten Bündnis mit den herrschenden Eliten. DIE ABSAGE AN DIE AUFKLÄRUNG DER FASCHISTISCHE WERTEKATALOG Eine Bewegung, die in sich derartig widersprüchlich ist wie der Faschismus, muss in ihrer Propaganda gewissermaßen die Quadratur des Kreises schaffen, um sowohl die reichen Gönner als auch das arbeitende Wahlvolk anzusprechen. Naturgemäß liegt es daher im Interesse faschistischer Führer, dass sich möglichst große Teile ihrer Gefolgschaft nicht rational, also vernunftgeleitet, mit Politik auseinandersetzen. Es gibt keine vernünftige Erklärung dafür, dass Besitzende und Besitzlose die gleichen Interessen haben sollen - die einen wollen mehr haben, die anderen aber möglichst wenig - am Allerdings gelang es kaum, die in Gewerkschaften oder Linksparteien organisierten ArbeiterInnen anzusprechen. Sie erwiesen sich gegenüber der faschistischen Propaganda als weitgehend immun.

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besten nichts - von ihrem Reichtum abgeben. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, einem wie auch immer gearteten Führer zu folgen, ohne Rücksicht darauf, für wen er Politik macht. Es gibt - auch abseits moralischer Einwände - kein vernünftiges Argument dafür, sich im Rahmen eines Raubkrieges, von dem die meisten Menschen nicht profitieren, verstümmeln oder gar töten zu lassen oder selbst zum Mörder zu werden. Von der Unmöglichkeit angebliche "rassische" Höherund Minderwertigkeit rational zu belegen ganz zu schweigen. Ganz logisch steht der Faschismus daher im Widerspruch zu den Werten der Aufklärung, also rationalem Handeln, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die faschistische Ideologie schafft dementsprechend ihre eigenen Werte: An die Stelle der Vernunft und des "schnöden Verharrens im Materiellen" tritt das Ideal eines organischen Volkskörpers, dessen angebliche Interessen über den Interessen der Einzelnen stehen. Statt für die möglichst große Freiheit der Person zu kämpfen, gibt der Faschismus vor "Volksfeinde zu bekämpfen", die "nationale Demütigung" revidieren zu wollen und der Nation jene Größe zukommen zu lassen, die ihr angeblich zustünde. Wem diese nationale "Größe" nützt - nämlich einigen wenigen - wird begreiflicherweise nicht thematisiert. Dem Ideal der Gleichwertigkeit der Menschen wird die angeblich "wissenschaftlich bewiesene" Ungleichheit der Menschen und Völker, der Rassismus, entgegengestellt. Rassistische Politik, Ausplünderung ganzer Länder oder systematischer Völkermord werden so zu einem "natürlichen", angeblich unausweichlichen Prozess.

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Der Kerngedanke des Faschismus, der Glaube an die Ungleichheit der Menschen, schließt drei Grundgedanken mit ein: 1. Im Rahmen der "natürlichen Auslese" wird alles "Schwache" ausgesondert. Geschieht das nicht von selbst, muss eben nachgeholfen werden. "Schwäche", gleichgültig ob physisch, psychisch oder sozial, wird "vernatürlicht". Solidarität mit den Betroffenen ist von vornherein ausgeschlossen - ihr "natürliches Schicksal" ist in der faschistischen Ideologie die "Ausmerzung". 2. Ebenso "natürlich" wie "Schwäche" ist der faschistischen Ideologie zufolge auch "Stärke". Demzufolge sind Machtpositionen in einer Gesellschaft nicht etwa durch Privilegien, wirtschaftliches Potential oder militärische Macht begründet (und somit auch wieder änderbar), sondern sie sind "natürlich" und damit irreversibel ("unveränderlich"). Der "Führer" wird von der "Natur" bzw. der "Vorsehung" für seine Funktion auserkoren, seine Befehle sind naturgewollt, wer sich widersetzt, handelt "wider die Gesetze der Natur".10 3. Indem der Faschismus die Mechanismen einer menschlichen Gesellschaft jenen der Natur gleichsetzt, sieht er Menschen und Völker einem permanenten "Lebenskampf" ausgesetzt. Anders als viele bürgerliche TheoretikerInnen meinen, wäre etwa ein "judenreines" Herrschaftsgebiet nicht der vom deutschen Faschismus angestrebte "Endzustand der Geschichte" gewesen: Die Aggressivität und das Vernichtungspotential des Faschismus kann sich schon deshalb nicht erschöpfen, weil er aus der Bekämpfung vermeint-

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10 Und wieder: Etwas abgeschwächt ist dieser Gedanke weder vom Faschismus erfunden worden, noch endete er mit diesem (Kaiser und Könige führten ihre Machtbefugnisse stets auf das "Gottgewollte", mithin in gewisser Weise auch "Natürliche" zurück; der Grund, warum es Reichtum und damit gleichzeitig Armut geben muss, wird auch heute noch von den ApologetInnen der Marktwirtschaft damit begründet, dass dem schon immer so gewesen, es mithin "natürlich" sei. Der Wunsch, den gesellschaftlichen Reichtum gerecht zu verteilen, muss somit eine Illusion bleiben, weil "widernatürlich").

licher "Feinde" und vorgeblicher "Bedrohungen" einen wesentlichen Teil seiner eigenen Legitimation ableitet. Dies schließt ein friedliches Zusammenleben aus und bedarf der Verklärung von Gewalt und Brutalität als Vorbedingungen für eine umfassende Militarisierung der Gesellschaft. Durch die Überhöhung dieser ("männlichen") Ideale ist der Faschismus seinem Wesen nach scharf antifeministisch. Obwohl in den meisten Fällen säkular,11 erhebt der Faschismus zudem den Anspruch, eine "Gegenreligion" zu sein, in der "Gott" durch den "Führer", die "Natur" bzw. "Naturgesetze" ersetzt wird. Die faschistischen Rituale (Totenehrungen, etc.) und die Inszenierung von Auftritten der Führer hatten pseudo-religiösen Charakter. Interessant in diesem Zusammenhang sind die Querverbindungen speziell der nationalsozialistischen Bewegung zu esoterischen Inhalten und Gruppierungen, die im Versuch gipfelten, die SS zu einem quasi-religiösen Orden zu machen. FASCHISTISCHE MACHTERGREIFUNG UND MACHTERHALT: DAS BÜNDNIS MIT TRADITIONELLEN ELITEN, MASSENBEWEGUNG UND MASSENTERROR Sowohl die italienischen Faschisten als auch die deutschen Nationalsozialisten verwendeten erhebliche Mühe darauf, ihre jeweiligen Machtergreifungen im Nachhinein zu mystifizieren. Im einen Fall war es der "Marsch auf Rom" durch die italienischen Schwarzhemden, im anderen die "nationale Erhebung" bzw. die "nationale Revolution". Sinn dieser Verklärung war es, über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass es weder dem deutschen noch dem italienischen Faschismus (auch keiner faschistischen Bewegung irgendwo sonst) gelungen war, die Macht im Staat aus eigener Kraft zu erobern. Es handelte sich also nirgends, wo der Faschismus an die Macht kam, um eine Macht"ergreifung" sondern nur um eine Macht"übernahme" im Bündnis mit anderen konservativen Kräften. Ausnahmen bildeten etwa die Ustascha-Bewegung in Kroatien und Teile der österreichischen Heimwehr, die dezidiert katholisch waren.

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Am 12. November 1918 wird in Wien die Republik ausgerufen. Über vierhunderttausend Menschen feiern in den Straßen der Hauptstadt das Ende der Habsburgermonarchie

Die "traditionellen Eliten", die aus verschiedenen Gründen mit dem bestehenden System unzufrieden waren oder die Gefahr eines linken Umsturzes fürchteten, ebneten dem Faschismus seinen Weg zur Macht. Sie taten das, weil sie aus eigener Kraft zu schwach waren (oder sich zu schwach fühlten), die Demokratie gegen den Widerstand der linken Parteien zu stürzen. Dabei erlagen sie aber dem Trugschluss, dass es ihnen gelingen werde, Hitler, Mussolini & Co. auch nach deren Aufrücken an die Spitze des Staates vollständig zu kontrollieren.

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FASCHISTISCHE BEWEGUNG IN ÖSTERREICH HEIMWEHR UND NAZIS

DIE REVOLUTIONÄRE PHASE IN ÖSTERREICH NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG Als sich am 21. Oktober 1918 im niederösterreichischen Landhaus zu Wien die "Provisorische Nationalversammlung Deutschösterreichs" konstituierte, verließ damit auch die letzte Nationalität im k.u.k.-Vielvölkerstaat offiziell das sinkende Schiff der Donaumonarchie. An den Fronten militärisch geschlagen, im Inneren konfrontiert mit einer hungernden Bevölkerung, Unruhen und Revolten, war der Versuch des letzten Habsburger-Kaisers, Karl I., fehlgeschlagen, die Monarchie als Staatsform in die Nachkriegsordnung hinüberzuretten. Alleine die Tatsache, dass, trotz einer breiten parlamentarischen Mehrheit bürgerlicher Parteien, mit Karl Renner ein Sozialdemokrat Regierungschef wurde, lässt einiges von den gewaltigen Kräfteverschiebungen erahnen, die stattgefunden hatten. 12

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Mit der Monarchie verloren Aristokratie und (Groß)Bürgertum die wesentliche Stütze ihrer Privilegien gegenüber den weitgehend rechtlosen ArbeiterInnen und der kleinbäuerlichen Bevölkerung. Auf den plötzlichen Wegfall der bisherigen Ordnung folgte ein Machtvakuum, das die Sozialdemokratie kurzfristig nützen konnte. Es gelang ihr, in dieser Ausnahmesituation gegen die verängstigten Privilegierten von einst politische und soziale Reformen im großen Stil durchzusetzen. Die politischen Umwälzungen verliefen in den ländlichen Gebieten "Deutschösterreichs" meist friedlich. Nicht so in den industriellen Zentren, den Hochburgen der ArbeiterInnenbewegung, allen voran Wien und Linz. Dort kam es zu stürmischen Demonstrationen, Plünderungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Repräsentanten der alten Mächte, vor allem mit ehemaligen Offizieren. Zeitzeugin Steffi S. über die Behandlung von Offizieren in den Strassen von Wien 1918: "Mein Bruder war ein kleiner Leutnant. Wie den letzten Dreck hat man ihn behandelt. Den Leutnantstern vom Rock gerissen, den Orden, den er kurz vor Kriegsende bekommen hat, auf den Boden geworfen, und dann sind sie johlend darauf herumgetrampelt. Wie ein kleines Kind hat er geweint, wie er nach Hause gekommen ist." Zitiert nach: Kinz, Maria 1993: Photoalbum 1918-1938. Der Alltag war nicht immer grau, Wien, S 14.

Gerade deren öffentliche Demütigung durch revolutionäre ArbeiterInnen machte tiefen Eindruck auf die traditionellen Eliten. Plünderungen und eigenmächtige Beschlagnahmungen durch die hungernde Bevölkerung und heimkehrende Soldaten verstärkten in Teilen der bäuerlichen, katholisch-konservativ geprägSEITE|18

Den 174 Abgeordneten der Christlichsozialen und Großdeutschen standen in der provisorischen Nationalversammlung nur 42 sozialdemokratische Abgeordnete gegenüber.

So sieht die von Konservativen verklärte ländliche Idylle in den 20ern und 30ern des letzten Jahrhunderts in Wirklichkeit aus: Statt Ochsen oder Pferden werden Mägde vor den Pflug gespannt für den Bauern sind sie billiger als das Vieh

ten Landbevölkerung und im städtischen Bürgertum den Hass auf die "rote Regierung des Pöbels im Wasserkopf Wien". Mit ihr wollten Leute wie der spätere Heimwehrführer "Fürst" Ernst Rüdiger Starhemberg "abrechnen, so bald sich die Gelegenheit ergäbe", wie er später schrieb. Während die Gelegenheit zur Rache in den Industriegebieten noch einige Zeit auf sich warten ließ, verebbte die revolutionäre Welle im ländlichen Raum Westösterreichs bereits im Frühjahr 1919. Ein Mitgrund dafür war, dass es die Sozialdemokratie13 verabsäumt hatte, die stark radikalisierte Masse der LandarbeiterInnen politisch zu organisieren. TagelöhnerInnen, Knechte und Mägde lebten unter entwürdigenden Bedingungen und forderten zur Linderung ihrer Not vor allem eine gerechte Verteilung von Grund und Boden. Weil eine umfassende Bodenreform aber im Forderungskatalog der SDAPÖ eine eher nachgeordnete Rolle spielte, fühlte sich diese große Bevölkerungsgruppe bald im Stich gelassen und wandte sich enttäuscht von der Sozialdemokratie ab. Darüber hinaus wandelte sich das politische Bewusstsein bei kleinen und mittleren Bauern und Bäuerinnen, die ursprünglich durchaus Sympathien für die demokratische Republik gehabt hatten.

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"Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs", SDAPÖ.


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Um die hungernde Bevölkerung in den Städten versorgen zu können, ließ die Regierung auf dem Land Nahrungsmittel beschlagnahmen. Anfangs wurde das dort murrend hingenommen, relativ bald aber aggressiv protestiert und vereinzelt sogar bewaffneter Widerstand geleistet. Diesen Unmut machten sich die Konservativen zunutze. Nicht die Not von Millionen Menschen, die aufgrund der Folgen des Ersten Weltkrieges hungerten, sei die Ursache für die Beschlagnahmungen, behaupteten sie in ihrer Propaganda. Die Schuld treffe ausschließlich die "Roten" und ihre "bolschewistische Regierung", ja generell die "Wiener Demokraten". In den Großstädten hielt die "revolutionäre Phase" bedeutend länger an. Den Kern der Bewegung bildeten im Spätherbst 1918 vor allem ehemalige Angehörige der Streitkräfte, die jetzt arbeitslos waren, und junge Intellektuelle14. Unter dem ehemaligen Offizier Julius Deutsch war bereits in der Endphase der Monarchie mit dem Aufbau einer republikanischen Armee begonnen worden. Diese sozialdemokratisch dominierte "Volkswehr" war dazu gedacht gewesen, die später gegründete Republik gegen reaktionäre Putschversuche zu schützen. Und es waren auch tatsächlich deren Soldaten, die es Aristokratie und Großbürgertum in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht ratsam erscheinen ließ, eine militärische Konfrontation zu riskieren.

Folgen von Hungerunruhen in Graz, Juni 1920. Um die Bevölkerung in den Städten ernähren zu können, lässt die Regierung schließlich auf dem Land Lebensmittel beschlagnahmen

Erlaubnis der Besitzer abzuwarten. Und um das von der Unternehmerschaft betriebene Lohndumping zu beenden, wurden vereinzelt sogar Fabriken von ihren Belegschaften übernommen. Die Bürgerlichen waren derartig verängstigt, dass christlichsoziale Politiker wie der spätere Kanzler Seipel wiederholt die Siegermächte des Weltkrieges ersuchten, Österreich militärisch zu besetzen, um "der bolschewistischen Brut Einhalt zu gebieten".

Im Winter 1918/19 wurde in Österreichs Städten gehungert. Zehntausende waren obdachlos, die Arbeitslosigkeit stieg weiter an und die staatliche Verwaltung erwies sich als unfähig, der Not Herr zu werden. ArbeiterInnen und die von ihnen gebildeten Gremien, die Räte, griffen zur Selbsthilfe: Bis ins Frühjahr 1919 fanden alleine in Wien 12.000 Beschlagnahmungen statt. In den umliegenden Wäldern wurde das zum Heizen dringend benötigte Holz geschlägert, ohne die Unter den Angehörigen der Volkswehr fanden sich so prominente Namen wie die Literaten Egon Erwin Kisch oder Franz Werfel.

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Baron Alfons Rothschild am Pferderennplatz (links) und Madeleine [von] Kuh, die österreichische Golfmeisterin (rechts), genießen das süße Leben - mit dem nötigen Kleingeld kein Problem. Während rundherum bittere Not herrscht, denken die Reichen im Land nicht daran, von ihrem Besitz etwas abzugeben. Sie stehen den sozialdemokratischen Versuchen, die Armut der Bevölkerung zu lindern, feindselig gegenüber und fordern die Beseitigung des "sozialen Schutts"


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Friedrich Adler (links, neben Otto Bauer und Karl Kautsky) erschießt 1916 den österreichischungarischen Ministerpräsidenten Graf Barthold Stürgkh. Seinen Prozess nützt Adler, um öffentlich gegen die Gräuel des Ersten Weltkrieges und die Untätigkeit der eigenen Partei, besonders Karl Renners, zu protestieren. Sein Mut und seine Ehrlichkeit verhelfen ihm unter ArbeiterInnen zu ungeheurer Popularität

DIE ARBEITERiNNENBEWEGUNG BLEIBT GEEINT Im Unterschied zu fast allen anderen europäischen Staaten verblieb in Österreich der linke Flügel der ArbeiterInnenbewegung in der Sozialdemokratie. Damit gelang es der Kommunistischen Partei nie, ernsthaft Einfluss zu gewinnen. Ein wichtiger Grund dafür, dass die Spaltung der Sozialdemokratie misslang, war der unter ArbeiterInnen als Held verehrte Friedrich Adler. Er schlug als prominentester Parteilinker das Angebot aus, die Führung der KPÖ zu übernehmen. Die andere Hauptursache für den Erhalt der Einheit der ArbeiterInnenbewegung in Österreich lag in der politischen Ausrichtung der SDAPÖ. Anders als ihre deutsche Schwesterpartei, gab sie sich zumindest in ihrem öffentlichen Auftreten offensiv links und hielt weiter am Ziel einer Sozialistischen Gesellschaftsordnung fest. Diese sollte aber - im Unterschied zum Bolschewismus - auf demokratischem Weg friedlich erreicht werden. Austromarxismus: Auf demokratischem Weg zum Sozialismus

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"Wir Sozialdemokraten wollen nicht in das Fahrwasser der Kommunisten in Russland und Ungarn15 geraten, die durch Methoden der Gewalt die Freiheit der Kritik nicht nur der Bourgeoisie, sondern auch großen Teilen des Proletariats entziehen. Wir wollen auf dem Boden der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Versammlungsfreiheit den

Obwohl sich die Sozialdemokratie also zu Demokratie und Republik bekannte, auf deren legalem Boden sie den Sozialismus herbeiführen wollte, stellte sich die Sache in manchen Äußerungen von Parteiführern radikaler, revolutionärer dar. Dies geschah, um die eigene, stark radikalisierte AnhängerInnenschaft bei der Stange zu halten und ein Abwandern zur KP zu verhindern. Darüber hinaus wurde mit dem verbalen Trommelwirbel bezweckt, den bürgerlichen Gegner einzuschüchtern und ihn zu Konzessionen zu zwingen. Der Wortführer der Linken innerhalb der SDAPÖ, Otto Bauer, ist unter Bürgerlichen der bestgehasste Mann im Land. Der brillante Redner gehört mit seiner Frau Helene und dem Philosophen Max Adler zu den bedeutendsten VordenkerInnen des Austromarxismus

Beide Ziele wurden - das zweite allerdings nur vorläufig - erreicht. Die Sozialdemokratie in Österreich erreichte eine beispiellose Stärke. Auch wenn es nicht gelang, im Parlament die Pläne zur Vergesellschaftung der Schwerindustrie und von Teilen der Energie- und Forstwirtschaft gegen die bürgerliche Mehrheit durchzubringen, war der Druck der Straße allemal stark genug, den Konservativen eine Sozialgesetzgebung abzutrotzen, die weltweit einzigartig war. Kampf mit unseren Gegnern führen ... Das deutschösterreichische Proletariat vertraut auf seine Macht und hofft, dass diese ausreichen wird, auf dem Wege der politischen Demokratie und der organischen Entwicklung den Sozialismus zu verwirklichen." (Aus der Botschaft der SDAPÖ an die ungarische Räteregierung, 1919) 15 In Ungarn war nach dem Ersten Weltkrieg kurzfristig ebenfalls eine Rätebewegung an die Macht gekommen.


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Die wichtigsten Sozialgesetze, die in der Ersten Republik erkämpft wurden: • 8-Stunden-Tag • Betriebsrätegesetz • Arbeiterkammergesetz • Verbot der Kinderarbeit • Mieterschutz • Kollektivvertragsrecht • Unfallversicherung • Krankenversicherung • Arbeitslosenversicherung

DER REVOLUTIONÄRE ELAN FLAUT AB Die Verbesserung ihrer Lebenssituation durch die von der SDAPÖ erkämpften Sozialgesetze trug maßgeblich dazu bei, dass eine breite Mehrheit der ArbeiterInnen diversen kommunistischen Putschversuchen 1919 die Gefolgschaft versagte. Als Modell einer neuen, gerechten Gesellschaft entworfen: Das Rote Wien. Innerhalb weniger Jahre gelang der Sozialdemokratie ein weltweit einzigartiges Projekt. Durch die konsequente Besteuerung der Reichen wurde die Obdachlosigkeit durch kommunalen Wohnbau radikal verringert, die Mieten gesenkt, die grassierenden Seuchen unter Kontrolle gebracht, medizinische Versorgung und Hygiene-Einrichtungen auch für Arme geschaffen, Kindergärten und Schulen gebaut, ein Volksbildungssystem aufgebaut und eine möglichst viele Lebensbereiche umfassende humanistische Gegenkultur der Arbeitenden geschaffen. Ziel war die Erziehung eines neuen Menschen, der den Sozialismus aufrichten sollte. SEITE|21

Das Rote Wien in Bildern; oben: Eröffnung eines Gemeindebaus, mitte: Kinderfreibad, unten: Zentralkinderklinik


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Nachdem außerdem die Arbeiter- und Soldatenräte, die bis dahin quasi eine zweite Regierung gebildet hatten, durch das Betriebsrätegesetz stark an Einfluss verloren hatten, war die bürgerliche Demokratie weitgehend stabilisiert. Damit begann sich aber das Kräfteverhältnis, das bis dahin zugunsten von Sozialdemokratie und Gewerkschaft bestanden hatte, langsam nach rechts zu verschieben. Wie bereits erwähnt, fürchteten die Bürgerlichen besonders den Umstand, dass mit der Volkswehr die bewaffnete Macht im Staat fest in sozialdemokratischer Hand war. Die Soldaten der Volkswehr, fast durchwegs politisch linksstehend, kriegserfahren und schwer bewaffnet, waren der Garant dafür, dass rechte Staatsstreiche vorläufig kaum Aussicht auf Erfolg hatten. Gleichzeitig sahen die Bürgerlichen in der Volkswehr nicht ganz zu Unrecht ein revolutionäres Potential. Denn die zumeist aus ärmeren Schichten der Bevölkerung stammenden Soldaten waren stark radikalisiert und galten somit eher als zweifelhafte Wächter der bestehenden Besitz- und Gesellschaftsordnung. Nachdem die Entente16 dem Wunsch nach einer militärischen Besetzung Österreichs nicht nachgekommen war, wurde Anfang 1919 von konservativen Kreisen vor einem angeblich direkt bevorstehenden Umsturz gewarnt. Damit erreichten sie zumindest, dass die Waffenstillstandskommission die Weisung erließ, die Volkswehr müsse von 56.000 Mann auf höchstens 12.000 reduziert werden. Der Sozialdemokratie gelang es nur, die Umsetzung dieser Weisung noch etwas hinauszuzögern. Mit dem Friedensvertrag von St. Germain wurde der jungen Republik aber endgültig ein Milizheer (in dem die Linke zwangsläufig ein gewichtiges Wörtchen mitzureden gehabt hätte) verboten. Statt dessen durfte Österreich lediglich über ein Söldnerheer ("Berufsarmee") von 30.000 Mann verfügen. Dem flehentlichen Bitten der österreichischen SEITE|22

16 Entente, frz.: Bündnis, bezeichnet alle Staaten, die im Ersten Weltkrieg gegen die "Mittelmächte" Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich (die spätere Türkei) kämpften.

Rechten war somit weitgehend Rechnung getragen worden. Nachdem die Koalition von Christlichsozialen und Sozialdemokratie 1920 zerbrochen war, konnte die neue Regierung in aller Ruhe daran gehen, das Militär von unliebsamen "Roten" zu säubern. Nach den Wahlen 1920, als die Sozialdemokratie ihre 1919 errungene Stellung als stärkste Partei verloren hatte, setzte der linke Flügel der Partei um Otto Bauer den Gang in die Opposition durch. Grund für diese Entscheidung war, dass die Christlichsozialen, die nun den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielten, die Linke aus der Regierung zu werfen, völlig unannehmbare Forderungen stellten, die sich fast ausschließlich gegen die Interessen der ArbeiterInnen richteten. Die Sozialdemokratie, argumentierten Bauer und seine Genossen, würde jegliche Glaubwürdigkeit unter ihren WählerInnen verlieren, wenn sie wirklich zur Vollstreckungsgehilfin einer derartigen Politik würde. Statt dessen, so ihre Überlegung weiter, solle die Partei damit fortfahren, die ArbeiterInnenschaft zu organisieren, um nach dem Erreichen der magischen "Fünfzig Prozent plus einer Stimme" auf demokratischem Weg den Sozialismus zu erlangen. Verkannt wurde dabei, dass die Bürgerlichen im Unterschied zur Sozialdemokratie keinerlei Absicht hatten, sich an demokratische Spielregeln zu halten. Im Gegenteil nützten sie die Chance, den Einfluss der ArbeiterInnenschaft zurückzudrängen, um damit die Voraussetzungen für die Beseitigung der demokratischen Verfassung zu schaffen. Der staatliche Verwaltungsapparat wurde "von Roten befreit", im Bundesheer kehrten wieder die alten k.u.k-Offiziere an die Schalthebel der Macht zurück und um die Erfolge der Sozialdemokratie in der Kommunalpolitik zu untergraben wurde das "Rote Wien" auf dem Wege des Finanzausgleiches monetär ausgehungert. Christlichsoziale und Großdeutsche hatten vor den Wahlen erwogen, die Demokratie mit Hilfe von rechtsradikalen bayrischen und ungarischen Wehrverbänden durch eine Diktatur zu ersetzen. Doch die Mühen eines Putsches waren gar nicht nötig gewesen, jetzt fiel ihnen kampflos in den Schoß, wofür sie andernfalls ein


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erhebliches militärisches Risiko in Kauf nehmen hätten müssen. DIE "SANIERUNG DES STAATSHAUSHALTES" ALS MITTEL IM KAMPF GEGEN DIE ARBEITERINNENBEWEGUNG Wie in ganz Europa war auch in Österreich die Nachkriegsperiode geprägt von einer wirtschaftlichen Talfahrt: Nach 1918 erreichte die Volkswirtschaft in Österreich bis zum "Anschluß" 1938 nie wieder das Niveau von 1913, sie schrumpfte im Gegenteil kontinuierlich. 1918 setzte wie in den anderen europäischen Ländern eine verheerende Inflation (Geldentwertung) ein, die 1922 ihre Höhepunkt erreichte. Von der Inflation betroffen war die breite Mehrheit der LohnempfängerInnen und der SparerInnen (also der Mittelstand), während gleichzeitig die großen Unternehmen zum Teil massiv profitierten: Die Beträge, die Unternehmen vor der Inflation Banken, Privaten und dem Staat geschuldet hatten, waren über Nacht nichts mehr wert; zudem tendierten die effektiven Steuerleistungen während der Inflation gegen Null, weil die christlichsoziale Regierung unter Prälat Ignaz Seipel sich strikt weigerte, die Steuersätze der galoppierenden Geldentwertung anzupassen.

Bundeskanzler Ignaz Seipel (Mitte), Repräsentant des rechten, antidemokratischen Flügels der Christlichsozialen. Nach dem Polizeimassaker anlässlich des Justizpalastbrandes 1927 wird er von seinen GegnerInnen als "Prälat ohne Milde" tituliert

Als Folge dieser Politik wuchsen die Staatsschulden enorm an und um "die Inflation einzudämmen sowie den Staatshaushalt und damit die österreichische Volkswirtschaft zu sanieren", wie Bundeskanzler Seipel meinte, wurde 1922 ein folgenschweres Sanierungskonzept durchgesetzt: Im Rahmen der sogenannten "Genfer Sanierung" wurden Auslandskredite in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen aufgenommen. Damit aber die vom Völkerbund eingesetzte "Österreich-Kommission" der Kreditvergabe zustimmte, verpflichtete sich die österreichische Bundesregierung verschiedene Bedingungen zu erfüllen: x Sanierung des Staatshaushaltes innerhalb von zwei Jahren. x Sondervollmachten der Regierung, damit "die zur Sanierung notwendigen harten Maßnahmen" in den folgenden zwei Jahren auch ohne parlamentarische Kontrolle durchgeführt werden können. x Kontrolle der österreichischen Finanzpolitik durch einen ausländischen "Generalkommissär" mit faktisch diktatorischen Befugnissen. Eine eigenständige österreichische Wirtschaftspolitik war unter solchen Umständen de facto unmöglich. Österreich wurde auf Gedeih und Verderb den ausländischen Geldgebern ausgeliefert. Die Sozialdemokratie kritisierte die "Genfer Sanierung" in der Öffentlichkeit vehement. Im Parlament jedoch beging sie den entscheidenden Fehler, sich bei der Ratifizierung der Sanierungsauflagen der Stimme zu enthalten und damit die notwendige bürgerliche 2/3-Mehrheit zuzulassen. Schon innerhalb eines Jahres wurde ein ausgeglichener Staatshaushalt erreicht, doch die sozialen Folgen der "Genfer Sanierung" waren katastrophal: Durch die Entlassung zehntausender Beamter und die Einhebung neuer Steuern, die vor allem die unteren Einkommen schwer trafen, erfolgte eine rasante Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig hatte die Regierung begonnen, den "sozialen Schutt wegzuräumen" (Prälat Seipel). Damit meinte sie die Sozialgesetzgebung, die von der Sozial-

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demokratie erkämpft worden war und die nun schrittweise abgebaut wurde. Die daraus resultierende soziale Not, verbunden mit einer neuerlichen, ebenfalls durch die Sparpolitik verschuldeten Wirtschaftskrise, führte zu einer Verschärfung der innenpolitischen Auseinandersetzung. Denn in der Krise gingen auch die Unternehmen daran - unterstützt von den Christlichsozialen - die angeblich "exorbitant hohen Löhne" zu drücken. Das hohe Lohnniveau würde, so argumentierten sie, das Wachstum und die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Volkswirtschaft behindern. Bei dieser Behauptung handelte es sich (übrigens ebenso wie in der gegenwärtigen politischen Debatte) um eine glatte Lüge: Im internationalen Vergleich waren die Löhne in Österreich selbst zu Spitzenzeiten äußerst niedrig, sie hatten 1921 gerade erst etwa 40% des Vorkriegsniveaus erreicht. DIE ANFÄNGE DER HEIMWEHR Bereits 1918 und 1919 waren, vor allem in den ländlichen Regionen, in enger Kooperation mit rechten Politikern wie Richard Steidle, Anton Rintelen und Ignaz Seipel bewaffnete reaktionäre Verbände gegründet worden, die sich Namen wie "Heimwehr", "Heimatschutz" oder "Ordnertruppe" gaben. Sie waren ursprünglich dazu gedacht, den Besitz der Bauern vor heimkehrenden Soldaten und der hungernden Stadtbevölkerung zu schützen. Zusätzlich sollten sie vor allem dem "schleichenden Bolschewismus" Einhalt gebieten, womit jegliche sozialdemokratische Agitation unter den LandarbeiterInnen gemeint war.

Finanziert wurden die rechten Trupps anfangs von lokalen Großbauern, Aristokraten, der Kirche und einzelnen Unternehmern. Ihre Befehlshaber setzten sich besonders aus ehemaligen Offizieren und Unteroffizieren sowie aus rechtsstehenden Studenten zusammen. Das Fußvolk bildeten mehrheitlich bezahlte Söldner aus den Reihen der arbeitslosen Landbevölkerung, die von ihren GegnerInnen deshalb spöttisch "5-Schilling-Mandeln" genannt wurden. Als es im Winter 1921 in Wien zu Hungerrevolten kam, beschloss der Hauptverband der Industrie auch in der Hauptstadt einen "Selbstschutz" aufzustellen, für den erhebliche Geldmittel locker gemacht wurden. Dieser antisozialistischen Miliz wurden nun schrittweise die verstreuten, unkoordiniert agierenden Paramilitärs auf dem Land einverleibt. Aus den Schlägertrupps wurde so in den darauf folgenden Jahren eine (stark föderalistisch gegliederte) reaktionäre Privatarmee, die sich schließlich "Heimwehr" nannte. Von ihren Kumpanen in Regierung, Polizei und Justiz unbehelligt und von den Unternehmern finanziert, begannen die selbsternannten Heimatschützer bald flächendeckend die sozialdemokratische ArbeiterInnenbewegung zu terrorisieren. Es handelte sich bei der Heimwehr daher keineswegs, wie heute noch oft behauptet wird, um quasi unpolitische Vereinigungen zur Verteidigung von Hab und Gut. Die "Hahnenschwanzler" kooperierten eng mit deutschen Rechtsradikalen17, ebenso wie mit der konservativen ungarischen Diktatur, die in Budapest die Räteregierung massakriert hatte. In der Heimwehr war politisch fast Söldnertruppe der Besitzenden: Heimwehrabteilung in martialischer Pose im Atelier eines lokalen Fotografen, Westösterreich Anfang der 20er Jahre

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Wegen des markanten Auerhahnstoßes, den sie an ihre Hüte stecken, werden die Heimwehrmänner im Volksmund "Hahnenschwanzler" genannt. In den (rot regierten) Städten sind die Milizionäre verhasst und werden wie hier oft verspottet, sobald sie sich öffentlich zeigen

das gesamte rechte Spektrum vereinigt, von Christlichsozialen und Monarchisten über Deutschnationale bis hin zu organisierten Antisemiten. Die einigende Klammer bildeten der Antimarxismus und der Antiparlamentarismus. Abgesehen von dieser prinzipiellen Einigkeit herrschten innerhalb der Heimwehr und ihren Gönnern aber unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Richtung die "Bewegung" einschlagen sollte. Die christlichsozial dominierten Verbände in Vorarlberg und Tirol kritisierten die ihrer Meinung nach zu enge Zusammenarbeit mit den bayrischen Monarchisten und den sich formierenden deutschen Nazis. Andererseits standen die "völkischen" (d. h. deutschnationalen) Landesorganisationen in Wien, Kärnten und Teilen der Steiermark einer stärkeren Einbindung der Christlichsozialen ablehnend gegenüber. Diese und andere Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Heimwehr arteten mit der Zeit zu derartigen Streitigkeiten aus, dass den Geldgebern schließlich Zweifel kamen, ob ihre Investitionen in diesen zerstrittenen Haufen sinnvoll angelegt seien. Besonders die Industriellen waren ausschließlich an einer rein militärischen Formation unter einZu den deutschen Partnern der Heimwehr zählte etwa die "Orgesch" ("Organisation Escherich"), eine reaktionäre Terrororganisation, die prominente SozialistInnen wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet hatte.

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heitlicher Leitung interessiert und nicht an einem völlig zerstrittenen Sammelsurium relativ eigenmächtig agierender Landesorganisationen. Neben der Verärgerung ihrer Sponsoren machten der Heimwehr zusätzlich bald die Nazis zu schaffen, die auch in Österreich Anfang der 20er Jahre begannen, Anhänger um sich zu scharen und nach deutschem Vorbild zu organisieren. Denn die Braunen, für die viele in der Heimwehr politisch durchaus Sympathien hegten, waren mit zunehmender Größe mehr und mehr eine Konkurrenz geworden - sowohl was die finanziellen Zuwendungen der Unternehmen betraf, als auch im Bezug auf die kleinbürgerlichen Schichten, die man ansprechen und organisieren wollte. DIE FRÜHPHASE DER ÖSTERREICHISCHEN NAZIS Die Vorläuferin der NSDAP bildete in Österreich eine 1904 gegründete Splittergruppe, die "Deutsche Arbeiterpartei". Sie hatte ihre Hochburg ursprünglich im Sudetengebiet und richtete sich in erster Linie gegen TschechInnen, die auf der Suche nach Arbeit in die bis dahin deutsch dominierten nordböhmischen Industriezentren der Monarchie strömten. Die internationalistisch orientierte Sozialdemokratie bemühte sich um ein solidarisches Vorgehen von deutschen und tschechischen ArbeiterInnen: Gemeinsam sollten sich die Betroffenen gegen die Politik der Unternehmen zur Wehr setzen, die Löhne zu drücken, indem weitgehend rechtlose (mehrheitlich tschechische) Billigarbeitskräfte beschäftigt wurden. Statt "Tschechen raus" lautete die sozialdemokratische Parole "gleicher Lohn für Alle". Die DAP dagegen versuchte, die Schuld am Lohndumping den ausgebeuteten tschechischen ArbeiterInnen in die Schuhe zu schieben. In ihrer Propaganda hetzte die Partei gegen "Slawen", die "... trachten, im Bündnis mit dem jüdischen Finanzkapital dem deutschen Arbeiter seine Existenzgrundlage zu rauben." Obwohl die Sozialdemokratie bei weitem die stärkste Partei blieb, erlangte die DAP besonders unter deutschsprachigen Facharbeitern und Beamten beachtlichen Einfluss.

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Nach dem Ersten Weltkrieg fiel das Sudetenland an die neugegründete Tschechoslowakei. Die nunmehrige Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) verkraftete den Verlust aber verhältnismäßig gut. Das hing vor allem mit der Rückwanderung deutschsprachiger BeamtInnen aus der gesamten ehemaligen Monarchie ins kleine Österreich zusammen. Unter ihnen befanden sich viele Sympathisanten der NS-Ideologie, die nun eine wichtige Rolle bei deren Verbreitung spielten. Bei den Parlamentswahlen 1920 erreichte die DNSAP zwar nur 34.000 Stimmen, damit übertraf sie aber deutlich ihr gesamtösterreichisches Ergebnis bei den Reichsratswahlen von 1911. Auch wenn es für den Einzug in den Nationalrat bei weitem nicht reichte, war der Erfolg für eine kleine Splittergruppe aber ganz beachtlich.

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Den Vorstellungen der Parteiführung genügten Achtungserfolge allerdings nicht. Aus ihrer Sicht kamen die Nazis in Österreich wie ihre Schwesterpartei in Deutschland nicht recht vom Fleck. Es wurden öffentliche Veranstaltungen organisiert, die samt und sonders eher geringen Zuspruch fanden, einzig ihre antisemitische Propaganda, radikaler und aggressiver als jene der Großdeutschen und Christlichsozialen, war in Maßen erfolgreich. Ein echter Aufschwung setzte erst drei Jahre später mit der Wirtschaftskrise ein, die durch die "Genfer Sanierung" hervorgerufen worden war. 1923 verdreifachten sich die Mitgliederzahlen und übertrafen nach eigenen Angaben die Marke von 30.000 Personen. In der Zwischenzeit waren auch in Österreich nationalsozialistische Milizen gebildet worden, die sich vor allem Straßenschlachten mit sozialdemokratischen ArbeiterInnen lieferten. Man orientierte sich zunehmend am Beispiel der NSDAP in Deutschland, übernahm sowohl deren "aktivistische" Propaganda als auch das uniforme, gewalttätige Auftreten - "münchnerisch reden" wurde zum geflügelten Wort für die eigene Gewalt auf der Straße. Doch nicht nur Propaganda und Auftreten änderten sich, auch das Wesen der Partei erfuhr einen tiefgehenden Wandel: War sie bisher weder klar antidemokratisch noch nach dem Führerprinzip organisiert gewesen, ent-

wickelte sich die "normale" Rechtspartei nun schrittweise zu einer Bewegung im faschistischen Sinne. Das kurze Hoch war vorüber, als in München Hitlers Putschversuch scheiterte. Nun fehlte es der bisher vor allem aus Bayern finanzierten österreichischen NSPartei an Geld, hinzu kam ein Streit innerhalb der Führung, der schließlich in einer Spaltung mündete. Fortan gab es eine "Hitlerbewegung", die sich vollends als österreichischer Ableger der NSDAP verstand, und eine "Schulz-Richtung", die erfolglos zur ursprünglichen Form der DAP zurückzufinden versuchte. Selbst der beginnende Niedergang der Großdeutschen Partei half den österreichischen Nazis nicht aus ihrer Misere. Sie wurden im Gegenteil mit in die politische Versenkung gezogen, in der sie nun auf Jahre verschwanden. Während die politischen Parteien der Deutschnationalen vor sich hindümpelten, traf das auf ihre Verbände nicht zu. Besonders Sportvereine wie der noch immer existierende Deutsche Turnerbund (statt "DTB" nennt sich der Turnerbund in Österreich heute allerdings "ÖTB") waren hochaktiv. Hier wurde keineswegs nur geturnt, sondern politische Schulungsarbeit betrieben, "völkisches" und antisemitisches Gedankengut verbreitet. Die deutschnationalen Organisationen arbeiteten eng mit Nazis und Heimwehren zusammen, weil sie ihrem Selbstverständnis nach nicht nur national, sondern auch explizit bürgerlich und antisozialistisch waren. DIE LINKE REAGIERT AUF DIE GEFAHR VON RECHTS Die beiden faschistischen Gruppierungen waren aufgrund ihrer internen Streitereien bis Mitte der 20er Jahre relativ schwach. Trotzdem stellten die Stoßtrupps von Nazis und Heimwehr für die ArbeiterInnenbewegung eine durchaus ernstzunehmende Gefahr dar. Vor allem deshalb, weil Sozialdemokratie und Gewerkschaften außerhalb der Großstädte (besonders Wien und Linz) sowie der Industrieregionen (MurMürz-Furche, Hausruckviertel, Salzkammergut, niederösterreichisches Industrieviertel, usw.) über ver-


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MG-Abteilung der Heimwehr. Die schwere Bewaffnung der Heimwehr ruft in der Linken mit gutem Grund Besorgnis hervor. Neben Infanteriewaffen in Hülle und Fülle verfügen die Hahnenschwanzler über einige hundert Geschütze und sogar über Flugzeuge

hältnismäßig schwache Strukturen verfügten. Es war offensichtlich, dass die Rechte in Österreich - ähnlich wie in Deutschland - intensiv aufrüstete. Am Beispiel der Nachbarländer war deutlich, dass die regelmäßigen rechten Übergriffe nur die Vorboten einer weit gefährlicheren Entwicklung sein konnten. Um einer etwaigen militärischen Offensive der Bürgerlichen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, wurde deshalb 1923 eine eigene sozialdemokratische Wehrformation gegründet, der "Republikanische Schutzbund". Bereits im Herbst 1923, lange vor dem Bürgerkrieg im Februar 1934, kam es zu ersten bewaffneten Zusammenstößen. Dutzende Auseinandersetzungen folgten in den nächsten Jahren, bei fast allen waren Provokationen der Heimwehren die Ursache. Wenn heute also in der historischen Betrachtung der 20er Jahre die Rede ist von zwei sich feindlich gegenüberstehenden Parteiarmeen, die hochrüsteten, um irgendwann übereinander herfallen zu können, so ist das unwahr: Die rechten Militärverbände hatten früher existiert, waren wesentlich besser ausgerüstet und ihre Mitglieder bezogen mehrheitlich Gehalt. Vor allem aber waren die Heimwehr und ihre Verbündeten von Beginn an aggressiv gegen alles, was sie für "marxistisch" hielten, vorgegangen, hatten Streiks niedergeschlagen, linke Veranstaltungen gesprengt und ArbeiterInnen angegriffen. Der Republikanische Schutzbund war eine Antwort auf den rechten Terror, nicht dessen Ursache. Im Vergleich zu den Heimwehren war der Schutzbund armselig bewaffnet, seine Einheiten bestanden aus Freiwilligen, die sich ihm in einem Akt kollektiver Notwehr an-

schlossen. Der Schutzbund griff nie - wie die Heimwehr systematisch Veranstaltungen politischer GegnerInnen oder deren Einrichtungen an. Er war von Anfang an eher dazu gedacht eine Art Drohkulisse zu bilden, um die Bürgerlichen von Angriffen abzuhalten, als tatsächlich eine Bürgerkriegsarmee im herkömmlichen Sinn darzustellen.

Arbeiterselbstschutz vor einem bestreikten Betrieb, 1923. Um sich gegen die dauernden rechten Attacken zur Wehr setzen zu können, werden allerorts Arbeiterwehren gegründet, die sich 1923 zum Republikanischen Schutzbund zusammenschließen

DIE HEIMWEHR SCHWÄCHELT Als auf die Wirtschaftskrise von 1923 ein fast vier Jahre anhaltender wirtschaftlicher Aufschwung folgte und sich die gespannte innenpolitische Situation in dieser Zeit etwas entschärfte, half das der krisengeschüttelten Heimwehr wenig, im Gegenteil. Die Geldgeber, deren panische Angst vor linken Umsturzversuchen etwas abgenommen hatte, hielten sich jetzt mit Zuwendungen eher zurück. Auch die christlichsozialen Politiker begannen nun, da keine unmittelbare Gefahr von den "Roten" mehr drohte, das Treiben der Heimwehren zunehmend misstrauisch zu beobachten. Einerseits, weil ihnen der Einfluss der antiklerika-

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len Deutschnationalen nicht geheuer war. Andererseits, weil einzelne Heimwehr-Führer immer stärker versuchten, aus dem bewaffneten Haufen eine politische Gruppierung im herkömmlichen Sinn zu machen und eigenständige Politik zu betreiben - damit bestand die Gefahr einer Konkurrenz zu den Christlichsozialen. Die Unterstützung durch Industrie und Christlichsoziale Partei in den wirtschaftlich relativ stabilen Jahren bis 1927 blieb also relativ gering. Weil außerdem die internen Widersprüche nicht bewältigt werden konnten, geriet diese Zeit so gar nicht nach dem Geschmack der selbsternannten Retter des Vaterlandes. Die Heimwehren lieferten sich zwar regelmäßig gewalttätige Auseinandersetzungen mit ArbeiterInnen bzw. dem Republikanischen Schutzbund, ein maßgeblicher politischer Faktor waren sie aber nicht. DER JUSTIZPALASTBRAND UND SEINE FOLGEN Im Jahr 1927, nach langen Jahren des Kleinkrieges, eskalierte die Situation dann unvermittelt. Im Jänner dieses Jahres wurde im burgenländischen Ort Schattendorf eine sozialdemokratische Versammlung von Rechtsradikalen beschossen. Ein Kriegsinvalide und ein Kind wurden getötet, mehrere andere schwer verletzt. Sechs Monate später, am 14. Juli 1927, wurden die Täter vor Gericht freigesprochen. Auf das "Schandurteil von Schattendorf" folgten spontane Streiks und Demonstrationen der ArbeiterInnen in ganz Österreich. In Wien wurde von der wütenden Menge der Justizpalast als Symbol der verhassten Klassenjustiz in Brand gesteckt.

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Klassenjustiz Die Justiz der jungen Republik war keineswegs unabhängig. Während Arbeitende bereits bei geringen Vergehen mit drakonischen Strafen rechnen mussten, wurden Besitzende selbst bei von ihnen begangenen Kapitalverbrechen äußerst schonend behandelt. Gut illustriert wird das durch die ersten beiden Urteile nach Wiedereinführung der Todesstrafe durch Dollfuß im Jahr 1933. Der erste Fall betraf den Sohn eines reichen Bauern, Breitwieser (Bild unten links). Er hatte seine von ihm geschwängerte Magd ermordet und wurde von einem Standgericht zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Das zweite Verfahren befasste sich mit Peter Strauß, einem geistig und körperlich behinderten Taglöhner (Bild unten rechts). Er hatte angeblich, nachdem er von einem Bauern von dessen Hof verjagt worden war, als Rache dessen Heustadel angezündet. Der entstandene Schaden betrug 2.500 Schilling. Mehrere Indizien deuteten auf einen Versicherungsbetrug des Eigentümers hin, dennoch wurde durch die Polizei von vornherein nur Strauß als Täter in Betracht gezogen. Das Gericht verhängte, obwohl niemand verletzt worden war, die Todesstrafe. Strauß wurde gehenkt.


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Auf Befehl des großdeutschen Wiener Polizeipräsidenten Schober eröffnete die Polizei daraufhin das Feuer auf die unbewaffneten Menschen. 18 Die Folge war ein Blutbad mit mehr als 80 Toten. Zusätzlich verschärft wurde die Situation durch die Haltung von Bundeskanzler Seipel. Der Prälat forderte öffentlich dazu auf, "gegen die Aufrührer keine Milde" walten zu lassen. Sozialdemokratie und Gewerkschaften antworteten mit einem Verkehrsstreik, der ganz Österreich lahm legen sollte.19 Für die Heimwehr bedeutete das eine ungeheure Chance, die sie zu nutzen wusste: Ihre Propaganda erklärte den aufgeschreckten, verstörten Bürgerlichen, nun zeige "der Bolschewismus sein wahres Gesicht: Terror, Blut und Umsturz". Gegen den Streik müsse man energisch vorgehen, ansonsten werde "der Bolschewismus aus dem Roten Wien auf ganz Österreich übergreifen." Mehrere Aspekte dieses Massakers lassen darauf schließen, dass die Situation nicht "einfach eskalierte". Schober wollte - mit der ausdrücklichen Billigung Seipels - vermutlich ein Exempel bürgerlicher Macht statuieren. So wurde die Polizei entgegen den sonstigen Gepflogenheiten im Vorfeld extra vom Bundesheer mit Militärkarabinern ausgerüstet. Das Feuer wurde darüber hinaus nicht in Notwehr eröffnet, sondern zu einem Zeitpunkt, als die Situation um den Justizpalast schon begonnen hatte, sich zu beruhigen und der Republikanische Schutzbund gerade daran gehen wollte, die Demonstration endgültig aufzulösen. 19 Anhand dieses Verkehrsstreiks wurde zum ersten Mal deutlich, dass die Zermürbungstaktik der Bürgerlichen und das permanente Zurückweichen der Sozialdemokratie unter deren AnhängerInnen nicht ohne Folgen geblieben war: Vor allem in Westösterreich wurde der Streikaufruf von Beginn an nicht flächendeckend befolgt. 18

Das "Schandurteil von Schattendorf" ruft unter ArbeiterInnen eine Welle der Empörung hervor. Es kommt überall in Österreich zu spontanen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen (Bild oben links). In Wien wird am 15. Juli 1927 der Justizpalast angezündet - als Symbol eines Rechtssystems, für das Arbeitende Menschen zweiter Klasse sind. Die Polizei schießt in die unbewaffnete Menge und richtete ein Blutbad an. Bilanz: über 80 Tote, mehrere hundert Verletzte (Bild oben rechts)

Der Justizpalastbrand wird in der Folge von Christlichsozialen und Heimwehr erfolgreich dazu benützt, antisozialistische Ressentiments zu schüren. Wahlplakat von 1930

Die Panikmache hatte Erfolg. Breite Teile der Mittelschichten und der bäuerlichen Bevölkerung wurden mobilisiert und forderten ebenfalls ein hartes Durchgreifen - und die Gelder der Industrie sprudelten wieder. Der ausgerufene Streik wurde zum Desaster. In den westlichen und südlichen Bundesländern gingen Exekutive und Heimwehr gemeinsam gegen die Streikenden vor, binnen weniger Tage brach der gesamte Arbeitskampf bundesweit zusammen.

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Exekutive und Heimwehr machen bei der Niederschlagung des Verkehrsstreiks, der als Antwort auf das Massaker beim Justizpalastbrand 1927 ausgerufen wurde, gemeinsame Sache. Der Streik wird binnen kurzer Zeit erfolgreich abgewürgt

Übrig blieben eine geschlagene Sozialdemokratie und eine ungeheuer gestärkte Heimwehr, die einen beachtlichen Mitgliederzuwachs verzeichnen konnte und sich von nun an noch besserer Beziehungen zu Polizei und Militär erfreute. Mit dem wiedergewonnenen Selbstbewusstsein der Heimwehr ging auch ein neuer Machtanspruch einher. Heimwehrführer Steidle, ein deklarierter Faschist, und sein Stellvertreter, der zum Nazismus neigende Führer der steirischen Heimwehr Walter Pfrimer, ließen in einem Memorandum an den ungarischen Ministerpräsidenten István Bethlen im Frühjahr 1928 wissen, die Heimwehr könne und wolle "sich nicht mit der Rolle begnügen, als drohender Kettenhund auf der Wacht zu liegen und zu kuschen bis der Hundebesitzer, d. h. in diesem Falle die bürgerlichen Parteien ihn, wie am 15. Juli 1927, einmal loslassen um ihn dann sofort nach getaner Arbeit gegen den Dieb wieder an die Kette zu legen, sondern sie wollen mitreden bei der Gestaltung des Staates."20 Durch den enormen Zustrom neuer Mitglieder sei es nun möglich, Ernst zu machen und zusätzliche bewaffnete Einheiten aufzustellen, wurde dem Ungarn mitgeteilt - allein, es mangle an Geld. Ob nicht die ungarischen Freunde da ein wenig aushelfen könnten? Sowohl das autoritär regierte Ungarn als auch das faschistische Italien waren damals an einer rechten Diktatur in Österreich interessiert. Nun sahen sie die SEITE|30 20 Zitiert nach: Kerekes, Lajos 1966: Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr, Wien-Frankfurt-Zürich, S 15

Möglichkeit, dieses Ziel mit Hilfe der Heimwehren umzusetzen. Zur Vorbedingung für größere Subventionen machten sie daher eine schriftliche Erklärung der Heimwehrführer, in der sich diese verpflichteten, die österreichische Verfassung bis spätestens März 1930 zu beseitigen und "die Stadt Wien völlig auszuräuchern". Nachdem sie eine entsprechende Erklärung wunschgemäß unterzeichnet hatten, gingen nun die Heimwehrführer im Sommer 1928 daran - finanziert durch österreichische Banken und Industrielle, mit zusätzlichen Mitteln und Waffen aus Italien und Ungarn versorgt - konkrete Putschpläne zu entwerfen. Mit Rat und Tat standen ihnen dabei der Wiener Polizeipräsident Schober und Verteidigungsminister Vaugoin zur Seite. Die Pläne sahen vor, durch Heimwehraufmärsche in roten Hochburgen Zwischenfälle zu provozieren, die als Anlass zum Bürgerkrieg dienen sollten. Gleichzeitig wollte man versuchen, für die Heimwehren unter ArbeiterInnen zu werben, um der Militärformation von Mittel- und Oberschicht auch tatsächlich eine Massenbasis in den Städten zu verschaffen. Dem beabsichtigten Bürgerkrieg, den die Heimwehr gemeinsam mit dem Bundesheer und Polizeieinheiten zu gewinnen gedachte, würde schließlich nicht nur die Sozialdemokratie, sondern das ganze parlamentarische System zum Opfer fallen. Mehrere Aufmärsche der Heimwehren hatten zwar Gegenmobilisierungen des Schutzbundes zur Folge, führten aber nicht zu den erhofften ernsteren Zwischenfällen. Deshalb wurde seitens der Heimwehrführung versucht, durch politischen Druck auf die Christlichsoziale Partei die Demokratie "friedlich" abschaffen zu lassen. Die Führer der Christlichsozialen, besonders Seipel, waren durchaus willig, mit der Heimwehr zu kooperieren. Allerdings nur in genau der Rolle, die sie selbst nicht mehr spielen wollte: als Kettenhund gegen die Sozialdemokratie bereit zu stehen. Ähnlich wie in Italien und Deutschland wollten die etablierten bürgerlichen Kreise auch hierzulande den Faschismus als Waffe gegen die ArbeiterInnen-


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Um einen Bürgerkrieg zu provozieren veranstaltet die Heimwehr 1928 und 1929 im ganzen Land Aufmärsche und greift sozialdemokratische Einrichtungen an ·

bewegung benutzen, ohne die Kontrolle über ihn zu verlieren. Nachdem Seipel nur zu gut wusste, dass er den Umbau Österreichs zu einer Heimwehr-Diktatur politisch kaum überleben würde, schlug er das Ansinnen ab, die Demokratie auf dem Gesetzesweg zu beseitigen. Im Frühjahr 1929 kam es wegen der fatalen wirtschaftlichen und sozialen Situation in Österreich zu einer Regierungskrise. Seipel trat zurück, ihm folgte der einflussreiche Industrielle Streeruwitz. Wie sein Vorgänger stand Streeruwitz den Putschplänen der Heimwehr reserviert gegenüber und sah in ihr eher eine Gefahr als einen Verbündeten. Der neue Kanzler war daher bemüht, den Einfluss der Heimwehr zurückzudrängen, indem er ihre Geldgeber aus der Industriellenvereinigung dazu veranlasste, die Zuwendungen zu drosseln. Zusätzlich versuchte er, durch einen Rechtsruck der Christlichsozialen Partei, den Heimwehren auch ideologisch den Wind aus den Segeln zu nehmen. Durch Masseneintritte von Christlichsozialen sollte außerdem der bürgerliche Einfluss

auf den schnell wachsenden Heimwehrapparat gewährleistet bleiben. Doch die Heimwehr hatte zu diesem Zeitpunkt eine Stärke erreicht, die es ihr ermöglichte, Streeruwitz die Stirn zu bieten und ihn schließlich nach wenigen Monaten zu stürzen. Johann Schober, der "Wiener Bluthund" von 1927, wird nach dem Sturz von Streeruwitz neuer Bundeskanzler. Ihm traut die Heimwehr die angestrebte Beseitigung der Demokratie zu

Sein Nachfolger war Schober, in den die Heimwehr große Hoffnungen setzte. Nach ihren Vorstellungen sollte Schober durch eine neue, autoritäre Verfassung aus der Republik den "Heimwehr-Staat der Stände" machen. Der neue Bundeskanzler hatte außerdem bewiesen, dass er kaum Skrupel haben würde, in bewährter Manier eventuelle Widerstände der Sozialdemokratie gegen die Errichtung einer Diktatur zu brechen.

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DIE HEIMWEHR VOR DER SELBSTAUFLÖSUNG Relativ bald wurde aber klar, dass Schober die Konfrontation mit der Sozialdemokratie noch nicht riskieren wollte. Er unternahm zwar nichts gegen die permanenten Provokationen und Übergriffe der Heimwehr, war aber nicht bereit, gemeinsam mit ihr loszuschlagen. Die Heimwehr, Bankiers wie Baron Louis Rothschild und der rechte Flügel der Christlichsozialen sahen ihre Felle davonschwimmen und drängten zur Offensive. Sie befürchteten zu Recht, die Heimwehr könnte ihre Stoßkraft verlieren und durch interne Konflikte zerrieben werden, wenn mit dem "Entscheidungsschlag" noch lange zugewartet werden würde. Aber Schober gab nicht nach und machte sowohl den aus-, wie den inländischen Gönnern der Heimwehr erfolgreich klar, er würde ihre Interessen allemal besser vertreten und die Abschaffung der Demokratie sei nur aufgeschoben, keinesfalls aufgehoben. Als daraufhin die Heimwehr-Finanzen wieder empfindlich reduziert wurden, zeigte sich, wie sehr deren Stärke von den Zuwendungen der herrschenden Eliten abhing. Über eine entsprechende Massenbasis verfügte die Faschistentruppe nur, so lange sie ihre Anhänger angemessen bezahlen konnte. Sie war demnach durch die Abhängigkeit von ihren Geldgebern rein praktisch gar nicht in der Lage, eigenständige Politik zu betreiben. Sozialstruktur der Heimwehr

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Herkunft d er H eimwehr-M M itglieder n ach B erufsgruppen Bäuerliche Bevölkerung Alte [städtische] Oberschichten der Habsburgermonarchie Industrie- und Gewerbearbeiter

20% 10%

Die Heimwehr war - trotz ihres Anspruchs eine "Volksbewegung" zu sein - eine bäuerliche Bewegung mit starkem Rückhalt im städtischen Bürgertum

Aber selbst wenn: welche Politik? Wie bereits dargestellt, war die Heimwehr ein bunter Haufen reaktionärer Kräfte aller Schattierungen. In ihr versammelten sich Deutschnationale, Nazis, Christlichsoziale und Monarchisten, die nur vom Ziel zusammengehalten wurden, "dem Marxismus" den Garaus zu machen. Jetzt, wo der finanzielle Spielraum geringer wurde, musste die Heimwehr ihre öffentliche Agitation massiv einschränken. Dafür war nun Zeit, interne Rechnungen zu begleichen - es entbrannten die lange schwelenden Konflikte zwischen den verschiedenen Fraktionen innerhalb der Heimwehr. Der Flügel um Bundesführer Steidle weigerte sich, mit der Christlichsozialen Partei ganz zu brechen, während die Deutschnationalen und Nazis um den steirischen Heimwehrführer Pfrimer für einen Zusammenschluss mit den Nazis waren. Ein Versuch, die politischen Grabenkämpfe zu beenden und zu einer gemeinsamen Ideologie zu finden, war der "Korneuburger Eid". Im Rahmen eines HeimwehrAufmarsches im Mai 1930 im niederösterreichischen Korneuburg21 schworen die versammelten Heimwehrführer und ihre Gefolgschaft einen faschistischen Eid. Der ungarische Historiker Lajos Kerekes urteilt darüber: "Der Text des Eides war eine komprimierte Zusammenfassung aller antidemokratischen geistigen Strömungen der 20er Jahre." Mit anderen Worten: Für jede unterschiedliche ideologische Richtung innerhalb der Heimwehr sollte etwas dabei sein - ein ideologiOrganisiert hatte das Treffen in Korneuburg übrigens der "verdiente Demokrat" und damalige niederösterreichische HeimwehrLandesführer Julius Raab. Aufgrund seiner faschistischen Vergangenheit hielten die Alliierten nach 1945 Raab zunächst für ungeeignet, ein hohes politisches Amt zu bekleiden und verhinderten deshalb seine Ernennung zum Regierungsmitglied.

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Q u e l l e : New York Times, 2. 12. 1928, Zitiert nach: Botz, Gerhard 1980: Soziale Basis und Typologie der österreichischen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich, in: Perz, Bertrand u. a. (Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien, S 21.


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Der Korneuburger Eid im Wortlaut "Wir wollen Österreich von Grund aus erneuern! Wir wollen den Volksstaat des Heimatschutzes. Wir fordern von jedem Kameraden: den unverzagten Glauben ans Vaterland, den rastlosen Eifer der Mitarbeit und die leidenschaftliche Liebe zur Heimat. Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohle des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen. Wir müssen eigenen Vorteil vergessen, müssen alle Bindungen und Forderungen der Parteien, müssen unsere Kampfziele unbedingt unterordnen, da wir der Gemeinschaft des deutschen Volkes dienen wollen! Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat! Wir wollen an seine Stelle die Selbstverwaltung der Stände setzen und eine starke Staatsführung, die nicht aus Parteienvertretern, sondern aus den führenden Personen der großen Stände und aus den fähigsten und bewährtesten Männern unserer Volksbewegung gebildet wird. Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und liberal-kapitalistische Wirtschaftsgestaltung. Wir wollen auf berufsständischer Grundlage die Selbstverwaltung der Wirtschaft verwirklichen. Wir werden den Klassenkampf überwinden, die soziale Würde und Gerechtigkeit herstellen. Wir wollen durch eine bodenständige und gemeinnützige Wirtschaft den Wohlstand unseres Volkes heben. Der Staat ist die Verkörperung des Volksganzen, seine Macht und Führung wacht darüber, dass die Stände den Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft eingeordnet bleiben. Jeder Kamerad fühle und bekenne sich als Träger der neuen deutschen Staatsgesinnung; er sei bereit, Gut und Blut einzusetzen, er erkenne die drei Gewalten: den Gottesglauben, seinen eigenen harten Willen, das Wort seiner Führer!"

sches Flickwerk sollte zum programmatischen Prunkteppich werden. Der Nutzen dieses Manövers war daher naturgemäß eher gering, nur kurze Zeit später entflammten die Auseinandersetzungen von Neuem. Plötzlich zog aber ein taktischer Schritt Schobers die Aufmerksamkeit der Streithähne auf sich: Um ausländische (besonders westliche) Geldgeber zu beruhigen, hatte Schober öffentlich ein Gesetz zur Entwaffnung der paramilitärischen Verbände vorgeschlagen. Davon betroffen sollten die Heimwehren nur auf dem Papier sein, der Vollzug des Gesetzes hätte ausschließlich den Republikanischen Schutzbund betroffen, wie den Heimwehrführern vom Bundeskanzler schon vorab versichert worden war. Trotzdem lehnten sie den Entwurf mit viel Getöse kategorisch ab und behaupteten, Schober stecke mit der Linken unter einer Decke und sei ein Feind der Heimwehr. Als Ersatz für den Verlust Schobers als mächtigen Fürsprecher wollte die Heimwehr bei der anstehenden Neubestellung des Bundesbahnpräsidenten einen Gewährsmann ins Amt hieven: Der Direktor der Grazer Verkehrsbetriebe, Strafella, sollte in der Chefetage der Eisenbahn Sorge dafür tragen, dass die "Reorganisation" der Eisenbahn möglichst schnell und reibungslos vonstatten ginge. Gemeint war damit, die Bahn von jeder sozialdemokratischen Einflussnahme zu säubern, um ungestört Waffen- und Truppentransporte der Heimwehren bewerkstelligen zu können. Strafella schien hierfür genau der Richtige zu sein, hatte er sich doch als ehemaliger Chef der Grazer Verkehrsbetriebe beim Abwürgen von Streiks schon mehrfach bewährt und galt als untadeliger Sozihasser. Die Sozialdemokratie teilte diese Einschätzung und machte eine Korruptionsaffäre während der Inflationszeit publik, an der Strafella maßgeblich beteiligt gewesen war. Schober setzte eine Untersuchungskommission ein; nachdem diese die sozialdemokratischen Vorwürfe bestätigte, war Strafella in der Öffentlichkeit moralisch erledigt. Als wäre diese Niederlage

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Der nunmehrige Bundesführer der Heimwehr, "Fürst" Rüdiger Starhemberg in Feldherrenpose. Nach dem Ersten Weltkrieg hat er sich in rechtsradikalen Zirkeln in Deutschland umgetan, kämpfte in den berüchtigten "Freikorps" für die großdeutsche Sache und nahm am Naziputsch 1923 in München teil

für die Heimwehrführung nicht schon bitter genug gewesen, ging nun Schober seinerseits zum Generalangriff über. Er begann, die ihm feindlich gesinnte Führungsriege der Heimwehr zu demontieren, um sie durch einen Mann seines Vertrauens, den jungen Fürsten Starhemberg, zu ersetzen. Unterstützt von den italienischen Geldgebern wurde der bisherige Bundesführer Steidle gestürzt,22 allerdings täuschte sich der große Intrigant Schober in der Treue seines neuen Gefährten Starhemberg. Als nämlich der rechte Flügel der Christlichsozialen um Seipel und Carl Vaugoin überraschend an der Ernennung Strafellas zum Bundesbahnpräsidenten festhielt und zwei Bundesminister auf Schobers Weigerung dem nachzukommen zurücktraten, war damit die gesamte Regierung am Ende. Mit der Bildung einer Übergangsregierung wurde Schobers Erzrivale Vaugoin beauftragt. Und der schanzte das damals wichtigste Ministerium, jenes für Innere Angelegenheiten, zur allgemeinen Überraschung ausgerechnet Starhemberg zu. Dessen Aufgabe als frischgebackener Innenminister wäre die Vorbereitung der Neuwahlen gewesen. Doch schon vor dieser Wahl legte sich der neue Heimwehrführer in einer öffentlichen ProSEITE|34

Als formaler Grund für den Sturz diente die zwielichtige Verwendung italienischer Fördermittel, für die Steidle verantwortlich gewesen war.

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klamation fest: Egal, wie das Wahlergebnis aussehen würde, sein fester Wille sei die Zerschlagung des parlamentarischen Systems und die Errichtung eines "Heimwehrstaates".23 Die faschistischen Heimwehren bedrohten damit aber nicht nur die Demokratie. Sie machten darüber hinaus auch gegenüber ihren bürgerlichen Gönnern in den Reihen der Christlichsozialen klar, dass es mit der Rolle als deren Kettenhund vorbei wäre. In einem Anfall maßloser Selbstüberschätzung beschloss die Heimwehr, bei den Parlamentswahlen als "Heimatblock" selbst zu kandidieren. Der Wahlkampf des Heimatblocks 1930 war in Form und Inhalt konsequent faschistisch. Von Kanzler Vaugoin stillschweigend toleriert, kam es zu permanenten Provokationen und Übergriffen gegen die Sozialdemokratie. Dass aber auch die Christlichsozialen sich letztlich vor der Heimwehr nicht sicher fühlen durften, bewiesen neuerliche Putschpläne24. Im Rahmen eines militärischen Handstreichs, dessen Details einer der höchsten Offiziere des Bundesheeres, General Ellison, für die Heimwehr ausgearbeitet hatte, sollte Vaugoin gestürzt werden und Starhemberg zum Diktator gemacht werden. Das Vorhaben scheiterte allerdings an der mangelnden Unterstützung durch Ungarn und Italien, die das Unternehmen an Bundeskanzler Vaugoin verrieten. Das Ergebnis der Wahl schließlich war für Starhemberg und seine Recken niederschmetternd: Die SDAPÖ wurde mit Abstand zur stärksten Partei, der "Heimatblock", der sich während des Wahlkampfes zum "einzigen Wahrer nationaler Interessen" stilisiert hatte, errang von insgesamt 165 Mandaten im neuen Parlament jämmerliche acht Plätze. In seinen Memoiren schrieb Starhemberg später über seine neuen ministeriellen Würden: "Ich gestehe offen, dass ich in das Kabinett Vaugoin mit der Absicht eintrat, einen Staatsstreich zuwege zu bringen. (...) Obwohl ich vorhatte für einen Staatsstreich zu arbeiten, wollte ich gleichzeitig loyal gegenüber Vaugoin bleiben und den Staatsstreich mit seiner Mitarbeit und der Armee durchführen." 24 Später bekannt geworden unter der Bezeichnung "Ellison-Putsch". 23


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Sozialdemokratisches Spottlied auf die Kandidatur des "Heimatblocks" bei den Nationalratswahlen 1930 (nach der Melodie von Prinz Eugen): Starhemberg, der edle Ritter Starhemberg, der edle Ritter, Wollt´ den Kaiser wied´ rum kriegen Österreich und die Stadt Wien. Los auf Wien tut er marschieren, Wird die Sozi malträtieren Bis sie liegen auf den Knien.

Die angekündigte "Reorganisation" der Heimwehr erwies sich als erneutes Ausbrechen von Flügelkämpfen zwischen deutschnationalen und katholisch-reaktionären Elementen, die beinahe das Ende der Heimwehr eingeläutet hätten.

Starhemberg, der edle Ritter, Lernte putschen bei Herrn Hitler, Und er lernte rasch und gleich, Und so war nach kurzer Frist er Jüngster Polizeiminister In dem Staate Österreich. Starhemberg, du edler Ritter, Im November wird es bitter, Denn dann geht das Volk ans Werk. Donnernd dröhnt der Massen Wille Und du gehst in aller Stille Wied´rum heim nach Waxenberg. Wahlergebnisse 1919 - 1930 1919

1920

1923 +

1927

1930+

Christlichsoziale

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42

45

49*

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Sozialdemokratie

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40

42

41

Deutschnationale

18

17

13

6

12°

Sonstige

5

5

3

3

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Parteien

Dadurch wurde deutlich, dass von einer faschistischen Mehrheitsfähigkeit keine Rede sein konnte, die Parolen Starhembergs, der sich als Volkstribun gebärdet hatte, waren endgültig zur Lachnummer verkommen. Schwer deprimiert zog die Heimwehrführung die Konsequenzen und kündigte an, sich zwecks "Reorganisation" auf außerparlamentarische Aktivitäten zurückzuziehen. Durch die Weigerung des Heimatblocks, mit den Christlichsozialen zu koalieren, war das Schicksal Vaugoins als Kanzler besiegelt. Es kam schließlich zu einer gemeinsamen Regierung von Christlichsozialen und Schober-Block unter Ender.

* Einheitsliste von Großdeutschen und Christlichsozialen ° Eingerechnet die 6 Prozent, die vom Heimatblock erreicht wurden + Summe von 101 Prozent aus gerundeten Einzelergebnissen Quelle: Erika Weinzierl u. a. (HgIn) 1983: Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik, 2 Bände, Graz; Zitiert nach: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien, S 127.

Starhemberg, der sich mit Müh und Not behaupten konnte, entdeckte in dieser misslichen Lage unerwartet seine Loyalität zu den Christlichsozialen wieder. Dabei dürften aber weniger ideologische Überlegungen eine Rolle gespielt haben, als schwere Finanznöte des Jungaristokraten. Weil er für den Aufbau der Heimwehr beträchtliche Mittel aus eigener Tasche beigesteuert hatte, bewegte er sich am Rande des Ruins. Als Baron Rothschild, der mächtigste Mann in Österreichs Bankenkreisen, nun sämtliche Wechsel (d. h. Schuldscheine) Starhembergs aufkaufte, machte er den Heimwehrführer finanziell praktisch von sich abhängig. Vor dem Schicksal, als "Bundesführer" der in Auflösung befindlichen Heimwehr am Ende als Kaiser ohne Reich da zu stehen, bewahrten Starhemberg am Ende nur äußere Umstände.

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Die steirische Heimwehr unternimmt unter dem Kommando ihres Führers, des eingefleischten Nazi Walter Pfrimer, im September 1931 einen Putschversuch. Im Verlauf von Kämpfen werden mehrere Arbeiter von Heimwehrleuten getötet (links: Begräbnis eines Schutzbündlers). Pfrimer wird nach dem Zusammenbruch des Putsches vor Gericht freigesprochen und verlässt unter dem Jubel seiner Anhänger den Gerichtssaal (rechts)

DIE HEIMWEHR VERSUCHT DIE EINIGUNG MIT DEN NAZIS Bedingt durch die Wirtschaftskrise und einen von Frankreich und seinen Verbündeten schließlich vereitelten Zollunionsplan Österreich-Deutschland fühlte sich der deutschnationale Block der Heimwehr um Pfrimer stark genug, einen Umsturz zu versuchen ("Pfrimer-Putsch"). Unterstützt von deutschen Industriekreisen und Rechtsradikalen25 startete die steirische Heimwehr am 13. September 1931 einen Putsch, der jedoch innerhalb kürzester Zeit desaströs zusammenbrach. Auch wenn die Drahtzieher des Putsches samt und sonders frei gingen26, hatten sie nach einer solchen Niederlage keine Möglichkeiten mehr, Starhemberg als bundesweiten Chef der Heimwehr in Frage zu stellen. Im Juni 1931 trat das Kabinett Ender zurück, Grund dafür waren die gescheiterten Zollunionspläne, neuer Regierungschef wurde Buresch. Mit dessen

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25 Der wichtigste deutsche Finanzier der Heimwehr hatte durch seine Unterstützung für die Nazis bereits Erfahrung im Sponsoring von Faschisten: Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke, ließ den Hahnenschwanzlern über die Alpine-Montan (den bedeutendsten Industriebetrieb in Österreich, der durch deutsches Kapital dominiert war) große Summen zukommen. 26 Die Freisprüche gegen Pfrimer und Konsorten - trotz der Toten und Verletzten, die der Putsch gekostet hatte - spiegelten den generellen Umgang der Justiz mit politisch motivierter Gewalt wider. Ging die Gewalt, wie in diesem Fall, von der Rechten aus, galt sie als Kavaliersdelikt und wurde, wenn überhaupt, nur mit lächerlich geringen Strafen belegt, während linke Gewaltakte drakonisch geahndet wurden.

Duldung unternahm Starhemberg einen neuen Anlauf, die marode Heimwehr auf Vordermann zu bringen und konzentrierte sich dabei auf zwei Punkte: Die Heimwehr nahm zähneknirschend zur Kenntnis, dass sie in den Städten den verhassten "Roten" nicht das Wasser reichen konnte und es ihr nicht gelungen war, Arbeiter in ernstzunehmendem Ausmaße zu gewinnen. Folgerichtig wurde fortan versucht, vor allem unter den von der Wirtschaftskrise arg gebeutelten Bauern Mitglieder zu rekrutieren. In den Ballungszentren nahmen die Heimwehraufmärsche ab jetzt praktisch ausschließlich den Charakter von Machtdemonstrationen gegenüber der ArbeiterInnenbewegung an. Darüber hinaus war auch den größten Optimisten innerhalb der Heimwehr durch das Wahlergebnis im November 1930 klar geworden, dass sie aus eigener Kraft die Macht im Staate nicht würden erringen können. Deshalb versuchte Starhemberg nach dem Vorbild der "Harzburger Front"27 alle rechten und rechtsradikalen Organisationen unter der Führung der Heimwehr zu einem Bündnis zusammenzufassen. Um mit den Nazis, die von den deutschen Entwicklungen bestärkt auch in Österreich rasch an Einfluss gewannen, handelseins zu werden, reiste Starhemberg Anfang 1932 nach Berlin und verhandelte dort unter anderem auch mit Hitler persönlich.28 27 Die "Harzburger Front" war jenes Abkommen gewesen, durch das sich die Nazis in Deutschland 1931 die grundsätzliche Unterstützung anderer rechter Organisationen gesichert hatten. 28 Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass es der Heimwehr zu keinem Zeitpunkt darum ging, die Nazis grundsätzlich zu bekämpfen: Solange sie den Führungsanspruch der Heimwehr nicht in Frage stellten, war man dort für weitgehende Allianzen jederzeit zu haben.


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Den Christlichsozialen waren diesbezügliche Ambitionen Starhembergs begreiflicherweise nicht ganz geheuer. Um die Wirtschaftskrise zu bewältigen, bemühte sich Buresch intensiv um neue Auslandskredite und verhandelte zu diesem Zweck mit Frankreich. Gleichzeitig nahm der Bundeskanzler eine Kabinettsumbildung vor: Der Schober-Block flog aus der Koalition, an seine Stelle trat der ebenfalls deutschnationale Landbund, der den Heimwehr-Bestrebungen skeptisch gegenüberstand. Als die Heimwehr sich den Verhandlungen mit Frankreich massiv widersetzte, wurde von der Regierung einmal mehr ihre Entwaffnung erwogen. Aber wie auch davor in solchen Fällen wurde letztlich davon abgesehen - im Hinblick auf die Sozialdemokratie meinten die Herren, auf ihren Kettenhund nicht verzichten zu können. DIE NAZIS VERBUCHEN NACH LANGER DURSTSTRECKE ERSTE ERFOLGE Nach der tiefen Krise von 1923 organisierten sich die österreichischen Nazis im Jahr 1926 neu. Sie nannten sich jetzt "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei - Hitlerbewegung" und unterstellten sich in ihrem Statut der deutschen NSDAP. Wie die Nazis im "Altreich" setzten auch ihre Konsorten in der "Ostmark" auf ein ausgeklügeltes System von Vorfeldorganisationen. Diese konzentrierten sich jeweils auf ganz spezifische Teile des Parteiprogramms. Sie knüpften Kontakte zu bereits bestehenden Gruppen und Organisationen, die sich mit der gleichen

Thematik auseinander setzten, unterwanderten diese schrittweise und übernahmen sie schließlich. Auf diese Weise konnten ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen mit teils widersprüchlichen Interessen gewonnen werden, von bäuerlicher Bevölkerung über Angestellte bis hin zu Gewerbetreibenden. Waren die anfänglichen Mitgliederzuwächse eher bescheiden, so stiegen sie in der Wirtschaftskrise ab 1930 schlagartig an und explodierten Anfang 1933 richtiggehend. Erst das Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933 bremste den Zulauf wieder nachhaltig. Auffallend dabei war besonders die hohe Fluktuation der Mitglieder: Es war durchaus keine Seltenheit, dass diese mehrmals aus- und wieder eintraten, im Gegenteil traf das auf etwa 45 Prozent aller Parteimitglieder vor 1938 zu (!).29 Dieses Faktum beweist eindeutig, dass die oft behauptete "magische Anziehungskraft" der Nazis keineswegs so total war, wie im Nachhinein oft behauptet, sondern dass sich schon in der Aufstiegsphase viele wieder enttäuscht abwandten. Das ließe sich übrigens auch anhand des Geschlechterverhältnisses des NS-Wahlvolks nachweisen: Bis 1932 waren nur etwa 7 Prozent der österreichischen NSDAP-Mitglieder weiblich, 1933 kletterte dieser Wert auf ca. 11 Prozent. Von der sozialen Herkunft Vgl. Botz, Gerhard 1980: Soziale Basis und Typologie der österreichischen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich, in: Perz, Bertrand u. a. (Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien, S 34.

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Nazis in Innsbruck 1933. Die österreichischen Nazis profitieren massiv von der Wirtschaftskrise. Ihre Wahlsiege gehen aber fast vollständig zulasten der bürgerlichen Parteien, unter demokratischen Vorzeichen erweist sich das sozialdemokratische Klientel als weitgehend resistent

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Die Sozialstruktur der NSDAP in Österreich 1932 Berufsgruppe

Bauern

Anteil unter den Anteil an der GeNSDAP-Mitglie- samtbevölkerung dern 13,8 %

Selbständige (Gewerbe/Handel) 6,4 %

10,8 % 12,3 %*

Handwerker

11,7 %

Arbeiter

18,1 %

53,5 % °

Angestellte

14,9 %

11,4 %

Beamte

26,5 %

10 %

Freie Berufe

4,3 %

1%

Studenten

4,3 %

k.A.

* Selbstständige in Handel, Gewerbe und Handwerk zusammen ° Arbeiter und unselbstständige Handwerker zusammen Quelle: Botz, Gerhard 1980: Soziale Basis und Typologie der österreichischen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich, in: Perz, Bertrand u. a. (Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien, S 41.

ihrer Mitglieder her waren die Nazis ebenso wie in Deutschland vor allem eine mittelständische Partei.

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Erst die Zerschlagung der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften durch die Dollfuß-Diktatur machte es den Nazis möglich, in der ArbeiterInnenschaft Fuß zu fassen. Die österreichische NSDAP war also lange Zeit besonders eine Partei von Angestellten, BeamtInnen und AkademikerInnen. Ihr gelang es auch nur kaum, Anfang der 20er rechte Kriegsheimkehrer an sich zu binden - diese organisierten sich vorrangig in der Heimwehr. Der Aufstieg der Nazis ging in erster Linie auf Kosten der Großdeutschen Partei, etwas abgeschwächt auch der Christlichsozialen. Erst relativ spät gelang der Einbruch ins bäuerliche Milieu, wo bis in die 30er Jahre der "Konkurrenzfaschismus" der Heimwehr tonangebend war. Die Entwicklung der NSDAP zur Massenpartei geschah in Österreich ebenso wie in Deutschland erst unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise.

Ein Ereignis im April 1932 steigerte die Nervosität innerhalb von Regierung und Heimwehr beträchtlich und bestärkte und vereinte sie schließlich auch in ihrem Streben nach einer raschen und "totalen" Lösung: Bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen am 24. April 1932 konnten die Nazis gewaltige Zugewinne verbuchen. Wie schon zuvor in Deutschland gelang dieser Sieg aber nicht auf Kosten der Linken, die ebenfalls vielerorts hatte zulegen können, sondern es mussten vor allem die Rechtsparteien, allen voran Landbund und Großdeutsche, Federn lassen. Aber auch die christlichsozialen Verluste an die Nazis waren beträchtlich. DER WEG IN DIE DIKTATUR Ab diesem Zeitpunkt war das österreichische Kräfteverhältnis neu gemischt. Die Christlichsozialen hatten entweder die Möglichkeit, gemeinsam mit den SozialdemokratInnen dem wachsenden Einfluss der Nazis entgegenzuwirken, oder gemeinsam mit den Nazis die Sozialdemokratie endgültig zu zerschlagen. Als dritte Option blieb ein Zweifrontenkrieg, sowohl gegen die Linke, als auch gegen die Nazis. Nachdem aber bei den nächsten Parlamentswahlen nicht mehr damit zu rechnen war, dass eine rechte Mehrheit abseits der Nazis möglich sein würde, musste rasch eine Entscheidung her. Als Verbündete für eine christlichsoziale Diktatur bot sich die Heimwehr an. Denn durch die starken Zugewinne der Nazis war spätestens jetzt endgültig klar, dass in einer österreichischen Neuauflage von Harzburg nicht nur die Heimwehr, sondern auch die Nazis einen Führungsanspruch geltend machen würden. Nach den Landtags- und Gemeinderatswahlen forderten sowohl Nazis als auch Sozialdemokratie vehement Neuwahlen.30 Die Führung der SDAPÖ hoffte, durch Neuwahlen erneut Stimmen zulegen zu können und die Christlichsozialen (weil diese stark an die Nazis verloren hätten) in eine Koalition gegen die Nazis "zwingen" zu können - eine naive Annahme. Die Nazis ihrerseits hatten ähnliches unter umgekehrten Vorzeichen im Sinn. Sie wollten die Christlichsozialen in ein "Harzburg" unter ihrer Führung drängen.

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Unter dem Druck dieser Forderungen trat Buresch Anfang Mai 1932 zurück. Sein Nachfolger wurde der bisherige Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß. Er suchte gleich zu Beginn seiner Amtszeit den Ausgleich mit den deutschnationalen Kräften, soweit diese (noch) keine deklarierten Nazis waren. Um die "Völkischen" einzubinden, holte Dollfuß drei deutschnationale Heimwehrführer, unter ihnen den steirischen Landeshauptmann Rintelen, in die Regierung. Diese Maßnahme wiederum rief das faschistische Italien auf den Plan: Um ein Erstarken anschlussfreundlicher Kräfte zu verhindern und eine baldige "Abrechnung mit dem Marxismus" zu forcieren, steigerte Mussolini seine Unterstützung für die Heimwehr drastisch. Seine Hilfe bestand unter anderem in riesigen illegalen Waffenlieferungen. Eine davon wurde im Jänner 1933 durch Eisenbahngewerkschafter aufgedeckt und die Causa sorgte als "Hirtenberger Waffenaffäre" im In- und Ausland für Schlagzeilen. Konsequenzen für die Heimwehr blieben aber wie immer aus. Allerspätestens jetzt hätte der Sozialdemokratie klar sein müssen, dass sie in ihrem Hoffen auf eine antifaschistische Koalition gemeinsam mit den Christlichsozialen einem Wunschtraum aufgesessen war. Dollfuß war nicht an einer Koalition mit den verhassten "Bolschewiken" interessiert. Statt dessen einigte er sich mit Starhemberg und legte sich damit auf einen antidemokratischen Kurs fest.31

Streikende Eisenbahner am 1. März 1933. Sie protestieren gegen die offensichtlichen Putschpläne der Heimwehr, der Streik wird auf Befehl von Dollfuß durch die Exekutive gewaltsam unterdrückt

Während sich die Sozialdemokratie passiv und abwartend verhielt, wurde sie von Dollfuß und seinen faschistischen Handlangern permanent provoziert und öffentlich gedemütigt: Das Parteiorgan der SDAPÖ, die "Arbeiterzeitung" wurde beschlagnahmt und mit der Auflösung des Schutzbundes in Tirol dessen landesweites Verbot eingeläutet. Gleichzeitig erhielt die Heimwehr, von der dauernd Überfälle und Anschläge auf die Linke ausgingen, offiziell den Status einer "Notpolizei". Hinzu kam eine

Es hat also keineswegs - wie heute oft noch behauptet - nur den Weg in die Diktatur gegeben. Es war eine politische Entscheidung der Christlichsozialen, nicht in einer gemeinsamen Front mit den SozialdemokratInnen den faschistischen Strömungen die Stirn zu bieten. Es war eine politische Entscheidung, gemeinsam mit der Heimwehr eine Diktatur zu errichten und den einzigen mächtigen Verbündeten im Kampf gegen rechts, die Sozialdemokratie, niederzumachen. Dollfuß und sein Nachfolger Schuschnigg verkannten die politische Lage völlig. Um den Nazis im eigenen Land Paroli bieten zu können und dem Druck durch das faschistische Deutschland Stand zu halten, wäre die einzige Perspektive mit tatsächlichen Erfolgsaussichten ein Bündnis mit der Sozialdemokratie gewesen. Die aber wurde zerschlagen, ihre FunktionärInnen verfolgt, eingesperrt und ermordet. Damit lieferten sich der "Ständestaat" und seine christlichsozialen Diktatoren auf Gedeih und Verderb dem ebenfalls faschistischen Italien aus. Von diesem endgültig fallen gelassen, konnte dem Vordringen des deutschen Faschismus einige Jahre später nichts mehr entgegengesetzt werden.

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Während Dollfuß die Sozialdemokratie Schritt für Schritt drangsalieren und demütigen lässt, wird die faschistische Heimwehr von der Regierung zur "Notpolizei" ernannt. Jetzt wird sie auch hochoffiziell aus den Arsenalen des Bundesheeres und der Polizei mit Waffen versorgt. Im Bild: An die nunmehrigen "Notpolizisten" werden Gewehre aus Polizeibeständen ausgegeben

permanente Terrorisierung der Sozialdemokratie durch Polizei, Bundesheer und Heimwehr, offiziell als "Waffensuchen" bezeichnet. Im Jänner 1933, mitten in der Aufregung um die italienischen Waffenlieferungen an die Heimwehr, wurde von der Exekutive ein Eisenbahnstreik gewaltsam unterdrückt. Auch darauf reagierte die Sozialdemokratie nur sehr verhalten und beschränkte sich auf formelle Proteste. Aus heutiger Sicht scheint es fast so, als ob sich ihre Führung schlicht weigerte, die Realität anzuerkennen - dass Dollfuß' Politik sich ausschließlich gegen sie und kaum gegen die Nazis richtete. Mit denen war der Kanzler nämlich durchaus bereit zu paktieren - trotz der permanenten Gewalt, die von ihnen gegen andere Gruppen, vor allem gegen SozialdemokratInnen, ausging.32 Unter der Voraussetzung, dass sie seiner als "Verfassungsreform" bezeichneten, endgültigen Abschaffung der Demokratie zustimmten, bot Dollfuß den Nazis wiederholt eine Regierungsbeteiligung an. Die österreichischen Nazis standen grundsätzlich einem Bündnis mit Dollfuß und der Heimwehr zwar offen gegenüber, lehnten aber ab, nachdem Berlin Druck auf sie ausgeübt hatte. Die Nazis hatten ihre terroristischen Aktivitäten während des Jahres 1932 kontinuierlich gesteigert und übertrafen schon gegen Ende der ersten Jahreshälfte die Heimwehr in der Zahl von Überfällen auf sozialdemokratische Einrichtungen und Veranstaltungen. Ein wichtiger Grund dafür war besonders die Befürchtung, größere Teile der eigenen Basis könnten zur SDAPÖ überlaufen. Um das zu verhindern, waren die Nazis daran interessiert, die Sozialdemokratie so schnell als möglich aus dem Weg zu räumen. 32

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Der somit vorprogrammierte Konflikt mit den Nazis hielt Dollfuß aber nicht davon ab, weiterhin ausschließlich gegen die Linke vorzugehen. Gestützt auf die "Hahnenschwanzler" ging es ab dem Frühjahr 1933 Schlag auf Schlag: Am 4. März wurde unter fadenscheinigen Gründen das Parlament ausgeschaltet33. Dollfuß regierte von nun an diktatorisch mit Hilfe von Notverordnungen auf Basis des "kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes" von 1917, das seine Juristen ausgegraben hatten, um der Beseitigung der Demokratie einen legalen Anstrich zu verpassen.34 Am 7. März wurde die PresseVereins- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt. Am 31. März 1933 wurde der Republikanische Schutzbund verboten, ein Monat später kam es zu großangelegten Verhaftungswellen gegen Mitglieder und FunktionärInnen der ebenfalls aufgelösten KPÖ. Zeitgleich wurde der traditionelle "Maiaufmarsch" der Sozialdemokratie verboten. Währenddessen hatten die Nazis Zeit, in aller Ruhe ihre Offensive vorzubereiten. Als vom Deutschen Reich am 27. Mai 1933 die "1000-Mark-Sperre"35 erlassen wurde, um den österreichischen Fremdenverkehr zum Erliegen zu bringen, war der Moment zum Losschlagen gekommen: Mit einer bis dahin beispiellosen Terrorwelle überzogen die Nazis Österreich. Und nun 33 Von der vielzitierten "Selbstausschaltung" konnte keine Rede sein. Nachdem während der Sitzung am 4. März alle drei Parlamentspräsidenten zurückgetreten waren, um als einfache Abgeordnete an einer Abstimmung teilnehmen zu können, war das Parlament zwar kurzzeitig ohne Präsidenten, existierte aber natürlich als gesetzgebende Kraft weiterhin. Dollfuß ließ seine Polizei mit Waffengewalt ein neuerliches Zusammentreten des Nationalrats verhindern und sprach davon, der Parlamentarismus habe "sich selbst geköpft". 34 Wie wackelig das Konstrukt der "Notverordnung" war, ist aus der Tatsache ersichtlich, dass dem Verfassungsgerichtshof, der durchgehend aus Gefolgsleuten von Dollfuß bestand, nichts anderes übrig geblieben wäre, als die Verordnungen aufzuheben. Bevor es aber dazu kam, wurde der Verfassungsgerichtshof liquidiert.


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1. Mai 1933 in Wien: Nachdem die Regierung den traditionellen sozialdemokratischen Maiaufmarsch verboten hat, ruft die Parteileitung der SDAPÖ ihre AnhängerInnen zu einem "Mai-Spaziergang" auf. Das Bundesheer riegelt Straßenzüge mit Stacheldraht ab und überwacht die DemonstrantInnen mit schussbereiten MGs. Wer sich "auffällig" verhält wird verhaftet (unten)

waren zur Überraschung der Christlichsozialen nicht mehr nur sozialdemokratische Einrichtungen Ziel der braunen Banden. In den nächsten zwei Monaten kam es beinahe täglich zu Bombenanschlägen, Attentaten und Überfällen. Weil die Strategie der Nazis offensichtlich die völlige Nazis haben eine Lokomotive gesprengt. Obwohl die Braunen permanent im ganzen Land Bombenanschläge und Attentate verüben, richtet sich die Politik der Regierung Dollfuß fast ausschließlich gegen die Linke

Destabilisierung der innenpolitischen Situation zum Ziel hatte, sah sich Dollfuß gezwungen zu handeln. Die NSDAP wurde im Juni 1933 verboten und gegen die deutsche Unterstützung ihrer gewaltsamen Untergrundaktivitäten protestiert. Es ist aber festzuhalten, dass die Nazis durch ihre Eskalationsstrategie Dollfuß zu diesem Schritt drängten. Der Kanzler selbst wäre viel lieber mit ihnen handelseins geworden, statt nun einen - wie er meinte - "Bruderkrieg" führen zu müssen. Je mehr die Nazis der österreichischen Regierung zu schaffen machten, desto größer wurde der Einfluss der Heimwehr. Ihr schanzte Dollfuß das gerade in dieser Situation äußerst wichtige Sicherheitsministerium zu, das Emil Fey fortan bekleidete. Alle Deutschen, die fortan nach Österreich reisen wollten, mussten dafür die astronomisch hohe Summe von 1.000 Reichsmark bezahlen. Die Auswirkungen waren nicht nur für den österreichischen Fremdenverkehr, sondern für die gesamte Volkswirtschaft fatal. Diese Provokation war der offene Versuch, Österreich nicht mehr nur von innen zu destabilisieren, sondern es auch von außen wirtschaftlich in den Schwitzkasten zu nehmen. Dollfuß wusste jetzt, dass eine Konfrontation mit den Nazis unausweichlich war - und tat, als sei nichts geschehen. Er rüstete weiterhin zur endgültigen Zerschlagung der Sozialdemokratie.

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Major a. D. Emil Fey in voller Adjustierung. Ausgerechnet der rabiateste Scharfmacher unter den Heimwehrführern wird von Dollfuß im Mai 1933 zum Sicherheitsminister ernannt

berg eine Woche später die Heimwehr-Parlamentsfraktion, den "Heimatblock", auf und überführte ihn in die im Mai 1933 gegründete "Vaterländische Front" (VF). Die VF war nach dem Vorbild der faschistischen Bewegungen in Italien und Deutschland geformt und sollte die Einheitspartei des künftigen faschistischen Staates darstellen.36

Die Österreichische Sozialdemokratie hatte mitangesehen, was mit ihrer Schwesterpartei in Deutschland nach der Machtübernahme der Nazis geschehen war. Sie wusste, dass ihr eigenes Bestehen direkt mit Österreichs Eigenständigkeit verknüpft war. Daher wäre die Partei zu sehr weitgehenden Zugeständnissen bereit gewesen, um mit den Christlichsozialen eine Koalition einzugehen und gemeinsam die Nazis, und damit einen drohenden Anschluss, zu bekämpfen. An sozialdemokratischen Angeboten zur Zusammenarbeit mangelte es nicht - doch Dollfuß setzte seinen Feldzug gegen die Linke unbeirrt fort. Er sah ausgerechnet im faschistischen Italien den einzigen Garanten der österreichischen Unabhängigkeit. Dieser Kurs war selbst innerhalb des bürgerlichen Lagers nicht unumstritten: Zu den GegnerInnen der Dollfußschen Politik zählten neben prominenten Köpfen der Christlichsozialen auch der Landbund-Vizekanzler Winkler. Um sich dieser Kritiker zu entledigen, nahm Dollfuß im September 1933 abermals eine Kabinettsumbildung vor und ernannte Fey zum Vizekanzler - eine weitere Aufwertung der Heimwehr. Im Gegenzug löste StarhemNach der endgültigen Ausschaltung der Demokratie im Mai 1934 wurde die "Vaterländische Front" per Gesetz zur einzigen politischen Organisation Österreichs, in ihr ging schließlich auch die Heimwehr auf. VF-Führer wurde zunächst Engelbert Dollfuß, sein Stellvertreter Starhemberg. Nach den Worten von Dollfuß konnte "jedermann [also auch Nazis, Anm.] Mitglied der VF werden, außer Sozialisten und Kommunisten". Nach Dollfuß’ Ermordung war Starhemberg bis zu seiner politischen Entmachtung 1936 Führer der VF. 36

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Im Herbst und Winter 1933 bemühte sich Dollfuß weiterhin verbissen um ein Arrangement mit den Nazis, während er gleichzeitig alle Angebote der Sozialdemokratie zu einer Zusammenarbeit ausschlug. Somit konnte niemandem mehr verborgen bleiben, wen der Kanzler tatsächlich zu bekämpfen gedachte. Erst jetzt begann die SDAPÖ, zögernd und viel zu spät, Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen. Im Herbst 1933 wurde beschlossen, einer endgültigen Auflösung der Partei bzw. der Gewerkschaft mit einem Generalstreik, notfalls auch mit Waffengewalt, zu begegnen.37 Dollfuß kündigt auf einer VF-Großveranstaltung am 11. September 1933 auf dem Wiener Trabrennplatz die endgültige Errichtung einer Diktatur an. Die Rolle der Einheitspartei nach faschistischem Muster soll die VF übernehmen


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04| FASCHISMUS IN ÖSTERREICH

Das Jahr 1934 begann mit einer erneuten braunen Terrorkampagne: Alleine im Jänner 1934 verübten die Nazis 140 Bombenanschläge in Österreich. Dazu kamen fast tägliche Übergriffe durch von Deutschland aus agierende bewaffnete Kommandos der "Österreichischen Legion".38 Dollfuß ließ bei Mussolini anfragen, wie dieser über die österreichische Entwicklung denke und befolgte den postwendenden Rat des "Duce": Um den Nazis den Wind aus den Segeln zu nehmen, solle endgültig Schluss gemacht werden mit den "marxistischen Umtrieben", in der eigenen Propaganda der Antisemitismus etwas stärker betont und die endgültige Faschisierung Österreichs durch eine entsprechende Verfassungs"reform" rasch abgeschlossen werden.39 Das Trio Dollfuß-Starhemberg-Fey ließ sich nicht lange bitten: Ende Jänner 1934 kam es erneut zu Waffensuchen, die lediglich darauf abzielten, den Schutzbund zu provozieren. Zur selben Zeit wurde von der Regierung die demokratisch gewählte Führung der

Arbeiterkammern abgesetzt. Am 3. Februar wurden die wichtigsten Führer des Republikanischen Schutzbundes verhaftet und als sich noch immer kein Widerstand regte, der einen Grund zum militärischen Losschlagen geboten hätte, wurde am 8. Februar auch noch das sozialdemokratische Parteihaus in Wien von bewaffneten Exekutivkräften durchsucht. Während in den Bundesländern die Heimwehr schon begonnen hatte, sozialdemokratische Einrichtungen und Organisationen per Verordnung aufzulösen, begann damit auch der Sturm auf das "Rote Wien". Am 11. Februar 1934, dem Vorabend der Kämpfe, verkündete Vizekanzler Fey bei einer Heimwehr-Veranstaltung in Langenzersdorf, Dollfuß habe für den Endkampf gegen die Sozialdemokratie grünes Licht gegeben: "Die Aussprachen von vorgestern und gestern haben uns die Gewissheit gegeben, dass Kanzler Dr. Dollfuß der unsrige ist ... Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten."

Die Selbstbeweihräucherung der Totengräber der Demokratie: "Bauet auf das neue Österreich. Gemeinsam ans Werk mit Dollfuß - Starhemberg"

Es blieb damit aber bei einer rein defensiven Strategie, die auf eine faktische Akzeptanz der Präsidialdiktatur von Dollfuß hinauslief. 38 Die "Österreichische Legion" war eine bewaffnete Miliz österreichischer Nazis, die nach Deutschland geflüchtet waren. Angehöriger einer dieser Gruppen, die bei einem Überfall auf eine österreichische Grenzstation einen Gendarmen tötete, war übrigens Robert Haider, der Vater Jörg Haiders. 39 Wie sehr sich Dollfuß am italienischen Faschistenführer orientierte und anbiederte, ist glänzend nachzulesen im geheimen Briefwechsel der Beiden, der nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurde siehe Literaturliste im Anhang. 37

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Friedensdemonstration in Wien 1922. Noch nie zuvor war Pazifismus so populär wie nach dem Ende des Ersten Weltkrieges

EXKURS I

DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND BILANZ EINER GESCHEITERTEN STRATEGIE

Nachdem die alte Ordnung mit dem Ende des Ersten Weltkrieges zusammengebrochen war, machte sich innerhalb der Sozialdemokratie vor allem der linke Flügel um Otto Bauer und Julius Deutsch für die Aufstellung eines neuen Militärapparates stark. Aufs Erste mag das heute paradox klingen, denn nie zuvor war Pazifismus so populär, selten Krieg und Militär allgemein so verhasst, wie nach den vier Jahren des großen Grauens in den europäischen Schützengräben.

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Warum galt das Hauptaugenmerk der Linken zur selben Zeit, als Offizieren in den Straßen die Rangabzeichen von den Uniformen gerissen, sie beschimpft und verhöhnt wurden, ausgerechnet dem Aufbau einer neuen Armee? Der spätere politische Führer des Schutzbundes, Julius Deutsch, meinte zu diesem scheinbaren Widerspruch: "War man pazifistisch gesinnt, dann musste man die Kasernen meiden und den Aufbau eines neuen Heeres zu verhindern versuchen. Stellte man sich aber auf den Boden der Revolution, dann galt es, gerade umgekehrt zu verfahren, nämlich selbst in die Kasernen einzudringen und eine revolutionäre proletarische Wehrmacht aufzustellen. Selbst wenn man nämlich nicht an die Möglichkeit einer durchgreifenden, gesellschaftlichen Umwälzung in diesem Augenblick glaubte, musste man auf die Aufstellung einer verlässlichen Truppe bedacht sein, um wenigstens das schützen zu können, was die

Arbeiterklasse bisher erreicht hatte: die demokratische Republik."40 Mit anderen Worten: Der jungen Demokratie, die dem Kaiserreich gefolgt war, wurde keineswegs ungeteilte Sympathie entgegengebracht. Viele, die zu Kaisers Zeiten privilegiert gewesen waren, bangten um ihre Positionen und fürchteten einen sozialen Abstieg. Großgrundbesitzer, Aristokratie, Fabriksbesitzer und Bankiers, denen die kurz vorangegangene Russische Revolution noch gut in Erinnerung war, fürchteten eine ähnliche Entwicklung nun auch in Österreich. Hinzu kamen viele heimkehrende Soldaten, die vom Krieg schwer traumatisiert waren, nicht mehr ins zivile Leben zurückfanden und sich durch die herrschende Wirtschaftskrise jeglicher Perspektiven beraubt sahen. Alle diese Leute waren geeint vom Hass auf die junge Republik und wollten sie lieber heute als morgen wieder beseitigt sehen. Versuche des abgesetzten Habsburgerkaisers Karl I., in Ungarn 1921 durch einen Putsch an die Macht zu kommen, zeigten deutlich, dass es auch in Österreich vermutlich nicht bei verbalen Hasstiraden gegen die Demokratie bleiben würde. Die AnhängerInnen der Republik standen daher vor der Option, entweder tatenlos auf rechte Versuche zu warten, die "alte Ordnung" wiederherzustellen, oder 40 Julius Deutsch (o. J.): "Wehrmacht und Sozialdemokratie", Berlin, S. 15.


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05| DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND

Vorkehrungen zu treffen, reaktionäre Umsturzversuche im Keim zu ersticken. Die österreichische Sozialdemokratie entschied sich für die zweite Variante und sicherte damit vorerst nicht nur die republikanische Staatsform, sondern auch alle in ihrem Rahmen erreichten Zugeständnisse an die Arbeitenden. Noch in Kriegszeiten hatte der ehemalige Offizier Deutsch Pläne für ein republikanisches Militär entworfen und konkrete Vorbereitungen zu dessen Verwirklichung getroffen. Als mit dem Ende der Monarchie auch deren Armee unterging und die heimkehrenden Soldaten zu hunderttausenden in endlosen Kolonnen durchs Land zogen, wurde in Wien die "Volkswehr" gegründet. Ihre Soldaten erhielten 6 Kronen Taggeld, die SDAPÖ sorgte für systematische Eintrittswellen eigener Anhänger und sicherte sich damit Einfluss auf das Geschehen hinter den Kasernenmauern. Erheblich erleichtert wurde das Ganze durch die herrschende Massenarbeitslosigkeit - sie bewog viele Soldaten dazu, sich freiwillig für die Volkswehr zu melden, um zumindest ein wenig Geld, Unterkunft und regelmäßige Verpflegung zu erhalten. Blieb als Problem noch ein Offizierskorps, das sich mehrheitlich aus Monarchisten rekrutierte. Um hier ein Gegengewicht zu schaffen, wurde für die neue Armee von ihren sozialdemokratischen Architekten das gewerkschaftliche Organisationsmuster aus den Betrieben übernommen: In der Volkswehr entstand ein Vertrauensmännersystem. Die von Linken dominierten "Soldatenräte" waren die eigentlichen Träger der Autorität, ohne deren Zustimmung gar nichts ging. Als Dauerlösung war die Volkswehr aber auch aus sozialdemokratischer Sicht nicht akzeptabel. Die SDAPÖ strebte ein Milizsystem an, also die allgemeine Wehrpflicht. Zusätzlich sollte das Heer weitestmöglich demokratisiert werden. So sollte sichergestellt werden, dass die Armee sich im Fall bewaffneter sozialer Auseinandersetzungen neutral verhielt. Arbeiter in Uniform, so die Überlegung, würden sich Befehlen, auf ihresgleichen zu schießen, widersetzen.

Die Bürgerlichen bemühten sich daher nicht ohne Grund, bei den Friedensverhandlungen mit den Alliierten zu erreichen, dass Österreich eine eigene Armee gänzlich untersagt wurde. Zur alleinigen bewaffneten Macht im Staat sollten nach den Vorstellungen der Konservativen Polizei und Gendarmerie werden, die nach wie vor mehrheitlich rechts standen. Dem Wunsch wurde von den Alliierten zwar nur zum Teil entsprochen, die sozialdemokratischen Vorstellungen aber gänzlich zunichte gemacht: Österreich wurde ausschließlich ein kleines Berufsheer zugestanden. Damit hatte die Rechtsregierung, die 1920 der Koalition von Christlichsozialen und Sozialdemokratie folgte, alle Möglichkeiten in der Hand, die Volkswehr zu einem willfährigen Instrument ihrer Politik umzubauen. Und die Bürgerlichen wussten ihre Chance zu nutzen - innerhalb weniger Jahre machten sie durch Entlassungen, Versetzungen und Ausschaltung der Soldatenräte den sozialdemokratischen Einfluss auf das Militär zunichte. In dem Maß, in dem der Einfluss der SDAPÖ auf die Armee sank, nahmen gewalttätige Übergriffe und Morde durch rechte Organisationen und Gruppen zu. Nach der Ermordung des Semperit-Betriebsrats Karl Birnecker Anfang 1923 in Wien war auch der letzte Rest Unklarheit beseitigt: Der organisierten Gewalt von rechts musste eine organisierte Verteidigung von links entgegenstellt werden. Mit der Gründung des Republikanischen Schutzbundes wurden zunächst nur bereits bestehende Arbeiterwehren organisatorisch unter einem Dach erfasst. Von einer nach traditionellem Muster militärisch disziplinierten Parteiarmee war die neue Organisation weit entfernt: Wert gelegt wurde neben der "Wehrhaftmachung" besonders auf die politische Erziehung der Mitglieder. Der Schutzbund wurde so zu einer Gruppe mit regem Eigenleben und entwickelte eine selbstständige Organisationskultur. Seine Aktivisten verstanden sich nicht nur militärisch, sondern auch politisch als "Garde der Arbeitenden".

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In der zweiten Hälfte der 20er Jahre wurde die Gefahr, die Demokratie könnte durch die Bürgerlichen beseitigt und durch eine Diktatur ersetzt werden, immer realer. Die sozialdemokratische Parteiführung meinte, dem am besten durch den Aufbau einer Drohkulisse begegnen zu können. Durch die Schaffung einer linken "Gegenarmee" sollte signalisiert werden: "Seht her, wir sind stark, wir sind straff militärisch organisiert, solltet ihr es drauf ankommen lassen, wird euch das immense Opfer kosten." Im Geiste dieser Strategie wurde der Schutzbund 1927 neu organisiert: Statt politischen Diskussionen und Bildungsveranstaltungen kehrten Kasernenhofdrill und Kadavergehorsam ein, die Führung übernahmen "Fachleute" - ehemalige Offiziere der k. u. k.-Armee strukturierten den Schutzbund nach dem Vorbild jener Armee, in der sie einst Dienst getan hatten. Die Entpolitisierung, die nun stattfand, hatte jedoch schwerwiegende Folgen. Vehement kritisiert wurde das interessanterweise besonders vom ehemaligen General Theodor Körner, an sich keineswegs ein

Parteilinker. Doch Körner war militärtheoretisch bewandert und hatte sich intensiv mit den Erfahrungen der Russischen Revolution und der Taktik von Aufstandsbewegungen in Kolonien auseinandergesetzt. Dabei war er zu dem Schluss gelangt, dass die ArbeiterInnenschaft in einer bewaffneten Auseinandersetzung nur dann siegen konnte, "wenn alle [in ihr] schlummernden Kräfte freigemacht werden und den reaktionären militärischen Aktionen etwas ganz Anderes, Verblüffendes, nicht ganz Selbstverständliches gegenübertritt."41 Folglich hielt Körner die "geistlose Militarisierung" des Schutzbundes für katastrophal und den Versuch für aussichtslos, ein "Konkurrenzunternehmen" zum herkömmlichen, besser ausgerüsteten und gedrillten Militär schaffen zu wollen. Statt dessen plädierte er dafür, sich in einem Stadtguerilla-Kampf jene Stärken der ArbeiterInnenbewegung zunutze zu machen, über welche die Gegenseite nicht verfügte. Der Schutzbund könne nur durch eine "Taktik der tausend Nadelstiche" erfolgreich sein. Dazu seien zwei Dinge unbedingt Schreiben an Karl Renner, zitiert nach: Der Standard, 14./15. Februar 2004.

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Durch die Neustrukturierung 1927 kehren im Schutzbund Kasernenhofdrill und militärisches Exerzieren anstelle politischer Diskussionen und Schulungen ein. Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich spätestens in den Februar-Kämpfen 1934 zeigen wird

Theodor Körner. Der ehemalige General kritisiert 1927 vehement die Reform des Schutzbundes und warnt vor einer "geistlosen Militarisierung". Im Ernstfall, meint Körner, wird der Schutzbund mit dieser Strategie auf verlorenem Posten stehen


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06| ZEITZEUGENBERICHTE Motorisierte Abteilung des Linzer Schutzbundes (links). Schutzbund als Familienprojekt - ein Arbeiter mit seinen acht Söhnen im niederösterreichischen Pfaffstätten (rechts). Der Schutzbund ist von einer Dominanz der Parteilinken und einem regen Vereinsleben gekennzeichnet, man ist stolz "dazuzugehören"

“WIR GEHEN NICHT MEHR ZURÜCK” ZEITZEUGENBERICHTE notwendig: Erstens müsse ÜBER DIE FEBRUARder Schutzbund integrierter Bestandteil der SDAPÖ sein, damit seine Kämpfer KÄMPFE

im Ernstfall mit der Unterstützung durch die Massenbasis der Partei rechnen konnten. Zweitens sei ein streng hierarchischer Aufbau sinnlos - stattdessen sollten kleine, hoch motivierte (d. h. politisierte) Trupps, die mit ihrer direkten Umgebung bestens vertraut waren, Aktionen selbstständig durchführen, ohne dauernd auf Anweisungen "von oben" warten zu müssen.

Franz Leschanz (Schutzbündler) Über den Ausbruch der Kämpfe im Linzer SDAPÖ-Parteihaus "Hotel Schiff":

Der alte General sollte Recht behalten. Der Schutzbund war bei Ausbruch der Bürgerkrieges großteils gelähmt, weil seine Anführer bereits im Vorfeld verhaftet worden waren. Dadurch sahen sich die Kämpfer einer Situation gegenüber, auf die sie niemand vorbereitet hatte - ohne Befehle, ohne Zugang zu den Waffenverstecken, ohne klare Zielvorgaben und vor allem ohne breite Unterstützung durch die Parteibasis war ihr Unternehmen von vornherein aussichtslos.

"Wir konnten von oben das ganze Stiegenhaus übersehen. Mäuschenstill war's, nur von unten hörte man das Rasseln der nicht passenden Dietriche. Fünf Minuten, zehn Minuten - schließlich ging die Tür auf und die Polizisten betraten die ersten Stufen des Stiegenhauses. Aber nur die Ersten. Da krachte schon eine Salve und unter lautem Getöse platzten einige Handgranaten. Sofort nahm auch vom Fenster aus unser Maschinist, Genosse Kunz, das Hoftor unter Maschinengewehrfeuer, begleitet von Gewehrschüssen, so dass die Polizisten zwischen den beiden Schusslinien - Stiegenhaus und Hof - eingeschlossen waren. Dumpf krachten die Handgranaten im Hof und kündeten den Genossen in der Stadt: Alles zu den Waffen!

Bruno Kreisky kommentierte die Kritik Körners und die fatalen Auswirkungen des Schutzbundkonzepts von 1927 in einem Interview später so: " ... Es hat einen weiteren furchtbaren strategischen Fehler gegeben. Unter dem Kommando von Alexander Eifler, der ja ein Militär war, und unter denen, die den Schutzbund organisiert hatten, hat man die These vertreten: Zivilisten sollen sich von Kämpfen fernhalten. Das machen wir, wir sind die Armee. Das war konzeptiver Wahnsinn. Entweder, man bereitet sich auf einen Bürgerkrieg vor, dann muss jeder an die Front, auch jede Frau, dann muss alles mobilisiert werden, oder man hat eine Privatarmee. Nun ist der Kopf des Schutzbundes ein paar Tage vor den Kämpfen verhaftet worden und damit war der ganze Schutzbund beim Teufel."

In einer Kampfpause traf uns aber ein schwerer Schlag. Maschinist Kunz, der gerade in den Hof blickte, brach nach einem scharfen Knall lautlos zusammen, während der zersprungene Stahlhelm dumpf am Boden aufschlug. An das Maschinengewehr konnte niemand von uns mehr gelangen, es wurde wütend unter Feuer gehalten. Dadurch wurde es dem Militär möglich, eine äußerst günstige Kampfposition zu beziehen, da es jetzt die ganze gegenüberliegende Häuserfront - noch dazu einen Stock höher - besetzen konnte. Wir spürten deutlich, dass sich die Sache dem Ende näherte. Da rief uns ein Polizeioffizier zu, er wolle uns einen Parlamentär zum Verhandeln schicken. ´Ich werde Euch einen Parlamentär geben!´ schrie empört ein Genosse zurück. Aber von allen Seiten widersprach man ihm. ´Waffen wegwerfen,

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Der von einem Scharfschützen getötete MG-Schütze Kunz nach der Eroberung des Linzer Parteihauses durch das Bundesheer (links). Bundesheer und Heimwehr beim kollegialen Erfahrungsaustausch in den Straßen von Linz während einer Kampfpause (mitte). Gefangener Schutzbündler aus der Linzer Wollzeugfabrik (rechts)

runter gehen. Hände hoch!´ ertönte plötzlich im allgemeinen Lärm ein Kommando. Und so marschierten wir, den 12. Februar 1934 Punk 12 Uhr mittags, zwei Gruppen zu je 18 Mann, ´Hände hoch´, umringt von unzähligen Polizisten." Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 74 f.

Franz Jurica (Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend [SAJ] Wien-Ottakring) Über die Kämpfe in Wien: "Am Vormittag des 12. Februar war ich in Sandleiten, im Jugendheim, um mit ein paar Genossen zu sprechen. Mittags wollte ich nach Hause gehen und anschließend in unser Bereitschaftslokal. Ich bin auf die

Straße hinaus, Ecke Wilhelminenstraße war eine große Uhr, die Uhr stand. Ich war der Meinung, es müsste schon viel später sein. Dann haben wir die Straßenbahn gesehen, der 46er steht. Wir haben jemanden gefragt, was los ist. Sagt er: ´Wisst ihr es nicht, gestreikt wird! Generalstreik!´. Ich bin gleich nach Hause gelaufen, habe den Rucksack geholt. Das war in der Vorschrift, wenn es soweit ist, nichts mitnehmen, außer dem Rucksack. Mit dem Rucksack bin ich in das Bereitschaftslokal gelaufen, dort waren bereits Wehrsportler versammelt. Unser Kommandant sagte, wir müssen ein Kommando zur Alarmabteilung des Schutzbundes schicken, zur Verstärkung. Mit dieser Gruppe bin ich zum Fritz Thuma gegangen. Er hat gesagt: ´Kommt's hinauf in meine Wohnung, aber unauffällig.´ Wir sind schön langsam in Abständen zu seiner Wohnung gegangen, am Richard-Wagner-Platz im 1. Stock. Man konnte gut auf die Straße sehen. Wir haben gewartet. Dann sind die Burschen von der Alarmabteilung gekommen.

Barrikaden und Häuserkampf in Wien-Ottakring

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Da ist die Polizei die Hasnerstraße heraufmarschiert. Eine Kompanie, bewaffnet, Karabiner und Stahlhelme, schwarze Mäntel, wintermäßig, es war ja noch kalt. Sie sind heraufmarschiert, zur Panikengasse, zur Polizeiwachstube. Wahrscheinlich haben sie befürchtet, dass die Wachstube gestürmt wird. Wir sind sehr nervös geworden. Frauen haben uns in ihren Einkaufstaschen Handgranaten und Schmiervasen gebracht. Das waren ziemlich primitive Handgranaten und um sie zur Explosion zu bringen, benötigte man eine Streichholzschachtel. Wir haben uns jeder zwei in den Sack gesteckt und verzweifelt nach Streichhölzern gesucht. Die Frauen haben uns auch Zündholzschachteln be-


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06| ZEITZEUGENBERICHTE

sorgt. Wir haben weiter gewartet. Nach einer Weile hat es geheißen, einer nach dem anderen soll losgehen, aber möglichst unauffällig. Als Erster ist der Thuma weg, alle zehn Sekunden der Nächste, ihm folgend, in die nächste Gasse hinauf, in die Haymerlegasse. Wir sind kaum ums Eck gebogen, haben wir den Thuma schon stehen gesehen, gleich beim zweiten Haus, mit einem Stahlhelm auf und einem mächtigen Revolver. Einen uralten Trommler, den er ausgegraben hatte. Mit dem ist er da gestanden, hat herumgefuchtelt. ´Hinein, tummelt's euch, holt's euch Gewehre´. Es war ein altes Haus, ein Altbau, da sind wir hineingestürzt, zum Keller und der Keller war zugesperrt. Von Gewehren keine Rede, der Fritz Thuma war nervös, ist hinuntergekommen: ´Na, was ist?´ Der Keller war zu. ´Der Hausmeister hat die Schlüssel´. Der Hausmeister war natürlich nicht zu finden. Jetzt hat er mit dem gewaltigen Revolver das Schloss durchgeschossen. Das Kellerabteil haben wir noch aufbrechen müssen und fanden die Kisten mit den Gewehren. Die waren eingegraben, aber bloß mit einer dünnen Schicht bedeckt. Wir haben die Gewehre herausgezogen, jeder hat sich einen Karabiner geschnappt, jeder hat sich noch zwei Magazine in die Taschen gesteckt. Alles hat sehr schnell gehen müssen und auf der Straße hat es schon eine Ansammlung gegeben. Auf einmal hat einer geschrieen: ´Polizei ist im Anmarsch.´ Die Nervosität ist noch ärger geworden, mit Mühe und Not habe ich im Laufen das Magazin ins Gewehr hineingeschoben und bin raus auf die Straße. Wir sind bis zur Koppstraße gelaufen. Wie wir ums Eck kommen, ich war so im hinteren Teil der Gruppe, ist vorne schon geschossen worden. Die Polizei ist die Koppstraße runtermarschiert, über die ganze Straße, in Ketten, formiert und die Gewehre im Anschlag. Es war wahrscheinlich so, und das war unser Glück, dass die genauso überrascht waren wie wir, weil die hätten uns glatt über den Haufen schießen können. Es ist zu einer unregelmäßigen Schießerei gekommen, wir haben im Laufen geschossen, ohne Ziele, eben auf das Ganze da vor uns. Dann ist schon gezielter geschossen worden, und wir haben uns hinter Bäumen verschanzt. Die

Polizisten sind auch auseinandergespritzt, ein paar von ihnen sind umgefallen, es hat schon ein paar Treffer gegeben. Auf einmal haben sie sich zurückgezogen, fluchtartig, haben die mitgeschleppt, die gelegen sind, und sind zur Panikengasse geflohen, gleich ums Eck. Der Vorteil, den wir hatten, war vorbei, denn wenn wir ums Eck gekommen wären, wären wir im Schussfeld der Polizeiwache gewesen, das haben wir nicht riskieren können. Wir haben uns in einen Gemeindebau zwischen Haymerlegasse und Koppstraße zurückgezogen. Bei den Toren haben wir Posten aufgestellt, und Fritzl Thuma hat einige auf das Dach hinaufgeschickt. Dann habe ich gehört, dass bei uns zwei Leute fehlen, wir haben zwei Tote gehabt, die auf der Straße gefallen sind. Wir sind also auf dem Dach oben gewesen, auf einmal ist von der Radetzkykaserne geschossen worden. Die haben Scharfschützen postiert und waren anders ausgerüstet als wir, die haben auch getroffen. Der Fritzl Thuma hat einen Schuss in die Hüfte gekriegt. Wir haben ihn vom Dachboden heruntergetragen, er war bei Bewusstsein, die ganze Seite war aufgerissen, der Mantel zerfetzt, alles war blutig. Wir wollten ihn in einer Wohnung hinlegen, wir konnten ihn doch nicht auf die Erde im Hof legen. Die Leute haben uns nicht aufgemacht, wir haben gepumpert. Endlich hat sich einer Viele der FebruarkämpferInnen auf sozialdemokratischer Seite sind Angehörige der Jugendorganisationen. Im Bild jugendliche Wehrturner bei den Republikfeiern 1932

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gefunden und hat gesagt: `Bringt ihn zu mir.` Es ist finster geworden und wir haben die Schießerei vom Arbeiterheim gehört. Dieses ist nicht weit entfernt, und wir hörten dazwischen Maschinengewehrfeuer. Wir wollten mit denen Verbindung aufnehmen und haben den Franzl Meier hingeschickt. Aber er ist zurückgekommen und hat gesagt: `Da kommt man nicht durch.` Wir haben weiter gewartet, es wurde Nacht. Nach Mitternacht haben wir Artillerieschüsse gehört, ganz in der Nähe, und gewusst, das muss beim Arbeiterheim sein. Keiner hat gewusst, wie es aussieht, wo man hin soll. Wir saßen in einer Mausefalle. Wenn es hell wird, dann wird ganz bestimmt die Polizei kommen. Die Verteidiger des Ottakringer Arbeiterheims haben sich in der Früh zurückgezogen. Vom Wehrsport und von der SAJ waren Barrikaden gebaut worden. Um dieselbe Zeit, wie die das Arbeiterheim geräumt haben, sind auch wir aus dem Gemeindebau raus, solange es noch dunkel war. Wir haben sonst keinen Schutz mehr gehabt, und von der Kaserne hätte man uns unter Beschuss nehmen können, die Straße ist frei gelegen. Irgendwie ist es uns gelungen, wegzukommen. Wir sind über Privathäuser bei den Fenstern raus. Jetzt hat jeder auf eigene Faust versucht durchzukommen. Ich bin in Richtung Arbeiterheim, aber es war alles abgesperrt, nicht nur von der Polizei, hauptsächlich waren dort Heimwehr und Bundesheer. Später habe ich die Nachricht erhalten, dass ich gesucht werde. Ich bin natürlich nicht mehr nach Hause, sondern habe im Garten bei meinem Vater am Satzberg geschlafen. Mein Vater hat großes Verständnis für die Sache gezeigt. Er hat nicht viel geredet, nur gefragt, ob ich etwas bei mir habe, was die Polizei interessiert. Einen Revolver habe ich noch gehabt. Er hat gesagt: `Gib her, den lasse ich verschwinden.` Dann hat die Jagd angefangen." Zitiert nach: Scheuer, Georg und Pittler, Andreas 1988: Wer kämpfte für Österreich? Wien, S 36 ff.

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Neue Zürcher Zeitung: Über die Atmosphäre in Wien während des 13. Februar 1934: "Das Bild Wiens als einer belagerten Stadt ist am (zweiten) Abend, gegen 20 Uhr, unverändert. Die Verkehrsregelung wird heute vorwiegend von der Hilfspolizei versehen, weil die Bundespolizei nach den Kriegsschauplätzen an der Peripherie abgegangen ist. Das Rathaus selbst wird von Heimwehr bewacht. ... Die Stimmung in Regierungskreisen ist ernst. Man hat den Eindruck, dass sich besonders die Heimwehr die Aktion viel leichter vorgestellt hat, als es sich nun herausstellt." Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 81.

Heinz Roscher (Schutzbündler) Über die schweren Kämpfe in Wien-Floridsdorf und das Verhalten der Heimwehr: "Einige Frauen des Schlingerhofes wurden verhaftet und in zwei Gliedern vor den Gewehren der Faschisten gegen den Straßenbahnhof gejagt. Kaltes Entsetzen packte uns, als wir sahen, dass sich die Faschisten hinter den Körpern unserer am ganzen Leibe zitternden Frauen deckten. ... Wir hatten nur die Wahl, die Remise aufzugeben, oder unsere eigenen Frauen zu erschießen." Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 96.

"Unbeschreiblich sind die Brutalitäten, mit denen die Verhaftungen vorgenommen wurden. Viele - meist Nichtkämpfer, denn die Schutzbündler hatten sich zurückgezogen - wurden von den Polizeibestien wie wahnsinnig geprügelt. Deren Wut kannte keine Grenzen, unzählige Bajonettstiche in Brust und Rücken der Verhafteten sind beredte Zeichen dafür. Auf dem Weg vom Schlingerhof zum Kommissariat


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06| ZEITZEUGENBERICHTE

Chicago Daily News Über die Beschießung von Gemeindebauten durch die Artillerie des Bundesheeres:

Gefangene Schutzbündler werden nach den zähen Kämpfen in Floridsdorf schwer misshandelt, einige getötet. Kurz nach der Aufnahme dieses Fotos schießen Heimwehrangehörige und Bundesheersoldaten auf die wehrlosen Gefangenen und richten ein Blutbad an

mussten die 300 Gefangenen auf der Brünnerstrasse in der Nähe der Feuerwache anhalten. Als das Militär die Gefangenen an die Polizei übergab und sie währenddessen, allerdings nur einen Augenblick, allein standen, benutzten die Heimwehren und die Mannschaft eines Panzerautos diese Gelegenheit und beschossen die dichtgedrängt, wehrlos und mit erhobenen Händen dastehenden Gefangenen aus zwei Maschinengewehren. Die Wirkung war unbeschreiblich. Viele wälzten sich in ihrem Blute."

"Ich sah die Resultate des Kanonenfeuers, mit dem Dollfuß die sozialistische Regierung von Wien vernichtete, eine der blutrünstigsten, unnötigsten und unentschuldbarsten Verwendungen bewaffneter Macht gegen hilflose Frauen und Kinder, die die Geschichte kennt…" Zitiert nach: Der Standard, 14./ 15. Februar 2004.

Karl Stern (Schutzbündler) Über die Rolle von Frauen während der Kämpfe in Wien-Floridsdorf: "Wir verbrauchten ungeheuer viel Munition. Aber dank der wahrhaft heldenmütigen Arbeit unserer Frauen hatten wir keinen Mangel an Patronen. Unsere Frauen legten eine bewunderungswürdige Tapferkeit an den Tag. Sie behielten klaren Kopf und konnten oft besser überlegen als wir Männer." Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 98.

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 96 f.

Das Bundesheer beschießt in mehreren Städten während der Februarkämpfe Gemeindebauten mit Feldhaubitzen. Die Folge sind hunderte getötete ZivilistInnen. Im Bild: Die BewohnerInnen eines Gemeindebaus ergeben sich

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Während des Bürgerkrieges kommt es zu diversen Gräueltaten durch Exekutive, Bundesheer und Heimwehr. Oben: Ermordung eines gefangengenommenen Schutzbündlers in Bruck an der Mur durch ein Erschießungskommando des Bundesheeres. Mitte: Die Bühne des Arbeiterheimes Holzleithen (OÖ), nachdem dort sechs junge Schutzbündler von Angehörigen der Heimwehr und des Bundesheeres niedergemetzelt wurden - die Einschusslöcher in der Wand sind deutlich erkennbar. Unten: Der schwerverletzte Kommandant einer Schutzbundeinheit in WienHietzing, Karl Münichreiter, kurz bevor er auf einer Bahre zum Galgen geschafft wird

Unbekannter SAJler aus Bruck an der Mur Über den missglückten Sturm auf die dortige Gendarmeriekaserne unter dem Kommando des SAJVorsitzenden von Bruck, Sepp Linhart: "Ich befand mich bei Sepp Linhart. Wir waren nicht mehr als 14 bis 15 Mann und sollten die Kaserne von vorne angreifen, während die beiden anderen Gruppen von rückwärts kommen sollten. Auf dem Wege zur Kaserne provozierte ein Heimwehrmann und wurde von einem Genossen kurzerhand erschossen. Das war sehr dumm, denn die Gendarmerie musste diesen Schuss hören und dadurch gewarnt werden. Im Laufschritt ging es zur Kaserne; wir stürmten durch das Tor, vorbei an den Gendarmen, die links und rechts aus den Fenstern schossen, durch die Einfahrt gegen den Hof. Im Hof standen Gewehrpyramiden, im Hintergrund des Hofes war ein schussfertiges Maschinengewehr gegen uns gerichtet. Wir nahmen sofort die Gendarmen unter Feuer, die versuchten zu ihren Waffen zu kommen, konnten aber selbst nicht in den Hof eindringen, da er von den Fenstern aus beschossen wurde. In unserer Aufregung schossen wir alle gleichzeitig und es trat der Moment ein, in dem alle laden mussten. Da sprangen die Gendarmen aus den Seitengängen zu den Waffen und das MG begann zu arbeiten. Linhart fiel, ein Schutzbündler wurde schwer verletzt Es war völlig unmöglich, sich in der Einfahrt, die keinerlei Deckung bot, gegen diese Übermacht zu halten. Unter Zurücklassung von Linhart - den Verletzten konnten wir mitschleppen - verließen wir das Gebäude." Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 114 f.

New York Times Über die Frage nach der Schuld an den Kämpfen: "Warum die Sozialisten das Objekt dieses Angriffs wurden, ist immer noch ein Rätsel … Es waren doch nicht die Sozialisten, sondern die Nazis, die Bomben in Österreich zur Explosion brachten … Die Unsinnigkeit, der Wahnsinn und die Gemeinheit der ganzen Angelegenheit wird mit jedem Detail offensichtlicher." SEITE|52 Zitiert nach: Der Standard, 14./ 15. Februar 2004.


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Unter dem Kommando des SAJ-Bezirksvorsitzenden Sepp Linhart versucht der Schutzbund in Bruck an der Mur die dortige Gendarmeriekaserne zu stürmen. Linhart wird im Verlauf der Kämpfe getötet (Mitte)

Fritz Inkret (Schutzbündler) Über die Hinrichtung des steirischen Arbeiterführers und sozialdemokratischen Nationalratsabgeordneten Koloman Wallisch: "Ich werde nie vergessen, wie der Wallisch zu seiner Frau, der Paula, auf dem Weg in den Galgenhof g'sagt hat: Paula, sei tapfer, mach's mir net so schwer. Sie hat einen Schreikrampf bekommen." Zitiert nach: Der Standard, 7./ 8. Februar 2004.

(Bild: links/unten) Der vom Dollfuß-Regime hingerichtete steirische Arbeiterführer Koloman Wallisch beim Begräbnis von Opfern eines Heimwehrüberfalls, St. Laurenzen 1929. Da Wallisch bis zum offiziellen Ende der Kämpfe am 15. Februar 1934 nicht gefasst werden kann, wird auf Anweisung des Justizministers Schuschnigg extra das Standrecht verlängert um Wallisch doch noch hängen zu können ein Fall von glattem Justizmord. Auf dem Bild unten rechts ist in der Mitte Wallischs Witwe, Paula, bei geflüchteten Schutzbündlern in der Tschechoslowakei zu sehen

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DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES" Der mittelalterliche Wunschtraum von Dollfuß und seinen AnhängerInnen: Knecht und Bauer essen unter dem Kruzifix friedlich aus der selben Schüssel. Mit der Realität der Landbevölkerung in den 30-er Jahren hat das freilich wenig zu tun - die meisten Knechte und Mägde leben in der "Hofgemeinschaft" unter entwürdigenden Bedingungen und sind dem Willen des "Herrenbauern" schutzlos ausgeliefert

Die Februarkämpfe 1934 waren der Höhepunkt eines Staatsstreichs, den die Christlichsozialen seit 1932 schrittweise umsetzten. Was mit der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 begonnen hatte und im Februar 1934 mit Waffengewalt gegen ein letztes verzweifeltes Aufbäumen durchgesetzt worden war, fand seinen offiziellen Abschluss - wohl inszeniert - am 1. Mai 1934. Bewusst an diesem traditionsreichen Feiertag der geschlagenen ArbeiterInnenbewegung wurde eine neue Verfassung verkündet, die nun auch den offiziellen Bruch mit der Demokratie bedeutete. Schon im neuen Namen des Landes wurde deutlich, woher der Wind wehte: Fortan hieß es nicht mehr "Republik" sondern "Bundesstaat" Österreich. Sämtliche Parteien wurden verboten, 42 als einzige politische Organisation überhaupt blieb die von Dollfuß gegründete "Vaterländische Front" übrig. Der Bundeskanzler und seine Regierung waren mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet und gingen daran, Politik und Gesellschaft neu zu gliedern. Wie sah er nun aus, der neue Staat? DIE "STÄNDISCHE GESELLSCHAFT": IDEOLOGISCHES TRUGBILD UND SOZIALE REALITÄT Die Gesellschaft, die sich aus den Produktionsverhältnissen des modernen Industriekapitalismus entwickelt hatte, war den Christlichsozialen von Beginn an ein Graus gewesen. Ihr Ideal war die vorindustrielle Gesellschaft: ländlich, bäuerlich, gläubig, konservativ. Der "Bruderzwist", also der "unselige Im Fall der Christlichsozialen Partei kann allerdings nicht von einem tatsächlichen Verbot gesprochen werden: Mit Ausnahme des um seinen Posten als Parteiobmann bangenden Vaugoin befürwortete die gesamte christlichsoziale Bundesparteileitung die Auflösung der Partei und ihr Aufgehen in der Vaterländischen Front. 42

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Klassenkampf, der unsere Nation zerrissen und ausgehöhlt hat" (Schuschnigg), sollte der Vergangenheit angehören. Angelehnt an die katholische Soziallehre proklamierten die Christlichsozialen den "Staat der Stände". In ihm sollten Arbeitende und Unternehmer gleichberechtigt in sieben, nach Berufssparten gegliederten Interessensverbänden ("Ständen") zusammengefasst werden. Das Proletariat solle "entproletarisiert" werden, hieß es. Dollfuß über die "Ständische Ordnung" "Wir werden ... wieder zurückgreifen müssen auf ältere Formen, aber nicht nur formalistisch, sondern es muss uns zum Bewusstsein kommen, dass die Arbeit die Menschen einigt. Im Bauernhause, wo der Bauer mit seinen Knechten nach gemeinsamer Arbeit abends am gleichen Tisch, aus der gleichen Schüssel seine Suppe isst, da ist berufsständische Zusammengehörigkeit, berufsständische Auffassung. Und verschönert wird das Verhältnis noch, wenn sie beide nach Feierabend zum Rosenkranz sich niederknien. Nur so werden wir den Marxismus, die falsche Lehre vom notwendigen Kampf der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, wirklich in unserem Volk überwinden. Die äußeren Organisationsformen der berufsständischen Vertretung neu zu gestalten, ist die Aufgabe dieser Regierung." Zitiert nach: Talos, Emmerich, Neugebauer, Wolfgang (Hg.) 1984: Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934 - 1938, Wien, S 78.

Von den ursprünglich geplanten sieben Ständen wurden in den darauffolgenden vier Jahren allerdings nur zwei auch tatsächlich verwirklicht - jener der Landund Forstwirtschaft und der des öffentlichen Dienstes. Die Ursache für dieses Scheitern lag in der Natur der Sache: Zum einen war es keineswegs so, dass sich innerhalb der geplanten Stände Unternehmer und Arbeitende gleichberechtigt gegenüberstanden: Im Betrieb hatte der Unternehmer Vetorecht, die ArbeitnehmerInnen waren ihm faktisch ausgeliefert und

Im Zeichen der Kreuzfahrer, des Kruckenkreuzes, soll die Uhr in Österreich zurückgedreht werden und eine "ständische Gesellschaftsordnung" wieder Einzug halten: Bizarr anmutender Versuch auf einem Werbeplakat der Vaterländischen Front, die Brücke zwischen mittelalterlicher Christianisierungsromantik und faschistischer Ästhetik zu schlagen

hatten keinerlei Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen. Die gesetzliche Grundlage dafür bildete das Werksgemeinschaftsgesetz, 43 das die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitenden, etwa durch Betriebsräte, beseitigte. Aber selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, wenn es tatsächlich einheitliche "Standesinteressen" gegeben hätte, wären Konflikte unvermeidbar gewesen: Wer hätte der jeweiligen Interessensorganisation vorstehen sollen (Wahlen hätten die unter der vaterländischen Oberfläche natürlich weiterhin bestehenden Konflikte offensichtlich werden lassen)? Wie hätten darüber hinaus Konflikte zwischen den Ständen gelöst werden sollen? Aus diesem Grund wurde in der Maiverfassung von 1934 der Handlungsspielraum der Stände von vornherein eng begrenzt. Wer mit der Vertretung des jeweiligen Standes betraut wurde, bestimmte die Bundesregierung. Welcher Wert Beschlüssen von Standesvertretungen Das "Werksgemeinschaftsgesetz" orientierte sich an der faschistischen Gesetzgebung im deutschen und italienischen Arbeitsrecht und war vergleichbar mit der "Carta del Lavoro" und dem "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit". 43

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zukam, illustriert zudem eine Stellungnahme des Sozialministers Neustädter-Stürmer. Er beruhigte den Finanzminister, der sich Sorgen machte, die berufsständischen Ausschüsse könnten etwas gegen seine geplanten Maßnahmen einzuwenden haben, mit den Worten: "Diese Befürchtungen seien jedoch nicht begründet, da die Beschlüsse der berufsständischen Ausschüsse keinerlei bindende Kraft besäßen." Der "Ständestaat" war also von vornherein eine irrationale Idee, die deshalb auch nie Gesetz wurde. Als realer Machtfaktor blieben die autoritäre Regierung und ihre Verbündeten übrig, namentlich Militär, Unternehmer und Großgrundbesitzer, Kirche und Staatsapparat. Dementsprechend fiel die politische, aber auch die soziale Bilanz aus. Noch vor der endgültigen Zerschlagung der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften hatte die Regierung Dollfuß wichtige soziale und demokratische Errungenschaften mit Hilfe von Notverordnungen eingeschränkt oder gleich abgeschafft: Einschränkung der Pressefreiheit, Demonstrationsverbot, Streikverbot, Beschränkung des Arbeitslosengelds auf maximal 20 Wochen, zeitweilige Verhängung des Standrechts, massive Ausweitung der Kompetenzen von Verwaltung und Polizei (speziell Strafbefugnisse), Einrichtung von "Anhaltelagern" für politisch Missliebige, Beseitigung der unabhängigen Gerichtsbarkeit - all das war bereits vor den Februarkämpfen Wirklichkeit geworden. Danach konnten in Ruhe die Früchte dieser Politik geerntet werden: Die Lohnkosten wurden gesenkt, indem die Sozialversicherungsbeiträge künftig ausEndstation "ausgesteuert"

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Jahr

Arbeitslosenrate

Anteil der Unterstützten an der Gesamtzahl der Arbeitslosen

1932 1933 1934 1945

21,7% 26% 25,5% 24,1%

66% 60% 53% 51%

Der kommunale Wohnbau war der ganze Stolz der sozialdemokratischen Stadtregierungen gewesen. Unter der christlichsozialen Diktatur werden die Bauprojekte praktisch eingestellt. Zehntausende müssen weiterhin zusammengepfercht in Elendsquartieren hausen

schließlich Sache der Arbeitenden waren;44 Löhne und Gehälter stagnierten, während die Lebenshaltungskosten ständig stiegen und die Erhöhung der Steuern auf Massengüter besonders die Armen traf; Der jährlichen Nettolohnsenkung von fünf bis acht Prozent standen durchgehend steigende UnternehParallelen in der Gegenwart sind unübersehbar - durch die Zerschlagung des öffentlichen Sozialversicherungssystems werden zu Lasten der ArbeitnehmerInnen zwei Interessensgruppen massiv begünstigt: Zum einen die Unternehmen allgemein, da ihre Sozialversicherungsbeiträge wegfallen (zur vielgerühmten "Privatvorsorge" tragen sie ja nichts bei) und zum anderen die Versicherungskonzerne, die plötzlich eine gewaltige Zunahme ihrer KundInnen verzeichnen können.

44

Die Zahl der staatlich unterstützten Arbeitslosen sank im "Ständestaat" kontinuierlich. Den Betroffenen blieb das Betteln bei den Stellen der Heilsarmee oder der Hunger Quelle: Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (HgIn.) 1983: Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik, Band I, Graz-Wien-Köln, S 408.


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mensgewinne entgegen; das Krankengeld wurde gekürzt, die Mitversicherung für Angehörige stark eingeschränkt, die Unfallrenten und Pensionen gekürzt, gleichzeitig erlebten Polizei und Militär eine starke Aufwertung; der Kommunale Wohnbau wurde praktisch eingestellt und Schutzbestimmungen für MieterInnen abgeschafft; Infrastrukturinvestitionen unterblieben abseits einiger Prestigeprojekte (z. B. Hochalpenstrasse), Millionen aus dem Bundesbudget flossen statt dessen in die Sanierung maroder Banken, speziell der Creditanstalt. Kollektivverträge wurden missachtet oder überhaupt nicht mehr abgeschlossen; die 1919 abgeschafften Arbeitsbücher, die eine bessere Kontrolle der ArbeiterInnen erlaubten, wurden wieder eingeführt; Arbeitsschutzbestimmungen wurden durch die Unternehmer immer mehr ignoriert, der Achtstundentag wurde teilweise wieder abgeschafft; der Kündigungsschutz wurde faktisch aufgehoben, ebenso das Verbot von Kinderarbeit; schlechtbezahlte Kurzarbeit nahm stark zu, währenddessen sank die Zahl der Vollzeit-Beschäftigten stetig;45 katastrophal Sozialausgaben im Budget 1932: 23% 1937: 17% Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien, S 316.

Anteil der Angehörigen von Polizei und Bundesheer an der Gesamtzahl der Staatsbediensteten

Kinder schuften im Kohlebergbau. Eine der ersten Maßnahmen der sozialdemokratisch geführten Regierung nach 1918 war das Verbot der Kinderarbeit. Mit dem "Ständestaat" kehrt die Ausbeutung von Kindern als billige Arbeitskräfte wieder zurück

war auch die Situation von Arbeitslosen: Während das "ständische Österreich" konstant die höchste Arbeitslosenrate Europas hatte, erhielt lediglich die Hälfte der Betroffenen eine - ohnehin armselige - staatliche Unterstützung, sämtliche jugendlichen Arbeitslosen hatten nicht einmal darauf Anspruch. 45 Die Kurzarbeit ist ein gutes Beispiel für die Aktualität von Geschichte - auch heute erwarten sich selbst sozialdemokratische PolitikerInnen in Europa eine Besserung der Situation am Arbeitsmarkt durch schlecht bezahlte und rechtlich benachteiligte "Mc Jobs" und Scheinselbstständigkeit à la "Ich-AG". Tatsächlich liefern derartige Gesetze den Unternehmen auf Kosten der Arbeitenden Billigarbeitskräfte und führen zu Konsumrückgang und Verarmung.

Anstieg von Löhnen und Gehältern (nominal) gegenüber dem Anstieg unverteilter Gewinne der Kapitalgesellschaften 1934-1938

1933: 52%

Löhne und Gehälter + 2%

1936: 65%

Gewinn: + 121%

Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien, S 316.

Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien, S 316.

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Besonders betroffen von der christlichen Offensive waren Frauen: Sie waren oft die Ersten, die gekündigt wurden, verheiratete Lehrerinnen verloren 1934 in mehreren Bundesländern per Gesetz ihren Arbeitsplatz - eine Regelung, die bald für alle Beamtinnen übernommen wurde. Frauen sollten sich wieder ihrer Aufgabe als Mutter und Hausfrau besinnen und die Rolle als Ernährer der Familie sollte künftig den Männern alleine vorbehalten sein. VERSUCHE DER FASCHISIERUNG DES STAATES UND DAS ENDE DER HEIMWEHR Im Unterschied zum Faschismus in Italien und Deutschland verfügte die christlichsoziale Tyrannei in Österreich über keine nennenswerte aktivierbare Massenbasis. Zur Errichtung der Diktatur waren Dollfuß und Konsorten deshalb weitgehend auf den staatlichen Repressionsapparat, also Polizei und Militär, angewiesen - und auf die paramilitärische Heimwehr.46 Dass besonders der Letztgenannten nicht recht zu trauen war, wussten die Christlichsozialen aus leidvoller Erfahrung. Zwar waren viele ihrer Anhänger gleichzeitig Heimwehrmänner, aber die Machtgelüste und Intrigen der untereinander zerstrittenen Führer dieser Faschistentruppe bedeuteten einen permanenten Risikofaktor. Während der Phase der Aufrichtung der Diktatur waren die Heimwehren aber unerlässlich. Nicht so sehr aufgrund ihrer militärischen Bedeutung, hier hatte sich im Februar 1934 gezeigt, dass man sich auf das Bundesheer ausreichend verlassen konnte. Doch Dollfuß und die Seinen hatten sich mit den Nazis nicht einigen können. Als dann deren Terrorwelle anrollte, war klar, dass sie nach der Zerschlagung der Sozialdemokratie die existentiellste Bedrohung des Regimes darstellten. Ziel der österreichischen Nazis war die völlige Destabilisierung der inneren Verhältnisse des "Ständestaates". Im richtigen Moment Sämtliche führenden Positionen in Polizei und Bundesheer waren vorsorglich in den 12 Jahren christlichsozialer Regierungen zwischen 1920 und 1932 systematisch mit konservativen Parteigängern besetzt worden.

46

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sollte sich dann Nazi-Deutschland als "Ordnungsmacht" einschalten und das Land nötigenfalls gewaltsam an das "Reich" angliedern. Schutz vor derartigen Bestrebungen bot für Dollfuß´ Dafürhalten einzig das faschistische Italien. Mussolini wiederum sah in den Heimwehren den Garanten für ein faschistisches Österreich und machte sich für eine starke Einbindung Starhembergs stark. Diesem Wunsch wurde nachgekommen. Zum einen, indem die Heimwehr 1934 an der Regierung des neuen Staates beteiligt wurde,47 zum anderen durch Starhembergs Ernennung zum Führer der Wehrfront, des militärischen Arms der neuen Monopolorganisation Vaterländische Front.48 Die Heimwehr-Führer fühlten sich schon ganz als die neuen Herren im Staat - etwas vorschnell, wie sie bald merken sollten. Denn die Teilhabe an der Macht war eine Konzession der Christlichsozialen an Mussolini gewesen, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Trotz der von der Heimwehr gestellten Minister, trotz des Kommandos über die Wehrfront, trotz des scheinbaren Dualismus der Macht ("zweigeteilte Herrschaft") liefen die Fäden nach wie vor in den Händen der Regierung zusammen - und dort hatten die Christlichsozialen als dominierende Gruppe innerhalb der Vaterländischen Front eine bequeme Mehrheit. Am 25. Juli 1934 unternahmen die österreichischen Nazis einen Putschversuch. Das Unternehmen war dilettantisch geplant gewesen, wurde im Vorfeld vielfach verraten und brach binnen kurzer Zeit zusammen. Interessant war allerdings einmal mehr die zwielichtige Rolle von zwei führenden Köpfen der Heimwehr: Emil Fey und Anton Rintelen. Beide hatten im Vorfeld vom Putsch gewusst und hatten ihn gut geheißen, "Bundesführer" Starhemberg war Vizekanzler, der Wiener Heimwehrchef Fey Sicherheitsminister und der ehemalige Mitverschwörer im Pfrimer-Putsch, Berger-Waldenegg, wurde Justizminister. 48 Die Wehrfront bildete allerdings nur einen Dachverband aller rechten paramilitärischen Einheiten. In ihr waren neben der Heimwehr die Ostmärkischen Sturmscharen, der Freiheitsbund, die Burgenländischen Landesschützen und die Christlich-Deutsche Turnerschaft organisiert. 47


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Brüder im Geiste schießen aufeinander: Heimwehr im Kampf gegen den Naziputsch im Juli 1934

Rintelen war von den Nazis sogar als neuer Bundeskanzler vorgesehen gewesen. Währenddessen blieb Starhemberg loyal zur Regierung und bot in den zum Teil erbitterten Kämpfen (besonders in Kärnten und der Steiermark) Heimwehreinheiten zur Niederschlagung der Nazis auf. Mussolini hatte gleich zu Beginn des Putsches italienische Truppen am Brenner aufmarschieren lassen und damit Deutschland klar gemacht, dass eine eventuelle Invasion Österreichs nicht geduldet werden würde. Die Treue Starhembergs und das Verhalten Mussolinis in dieser heiklen Situation stärkte den Einfluss der Heimwehr innerhalb des Regimes nochmals. Nachdem Dollfuß dem Nazi-Putsch zum Opfer gefallen war, trat an seine Stelle der bisherige Justiz- und Unterrichtsminister, Kurt Schuschnigg. Er zeigte sich erkenntlich für die loyale Haltung Starhembergs. Dieser blieb Vizekanzler und wurde darüber hinaus auch noch Bundesführer der Vaterländischen Front. Aber bald setzte innerhalb der Vaterländischen Front und besonders innerhalb der Wehrfront ein erbitterter Machtkampf zwischen der Heimwehr und den anderen Paramilitärs ein. Zusätzlich schwerwiegend war das Konkurrenzverhältnis der Heimwehr zum Bundesheer, dessen Gene-

Dollfuß ist seinen Verletzungen erlegen. Mit dem braunen Putschversuch im Juli 1934 scheitern endgültig die Hoffnungen von Dollfuß und Starhemberg, doch noch zu einer Einigung mit den Nazis zu kommen

räle die Hahnenschwanzler misstrauisch beäugten und sie als lästige Konkurrenz betrachteten. Nach den Kämpfen im Februar 1934 und der erfolgreichen Abwehr des Nazi-Putsches im Juli selben Jahres forderten die Militärs eine Entmachtung der Heimwehr. Sie argumentierten (nicht ganz zu Unrecht) damit, dass die Heimwehr nun zur Absicherung des Regimes nicht mehr gebraucht würde und nur einen dauernden Gefahrenherd darstellen würde. Schuschnigg teilte diese Einschätzung, auch er hielt die Heimwehr für unberechenbar und ihren Führer Starhemberg tendenziell für einen wankelmütigen Schwachkopf, den man sich lieber heute als morgen vom Hals schaffen sollte. Weil aber Mussolini auf keinen Fall verärgert werden durfte, konnte Starhemberg nicht einfach so aus dem Amt gejagt werden. Seine Entmachtung vollzog sich deshalb in zwei Stufen. Sie begann 1935 mit der Vereinheitlichung aller Wehrverbände zur "Freiwilligen Miliz - Österreichischer Heimatschutz", womit die Heimwehr an Einfluss verlor. Als sich im Jahr 1936 die außenpolitische Situation grundlegend änderte, war die Zeit reif für den zweiten und abschließenden Schlag. Der Schutzpatron der Heimwehr, Mussolini, war im von ihm vom Zaun gebrochenen Abessinienkrieg auf die Unterstützung Deutschlands angewiesen und bemühte sich daher, Hitlers Interessen in der Politik gegenüber Österreich entgegenzukommen.

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Italien war nun nicht mehr länger Garant eines eigenständigen Österreichs - Mussolini ließ Schuschnigg wissen, er solle sich mit den Nazis arrangieren. Schuschnigg war auch durchaus gewillt, diesem Rat nachzukommen, aber einer Aussöhnung mit den österreichischen Nazis stand die Heimwehr im Weg. Die wusste nämlich genau, dass sie von Hitlers Gewährsmännern in Ministerämtern nichts Gutes zu erwarten haben würde.49 Starhemberg versuchte, das nun Kommende doch noch durch martialische Sprüche aufzuhalten. Er ließ öffentlich unter anderem wissen: "...dass der Heimatschutz nicht daran denkt, als bewaffnete Formation abzurüsten und vom Schauplatz abzutreten ... Nur über meine Leiche geht derzeitig der Weg zur Abrüstung des Heimatschutzes, es gibt jetzt keine Abrüstung des Heimatschutzes." Genau zwei Wochen später musste die Heimwehr dennoch ihre Ministersessel räumen und wurde durch Vertraute der Nazis ersetzt. Der Heimatschutz wurde wenig später sang- und klanglos aufgelöst. Starhembergs politische Karriere endete als Protektor des vaterländischen Mutterschutzwerkes. GESCHEITERTE EINHEITSPARTEI DIE VATERLÄNDISCHE FRONT (VF) Ursprünglich als politische Monopolorganisation des "Ständestaats" gedacht, war die VF von Dollfuß bereits Es waren also machttaktische Überlegungen und nicht etwa inhaltliche Einwände die Ursache für die anti-nazistische Haltung der Heimwehr. Starhemberg drückte seine Bewunderung für Hitler gegenüber dem deutschen Botschafter in Wien, von Papen, so aus: "Er hat das Verdienst, der erste Staatsmann gewesen zu sein, der die Gefahr einer bolschewistisch-freimaurerischen Front für die ganze Welt erkannte und sie kompromisslos bekämpfte." Bei anderer Gelegenheit sprach er von einer notwendigen Einheitsfront der autoritären Staaten "gegen die gemeinsame Offensive des Bolschewismus und der jüdischen Demokratie."

Das Ende einer faschistischen Karriere. Der abgehalfterte Heimwehrführer Starhemberg als "Protektor des vaterländischen Mutterschutzwerkes"

kurz nach der Ausschaltung des Nationalrates im März 1933 gegründet worden. Sie sollte seiner Diktatur die fehlende Massenbasis beschaffen und in weiterer Folge dazu dienen, nach italienischem und deutschem Vorbild die Gesellschaft im faschistischen Sinne total zu umfassen. Um die Staatsdoktrin möglichst in alle Lebensbereiche einfließen zu lassen wurde eine breite Palette von Vorfeldorganisationen geschaffen: vom Kulturreferat und dem Kinderferienwerk über Betriebs- und Dienststellenorganisationen bis hin zum Mutterschutzwerk und der VF-Jugendorganisation Österreichisches Jungvolk. Der Beitritt zur VF war formal freiwillig, umso erstaunlicher wirkt aufs Erste die vom Regime verlautbarte Mitgliederzahl von zwei Millionen im Jahr 1935, was etwa einem Drittel der Gesamtbevölkerung entsprach. Hermann Göring über die Versuche von Dollfuß und Schuschnigg, den italienischen und deutschen Faschismus zu kopieren:

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"[dass Österreich] in der Staatsstruktur genau alles dem deutschen Nationalsozialismus nachmacht, das heißt die gleichen Formen findet, die gleichen Organisationen, die gleichen Ausdrücke, die gleichen Satzungen, die gleichen Methoden nur mit umgekehrten Vorzeichen ... man brauche in Österreich nur statt des Kruckenkreuzes das Hakenkreuz zu setzen und statt des Wortes "vaterländisch" "nationalsozialis-


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tisch", so wäre in Österreich das lebendige Spiegelbild von Deutschland vorhanden." Zitiert nach: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien, S 314.

Die Erklärung ist allerdings simpel: Erstens gingen in der VF viele bürgerliche Organisationen und Parteien auf, die kollektiv beitraten. Zweitens war die VFMitgliedschaft eben keineswegs für alle freiwillig, sondern etwa für BeamtInnen und ArbeiterInnen in vielen (zumeist großen) Unternehmen Pflicht. Und selbst für diejenigen, die nicht Mitglied werden mussten Anstellungen und Konzessionen waren als VF-Angehörige/r um etliches leichter zu ergattern, die Schwierigkeiten soziale Unterstützung durch den Staat zu bekommen, waren erheblich geringer, usw. Eventuellen ideologischen Bedenken von Nazis stand außerdem die Tatsache entgegen, dass in der VF keineswegs nur Freunde des Regimes vereint waren: Viele Teilorganisationen und Untergruppen waren als ausgesprochene Nazinester bekannt. Dieser Umstand war Schuschnigg bekannt und wurde von ihm gutgeheißen, ab 1936 auch aktiv gefördert. Alles, was antidemokratisch dachte, ob Heimwehrfaschist, Christlichsozialer oder Nazi, war willkommen. Zu jenem harten Kern der VF kamen, wie erwähnt, sämtliche BeamtInnen und in Scharen MitläuferInnen hinzu, die sich von einem Beitritt materielle Vorteile erhofften. Die Versuche des Regimes, über die Vaterländische Front und ihre Betriebsorganisation unter ArbeiterInnen Fuß zu fassen, scheiterten hingegen einigermaßen kläglich. Hauptsächlich deshalb, weil Arbeitende sich sehr wohl bewusst waren, dass ihre Interessen von der VF nicht wahrgenommen wurden - sie sahen in VFlern zumeist nur Spitzel, die ihnen das Leben schwer machten. Nach eigenem Bekunden wurden VF-Funktionäre in den Betrieben "von Arbeitskollegen als bestellte Polizei-Kommissäre angesehen"50. Um das schlechte 50

Image der Diktatur unter Arbeitenden zu verbessern, wurde 1936 in Betrieben die Wahl von Vertrauensleuten zugelassen. Bei diesem Experiment wollte die VF aber vorsichtshalber Nichts dem Zufall überlassen. Um zu verhindern, dass politisch Unliebsame den Sieg davon tragen könnten, wurden sie - so sie bekannt waren - von der Wahl bereits im Vorfeld ausgeschlossen. Umso bitterer war das Ergebnis der Wahlen, bei denen die Kandidaten der Vaterländischen Front eine herbe Niederlage einstecken mussten. Bericht der VF über die VertrauensleuteWahl in den Steyrer-Werken "Die Wahlen in den Steyrer-Werken brachten für die VF betrübliche Ergebnisse, und zwar: Von der 3.770 Mann starken Belegschaft erhielten unsere Vertrauensleute ca. 320 Stimmen, die als Kommunisten bekannten Personen erhielten gegen 1.000 Stimmen und die ehemals sozialdemokratischen Funktionäre erhielten rund 1.800 Stimmen." Quelle: Politischer Bericht an das VF-Generalsekretariat vom 24.11. 1936.

Zusammenfassend kann demnach über die Vaterländische Front gesagt werden, dass sie den Versuch darstellte, nach der Errichtung der Diktatur von oben eine faschistische Massenbasis zu schaffen. Sie sollte dazu dienen, in Österreich einen Konkurrenzfaschismus zu etablieren, um den Nazis Boden zu entziehen, indem man sie "überhitlerte". Die VF verfügte aber außer der Parole vom "besseren deutschen Staat Österreich" über kein Programm und konnte deshalb auch nie eine Dynamik wie die faschistischen Bewegungen in Deutschland und Italien entfalten. Über die Funktion als Karriere-Sprungbrett und Denunzianten-Organisation zur politischen Überwachung und Kontrolle kam sie nie hinaus. Viele, die damals den Nazis folgten, dachten ähnlich wie der Autor Ralf Roland Ringler, der über seine Ablehnung

Bericht eines Funktionärs über seine "schwierige Stellung im Betriebe" während einer Sitzung der VF-Bezirksstelle Wien-Leopoldstadt, 8.11.1935.

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der österreichischen Diktatur zwischen 1934 und 1938 schrieb: "Wir aber wollten in einem großen, starken Staat leben - nicht in einer kleinen, komischen Diktatur." DIE LETZTE PHASE DES "STÄNDESTAATES" UND DIE MÄR VOM WIDERSTAND GEGEN DIE NAZIS Mit dem Verlust ihres Schutzpatrons Mussolini war die Diktatur Schuschniggs bereits 1936, zwei Jahre vor ihrer offiziellen Niederlage, faktisch am Ende. Im Nachhinein verklärten Konservative das Regime zwar zu "Widerstandskämpfern" gegen die braunen Horden, einer näheren Betrachtung hält diese Behauptung aber nicht stand. Dollfuß - und nach ihm Schuschnigg - hatten nicht nur mehrmals versucht, sich mit den Nazis zu arrangieren. Sie bereiteten in mehrerlei Hinsicht den Boden für deren Machtübernahme und trugen die Hauptschuld daran, dass es zu keinem Widerstand gegen den "Anschluss" im März 1938 kam. Das Regime schaltete die organisierte ArbeiterInnenbewegung aus und verfolgte bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht aktive AntifaschistInnen. Faschistisches Gehabe der Schuschnigg-Diktatur: Das "VFSturmkorps" soll nach dem Vorbild der SS in Deutschland die Prätorianergarde des österreichischen Regimes bilden. Der "Ständestaat" beweist wenig Phantasie, sogar die Uniformen des "Sturmkorps" sind jenen von Himmlers Totenkopforden nachempfunden

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Damit nahm man sich selbst den einzigen ernst zu nehmenden innenpolitischen Bündnispartner im Kampf gegen die Nazis. Ideologisch und emotional stellte die christlichsoziale Diktatur die Weichen für den deutschen Faschismus in Österreich: Sie hatte Demokratie und Rechtsstaat abgeschafft, jahrelang wurde die Bevölkerung mit dem Führerprinzip, Nationalismus, rabiatem Antimarxismus, dosiertem Antisemitismus und Militarismus vertraut gemacht. Dollfuß beschrieb die Strategie dieser Politik so: "Die braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazi versprechen und in Deutschland getan haben, was ohnehin gemildert wird durch verschiedene Richtungen bei uns, selber machen...". Gesagt, getan. Nicht von ungefähr glich die Inszenierung von Großveranstaltungen der Vaterländischen Front den Kundgebungen der Nazis bis ins Detail. Nicht zufällig wurde die antisemitische Hetze der Katholischen Kirche vom Regime nicht nur geduldet, sondern weitgehend übernommen. Um den Antisemitismus zu entfachen, ließ etwa der christlichsoziale "Freiheitsbund" der Vaterländischen Front 1936 in Wien 300.000 Flugblätter mit der Aufschrift:


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07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

"Juden! Kauft nur bei Euern Glaubensgenossen!" verteilen.51 In Vereinen landauf landab wurden nur noch "Arier" aufgenommen, jüdische Jugendliche waren von der Aufnahme im österreichischen Gegenstück zur HJ, dem "VF-Werk Österreichisches Jungvolk" ausgeschlossen, in Wien bekamen Menschen jüdischer Herkunft ab Sommer 1937 keine Gemeindewohnungen mehr. Auch der Staatsdienst wurde schleichend "entjudet". Doch die Mühe, den Nazis nachzueifern, war vergebens - die einstigen AnhängerInnen des Systems liefen scharenweise zu den illegalen Nazis über. Wer bleibt schon beim Schmiedl, wenn auch der Schmied zu haben ist? Auf der anderen Seite konnten keine neuen SympathisantInnen gewonnen werden, da sich die Lebenssituation der ArbeitnehmerInnen immer weiter verschlechterte. Mit dem Abessinien-Krieg 1936 rächte sich, dass Dollfuß und Schuschnigg in den vorangegangenen Jahren ihr Heil einzig und allein in einer Anbiederung an Italien gesucht hatten. Der Völkerbund verhängte ein Embargo über den Aggressor Italien, das nun vor allem auf Kohle- und Stahllieferungen aus Deutschland angewiesen war. Nachdem sich Mussolini folglich von Schuschnigg ab- und Hitler zugewandt hatte, versuchte das außenpolitisch isolierte österreichische Regime zu retten, was zu retten war. Mit dem Juli-Abkommen 1936 anerkannte Hitler die Unabhängigkeit Österreichs - auf den ersten Blick ein unerhörter Verhandlungserfolg für Schuschnigg. Wie so oft war das wirklich Ausschlaggebende aber auch hier gewissermaßen kleingedruckt. In einem geheimen Zusatzprotokoll verpflichtete sich Österreich "zu einer deutschen Politik" und zur Einbeziehung "der nationalen Opposition" (den Nazis) in die politische Verantwortung.

Die Aktion fand auch in deutschen Diplomatenkreisen großen Anklang: Deutschlands Botschafter in Wien, Franz von Papen, schlug Hitler sogar vor, den Freiheitsbund finanziell zu unterstützen, damit dieser seinen "Kampf gegen das Judentum" fortführen könne.

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Der Nachfolger von Dollfuß, Kurt Schuschnigg. Er ist maßgeblich verantwortlich für die fatale Politik der steten Konzessionen gegenüber dem Dritten Reich. Selbst als Mussolini ihn fallen lässt, verweigert der außenpolitisch völlig isolierte Diktator eine Zusammenarbeit mit der illegalen Sozialdemokratie, um den "Anschluss" doch noch aufzuhalten

Praktisch bedeutete die Verpflichtung zur "deutschen Politik" beispielsweise, dass Schuschnigg öffentlich keinerlei Kritik mehr an den Vorgängen im "Altreich" üben durfte. Es war nun nicht mehr möglich zu erklären, dass die Arbeitslosigkeit in Hitler-Deutschland nur durch die enorme Aufrüstung für einen neuen Krieg kurzfristig verschwunden war. Die Einbindung der "nationalen Opposition" führte darüber hinaus dazu, dass 17.000 illegale Nazis amnestiert wurden, während viele AntifaschistInnen weiter in den Gefängnissen und Anhaltelagern eingesperrt blieben. Den Nazis wurde ein Minister, Glaise-Horstenau, zugestanden, Anfang 1937 erhielten sie innerhalb der Vaterländischen Front auch ihre eigene Abteilung, das "Volkspolitische Referat". Der Glaube, die Nazis würden sich mit diesem Entgegenkommen zufrieden ge-

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EXKURS II

IM NAMEN GOTTES ben, war allerdings blauäugig. Hitler hatte ja seit jeher erklärt, "alle Deutschen in einem Reich" vereinen zu wollen und wenig Zweifel daran gelassen, dass er es diesbezüglich nicht bei Absichtserklärungen bewenden lassen würden. Außerdem ergaben sich durch die deutschen Rüstungsanstrengungen 1937 ernste wirtschaftliche Probleme. Der "Anschluss" Österreichs war für die Nazis nun nicht mehr "nur" ideologisch wichtig, sondern wurde auch wirtschaftspolitisch interessant. Der Mangel an Rohstoffen, vor allem an Eisen und Stahl, die knapp gewordenen Arbeitskräfte und die hohe deutsche Staatsverschuldung konnten durch einen "Anschluss" Österreichs kurzfristig gelindert werden. Schließlich gab es in der "Ostmark" einiges zu holen: die Gold- und Devisenvorräte der Österreichischen Nationalbank, den steirischen Erzberg und die unausgelasteten Arbeitskräfte waren die lukrativen Aspekte des "großdeutschen Ideals". Die abgehalfterte Diktatur Schuschniggs konnte dem Druck, der ab 1937 immer stärker wurde, nichts mehr entgegensetzen. Appelle von Seiten der illegalen Sozialdemokratie, der Gewerkschaften und der KP, sich zur Wehr zu setzen, ignorierte Schuschnigg52 und erklärte statt dessen, er wolle "kein deutsches Blut vergießen". Am 12. März besetzten deutsche Truppen unter dem Jubel von Zehntausenden das Land. "Das österreichische Huhn ist in den deutschen Topf gefallen", bemerkte der italienische Außenminister Galeazzo Ciano spöttisch.

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52 Zu den zahlreichen Versuchen, sich mit dem österreichischen Regime auf eine gemeinsame Abwehrfront gegen die Nazis zu verständigen, gehörte unter anderem eine Petition an Schuschnigg mit über 100.000 Unterschriften, in der eine "Volksfront" gefordert wurde.

POLITI S IN Die Elite der christlichsozialen Partei rekrutierte sich, ebenso wie jene des "Ständestaates", zum allergrößten Teil aus der Katholischen Kirche und ihrem Umfeld. Keine andere Interessensgruppe profitierte derart von der Diktatur zwischen 1934 und 1938 wie die katholische Kirche. Aber damit alleine die Rolle der Kirche bzw. des politischen Katholizismus bei der Beseitigung der Demokratie und der Errichtung der Diktatur zu erklären, wäre zu kurz gegriffen. WAS IST "POLITISCHER KATHOLIZISMUS"? Zu den wichtigsten Forderungen der Aufklärung gehört die strikte Trennung von Religion und Staat. Es sei, wurde proklamiert, allen Menschen selbst überlassen, sich Gedanken über das Woher und Wohin des Menschen und seiner "Seele" zu machen. Ob wir nach unserem Tod einfach nur in einer Holzkiste vermodern oder aber gen Himmel fahren, sollte keinerlei Einfluss auf die Organisation des gesellschaftlichen Lebens auf Erden haben. Zu verheerend war die Vermengung von Politik und Religion in der Vergangenheit gewesen, als dass den Kirchen im Zeitalter der Vernunft weiterhin der gleiche enorme Einfluss zugebilligt werden durfte wie zuvor. Im Namen keiner Religion sollten mehr Kriege geführt, Menschen ausgegrenzt und umgebracht, Herrschaft legitimiert und Wissenschaft kontrolliert und gelenkt werden. Religion sollte von nun an bloße Privatsache sein, aber darüber hinaus keinen Einfluss mehr auf Staat und Gesellschaft haben. Wo mit bürgerlichen Revolutionen das Gedankengut der Aufklärung gesiegt hatte und sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten festigen konnte, waren (und sind) diese Vorstellungen unumstrittene Eckpfeiler des allgemeinen Demokratieverständnisses. Nicht so in


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I SCHER KATHOLIZISMUS N DER ERSTEN REPUBLIK Österreich. Das Habsburgerreich hatte Macht und Reichtum der Katholischen Kirche im großen und ganzen nicht in Frage gestellt und gegen liberale und sozialistische Bestrebungen meist wütend verteidigt eine Ausnahme bildete hier lediglich Joseph II. Der Klerus dankte es der kaiserlichen Familie mit unverbrüchlicher Loyalität und leistete einen wichtigen Beitrag zur Herrschaftssicherung: Die Kirche verankerte eine irrationale Ideologie in den Köpfen der gläubigen Massen, die jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der "gottgewollten Herrschaft auf Erden" von vornherein ausschloss. Unter "politischem Katholizismus" wird nun generell der Versuch der Kirche zusammengefasst, ihren Einfluss auf das politische Leben gegen die Säkularisierung ("Verweltlichung") der Gesellschaft zu verteidigen. KIRCHE UND KAPITALISMUS: STAND ODER KLASSE? Die Ursache für ihren schwindenden Einfluss sahen die Kirchenfürsten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem im um sich greifenden "gottlosen Marxismus". Ihn galt es auszurotten. War die ArbeiterInnenbewegung erst zum Schweigen gebracht, würde die Welt wieder in Ordnung sein. Kaum verwunderlich war daher, dass die Herren mit der Demokratie, in der sie ein Werk der "Roten" sahen, wenig Freude hatten. Nach 1918 träumten sie von einer Rückkehr in die selige Zeit des Habsburger-Reiches, als die Gesellschaftsordnung noch ganz ihren Vorstellungen entsprochen hatte. Doch die Exzellenzen irrten, wenn sie die Republik als Grund allen Übels geißelten. Denn schon lange vor dem Zusammenbruch der Monarchie war die traditionelle, von der Kirche dominierte Lebensform des Mittelalters massiven Veränderungen von außen ausgesetzt gewesen.

Die katholische Gesellschaftsanalyse stützte sich auf eine Geschichtsschreibung, die im Mittelalter die "gottgewollte" Gesellschaftsform verwirklicht sah. Damals, so die Legende, hätte die Menschheit friedlich zusammengelebt, weil niemand fürchten musste, die eigene Position von einem Tag auf den anderen zu verlieren. Die Gesellschaft sei in drei "Ordines" (lat. "Stände") gegliedert gewesen: Während die ersten beteten, hätten die zweiten zu kämpfen und die dritten schließlich zu arbeiten gehabt. Alle wären in dieser ständischen Gesellschaftsordnung eingebettet gewesen und hätten gewusst, wo sie hingehörten - in die behaglichen Gemächer der Schlösser und Klöster oder in die fraglos nicht ganz so bequemen Quartiere, in denen das "Gesinde" hauste. Erst der aufkommende Kapitalismus hätte aus der ständischen Gesellschaft eine Klassengesellschaft gemacht, in der sich plötzlich Menschen gegen ihr Schicksal auflehnten. Einer wissenschaftlichen Betrachtung hält dieses Konstrukt der heilen mittelalterlichen Welt nicht stand: Natürlich hatte es auch im Mittelalter gesellschaftliche Klassen gegeben, hatten Verteilungskämpfe existiert und hatten sich Beherrschte gegen ihre Unterdrücker gewandt - als bekanntestes Beispiel seien hier nur die Bauernkriege genannt. Mit der Industrialisierung erreichten diese Auseinandersetzungen jedoch eine neue Qualität. Die überschaubare, von der Obrigkeit verhältnismäßig leicht kontrollierbare ländliche Struktur der Feudalgesellschaft hatte es der "einfachen" Bevölkerung im Mittelalter erschwert, sich zusammen zu tun um gemeinsame Interessen durchzusetzen. In den neu entstandenen Industriezentren des 18. und 19. Jahrhunderts hingegen lebten Tausende auf engstem Raum unter den selben fürchterlichen Bedingungen und begannen daher sehr rasch, ein gemeinsames Bewusstsein zu entwi-ckeln und sich zu organisieren. Die Kirche hatte für sozialistische Bestrebungen grundsätzlich wenig über, aber auch manche ihrer Würdenträger konnten nicht umhin anzuerkennen, dass die Ursache für das Aufbegehren des Proletariats die menschenunwürdigen Lebensbedingungen der ArbeiterInnen waren. Die politische Antwort auf den "hasserfüllten mar-

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Angehörige des Cartell-Verbandes (CV) bei einem Aufmarsch der Vaterländischen Front 1934. Die Eliten des "Ständestaat"-Regimes entstammen beinahe durchgehend den katholischen Studentenverbindungen. Auch abseits des CV bildet die Vielzahl katholischer Vereine und Netzwerke einen der wichtigsten Stützpfeiler kirchlicher Macht

xistischen Klassenkampf" (Kardinal Piffl) sah der Klerus in der Rückbesinnung auf das Mittelalter und seine "ständische" Gesellschaft. Dollfuß, der ganz in dieser Denktradition stand, brachte die katholische Sehnsucht in seiner berühmt-berüchtigten "Trabrennplatzrede" 1933 auf den Punkt, als er meinte, das "sogenannte Mittelalter" sei "jene Zeit [gewesen], in der der Arbeiter gegen seinen Herren nicht aufstand und organisiert war, jene Zeit, wo Wirtschaft und Leben auf der Zusammenfassung aller gegründet war ..."53 Prägnanter zusammengefasst hieß das, das Proletariat solle gefälligst aufhören, gemeinsam für seine Rechte zu kämpfen und ArbeiterInnen ihre untergeordnete Stellung auf Erden akzeptieren. Im Gegenzug sollten die Reichen schon im eigenen Interesse - doch bitte niemanden mehr verhungern lassen. Von den Herrschenden Gnade zu erbitten und Brot zu erhoffen sei in Ordnung. Beides aber als Recht einzufordern wäre Frevel, Terror, Anarchie. Dieses Prinzip ist bis heute Kerngedanke der Katholischen Soziallehre: Mildtätigkeit als Christenpflicht der Reichen statt dem Recht auf gleiche Teilhabe an den Gütern dieser Welt für alle - Charity statt Gesetze. DIE MACHT DER KIRCHE IN DER JUNGEN REPUBLIK Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde der letzte Habsburger auf dem Thron der österreichisch-ungarischen Monarchie, Kaiser Karl I, davongejagt. Mit der Republik hatte die ArbeiterInnenbewegung einen gewaltigen Sieg errungen. Doch neben den bürgerlichen SEITE|66

Die ganze "Trabrennplatzrede" ist abgedruckt bei: Berchtold, Klaus (Hg.) 1967: Österreichische Parteiprogramme 1868-1966, Wien, S 427 ff.

Parteien stand der Linken ein weiterer mächtiger Gegner gegenüber: Die katholische Kirche verfügte über beispiellose Möglichkeiten, die Meinung im Land in ihrem Sinne zu beeinflussen. Landauf, landab wetterten Pfarrer wütend von den Kanzeln gegen den ersten Paragraphen der neuen Verfassung, der besagte: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke aus." Einen Staat, dessen Recht sich nicht von Gott, sondern vom Volk herleite, könne kein Christ wollen, ließen sie ihre Schäfchen wissen. Die Macht der Kirche beruhte im Wesentlichen auf zwei Eckpfeilern. Erstens waren die Eliten in Beamtenapparat und Wirtschaft nach 1918 weitgehend die Selben wie schon in der Monarchie. Abgesehen von einer Minderheit antiklerikaler Deutschnationaler waren diese Eliten konservativ-katholisch geprägt. In Anbetracht ihrer eigenen gefährdeten Privilegien hatten sie für die antirepublikanische Hetze der Kirche allzeit ein offenes Ohr. Zweitens übte der Klerus besonders in den ländlichen Regionen seit Jahrhunderten in einem Maß soziale Kontrolle aus, das seinesgleichen suchte. Nach Schätzungen des Salzburger Historikers Ernst Hanisch lag die Quote all jener, die zumindest einmal wöchentlich der Messe beiwohnten, bei siebzig bis achtzig Prozent der Gesamtbevölkerung. Keine andere Organisation hatte die Gelegenheit, einmal wöchentlich praktisch allen, die irgendwie kreuchen und fleuchen konnten, zu vermitteln, wer für das Gute und Rechte in der Welt und wer im Dienste des Satans stand.

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Der Pfarrer bestimmte in der österreichischen Provinz, wer als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft zu gelten


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hatte und wer nicht. Er gab über weite Strecken vor, welche Form des Umgangs miteinander gepflogen werden sollte, wie also das kulturelle, soziale und damit zu wesentlichen Teilen auch das politische Leben auszusehen hatte. Hinzu kam ein weit verzweigtes Netz von Vorfeldorganisationen, Studentenverbindungen und nicht zuletzt der katholische Einfluss auf das Schulwesen. SCHÜTZENHILFE FÜR ANTIDEMOKRATISCHE KRÄFTE Mit der Demokratie an sich konnte der Klerus schon wenig genug anfangen. Mit denen, die sie erkämpft hatten, der ArbeiterInnenbewegung, allerdings noch deutlich weniger. Die Hoffnung der Kirche ruhte daher seit 1918 auf Männern, die ihren Abscheu gegen die Demokratie teilten, wie die Wiener Christlichsozialen Ignaz Seipel, Kurt Schuschnigg oder Engelbert Dollfuß, aber auch auf strammen Deutschnationalen (und späteren Nazis) wie Arthur-Seyss Inquart. Breite Unterstützung der Kirche fanden auch die Heimwehren in ihrem Kampf gegen die "gottlosen Roten". Die Abneigung der Kirche gegen die Sozialdemokratie war vorwiegend ideologisch motiviert und kaum auf konkrete antikirchliche Politik der SDAPÖ zurückzuführen. Turnerinnen des Halleiner Arbeitervereins in den 20ern. Das Aufbegehren von Frauen gegen althergebrachte Rollenmuster, ihr Kampf um Gleichberechtigung und Mitbestimmung war den Kirchenmännern zutiefst suspekt. Inbegriff "sittlicher Zerrüttung" war für sie besonders das neue weibliche Selbstbewusstsein, mit dem ein neues, positives Verhältnis zum eigenen Körper einherging

Festliche Versammlung der Ortsgruppe Holzleithen (OÖ) des Freidenkerbundes. Die antiklerikalen sozialdemokratischen "Freidenker" sind das Lieblingsfeindbild des Klerus. Nach der Ausschaltung des Parlaments 1933 ist ihre Organisation eine der ersten, die Dollfuß verbieten lässt

Die frommen Herren konnten zwangsläufig wenig Sympathien für eine Bewegung empfinden, die im selbstbestimmten (also weder von ihnen noch von Gott gelenkten) Menschen ihr Ziel sah. Selbst zumeist aus "besseren Kreisen" stammend, hatten die kirchlichen Würdenträger auch herzlich wenig für eine Sozialpolitik übrig, die sie als "bolschewistische Gleichmacherei" verdammten. Die hysterischen Reaktionen auf im Grunde sehr vorsichtige Versuche der Sozialdemokratie, den Einfluss der Kirche im Unterrichtswesen zurückzudrängen, machten außerdem deutlich: Die Kirche vertraute im Zweifelsfall weniger "der natürlichen Liebe des österreichischen Volkes zu Jesus Christus" als der Zwangschristianisierung von Kindheitstagen an. Als diese Praxis nun erstmals in Frage gestellt wurde, war Feuer am Dach. Der große Schrecken, den etwa der "Glöckel-Erlass"53 hervorrief, wird in einer Stellungnahme von Kardinal Piffl aus dem Jahr 1931 deutlich. Der sogenannte "Glöckel-Erlass" im Roten Wien des Jahres 1919 besagte, dass Schulkinder von ihren Religionslehrer nicht mehr gezwungen werden durften, am Sonntag die Messe zu besuchen und untersagte die Anbringung religiöser Symbole in öffentlichen Schulen.

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Gemeinsames Wahlplakat von Heimwehr und Christlichsozialen. Die Sozialdemokratie bemüht sich in der Ersten Republik um eine Trennung von Kirche und Staat, die in anderen Staaten, wie etwa Frankreich, zum demokratischen Grundverständnis gehört. Bischöfe und Christlichsoziale verteufeln die Verbannung religiöser Symbole aus Schulen und Amtsstuben in Wien als "marxistische Gewaltherrschaft"

Katholischer Antisemitismus

Seine Exzellenz meinte damals: "Aber gerade die zeitweilige Gewaltherrschaft des österreichischen Marxismus hat den Katholiken die Augen geöffnet. Sie sahen eine Weltanschauung an der Arbeit, die wohl überall niederreißen, aber nirgends aufbauen konnte, sahen an der Stelle des Rechts brutale Gewalt an der Regierung und sahen nicht zuletzt, wie die Grundsätze der katholischen Weltanschauung systematisch aus allen Gebieten des staatlichen und öffentlichen Lebens verdrängt wurden." 55 Wer in der demokratischen Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie eine "marxistische Gewaltherrschaft" erblickte, konnte automatisch kein großer Freund des gesamten demokratischen Systems sein. Allerdings hatte die Politik der Kirche, allzeit gegen die Sozialdemokratie zu hetzen und fleißig die Werbetrommel für die Christlichsozialen zu rühren, auch einen materiellen Hintergrund. Neben dem Ziel eines "Ständestaates", erhoffte sich der Vatikan von der Ausschaltung der Linken die Möglichkeit, ein vorteilhaftes Konkordat abschließen zu können.56 Zitiert nach: Hanisch, Ernst 1984: Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des "Austrofaschismus" in: Talos, Emmerich und Neugebauer, Wolfgang (Hg.) 1988: "Austrofaschismus". Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, 4. erweiterte Auflage, Wien, S 56." 56 "Konkordate" sind Verträge zwischen dem Vatikan und anderen Staaten, die die Rechte der Kirche in den betreffenden Ländern regeln. 55

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Aus dem Hirtenbrief des Linzer Bischofs Johannes Maria Gföllner 1933: "Zweifellos üben viele gottentfremdete Juden einen überaus schädlichen Einfluß auf fast alle Bereichen des modernen Kulturlebens. Wirtschaft und Handel, Geschäft und Konkurrenz, Advokatur und Heilpraxis, soziale und politische Umwälzungen sind vielfach durchsetzt und zersetzt von materialistischen und liberalen Grundsätzen, die vorwiegend vom Judentum stammen. Presse und Inserate, Theater und Kino sind häufig erfüllt von frivolen und zynischen Tendenzen, die die christliche Volksseele bis ins Innerste vergiften und die ebenso vorwiegend vom Judentum genährt und verbreitet werden. Das entartete Judentum im Bunde mit der Weltfreimaurerei ist auch vorwiegend Träger des mammonistischen Kapitalismus und vorwiegend Begründer und Apostel des Sozialismus und Kommunismus, der Vorboten und Schrittmacher des Bolschewismus. ..."

DER KLERUS UND DIE ERRICHTUNG DER DIKTATUR Nachdem sich die Christlichsozialen 1933 im Bündnis mit der Heimwehr endgültig auf die Abschaffung der Demokratie festgelegt hatten, unterstützte die Kirche den eingeschlagenen Kurs nach Kräften. Sie goutierte die Ausschaltung des Parlaments und ermutigte Dollfuß damit indirekt zu weiteren Schritten in Richtung offener Diktatur. Kardinal Innitzer rief den womöglich Schwankenden im April 1933 zu: "Hinter eine solche Regierung müssen wir uns geschlossen stellen". Wie wichtig die ideologische Unterstützung der Kirche war, wird anhand der ersten Maßnahmen nach der Auflösung des Parlaments klar: Der "Glöckel-Erlass" wurde aufgehoben und der antiklerikale sozialdemokratische "Freidenkerbund" mit sofortiger Wirkung


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Im Gleichschritt in die Diktatur: Aufmarsch von Pfarrern auf der Wiener Ringstrasse anlässlich des "Allgemeinen Deutschen Katholikentages" 1933. Nach der Ausschaltung des Parlaments jubeln die Bischöfe Dollfuß zu, Kardinal Innitzer schreibt begeistert: "Das Führerprinzip bricht sich in der Alten und in der Neuen Welt Bahn. In der Kirche herrscht es seit jeher." Zitiert nach: Der Standard, 13./14. März 2004.

aufgelöst. Gleichzeitig signalisierte Dollfuß weitreichendes Entgegenkommen bei den anstehenden Konkordatsverhandlungen. Eine Hand wusch die andere: Als endgültig klar war, dass die Dollfuß-Regierung der Sozialdemokratie militärisch den Garaus zu machen gedachte, überschütteten die katholischen Würdenträger den Kanzler in der Öffentlichkeit mit Lob. So wurde angesichts der Ausschaltung des Parlaments und der faktischen Abschaffung der Demokratie in einem "Hirtenbrief" seitens der Bischöfe verlautbart, die Kirche sei "überzeugt von der vollkommen legalen Stellungnahme und korrekten Handlungsweise der jetzigen Staatsgewalt".

Als am 12. Februar 1934 schließlich die Kanonen des Bundesheeres ArbeiterInnenwohnhäuser in Schutt und Asche legten und selbst schwerverletzte Schutzbündler wie Verbrecher gehängt wurden, übernahm die Kirche bereitwillig die schwierige Aufgabe, all das vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen. Sie erklärte, die Sozialdemokratie hätte am 12. Februar eine "mit langer Vorbereitung und mit dem Aufgebot gewaltiger Mittel außerordentlich planmäßig ins Werk gesetzte Revolution" vom Zaun gebrochen. Damit wären von ihr auch in Österreich russische Zustände herbeigeführt worden, die in Kirchen- und Klösterstürmen gegipfelt hätten. Vor dieser Gefahr wäre die Kirche nur durch das beherzte Vorgehen der Regierung bewahrt worden, ihr gebühre für "den Ernst und die Milde" ihres Vorgehens aufrechter Dank. DAS "VERGELT'S GOTT" DER DIKTATUR 1934 - 1938

Feierliche Unterzeichnung des neuen Konkordats 1933. Der Klerus erweist Dollfuß bei der Errichtung der Diktatur wertvolle Dienste. Im Gegenzug lässt sich der Diktator nicht lumpen und schließt mit den Vertretern des Vatikan ein für die Kirche überaus vorteilhaftes Abkommen

In der Verfassung des "Ständestaats" von 1934 hieß es statt der bisherigen Feststellung, Österreich sei eine Demokratie, deren Recht vom Volk ausginge, fortan im ersten Artikel: "Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlich, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung". Damit begann die vorerst letzte Phase der Gegenreformation in Österreich. Die Kirche und ihre Gewährsmänner in der Politik gingen nicht nur daran,

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den Säkularisierungsprozess des vorangegangenen Jahrzehnts rückgängig zu machen - sondern jenen der vergangenen hundertfünfzig Jahre. Mit den Worten des damaligen Bundespräsidenten Miklas: "Die Epoche der Säkularisierung des europäischen Geistes, die sich im privaten und öffentlichen Leben so unheilvoll auswirkte, neigt sich ihrem Ende zu und nach der gewaltsamen Austreibung christlichen Geistes aus dem Leben der Völker, mit der frühere Generationen gesündigt haben, muss nun wieder mit dem Einholen der Heiligtümer begonnen werden." Gesagt, getan. Die Kirche war fortan in wichtigen staatlichen Gremien vertreten, im Bundeskulturrat ebenso wie in den Landtagen. Ihren wiedergewonnenen Einfluss, speziell im Unterrichtswesen, wusste sie zu nutzen: Schuldirektoren, vielfach aber auch schon einfache LehrerInnen, mussten katholisch sein. BeamtInnen und LehrerInnen waren verpflichtet, an kirchlichen Feiern teilzunehmen. LehrerInnen hatten für die katholische Erziehung der ihnen anvertrauten Kinder zu sorgen, insbesondere auch für deren regelmäßige Beichte. Nicht zur Beichte zu gehen zog künftig schlechtere Schulnoten nach sich. Im Alltag des Staatsapparates waren religiöse Kulte binnen kürzester Zeit allgegenwärtig. Amtsräume wurden geweiht, Amtsmessen abgehalten, bei fast allen größeren Anlässen waren Priester anwesend. Aber damit nicht genug: Seit dem August 1933 mussten alle, die aus der Kirche austreten wollten, ihren "gesunden Geistesund Gemütszustand" nachweisen, in Salzburg wurden Austrittswillige überhaupt ins Gefängnis gesperrt. Pfarrern war es endlich möglich, die seit jeher mit Argusaugen überwachten "Tanzfestlichkeiten" in ihren Gemeinden zu unterbinden, ebenso konnten sie nun vielerorts Kinovorführungen zensieren oder gleich verbieten. Um die Verbundenheit des "Neuen Österreich" mit der Kirche zu demonstrieren, aber auch um deutlich zu machen, welche Sorte Kampf hier geführt wurde, griff man tief in die historische Mottenkiste. Zum Symbol für die nach faschistischem Vorbild geschaffene Einheitsorganisation des Regimes, die "Vaterländische Front", wurde das Zeichen der alten Kreuzritter, das Jerusalem- oder Kruckenkreuz.

Einweihung der "Dr.-Dollfuß-Gedächtniskirche" auf der Hohen Wand durch Kardinal Innitzer, Sommer 1934. Die Stilisierung des toten Diktators zum "Märtyrer" gelingt nur durch die tatkräftige Unterstützung der Kirche

Der Klerus revanchierte sich weiterhin für das Entgegenkommen, das ihm zu Teil wurde und war eifrig bemüht, seine Schäfchen auf Linie zu halten. Nach der Ermordung von Dollfuß durch putschende Nazis hatte die Kirche maßgeblichen Anteil daran, den verblichenen Kanzler zum "Märtyrer" zu verklären, so wurden in vielen Kirchen des Landes dem toten Diktator eigene Dollfuß-Altäre eingeweiht, Dollfuß-Kapellen errichtet und im ganzen Land Dollfuß-Messen gelesen. Doch bei aller Liebe blieb Gottes Bodenpersonal durchaus pragmatisch. Als zu Beginn des Jahres 1938 das österreichische Konkurrenzunternehmen zum deutschen Faschismus endgültig als gescheitert betrachtet werden musste, hatte Halsstarrigkeit aus Sicht der Kirchenfürsten keinen Sinn. Kardinal Innitzer beschloss stattdessen, es der deutschen Geistlichkeit gleichzutun und versuchte, sich mit den neuen Machthabern gut zu stellen. War gestern die Parole noch "Heil Österreich" gewesen, bewies der Kirchenmann nun Flexibilität. Seine Ergebenheitsadresse an den neuen Herrscher unterzeichnete er mit einem devoten "Heil Hitler".


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09| ZUM WESEN DES REGIMES 1934-1938

AUSTRO"FASCHISMUS"? ZUM WESEN DES REGIMES 1934-1938 In der Wissenschaft ist bis heute umstritten, welche Herrschaftsform sich in Österreich nach der endgültigen Zerschlagung der Demokratie im Februar 1934 etablierte.

x War die Diktatur von Dollfuß und Schuschnigg "faschistisch"? x War sie "bürgerlich-autoritär"? x War sie "klerikalfaschistisch"? x War der "Ständestaat" die "erstarrte Herrschaft der Bürokratie"? x Und weshalb tut eine möglichst präzise Antwort auf diese Fragen Not? Begonnen bei der letzten Frage fällt die Antwort nicht schwer. Zum einen sollte es unser aller Anliegen sein, den Versuchen aus konservativen Kreisen entgegenzutreten, die in den Diktatoren verdiente Widerständler gegen den Nationalsozialismus sehen wollen und ihre Politik als "Akt der Notwehr gegen Links und Rechts" zu deuten versuchen. Denn indirekt wird damit ja auch für Gegenwart und Zukunft festgehalten, dass die Abschaffung der Demokratie unter gewissen Umständen grundsätzlich legitim sein kann. Ein wesentliches Element dieser systematischen, verharmlosenden Geschichtsfälschung besteht in möglichst unspektakulären Begrifflichkeiten. "Faschistisch" ist Terror, Weltkrieg und Massenmord. "Autoritär" dagegen ist halt nicht ganz frei. Und "Ständestaat" ist für die allermeisten ohnehin eine nicht nachvollziehbare, aber mithin auch kaum abstoßende Kategorie. Neben der Widerlegung konservativer Mythen stellt sich aber natürlich auch im Fall der Diktatur '34-'38 die Frage nach dem "Wie lernen?". Lernen heißt auch, sich klare Begrifflichkeiten zu erarbeiten, indem

Fragen gestellt und beantwortet werden. Wer war aus welcher Motivation heraus an der Beseitigung der Demokratie beteiligt? Wer profitierte von der Diktatur? Standen Dollfuß und seine Getreuen allein auf weiter Flur oder gab es Parallelen zu anderen europäischen Systemen? "Faschismus" als allgemeine politische Kategorie wird mehrheitlich von progressiven WissenschaftlerInnen verwendet. Konservative und Rechte würden damit in erster Linie das italienische Herrschaftsmodell Mussolinis meinen, die Qualifizierung anderer Regime als "faschistisch" lehnen sie meist ab. Dadurch ergibt sich von selbst, dass der Begriff "Austrofaschismus" tendenziell von links in die Debatte einfließt - allerdings nicht ausschließlich. Sowohl jener Bundespräsident, der Dollfuß widerstandslos gewähren ließ, Miklas, als auch der - linker Umtriebe unverdächtige - letzte kaiserliche Finanzminister Alexander Spitzmüller sprachen von einem "austrofaschistischen System". Außer Frage steht die Existenz zweier faschistischer Bewegungen im Österreich der 1920er und '30er: Neben den Nazis prägte am äußersten rechten Rand vor allem die Heimwehr das politische Geschehen. Ihre Führer bezeichneten sich selbst mehrmals als faschistisch und es lässt sich anhand objektiver Kriterien feststellen, dass dem letztlich auch so war: Die Heimwehr konnte zeitweise auf eine zumindest in Ansätzen vorhandene Massenbasis verweisen. Sie war nach dem Führerprinzip streng hierarchisch gegliedert, militaristisch und betont "männlich". Inhaltlich war die Heimwehr stramm antimarxistisch und bediente sich in ihrer Propaganda einer pseudorevolutionären Rhetorik. Sie vertrat rassistische, antisemitische Vorstellungen und wandte sich scharf gegen ein rationales Weltbild. Gleichzeitig war die Heimwehr ihrer Funk-

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bügelhalterin war sie auch nicht ansatzweise in der Lage, das politische Geschehen der Diktatur zu dominieren, obwohl "Bundesführer" Starhemberg zu Beginn des Regimes 1934 noch vollmundig vom "Staat der Heimwehr" gesprochen hatte. Im Gegenteil gelang es Dollfuß - und später vor allem Schuschnigg - relativ mühelos, die Chefs der Heimwehr aufs politische Abstellgleis zu verfrachten. Zur bitteren Enttäuschung der Hahnenschwanz-Milizen bildeten nicht sie, sondern die neugegründete Vaterländische Front (VF) jene Organisation, die für das österreichische Regime als Massenbasis nach italienischem Vorbild herhalten sollte.

Handshake der "Patrioten" Dollfuß und Starhemberg. Letzterer beschreibt seine politische Haltung so: "Bewusst habe ich daher den Begriff ´Austrofaschismus`geprägt. Bewusst und wohlüberlegt habe ich mich und damit den österreichischen Heimatschutz als den Träger des österreichischen Faschismus erklärt" 56

tion nach lange Zeit eine bezahlte Privatarmee der österreichischen Reaktion. Ähnlich wie die faschistischen Milizen in Italien und die SA in Deutschland wurde sie gegen demonstrierende und streikende ArbeiterInnen eingesetzt und führte einen permanenten Kleinkrieg gegen linke Parteien und Gewerkschaften. Unbestritten ist neben diesen Charaktermerkmalen der Heimwehr auch ihre Beteiligung an der Beseitigung der Demokratie und der gewaltsamen Unterdrückung der Linken. Ab da wird es allerdings etwas komplizierter. Denn anders als in Deutschland und Italien wurde 1933/34 nicht die Heimwehr von bürgerlichen Parteien und Interessensgruppen an die Macht gebracht, sondern sie war Juniorpartnerin einer Koalition von Christlichsozialen und Deutschnationalen. Als deren SteigSEITE|72 Zitiert nach: Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der 30er Jahre, Wien, S 162.

Die schriftliche Versicherungen von Dollfuß gegenüber seinem alten Freund und Gönner Mussolini, die Faschisierung des Staates voranzutreiben, stellten dennoch keine bloßen Lippenbekenntnisse dar. 57 Zeitweise wurden recht konkrete Schritte in diese Richtung unternommen: Die Linke wurde militärisch niedergerungen, sämtliche Organisationen der österreichischen ArbeiterInnenbewegung aufgelöst und Oppositionelle verfolgt. Gleichzeitig wurde versucht, möglichst breite Teile der Bevölkerung in den Organisationen des Staates zu erfassen, zu aktivieren und zu militarisieren. Schlussendlich wurde - im großen Stil allerdings erst nach dessen Ableben - ein Führerkult rund um die Person Dollfuß betrieben, der den Vergleich mit dem Faschismus in anderen Ländern nicht zu scheuen brauchte. Diese Tatsachen ließen für sich genommen den Begriff "Austrofaschismus" als zulässig erscheinen. Allerdings gibt es mehrere gute Gründe dafür, sich der Definition Otto Bauers anzuschließen, der im Fall Österreichs von einem "Halbfaschismus" spricht. Denn wie bereits erwähnt, wurde die ursprüngliche faschistische Bewegung im "Ständestaat" völlig entmachtet. Lässt sich außerdem noch darüber streiten, ob die Heimwehr über eine aktivierbare Massenbasis nach faschistischem Muster verfügte, kann dies im Falle der Diktatur Dollfuß/Schuschnigg klar verneint werden.

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Vgl. Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß.


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10| LÜGEN UND LEGENDEN Die Christlichsozialen in der Ersten Republik sind keineswegs von jeher vom "österreichischen Geist" erfüllt. Ihre Führer, wie Ignaz Seipel, fordern mehrmals, unter anderem auch im Rahmen des "10. Deutschen Sängerbundfestes" 1928 in Wien (Bild) den Anschluss Österreichs an Deutschland. Der spätere Kleinstaat-Patriotismus der Konservativen hat seinen Ursprung nicht in echter Überzeugung, sondern vielmehr in machttaktischen Überlegungen

LÜGEN UND LEGENDEN UM DAS ENDE DER ERSTEN REPUBLIK Dem Versuch des Regimes, im Nachhinein eine derartige Basis zu schaffen, war kaum Erfolg beschieden. Auch ihrem Anspruch nach vertraten die österreichischen Diktatoren im Unterschied zu anderen, eindeutig faschistischen Führern eine andere Politik. Während sich faschistische Bewegungen allerorts als Renegaten gegen "das System" gebärdeten, von "Revolution" schwadronierten und versprachen, sie würden einen völlig neuen Staat erschaffen, traf auf die österreichischen "Führer" Ähnliches nicht zu. Dollfuß kam aus einer traditionellen bürgerlichen Partei (die er allerdings weit nach rechts getrieben hatte), er sah sich als Garant des bisherigen Einflusses dieser Partei, nicht als ihr Totengräber. Die Macht von Dollfuß und Schuschnigg stützte sich ab Februar '34 fast ausschließlich auf traditionelle Machtgruppen: Kirche, Beamtenschaft, Militär, Unternehmer. Mit allen Fasern verkörperten die Führer des "Ständestaates" in erster Linie eines: Tradition. Sie versuchten gar nicht erst so zu tun, als wollten sie etwas Neues. Sie sehnten sich zurück ins Mittelalter - und das sagten sie öffentlich. Damit sind aber wesentliche Kriterien zur Klassifizierung "faschistisch" nicht vorhanden. Und Otto Bauer bleibt nichts hinzuzufügen.

Bereits in der Einleitung wurden einige der gängigsten Legenden rund um die Erste Republik und den "Ständestaat" erwähnt. In den letzten Jahren haben Publikationen und Medienbeiträge, die solche Legenden zum Inhalt haben, zugenommen. AutorInnen, die sich bereit finden, die Rolle der Christlichsozialen, ja sogar der Heimwehr-Faschisten schön zu reden, haben im Ersten Präsidenten des Nationalrates, dem VP-Abgeordneten Andreas Khol, allzeit einen euphorischen Fürsprecher. Welches Interesse Leute vom Schlag Khols damit verfolgen, sei dahin gestellt. Im Folgenden soll aber der Versuch unternommen werden, einige der populärsten Lügen und Legenden zu widerlegen. I

DIE ANTIDEMOKRATISCHE SOZIALDEMOKRATIE UND DER ANSCHLUSS AN DEUTSCHLAND

"Mit seiner Ablehnung der Ersten Republik stand Starhemberg keinesfalls alleine dar: ... Die Sozialdemokraten ... wollten den Anschluss an Deutschland - über das Jahr 1938 hinaus. ... Die damalige Sozialdemokratie stellte den Sozialismus über die Demokratie. Allen voran Otto Bauer, als er am Linzer Parteitag 1926 von der zu errichtenden

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´Diktatur des Proletariats` sprach." (Gudula Walterskirchen, Journalistin der Tageszeitung "Die Presse")58 Schon die Gleichsetzung des selbsternannten "Austrofaschisten" Starhemberg, der die junge Republik von Anfang an gehasst und verachtet hatte, mit denjenigen, die 1918 die Demokratie erkämpft hatten, spricht für sich. Starhemberg wollte die Erste Republik nicht, weil er in der Demokratie "die Diktatur des roten Mobs" sah. Die Sozialdemokratie der Ersten Republik hingegen verlangte - ebenso wie die Christlichsozialen bis Ende der 20er Jahre - in Anbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des kleinen, völlig verarmten Landes eine Vereinigung mit dem demokratischen Deutschland. Dieser Wunsch war nach dem Auseinanderbrechen eines Riesenreiches wie der Habsburger Monarchie, an deren Stelle sich nun eine Vielzahl von selbstständigen Staaten gründete, durchaus legitim. Denn die Grenzen dieser neuen Staaten verliefen, von einigen Ausnahmen abgesehen, in etwa entlang der Sprachgrenzen. Aus heutiger Sicht rückt aber die Behauptung, sie hätten den "Anschluss" gewollt, die Sozialdemokratie in die Nähe der Nazis - eine lachhafte Polemik. Nach der Machtübernahme Hitlers stellte Otto Bauer bei seiner Rede am SDAPÖParteitag 1933 eindeutig klar: "Wir wollen den Anschluss an die Deutsche Republik, nicht aber an das Zuchthaus Hitlers." Die Behauptung, auch die SDAPÖ hätte in der Ersten Republik auf eine Diktatur hingesteuert, stützt sich vor allem auf die Aussage Otto Bauers beim Linzer Parteitag 1926. Bauer sprach aber keineswegs von einer "zu errichtenden Diktatur", sondern wiederholte nur sinngemäß die betreffende Passage des neuen Parteiprogramms (das später als "Linzer Programm" berühmt wurde), die im Hinblick auf den wachsenden Terror der Rechten besagte: "Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung, SEITE|74 Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der 30er Jahre, Wien, S 118.

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die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten [eine Anspielung auf die guten Kontakte der Heimwehr nach Ungarn und Deutschland, Anm.] widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen. Die Arbeiterklasse erobert die Herrschaft in der demokratischen Republik, nicht um eine neue Klassenherrschaft aufzurichten, sondern um jede Klassenherrschaft aufzuheben..."59 Die "Diktatur des Proletariats" wurde also nicht angestrebt, sondern stellte für die SDAPÖ einen Akt äußerster Notwehr dar. Noch nach der Ausschaltung des Parlaments 1933 sagte Bauer in einer bekannten Rede vor sozialdemokratischen Vertrauensleuten: "Wir wissen, dass, wenn es zur Entscheidungsschlacht kommt, dies Opfer kosten wird, die wir vor den Müttern des Landes nur verantworten können, wenn wir vorher alles getan haben, um eine friedliche Lösung auf demokratischer Grundlage möglich zu machen." Wenn die Sozialdemokratie so versessen auf eine Diktatur gewesen wäre, dann hätte sie in den Revolutionsjahren 1918/1919 mühelos zur Tat schreiten können. Sie tat es aber nicht, weil sie überzeugt davon war, dass ihr Ziel, der Sozialismus, nur auf demokratischem Wege erkämpft werden konnte, wenn er eine Zukunft haben sollte. II

DIE "WEIGERUNG DER SOZIALDEMOKRATIE"

"Die Ablehnung des hochherzigen Angebots des durch die Kirchenaustrittskampagne der Austromarxisten tief verletzten Priesters Ignaz Seipel an diese zur Bildung einer großen schwarz-roten Koalition im Juni 1931, der sich kurz darauf zwei 59 Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs, zitiert nach: Sandkühler, Hans-Jörg und Vega de la, Rafael: Austromarxismus, Frankfurt-Wien, S 385.


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weitere solche Koalitionsangebote des christlichsozialen Bundeskanzlers Karl Buresch angeschlossen hatten, war - im Rückblick und vom Standpunkt der Sicherheit Österreichs gesehen ein Versäumnis von historischen Dimensionen zu einem Zeitpunkt, als die Weltwirtschaftskrise in Deutschland 1930 eine Verzehnfachung des nationalsozialistischen Wählerpotentials bewirkt hatte."60 (Gottfried Karl Kindermann, Historiker) Das von Kindermann wie von vielen anderen Konservativen gebetsmühlenartig wiederholte "großherzige Angebot" Seipels an die Sozialdemokratie, 1931 eine große Koalition zu bilden, ist in mehrerlei Hinsicht ein abstruser Versuch, die angebliche "beidseitige Schuld" zu belegen. Die "Großherzigkeit" des Prälaten bestand in der Realität darin, der SDAPÖ ein Bündnis vorzuschlagen, bei dem sie in einem Kabinett mit den Christlichsozialen und der Heimwehr zur Vollstreckungsgehilfin einer Politik geworden wäre, die sich ausschließlich gegen ihre eigenen AnhängerInnen richtete. Die Durchsetzung sozialdemokratischer Ziele wäre unmöglich gewesen, zusätzlich wäre den eigenen AnhängerInnen wohl kaum beizubringen gewesen, warum man gemeinsame Sache ausgerechnet mit jenen Leuten (der Heimwehr) machen sollte, die unentwegt davon sprachen, das demokratische System zu beseitigen, die Sozialdemokratie zu vernichten und die schon seit Jahren einen permanenten Kleinkrieg gegen die Linke führten. Seipels Motiv war dabei weniger christliche Nächstenliebe, als die Erkenntnis, dass der erfolgreichen SDAPÖ alleine durch den Heimwehr-Terror nicht beizukommen war. 61 Weitere Wahlsiege der "Bolschewisten" sollten deshalb verhindert werden, indem die Sozialdemokratie in den Augen all jener diskreditiert Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933-1938, München, S 172. 61 Empfohlen sei hierzu auch der Artikel von Anton Staudinger: Konzentrationsregierung, Bürgerblock oder präsidiales Minderheitsregime? Zum angeblichen Koalitionsangebot Ignaz Seipels an die Sozialdemokratie im Juni 1931, in: Zeitgeschichte 12, Oktober 1984, S 1-19. 60

wurde, die sich von ihr eine Verbesserung ihrer eigenen Lebenssituation erhofften. Die sozialdemokratische Parteiführung vertraute (naiverweise) darauf, dass sich auch ihr politischer Gegner an demokratische Spielregeln halten würde und schlug daher das Angebot Seipels aus. Aus dieser demokratiepolitischen Selbstverständlichkeit abzuleiten, die SDAPÖ hätte den Christlichsozialen quasi keine andere Wahl gelassen, als sie über den Haufen zu schießen und eine Diktatur zu errichten, zeugt nicht nur von einer seltenen Unverfrorenheit, sondern wirft auch ein bezeichnendes Licht auf das heutige konservative Demokratieverständnis.

Jugendabteilung des Linzer Schutzbundes. ArbeiterInnen greifen aufgrund des rechten Terrors und der Untätigkeit der Behörden zur Selbsthilfe. Der Republikanische Schutzbund ist nicht einfach eine "Parteiarmee", sondern dient im Unterschied zur Heimwehr der Verteidigung von Demokratie und Republik

III

DIE "GETEILTE SCHULD" AM ENDE DER DEMOKRATIE

"Der These von der einseitigen Schuld auf der bürgerlichen Seite steht die Antithese von der einseitigen Schuld der sozialdemokratischen Seite gegenüber. [...] Schuld lag ohne Zweifel auf beiden Seiten." (der ehemalige VP-Vizekanzler Fritz Bock zum 40. Jahrestag des 12. Februar)62 SEITE|75 Zitiert nach: Jedlicka, Ludwig, Neck, Rudolf (Hg.) 1975: Das Jahr 1934: 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974. 62


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Worin der Anteil von Christlichsozialen und Heimwehr bei der Beseitigung der ungeliebten Demokratie lag, ist klar. Seit Ende 1932 wollte Dollfuß nachweislich die Demokratie beseitigen und eine autoritäre Diktatur errichten. Was aber tat die Linke zum Untergang der von ihr erkämpften Demokratie? Wenn es von ihrer Seite ein Versagen gab, so jenes, zu lange vor den antidemokratischen Bestrebungen der Rechten zurückgewichen zu sein, erst gekämpft zu haben, als die Niederlage feststand. Aber sie hat gekämpft. Gegen eine Übermacht von Heimwehr, Bundesheer und Polizei unter dem Kommando des ÖVP-Ahnherren Dollfuß hat der Republikanische Schutzbund versucht, die Demokratie zu verteidigen. Selbst der bürgerliche Antimarxist, Landbundpolitiker und ehemalige Vizekanzler der Regierung Dollfuß, Franz Winkler, schrieb zwei Jahre nach den Februarkämpfen: "Der rote Aufstand war eine in der Geschichte einzig dastehende revolutionäre Handlung. Denn: Rebellen, Revolutionäre gehen auf die Barrikaden ... um bestehende Verfassungen zu stürzen und bestehende Verhältnisse zu ändern. Die Schutzbundrebellen vom 12. Februar 1934 standen aber auf den Barrikaden zur Verteidigung der in Geltung stehenden österreichischen Verfassung."63 IV

DIE "SELBSTAUSSCHALTUNG" DES PARLAMENTS 1933

"Im Jahr 1933 schaltete sich das Parlament selbst aus, nachdem der Reihe nach, wegen einer Abstimmungstaktik, alle drei Parlamentspräsidenten zurückgetreten waren, in der Folge wurde keine Sitzung des Parlaments mehr einberufen, und die Regierung beschloss, eine Zeitlang autoritär, das heißt ohne die Mitwirkung des Parlaments, zu regieren." (Gudula Walterskirchen, Journalistin der Tageszeitung "Die Presse")64 SEITE|76

Die angebliche ´Selbstausschaltung` in der Praxis: Polizei sperrt das Parlament ab und verhindert ein neuerliches Zusammentreten des Nationalrates nach der von Dollfuß verkündeten Auflösung des Parlaments

Das österreichische Parlament hat sich nicht "selbst ausgeschalten", wie von Dollfuß und seinen Handlangern behauptet. Am 4. März 1933 kam im Nationalrat eine Gesetzesvorlage der Regierung zur Abstimmung, die forderte, die Führer eines Eisenbahnstreiks zu bestrafen. Der Streik war die Reaktion auf einen riesigen Waffenschmuggel gewesen, in den die Heimwehr involviert war, die sogenannte Hirtenberger Waffenaffäre. Bei der Abstimmung befand sich ein sozialdemokratischer Abgeordneter nicht im Raum, mit dessen Stimme die Opposition in der Mehrheit gewesen wäre. Vor der Abstimmung hatte der Abgeordnete jedoch seinen Abstimmungszettel einem Kollegen anvertraut, der so für ihn "mitgestimmt" hatte. Die Regierung weigerte sich nun, das Ergebnis der Abstimmung anzuerkennen und argumentierte, der Abwesende hätte dem Anwesenden keine schriftliche Ermächtigung erteilt. Aus Protest gegen diese Haltung legte der sozialdemokratische erste Parlamentspräsident Renner sein Amt nieder. Sowohl der christlichsoziale zweite Präsident Ramek als auch der dritte Präsident, der großdeutsche Straffner verweigerten die Übernahme des Vorsitzes. Da nun kein Vorsitzender die Sitzung leiten konnte, wurde das Plenum vertagt. Dieser Vorfall, dem ursprünglich keiner der Beteiligten sonderlich viel Bedeutung beigemessen hatte, war für Dollfuß die willkommene Gelegenheit,

Winkler, Franz 1935: Die Diktatur in Österreich. Zürich; Zitiert nach: Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung 1994: Februarkämpfe 1934. Dokumentation 1/ 94, S 24. 64 Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der 30er Jahre, Wien, S 116. 63


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loszuschlagen. In den folgenden Tagen sabotierte die Christlichsoziale Partei konsequent alle Versuche zur Wiederaufnahme der parlamentarischen Tätigkeit. Stattdessen proklamierte sie am 7. März die "Selbstausschaltung des Parlaments". Als schließlich der dritte Präsident des Nationalrates, Straffner, ordnungsgemäß eine Sitzung des Nationalrates für den 15. März einberief, ließ Dollfuß vor dem Parlament schwer bewaffnete Polizei aufmarschieren, die ein Zusammentreten des Nationalrats mit Gewalt verhinderte. Es ist auch eine Lüge, dass Dollfuß nur "eine Zeitlang autoritär regieren" wollte. Er selbst sagte im Mai 1933 offen: "Diese Form von Parlament und Parlamentarismus wird nicht wiederkommen."65 Und wenige Monate später: "Die Zeit marxistischer Volksführung und Volksverführung ist vorüber ... Wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage unter starker, autoritärer Führung."66 V

DIE "PLÖTZLICHE ESKALATION DER GESCHEHNISSE"

Der Bürgerkrieg hat sich "aus einer Reihe zu überstürzt eingeleiteter militärischer Maßnahmen auf beiden Seiten spontan ergeben." (Kurt Pebal, Historiker)67 Der Bürgerkrieg im Februar 1934 war kein unvorhersehbares Ereignis. Er war die Folge einer bewussten Politik der Provokation, die in den Worten von Dollfuß schrittweise darauf abzielte, "die Sozialdemokratie zum Krüppel zu schlagen." Seit der Ausschaltung des Parlaments wurde die Sozialdemokratie systematisch ins Eck gedrängt und gedemütigt, um sie letztlich zu 65 Rede vor einer Heimwehr-Versammlung im Mai 1933, zitiert nach: Carsten, Francis 1978: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler, München, S 213. 66 Wiener Zeitung, 16.5.1933. 67 Kurt Pebal, zitiert nach: Jedlicka, Ludwig, Neck, Rudolf (Hg.) 1975: Das Jahr 1934: 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974, S 122.

bewegen, sich zur Wehr zu setzen und so einen Vorwand zum Losschlagen für Regierung und Heimwehr zu bieten: finanzielle Aushungerung des "Roten Wiens" über den Finanzausgleich, Verbot des Maiaufmarsches 1933, Streikverbot, Lockerung des MieterInnenschutzes, Verbot des Republikanischen Schutzbundes, Verbot sozialdemokratischer Veranstaltungen, permanenter Terror in ArbeiterInnensiedlungen (getarnt als "Waffensuchen"), usw. usw. In seinen Memoiren befasste sich auch der ehemalige Führer der Heimwehr, Starhemberg, mit der Frage, wer die Schuld am Ausbruch der Kämpfe am 12. Februar 1934 trage. Bemerkenswert offen (allerdings nicht, ohne die eigene Rolle bedeutend schöner zu reden, als sie tatsächlich war) meint Starhemberg: "Sprechen wir es nur offen aus: Die sozialdemokratischen Führer hatten ebenso wenig wie wir selbst den Wunsch, den Zusammenstoß herbeizuführen."68 Als Schuldigen benennt Starhemberg den Wiener Heimwehr-Führer Emil Fey: "Aber ohne Rücksicht auf die möglichen politischen Konsequenzen fuhr der Minister Fey auf den Republikanischen Schutzbund wie ein Blitz aus heiterem Himmel nieder und begann mit der Waffensuche. Diese unprovozierte Maßnahme wirkte unvermeidlicherweise wie eine Herausforderung. Und um die Herausforderung zu verschärfen, informierte er den Wiener Heimatschutz am Abend vor der Waffensuche über die bevorstehenden Ereignisse ..."69 VI

DER "STÄNDESTAAT" ALS ANTWORT AUF DEN "ROTEN TERROR"

"Aber gerade die zeitweilige Gewaltherrschaft des österreichischen Marxismus hat den Katholiken die Augen geöffnet. Sie sahen eine Weltanschauung an der Arbeit, die wohl überall niederreißen, aber nirgends aufbauen konnte, sahen an der Stelle des Rechts brutale Gewalt an Starhemberg, Ernst Rüdiger: Between Hitler and Mussolini, S 158 ff., zitiert nach: Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuss, Wien 1949, S 66. 69 ebenda. 68

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der Regierung und sahen nicht zuletzt, wie die Grundsätze der katholischen Weltanschauung systematisch aus allen Gebieten des staatlichen und öffentlichen Lebens verdrängt wurden." (Kardinal Friedrich Gustav Piffl)70 Der renommierte Historiker Gerhard Botz hat in seinem Standardwerk über gewalttätige politische Auseinandersetzungen in den 20er und 30er Jahren nachgewiesen, dass die Gewalt, die damals von links ausging, ungleich geringer war als jene von rechts.71 Was also meinte Seine Eminenz und mit ihm viele österreichische Bürgerliche, wenn sie vom "roten Terror" sprachen? Der Untergang der HabsburgerMonarchie war von den Bürgerlichen mit Ausnahme der Deutschnationalen (die ebenfalls mit der Demokratie nichts anfangen konnten) zutiefst bedauert worden. In der Demokratie sahen sie die "Herrschaft des Pöbels", in den Rechten, die sich die ArbeiterInnen70 Hudal, Alois (Hg.) 1931: Der Katholizismus in Österreich. Sein Wirken, Kämpfen und Hoffen, Innsbruck, S 6, zitiert nach: Talos, Emmerich und Neugebauer, Wolfgang: Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, S 56. 71 Vgl.: Botz, Gerhard 1976: Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918-1938, München.

So sieht die "rote Gewaltherrschaft" in Wirklichkeit aus: Eröffnung eines Gemeindebaus (links) und Außenansicht einer Arbeiterbücherei (rechts) im Roten Wien. Durch die Besteuerung von Reichen wird durch die Sozialdemokratie ein bis dahin beispielloses Sozial- und Bildungssystem geschaffen, das weltweit Bewunderung hervorruft

bewegung erkämpft hatte, erblickten die Bürgerlichen "revolutionären Schutt". Der "rote Terror", das war das Wahlrecht für Frauen, der Acht-Stunden-Tag, der MieterInnenschutz, der kommunale Wohnbau und viele andere Errungenschaften der Sozialdemokratie. Der "rote Terror", das war aber auch und vor allem die Steuerpolitik, mit der die SDAPÖ den Armen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen versuchte. Die "Terroristen" waren in ihren Augen Sozialdemokraten wie Hugo Breitner, Julius Deutsch, Otto Bauer, Karl Seitz und Otto Glöckel. Deren "Vergehen" bestand einzig und allein darin, sich für gerechtere Lebensbedingungen für jene Mehrheit der Bevölkerung einzusetzen, die unter entsetzlicher Armut litt. VII

DER "STÄNDESTAAT" ALS DIE "BESSERE DIKTATUR"

"Damals ging es um den Bestand des österreichischen Staates und nicht um die Frage, ob jetzt wirklich demokratisch regiert wird oder nicht." (Franz Schausberger, Salzburger ÖVP-Ex-Landeshauptmann)72 Seit 1945 wird von konservativer Seite versucht, die Diktatur zwischen 1933 und 1938 schön zu reden. 72

Zitiert nach: Profil, Ausg. 6, 2. Februar 2004.


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Dabei wird einerseits auf den blutigen Terror der Nazis gegen politische Gegner verwiesen, den es in Österreich nicht gegeben habe. Andererseits sei ein wesentlicher Unterschied zwischen Hitler-Deutschland und dem nicht "wirklich demokratisch" regierten Österreich die Behandlung von Juden und Jüdinnen gewesen. Dem ersten Argument ist entgegenzuhalten, dass auch während des "Ständestaates" politische GegnerInnen drangsaliert und ermordet wurden - über tausend SozialdemokratInnen wurden alleine während und kurz nach den Februarkämpfen getötet, hinzu kamen noch zahlreiche Todesurteile in den folgenden Jahren. Nach deutschem Vorbild wurden auch hierzulande Lager für Oppositionelle errichtet, GegnerInnen systematisch bespitzelt, terrorisiert und vielfach ihrer Existenzgrundlage beraubt. Andererseits wird oft und gerne vergessen, dass Antisemitismus in der Christlichsozialen Partei weit verbreitet war und auch im "Ständestaat" antisemitische Politik betrieben und gegen jüdische Menschen gehetzt wurde - wenn auch nicht in der gleichen Intensität wie in Deutschland. Der christlichsoziale Arbeiterführer Kunschak forderte als Parteiobmann schon 1920 im Parlament die Internierung "der Juden in Konzentrationslagern." Als Reaktion auf die antisemitische Hetze der Nazis meinte der christlichsoziale Politiker Richard Schmitz, der Antisemitismus wäre schon von jeher Teil "des geistigen Inhalts" der Partei gewesen und, dass "praktischer Tat-Antisemitismus ... wertvoller als radikaler Wort-Antisemitismus"73 sei. Ebenso wie in vielen anderen Bereichen war das angebliche "Abwehrprojekt" auch hier in Wirklichkeit nur eine geistige und moralische Vorbereitung auf die NSHerrschaft.

Dollfuß und Mussolini bei einem Treffen im italienischen Badeort Riccione, 19. und 20. August 1933. Gemeinsam mit seinem italienischen Vorbild bereitet der Diktator in spe monatelang die Beseitigung der Demokratie in Österreich vor

VIII

Hitlers Hauptwidersacher in Österreich war tot. Er starb für Österreichs Unabhängigkeit, für die er seit Übernahme des Kanzleramtes gelebt und gekämpft hatte." 74 (Gottfried Karl Kindermann, Historiker) "Dollfuß war in einer Zeit, in der es viele Radikale gab, ein Mann der Mitte." (Karl Franc, ÖVPGemeinderat und Direktor des "Engelbert-DollfußMuseums")75 Dollfuß gehörte ursprünglich nicht zum deklariert antidemokratischen Flügel der Christlichsozialen Partei. Aber mit seinem Amtsantritt als Bundeskanzler änderte sich das schlagartig. Sowohl die Ausschaltung des Parlaments 1933 als auch die Beseitigung von Rede-, Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und schlussendlich die blutige Unterdrückung der Sozialdemokratie 1934 (die standrechtlichen Hinrichtungen nach den Februarkämpfen geschahen auf Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933-1938, München, S 218. 75 Zitiert nach: Profil, Ausg. 6, 2. Februar 2004. 74

Zitiert nach: Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (HgIn.) 1983: Österreich 1918-1938, Graz-Wien-Köln, S 266. 73

DER GEMÄßIGTE PATRIOT DOLLFUß

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ausdrücklichen Wunsch des Kanzlers) sind keine sehr überzeugenden Beweise für die gemäßigte Haltung des Diktators. Im Gegenteil drängte Dollfuß die wenigen in seiner Partei, die sich gegen seinen rabiat antidemokratischen Kurs aussprachen, wie Leopold Kunschak und Ernst Karl Winter, politisch ins Abseits. Der Mythos, Dollfuß sei ein Gegner der Nazis gewesen, ist ebenfalls Humbug. Mit den Nazis verhandelte der "Heldenkanzler" noch aufs Heftigste, als diese permanent Bombenanschläge im ganzen Land verübten. Offensiv gegen Hitler stellte sich Dollfuß erst, als auch er zur Kenntnis nehmen musste, dass ein Arrangement, das seine Macht langfristig gesichert hätte, mit den Nazis nicht zu erreichen war. Aber auch Behauptungen, Dollfuß sei zwar kein Demokrat, dafür aber Patriot gewesen, sind falsch. Der Begriff "Patriotismus" ist schon an sich höchst fragwürdig, weil er die Liebe zu einem Land bezeichnet, unabhängig von dessen politischer Verfassung. Selbst davon abgesehen war aber Dollfuß, der mit ausländischen Staatschefs, namentlich Mussolini, konspirierte, um einen Staatsstreich herbeizuführen, kaum jemand, dem die unbedingte Loyalität zum eigenen Land nachgesagt werden könnte.76 Die "patriotische" Fachbezeichnung für die Politik von Dollfuß lautet im österreichischen Strafgesetz "Hochverrat".77 Zum ganzen Ausmaß von Dollfuß’ Verschwörung mit dem italienischen Faschismus siehe auch geheimen Briefwechsel MussoliniDollfuß. 77 § 242, Hochverrat: "Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung der Republik Österreich ... zu ändern." § 244, 2: "Ebenso ist zu bestrafen, wer einen Hochverrat in anderer Weise vorbereitet und dadurch die Gefahr eines hochverräterischen Unternehmens herbeiführt oder erheblich vergrößert oder wer einen Hochverrat im Zusammenwirken mit einer ausländischen Macht vorbereitet." 78 Österreichische Volkspartei (Hgin) 1946: Die ÖVP und der 12. Februar. Ein kurzer Tatsachenbericht des Hauptreferats für Presse und Publikzistik der ÖVP, Wien, S 7. 76

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IX

DER "BRUDERKRIEG"

"Noch niemals war die Tragik dieses Widerstreites von Bruder zu Bruder so groß, wie am 12. Februar 1934, an jenem Tag, wo Menschen einander gegenüberstanden, die das Gleiche wollten, nämlich die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Vaterlandes." (VP-Bundeskanzler Figl, vormals Reichsbauernführer des "Ständestaates")78 Die Legende vom "Bruderkrieg" suggeriert, wie auch aus obigem Zitat ersichtlich, im Februar 1934 wären aus unerfindlichen Gründen zwei Gruppen übereinander hergefallen, die im Wesentlichen das selbe Ziel verfolgten. Wahr ist aber, dass Christlichsoziale und Heimwehr gewaltsam eine Diktatur errichteten (bzw. vollendeten), während Sozialdemokratie und Schutzbund einen verzweifelten Kampf zur Verteidigung der bestehenden Verfassung, zur Bewahrung von Demo-


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X kratie und Rechtsstaatlichkeit, führten. Dieser Widerspruch ist keiner unter "Brüdern" sondern zwischen Anhängern einer Diktatur auf der einen und DemokratInnen auf der anderen Seite. SozialdemokratInnen verteidigten enorme soziale Verbesserungen, die Christlichsozialen und ihre faschistischen Handlanger wollten dagegen den verhassten "sozialen Schutt wegräumen". Dementsprechend absurd sind auch wehleidige Klagen der ÖVP nach 1945 - selbst sei man "zur Versöhnung bereit" hätte es nur leider mit einer "vom alten Hass erfüllten SPÖ" zu tun. Die Sozialdemokratie hatte nichts, wofür sie sich hätte schämen und entschuldigen müssen. Solange die ÖVP als Nachfolgepartei der Christlichsozialen Dollfuß und seine Mörderbande als Märtyrer huldigte, mussten ihre großzügigen Angebote zur "Versöhnung" auf die Sozialdemokratie wie Hohn wirken. Für die Demokratie nichts als Verachtung und Spott: Großkundgebung der Vaterländischen Front, einer von vielen Versuchen, faschistische Masseninszenierung zu kopieren

DER "WIDERSTANDSKAMPF" GEGEN DIE NAZIS

"Erstaunlich unbekannt oder bewusst verdrängt ist die Tatsache, dass Österreich nicht nur das erste Angriffsziel, sondern unter der Führung patriotischer Kräfte auch Hitlers erster entschiedener Gegner in Europa war." (Gottfried-Karl Kindermann, Historiker)79 Es war nicht die Diktatur Dollfuß´, die Hitler als erste die Stirn bot, sondern die deutsche und österreichische ArbeiterInnenbewegung. Als die christlichsozialen Parteiführer noch bei Kaffee und Kuchen mit den Nazis Möglichkeiten einer Zusammenarbeit erörterten, tobte schon seit Jahren ein permanenter Krieg zwischen SozialdemokratInnen und Nazis auf der Straße. Als Heimwehr und Nazis noch gemeinsam in Umsturzversuche verwickelt waren, leistete der Schutzbund als einziger dem braunen Terror Widerstand. Gerade die entschiedensten GegnerInnen der Nazis wurden aber dann von Dollfuß und Schuschnigg verfolgt, ins Gefängnis geworfen und ermordet. Die Ernsthaftigkeit des "Widerstandskampfes" war also von Beginn an mehr als zweifelhaft. Fest stand nur, dass sich die christlichsozialen Diktatoren nicht so einfach von den Nazis das Zepter aus der Hand nehmen lassen wollten und sich deshalb dem Putsch im Juli 1934 mit Waffengewalt widersetzten. Aber schon wenig später suchten die Repräsentanten des "Ständestaates" - begleitet von verzweifelten Protesten der illegalen Sozialdemokratie - wieder den Ausgleich mit den Nazis. Es war Schuschnigg, der Nazis schon 1936 in die Regierung holte. Es war Schuschnigg, der Angebote abwies, dem "Anschluss" bewaffneten Widerstand zu leisten. Es war Schuschnigg, der ebenfalls 1936 einen Pakt mit Hitler schloss, durch den die Unabhängigkeit Österreichs de facto aufgegeben wurde. All das als "Widerstand" zu werten, bedingt entweder ein gerütteltes Maß an Dummheit oder ist schlicht eine dreiste Lüge. SEITE|81 Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933-1938, München, Umschlagtext 79


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"SEID UNTERTAN DER OBRIGKEIT"? "Seid untertan der Obrigkeit, denn jede Obrigkeit ist von Gott" heißt es im Brief des Paulus an die Römer im Neuen Testament. "Gott in die Verfassung" rufen dieser Tage viele Konservative im Land. Dabei hatten wir das schon. Ein Blick in die Geschichte würde ausreichen, um solche Rufe zum Verstummen zu bringen - sollte man jedenfalls meinen.

NACHWORT

Seit längerem, ob nun in der Diskussion um die Verfassung der Europäischen Union, oder im Zuge des österreichischen Verfassungskonvents, geistert der "Liebe Gott" wieder durch die Sitzungszimmer. Er möge doch ebenfalls in die Verfassung Eingang finden, verlangen diejenigen, die auch vorgeben, "christliche Werte" hochzuhalten. Es ist schon erstaunlich, wie offen hier agiert wird, wie wenig Mühe sich die betreffenden PolitikerInnen machen, ihre wahren Wünsche zu verschleiern. Denn nicht nur Gott soll wieder in die Verfassung, sondern mit ihm auch die alten Vorstellungen von "oben" und "unten", von Pflicht und Gehorsam. Um das erzkonservative, rechtskatholische Gedankengut sichtbar zu machen, das da im Windschatten der Forderung "Gott in die Verfassung" auf uns zukommt, ist es wichtig, einen Blick zurück zu werfen und den Umgang der Katholischen Kirche mit Staat und Gesellschaft in der Vergangenheit zu analysieren. Beginnen wir einfach im Jahr 1931 mit der Enzyklika von Papst Pius XI. Darin wurde empfohlen, die Gesellschaft neu zu strukturieren, nach "ständischen" Gesichtspunkten nämlich. Bemerkenswerterweise eiferten diesem Ideal ausschließlich Diktaturen nach - so neben dem deutschen und italienischen Faschismus auch das österreichische Regime unter den Despoten Dollfuß und Schuschnigg.

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Engelbert Dollfuß war überzeugt davon, in göttlichem Auftrag zu handeln, schreibt Stefan Moritz in seinem Buch "Grüß Gott und Heil Hitler" und zitiert den kleinen Diktator mit den Worten: "Ja wir wollen einen christlich-deutschen Staat in unserer Heimat errichten! Wir brauchen uns nur an die letzten Enzykliken des Heiligen Vaters zu halten; sie sind uns Wegweiser für die Gestaltung des Staatswesens in unserer Heimat. Die jetzige Regierung ist einmütig entschlossen, im christlich-deutschen Geist die Erneuerung von Staat und Wirtschaft in die Wege zu leiten".


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11| NACHWORT

Wie dieser "Weg zur Erneuerung" und die letztliche "neue Gestaltung des Staatswesens" tatsächlich aussah, versuchen wir in der vorliegenden Broschüre darzulegen. Zum siebzigsten Mal jährt sich heuer der 12. Februar 1934: Jener Tag, an dem die "Christlichsoziale" Partei (die ihrem Selbstverständnis nach im Auftrag Gottes handelte), die Demokratie endgültig zerschlug und dabei hunderte Oppositionelle töten ließ; Jener Tag, an dem der damalige Bundeskanzler Dollfuß die Standgerichte einführte, und selbst Schwerverletzte auf der Tragbahre zum Galgen bringen ließ; Jener Tag schließlich, an dem Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Sozialistische Jugend in die Illegalität getrieben wurden, SozialistInnen zu tausenden in "Anhaltelager" gesperrt wurden und damit der Weg zur Macht für die Nazis aufbereitet wurde. Die Niederschlagung der Sozialdemokratie im Februar 1934 war der Beginn der ersten faschistischen Diktatur in Österreich, die vier Jahre später, 1938, von ihrem deutschen Gegenstück abgelöst wurde. Einige Wochen nach den Februarkämpfen, genau am 1. Mai 1934, trat die neue "ständestaatliche" Verfassung in Kraft. Sie begann mit den Worten: "Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstatt auf ständischer Grundlage diese Verfassung." Die päpstliche Enzyklika aus dem Jahr 1931 war somit zumindest pro forma erfüllt, und nun zeigte sich sehr schnell, was die ärmeren Bevölkerungsschichten von der neuen, "ständischen" Gesellschaft zu erwarten hatten: Nichts. Ihnen wurden alle Rechte genommen, Löhne gedrückt und Soziale Sicherungen zerschlagen zum Wohle des Kapitals. Doch wie schrieb schon Paulus? "Seid untertan der Obrigkeit, denn jede Obrigkeit ist von Gott." So wenig wir damals Gott in der Verfassung brauchten, so wenig wollen und brauchen wir ihn heute. Was wir

aber wollen, ist endlich eine offene Diskussion über die Diktatur von 1933 bis 1938. Was wir wollen, ist eine Diskussion über die Rolle der Katholischen Kirche und der angeblich "Christlichsozialen" Partei in dieser Zeit. Was wir wollen, ist ein Ende der unsäglichen Dollfuß-Verherrlichung durch die ÖVP und - spät genug - das Eingeständnis der Bürgerlichen, dass dieser Mann kein Held, sondern der Chef einer Bande von Verbrechern war. Was wir brauchen, ist kein Gottesbezug in der Verfassung, sondern eine wirkliche und allumfassende Trennung von Kirche und Staat. Was wir - und hier sind wir vielleicht beim Wichtigsten angelangt - auch endlich brauchen, ist eine Diskussion darüber, wie das kapitalistische System überhaupt erst die Voraussetzungen für den Faschismus schuf, wie "Christlichsoziale", Heimwehr und Nazis von Unternehmern gesponsert und aufgepäppelt wurden und welche Rolle führende Köpfe der Wirtschaft schließlich bei der Machtergreifung des Faschismus spielten. Die Frage die wir uns dabei stellen müssen, lautet: Wer hat Interesse an der Zerschlagung der Demokratie, an der Beseitigung von Rechten der ArbeiterInnen, wer profitiert von der Knebelung der Linken? Bei der Beantwortung dieser Frage werden wir feststellen, dass Faschismus nicht nur keine Meinung sondern ein Verbrechen ist, wir werden auch sehen: er war kein Zufall. Andreas Kollross Verbandsvorsitzender

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KOMMENTIERTE LITERATURLISTE SAMMELWERKE

x Achenbach, Michael (Hg.) 2002: Österreich in Bild und Ton. Die Filmwochenschau des austrofaschistischen Ständestaats, Wien Auseinandersetzung mit der vom Filmarchiv Austria aufgearbeiteten Wochenschau, zugleich ein Überblick über Politik-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des "Ständestaats".

x Fröschl, Erich und Zoitl, Helge (Hg.) 1984: Februar 1934. Ursachen - Fakten - Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts vom 13. bis 15. Februar 1984, Wien Mit Beiträgen österreichischer, deutscher, britischer ungarischer und italienischer WissenschaftlerInnen zu Themen wie sozialdemokratischer Wehrpolitik, die internationalen Auswirkungen der Februarkämpfe, die Gewerkschaftsbewegung in der Ersten Republik, politischem Katholizismus u. a. m.

x Löw, Raimund, Mattl, Siegfried und Pfabigan, Alfred 1986: Der Austromarxismus. Eine Autopsie, Frankfurt/ Main Gewissermaßen das Gegenstück zu Lesers "Zwischen Reformismus und Bolschewismus" - die drei (damals noch trotzkistischen) Autoren unterziehen den Austromarxismus einer kritischen Analyse von links. Das Buch bietet in knapper Form einen durchaus brauchbaren Überblick, allerdings beschränkt es sich auf (zu Recht kritisierte) Teilaspekte des Austromarxismus, spricht diesem aber die Legitimation pauschal ab.

x Maimann, Helene und Mattl, Siegfried (Hg.) 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933 1938, Wien Katalog zur gleichnamigen Ausstellung anlässlich des 50. Jahrestages der Februarkämpfe. Besteht in erster Linie aus einer Sammlung zeitgenössischer Quellen und Interviews mit ZeitzeugInnen.

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x Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte (Hgin) 1980: Faschismus in Österreich und In-

ternational. Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/ 81, Wien Mit Beiträgen prominenter HistorikerInnen zu faschistischen Bewegungen in Deutschland, Österreich, Ungarn, Slowenien und (im Überblick) anderen europäischen Staaten.

x Talos, Emmerich und Neugebauer, Wolfgang (HgIn.) 1988: "Austrofaschismus". Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, Wien Durchgehend gute (Überblicks-)Beiträge zum "ständestaatlichen" System. Die Geschichte der Ersten Republik bis Anfang 30er ist leider auf eine sehr grobe Zusammenfassung beschränkt.

x Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (Hg.) 1983: Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik, 2 Bände, Wien-Graz-Köln Beiträge zu den Parteien, Institutionen und Verbänden im Österreich der Zwischenkriegszeit, der österreichischen Außenpolitik usw. Nicht durchgehend gelungen, enthält aber einige interessante Beiträge (z. B. jenen von Anton Staudinger zur Christlichsozialen Partei).

MONOGRAFIEN

x Ausch, Karl 1968: Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption, WienFrankfurt-Zürich Eines der Schlüsselereignisse der Ersten Republik war der Zusammenbruch der Boden Credit Anstalt, der den Beginn der Weltwirtschaftskrise darstellte. Auschs Werk beschäftigt sich mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Christlichsozialen und argumentiert schlüssig gegen die Behauptung, Seipel hätte mit seiner Deflationspolitik und den von ihm verhandelten Anleihen "Österreich gerettet". Sehr empfehlenswert.

x Botz, Gerhard 1983: Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche Unruhen in Österreich 1918-1938, München Das akribisch recherchierte Standardwerk zu politischen


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Auseinandersetzungen "auf der Straße" in der Ersten Republik und im "Ständestaat". Sehr empfehlenswert.

x Carsten, Francis L. 1978: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler, München

x Moritz, Stefan 2002: Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich, Wien

Neben Kerekes' "Abenddämmerung einer Demokratie" eines der detailliertesten Bücher zur Rolle der Heimwehr in Österreich 1918-1934. Zusätzlich beschäftigt sich Carsten relativ ausführlich mit den österreichischen Nazis. Sehr lesenswert.

Neben dem eigentlichen Thema des Buches sind informative Beiträge zum politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit (unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Katholischer Kirche und Nazis), sowie zum katholischen Antisemitismus vor und im "Ständestaat" enthalten. Als Überblickstext sehr geeignet.

x Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien

x Payne, Stanley 2001: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München-Berlin

Auf gut fünfzig Seiten wird unter anderem in recht gelungener weise die Geschichte der Ersten Republik dargestellt. Als grober Überblick empfehlenswert.

Der Abschnitt über Österreich im Kapitel "Vier Hauptvarianten des Faschismus" (S. 302-310) liefert in leicht verständlicher Sprache einen kurzen thematischen Überblick, Paynes Kategorisierungsversuche faschistischer Bewegungen - darunter auch der Heimwehr - sind aber fragwürdig.

x Huemer, Peter 1975: Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie, Wien Hecht trug als juristischer Berater von Dollfuß zur Etablierung der Diktatur wesentlich bei, indem er dem christlichsozialen Staatsstreich einen legalen Anstrich zu verpassen suchte. Interessant.

x Kerekes, Lajos 1966: Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr, Wien-Frankfurt-Zürich Ein, wenn nicht das Standardwerk zur Heimwehr-Bewegung. Minutiös arbeitet Kerekes die Rivalitäten innerhalb der Heimwehr, das Verhältnis zwischen Heimwehr und Christlichsozialen und die Rolle Italiens und Ungarns bei der Etablierung der Diktatur in Österreich auf. Lesen!

x Pelinka, Anton 1972: Stand oder Klasse? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 19331938, Wien Lesenswertes Buch, besonders auch hinsichtlich des christlichsozialen Antisemitismus.

x Schneeberger, Franziska 1988: Sozialstruktur der Heimwehr in Österreich. Eine vergleichendpolitische Sozialgeschichte der Heimwehrbewegung, Dissertation, Salzburg Sehr gute Arbeit, leider zum Teil schwer lesbar.

x Leser, Norbert 1968: Zwischen Reformismus und Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theorie und Praxis, Wien-Frankfurt-Zürich

x Weidenholzer, Josef 1981: Auf dem Weg zum "Neuen Menschen". Bildungs- und Kulturarbeit der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik; Schriftenreihe des LudwigBoltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung Nr. 12, Wien

Interessante (rechtssozialdemokratische) Kritik am Austromarxismus, allerdings in mehreren Punkten problematisch (etwa, wenn Leser bei Otto Bauer die Schuld dafür sucht, dass es 1932 zu keiner Einigung mit den Christlichsozialen kam).

Zu den wesentlichen Merkmalen des Austromarxismus gehört sein bildungspolitischer Anspruch. Ziel war die Formung des "Neue Mensch", der einst den Sozialismus aufrichten sollte. Der Text von Weidenholzer bietet hier einen sehr guten Überblick.

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KONSERVATIVE INTERPRETATIONEN DER ERSTEN REPUBLIK UND DES "STÄNDESTAATS"

x Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 19331938, München Der Historiker Kindermann bemüht nach Kräften alle konservativen Mythen und Klischees zum "Ständestaat". Kein Zufall, dass sein Werk im Parlament vom ÖVP-Rechtsaußen Khol präsentiert und in höchsten Tönen gelobt wurde. Ebenfalls nicht zufällig stieß das Buch allerdings unter HistorikerInnen (auch bürgerlichen) zum überwiegenden Teil auf Unverständnis und Ablehnung.

x Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der "30er Jahre", Wien Die Journalistin der Tageszeitung "Die Presse" reproduziert einmal mehr die rechtskonservative Sicht der Dinge. Wissenschaftlich letztklassig, aber gut geeignet als Beispiel dafür, wie aus Mördern und Putschisten im Nachhinein Helden gemacht werden können.

x Wiltschegg, Walter 1985: Die Heimwehr, Wien Der Autor, selbst ehemaliger Heimwehr-Mann, fördert durchaus interessante Details zu Tage. Seine Analyse hat rechts aber eindeutig eine Schlagseite und ist in vielen Fällen kaum verhohlen um Rechtfertigung der Heimwehrpolitik bemüht.

ZEITZEUGENBERICHTE

x Ulrich Weinzierl (Hg.) 1984: Februar 1934. Schriftsteller erzählen, München

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x Starhemberg, Ernst Rüdiger 1942: Between Hitler and Mussolini, New York-London Bemerkenswerte Memoiren des ehemaligen Heimwehrführers. Starhemberg lässt sich über seine (ehemaligen) politischen Vorstellungen und Ziele ziemlich unverblümt aus. (Tlw. stark überarbeitete) Neuauflagen erschienen 1971 (mit einem Vorwort des Ex-Heimwehrlers und Ex-VP-Unterrichtsministers Heinrich Drimmel) und 1991.

AUSTROMARXISTISCHE QUELLENTEXTE

x Bauer, Otto 1980: Werkausgabe, 9 Bände, Wien Das Werk Otto Bauers umfasst tausende von Seiten, die in der "Werkausgabe" in insgesamt neun Bänden publiziert wurden. Nachfolgend werden nur einige der wichtigsten Artikel empfohlen.

x Bauer, Otto: Der Aufstand der österreichischen Arbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkung, WA, Bd. 3, S 957-997 Ursprünglich ist dieser Artikel Bauers unmittelbar nach den Februarkämpfen in Bratislava erschienen und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgelegt.

x Bauer, Otto: Zwischen zwei Weltkriegen? Die Krise der Weltwirtschaft, der Demokratie und des Sozialismus, WA Bd. 4, S 49-331 Das Buch, von Bauer 1936 in Bratislava verfasst, beeindruckt mit seiner intelligenten und weitsichtigen Analysen des Faschismus aus zeitgenössischer Sicht. Sehr empfehlenswert!

Prominente ZeitzeugInnen schildern ihr Erleben des österreichischen Bürgerkrieges. Mit Beiträgen u. a. von Stefan Zweig, Erich Fried, Manès Sperber, Dorothea Zeemann und Stella Rotenberg.

x Bauer, Otto: Die österreichische Revolution, WA, Bd. 2, S 489-866

x Hindels, Josef 1996: Erinnerungen eines linken Sozialisten, Wien

x Bauer, Otto: Parteitagsrede 1919, WA, Bd. 5, S 163-199

Der große Volksbildner Hindels schildert sein Erleben des Roten Wien, des Bürgerkriegs und der Illegalität (die für den damals 17-jährigen im Gefängnis des "Ständestaates" endete).

Schwerpunktmäßig befasst sich die Rede mit Bauers Ablehnung einer neuerlichen Koalition mit den Christlichsozialen. Dabei entwickelt er die politische Vision, die für die sozialdemokratische Politik des nächsten Jahrzehnts charakteristisch war.

Befasst sich mit den gesellschaftlichen und politischen Brüchen am Ende des Habsburgerreiches.


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x Bauer, Otto: Parteitagsrede 1926, WA, Bd. 5, S 343-390 In erster Linie deshalb interessant, weil von konservativer Seite ausschließlich aus dem Kontext gerissene Fetzen der Rede zitiert werden um die angebliche sozialdemokratische "Gewaltbereitschaft" zu illustrieren. Die Rede Bauers ist aber im Gegenteil ein Bekenntnis zu einer demokratischen Kultur und eine klare Absage an Gewalt in der Politik.

x Leser, Norbert u. Pfabigan, Alfred (Hg.) 1981: Max Adler. Ausgewählte Schriften, Wien Aufsätze und Artikel von Max Adler, in denen er sich besonders auch mit dem "Neuen Menschen" befasst. Sehr lesenswert.

x Achs, Oskar (Hg.) 1985: Otto Glöckel. Ausgewählte Schriften und Reden, Wien

der austromarxistischen Schulpolitik. Unter seinen Aufsätzen sei besonders "Schule und Klerikalismus", "Sozialistische Schulpolitik nach der Revolution" und "Die österreichische Schulreform" empfohlen - nicht vom oft pathetischen und z T polemischen Stil abschrecken lassen.

x Brügel, J. W. (Hg.) 1967: Friedrich Adler vor dem Ausnahmegericht. 18. und 19. Mai 1917, Wien-Frankfurt-Zürich Das Buch besteht aus (vom Herausgeber eingeleiteten und kommentierten) Protokollen des Prozesses gegen Friedrich Adler. Dieser erschoss 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten um gegen den Wahnwitz des Ersten Weltkrieges zu protestieren und nützte seinen Prozess eindrucksvoll um das Massenmorden öffentlich anzuklagen. Adler spricht ohnehin für sich, zum Teil sind die Anmerkungen Brügels (etwa zur Verteidigung Karl Renners) entbehrlich.

Glöckel war als Chef der österreichischen Schulverwaltung bzw. als Wiener Stadtschulratspräsident die zentrale Figur

BESTELLMÖGLICHKEITEN: Sticker zur SJ-Antifa-Kampagne (gratis) Flyer zur SJ-Antifa-Kampagne (gratis) Plakate zur SJ-Antifa-Kampagne (gratis) T-Shirt zur SJ-Antifa-Kampagne (Euro 7) S M L XL Broschüre: Geschichte des Faschismus in Deutschland und Italien (gratis) Broschüre: Geschichte des Faschismus in Österreich (gratis) Broschüre: Faschismustheorien (gratis) Infopaket zur SJ-Frauenkampagne "Deshalb sind wir FeminstInnen" (gratis) Infopaket zur "Zeitbombe Jugendarbeitslosigkeit"-Kampagne (gratis) Trotzdem-Die Zeitung der SJ im Abo (gratis) Ich will aktiv werden, kontaktiert mich! vorname | name adresse |PLZ |Ort geb.datum email tel

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Sozialistische Jugend Österreich Amtshausgasse 4 1050 Wien


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KONSERVATIVE QUELLENTEXTE/MATERIALIEN

x Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. Mit einem Vorwort von Vizekanzler Dr. Adolf Schärf, erläuternder Text von Karl Hans Sailer, Wien 1949 Der ursprünglich geheim gehaltene Briefwechsel fiel den USTruppen während ihres Vormarsches 1945 in die Hände und wurde in weiterer Folge veröffentlicht. Empfehlenswert besonders für AnhängerInnen der Theorie, Dollfuß sei österreichischer Patriot gewesen. Im Anhang finden sich kommentierte Auszüge aus Starhembergs Memoiren.

x Goldinger, Walter (Hg.) 1980: Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932-1934, Wien Z. B. Zitat Dollfuß vom 25. März 1933: "Die braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazi versprechen und in Deutschland getan haben, was ohnehin gemildert wird durch verschiedene Richtungen bei uns, selber machen […]" (S. 212)

x Heimatschutz in Österreich. Sein Werden und die Juli-Ereignisse, Wien 1935

[ SOZIALISTISCHE JUGEND ] www.sjoe.at

Selbstbeweihräucherung der Heimwehr (bzw. des nunmehrigen "Heimatschutzes"). Erschienen nach der Niederschlagung des Nazi-Putschversuches im Juli 1934, werden hier unter anderem auch "Kampfesmut und selbstlose Hingabe" der "treuen Kameraden" während der Februarkämpfe 1934 gewürdigt. Interessant ist das Buch aber wegen seiner nach Bundesländern gegliederten Chronik der Kämpfe.

x Maderthaner, Wolfgang, Maier, Michaela (HgIn.) 2004: "Der Führer bin ich selbst". Engelbert Dollfuß - Benito Mussolini. Briefwechsel, Wien Überarbeitete und erweiterte Neuauflage oben genannter Broschüre, mit einem Beitrag von Emmerich Talós über das austrofaschistische Herrschaftssystem.

x Kriechbaumer, Robert (Hg.) 2002: Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda, Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933 - 1938, Wien Eine Auswahl von Fotos aus dem Bildarchiv der Vaterländischen Front - im doppelten Sinn sehr illustrativ.


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13| ADRESSEN

HIER KANNST DU UNS ERREICHEN Sozialistische Jugend Österreich Amtshausgasse 4 1050 Wien Tel.: 01/523 41 23 Fax: 01/523 41 23 85 www.sjoe.at office@sjoe.at

Jusos Salzburg Wartelsteinstrasse 1 5020 Salzburg Tel.: 0662/ 42 45 00 21 Fax: 0662/ 42 45 00 50 www.jusos-salzburg.at salzburg@sjoe.at

Sozialistische Jugend Burgenland Permayerstrasse 2 7000 Eisenstadt Tel.: 02682/ 775 292 Fax: 02682/ 775 295 www.sj-burgenland.at office@sj-burgenland.at

SJ Steiermark Hans Resel Gasse 6 8020 Graz Tel.: 0316/ 702 632 Fax: 0316/ 702 438 www.jusos.cc jusos@gmx.at

SJG Kärnten 10. Oktober Strasse 28 9020 Klagenfurt Tel.: 0463/ 57 9 87 Fax: 0463/ 57 9 87 34 www.sjg.at info@sjg.at

Jusos Tirol Salurnerstrasse 2 6020 Innsbruck Tel.: 0512/ 53 66 15 Fax: 0512/ 53 66 21 www.jusos.at office@jusos.at

SJ Niederösterreich Kastelicgasse 2 3100 St. Pölten Tel.: 02742/ 22 55 222 Fax: 02742/ 22 55 255 www.sjnoe.at office@sjnoe.at

SJ Vorarlberg Mutterstrasse 65 a 6800 Feldkirch Tel.: 05572/ 23 26 30 Fax: 05572/ 23 26 3 14 www.jugendkaempft.com sj-jugendkaempft@gmx.at

SJ Oberösterreich Landstrasse 36/3 4020 Linz Tel.: 0732/ 77 26 34 Fax: 0732/ 77 26 34 25 www.sj-ooe.at office@sj-ooe.at

SJ Wien Landstrasser Hauptstrasse 96/2 1030 Wien Tel.: 01/ 713 8 713 Fax: 01/ 713 8 713 9 www.sj-wien.at office@sj-wien.at

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[ SOZIALISTISCHE JUGEND ] www.sjoe.at

ODE AN ÖSTERREICHS SOZIALISTEN

Stephen Vincent Benét

Im Namen des unbesiegten Österreichs hing man um fünf Uhr dreißig die Sozialisten auf. Der Himmel war federblau an jenen vier kalten Tagen wenn auch in jener Nacht das Licht erlosch. An einem Montag fing es an. Nicht leicht fiel ihnen der Entschluss, jedoch sie hatten keine andre Wahl. Sie glaubten an den Frieden, an sichere Häuser, an Versammlungen, an Wahlen, an Resolutionen, doch nicht an den Tod der Mauerecken, an Panzerwagen, die sich durch die Straßen schieben, nicht an Granaten und blutüberströmte Schädel. Sie hatten aber gesehen, was nebenan in einem andern Land dem Volk, das auch an Frieden und an Wahlen glaubte, geschehen war. Dieselbe Flut bedrohte sie. Der Sturm war schon zu hören. So griffen sie in den Arbeiterbezirken, wo sie sich ihre Häuser gebaut hatten - um Frieden zu haben und ein Heim im Alter nach den Gewehren.

Es waren große, schöne Häuser, vom Volk und für das Volk gebaut: jedoch Artillerie hat sie zerschlagen. Wenn Du an Parks, Versammlungen und Wahlen glaubst, doch nicht an Tod und Tyrannei, dann fällt die Vorstellung dir schwer, dass einmal der Tag kommen kann, an dem die Frau und deine Kinder in den Keller müssen, um vor Granaten Schutz zu finden, an dem du auf der kurzen Stiege, die bis zu deiner Wohnung führt, eine kalte Pistole in der Faust hältst, ein Tag, an dem Verzweiflung sich um deine trockne Kehle schnürt. Es waren einfache Leute, die der Gewalt nicht widerstehen konnten. Sie lagen tot, wie sie einst lebten, sie lagen zwischen Tisch und Tür, sie lagen vor dem Küchenstuhl, sie lagen tot im Hof, wo einst die Kinder spielten ganz ohne Heroismus, ohne Kriegsbegeisterung; sie waren einfach tot.


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